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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001008018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900100801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900100801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-10
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Reklamen unter demRedactionsstrich («ab spalten) 50-H, vor den Familirnnacyrtchke» lSgespalten) 40/4. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis). Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Vkilaacn (gesalzt), ««r mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbefvrd«N»g 60.—, mit Postbeförderung ^tz 7V.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-An-gabe: Bormittag« 10 UhL Morgea-Au-gabe: Nachmittag« «Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an di» Ertzetzttist» zu richten. Druck und Verlag do« L P olz in Leipzig. 94. Jahrgang. Amtlicher Theii. Aufgebot. Es ist wegen der Kraftloserklärung folgender Pfandbriefe des Erbländisch-Ritterschastlichen Ereditvereins im Königreich Sachien, 1. wegen der 3'/Ivrocentigen Pfandbriefe der Serie I Int. 6 Nr. 5773 und 5774 über je 75 (25 Thlr.) und 2. wegen des 3"/), procentigen Pfandbriefes der Serie Hl lut. v Nr. 0106 über 300 ./L (IM Thlr.) und zwar auf Antrag zu I. der Gemeinde Langenleuba-Oberhain, zu 2. der Ge meinde Erandorf, Las Anfgebotsverfahren einznleitrn be schlossen worden. Die unbekannten Inhaber der Urkunden werden aufgefordrrt, ihre Rechte bei dem unterzeichneten Amtsgerichte spätestens in dem auf den :tl. Januar 1901, Vormittags lO Uhr anberanmten Ansgebotstermin anzumeldcn und die Urkunden vor zulegen, widrigenfalls die Kcaftloserklärung der Urkunden ans weiteren Antrag erfolgen wird.» Leipzig, den 28. Februar 1900. Königliches Amtsgericht, Abteilung II.4.'. Schöbe l. > Gkwölbc-Permikthniig. Im siädtiichcu Gründslücke tKrimmaischc Ttrasjc Nr. 1 ist der Laden links mit Len durch eine Treppe verbundenen Geschäfts räumen im ersten Obergeschosse vom 1. April 1001 an anderweit zu vermiethcn. Micthgcfuche werden auf dem Ralhhause, 2. Obergeschoß, Zimmer Nr. 20 entgegengenommen. Daselbst wird auch jede weitere Aus kunft crtheilt. Leipzig, den 2. August 1900. Ter Nath der Stadt Leipzig. Lr. Tröndlin. Römer. Lnndwirthschuftliches sns der Leipziger Mege in der Milte des 16. Jahrhunderts. Von vr. Kurt Krebs. Unter den Opfern, welche die denkwürdige Schlacht bei Cievershausen neben unserem heldenmüthigen Kurfürsten Moritz unserem engeren Baterlandc auferlegt hatte, befand sich u. A. auch der Herr des nahe bei Leipzig gelegenen Rittergutes Mark Neeberg, Tietz von Haugwitz. Sein unerwarteter plötzlicher Heldentod rief in den Kreisen seiner nächsten Verwandtschaft nnd Bekanntschaft, seiner Gläubiger und Schuldner eine so lebendige, jahrelange Bewegung hervor, daß die hierüber auf uns gekommenen Acten noch heute nicht ohne Interesse zu durch blättern sind, nicht ohne Interesse für den Agrar Historiker, dem sie überaus drastisch den Gegensatz zwischen sonst und heute documentiren, nicht ohne Interesse für den Local Historiker, der ungemein zahlreiche Aufschlüsse Uber tiefduntle Punkte der Ver gangenheit von Leipzig und seiner nächsten Umgebung erhält. Wenn auch Valentin König's vielbändiges Adelslexicon voll ständig in Ungewißheit läßt über Tietz' von Haugwitz' nächste Verwandtschaft, und wahrscheinlich erst die von Oberregierungs rath Posse geplante Adelsmatrikel allgemeinen sicheren Aufschluß geben wird, so darf doch schon jetzt mit Sicherheit angenommen werden, daß Tietzens Vater Georg hieß und auch er schon Mark kleeberg besessen hat. Ob Tietz von Haugwitz Brüder gehabt, ist ganz ungewiß, aber als Schwestern sind uns ihrer fünf be kannt geworden: zwei verheirathete, nämlich die Gemahlin Hein- rich's von Einsiedel auf Gnandstein und die Georg's von Schön berg auf Lamperswalde, und drei ledig gebliebene, Namens Cacilia, Agnes und Brigitta, die schon vor dem Tode Tietzens das Zeitliche gesegnet hatte. Der Kinderreichthum war einer der Gründe der wirthschaftlichen Nothlage Georg's von Haug witz gewesen, die mit um so größerer Gewißheit angenommen werden kann, als er nicht nur drei seiner Töchter Klöstern üverwiesen hatte, sondern auch seine Schwiegersöhne wiederholt für ihn Bürgschaft geleistet haben. Und wo der Vater keinen Segen hinterläßt, da ist's dem Sohne schwer, Häuser zu er bauen. Die im damaligen Adel herrschenden ErbschaftSsitieu waren ein zweiter Grund, daß Tietz von Haugwitz nur wenig frohe Tage erleben sollte, denn er empfing von dem väterlichen s Erbe nicht mehr und nicht weniger, als seine Schwestern, obwohl ' er auf so schwachen Schultern nicht nur den väterlichen Besitz j Markkleeberg, sondern auch das dem v. Haugwitz'schen Ge i schlechte gemeinsam gehörige Gut Mölbis bei Borna tragen sollte. Die v. Haugwitz waren damals auch sonst noch in der - Leipziger Pflege ansässig, erwähnt sei nur Wilhelm von Haug witz auf Taucha, ein durch seine mittelalterlichen Thaten be kannter Haudegen, ferner Christoph von Haugwitz auf Beucha bei Borna. Sie alle scheinen mehr oder weniger Recht an I Markkleeberg und Mölbis gehabt zu haben, so daß Tietz mehr s als Repräsentant der Familie auf jenen Gütern, nicht aber als > eigentlicher Besitzer erscheint; fast möchte man seine Stellung j mit der eines unserer modernen Pächter dergleichen, obwohl auch gegen diese Auffassung so Manches spricht. Tietz von Haugwitz selbst scheint ein feingebildeter Mann von geachteter gesellschaftlicher Beziehung gewesen zu sein; seine uns hinterlassenen eigenhändigen Briefe zeigen eine gewandte Feder, die Sprache derselben ist treffend, allenthalben bekundet er eine vornehme Liebenswürdigkeit. Daß er öfter mit dem Lberhofrichter zu Leipzig zusammen Tagungen anberaumt, läßt ihn auch als Hilfsarbeiter desselben und als Mann von juristischer Bildung erscheinen. Was auch immer wir von ihm hören, Alles erfüllt uns mit Freude und Wohlgefallen an ihm. Er ist die Zuflucht der verwittweten Brigitta von der Planitz und ihrer Kinder auf Trachenau bei Rötha, die von ihren Vettern Kurt, Christoph und Rudolf von der Planitz so lauge in finan zieller Noih gelassen worden war, bis sich die Gläubiger des ver storbenen Gutsherrn des Sitzes Trachenau bemächtigt und sie daraus vertrieben hatten. Mit einer ganzen Reihe guter Thaten machen uns die Worte seiner Schwester Cäcilia be- lannt, welche am 12. October 1553 von ihm schreibt: „Bon dem Bruder seligen hab' ich wohl gehört, daß er willens war, des Fischers Sohn davon Hilfe zu thun, daß er studireu sollte; es geschah aber nicht. Zu dem Gestühl in der Kirche, desgleichen zu den Crucifixcn auf dem Gottesacker und in der Kirche hat er davon gegeben. So habe ich gehört fast vor zwei oder drei Jahren, daß er mit dem Schösser von Taucha davon geredet, man sollte dieselbigcn Zinsen zu der Schule gebrauchen." >) Ilm so höher wird man diese freundlichen Züge eines hilfs bereiten Herzens schätzen müssen, je größer die dauernden Lasten des Rittergutes Marktleeberg waren. An solchen sind noch heute bekannt: 3 Pferde zur Erfüllung von Ritterdiensten, 2 Schock (d. h. zweimal 60 Gulden gleich 120 Gulden) oder 2400 c/( zu dem Pfarrersold in Markkleeberg, dieselbe Summe und nock einige Mengen Getreide nnd einige Hühner an den Pfarrer zu Großdeuben, I Gulden (d. h. 20^ -//) der Universität Leipzig, 2 Scheffel Korn nnd 52 Brode dem Gemeindehirten zu Mark kleeberg, I Scheffel Korn dem Küster (Lehrer) zu Cröbern. Andere Ausgaben betrafen mehr die Gutswirthschast; ein Vogt bekam etwa 240 ein Mälzer 200 -/(, ein Schirrmeister 260 c//, ein Enke, d. h. ein Knecht, 140 c/(, die Käsemutter -- erhielt außer 120 c/( an Geld noch Scheffel Weizen, 1 Schleier und 5 Ellen Leinwand, eine Magd erhielt etwas über 150 an Lohn, so daß sich die Besoldung Aller zu Markkleeberg ohne Kost auf 060 belief. Solch' großen Ansprüchen gegenüber, die Tietz von Haugwitz auf Markkleeberg zu befriedigen hatte, mußten ganz natürlich entsprechende Einnahmen stehen. Als die wichtigsten Einkünfte finden sich verzeichnet die Erträgnisse von Zinsen, Feldern und Wiesen, Frondiensten, der Viehwirthschaft, Müllerei, Fischerei, Forstwirthschaft und Bierbrauerei. An daarem Gelde zahlten alljährlich die Dörfer Cröbern und Markkleeberg 31 Schock 17 Groschen, d h. ungefähr 1900 c/s; an Kaphähnen erhielt das Rittergut Markkleeberg außerdem 76 Stück, 1 Stück zu zw:i Groschen, d. h. 2 an Gänsen 18 Stück vom Krautgelände ') Das ist die älteste Nachricht über das Tauchaer Schul wesen, von dem Guth's Geschichte der Stadt Taucha so gut wie nichts berichtet. -) Das ist Wohl der deutsche Name unserer modernen Mamsells? bei Dösen. Fernere Einnahmen erwuchsen aus Belehnungen (Besitzwechsel), aus Behandlung von Gerichtsfällen u. a. An Feld besaß das damalige Rittergut Markkleeberg 150 Acker, an Wiese 65 Acker. Ueber die Frondienste lesen wir Folgendes: „24 Tage frönen 6 Bauern mit dem Pfluge, den«n giebi man allc Tage dreimal zu essen und einem jeden zu Mittag Hafer und Rauhfutter. 21 Handfröner schneiden alles Wintergetreide um das 10. Schock, machen auf 3t) Ackern Wiesen das Heu und Grummet, darüber muß man ihnen des Tags vier mal zu essen geben. 90 Tage müssen etliche Bauern zu Cröbern mit dem Rechen frönen, darüber man ihnen viermal des Tages zu essen giebt; solche Frone wird aus die anderen 35 Äcker Wiesen gebraucht. 11 Bauern dreschen 88 Scheffel Korn und auch so viel Hafer; davon haben sie 25 Scheffel, über dem Drusch darf man ihnen nichts zu essen geben. Was aber über dem Drusch von Korn und Hafer übrig bleibt, dreschen sie um den 2Iten Scheffel. Darüber giebt man ihnen die Kost. DaS Ge treide zu Hainhain ), auf den 14 Ackern gewachsen, allen Weizen, Gerste und Erbsen, muß man verlohnen zu dreschen." Einen völligen Gegensatz zu den heutigen landwirthschaftlichen Betriebsweisen zeigt die damalige Viehwirthschaft, insofern das Rittergut Markkleeberg um das Jahr 1552 wohl 700 Schafe pflegte, aber nur 22 Kühe. Die Mühle besaß vier Räder, zwei Teiche füllten etwa 24 Schock Setzlinge, und außerdem waren der Schloßgraben und eine wilde Fischerei reich an Fischen. An Waldungen besaß man 50 Acker, die Bierbrauerei erzeugte ihren Hopfen in drei Gärten. — Auch mit den innersten land wirthschaftlichen Angelegenheiten des Rittergutes Markkleeberg in damaliger Zeit machen uns die hinterlassenen Acten bekannt. Cäcilia von Haugwitz schreibt z. B.: „Die junge Frau *) be richtet mich, daß Georg von Draschwitz das Korngeld soll ge geben haben bis auf 3 neue Schock. Von dem Schäfer will sie nichts wissen, denn daß er dieses Jahr soll 115 Gulden gegeben haben. Um die Wolle des 51. Jahres weiß sie nicht bericht zu geben, ob sie der Schäfer gegeben habe oder nicht. Die von Hirsfelt b) sprach mich an im Markt ') der Gerste halben, so ihr der Bruder seliger geliehen hat, man wolle ihr dieselbe an ein Geld schlagen ) und noch ein Jahr lang borgen, denn ihre Gerste wäre ihr dieses Jahr verdorben. Es hat auch A-mus von Ertmanßdorff zwir ) um seinen Hafer mahnen lassen; aber ich besorge, Georg, der Knecht, hat es mit seinem Mahnen rr- -0 Gemeint ist wohl das jetzige Vorwerk Auenhain bei Wachau. ') , Wittwe Tietzens v. Haugwi' v. Hirschfeld auf Otterwisch! Leipziger Messe! Zu einem bestimmten Preis berechnen! «) Zweimal. Feuilleton. Das Gelmrlstaasmahl. Humoreske von Freiherr von Schlicht (Dresden), riüültimr vcN'viril. Leutnant von Schnarrwitz feierte seinen Geburtstag, aus gerechnet seinen dreißigsten. Am frühen Morgen hatten ihm auf Veranlassung des Feldwebels die vier Spielleute der Com pagnie schon ein Ständchen gebracht, und auf den beiden Pfeifen und den beiden Trommeln hatten sie ihm das schöne Lied „Schier dreißig Jahre bist Du alt" vorgespielt. Seinem Geschick entgeht unter Umständen der Eine oder der Andere; dem Lied aber entgeht an seinem dreißigsten Geburts tag Niemand. So hatte denn auch Schnarrwitz sich mit An stand in das Unvermeidliche gefügt — er hatte, obgleich er noch im Bett lag und noch schlafen wollte, nicht nur nicht geflucht, sondern „dem Federvieh" sogar durch seinen Burschen einen harten Thaler hinausgesandt. Dem Ständchen folgte zur Feier des Tages eine Felddienst übung, die sehr lang, sehr heiß, aber trotzdem keineswegs genuß reich war. Nur ein Lichtpunct war an dem Vormittag zu ver zeichnen. Ter commandirende General, der Erbprinz von M., der in der Garnison sein Palais hatte und jeden Morgen mit seinem Adjutanten in das Gelände ritt, hatte die Gnade, dem Geburtstagskinde zu gratuliren. Aber der Erbprinz beschränkte sich nicht nur auf einen Händedruck, sondern er sprach längere Zeit mit dem jungen Officier, so daß diesem das Herz vor Glück und Freude schwoll. Als Schnarrwitz am Mittag endlich nach Hause kam, er wartete ihn dort die Geburtstagskiste, die seine in einer anderen Stadt wohnenden Eltern an ihn abgesandt hatten. Mit seinem Taschenmesser öffnete er den Deckel und nahm dann die mannig fachen Liebesgaben heraus: eine Cigarrentasche, fünfzig Cigarren, eine Cigarrenspihe, einen Cigarrenabschneider, einen Aschenbecher, hundert Cigaretten . . . „Mein Gott", dachte das Geburtstagskind, „wollen die Eltern denn, daß ich meinen Abschied einreiche und ein Cigarren geschäft eröffne, das ist ja furchtbar! Was giebt cs denn noch?" Als Nächstes holte er einen Tabakbeutel heraus, dann zwei Pfund Tabak und schließlich eine Manöoerpfeife. Die Kiste war leer, aber trotzdem fehlte nach seiner Meinung noch etwas — er suchte in dem Papier, er suchte in jeder Ecke; er suchte überall: in dem Tabakbeutel und in der Pfeife, in der Cigarrentasche und in der Cigarrenspitzc, aber es war Alles ver gebens. „Na, vielleicht in dem Brief", dachte er. Er öffnete das Couvert, entfaltete den Bogen und las: „Mein lieber, guter Sohn! Ich hoffe, die beifolgenden Gaben, die Dir während des bevorstehenden Manövers von großem Nutzen sein werden, erfreuen Dich. Geld kann ich Dir leider nicht schicken —" Also wirklich und wahrhaftig kein Geld, ausgerechnet nicht einen Groschen. Mit einem etwas ärgerlichen Gesicht besah der junge Officier die vor ihm stehende Tabakaussteuer. „Die Sache ist ja groß artig gedacht", sprach er vor sich hin, „und meinem guten Vater, der sich ein Leben ohne Tabak überhaupt nicht vorstellen kann, sieht es ähnlich, daß er mir nichts Anderes schenkt. Lieber aber wäre es mir gewesen, er hätte mir einen Theil dieser Gaben ru Karibus gegeben." Er griff in die Tasche und holte sein Portemonnaie hervor: „Wahrhaftig", stöhnte er, „leer gebrannt ist die Stätte! Wenn ich nur wenigstens nicht im Vertrauen auf die Geburtstagskiste die Spielleute belohnt hätte, als wäre ich Rothschild, Krupp und der Schah von Persien in einer.Person. Was mache ich nun ? Der Zahlmeister ist für mich nicht zu sprechen, der hört gar nicht mehr zu, wenn ich ihn um einen Vorschuß bitte. Ob ich mich an einen Kameraden wende? Wer hat heute, am Sieben- undzwanzigsten, noch Geld? Es ist überhaupt unerhört, daß der Monat so viel Tage hat, — hätte ich dem seligen Gregor bei der Umänderung des Kalenders helfen können, das Ding wäre etwas anders ausgefallen — da käme spätestens nach dem Fünften gleich der Letzte." Er kleidete sich um und ging in das nahe gelegene Casino, um dort mit den Kameraden zusammen zu essen. „Vielleicht finde ich einen Dummen, der ein gutes Herez hat", dachte er, aber der erste Blick, den er über die Anwesenden schweifen ließ, belehrte ihn, daß hier nichts zu holen war. „Na, denn nicht", tröstete er sich, „das soll mir die gute Laune nicht trüben, man muß die Feste feiern, wie sie fallen." Wenig später saß er mit den Kameraden, die ihn schon lange ungeduldig erwartet hatten, bei der Sectflasche. Schnarr witz erfreute sich großer Beliebtheit, und dieser gab man da durch Ausdruck, daß man für jede leere Flasche gleich zwei volle wieder bestellte. Es ist ein alter Brauch in der Armee, daß die Geburtstage durch ein Liebesmahl im Casino gefeiert werden — mit Schnarr witz' Ehrentag sollte keine Ausnahme gemacht werden, aber das Festmahl war auf den übernächsten Tag verschoben, da dann ein anderer Officier ebenfalls Geburtstag hatte und da man aus Sparsamkeitsrücksichten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte. „Wie ist es, Schnarrwitz?" fragte der eine Kamerad, „es bleibt doch dabei, daß wir heute Abend zum Essen zu Ihnen kommen?" Das Geburtstagskind fiel vo,r Schrecken beinahe vom Stuhl, das hatte er ja ganz vergessen, daß er vor einigen Tagen die ihm besonders nahestehenden Kameraden gebeten hatte, bei ihm ein Butterbrot, zu essen und ein Glas Bier zu trinken. Ein „Zurück" gab es unter keinen Umständen. „Aber selbstverständlich, Herrschaften", erwiderte er, „natür lich bleibt es bei der Verabredung — je mehr kommen, je eher Ihr erscheint und je länger Ihr bleibt, desto lieber ist es mir natürlich." „Geniren Sie sich nur nicht, machen Sie nur ordentlich Um stände", rief man ihm zu, „Sie wissen ja: lieber einen Gast weniger, dafür einen Gang mehr. Wa« giebt's denn Schönes?" „Abwarten, Tbee trinken", gab Schnarrwitz zur Antwort, „im Uebrigen hieße es die edlen Traditionen der berühmten preußischen Einfachheit über den Haufen werfen, wenn ich Euch etwas Anderes als eine kalte Schüssel vorsetzen wollte — aus mehrere Gerichte ist meine Junggesellenwirthschaft nicht ein gerichtet." Damit war auch Jeder einverstanden, man hatte nichts Anderes erwartet, und als man sich endlich trennte, war es bis zum Abend gar nicht mehr so lange hin. Es wurde im Casino erst um sechs Uhr zu Mittag gegessen, und die Essensstunde war nicht mehr fern, al« man aufbrach. DaS Mittagessen hatten natürlich Alle aus Sparsamkeitsrücksichten abgesagt, das thut man in solchem Falle immer. Als Schnarrwitz nach Hause kam, traf er mit seinem Bur schen Vorbereitungen zum Empfang seiner Gäste. Sein Casimir, ein edler Pollak, war ein mordsmäßig dummes Menschenkind, aber eine treue Seele, ehrlich und fleißig, und diesen Tugenden hatte er es allein zu verdanken, daß sein Leutnant ihn trotz aller Drohungen bisher noch nicht ermordet hatte. Aus dem Casino hatte Schnarrwitz sich Tischzeug, Porzellan und Silber kommen lassen, und nun deckte er mit Casimir die Tafel. „Is sich richtig, daß sich Jeder ißt mit zwei Gabbeln und sich schneidet mit zwei Messer?" fragte Casimir. Das ging über seinen Horizont, obgleich er sich, seitdem ec auf Befehl seines Herrn nicht nur eine Zahnbürste besaß, sondern diese täglich zweimal benutzen mußte, so leicht über nichts mehr wunderte. Endlich war der Tisch fertig, die freundlichen Wirthsleute, bei denen Schnarrwitz zur Miethe wohnte, hatten sogar die Blumen ihres Gartens zur Verfügung gestellt, und mit seiner kleinen Hand (Haudschuhnummcr 12^) hatte Casimir gehörig unter den Kindern Flora's gewüthet. Alles Ivar bereit, nur die Hauptsache fehlte, das Essen, und Schnarrwitz war sich völlig darüber im Unklaren, woher er die Speisen nehmen, aber nicht stehlen sollte. Das Nächstliegende wäre natürlich gewesen, die Verprovian- tirung dem Casino zu überlassen, aber das ging nicht, es ging wahrhaftig nicht. Schnarrwitz' Casinorechnung für den ver flossenen Monat ging ins Aschgraue, er mochte gar nicht an das große Minuszeichen denken, mit dem am nächsten Ersten sein Gehaltbuch enden würde, und es war unmöglich, dieses Minus zeichen noch zu verlängern. Er persönlich hätte nichts dagegen gehabt, aber der Herr Oberst war, wie Grethchen's Mutter, in vielen Dingen so accurat — der sperrte erbarmungslos jeden Leutnant drei Tage ein, dessen Casinorest eine bestimmte Höhe überschritt; na, und sich einsperren zu lassen, ist nicht nach Jeder manns Geschmack. Schnarrwitz wenigstens konnte sich nicht dafür begeistern, und damit war der Gedanke an das Casino aufgegeben. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wem er den ehrenvollen Auftrag er- theilen könne, für das Essen zu sorgen, und wie immer fiel ihm das Nächstliegende zu allerletzt ein. Wozu waren die Officiere denn Stammgäste in dem Hotel zum Erbprinzen? Er wußte, daß der Wirth bei den officiellen Commiß-Peccos auch außer halb des Hauses an viele Familien lieferte, warum sollte er da nicht auch an Junggesellen liefern? Die Sache hatte außerdem den nicht zu verachtenden Vorzug, daß die Speisen nicht gleich bezahlt zu werden brauchten, und so bekam Casimir denn den Befehl, zum Erbprinzen zu gehen und zwei große, kalte Schüsseln für zwölf Personen zu bestellen und gleich mitzubringen. Es dauerte lange, bis Casimir zurückkam, und als er endlich erschien, waren die Gäste bereits vollzählig versammelt und hatten schon an der Tafel Platz genommen, um gleich zulangen zu können. Aber Casimir kam mit leeren Händen: „Sie haben sich nix an kalten Schüsseln", lautete seine Meldung, „haben nachgesehcn, war aber nix da, gar nix, aber sie lassen sagen: warme Speisen seien da genug, und der Herr Leutnant möchten doch kommen und die anderen Herren und essen da." Ein Leutnant, der lieber kalt als warm ißt, soll noch erst ge boren werden. So jubelten Alle Casimir s Worten zu und beeilten sich, nach den gemüthlichen Räumen des Erbprinzen auf zubrechen: die Küche des Hotels war berühmt und die Getränke sehr gut. Für einen Augenblick dachte Schnarrwitz daran, seine Gäste zurückzuhalten, aber cs ging ja nicht, irgend etwas Vorsitzen mußte er ihnen, kalte Speise gab es nicht, und ehe die warmen Gerichte von dem gut fünf Minuten entfernten Hotel in sein« Wohnung gebracht würden, waren sie unterwegs sicher kalt ge worden. Noch einen traurigen, wehmüthigen Blick warf er auf die mit so viel Liebe gedeckte Tafel und auf die beiden kleinen Fässer Bier, dann folgte er den Anderen, aber schon auf der Treppe kehrte ec noch einmal um und holte sich einen Kasten mit Cigarren und Cigaretten — das Geld wollte er wenigstens sparen und seinen Gästen seinen eigenen Tabak vorsetzen. Daran, wieviel er für den bevorstehenden Abend im Erb prinzen schuldig bleiben würde, mochte er gar nicht denken. Er tröstete sich damit, daß bei dem allgemeinen Weltuntergänge auch diese Sache aus der Welt geschafft werden würde. Als die Herren das Restaurant betraten, eilte der Wirth und die Kellner ihnen diensteifrig entgegen, um nach ihren Wünschen und Befehlen zu fragen. „Schnarrwitz bestellt und bezahlt Alles", klang es im Chor, und das Geburtstagskind wandte sich an den Wirth: „WaS haben Sie denn nun Schönes?" In Erwartung eines guten Geschäftes erstarb der Wirth beinahe vor Liebenswürdigkeit: „Ich habe Alles, was verlangt wird. Wünschen die Herren warm zu speisen oder befehlen Sie einige kalte Schüsseln — gerade für die letzteren habe ich heute hervorragende Sachen." „Da hört sich denn doch aber Alles auf", rief Schnarrwitz, „warum Iahen Sie mir denn durch meinen Burschen sagen, Sie hätten nur warme Gerichte?" Der Wirth machte ein Gesicht, daß beim Militär vom Feld webel abwärts mit dem Ausdruck „schafsdämlich" bezeichnet wird, dann sagte er: „Ich verstehe Sie nicht, Herr Leutnant, Ihr Bursche war nicht hier, wenigstens nicht bei mir, ich will mich sofort erkundigen, mit wem er gesprochen hat." Da öffnete sich die Thür und auf der Schwelle erschien Major von Dingsda, der Adjutant deö commandirenden Generals. „Meine Herren, meine Herren, wo bleiben Sie denn nur", rief er den Officieren zu, „Seine Königliche Hoheit der Erb prinz hat mich hierher geschickt, um Ihnen mitzutheilen, daß die Tafel gedeckt ist, und daß Sie erwartet werden. Seine Königliche Hoheit freut sich sehr, daß Sie kommen und hofft, daß der Abend sehr lustig werden wird — Sie sollen sich in keiner Weise Zwang auferlegen." Einen Augenblick waren Alle starr, Niemand wußte, WaS der Adjutant wollte, als aber die Aufklärung kam, sank Schnarr witz vernichtet auf einen Stuhl: sein Casimir war nicht nach dem „Hotel zum Erbprinzen", sondern zum wirklichen Erbprinzen gegangen! Ter hohe Herr war in der Thür seines Palais zu fällig mit Casimir zusammengetroffen und hatte persönlich die Bestellung „auf zwei kalte Schüsseln" entgegengenommen. „Meine Herren", wiederholte der Adjutant, „Seine König« liche Hoheit erwartet Sie." Da half kein Sträuben und kein Zögern, die Herren mußten mit. Wenig später erreichten sie das PalaiS und wurden sofort in den Empfangssalon geführt, wo der Prinz sie bereits er wartete. Für Jeden hatte der hohe Herr, dem die Verwechselung großen Spaß bereitete, ein freundliches Wort, aber als er sich dem Geburtstagskinde näherte, machte er ein etwas rrstauntcs Gesicht. „Nanu, Schnarrwitz, was haben Sie denn da?" fragte er lachend. Hätte die Disciplin es nicht verboten, so wäre Schnarrwitz sofort unter die Erde gesunken, denn unter seinem Arm hielt er noch — die Cigarrenkiste, mit der er seine Gäste im Erbprinzen zu bewirthcn sich vorgenommen hatte. . . ,
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