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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001006014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100601
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Unzweifelhaft stehen dabei schwerwiegende und stark aus einandergehende Interessen einander gegenüber, so daß es nicht leicht sein wird, sie auszugleichen. Es kommt hinzu, dass der ärztliche Beruf, so belastet er mit öffentlichen Pflichten ist, sich zugleich materiell gegenwärtig in außerordentlich schwieriger Lage befindet, in einer mißlichen Lage, die namentlich in den größeren Städten in Folge des Krankenversicherungsgesetzes außerordentlich verschärft worden ist. Den Krankenkassen ist bekanntlich vorgeschrieben, freie ärztliche Behandlung und Arznei zu liefern; ferner ist den Krankenkassen gestattet, die ärztliche Behandlung und die Liefe rung von Arznei auf bestimmte Aerzte und Apo theken zu beschränken, mit denen ein entsprechender Vertrag geschloffen ist. Ueber die Wirkungen dieser Verhältnisse äußert sich ein in den Conrad'schen Jahrbüchern soeben von Dr. I. Silbermann verfaßter Aufsatz „Zur Reform der Krankenversicherung", wie folgt: So entwickelte sich das Cassenarztsystem, das neben manchen sonstigen Nachtheilen für den Aerztestand auch die Ungerechtig keit brachte, daß eine große Anzahl von Aerzten von der Behand lung iran'kenversicherungspflichtiger Personen überhaupt aus geschloffen wurde und daß selbst die Cassenärzte sich nicht in gesicherter Stellung befanden, sondern der Willkür der Cassen- vorstände preisgegeben waren. Im Laufe der Jahre hat sich ein unwürdiges Wettlaufen insbesondere jüngerer Aerzte um die Gunst der Caffenvorstände und der Rendanten entwickelt, das den ärztlichen Stand zu heben nicht geeignet ist. Aerzte unterboten einander in den Honorarforderungen, und so hat sich bei den Ortskrankenkassen der unerquickliche Zustand herausgestellt, daß der Arzt für seine Bemühungen eine Entschädigung erhält, die bei Weitem nicht an die staatlich festgesetzten Minrmaltaxen heranreicht. Es ist nichts Seltenes, daß Aerzte für die Kon sultation 30 bis 40 H, für einen Besuch im Hause etwa das Doppelte erhalten, also nicht mehr als etwa ein in seinem Fache tüchtiger Schlosser. Die Verträge werden meistens derart ab geschlossen, daß entweder ein Fixum gewährt oder daß eine gewisse, nach der Mitgliederzahl berechnete Summe für das Jahr als Aerztehonorar ausgesetzt und dieses unter die Cassenärzte nach Maßgabe ihrer Inanspruchnahme vertheilt wird. In der Regel ist im Vertrage eine Kündigungsfrist für beide Thcile ver einbart, manche Caffen nehmen auch davon Abstand. Eine große Berliner Ortskrankenkasse z. B. schließt Verträge nur auf ein Jahr ab, ohne eine Kündigung vorz-usehen. Wird der Vertrag nicht bis zum 31. December erneuert — und die Er neuerung geschieht meist erst in den letzten Tagen des Jahres — so hört die Thätigkeit des Arztes auf. Unter Umständen kann also ein Arzt, der sich bereits für das nächste Jahr auf die Ein nahme eingerichtet hat, erst am letzten Tage des Jahres er fahren, daß er sich getäuscht habe, ein Zustand, der um so schlimmer ist, als gewöhnlich dem Arzte der Grund der Ent lassung nicht mitgetheilt wird. Der Cassenvorstand und der höchste Beamte, der fast stet allmächtige Rendant, fühlen sich nur als Arbeitgeber und lassen dies Diejenigen besonders empfinden, die sich in höherer socialer Stellung befinden. Auf diese Weise erklären sich die Aerzte- streiks, die zum guten Theil ihre Berechtigung hatten. Nicht nur der Cassenvorstand, die meisten Versicherten fühlten sich dem Arzte gegenüber als Arbeitgeber. Für jeden Privatmann ist der Arzt ein Vertrauensmann, zu dem er in ein gewisses freundschaftliches Verhältniß tritt und den er mit dankbarer Hochachtung behandelt. Nichts von alledem bei der Mehrzahl der Kassenpatienten- Sie sehen in dem Arzt einen ihrer An gestellten, von dem sie glauben, daß er für möglichst geringe Opfer hohe Gegenleistungen herausschlagen wolle. Gegen den „Kassenarzt" besteht von vornherein Mißtrauen. Was sonst im Privatleben bei einem Arzt als Energie gefällt, wird dem Kassen arzt als Grobheit ausgelegt, was beim Privatarzt als anständige Zurückhaltung wohlthuend empfunden wird, beim Kassenarzt gilts als Nichtachtung. Wenn sonst ein Arzt wenig Medicin verschreibt, so ist ihm der Patient für die Ersparung, für die Rücksichtnahme auf den Geldbeutel dankbar; giebt aber der Kassenarzt nicht möglichst oft ein Recept mit — es wird ja in der Apotheke auf Kosten der Kasse angefertigt —, dann heißt e-, daß ihm an der Gesundheit des Mitglieds nichts liege, daß er nur spare, um der Kasse geringere Aufwendungen zu verursachen und sich beim Cassenvorstand lieb Kind zu machen. Klagen doch viele Caffenvorstände darüber, daß eins Menge Arznei vergeudet werde, weil die Patienten, die es ja nicht direkt selber bezahlen, nicht mit Sorgfalt behandelt zu sein glauben, wenn sie nicht jedesmal eine möglichst große Medicin- flasche mitnehmen können. So ist der Kassenarzt der Puffer zwischen Cassenvorstand und Kaffenmitgliedern. Aus dem Hinweise deS Verfassers auf das „unwürdige Wett laufen insbesondere jüngerer Aerzte um die Gunst der Caffen vorstände und der Rendanten" geht hervor, daß er nicht blind ist gegen die Art der Uebelstände, die nicht oder wenigstens nicht allein auf Mängel des Gesetzes zurückzuführen sind. Um so weniger wird man dem von ihm entworfenen Bilde vor werfen können, daß e» übertreibe und eine einseitige Auffassung bekunde. So sind denn auch die Aerzte bisher einig darüber geworden, daß da» für ihren Stand unwürdige Verhältniß beseitigt werden müsse, und Aerztetage und Aerztevereinigungen haben in der Hauptsache zwei Forderungen aufgestellt: Ein- fübrung der freien Arztwahl für die Versicherten und Bezahlung der ärztlichen Bemühungen nach der gesetzlichen Mindesttaxe. Erschwert ist die Erfüllung dieser Forderungen dadurch, daß über die Ausführung der freien Arztwahl die Meinungen der Aerzte selbst auseinandergehen und daß die Bezahlung nach der Mindesttaxe die Krankenkassen zu einer starken Erhöhung der Beiträge zwingen würden; außerdem sind nicht einmal in allen Bundesstaaten gesetzlich festgelegte Mindesttaxen vorhanden. Jndeß, ein Weg muß gesucht werden; aus schwerwiegenden socialen Gründen ist es dringend geboten, bei der Reform der Krankenversicherung die Interessen des ärztlichen Standes ent sprechend zu berücksichtigen. Oie beiden Lhalifen. SS Man erinnert sich, daß ein angesehenes russisches Blatt kürzlich Deutschland verdächtigt hat, bei dem damals noch bevor stehenden Besuche des Schahs in Konstantinopel seine Hand im Spiele zu haben, um nämlich durch den Freund Deutschlands, den Sultan, die deutschen Interessen bei dem persischen Herrscher in empfehlende Erinnerung zu bringen. Jetzt, wo der Besuch in der türkischen Hauptstadt sein Ende gefunden hat, dürften wohl auch die mißtrauischsten Russen zugeben, daß bei der Zusammen kunft in Konstantinopel weder der Schah, noch der Sultan, noch auch das türkische Volk an die deutschen Interessen gedacht haben, sondern nur an die eigenen Interessen und an das den Gast mit dem ihn begrüßenden Volke einigende Band: an den Moham- medanismus. Denn dies ist das Charakteristische und wohl auch historisch Bedeutungsvolle des Besuches in Konstantinopel: daß er eine Etappe weiter auf der Bahn der panislamitischen Be wegung bedeutet. In diesem Sinne haben Volk und Presse der Türkei den Besuch aufgcfaßt. Alle türkischen Blätter haben in ihren Begriißungsartikeln hervorgehoben, daß es sich hier um ein bedeutungsvolles Zeichen der Einigkeit des Mohammedanismus handele und daß die Geschlossenheit der muselmännischen Bevöl kerung in den drei alten Erdtheilen durch den Besuch vor aller Welt documentirt werde. Der oberste Herr der sunnitischen Lehre und der oberste Herr der Schiiten, der Schah, der sich für den Stellvertreter Gottes auf Erden erklärt und somit dieselbe Rolle beansprucht, die der Sultan als ihm zugehörig erklärt, freundschaftlich vereint in der Hauptstadt der Türkei! Welch ein Wandel im Laufe der Zeit! Jahrhunderte lang waren Perser und Türken daran ge wöhnt, einander als Erbfeinde anzusehen. Beide Völker führten mit wechselndem Glück unaufhörliche Kriege gegen einander, bis sich schließlich das Uebergewicht endgiltig auf die Seite der Tür ken neigte. Erst im 19. Jahrhundert, zur se>b<>n Zeit, als bei den europäischen Völkern der Nationalitätsbegriff erstarkte, be gann bei Persern und Türken das Gefühl der Zusammengehörig keit zu entstehen. Dies zeigte sich in eklatanter Weise, als die persische Regierung sowohl während des Krimkrieges, wie während des russisch-türkischen Krieges von 1877 geneigt war, die Schwierigkeiten, in denen sich die Türkei befand, zu Gunsten Persiens auszunutzen. Damals machte sich bei dem persischen Volke das mohammedanische Solidaritätsgefühl so lebhaft gel tend, daß die Regierung von allen feindseligen Schritten gegen die Türkei Abstand zu nehmen gezwungen war. So ist Kas durch den Besuch in Konstantinopel dargethane Solidaritätsempfinden der Herrscher nur die Krönung des schon länger vorhandenen Solidaritätsgefühls der Völker. Sunnismus und Schiitismus bilden keine feindseligen Gegensätze mehr, sondern beide zusam men stellen die mohammedanische Welt dar. Diese Geschlossenheit des Mohammedanis- mus ist ganz besonders beachtenswerth zu einer Zeit, wo es in beschämender Weise zu Tage tritt, wie gering die Ein- müthigkeit der christlichen Nationen ist. Geben doch die Amerikaner ein wenig erfreuliches Beispiel dafür, daß bei dem Kampfe gegen das chinesische Heidenthum der christliche Gedanke nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt gegenüber den Sonderinteressen der einzelnen Staaten. Die hier zu Tage tre tende Uneinigkeit der christlichen Mächte ist aber nur zu sehr ge eignet, die panislamitischen Hoffnungen noch mehr zu beleben. Wer von dieser Steigerung der panislamitischen Bewegung am empfindlichsten getroffen wird, ist aber nicht sowohl Ruß land, als vielmehr England. Rußland, obwohl selbst materiell nicht immer in günstiger Lage, übt doch gerade auf die Türkei und auf Persien schon finanziell einen gewissen Druck aus, ganz abgesehen davon, daß cs militärisch beiden Mächten am ge fährlichsten ist. Zu diesem faktischen, auf den Machtmitteln be ruhenden Einflüsse aber kommt noch der moralische hinzu. Ruß land versteht es so gut, mit den Mohammedanern umzugehen, daß diese in ihm nicht ihren Hauptgegner sehen. Wohl aber in England, das einst der Beschützer des Mohammedanismus ge wesen ist, heute aber bei allen Bekennern des Islam auf's Aeußerste unbeliebt ist. So ist an sich schon jedes höhere Anschwellen der mohamme danischen Welle für England höchst fatal; England hat es ia auch im Sudan erfahren, wie gefährlich der mohammedanische Fanatismus unter Umständen sein kann. Ganz besonders fatal aber ist es für England, wenn gerade in Persien die isla mitische Bewegung wächst, weil diese Bewegung von dort aus sehr leicht nach Indien hiniiberg reifen kann. Bei den indischen Mohammedanern aber gährt es schon seit langer Zeit; waren doch auch die Grenzstämme, mit denen die Engländer vor einigen Jahren sehr ernsthafte Kämpfe zu führen hatten, mohammedanischen Bekenntnisses. So dürften sich also den englischen Staatsmänner, bei der Fürstenbegegnung in Kon stantinopel besondere und gewiß nicht erfreuliche Gedanken ge macht haben. Die Wirren in China. —§ Die Londoner „Daily News" schreiben, wie schon in einem Thrile unserer gestrigen Abend-Ausgabe erwähnt, über die zweite «sie Kaiser Wilhelm'-: „Im Namen der Menschlichkeit und im Namen des einigen Vorgebens der Civilisation hoffen wir, daß die Mächte den mannhaften und ohne Hintergedanken gemachten Vorschlag de» deutschen Kaiser« annebmen werden. Wenn nicht ohne Verzögerung auf dem von Deutschland vor gezeichneten Wege vorgegangen wird, werden die schuldigen Mandarinen entschlüpfen und di« Lage in China wird schlimmer, als je zuvor." Daß die Vereiuiqten Staaten znstimmen, war schon inosficiell bekannt. Jetzt meldet „Reuter'S Bureau" aus Washington: Der von dem Staatssekretär Hay dem deutschen Geschäftsträger heute überreichten Note wird Bedeutung beigelegt, da sie beweist, daß zwischen Deutsch land und den Vereinigten Staaten bezüglich de- weiteren Vorgehens Einigkeit herrscht. Dieses Ergebniß ist er reicht worden durch mehrere Unterredungen des deutschen Geschäftsträgers mit dem Staatssekretär Hay. Die Wünsche Deutschlands, die dahin gehen, das diplomatische Corps in Peking möge darüber wachen, daß die Bestrafung der Schuldigen auch wirklich erfolge, sind ausführlich dem Präsidenten Mac Kinley mitgetheilt worden, der denselben rückhaltlos zustimmte. Staatssekretär Hay setzte heute »och eine zweite Note auf, welche telegraphisch nach Berlin über mittelt wurde. Man hofft, daß dieselbe dort einen günstigen Eindruck machen und ein neues Band zwischen den beiden Regierungen knüpfen wird. Worte, nichts als Worte! muß man ausrufen, wenn man mit diesem Telegramm das folgende zusammenhält: * Nrw Uork, 5. Oktober. (Telegramm.) Dem chinesischen Gesandten wurde gestern mit Beziehung auf das der hiesigen Regierung mitgetheilte Strafedict des Kaisers von China vom 25. September eröffnet, daß der Präsident Mac Kinley in hohem Grade bedauern müsse, wenn der allseitig als Haupt» rädelssührer betrachtete Prinz Tuan, sowie Kang-Yi und Chao»shu»chiao dem vollen Maß einer exemplarischen Bestrafung entgehen sollten. (Wolff's Telegr.-Bureau). Also nichts als ein billiges Bedauern bat Mac Kinley für die Verhöhnung, welche sich der chinesische Hof mit der verfügten „Bestrafung" der Hauptverbrecher den Mächten gegenüber leistet! Aber wie könnte er auch schärfere Saiten aufzieben, bat das Verhalten der Vereinigten Staaten die chinesischen Machthaber förmlich dazu eingeladen, die Schuldigen zu waschen, ohne ihnen den Kopf naß, geschweige denn, sie einen Kopf kürzer zu machen. AuS Shanghai wird unS telegraphirt: „Der Arscnal-Taotai theilte nach einer Unter redung mit dem Vicekönig seinen untergebenen Beamten mit, daß ein auswärtiger Druck die jüngste Degradirung hervorragender Mitglieder der Hospartei erzwungen habe." Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß dieser sanfte Druck von Washington auSgegangcn ist. Mittlerweile ist nun vollends die wiederholt angekündigte, von der „Morning Post" schon skizzirte Rote Frankreichs der „Köln. Ztg." zufolge gestern Nachmittag in Berlin über reicht worden. Dasselbe geschah in Washington. Rußland soll die französischen Vorschläge billigen. Sie gehen, wenn die „Morning Post" reckt unterrichtet war, dahin, daß, noch vor der völligen Erledigung der Sühnefrage durch die chinesische Regierung, Verhandlungen angeknüpft werden über die Schadloshaltung der Mächte, sowie einzelner industrieller Etablissements, einzelner Personen rc., desgleichen über die Bürgschaften dafür, daß in Zukunft ähnliche Ver brechen nicht wieder vorkommen. Die Einfuhr von Waffen soll dauernd verboten, die Befestigungen zwischen Peking nnd dem Meere sollen geschleift, die Legationen durch beständige Schutztruppen bewarbt werden. Dem Allen kann man zustimmen, aber als schwerer Fehler würde es sich erweisen, wollte man die Verhandlungen vor Vollstreckung der Sühne- urtheile beginnen. „Daily News" haben vollständig Recht, in diesem Falle würden die Schuldigen Zeit finden, sich der Bestrafung zu entziehen, die ganze Sübnefrage würde in den Hintergrund treten, verschleppt und schließlich gegenstandslos dadurch werden, daß die Schuldigen überhaupt nicht mehr z« fassen sind. So gebt Alles wirr durcheinander, und diesen Wirrwarr kann nur China und seinen verbrecherischen Leitern zu Gute kommen. Ein Telegramm des „Standard" vom 2. Octoberbesagt: Huisien, der Gouverneur von Sckansi, ist abgesctzt worden, es wird ihm jedoch durch ein kaiserliches Dekret ein neuer Posten versprochen. An seiner Stelle ist Taun- bisien, der erste Präsident der Vereinigung für Reformen in Peking von 1895, zum Gouverneur von Schansi ernannt worden. Auch das ist nur ein chinesisches Besckwichtigungsnianöver, das nichts zu bedeuten hat, wenn nicht nach dem alten Nechtsgrundsatz: „Blut um Blut" verfahren wird. (Snglisch-rnssische Vifcrsnchtelcien. Nach einer Nachricht des „Standard" aus Tientsin vom 1. Oktober erklärt General Gaselee formell, die Forts von Schan-bai-kwan seien nicht von den Russen vor der Ankunft der Engländer besetzt worden, die Russen seien durch eine Explosion auf der Eisenbahn in der Näbe der Brücke bei Twanckau ausgehalten worden. Die Russen bätten indessen erklärt, daß sie auf das Recht, eine starke Garnison in Schan-hai-kwan zu halten, bestehen. Weitere Meldungen. * London, 5. October. (Telegramm.) „Renter's Bureau" meldet au« Tientsin unter dem 3. d. Mts.: Morgen tritt Li- Hung-Tschang, von dem russischen Admiral, einer Schutzwache und seiner eigenen Leibwache begleitet, die Reise nach Peking an * New Vork, 5. October. (Telegramm.) Dem „Reuter'schen Bureau" wird aus Peking unter dem 30. September berichtet: Der Abmarsch der amerikanischen Truppen beginnt Mitt» woch. Die Eeesoldaten begeben sich nach Tientsin; da» 14. Regi» ment folgt alsbald. * London, 5. October. (Telegramm.) Reuter'S Bureau berichtet aus Tientsin unter dem 2. Oclober: Eine Abtheilung deS englischen Kriegsschiffe» „Pigmy" besetzte gestern die Fort son Schanhaikwan ohne Widerstand. Ein Officier und zwölf Mann bleiben daselbst zurück. — Die Flotte ist heute aus Taka obgegangen. — „Morning Post" berichtet aus Shanghai unter dem 2. Oktober: Der neue Präsident des gemischten Gerichtshofes in Shanghai, Schu, versuchte, die Franzosen zu zwingen, die Arbeiten znm Baue einer Caserne auf dem kürzlich von der französischen Regierung erstandenen Gebäude einznstellen. Schu ist sehr sremdenfeindlich. Die französische Regierung beabsichtigt, wie das Blatt mittheilt, dauernd rin« Garnison in Shanghai zu halten.— Die „Time»" be richten aus Shanghai unterbeut 3. Oktober: Depeschen ausTientsin berichten, deutsche Seesoldatcn seien von 2000 Boxern an gegriffen worden, die 400 Tobte verloren hätten. Ter Berlust der Deutschen sei geringfügig. — Die „Times" berichten auS Hongkong unter dem 3. Oktober: Tausend chinesische Sol» baten haben Canton verlassen, um einen Ausstand in Weitschou (im Distrikte Sammon) niederzuwerfen. In Kaulung sind Vorsichtsmaßregeln ergriffen worden, um Einfälle zu verhindern, da in der Provinz Kiwang eine große Erregung herrscht. — „Morning Post" berichtet aus Ta kn unter dein 1. Oktober: Nach Nachrichten aus der Provinz Sch an tung finden dort wieder Christeuversolgungen statt. Chinesische Trankopfcr. Der Kaiser von China hat sich in einem Telegramm an Kaiser Wilhelm erboten, zur Sühne der Ermordung des deutschen Gesandten Freiherrn v. Ketteler Trankopfer darbringen zu lassen. Es wird interessiren, aus diesem Anlaß zu erfahren, was es mit den Opfern im chinesischen Reich für eine Bewandtniß hat. Dem Buch von Ferd. Heigl „Die Religion und Kultur Chinas" (Verlag von Hugo Ber mühler, Berlin) entnehmen wir darüber Folgendes: Die von der chinesischen Staatsreligion vorgeschriebenen Opfer werden nicht von Priestern, sondern von dem Kaiser und den Mandarinen dargebracht. Diese Verpflichtung der Mandarinen zur Darbringung der Opfer ist auch ein Grund, warum das khristenthum in China keine Fortschritte macht; denn kein Christ kann Mandarin werden, weil ihm seine Religion verbietet, sich an diesen Opfern des Staates zu betheiligen. Geopfert werden Weihrauch, Seide, Speisen, Früchte. Wein und Thee, letzterer nur beim Ahnenopfer. Der Wein ist nicht Rebensaft, sondern ein Extrakt von Früchten, Getreide und hauptsächlich Reis und wird aromatisirt dargebracht. Ter Weihrauch ist aus einer Gattung Aloeholz gemacht und wird in Stangen "durch "das ganze chinesische Reich verkauft. Bei den vom Kaiser oder auch von dessen Delegirten zu vollziehenden Opfern stellen am Tage der Ceremonie die Beamten der verschiedenen Höfe Alles bereit, was für sie nöthiz ist, die Opfergaben, das Gebet, die Chöre, die Orchester werden vor bereitet, die Instrumente in Stand gesetzt. Ist der Moment gekommen, so verständigt man den Kaiser, der mit einem je nach der Bedeutung des Opfers glänzenden und zahlreichen Gefolge erscheint; jeder beim Opfer Beschäftigte hat bereits den ihm durch das Ritual angewiesenen Platz eingenommen. Niemand, selbst der Kaiser nicht, setzt sich nieder. — Er hat vor sich ein ge flochtenes Kissen, um niederzuknicen. Wenn Alles auf seinem Platze ist, ruft man die Geister, die man ehren will, und begrüßt ihre Ankunft. Dann beginnt die Ceremonie mit Darbringung des Weihrauchs. Der Kaiser zündet drei Stangen Weihrauch an und steckt sie in einen vasenförmigen Leuchter, den er erhebt, um ihn gegen den Sitz des Geistes zu tragen, dem seine Verehrung gilt. Diese Ceremonien, wie alle anderen, sind von Knie beugungen, Zubodenstreckungen und tiefen Verbeugungen, wie sie der dienstthuende Beamte vormacht, begleitet. Jede Handlung des Cultus wird durch einen Ceremoniar den Umstehenden an gekündigt, was der Sache eine große Monotonie verleiht. Dieser ersten Opferung folgen dann mehrere andere, begleitet von Ge sängen und vor Allem vou den Gebeten. Sind die Dar bringungen beendigt, so grüßt man den Abgang der Geister, das Blatt oder die Tafel, auf denen das vorgetragene Gebet steht, die Seide, der noch vorhandene Weihrauch, manchmal mit dem Opferfleisch, werden verbrannt, die dargebrachten Nahrungsmittel wieder fort geschafft, das Gefolge, das den Kaiser hergebracht, führt ihn wieder zurück. Das ist im großen Ganzen das 'Schema, nach dem sich jede? Opfer bei Hofe vollzieht. Nicht gering ist die Zahl der Opfer, bei denen der Kaiser assistiren muß, oder zu denen er einen Vertreter entsenden muß. Heigl führt mehr als 40 verschiedene Arten an. Die Hauptopfer sind die beiden großen Opfer an Himmel und Erde, denen in Peking zwei prachtvolle Tempel errichtet sind. Vor dem 99 Fuß hohen Tempel des Himmels erhebt sich ein Altar, eine steinerne Tafel, aufgestellt auf einem runden Massiv. Hier ist es, wo der „Sohn des Himmels" jährlich zur Zeit der Wintersonnenwende das große Himmelsopfer darbringt, bei dem er einen mächtigen Scheiterhaufen verbrennen läßt, und, sich auf den Boden -werfend, ein Gebet spricht. Die Opfer an Himmel und Erde sind dem Kaiser allein Vorbehalten; wer sich anmaßt, diese darzubringen, ist ein Rebell, ein Usurpator der kaiserlichen Macht. Wie in China Alles nach Stufen geht, so sind nämlich die Opfer für Gegenstände der Verehrung, je nachdem letztere ihren Einfluß nur auf Provinzen, Kreise oder Ortschaften erstrecken, nur von den Provinz-, Kreis- oder Localbeamten darzubringen. Drei Tage vor dem Opfer bereitet sich der Kaiser durch Fasten in einem zurückgezogenen Quartier vor. Auf dem Tische des Ge maches, in dem er sich vorbereitet, steht ein bronzenes Figürchen (Tong-jin). Es hält in der Rechten ein Täfelchen mit den Worten: „Fest drei Tage", und drei Finger der linken Hand an den Mund, um dem Monarchen zu sagen, daß er Stillschweigen beobachten müsse. Auch alle übrigen Theilnehmer des Festes müssen fasten, vom siebenten Range des Adels und vom Sekretär zweiter Klasse aufwärts. Unter den vielen Opfern, die dem Kaiser obliegen, nennen wir die in den kaiserlichen Friedhöfen, aus Anlaß einer kaiserlichen Expedition, sei es gegen die äußeren Feinde, sei es gegen Re bellen, und zwar beim Auszüge, Kampf und Sieg, und bei der Rückkehr, ferner Traueropfer. Der Krieg in Südafrika. Partngak n»g »ie Vnere». » Die portugiesische Regierung hat angeordnet, daß alle Waf fen, Munition und sonstigen militärischen Ausrüstungsstücke, welche den auf portugiesisches Gebiet übertretenden Boeren ab genommen werden, nach der kleinen Insel Jnhaca zu bringen sind. Portugal werde diese Gegenstände als England gehörig ansehen, dieselben jedoch so lange in Pfand behalten, bis ihm alle durch den jetzigen Stand des Krieges erwachsenen Unkosten ersetzt seien.
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