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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190010143
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19001014
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19001014
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-10
- Tag1900-10-14
- Monat1900-10
- Jahr1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1900
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Anzeigen »Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesördrruvg ull 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Ännahmeschlub fLr Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. Sonntag den 14. October 1S00. S4. Jahrgang. Ans der Woche. Die chinesischen Dinge sind auch in der vergangenen Woche nicht beträchtlich vorgerückt und stoßen vielleicht aus ein neue- Hemmniß infolge der Anregung Rußland», die Entschädigungsfrage nach dem Haag zu verweisen. Da Graf Walderste nunmehr persönlich in der Lage ist, zu Actionen zu schreiten, wenn solche angezeigt erscheinen sollten, so werden die guten Freunde Deutschlands in der ausländischen Presse nicht verfehlen, daS Absckießen ihrer spitzen Pfeile gegen daS Vaterland deSOberconimandirenden wieder aufznnehmen. Man kann sich da« eben so ruhig gefallen lasten, wie die tendenziöse Auslegung der von Kaiser Wilhelm auf der Saal burg gesprochenen Worte, die schon begonnen hat. Es liegt auf der Hand, daß dem deutschen Kaiser, als er die deutsche Jugend mahnte, zu erkennen, „waS ein Weltreich bedeutet", nichts ferner lag, al» die Andeutung aggressiver Absichten. Wenn daS Ausland unterlegt statt auszulegen, so wird diese Entstellung kurze Beine haben. Für Deutschland selbst aber fordert der Ausspruch des Monarchen, gerade weil er erklärtermaßen einen pädagogischen Zweck ver folgt, eine Bemerkung heraus. Obne Zweifel wollte der Kaiser unserer Jugend nationales Empfinden und Denken empfehlen. Das Weltreich im römischen Sinne ist aber der Gegensatz deS Nationalreiches, auf dessen Pflege daS deutsche Volk nur angewiesen sein wird. Was die Poesie anlangt, die der lateinische Tag im Tau nus ans Licht befördert, so stehen wir nicht an, daS bekannte humoristische Gedicht Victor v. Scheffel's mit dem schönen Kehrreim „Hamm'r dich emol" in Bezug auf Kunst- Werth, sowie auf anschauliche Schilderung deS Verhältnisses deS Eroberers zu den Chatten über die gespreizten Saal burger Hymnen auf das Nömerthum zu setzen. Diese passen schlecht zum Hermann-Denkmal im Teutoburger Walde. Aber sie sind auch dickterisch zu matt, um sich der Jugend einzuprägen, und darum unschädlich. Am 9. d. M. schreibt ein Berliner Blatt: Heute lesen wir in den Zeitungen, daß in Marburg ein Dienst mann wegen Beleidigung der Kaiserin zu sechs Monaten Gesängniß, in Hamburg ein Arbeiter wegen Majestätsbeleidigung zu füns Mooat-n Gesängniß, in Beuthen rin Arbeiter ebenfalls wegen Ätajeslätsbeleidigung zu einem Jabr Gesängniß, in Düsseldorf ein Taubstummer wegen desselben Verbrechen» zu vier Monaten Ge- fängniß verurtheilt worden sei. Diese Zusammenstellung bat eine Fluth von Erörterungen über Majestätsbeleidigungen hervorgerufeu und mehr noch ihr Anlaß, die Verurtbeilung des Herausgebers der .Zukunft" zu sechs Monaten Festungshaft. Herr Harden ist wegen einer an einer Rede deS Kaisers geübten Kritik bestraft worden. Abgesehen von den üblichen Ausstellungen an der staatSanwaltschastlicken Verfolgung und der Verurthcilung wird in der Presse zweierlei hervorgehoben, einmal, daß die Praxis der Justiz den Weg zur Versumpfung in der Partei- und kritiklosen Presse weise, sodann daß die Abwehr von Böswilligkeit und gehässigen Ausstreuungen ge lähmt werde, „weil man befürchten muß, durck die Zurück weisung unpassender Angriffe dem Verdachte deö Denuncianten- thums zu verfallen." Beide Gesetzespuncte sind beacklenS- werth. Unklar aber ist eS, was ein Berliner Blatt meint, wenn cs schreibt: „Mancher MajestätsbeleioigungSproceß würde vermieden, wenn die leitenden Staatsmänner schärfer, al» neuerdings geschieht, ihre eigene Ver antwortlichkeit für die Politik des Reiches und Staates betonten und daher die Kritik auf sich ablenkten". Aber, du lieber Himmel, daS tbun sie ja, die „leitenden Staats männer". Erst in der letzten Zession des ReickStags haben der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe und der preußische Handelsminister Brefeld sehr entschieden jede denkbare Ver antwortlichkeit fiiv sich reclamirt. Freilich, Abgeordneten gegenüber. Davon, daß diese Herren oder andere Minister aus ihrer Verantwortlichkeit die Folgerung gezogen hätten, daß sie nicht nur von der Kritik zu beachten sei, davon hat noch nichts verlautet. Mit dem Gedank-n eines SchulgesetzeSLIs, Graf Zedlitz spielt die klerikale Presse nach wie vor. Gan, sicher scheint sie aber der nötbigen Anzahl conservativer Mithelfer nickt zu sein. Die „Köln. BolkSztg." brachte gestern einen wunder schönen Schulgesetz-Artikel, in dem das Capriviscke Thema von dem Kampfe zweier Weltanschauungen variirt wurde und der — nach einem Lobe über die konservative Zurückbaltung gegen über dem Evangelischen Bunde — sich in dem Satze gipfelte: „Jeder verständige Conservative wird sich selbst sagen, welche Gefahr für die protestantischen LandeStheile größer ist: die Gefabr, katholisch, oder die Gefahr, modern - heidnisch zu werden." In derselben Nummer des ultramontanen Blattes findet sich aber neben diesem Ausdruck sckönsten Vertrauens die Bemerkung: „Wir haben uns niemals darüber Illusionen hingegeben, was wir in der Schulfragc von den Conservativen zu erwarten haben." Ein Idyll aus den Ojlmarken. Ein Vorgang, der jetzt, nachdem alle Instanzen sich geäußert, zum Abschluß gekommen ist und auf die Verhält nisse in den Ostmarken ein eigenes Lickt wirft, sei, weil dies die beste Abhilfe gegen die Wiederholung solcher Vorgänge ist, der Oeffentlichkeit zur Kenntniß gebracht. Wir bemerken, daß der Thatbestand hier wiedergegeben wird, der auf Feststellungen der höchsten gerichtlichen Instanz beruht, die darüber zu verbandeln batte. Am 29. August vorigen Jahre» saß zu Gostyn im Ge- richtSgebäuke im Di en st zimmer der dortige Amtsrichter mit seinem Referendar und arbeitete. ES klopfte an die Thür. Auf den Ruf „Hereinl" trat ein Herr in daS Zimmer, auf dem Kopse den Hut, den er, al» der AmtSrickler sick von seinem Sitz erhob und stch umdrebte, mit leichter Verbeugung abnabm. Der Nickter wendete sick an den Eingetretenen, wie ausdrück lich sestgestellt wird, „in einem kein.-Sweg- übermäßig lauten oder scharfen Tone", mit dcm Ersuchen, den Hut vor dem Ein tritt in das Terminzimmcr abzunebmcn. lieber den Wort laut der Aufforderung gehen drei Versionen; die erste lautet: „Ich muß doch aber sehr bitte», daß der Hut vor dem Ein tritt in da» Terminzimmer abgenommen wird", die zweite: „Der Hut ist bereit» vor dem Betreten de» ZimmerS abzu nehmen", die dritte: „Wenn Sie hier eintreten, dann haben Sic den Hut abzunebmen". Da der Uubekannte darauf nur eine fragende Geberde mit der Hand machte, wurde der Satz wiederholt, und dann wandte sich der Richter an den dickt neben ihm sitzenden Referendar mit der Aeußerunq, die eben falls in einem keineswegs überlauten oder unhöflichen Ton erging und dem Fremden erst in dem späteren Fest stellung-verfahren bekannt wurde: „Da» rechtzeitige Ab- uehmen des Hute» ist unter anständigen Menschen üblich". Es stellte sick heraus, daß der Eingetretene der polnische Rittergutsbesitzer Graf MielzyuSki war, der für eine Viertelstunde später zum Termin in einer DormundschaftS- sache geladen war. Diese Sache wurde darauf erledigt, Graf Mielzynski ging nach Hause und formulirte sofort seine An sichten über den Hergang in folgendem Schreiben an den OberlandeSgerichtSpräjlventen GryczewSki in Posen, den er persönlich kannte: W. Lenka, den SS. August 1899. Beschwerde de- Rittergut-besitzerS Grafen Mathias v. Mielzyn-ki aus W. Lenka gegen den Königlichen Amtsrichter Herrn Paetzold in Gostyn. In einer Vormundschaft-fach« begab ich mich heute nach dem Königlichen Amtsgericht Gostyn zu dem Amtsrichter Herrn Paetzold. Vor besten Dienstzimmer angelangt, klopfte ich an, klinkte die Thür auf und nahm auf der Schwelle den Hut ab, so daß ich daS Zimmer mit dem Hut in der Hand betrat. Herr Amtsrichter Paetzold rief mir nun in lautem, höchst unhöflichem Tone ent gegen: „Der Hut ist bereit» im Flur abzunehmen l" Glaubend, nicht richtig gehört zu haben, machte ich »ine fragende Gebärde, woraus der Herr iu möglichst noch brüskerem Tone seinen Zuruf wiederholte, obgleich ich, wie bereit» bemerkt, den Hut längst in der Hand hielt. Ich ging natürlich nicht auf die Ungebührlichkelt diese» Herrn ein, sondern nannte meinen Namen und erledigt« mein» Sache. ES hat den Anschein, al» wenn Herr Amt-richter Paetzold in Jedem, der zu ihm kommt, einen Verbrecher oder mindesten» «ine tief unter ihm stehende Er,atme erblick» und sich daher für berechtigt halte, das Pnblicum unter Hintansetzung auch der geringsten Höflichkeit-» formen, welche man von einem, wenn auch noch jungen, ober wohl erzogenen Manne erwarten kann, und welcher sich nach meiner Ueberzeugung wohl auch ein Amtsrichter dem Publicum gegenüber zu befleißigen haben dürfte, nach seine» momeulanen Einfällen und Launen zu behandeln. Ta ich nicht noch einmal in die unangenehme Lage kommen möchte, einer derartigen Unart auSgesetzt zu werden, und nicht allein deshalb, sondern schon im Dllgemeininteresse, um da» übrige an- ständige Publicum für die Folge vor Aehnlichem zu schützen, so er- hebe ich hiermit Beschwerde mit der gehorsamsten Bitte, Herrn Amts- richter Paetzold entsprechend moniren und vom Geschehene» hoch- geneigtest mir Mittheilung machen zu wollen. Mit ausgezeichneter Hochachtung ganz ergebenster Macieq Hr. Mielzynski, Rittergutsbesitzer. Zur Erläuterung für den deutschen Leser sei bemerkt, daß W. Lenka Wielka Lenka heißen soll; der richtige Name beißt Groß-Lenka. Das „Hr." in der Unterschrift ist die Abkürzung für „Hrabia", was auf Deutsch „Graf" heißt. Aber der artige deutsche Wendungen in einem Schreiben an eine preußische Behörde zu gebrauchen, ist ja, wie man hier sieht, nicht immer nolhwendig. Die Unterschiede in der Darstellung dcS ThatbestandeS näber hervorzuheben, ist überflüssig; wir wiederbolcn, daß der Eingang» erwäbnte Tbatbestand in der Berufungsinstanz vor dem königk. Landgericht in Posen fcst- gestellt worden ist, und unterlassen jede Kritik an der Sub- jectivität deS Beschwerdeführer«. Wa» geschieht nun? Die Beschwerde wird dem betreffenden AmtSrickter vom Ober- landeSgerichtSprasidenten im Dienstwege zugestcllt und der Amtsrichter stellt zunächst Strafantrag wegen öffentlicher Beleidigung. Der Strafantrag wird am 24. Octoder v. I. vom Ersten SiaatSanwalt in Lissa abgelebnt „mangels eines öffentlichen Interesses", dann vom Oberstaatsanwalt in Posen und Ende December die dagegen eingelegte Beschwerde auch vom Justizministerium, „da ein öffentliches Inter esse an der strafrechtlichen Verfolgung der in Krage stehenden, durck den Bescheid de» Landgerickt-prasiventen vom 10. November inzwischen zurückgewiesenen Aeuße- rungen deS Grafen Mielzynski nicht bestehe." Nach dem Schema F. blieb dem Amtsrichter „überlassen, die Privatklage zu erheben", und diese nabm folgenden Verlaus: DaSScköffengerichtinLissaundin derBerufungSinstavz die Strafkammer in Liffa verurtheilten den G>asen Mielzynski wegen Beleidigung zu 300 -6. Diese- Unheil wurde in der Revision vom ObcrlandcSgericbt in Posen annullirt und eine nochmalige Verhandlung vor der Strafkammer in Posen angeordnet. Diese sprach den Grafen Mielzyn-ki frei und die gegen diese- Unheil vor dem klagenden Amtsrichter ein gelegte Revision wurde vom OberlanveSgerickt in Posen verworfen. So geschehen von Rechtswegen am 22. Sep tember l900. Nun könnte die Meinung bestehen, der Amts richter sei leer auSgegangen. Oh nein, daS nicht, sondern er befindet sich im Besitze eine» gehörigen, bereit- am 21. Oktober 1899, also vor der gerichtlichen Feststellung de- HergangeS, ihm ertheilten Rüffel- de» OberlandcSgericktS- Präsidenten, weil er von einem, an diesen „persön lich gerichteten Schreiben" — gemeint ist da-Elaborat deS Grafen Mielzyn-ki — „Gebrauch gemacht hatte". Wir bemerken, um von vornherein einer Behelligung de» Gostyner Amtsrichter- vorzubeugeo, daß wir diese Mitihei- lnngen, für deren Wahrheit sick hockangesehene Leute ver bürgen, nickt von jenem Herrn erhalten haben und daß ob dieses Hergänge», der die Richter des OberlandeSgrrichtS- bezirk« Posen begreiflicher Weis« interessirt hat, di« Meinung besteht, dies« Richter fühlten sich Eigenheiten polnischer Mag- naten gegenüber nicht geschützt. Wir sind nicht in der Lage, diese» Borurthril abzuschwächea. Die Wirren in China. Die Meldung, daß die Wiederherstellung und der Betrieb der Eisenbahn Tientsin-Taku-Peking von Deutschland und Rußland übernommen worden sind, scheint nach der Sprache englischer Blätter zu urtheilen, in England Verstimmung hervorgerufen zu haben. Die Engländer be finden sich im Jrrthum, wenn sie in dieser Maßnahme irgend welche politische Absichten erblicken wollen. Ganz abgesehen da von, daß die Betriebsübernahme in keiner Weise dauernd sein kann, geht ihr unpolitischer Charakter schon daraus hervor, daß über die eigentlichen Gründe, die sie veranlaßt haben, in Berlin gar nichts Genaues bekannt ist. Die Anordnung beruht lediglich auf einer Bestimmung der an Ort und Stelle commandirenden Officiere, und man darf wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß für sie nur militärische Rücksichten maßgebend gewesen sind. Diese Officiere werden vielleicht geglaubt haben, daß bei der augenblicklich unsicheren Lage des Landes ein militärischer Betrieb dem durch Civilingenieure vorzuziehen sei. Technische Eisenbahntruppen sind, so weit bekannt, nur von Deutschland und Rußland nach Petschili geschickt worden, und wahrscheinlich ist dieser Umstand für die Anordnung der commandirenden Officiere maßgebend gewesen. Der bekannte japanische Staatsmann Marquis Ito der vom Mikado vor Kurzem beauftragt worden ist, ein neues Cabinet zu bilden, hat in einer Unterredung mit einem Vertreter deS New Aorker „Journal and Advertiser" erklärt, daß man der Mandschu-Dynastie Gelegenheit geben müsse, wieder ans Ruder zu kommen. Seiner Ansicht nach müssen der Kaiser und der Hof nach Peking zurückkehren, ehe man zu einem Einverständniß käme. Der Marquis sagte: „Die Verhandlungen mitLiHungTschang und dem Prinzen Tsching werden fruchtlos bleiben, so lange die Abmachungen nicht von der wieder eingesetzten Regierung rati- ficirt sind, denn die Abgeordneten allein können trotz aller ihrer Versprechungen nichts auSrichten. Weitere feindliche Maßnahmen würden daS ganze Land in einen Krieg st ürzen und rin Chaos würde Jahre lang herrschen Der Handel wird ruinirt und das Leben nur mit kolos salen Unkosten geschuht werden. Ich denke, die Mächte werden sich für den amerikanischen Vorschlag entscheiden. Wir haben kein Interesse, Land in China zu erwerben, wir haben dort nur HandelSinteressen. Ich glaube, daß es Li Hung Tschang ernst damit ist, die Zerstückelung des Reiches zu ver hindern. Ein Krieg mit China würde daS größte Unglück des Jahrhunderts sein, da keine Nation allein in der Lage wäre China zu besiegen. Die ganze Welt würde in den Kampf hineingezogen werden." Zum Schlüsse bemerkte der Marquis, daß die Beziehungen Japans zu Rußland ausgezeichnet seien. ES bestehe kein Streit wegen Koreas und der Mandschurei, da keine der beiden Mächte die Absicht habe, sich die Souveränität über diese Länder anzueignen. Tie vertheidiqung der Grsandtschaften in Peking. Den „Münchener Neuesten Nachrichten" wird nachstehender Brief und TagebuchauSzug des Oberleutnants Grafen von Soden, deS tapferen VertheidigerS der Gesandtschaften in Peking, zur Verfügung gestellt. Der Auszug aus dem Tage buche schildert daS Gefecht am 13. Juli, einem kritischen Tage erster Ordnung, und lautet: Am 12. Juli hatten die Chinesen schon einen umfassenden Angriff auf unsere Stellung zu unternehmen versucht, fürchteten sich jedoch offenbar zu sehr von unseren Gewehren. Sie blieben daher hinter 'ihren Barrikaden, bliesen auf ihren Hörnern „Avan- ciren" und schrien aus Leibeskräften „shali" (tödtet sie). Keiner wagte sich hervor, und nach einem eine Zeit lang dauernden Ge wehr- und Teschützfeuer beruhigten sic sich wieder. Während der folgenden Nacht verhielten sie sich vollständig ruhig. Den Schlaf in der Nacht hatte ich mir abgewöhnt, und da schon öfters bei Tagesanbruch ein Angriff stattfand, kam ich gewöhnlich erst gegen 6 Uhr dazu, di« Augen zu schließen. Meine Lagerstätte befand sich in der Eingangshalle deS Gesandtenhairfes, bestehend auS einem Kissen auf einem weichen Teppiche. So war ich bei einem Alarm schnell fertig. Am 13., Morgen? 9 Uhr, hörte ich, noch im Schlafe, einen meiner Leute rufen: „Ich bin verwundet!" ES war Günther, mein bester Gefreiter, der bluttriefend herbei kam. Er hatte einen Schuß durch den linken Oberarm und die linke Hüfte. Auf meine Frage, wie er ihn bekommen, antwortete er mir, daß er selbst daran schuld sei, da ec auf das noch nicht auSgebauke, neue dreistöckige ClubhauS gestiegen sei und sich zu weit vorgewagt hätte, so daß er gleich darauf den Schuß von der Stadtmauer her bekommen habe. So Ung der Tag nicht sehr gut an, und nachdem ich schon so viele brave und tüchtige Leute verloren hatte, war dieser Verlust besonders schmerzlich. Den Tag über wurden wir wenig aus Gewehren, dagegen viel aus Geschützen (neues Modell, 5^/-> Centimcter) und Feldschlangen be schossen. Die Geschosse schlugen meist in den alten und neuen Club ein, die eine famose Deckung für unsere Gesandtschaft boten. Um 10 Uhr Morgens wurde Seesoldat Grämlich durch einen Streifschuß leicht am Kinn und Hals verwundet. Da wir mit unseren Gewehren gegen daS Geschllhfeuer 'wenig auSrichten konnten, und mit der Munition sparen mußten, befahl ich, daß die Mannschaft, so bald sie bemerkte, daß die Chinesen, durch Ent blößen der Geschützt von den Jalousien Miene machten, aus ersteren zu schießen, sich zurllckziehen und Deckung suchen sollte. Um 5 Uhr wurde plötzlich feiten» der Chinesen ein lebhaftes Feuer an» allen Geschützen und Feldschlangen eröffnet, durch welche» nur drei Mann im Clubgäßchen durch Granatsplitter verwundet wurden: Seesokdat König leicht am Kinn, Tambour Seiffert schwer am Knie und Geesoldat Klauß schwer am linken Oberarm. Ich ließ dieselben sofort in die englische Gesandtschaft schaffen. Kaum war die» geschehen, ertönte ein lautes Hörner blasen und gleich darauf ein erderschütternder Krachen: unter dem Hause der französischen Gesandtschaft war eine Mine in die Luft geflogen. Nun lebhafter Schreien und Schießen in der Nähe meiner Stellung an den Clnbhäusern. Die Wache im Gäßchen, welche die Verwundeten verbracht hatte, sandte ich sofort wieder auf ihren Posten, während ich mich selbst nach dcm Clubhause begab. Hier mußte ich leider sehen, daß die Chinesen in be deutender Ueberzahl, wohl 200, in die Clubhäuser eingsdrungen waren. Auch hinter der Gesandtschaft, an der Stadtmauer, sah man mehrere Fahnen sich vorwärts bewegen, so daß ich die dortige Wache sofort um sechs Mann verstärken mußte, um ein Ein dringen in den Stall zu verhindern. Die übrigen Leut« sammelte ich hinter dem Treibhause, um von da auS die vordringenden Chinsen zu beschießen, die schon bis an die östliche Gesandtschafts mauer herangekommen waren und anfingen, Löcher in die Mauer zu stoßen. Ich ließ „Seitengewehr aufpflanzen" blasen, um eventuell zum Nahekampf 'bereit zu sein. Die Situation war im höchsten Grade peinlich. Nur «in rascher Entschluß konnte unS vor größerem Unheil bewahren. So entriß ich denn dem neben mir stehenden Seesoldaten Neßbach daS Gewehr, ließ mir einige Rahmen Patronen geben, und befahl einigen Leuten, mir zu folgen. Ich kroch durch ein Loch in der südlichen Mauer der Ge sandtschaft, trotzdem mich meine Leute warnten, weil aus dem Clubhaufe geschossen würde. Zum Unglück mußte ich noch über meinen Säbel fallen, fand aber den Raum zwischen Mauer und Clubhaus vom Feinde frei. Ich sprang nun nach rechts und fand an unserer Ostmauer eine Unmenge von Chinesin mit mehreren Fahnen, die Mauer »bearbeiten und im Begriff, aus den gemachten Löchern zu schießen. Sofort gab ich Schnellfeuer und schrie aus Leibeskräften „Hurrah!". Schon bei den ersten Schüssen in ihre Flanke stutzten die Chinesen, und als ich zu schreien anfing, ergriffen sie, wild durcheinander rufend, die Flucht. Auf mein Hurrah waren meine Leute herbeigekommen, und nun wurde ein mörderisches Feuer auf die fliehenden Chinesen abgegeben. Ein« roth« Fahne hatten sie in der Hast an der Mauer stehen gelassen, vielleicht war auch der Fahnenträger gefallen und weggcschafft worden, jedenfalls kam sie als Siegeszeichen in unseren Besitz. Zwei Chinesen wurden von mir auf 20 Meter Entfernung durch einen ziemlich starken Baum hindurch, hinter welchem sic Deckung gesucht hatten, erschossen. Später, in der Dunkelheit, nahmen wir ihnen die Waffen ab, wobei wir auch ein neue» Gewehr Modell 88 und mehrere Patronen fanden, die unS sehr willkommen waren. Die Chinesen zogen sich in einen an daS Clubanwesen anstoßenden Hof zurück, wo sie sich verbarrikadirten. Das alte Clubhaus war während deS Angriffs, wahrscheinlich von Boxern, angezündet worden, und brannte vollständig nieder. Auch da» neue Club- haus hatten sie an verschiedenen Stellen angezündet, aber außer dem Baugerüst« war nichts Brennbares vorhanden, und dieses kannte bald gelöscht und die alte Stellung wieder eingenommen werden. Während ich mit meiner kaum 20 Mann starken Streit macht die Chinesen im Clubhaufe zurückhielt, hatte sich auch die Wache im Stall tapfer gehalten und den andringenden Feind zum Rückzüge gezwungen. Als ich später hinkam, fand ich noch acht chinesische Soldatenleichen, denen wir schleunigst die Waffen und Munition abnahmen, darunter 75 unserer Patronen. War nun der Sieg auch Nicht großartig, so sind durch denselben doch eineS- theils meine braven Leute, die seit mehreren Tagen einen unge mein anstrengenden Dienst zu versehen hatten, ermuthigt worden, anderntheilS wurde durch denselben doch die deutsche Gesandt schaft gerettet. Der Brief ist am 16. August nach erfolgtem Entsätze ge schrieben. Derselbe lautet: Am 14. dieses Monats ist endlich der sehnlichst erwartete Ent satz von Peking gekommen. Wir haben Furchtbares mitgemacht, zwei Monate lang gekämpft, 11 tapfere Kameraden verloren, 16 wurden verwundet, von einer kleinen Schaar von 50 Mann! Ihr werdet ziemlich in Aengsten gewesen sein, aber Nachricht war un möglich. Mir ist es während der Zeit ausgezeichnet gegangen, trotz Pferdefleisch und anderen Genüssen. Mein Humor und fröhlicher Muth haben mir und meinen Leuten über Vieles hin weggeholfen. Zum Briesschreiben habe ich jetzt keine Zeit, da ich viele Berichte schreiben muß; aber die Zeitungen werden Alles genau bringen. Mein größter Stolz ist, daß ich die Gesandtschaft gegen wohl 1000 Chinesen gehalten habe. — Am 15. habe 'ich Dankgottesdienst abgehalten, worin wir Gott für den errungenen Sieg gedankt haben. Nun lebt wohl und seid um mich unbesorgt; grüßt Alle, die sich meiner erinnern. — Heber die Ausreise der Truppen-TranSpartdampfcr nack Cvina liegen folgende letzte Melkungen vor: „Holle" „Batavia" (N. D. Lloyd) 11. Oct. von Moji. (Hamb. A. L.) 9. - von Nagasaki. „Gera" (N. D. Lloyd) N. » in Tsingtau. „Aacken" (N. D. Lloyd) 10 - in Sbanghai. „H. H Meier" (N. D. Lloyd) 9. - in Taku. „Darmstadt" (N. D. Llovv) N. » von Tsingtau. „Palatia" (Hamb. A. L-) 11. » in Sbanghai. „Arcaria" (Hamb. A L.) 12. » von Singapore „Roland" (N. D. Lloyd) 9. - in Singapore. „Valdivia" (Hamb. A. L.) 11. - von Singapore. ?. r. Verlm, 13. Lctober. (Privattelegramm.) T chinesische Hof hat auf der Flucht nach Singafu heute den Hoangbo überschritten. (Wdblt.) * Bcrlin, 13. October. „W. T. B" berichtet aus Tientsin unter dem 12. October: In der in Peking am 8 Oclober abge- baltenen Conferenz der diplomatischen Vertreter brachte der englische Gesandte die drei im brutschen Rundschreiben vom 1. Lctober angegebenen Gesichtspuncte zur Svracbe. Die Conferenz erklärte zu Punct 1, ob die im Edict de» Kaiser- von China angegebene Liste der Rädelsführer genügend sei, daß zwei Hauvtschuldlge in der Liste fehlten, nämlich Tung-su«bsiang und Dühsien; zu Punct 2, ob Vie Im Edikte bezeichneten Strafen genügend seien, daß das Strafmaß ungenügend sei, und zu Punct 3, wie die AuSiübrung der Bestrafung zu controliren sei, daß die Strafen vor Delegirten der Gesandtschaften vollzogen werden müßten. * Pari», 13. Oktober. Zu Shanghaier Nachrichten, nach denen die chinesischen Behörden außer Stande sind, den Aufstand in Kwangsi zu unterdrücken, bemerkt der „Matia": Die Interessen Frankreich« verlangten, daß in Swanqsi ebenso wie in »wantung und Uiinnan Ruhe herrsche. Man möge dem General- gouvrrnenr von Indochina und dem General Todd» unbeschränkte Vollmachten geben, beide würden mit Hilf« der von den chinesische»
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