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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001008024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischrr und Zissernsatz nach höherem Tarif. Hptra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. Tinnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu eichten. Druck und vertag von L. Pol- tu Leipzktz 9t. Jahrgang. Montag den 8. October 1900. Die Wirren in China. —-Wir haben in den letzten Tagen wiederholt vor allzu optimistischer Beurtheilung der Lage in China gewarnt und besonders darauf hingewiesen, daß die Uebereinstimmung drr Mächte bis dato bloS «ine formale ist, sowie daß die Verlegung des Hofes nach Tiangfn auf alles Andere, als auf entgegenkommende und freundliche Absichten der Lenker und Leiter des himmlischen Reiches schließen läßt. Jetzt schreibt auch die „Nat.-lib. Corr.": „Nach den letzten Mittheilungen hat sich der chinesische Hof weiter von Peking entfernt und nach dem Innern begeben. So erfreulich daher an sich die Thatsache ist, daß auf Grund der letzten Note de- Grafen Bülow ein einmürhiges Vorgehen der Mächte in der Behandlung der Schuldfrage der chine sischen Regierung gegenüber erzielt ist, die Hauptfrage bleibt nach wie vor, ob es den chinesischen Machthabern ernsthaft darum zu thun ist, waschechte Beweise für ihren guten Willen zu gebe». Und das ist zunächst noch erst abzuwarten." Ein Berliner Blatt will aus gut unterrichteter Quelle erfahren haben, daß man in deutschen militärischen Kreisen die Eventualität ins Auge faßt, nach Siangfu, der neuen Residenz des chinesischen HeseS, vor- z»dring en, um den Kaiser von der ihn umgebenden Clique zu befreien und nach Peking zurückzuführen. Diese Nachricht muß mit äußerster Reserve ausgenommen werden. Denn ein militärisches Unternehmen tausend Kilometer weil in das Innere eines fremden, größtentheils nur dem Namen nach und auf Grund von Reiseberichten be kannten Landes, durch schwieriges GebirgStcrrain und mitten durch eine dichte, aufgewiegelle Bevölkerung, die mit fana tischer Zähigkeit an ihrer alten Cultur festhält, müßte bei aller Vorzüglichkeit der Ausrüstung und Kriegstüchtigkeit der verbündeten Truppen als ein gefährliches Wagniß bezeichnet werden. Die Entfernung Peking-Siangfu entspricht etwa der jenigen Königsberg-Moskau. Es ist klar, daß selbst die Ein leitung einer so weit ausgreifenden Offensive Monate erfordern und daL ganze deutsche Expeditionskorps auch zur bloßen Sicherung der Etappen-Linie kaum ausreichen würde. Wenn übrigens Kaiser Kwangsu der Einladung des deutschen Kaisers zur Rückkehr nach Peking keine Folge leistet oder durch die ibn umgebende Clique daran verhindert wird, so dürfte auch eine internationale Offensive nach Siangfu ihren Zweck schwerlich erreichen. Die chinesische Majestät wird eben ge gebenenfalls noch weiter in das Innere dcS Landes flüchten oder — dahin mitgenommen werden. Das letzte, freilich noch nicht als echt erwiesene Edict deS chinesischen Kaisers, welches die Bestrafung der schuldigen Prinzen verfügt, ordnet zugleich an, daß dieselben nach Peking gebracht und vor das kaiserliche Hofgericht gestellt werden sollen. Dieses Hosgericht besteht ans 24 Richtern, größtentheils Mitgliedern des kaiserlichen Hauses. Für gewöhnlich tritt das Gericht nicht als Collegium zusammen, sondern der abzuur- theilenLe Fall wird vom Präsidenten einem der Richter über wiesen. Prinz Tu an ist eine Zeit lang selbst Präsident dieses Gerichtes gewesen. Das Hofgericht kann Strafen aller Art verbängen; die gebräuchlichste ist die sogenannte Strafe der hohen Mauer, d. b. Einsperrung in einem abgeschlossenen, dunklen, von hohen Mauern umgebenen Raume auf eine An zahl von Monaten oder Jahren oder auf Lebenszeit. Tie französische Note. Daß die übrigen Mächte ebenfalls eine „angemessene Ent schädigung" verlangen werden, versteht sich von selbst. Ob aber auch die anderen, in der Note des Herrn Dclcassv aus- gedrückteu Forderungen allgemeinen Beifall finden werden, wird zweifelhaft. Das „Reuter'sche Bureau" kündigt ja schon eine direkt ablehnende Haltung der Bereinigten Staaten an. Unverständlich ist, weshalb Amerika sich der Errichtung ständiger Wachen in Peking widersetzt, aber diese Forderung dürfte dadurch überhaupt hinfällig werden, daß der Hof von Peking nach dem Süden verlegt wird. WaS die Entschädigungsfrage anbetrifft, so ist auch diese nicht so einfach, als es auf den ersten Blick erscheint, denn es gilt als ausgemacht, daß China unter keinen Umständen den Mächten vollen Ersatz für die ungeheuren Kosten leisten könnte. Tie angebliche Washingtoner Rote ist bis jetzt weder in Berlin, noch sonstwo eingegangen. Es stünde ja auch mit der ganzen eben erst anläßlich der fran zösischen Vorschläge zu Tage tretenden Haltung der Vereinigten Staaten in Widerspruch, wenn die Politik Mac Kinlcy'S neuerdings ein Bedürfniß zu einer scharfen Wendung hätte, wie sie in der Forderung liegen würde, daß die Kaiserin- Wittwe aller ihrer Würden entkleidet und Prinz Tuan jeden falls hingerichtet werden solle, eine Wendung, die wir gleich bezweifelt haben. Eine aus Tientsin eingelaufene ofsicielle Meldung besagte, daß die Russen von Schanhaikwan aus den Vormarsch in nordöstlicher Richtung längs der Küste nach Kintschau fortsetzen. Sollte sich diese Nachricht bestätigen, so hätte man eS hier mit einer Operation zu tbun, weiche sich mit dem ActionS-Programm der übrigen Mächte kaum mehr ver einbaren ließe. Die bewaffnete Intervention der Alli- irten diente bisher allgemein kulturellen Interessen und beschränkte sich auf den Schutz der Christen und fremden Staatsaugehörigen in den bedrohten Gebieten, also vor Allem in der Provinz Petschili, wo die meisten Fremden wohnen und wo der Aufstand die gefährlichsten Dimen sionen annahm. Wenn im Laufe der Zeit immer größere Gebiete militärisch besetzt werden mußten, so geschah es einerseits, um den aufrührerischen Elementen näher an den Leib zu rücken und sie nach und nach gegen das Innere de« Reiches zu drängen, wo rS keine Christen zu massacriren, kein fremdes Eigenthum zu plündern giebt, andererseits aber, um die Position der internationalen Streitmacht im Rücken zu sichern. In Kintschau aber, 400 km nordöstlich von Taku, giebt es weder christliche Missionen noch fremde Staatsangehörige. Auch für die Sicherung der Rückzugslinie der Alliirten fällt dieser Punkt vermöge seiner exponirten Lage außer Betracht. Selbst daS um mehr als die Hälfte näher an Taku gelegene Schanhaik wan muß für das Okkupationsgebiet schon als weit vor geschobener Posten betrachtet werden. Kintschau hat demnach für die Verbündeten und ihre militärische Action wenig Bedeutung, ungleich mehr aber für die Russen und ihre Aspirationen in der Mandschurei. Mit der Besitz nahme von Kintschau wäre nämlich eine geschlossenere Eisen bahnverbindung von Niutschwang über Schanhaikwan nach Taku und Tientsin, also ein direkter Anschluß an die Haupt linie der sibirischen Eisenbahn hergestellt, und daS ganze Küstengebiet des GolfeS von Liautong (mit Port-Arthur, Niutschwang, Kintschau und Schanhaikwan) wäre fortan der russischen Interessensphäre einbezogen. Jedenfalls verdient die russische Offensive von Schanhaikwan nach Kintschau die aufmerksamste Beachtung. Deutsche Expedition nach Paotingfu. „Neuter's Bureau" meldet aus Tientsin, 6. Oktober: Die ausländischen Flüchtlinge in Paotingfu weigern sich, die Stadt zu verlassen, da sie den Verrath der chinesi schen Geleitmannschaft fürchten. Eine deutsche Truppen- abt Heilung von 500 Mann mit zwei Geschützen, die ab gesandt worden war, um die Gegend nach Tsing- hai-hsien aufzuklären und Wagen und Maulthiere für die Expedition nach Paotingfu zu requiriren, kehrte nach einer viertägigen Abwesenheit zurück; sie war sieben Meilen über Tsing-Hai-Hsten hinausgekommen und hatte viele Boxer gesehen. Zwei Mann, die vom Lager abgeirrt waren, wurden schwer verwundet, und ein japanischer Kuli in Stücke gehauen. Die Expedition nach Paotingfu wird jedenfalls ihren Weg über Tsinz-Hai-Hsien nehmen; sie ist aufgeschoben worden und wird wahrscheinlich Montag oder Dienstag abgehen. Aus chinesischer Quelle wird berichtet, Soldaten und Bewohner seien aus Paotingfu geflohen und zahlreiche Boxerbanden hätten die Stadt und den Weg nach Paotingfu besetzt; man erwarte, daß sie fliehen, sobald sie daS Herannahen von Truppen hören. Der Krieg in Südafrika. In seinem Berichte vom 3. Oktober giebt Lord Roberts endlich Auskunft über den Verbleib de- Generals Vuller, von dessen letzten Operationen nur dunkle Gerüchte im Umlauf waren. Danach kehrte Buller am 2. Oktober nach einem erfolgreichen Marsche vom Spitzkop nach Lydenburg zurück. Er besetzte am 26. September Macmac an der Ostseite des Burgerpasses und erreichte am 27. Pilgrims Rest nordöstlich von Lydenburg. Beim Einrücken in diesen Ort feuerten die Boeren wenige Schüsse ab, ohne Schaden zu thun, und zogen sich dann auf den benachbarten PilgrimSberg zurück. Am 28. nahm Oberst Byng mit einer Abthcilung südafrikanischer leichter Cavallerie durch einen wohlgeleiteten Nacktmarsch den Groodenoneinberg hinan den Gipfel deS Pilgrimsberges, indem er die Boeren zum eiligen Rückzüge zwang und zwei Ge fangene machte, sowie 40 Ochsen und 4000 Sckafe erbeutete. Am 29. folgte Buller mit dem Gros nach dem Pilgrimsberge nach. Es bedurfte großer Anstrengungen, um die Geschütze und die Wagen die steile Steigung binanzuziehen. Von hier auS wurde Krügers Post, genau westlich von Pilgrims Rest, am 1. Oktober erreicht, wo Buller mit einer kleinen Abthcilung zusammcntraf, die unter Brocklehurst von Lydenburg zu seiner Verstärkung abgeschickt war. Am Nackmittage des I. Oktober brachten die Boeren — sie hatten solange vermieden, mit den Briten in Fühlung zu kommen — zwei weittragende Geschütze in Stellung und beschossen daS englische Biwak aus einer Entfernung von 9000 w. Gegen sie wurde eine Cavallerie- abtheilung unter Major Henderson entsandt, die nach einen, Ritt durch sehr schwieriges Gelände die Stellung erreickte, von der auS die Boeren gefeuert hatten. Die Geschütze waren indessen, wie gewöhnlich, schon weggeschafft und die Boeren verschwunden. Buller erbeutete im Ganzen 600 Haupt Rindvieh, 4000 Schase und 150 Wagenladungen mit Vor- räthen; 109 Bürger ergaben sich ihm und 184 000 Patronen für kleine Waffen wurden zerstört. Der Zug war also im Wesentlichen nur ein Beutezug; es fiel kein Geschütz in die Hände der Engländer, und der Gegner wurde nicht zu einer Entscheidung gezwungen, im Gegentheil ging die Fühlung mit ihm wieder vollständig verloren. Es ist, bemerkt die „Köln.Ztg.", einigermaßen rätbselhaft, weshalb Buller die Verfolgung nicht fortgesetzt hat. An Vorräthen kann es ihm bei der reichen Beule, die er gemacht hat, doch nicht fehlen. Wahrscheinlich hat die Erschöpfung der Mannschaften und Tbiere wieder einen solchen Grad erreicht, daß eine Ruhepause unbedingt nöthig geworden ist. Einen noch ergiebigeren Beutezug hat Hart in der Gegend von KrügerSdorp beendet. Er ist nach einer 33tägigen Abwesenheit, während deren er 500 km marschirte und an 29 verschiedenen Tagen mit dem Feinde in Fühlung kam, am 1. Oktober nach KrügerSdorp zurückgekehrt. Er hatte 3 Todte, 24 Verwundete und 3 Vermißte zu ver zeichnen, tödtete und verwundete eine beträchtliche Zahl Boeren und nahm 96 gefangen. Er erbeutete 2720 Haupt Rindvieh, 3281 Schafe und Ziegen, eine große Menge von Mehl, Kartoffeln, Hafer, Heu und Kleie, 90 Pferde, 28 PonieS, 11 Maulthiere und 67 Karren und Wagen. Das Ereigniß bei der Station Pa», zwischen Komatipoort und Pretoria, war nicht ein Eisenbahn unfall infolge einer Zerstörung des Bahnkörpers, sondern, wie Roberts jetzt berichtigen muß, ein regelrechter feindlicher Ueberfall; die Verluste der 2. Coldstream Garde sind nur auf feindliches Feuer, angeblich meistens mit Explosiv geschossen, zuriickzusühren, während die Schienen überhaupt nicht aufgerissen waren. Die Boeren eröffneten ihr Feuer aus einer Entfernung von 60 Meter und nur dadurch, daß die Engländer die Geistesgegenwart nicht verloren, wurden größere Verluste vermieden. Der Fall ist also wieder rin Beispiel für die unverbesserliche Unachtsamkeit der Briten. Im Oranjefreistaate hat eine kleine Boerenabtheilnng wieder Dewetsdorp nnd Wepener besetzt, wie Roberts bestätigt. Beide Orte sind noch in den Händen der Boeren, doch bat Kelly-Kenny eine Ab- tbeilung abgesandt, um sie wieder zu nehmen, und die Hoch länder-Brigade unter Hector Macdonald nach Bloemfontein zur Verstärkung herangezogen. * London» 8. Lctober. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" berichtet aus Lydenburg unter dem 2. Lctober: Während der letzten fünf Tage ist General Buller ständig durch den Macmachur- Hügel, das Pilgrims-Thal, Pilgrims Rest und Krügers Post vor gedrungen, indem er überall den Feind vor sich hergetriebea hat. Jetzt ist er in der Nähe von Ohrigstad. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Oktober. In diesem Winter werden dem Reichstage zum ersten Mal die GewcrbcansjichtSbcrichte der einzelnen Bundes staaten im Original vorgelegt werden. Bisher wurde ihm jeden Winter ein kleiner handlicher Band unterbreitet, in dem auS den einzelnen Jahresberichten der GewerbeaufsichtS- beamten daS Wisscnswerthe behufs Vorlage an den Bundes rath und den Reichstag im ReichSamte deS Innern von zwei Beamten zusammengestelll worden war. Mit diesen Berichten, so willkommen siedem unbefangenenBeobachterderDurchführung und der Ergebnisse der Gewerbeaufsicht waren, hat die Reichs rcgierung wenig Anerkennung im Reichstag gefunden. Namentlich kehrte auf der äußersten Linken der Borwurf immer wieder, daß die Zusammenstellung tendenziös sei und daß sie zu spät komme — wobei regelmäßig darüber hinweggesehen wurde, daß eben die Urberichte spät eingereicht waren und daß ein gedrängter Auszug aus diesen Berichten eine außerordentlich zeitraubende Arbeit ist, wie Jeder weiß, der nur einen Bericht eines größeren Bundesstaates auf eine einzige Frage hin sorg fältig durchgearbeitet hat. In diesem Winter jollen nun, wie gesagt, die gesammten Einzelberichte der Bundesstaaten von Reichswegen gedruckt und dem Reichstage vorgelegt werden. Die redaktionelle Arbeit des Reichsamtes des Innern wird sich da rauf beschränken,jein möglichst eingehendes alphabetisches Register für diese Berichte berzustellen, mit Hilfe dessen Jeder, der sich für eine Specialfrage interessirt, >n den Originalberickten die betreffenden Stellen finden kann. So wird denn an Stelle deS kleinen handlichen Berichts alljährlich eine kleine Hand bibliothek treten, die für den Specialisten und als Vor bereitung für schöne ParlamentSredcn vielleicht von Nutzen sein wird, die aber schwerlich die socialdemokratische Tendenzkritik aus der Welt schaffen nnd sicherlich weiten Kreisen, die sich mit Socialpolitik und daher auch mit den Gewerbe aussichtsberichten beschäftigen, das bisherige Interesse dafür verkürzen wird. Ter Sammelbericht war nicht nur handlich, sondern auch wohlfeil; die gesammelten Berichte werden an Feuilleton« Der neue Tug. Roman von Klara Zahn. Nachdruck vervolcir Er wurde sehr feierlich empfangen, wie ein Fremder, in den Salon geführt und hatte eine gute halbe Stunde zu warten, bis die gnädige Frau sich herbeiließ, zu erscheinen, „Louise ist leidend", sagte sie schmerzlich, „kein Wunder nach der Aufregung, die das arme Kind erlitten hatte", fügte sie bei. Fred lvar ganz bestürzt und fragte in aller Naivität nach dem Grunde. Mit einem strafenden Blick erklärte die Gnädige: „Sie hat durch Fremde von Ihrer Vcrgnllgungstour erfahren müßen." „Ja, ist denn das was Böses?" fragte Fred belustigt. „Jedenfalls stark compromittirend für uns und unsere Tochter", erklärte die Dame streng. Fred wollte auffahren. — Schon wieder „compromittirend". Ilm dieses dummen Wortes willen hatte er den Kopf in die Schlinge gesteckt. Meinten's nun gar, sie haben sich a Hundert gekauft, das sie an der Leine führen können? — Die Wetter wolken auf seiner Stirn redeten das, zu Worten aber ließ es die Geheimräthin nicht kommen. — Sie war plötzlich wieder ganz Sanftmuth, klagte nur über Louisens leidenden Zustand und bat Fred, zu warten, bis sie ihn zu einem Besuch rufen lassen könnten, sobald es besser ginge. Draußen erst fiel ihm ein, daß er sich sein Recht als Bräuti gam hätte ertrotzen können. „Na, auch so gut", sagte er grimmig vor sich hin und ging heim. Nicht heim jetzt, dachte er unter wegs, in der Stimmung schaff' ich doch nichts. Planlos bum melte er umher. Da kam er von ungefähr auf die Straße, di- hinaufführte auf den Jselberg. Der Weg war einsam zu dieser Jahreszeit, und der Tag neigte sich schon. Fred schritt lang sam vorwärts. Nun hatte er die Schneckenlinie deS Berges vor sich. Recht so, da hinauf, es saß sich gut da droben auf der runden Steinbank, mit dem weiten, -herrlichen Panorama vor den Augen. Ein altes Bäuerlein begegnete ihm mit freundlichem Gruße. Fred nickt« ihm herzlich zu. Wie der Alte da sich quält mit seiner Lebensbürde und ist doch heiteren Sinnes, dachte Fred, und uns „verfeinerte Menschen" drückt's schon, wenn sich eine Mücke auf den Hut setzt. Er mußte lachen. Er blieb ein Weilchen sinnend stehen. Da hörte er um die nahe Wegbiegung herum leises Geflüster. Sollte er weiter gehen und da ein Liebespärchen aufschrecken? Er war so gut gelaunt in diesem Augenblicke, daß cs ihm eigentlich leid that. Das Frauen- stimmchen klang gar so zag und schüchtern. Er konnte ja einmal zusehen, ob das Pärlein von der Art war, daß es durch Ueber- raschung erschreckt wurde. Leise bog er sich vor und lugte durch di« Baumzweige. Kaum, daß er einen Ruf des Staunens unterdrückte! War denn das nicht Louise? Nun, freilich, oh, mit wem? Mit dem jungen Studenten, den er öfter, nur halb geduldet, in den Ecken des geheimräthlichen Salons umher stehen sah. — Und ihm sagte man, Louise wär« leidend! Gut, gut so — die Aufklärung würde ihm ja nun nicht entgehen. Er verharrte starr und schweigend auf seinem Platze. Jetzt hörte er deutlich: „Das trau ich mich nicht, Mama ist so streng, — ein« zurück gegangene Verlobung ist und bleibt ein Makel, hat sie mir oft gesagt." „Aber, — wenn Du doch unglücklich wirst, sterbensunglück lich! — Sieh' mal, so ein Maler" Der Wind verwehte das Ende des Satzes, dann klang di« Frauenstimm« wieder: „Früher war ich ihm so gut." „Ich hab« Dich immer lieb gehabt und werde Dich stets lieben bis in den Tod!" Nach einer Pause: „Für Dich möcht' ich sterben." „Nein, o nein, rede nicht so!" „Nur «inen Kuß, — nur einmal! Und Fred schaute mit weiten, ungläubigen Augen, wie das zarte, ferne Mädchen, das sich so hingebend sonst an ihn schmiegte, mit gleicher Bewegung dem unreifen Bürschchen in die Arme sank. Mit «in paar Sätzen sprang er vorwärts und stand, dir Arme untergeschlagen, mit einem kurzen Auflachen vor den tödtlich Erschreckten. — Louise war einer Ohnmacht nahe. Aber sie war doch ihrer Mutter Kind. Mit furchtsamen Augen streifte si« Fred, und da sie weder Haß noch Zorn in seinen Mionen las und diesen Zug stummer Verachtung nicht recht verstand, hob sie bittend die Hände empor wie ein Kind und stammelt« verwirrt: „Sei nicht bös«." Fred erfaßte die drastische Komik der Situation freilich, aber sie hatte denn doch eine zu scharfe Spitze, die sich gegen ihn selbst wandte, als daß er die verliebten Leutchen so leichten Kaufes davonkommen lassen konnte. Er maß den jungen Bur schen vom Kopf bis zur Zehe und sagte ironisch: „Da hier nicht der Ort ist, Kinder abzustrafen, und ich der Ruthe Ihres Vaters nachzuhelfen auch keine Neigung spüre, darf ich wohl um Ihre schleunige Entfernung ersuchen!" „Mein Herr, — ich bin —" „Ein Lausbub', das weiß i. Nun aber marsch!" Damit hatte Fred den zitternden Jüngling am Kragen ge faßt und ihm weniger sanft als energisch ein gutes Stück des abfallenden Weges hinabgeholfen. — Der Edle taumelte, schwor blutige Rache — kehrte aber wohlweislich nicht mehr zurück. — Fred wandte sich zu dem schluchzenden Mädchen. Sie that ihm leid, leid wie ein fremdes, dummes Ding. „Sag' 'mal, was hast Du Dir eigentlich gedacht?" fragte er forschend. Louise stotterte unter Schluchzen: „Ich weiß nicht, — er ist doch mein Vetter, — und das, das wollte ich gar nicht." „Nun sieh 'mal. Euer verwandtschaftliches Verhältniß er leichtert die Sache. Da bleibt doch die Geschichte hübsch „in der Familie" und „compromittirt" Euch nicht, wovor Deine Mutter immer so Angst hat." „Ach Fred, Fred, erbarm' Dich, sag's nicht Mama! DaS überleb' ich nicht." „Was meinst denn, daß ich thun soll?" „Ich werde nie wieder — nie wieder —" „Na — Du blitzdummeS Ding! Dazu mußt' Dir halt ein'» Andern suchen; mit uns Zwei ist's aus!" „Ach Fred, Fred, verzeih' mir! Lieber, lieber Fred!" — Die flehenden Laute kamen gar herzbeweglich von des Mädchens Lippen, und das Vertrauen, daS in solcher Zumuthung lag, besänftigte ein wenig den aufgebrachten Mann. In der That, sie war ein Kind, ein schlecht gezogenes Kind, das er mit einer ernsten Weisung in die Hände und Obhut ihrer Eltern zurllckgeben wollte. Ruhig sagte er: „Komm, ich will Dich nach Hause führen." Louise gehorchte stumm. Sie wagte nichts mehr zu sagen, noch zu bitten der finsteren Skirn gegenüber, die Fred nun doch zeigte. Nur ihre zitternden Glieder, ihre angstvollen Augen baten unaufhörlich, so daß Fred halb unwillig, halb mitleidig sagte: „Sei ruhig. Es wird schon Alles recht werden." Mit sehr erstaunten, hochmiithig blickenden Augen empfing Frau Geheimrath Thiele die Meldung, daß Herr Heyl sie noch einmal und zwar sogleich zu sprechen begehre. — Als sich aber der Künstler nach einer Stunde eifrigster Besprechung für immer aus ihrem Hause empfahl, zu dem er nun in gar keiner Beziehung mehr stand, da war die vornehme Dame sehr be scheiden geworden, und in ihrem stummen, letzten Gruße lag ein Zug von unbewußter Hochachtung vor dem Manne, der ihr eine strenge Lehre ertheilt, ihr Kind aber vor großer Gefahr be hütet hatte. — Nach reiflicher Berathung mit ihrem Gatten fand es Frau Geheimrath Thiele für angemessen, die noch un vollständige Ausbildung ihrer Tochter einem fernen Institute zu übertragen. Ob das der rechte Weg war, den Fred für Louise gewählt hatte? Jedenfalls aber wurde sie dort völlig „salonfähig". In seinem Atelier wanderte Fred noch lange auf und ab. Die Gedanken sprangen allzu sehr mit ihm herum. Zwar mit dem Narrenspiel des eigenen Herzens war er fertig! Vielmehr, er wußte gut genug, daß sein Herz an dieser ganzen Lebensposse keinen Antheil hatte. Nun that es einen lauten Schlag, das junge Mrnschenherz, und meldete sich jubelnd, unbeirrt zu seinem alten Rechte. „Anny, liebe süße Anny! Mein Glück, Du mein einzig Weib!" so sang und klang es in ihm. Sie war ja sein bestes Gut, sein Seeleneigenthum, einzig sein! Und wenn sie ihm nie im Leben angehören sollte! — Daran, sie zurückzugewinnen, backte er kaum in diesem Augenblicke. Es war eine so große Freude in ihm, daß seine Liebe zu ihr noch unverändert in ihm war. Dann warf er sich auf sein Sopha und begann zu philo- sophiren: „Warum, wcShalb, weswegen ihn seine Phantasie so an der Nase herumgeführt hatte!" — Es war freilich schwer, sich das selber zu beantworten. — Immerhin, wenn man lebend
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