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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.08.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010808029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901080802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901080802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
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Bezug-.Preis H» der Hauptexpedition oder den i» Stadt- bezirk und den Bororten errichteten Aus- gabestellen abgrholt: vierteljährlich 4 »0, bet zweimalig»? täglicher Zustellung in« Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland n. Oesterreich: vierteljShrl. S. Man abonuirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem« bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türket, Egypten. Für all» übrigen Staaten Ist der Bezug nur unter Kreuzband durch dt« Expedition diese« Blatte« möglich. Anzeiger. Ärntsölatt des königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Nalizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 390. Freitag den 2. August 1901. »re wcoraemviusgave erschein» um »/., unr^ dt« Abend-Au«gabe Wochentag« um 5 Uhr. Redaktion und Lrpeditio«: Zlvh<mn!«gaffe 8. Filialen: Alfred Hahn von». O. Klemm'« Eorti«. UniversitütSstraß« S (Paultuum), Lout» Lösche, Oathmetnenpr. Ich Par», uud KöuigSpkatz 7. Abend-Ausgabe. MpMer TllMaü Anzeigett.PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 2V H. Reelamr» uuter dem Redaction-strich (4 gespalten) 75 Ls vor den Familieunach« richten (8 gespalten) 50 Ls. Tabellarischer und Htffernsatz entsprechend höher. — Gebühren mr Nachweisungen «nd Offertenannahme Kü (excl. Porto). Extra «Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbesördernng ^l SO.—, mit Postbesördernng 70.—. Aavahweschluß fiir Anzeigen: Abend-Au-gab«; vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei de» Filialen uud Annahmestelle, je ein« halb« Stund« früher. Anzeigen find stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzig. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Nene Anklagen gegen die Barren. Lord Kitchener tclcgraphirt unterm I. August aus Pre toria: Am 28. Juli verfolgte eine Officierspatrouille von 20 Mann Aeomanry und einige eingeboreneSchützen zwei von wenigen Boeren geführte Karren bis zu einer Entfernung von etwa 15 Meilen von der Eisenbahn am Doorn-River im Oranje-Staat. Dann wurden sie von etwa 200 Boeren abgeschnitten. Nachdem sie sich längere Zett in einem kleinen Gebäude vertheidigt hatten, ergabensie sich, als die Munition erschöpft und drei Aromen verwundet waren. Nach der Uebergabe ließen dieBoerendieein- geborenen Schützen die Hände hochheben und schossen sie nieder. Ebenso wurde ein verwundeter Aeoman erschossen. Die übrigen wurden frei- gelassen. Als Grund für di« Erschießung des Aromen gaben die Boeren an, sie hätten ihn für «inen Mann aus der Capcolonie gehalten. Es soll eine Untersuchung angestcllt werden und die Eidesleistung von den bei dem Morde zugegen gewesenen Mann schaften verlangt werden. — General French berichtet, er hab« von Kruitzinger einen Brief «rhalten, in dem dieser seine Absicht ausspricht, alle in seine Hände fallenden in britischen Diensten befindlichen Eingeborenen zuer- schießen, gleichviel ob sie bewaffnet oder unbewaffnet seien. Es seien in letzter Zeit überhaupt viele Fälle vorgekomnrrn, in denen Eingeboren« aus der Capcolonie erschaffen seien. Von all diesen Anklagen wird wohl nichts übrig bleiben, als daß die Boeren Eingeboren« erschossen haben, die von den Eng ländern frevelhaft«! Weise auf den Kriegspferd geführt worden sind. Der Pfeil prallt also auf den Schützen zurück. 100000 Lstrl. für Lor- Robert« Aus London, 31. Juli, schreibt man uns in Ergänzung unserer telegraphischen Meldungen: „Das war ein scharfes Fechten, als heute Nachmittag im britischen Unterhause der Antrag der Regierung zur Dis kussion kam, dem früheren Oberbefehlshaber in Südafrika, Feldmarschall Earl Roberts von Kandahar und Pretoria, auS Staatsmitteln eine Dotation von 100 000 Lstrl. „für seine brillanten Verdienste um Großbritannien, die er sich im süd afrikanischen Feldzuge erworben habe", zu bewilligen. Für die Regierungsparteien sowohl, als für die äußerste Linke dcS Hauses war dies eine hochwillkommene Gelegenheit, sich je nach Ansicht und Bedürfnis über den Boerenkrieg und über die positiven und negativen Verdienste der britischen Armee und ihres früheren Generalissimus nach Herzenslust auszulassen, und ganz besonders der Führer des Hauses, Mr. Arthur Balfour, leistete in seiner längeren Einführungsrede das denkbar Mög liche, um den Fcldmarschall und seine „erfolgreiche Krieg führung" Herauszustreichen. Er sprach mit großer Wärme von dem militärischen Genie und den militärischen Verdiensten des Lord Roberts um die Ehre und den Ruhm seines Vaterlandes, und stellte ihn schlankweg mit anderen Nationalhelden, wie Gough, Collingwood, Nelson und Wellington, auf eine Stufe. Roberts habe in Südafrika in kritischer Zeit unter den un günstigsten Auspicien mit wenigen raschen Schlägen die Situation in Südafrika zu Gunsten der Engländer gewendet und in keinem ffall einen Mißerfolg zu verzeichnen gehabt. Er habe Ladysmith, Kimberley und Mafeking aus den Händen des Feindes gerettet, die Uebergabe des General Cronje er zwungen, und sei dann unaufhaltsam und triumphirend nach Bloemfontein und Pretoria marschirt. Aus allen diesen Gründen solle das Haus der Gemeinen nicht damit zögern, dem verdienten Feldmarschall die vorgeschlagene pekuniäre Be lohnung zuzugeslchen und ihm dadurch die Dankbarkeit und die Anerkennung der ganzen Nation auszudrücken. Der Führer der liberalen Partei, Sir Henry Campbell Bannermann, erklärte sich im Namen seiner Gesinnungsgenossen im Allgemeinen mit dem Antag der Regierung einverstanden, bedauerte dabei aber doch, daß man mit dieser Belohnung des braven Generals nicht gewartet habe, bis der Krieg tatsächlich be endigt wäre, was er bis heute doch absolut noch nicht sei. Im Uebrigen würde die Dankbarkeit Englands mit Bezug auf die Verdienste des Lord Roberts bis in die fernsten Zeiten andauern. Nach diesen beiden officiellen Lobreden brach dann der Sturm des Widerspruches und der rücksichtslosesten Verdammung auf der linken Seite des Hauses los. Mr. Dillon protestirte im Namen der irischen Opposition dagegen, daß der Name des Lord Roberts neben diejenigen der wirklichen britischen Nationalhclden gestellt werde und erklärte, daß der Fcldmarschall, so lange er den Oberbefehl in Südafrika hatte, die größte Unmenschlichkcit an den Tag gelegt, barbarische Methoden angewandt habe und selbst durchaus erfolglos im Princip gewesen sei. Daß ein solcher Mann neben anderen unverdienten Ehrungen auch noch eine so riesige Geldsumme aus den Taschen der englischen und irischen Steuerzahler erhalten solle, sei einfach ein unerhörter Snladal, zu dessen Aussührung die irische Partei nun und nimmer die Hand reichen könne und werde. Aehnlich drückten sich andere irische Abgeordnete aus und ließen es dabei an den erbittertsten und grimmigsten Angriffen auf die Negierung, auf das Kriegsamt, auf die Armee und ihren Oberst- commandirendcn nicht fehlen, unter dem tobenden Beifall ihrer Gesinnungsgenossen und dem wüthendsten Widerspruch der Re gierungsparteien. Aus den Reihen der Letzteren wurden natür lich noch viele Lobeserhebungen für Lord Roberts laut, die sich aber fast durchweg in den bekannten Gemeinplätzen von den gloriosen Verdiensten des Feldmarschalls in seiner südafrika nischen Carriöre sowohl als in seiner früheren bewegten. Viel Neues wurde dabei nicht laut, und die ganze Discussion, über deren Resultat natürlich von vornherein kein Zweifel vorliegen konnte, fing bereits an, langweilig und eintönig zu werden, als der Führer des Hauses, Mr. Balfour, die namentliche Ab stimmung über die Vorlage beantragte, die denn auch stattfand, mit dem Resultate, daß 281 Volksvertreter dem Lord Roberts die Dotation von 100 000 Lstrl. zusprachen, während 73 da gegen waren. Lord Roberts von Kandahar und Pretoria wird also um diese stattliche Summe reicher sein, die jedenfalls die praktischste Ehrung darstcllt, die er bisher erhalten hat." Die Wirren in China. Die „Kölnische Zeitung" schreibt: „Zu den thörichten Mel dungen, die man in letzter Zeit aus London über chinesische An gelegenheiten verbreitet hat, gehört auch die des „Daily Expreß", die aus Shanghai erfahren haben will, England beabsichtige, in nicht zu ferner Zeit Wri - Hai - wci an Deutschland abzutreten, zum Dank für die Unterstützung, die Deutschland England in der Aangtsc-Angelegenheit gewährt habe. Wir wissen nicht, worin die Verdienste Deutschlands um England in der Aangtsc-Angelegenheit bestanden haben sollen, die eine bei England so überraschende Geberlaune zur Folge gehabt hätten. Auch liegen für die Thatsächlichkeit der England angcdichteten Absicht.ebensowenig Anzeichen vor, wie für etwaige dahinzielende deutsche Wunsche, so daß man die ganze Geschichte ruhig auf Rechnung der ungewöhnlichen Hitze setzen kann." Wir halten die Meldung für einen englischen Versuchsballon. Befestigung -er Gesandtschaften. * London, 1. August. (Unterhaus.) Joseph Walton fragt an, ob es wahr sei, daß den chinesischen Kommissaren in Peking ein kaiserliches Edict zugegangen ist, in welchem gegen die Befestigung der Gesandtschaften, insbesondere der britischen Gesandtschaft, Einspruch erhoben wird. Unterstaats- sekretär Cranborne erwidert, die Regierung habe keine Mittheilung von einem solchen Protest erhalten. Der Plan des Schutzes der Gesandtschaften sei von den militärischen Vertretern der Mächte entworfen worden, und Vie Vertheidigungswerke der englischen Gesandtschaft bildeten einen Theil des allgemeinen Planes. —— Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. August. Der gemäßigte Liberalismus, also der, der nicht um Centrumswahlhilfe willen seine obersten Grundsätze preis gegeben hat, hätte an der Bahre des soeben verstorbenen preußischen Cultusministers Dr. Bosse unliebsame Erinne rungen auffrischen können. Ebenso die der Werthschätzung des vom Ultramontanismus bedrängten freien Geisteslebens treu gebliebene Minderheit der freiconservativen Partei. Den noch hat die Presse beider Richtungen es unterlassen, den Worten wohlerworbener Anerkennung für den in verschiedenen Stel lungen verdient gewordenen Beamten Worte des Grolles bei zumischen. Es war der klerikalen und deshalb frommen „Germania" Vorbehalten, der Leiche einen Stein nachzuwerfen. Das Blatt spricht in ironisch gemeinten Anführungszeichen von dem sprichwörtlich gewordenen Wohlwollen des verstorbenen Ministers für die Katholiken, „das sich nur höchst selten in Thaten umsetzte". „Thatsächlich", so heißt es weiter, „hielt Bosse an dem ganzen Rest der aus dem Kulturkampf „herüber geretteten" staatlichen Gesetzgebung fest. Somit haben die Katholiken nicht den geringsten Grund, dem Verstorbenen hin sichtlich ihrer kirchlichen Interessen ein Loblied zu singen." Dank vom Hause Loyola! In Wahrheit war Bosse der Geistlichkeit zu Willen, wie seit der von Bismarck bewirkten Abschaffung der katholischen Abtheilung im Kultusministerium, von der Episode Graf Zedlitz-Trützschler abgesehen, kein Vorgänger im Amte. Dr. Bosse folgte Zedlitz, der mit seinem Schulgesetze gefallen war, und mit dem selbstverständlichen Auftrage, auf dieses Ge setzgebungswerk nicht zurückzukommen. Er hat so Vieles, was in der Zedlitz'schen Vorlage stand, auf dem Verwaltungswege ins Leben geführt — mit formeller Berechtigung, denn Preußen hat eben, wie auch Bayern, kein Volksschulgesetz, kein gukes und kein schlechtes. Auf rein kirchlichem Gebiete war das Entgegen kommen nicht geringer, die übrig gebliebenen Reste der Cultur- kampfgesctzgcbung, die nicht beseitigt zu haben die „Germania" dem Dahingeschiedencn zum Vorwurf macht, sind in Preußen nichts bedeutende Formalitäten, das Jesuitengesetz ist Reichsgeseh, und zu dessen Abschaffung dürfte wohl kaum ein Bischof den mehr als sieben Jahre im Amte gewesenen Minister gerade gedrängt haben. Daß es der Geistlichkeit und dem Centrum mit der Aufstellung des Jesuiten gesetzes gar nicht ernst sei, ist dem Centrum, beiläufig bemerkt, nun auch von socialdemokrcitischcr Seite vorgehalten worden — in einer Wählerversammlung zu Duisburg, wo die unaufrichtigste aller Parteien noch andere Dinge zu hören bekam. Grobe Unaufrichtigkeit ist auch der gegen den todten Dr. Bosse vom klerikalen Standpunkt geschleuderte Tadel. Man hatte im ultra montanen Lager Gründe, mit ihm zufrieden zu sein. Allerdings, Herr Dr. Studt thut noch mehr, und sein nun verstorbener Vorgänger hätte Wohl als königlich preußischer Beamter, der er von ganzem Herzen war, den Schlag nicht ruhig hingcnommen, der einem, offenbar dem Altkatholicismus angehörigen Herrn in der „Tägl. Rundschau" den Ausruf erpreßt: „Wiegehtdas Centrum mit der preußischen Regierung um?" Es wird von dem ohne Zweifel Wohlunterrichteten bestätigt, daß Minister Studt dem Erzbischof von Köln zugesagt habe, daß die altkatholische Professur an der theologischen Facultät in Bonn nicht mehr besetzt würde. Aber dafür hat sich der Erzbischof mit der staatlichen Dotirung des altkatholisch-theologischen Seminars einverstanden erklärt. Diese Bedingung ist aber im Landtage nicht erfüllt worden, das Centrum lehnte die für da? Seminar geforderte Summe (6000 ab. Die Ultramontancn finden Beides ganz in der Ordnung: „Sie haben erklärt, der Minister sei an seine Zusage gebunden, und leugnen die Verpflichtung zur versprochenen Gegenleistung." Und Minister Dr. Studt scheint das auch ganz in der Ordnung zu finden, denn von einer Wieder besetzung der Bonner Professur verlautet nichts, und der Gewährs mann der „Tägl. Rundschau" hofft offenbar nichts mehr, er fragt nur: „Kann sich aber ein moderner Staat auf eine der artige, ungleichmäßige Behandlung staatlicher Fragen einlassen, wenn er sich selbst und seine Existenz respectirt wissen will?" Uns dünkt, der Herr verlangt zu viel von der Gegenwart — und Zukunft. Der Staat braucht von den Ultramontanen nicht respectirt zu werden, wenn nur mit seinen Spitzen so „um gegangen" wird, daß sie sich in dem Traume wiegen können, s i e würden respectirt. Und auf die Pflege dieses schönen Scheines versteht man sich ja in bischöflichen Palästen, Klöstern und Cen trumsversammlungen ausgezeichnet. Die im heutigen Morgenblatte gemeldete Nachricht, daß nach dem „Rhein. Kur." die Landgräfin von Hesse» zur katholischen Kirche übergetreten sei, bewahrheitet sich. Die Landgräfin von Hessen, Prinzessin Anna von Preußen, die einzige noch lebende Tochter des Prinzen Karl von Preußen, ist am Sonnabend zum katholischen Glauben übergetreten. Als Tauf- beziehungsweise Firmpathin fuugirte die Fürstin Isenburg-Birstein, die aus dem österreichischen Kaisen» bauS stammt. Den BorbercitungSunterrichl leiteten, da die Landgräfin zur Zeit zum Sommeraufenthalt auf Schloß Adolfseck weilt, mehrere Fuldaer Theologie-Proscssoren. Die Nachricht erregt großes Aufsehen und kommt geradezu überraschend. Es war dis zuletzt Alles geheim gehalten worden, doch siel es auf, daß die Landgräfin in letzter Zeit nicht mehr nach Fulda zur evangelischen Kirche, sondern in den katholischen Dom fuhr. Zu diesem Uebertritt bemerkt die „Post": Diese Nachricht wird um so mehr Aussehen erregen, als die Landgräfin durch Geburt und durch ihre Verheirathung zwei Häusern, Preußen und Hessen, angehört, die mit der Geschichte der Reformation und d»« Protestantismus auf das Engste verknüpft sind. Das be deutendste Mitglied des hessischen Gesammthauses, Philipp der Groß- müthige, der Freund Melanchthon's, war nicht nur einer der eifrigsten Vertheidiger der Reformation, sondern auch einer der zielbewußtesten Förderer der Einigkeitsbestrebungen unter den verschiedenen evangelischen Richtungen. Die Landgräfin von Hessen ist »ine Tochter deS Prinzen Karl und eine Schwester des als Feldherrn berühmt gewordenen Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Sie vermählte sich am 26. Mai 1853 im Alter von 17 Jahren mit Lrm Landgrafen Friedrich von Hessen. AuS dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor, der Landgraf Friedrich, der im Jahre 1888 im Alter von 34 Jahren auf einer Weltreis» rrtrank, der jetzige Landgraf Alexander Friedrich, der völlig erblindet ist und in der Musik seinen Trost sucht, Prinz Friedrich Karl von Hessen, vermählt mit Prin zessin Margarethe von Preußen, der Schwester des Kaiser-, sowie die Erbprinzessin von Anhalt-Dessau und die mit dem Freiherrn Fettrlleton« „ Um Geld. Roman von F. Ilex. Nachdruck verdctkn. Was mochten das für Verhältnisse sein, di« den Vater immer wieder von dem Kommen abhieltcn, trotz der wiederholt gegebenen Zusicherung, am nächsten Sonntag bei seiner Familie «intresfen zu wollen? Jedenfalls war die Sonntagsstimmung, in di« sich Alle in Erwartung des geliebten Oberhauptes hineingelebt hatten, nicht nur gründlich für heute zerstört, sondern die Enttäuschung, die dies« Nachricht gebracht, sollte ihren Schatt-n noch lang« Zeit hin über das Zusammenleben der Familie fallen lassen. Die Mutter besonders schien unter der Trennung von dem Gatten am schwersten zu leiden, und wenn sie auch sonst die jenige^ war, die schon, um dem geliebten Manne Trost zu ge währen, stets den Kopf oben behalten hotte, so war es doch offen bar, daß sie augenblicklich unter einem ganz besonders schwer«» Drucke litt, der selbst ihre elastische Natur zu beugen droht«. So vergingen einig« Tag«. Paul erschien regelmäßig zum Mitdagsbrod in der elterlichen Wohnung, und zwar, wie es zwischen ihm und seinen Angehörigen ein für allemal verabredet war, in Cidil. Die Abendstunden, wo es ihm in seinen eigenen dürftigen vier Wänden doch zu einsam und trübselig gewesen war«, verlebt« er ebenfalls still mit den Seinen, und um so stiller, als auS Rücksicht für di« in dem gemeinsamen Zimmer ihren Studien obliegende Marianne fast jede Unterhaltung unterbleiben mußte, so daß sich di« Mutter und Elisabeth mit Handarbeiten, Paul mit krieg-wissenschaftlicher Lectür« aus dem kleinen Bücher schatze deS Vaters beschäftigten. Paul litt unsäglich. Der Dienst beschäftigt« ihn nur wenig« Stunden, und zwar nur Vormittags. Di« ganzen langen Nach mittage, von den meisten, ja fast allen seinen Kameraden dazu benutzt, die Vergnügungen der Großstadt kennen zu lernen, wurden ihm zur Qual. Mit dem täglichen Elend zu Haus« vor Augen, wo Mutter und Schwester mit aller Kraft darum kämpften, den Schein nach außen aufrecht zu erhalten, könnt« er, selbst wenn er oen Sinn dafür gehabt und sich frei von Selbstvorwiirsen gewußt hätte, wicht daran denken, noch unnütze Ausgaben zu machen. In einer Art Büßerstimmung könnt« er sich dann mit einer, von verzweiflungsvollem Humor nicht ganz freien Selbstkritik sagen: „Das geschieht dir ganz recht, büße nur für deinen Leichtsinn" — und seltsamer Weise fand er in diesem selbstquälerischen Trotz eine Art Beruhigung, ja Genugthuung! Sodhen hatte sich bei Eröffnung der Anstalt sofort in der freundschaftlichsten Weise Paul genähert und ihm bei erster Ge legenheit zugeflüstert: „Der Alte hat bereits Alles bezahlt. Du brauchst Dir dar über keinen Kummer mehr zu machen." Dann hatte er ihn wiederholt aufgefordert, sich Nachmittags gemeinsam amüsiren zu wollen, und schließlich, da er jedesmal eine ablehnende Antwort erhielt, den Stubenhocker — wie er den Freund nannte — als unverbesserlichen Philister aufgegeben. Siebentes Capitel. Es war im ersten Drittel des October, als Paul sich eines Vormittags kurz vor dem Essen allein mit der Mutter im Wohn zimmer befand, da Elisabeth noch nicht aus der Schule zurück und Marianne «inen längeren Ausgang zu machen hatte. Das Gespräch -wischen Mutter und Sohn drehte sich um gleichgiltige Dinge und schleppte sich nur langsam hin, weil Jedes anscheinend mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, an welchen es den Anderen nicht theilnehmen lassen wollte. Besonders Frau von Sieinbergk schien kaum auf die Be merkungen deS Sohnes zu hören, und rang sichtbar mit einem Entschlüsse, der ihr schwer genug zu werden schien. Endlich mußt« sich ihr die Nothwendigkeit einer offen«» Aus sprache unter vier Augen, auf di« sie schon so lange gewartet hatte, doch mit solcher Macht aufdrängen, daß sie die Hand des neben ihr auf dem Sopha sitzenden SohneS erfaßt« und mit halb schüchterner, zärtlicher Stimme sagte: „Mein lieber Paul, ich wollte Dich schon lange einmal allem sprechen!" „Gewiß wegen des VaterS" — war die rasche Entgegnung Paul s, der einzig an «ine Eröffnung in dieser Richtung dachte. „Das nicht!" — erwiderte die Mutter, nicht ohne leichte Ver legenheit — „aber eS geschieht im Auftrage des Vaters." „Ich weiß ja", fuhr sie fort, „daß Du unser lieber, treuer Sohn bist, der gewiß Alles thun wird, uns über diese schwere Zeit, die, so Gott will, auch einmal «in End« nehmen wird, hin- weqzuhrkfen. AuS Deinem ganzen Benehmen, daß Du bei unS fast Deine ganz« freie Zeit verbringst, statt Dich mit Deinen Kameraden zu vergnügen-, daß Du in so zarter Weis» zur Er leichterung unseres Haushalt- beiträgst; und vor Allem Deine rasche Hilfe bei Einlösung jene- unseligen Wechsels, da- Alle- beweist mir, daß wir an Deiner kindlichen Liebe und Opfer willigkeit nicht zweifeln können." „Wenn ich dies Alles vorausschickc, so wirst Du mich" — fuhr sie mit stockender Stimme fort — „nicht mißverstehen, wenn ich Dir im Auftrage und im Namen des Vaters die Frag« vor leg«, ob Du nicht von dem Verkaufe Deines Pferdes, dessen An schaffung vor zwei Jahren dem Vater und uns Allen — wie ich Dir offen bekennen muß — nicht unerhebliche Opfer auferlegi hat, noch über einige Mittel verfügst, durch die Du uns Allen aus der größten Verlegenheit helfen könntest? Das Geld soll Dein bleiben, und soll Dir, sobald wir können, bei Heller und Pfennig zurückerstattet werden. Augenblicklich aber sind wir durch die lange Zeit, die der Vater ohne jeden Verdienst war, so in unseren Mitteln beschränkt, daß es ganz unmöglich ist, die bereits am 1. October fällige WohnungSmiethe für das dritte Quartal zu bezahlen. Mit peinvollem Bangen sehe ich täglich der Mahnung des Hauswirthes entgegen, und zittere vor dem Gedanken, den Grobheiten eines ungebildeten Mannes, sowie dem unausbleiblichen Gerede der Mitbewohner ausgesetzt zu werden, wenn wir nicht pünktlich unsere Verpflichtungen erfüllen. Der Vater ist augenblicklich nicht in der Laa«, etwas für uns zu thun. Sern« am 1. October fällige Pension, sowie da» kleine Gehalt von Elisabeth haben gerade zur Deckung der laufenden Rechnungen der letzten Monate hingereicht, ohne welche wir nicht einmal die Bedürfnisse des täglichen Lebens zu entnähmen vermöchten. Schon neulich hat der Vater an mich geschrieben, Dir unsere ver zweifelte Lag« mitzutheilen und Dein« Hilft zu erbitten, ja, «r hat geradezu seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß Du Dich nicht ganz von selbst dazu erboten hast. Ich habe Dich nun, unter Hinweis auf Deine Zuschüsse zur Haushaltung, Deine musterhafte Anspruchslosigkeit und Häuslichkeit zu ent schuldigen gesucht, und ihm vorgestellt, daß Du, so zu sagen, Alles mit uns theilst; allein unsere Verlegenheit ist auf einen solchen Gipfel gestiegen, daß wir nicht ein- noch auswissen, und daß Du unsere — meine — einzig« Hoffnung und Hilfe bist. Im Ganzen brauchen wir, da für die Mieth« allein zweihundert Mark erforderlich sind, ungefähr dreihundert Mark, doch wäre uns schon geholfen, wenn Du uns nur die Miethe Vorstvecken wolltest." Paul'S Herz krampfte sich schmerzlich zusammen bei der Mit theilung der Mutter, nicht einmal mehr d e Miethe zahlen zu können. Hätte sich ein Abgrund vor ihm au gethan, er hätte nicht von entsetzenSvolleren Schauern durchrüttelt werden können, als beim Anhören der sich mühsam dem geliebten Munde ent ringend«» Eröffnungen. Er fühlte, wie ihm der Athem auS- zuarhen drohte, und doch mußte er sich zusammennehmen und äußerlich gefaßt erscheinen. Hier mußte geholfen werden auf alle Falle, mochte au- ihm werden, wa» da wolle! Und mußte eine Kugel die Verbindlichkeiten lösen, die er einging, er hatte es nicht anders verdient! Ein Eingeständniß seines Unvermögens, seines Verschuldens, hätte jetzt die gebeugte Mutter, wie sie zärt lich vertrauend, seine Rechte in ihren abgearbeiteten Händen haltend, neben ihm saß, der Verzweiflung anheim gegeben, und nicht allein wegen der ungelösten materiellen Sorgen, sondern vor Allem wegen des Schmerzes, den Sohn, der bis jetzt ihr ganzer Stolz gewesen, als Pflicht-, ja Ehrvergessenen erkennen zu müssen. Das Lügengewebe mußte weitergesponnen werden! Hier gab es kein Zurück! Mit mühsam errungener Fassung konnte er endlich mit zitternder, athemloser Stimme sagen: „Gewiß, gewiß, liebe Mama! Ich habe ja nicht gedacht, daß es so schlecht mit Euch stünde. Heute Abend noch sollst Du das Geld haben! Warum hast Du mir auch nicht früher Mit theilung von den so überaus traurigen Verhältnissen gemacht, Du weißt doch, daß ich mit Freuden den letzten Groschen mit Euch theile, schließlich habe ich ja auch gar kein Recht auf da- Geld, das Ihr mir zu einem ganz anderen Zwecke gegeben habt." Paul hatte diese Worte ohne abzusetzen herausgestoßen, wie um seine Verlegenheit zu verbergen. Ohne die Gemüths« bcwegung, in der sich Frau o. Sieinbergk befand, würde ihr wohl der nervöse Ton in der Antwort des Sohnes ausgefallen sein, so aber, gerührt von so viel Opferwilligkeit, hatte sie den Kopf des geliebten Kindes zwischen ihre Hände genommen und küßte ihn wieder und wieder. „Ich wußte es ja", sagte sie unter Thränen lächelnd, „daß D u mein guter Sohn, mein geliebter Paul bist, und daß Du alles thun würdest, um Deiner Mutter die Sorgen zu ver scheuchen. Und wenn es mir herzlich schwer geworden ist, Dir mit dieser Bitte zu kommen, so war es nicht der Zweifel an Deiner Theilnahme und Deinem guten Willen, sondern die Un gewißheit, ob Du auch im Stande sein würdest, unserer Ver legenheit abzuhelfen. Nun wird alle» wieder gut werden, und heute noch werde ich dem besorgten Vater melden, wie gut Du bist, und daß durch Dich alles in Ordnung kommt. Wie Wirtz er sich freuen und Dich mit mir segnen! Den Schwestern, dir schon schwer genug am Leben, an einer freudlosen Jugend zu tragen hoben, wollen und dürfen wir nichts von Deinem Edel- muth erzählen; Du mußt Dich schon", fuhr sie beinahe schelmisch lächelnd fort, „mit meiner Dankbarkeit und, wenn möglich, ver doppelter Liebe zufrieden geben." Jede» Wort schnitt Paul wir ein Dolchstoß in die Seel« unS nur gezwungen vermochte er dir Zärtlichkrnrn der Mutter zu er widern, und rin« möglichst unbefangene Mirn« zu bewahren. Sein Plan war gefaßt! Al» rin» günstig« Fügung d«I
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