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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010805010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901080501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901080501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-05
- Monat1901-08
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Anzeigen »Preis die Sgespalteue Petitzeile L5 Reklame» unter dem Redacrtonsstriq (s gespaltea) 75 vor de» Kamtli«uuai> richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Hifferafatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanaahme 25 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgea-AuSgab«, ohne Postbefärderung SO.—, mit Postbefärderung 70.—. Anuahmeschlnß für Adrigen: Lbead-Sllsgab«: LormÜtag» 10 Uhr. Morgeu-Ausgab«: Rachmiltags 4 Uhr. Bet deu Filialen und Auuahmestelleu je rin« halbe Stund« früher. Anzeige» find stets an di« Expedition z» richten. Di« Expedition ist Wochentaa» uunuterbroche» geäffuel von früh S bi» Abmd» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in LeipziA. 39L Montag den 5. August 1901. 95. Jahrgang. Amtlicher Theil. Ausschreibung. Für den Srweiteruugsba» de» Laboratoriums für an gewandte Chemie bet der Universität an der Brüderstraße Nr. 34 sollen die Schlosser- und die Glaserarbeiten vergeben werden. Die Arbeitsverzeichnisse sind im UniversitätS - Rentamte (Registratur) gegen Erlegung des Selbstkostenpreises zur Ausfüllung zu entnehmen. Die Angebote sind verschlossen und mit entsprechender Aufschrift versehen portofrei btS znm S. August d. I., nachm. 5 Uhr an da» Universitäts-Nentamk einzureichen. Die Auswahl unter den Bewerbern, welche bis zum 2b. August d. I. an ihre Angebote gebunden sind, bleibt vorbebalten. Universitäts-Rentamt. Riemer. Ueber das Vermögen des Handelsmanns Friedrich Angust Hunold, Inhabers eines Herrengarderobegefchäsls in Leipzig, Kleine Fleijchergasse 5, ist heute, am 15. Juli 1901, nachmittags "/.4 Uhr, das Konkursverfahren eröffnet worden. Verwalter: Herr Kaufmann Paul Gottschalck hier, Floßplatz 24. Wahltermin am 7. August 1901, vormittags 11 Uhr. Anmeldefrist bis zum 21. August 1901. Prüfungstermin am 31. August 1901, vormittags 11 Uhr. Offener Arrest mit Anzeigepflicht bis zum 15. August 1901. Königliches Amtsgericht Leipzig, Abth. II JohanniSgaffe 5, den 15. Juli 1901. Ueber da- Vermögen der Ängnste Clara vcrchcl. Wernicke geb. Wilsdorf, Inhaberin einer Schutnvaarenhandlung in Leipzig, Bayrische Str. 87, Pt., Wohnung: Leipzig-Neustadt, Hedwigstr. 9, Hof pt., ist heute, am 17. Juli 1901, mittags '/,! Uhr das Kon- kursverfahren eröffnet worden. Verwalter: Herr Kaufmann Paul Gottschalck in Leipzig. Wahltermin am 7. Angust 1901, vormittags 11 Uhr. Anmeldefrist bis zum 24. August 1901. Prüsuugstermin am 3. Sevtember 1901, vormittags 11 Uhr. Offener Arrest mit Anzeigepflicht bis znm 17. August 1901. Königliches Amtsgericht Leipzig, Abt. Ilä.', Johannisgasse 5, am 17. Juli 1901. Konklirs-Anction. Dienstag, den 6. August, Vormitt, von 10 Uhr an sollen in L.-Plagwitz, Zfchocherschc Strotze 44 d zu «uäloll's Konkursmasse gehörige Jnventargegenstände, als: 1 eiserner ttzcld- schrank, 2 Schreibpultc, div. Comptoirutciisilicn, ;t Hand wagen, 1 Decimalwaage, 1 Stechkarre, 1 Flaschenzug und verschiedene andere Gegeniiände im Auftrage des Konkursverwalters, Herrn Rechtsanwalt Or.Liebe, öffentlich versteigert werden. kranke, Lokalrichter. Nachlaß-Auction. Donnerstag, de» 8. August, Vormitt, von 8 Uhr an soll Hallesche Stratze 10, H. U., der Mobtliarnachlatz der am 24 /6. verstorbenen Frau verw. Winkler, als: div. Mahag.- Möbel, Spiegel, Uhren, Betten, Wäsche, Kleidungsstücke, Schmucksachen und verschied, andere Gegenstände öffentlich ver- steigert werden. Lokalrichter. Von Kristiania nach Sergen, durch GudbrandSdalen und Jotunfjeldene. Eine Reiseerinnerung von vr. Max Menvheim. II. Ein eigentümliches, dem Mitteldeutschen unbekanntes Schau spiel bietet in dieser Gegend, nahe dem 62. Breitengrade, auch die Nacht. In dem Quartier zu Sörum stand ich einmal, weil ich aufwachte und nicht gleich wieder einschlafen konnte, gegen 2 Uhr auf, also zu einer Zeit, wo es bei uns auch in klaren Sommer nächten dunkel ist. Hier aber umfing mich, als ich in den Hof trat, wo übrigens noch oder schon wieder einheimische Gäste saßen, «ine unerwartete Helligkeit, eine matte Dämmerung, bei der man jede Arbeit hätte verrichten können, die aber doch zu dieser Zeit auf mich, der ich an diese Nächte nicht gewöhnt war, einen etwas unheimlichen Eindruck machte, mit ihrer graugelben, eigenartigen Färbung. Der Weg von Sörum noch Andvord, im Ganzen 36 Kilometer betragend, führt bei dem Hof Stordik über den hier in den See mün denden Fluß Thessa, der aus einem Hochliegenden Gebirgssee, DHesten, kommt und auf seinem Laufe mehrere großartige Wasser fälle bildet, die allerdings von der Straße aus nicht zu sehen sind. Dennoch kann man hier, wie auch an anderen Stellen, fchon von der Straße einzeln« kleine, aber aus beträchtlicher Höhe von mehr als 100 Metern kommende Fälle beobachten, die von dieser Höhe immerhin imposant genug wirken. Nachdem man dann noch die Station Garmo Paffirt hat, gelangt man durch die nun immer schöner werdende Gegend an die Mündung der aus Jo tunheims Schneebergrn herabbrausenden Baevva, die sich hier am Fuße des gewaltigen Lomseg, er ist 2061 Meter hoch, in den Ottas« ergießt. Eine Brück« führt über den Baevra zu der Station Andvord und dem dicht dabei liegenden Pfarvhof von Lom mit der alten, etwa vor 600—700 Jahren erbauten Kirche. Dies« Kirche ist eine jener nur Norwegen eigenthümlichen Stave- oder Stabkirchen, die äußerlich, ihres aus mehreren pyramiden förmig übereinander liegenden Abtheilungen bestehenden Daches wegen, mit den schiffsschnabclähnlich hervortvetenden Firstbalken mehr einem jener bekannten chinesischen Tempel gleichen, als einem von dem romanischen Stile beeinflußten Bauwerke. Sie ist, wie alle die wenigen noch erhaltenen Stavekirchen, vollständig aus Holz gebaut; hölzerne, ineinander gefügte Pfeiler oder Stäbe (daher der Name) bilden die Wände, 20 hölzerne Säulen mit interessanten Kapitälen theilen den quadratischen Raum basilikenartig in ein Mittel- und je ein Seitenschiff. Die Decke, die jetzt »den eigentlichen Kirchenraum von der Dachc-onstruction trennt, fehlte früher ganz: sic wurde erst im 17. Jahrhundert ein gezogen; auch die jetzige, kreuzförmige Gestalt entstammt einer späteren Zeit, dagegen ist die Apsis mit dem runden Thurme noch die alte. „Eine seidene Fahne mit einer Hand, welche eine Sichel hält, soll", wie es heißt, „zur Erinnerung an die Anlage der künstlichen Bewässerung in dieser regenarmen Gegend gestiftet sein." Und in der That kann man diese künstlichen langen Wasserleitungen überall hier sehen; sie erstrecken sich weit über die Felder und erweisen noch heute jährlich ihren Nutzen. Die Straße nach Nöisheim führt nun am linken Ufer der reißenden Baevra entlang «durch immer schöner, d. h. rauher und felsiger werdende Gegend nach SUdwrsten. Schmal, oft nur für ein Fuhrwerk Platz bietend, läuft sie vielfach direkt neben dem Flüßchen hin, aus der anderen Seite von den jäh aussteigenden Felsen begrenzt. So sieht man sich an einer Stelle in einen engen Felsenkessel versetzt, dessen Ausgang man der Windungen wegen, die hier Fluß und Straße machen, nicht einmal ahnen wird. Unter einem llberhängenden, weit vorspringenden Felsblock hin weg zieht sie sich dann um ein« ziemlich scharfe Ecke, so daß ein etwa hier entgegenkommendes Gefährt nur durch das von diesem selbst verursacht« Geräusch in dieser sonst lautlosen Stille wahr genommen werden kann; «in Ausweichen gerade an dieser Stelle würde allerdings unmöglich sein, so engbegrenzt von Fluß und Berg ist hier der Weg. Ist man aber um jene Ecke herum, so öffnet sich auch di« Schlucht, und nun hat man ein großartiges Panorama; fast unmittelbar vor Einem breiten sich di« gewaltigen Schneeberge und Gletscher aus; fast wie mit einem Ruck ist man in die Region der mächtigen Alpenwslt versetzt. Unter diesem Eindruck gelangt man nun schnell an einigen Höfen vorüber nach der einsam, aber prächtig im Hochgebirge gelegenen Station Röisheim am Zusammenfluß der Visa und der Baevra. Der Ort besteht aus mehreren, dicht bei einander und ein zelnen, weiter aufwärts gelegenen Holzgebäuden, zwischen denen hin sich über mächtige Felsblöcke brausend -di« Baevra schlängelt. Ein Blick von der Brücke, die das Flüßchen überschreitet, gewährt eine prächtige Aussicht. Der Gasthof des Ole Halvorssön Röis heim, eines in jener Gegend weithin als trefflicher Kenner und Führer des Landes bekannten Mannes, ist geräumig und gut. Und wunderbar, war ich in den früheren, an der breiten, das ganze Land durchziehenden Straße gelegenen Stationen zuweilen der einzige Gast gewesen, so entfaltete sich hier in diesem einsamen, fast abseits von allem Verkehr gelegenen Hause «in verhältniß- mäßig lebhaftes Treiben. Von den ab- und zugehenden Fremden, auch Damen waren darunter, konnte man Norwegisch, Englisch und Deutsch sprechen hören; kurzum, iS war ein Leben hier, wie ich es nach dem der früheren Stationen an diesem wenig zu gänglichen Orte nicht vermuthet hatte. Noch am Abend meiner Ankunft engagirte ich mir für den nächsten Morgen einen Führer zur Begleitung auf den Gald- höpig, den höchsten Berg Skandinaviens. Ein norwegischer Student der Medicin, dessen Bekanntschaft ich noch am Abend machte, im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ich früher in Granun kennen gelernt hatte, ein sehr ernster und gesetzter Herr, schloß sich mir und meinem Führer an, und so machten wir uns früh am Morgen auf den Weg. Man wandert zunächst südwestwärts durch den Ort und dann etwa eine halbe Stunde auf der nach Baeverdalen führenden Straße hin; nun biegt ein schmaler Pfad links ab, direkt ziem lich steil, aber bequem, den Berg hinauf, der anfangs noch mit niedrigem Gebüsch besetzt ist, bald aber immer kahler und öder wird. Nach etwa L^stllndigem Marsche erreicht man den Saeter Raubergstul, ein einfaches, kleines Holzgebäude, in dem wir uns durch eine kurze Rast und frische Milch für die folgende Kraxelei stärkten. Mit guter Hoffnung, auf der Höhe durch schöne Aussicht für unsere Mühe reichlich belohnt zu werden, stiegen wir weiter ein paar Stunden, um, gänzlich in Schnee watend und vom Schneesturme umbraust, aufwärts zur Höhe des Plateaus. Aus der Juvvashytte, einer Unterkunftshlltte Knut Vole's, des bekannten Galdhöpigführers, in einer Höhe von 1900 Meter, traten bei unserer Ankunft mehrere Herren heraus und hießen uns jubelnd willkommen. Es waren Touristen wie wir, ein Deutscher und drei Norweger, die aber auch in Deutschland gelebt hatten und gut deutsch sprachen, so daß die Unterhaltung in der Folge fast nur deutsch geführt wurde. Sie drückten zunächst unsere Hoffnung stark herab, indem sie er zählten,daß sie schon mehrereTage langhier oben fröhlich hausten, um auf klares Wetter zur Besteigung des eigentlichen Gipfels zu warten. Man hoffte, daß sich noch am Nachmittage der Himmel klären werde, und so thaten wir uns einstweilen gütlich und waren lustig und heiter. Es wurden Schneemänner ge baut, Lieder gesunden, Anekdoten erzählt und allerlei andere Streiche verübt. Aber alles Warten war vergeblich, und als schließlich auch der Führer erklärte, daß es heute nicht mehr möglich sei, die weiteren schwierigen 600 Meter zu ersteigen, machten wir uns nothgedrungen auf den Rückweg und langten nach ein paar Stunden wieder in Ole Halvorsön's Gasthaus an. Die Opvartningspige (Aufwärterin) hatte heute Sonntagsstaat angelegt, ein Weißes, an der Brust nicht ganz geschlossenes lang ärmliches Hemd, ein kleines, sckwarz und rothcs Mieder und kurzen schwarzen Rock, worin sie sich, trotz ihres vorgerückten Alters, ganz stattlich ausnahm. Das Ziel meiner Wanderung am folgenden Tage war der Saeter (d. i. etwa dasselbe, was in der Schweiz Sennhütte heißt) von Baevertun. Der Weg dahin ist von Röisheim aus zunächst die bequeme Fahrstraße, die sich am rechten Ufer der Baevra in anmuthiger Gegend hinzieht, an verschiedenen Höfen und an der kleinen Kirche von Galde vorllberfllhrt. Dann ge langt man beim Gaard Rusten in eine prächtige Klamm, von der aus man den großen Gletscher Juvbrae sieht, und muß nun seinen Weg im Leirdal hin auf einem schmalen Saumpfad fortsetzen, bis man nach mehreren Stunden über den Baevertjaernhals, einem Paß in 1100 Meter Höhe mit immer schönerer Aussicht in das Leirdal und auf die mächtigen Schnee berge und Gletscher zu seinen Seiten, wieder in das Baeverdal kommt. Am Anfänge des hier von dem Flusse gebildeten Sees liegt der Rustensaeter, an dem vorüber man nun am nördlichen Ufer des Baevertunsees, theils in der Höhe, theils am See hin, entlang wandert, bis an dessen anderem Ende der ersehnte Baevertunsveter auf einem Abhange sichtbar wird. Nach un gefähr siebenstündiger Wanderung, ohne die Ruhepausen, kam ich in den späteren Nachmittagsstunden mit gutem Appetit hier an und belegte in dem wenige Schritte von den eigentlichen Wohngebäuden der Bewohner dieses Ortes und den Viehställen entfernt angebauten Quartierhause für die Gäste ein Bett. Die Einrichtung ist hier natürlich äußerst primitiv, aber sauber, und die Verpflegung bei aller Einfachheit ganz gut; ist doch sogar Bier in diesem auf keiner Fahrstraße zu erreichenden Hause zu haben! Unterwegs hatte ich auch noch Gelegenheit gehabt, das Innere einiger ärmlichen Hütten dieser nordischen Landbewohner kennen zu lernen. Um etwas zu trinken zu bekommen — mit Eßwaaren hatten wir uns versorgt —, veranlaßte ich meinen Führer, in einem noch an der Straße gelegenen Häuschen vor zusprechen. Er erhielt eine zusagende Antwort, und so gingen wir hinein; alles war hier in dem kleinen Raume wirklich äußerst dürftig; nicht einmal ein richtiges Trinkgefäß schien die anwesende junge Frau zu besitzen; denn sie kredenzte uns die gute Milch in einer großen Holzschüssel, die wir nun wohl oder übel abwechselnd an den Mund führen mußten. Wenige Oere machte unsere Zeche, die aber doch gute Dienste gethan hat. Nicht viel anders erging es uns in einem kleinen, einsam auf Bergeshöhe gelegenen Saeter, in dem wir um die Mittags zeit einkehrten. Hier saßen mehrere Feld- oder Waldarbeiter bei einem ärmlichen Mahl in dem kleinen, niedrigen Zimmer der Hütte, die wohl kaum für eine Unterkunft Raum geboten hätte. Daß die Leute hier überhaupt nicht auf Fremde rechneten, zeigte sich schon daraus, das sie den uns gebotenen Labetrunk nicht einmal bezahlt nehmen wollten und erst auf mein energisches Verlangen ein paar Oere annahmen. Beide Fälle aber können als charakteristisch für den gastfreundlichen Sinn dieser armen, ernsten — fast möchte man sagen, äußerlich unfreundlichen — Leute gelten, die den Fremden kaum mit einem, Worte begrüßen, dafür ihn aber auch nicht mit neugierigen und lästigen Fragen nach dem Woher und Wohin?, wer bist Du und was willst Du? behelligen, wie dies in anderen Ländern und Gegenden so häufig und eindringlich geschieht, daß die Unter haltung dem Reisenden oft eher wie ein gerichtliches Verhör erscheinen muß. Zu den interessantesten meiner Touren in Norwegen zählt nun entschieden diejenige von Baevertun Saeter nach Fortun, die ich am Morgen nach meiner Ankunft in jenem mit meinem Führer antrat. Da sie auf etwa 12 bis 14 Stunden berechnet wird, so brachen wir bereits nach 4 Uhr Morgens auf, wohl versorgt mit einem guten Bissen und Trank; denn die nächste menschliche Ansiedelung ist etwa 8 Stunden von Baevertun Saeter entfernt, und im Hochgebirge kann man nie wissen, ob man durch die Witterungs- und Bodenverhältnisse nicht länger als man gerechnet hat aufgehalten wird. Der Weg — an einen Weg im eigentlichen Sinne darf man dabei freilich hier nicht denken — führt in dem engen, wilden Baeverdal aufwärts, bald durch Sümpfe und Bäche, bald über mächtige Felsstücke und schlüpfriges Geröll, aber doch immer noch so, daß man bei einiger Aufmerksamkeit einen wirklichen Pfad wohl zu unterscheiden vermag. Eine Art Brücke führt über die Domma, ein Nebenflüßchen der Baevra, das aber hier kurz vor der Mündung plötzlich verschwindet und unter der Erde weiter fließt. Auf dem weiteren Marsche, der zwar nirgends gefähr lich, aber doch beschwerlich und ermüdend ist — wenigstens für die Beine, für die Augen allerdings durchaus nicht —, offenbart sich immer mehr der Charakter des nordischen Hochgebirges: mächtige Gletscher und gewaltige Felsenberge treten in den Ge sichtskreis, und auf der Höhe, Kroßhö genannt, des Sognefjeldes, die man nach etwa vierstündiger Wanderung erreicht, sieht man weithin, theils vor und neben sich, theils in einem von Felsen umschlossenen Thalkessel, zahlreiche kleinere und größere Seen, Feuilleton. Er fürchtet sich. Skizze von E. H. Als der Friödek noch «in «ganz kleiner" Junge war, hat er sich schon unbehaglich in seinem kleinen Dasein ge kühlt. Spielte er draußen auf der Landstraste mit seinen Kameraden und es war die Zeit des Nachhausrgehens, so liefen alle die anderen Jungen in ihre schönen Häuser, die an der Straße standen. Er aber schlich sich durch das weite offene Friedhofsthor! Scheue Blicke nach rechts und links, über die weite Gräberreihe, am Kirchlein vorüber, dann hinein in die Thür! „Kommst wieder emal geschossen?" hatte die Mutter stets gefragt, weil der Junge gar so toll in die Thür gerissen hatte. „Der fercht' sich!" hatte Otto, der vier Jahre ältere Bruder, gespottet. Ja, er fürchtete sich! — Als er in die Schule kam, rückten zuerst seine Nachbarn von ihm weg. Er war ja der Todtengräberjunge, er schlief mit den Leichen unter einem Dach, roch der nicht nach lauter Friedhof? Aber als einmal der Friedel nicht da war, zankte der Lehrer die Classe aus. Seitdem war's nicht mehr so arg für ihn. Er ist in dem Keinen Häuschen, das inmitten der Gräber steht, geboren. Zwei Stübchen und die Küche zur Linken gehören dem Todtengräber, zur Rechten ist der Halle Raum, in dem die Todten liegen bis zur Beerdigung. Sein erster Blick, in dem die Welt sich ihm erschloß, ist auf die Gräber gefallen. Er weih es auch genau, sie waren alle weiß gewesen. Da die Eltern viel zu thun hatten, Otto in die Schule ging, hatte man den Friedel sich selbst überlassen. Da hatte er am Fenster gehockt und hinausgestarrt. Das waren die Gräber?! „Nachts thun sie sich auf, und die Todten stehen alle auf!" hatte Otto ihm einmal ins Ohr geraunt, sich aber ängstlich umgeguckt, ob die Mutter es nicht gehört hatte. Der Friedel war ja kreideweiß vor Entsetzen geworden! I» der Nacht schrie der Kleine entsetzt auf, er sah ja die Todten alle aus ihren Gräbern steigen. „Schlaf', dummer Junge!" hatte der Vater gebrummt, „die Todten thun Ein' nischt! Nee. Aber die Lebendigen!" In einer Prügelei hatten sie dem Vater ein Auge aus geschlagen. Seitdem haßte er die Lebendigen noch mehr. „Ich muß noch die holen!" oder „Ich hol' jetzt dem Sieber sei' Frau!" Derlei Worte hört der Friedel alle Abende, denn in der immer mehr wachsenden Stadt sterben fast täglich Menschen. Immer um ein neues Stück wird ja der Friedhof vergrößert. Hört Friedel den Vater also sprechen, so hält er sich die Ohren zu und legt das Köpfchen in die verschränkten Arme auf den Tisch. Die langen, goldenen Locken, der Mutter Stolz und des rothköpfigen Otto Aerger, fallen auf die kleinen Schultern, die wie in tiefster Angst sich zusammenkrampfen. „Der fercht' sich emal wieder!" sagt Otto und stiehlt sich zur Thür hinaus. Er fürchtet sich gar nicht, er ist stets zur Stelle, wenn der Vater mit seiner Last kommt. Friedel hört dann die Tritte der Männer in dem kleinen, säulengetragenen Vorraum, er hört, wie sie die Bahre nieder setzen, er hört den Vater, den Otto sprechen, und er schüttelt sich. Draußen in der kleinen Küche wäscht die Mutter das Ge schirr auf. „Geh' ins Bett, Friedel!" ruft sie. Es jammert sie so, daß ihr Kleinster sich so fürchtet. Aber, lieber Gott, kann sie's denn ändern? Hier hat der Vater seinen Verdienst, sie haben ihre Wohnung, ihr Essen Wir können nicht Alle reich sein. Der Friedel hat einmal der Mutter gesagt, daß Otto sich Geld aus ihrem Kästchen nimmt und sich dafür Zuckersachen kauft. Dafür schwor Friedel dem „Furchthasen" Rache. Eines Tages arbeitete der Vater in der neuen Gräberreihe, die Mutter lief mit der Gießkanne, Friedel stand neben dem Regenfaß an der Dachtraufe. „Komm' 'mal her, Du Memme!" Damit hatte er den vor sich hinträumenden Jungen gepackt, mit kräftigen Armen die zarte Gestalt aufgehoben. Und ehe der entsetzte Friedel sich'» versah, that sich di« gefürchtete Thür auf, und Otto schuppst« ihn dicht an einen offenen Sarg. Da lag eine schlafende, junge Frau, die Hände gefaltet. Ein schwarzes Kleid hatte sie an, Blumen waren darauf ge streut. Der Athem stockte dein mit große» Augen starrenden Kind. So sahen die Todten aus? So gelb, so unbeweglich liegen sie da? Mit einem SchiR war Friedel an der Thür, sein Köpfchen bog sich zurück, ihm «war, als griff« eine eiskalte Hand in sein! Genick. „Mutter!" Sie «warf die Gießkanne hin und schloß ihr Kind an's Herz. Hinter dem nächsten Grab klang ein rohes Gelächter hervor. Wenn man ihm zuerst ein todtes Kind gezeigt hätte, hätte er sich nicht so entsetzt! denkt die Mutter. Sie beruhigt ihr zitterndes Knäblein, läßt sein Händchen nicht mehr lvs, sie nimmt ihn mit dahin, wo sic gießt. Ein paar Tage darauf, als Otto in der Schule ist, hebt sie den Friedel auf ihren Schooß. Sie weiß es, di« schlichte Frau aus dem Volke, daß ihr Kind nach und nach die Furcht vor dem Ort«, an dem er aufwächst, verlieren muß. Was sollte sonst werden? Drüben liegt ein Kind von acht Monaten. Die Mutter des Verstorbenen hat das Dinglr so Prächtig hcrausgeputzt für sein letztes Bettlcin, ihm sein hellblaues Taufkleidchen angezogen. So herzig sieht das Kind aus, wie ein weißes Püppchen. Heimlich hat Friedel's Mutter eine Menge weißer Rosen über di« kleine Leiche gestreut. „Willst Du mit mir in die Todtenkammer gehe», Friedel? Ich will Dir ein Kindlein zeigen! Das sieht gar lieb aus! Komm'!" Etwas widerstrebt der Friedel. Aber an der Mutter Hand fühlt er sich doch sicher. Er weiß auch, daß ihm di« Mutter nichts anthun wird, was so schrecklich ist. . . . Zögernd, aber von Mutters Hand fest gefaßt, trippelt er neben ihr her. Sie reißt die Thür nicht wild auf, wie Otto. Ganz leis«, als dürfe man den Schlummer der hier Ruhenden nicht stören, klingt sie auf und sagt: „Hier ist ein gar heiliger Ort, mein Friedel, di« hier liegen, sind Alle schon oben im Himmel beim lieben Gott! Nur ihr Leib ist noch auf der Erde!" Friedel blickt sich scheu um und seine klein« Hand krampft sich fest um die der Mutter. Es ist leer im Raum, allerlei Geräthe lehnen an der Wand. Draußen liegt goldener Sonnenschein auf den Gräbern. Ein Strahl der Sonne fällt durch die trüben «Scheiben in diesen Raum. . „So, da gucke das niedliche Püppchen an!" Der Sonnenstrahl liegt «wie Gold über dem kleinen, offenen Sarg, in dem das Kindchen liegt. Die Händchen sind zu Fäustchen geballt, auf dem Köpfchen liegt ein Kranz Weiher Blümchen. Der Friedel bleibt ganz still und blickt auf das kleine, tobte Wesen herab. Ja, das sieht schön aus. Davor entsetzt er sich nicht. Die Mutter fühlt das und ist beglückt. Lange bleibt sie nicht mit dem Friedel in dem Raume. Aber sie erlebt es, daß der Friedel von nun an öfters fragt, ob wieder ein so kleines, hübsches Kindlein „drüben" sei. Weiß er das, so geht er mit der Mutter hinein. In solchen Nächten fürchtet er sich auch nicht. Nur vor den gestorbenen „Großen" fürchtet er sich und vor den Nächten, wo der Helle Mondschein draußen über den Gräbern liegt. Wenn es gar so schön und hell auf der Erde ist, wenn di« vielen Rosen blühen, da kommen um Mitternacht, wie Otto sagt, ganz gewiß die Todten heraus auf di« Oberwelt. Wer will's ihnen denn verdenken? — Dann kann der Friedel kein Auge schließen. Die Zähne klappern ihm zusammen vor lauter Angst. Aber schreien darf er nicht, sonst weckt er die Anderen, denn sie schlafen ja alle Vier in der Kammer! Als ich eines Tages ein liebes Grab besucht«, sprach ich die Friedhofsfrau. Ihr blasses Gesicht, ihr schwarzes Kleid fielen mir auf. „Wie gehts denn Ihren Kindern, Frau?" „Kindern?" Ein Schmerz malt sich auf ihrem Gesicht. „Was macht denn der kleine Blondlockige, ver sich so fürchtete?" „Er ist den Winter gestorben! Am Nervenfiebrr, sagt ver Doctor. Ach, der Friedel hat sich halt zu Tode gefürchtet!" Schluchzend steht die arme Mutter vor mir. Ein Kindesmord! — Wir leben in so aufgeklärter Zeit, kn so reicher Zeit! Die Jugend lernt und lernt, immer neue Vereine zur Bildung des Volkes, immer neue Pforten, dir zur WelkweiS- heit führen, thun sich auf. Und doch! Da lebt vke Arenuth im zerrissenen Kleide! Da muß eine Familie mitten rnrter den Todten leben, anstatt draußen unter den Lebenden! Da muh ein feinbcsaitetes Kind sterben, weil es nicht im Sonnenschein leben durfte, sondern seine junge Seele mit den schwarzen Bildern des Todes füllen mußte! Wir leben in reicher Zeit und siiid doch so arm — an Herz'. - -
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