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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001022028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratyes und L'otizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Msntag den 22. October 1900. s Anzeige»-Preis die i'>grwaltr»e Pclitzcile 2'» H. Reclamen unter dem Redactionsstrich lt geipalten, 7.", vor den Fainilienmicki« richten '»gespalten) .'»«» TabeUarücher und Jijsernsatz entsprechend hvber. tstebübrcn für Nachweisungen und Offerten»»nähme excl. Porto). Ertra Beilagen sgejalzy, nur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbesürderung ./L NO.—, mit Postbesörderung 70.- . Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags IO Udr. Morgen Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Tic chinesische» „Vorschläge". Die Vorschläge, mit denen die chinesischen Unter händler an die fremden Gesandten in Peking herangetreten sind, werden in London (und auch anderwärts) halb mit Entrüstung, halb mit Spott begrüßt. Die „Times" bemerken, die Frechheit, mit der die chinesischen Wort führer solche Zumuthungen stellten, beweise aufs Neue, daß die Auffassung, die man sich von der Lage in China ge bildet, vollkommen zutreffend sqi. Ton, wie Inhalt dieser Vorschläge zeugten von der vollkommenen Unfähigkeit der Be vollmächtigten, wie des hinter ihnen stehenden Hofes, zu der Erkenntniß zu gelangen, welche ungeheuerliche Beschimpfung sie der gesitteten Welt angethan, und wie groß die Sühne sein müsse, die sie dafür zu leisten haben. Möglicher Weise sei die dabei zur Schau getragene Harmlosigkeit zum Theil erheuchelt, um Chinas „Gesicht" vor den Barbaren zu retten. Wahr scheinlich aber sei sie in der Hauptsache her natürliche Ausfluß deZ überwältigenden Dünkels und der bodenlosen Unwissenheit Chinas hinsichtlich der eigenen Ohnmacht und der unermeßlichen Ucbermacht des Auslandes. „Herr Pichon", schreiben die „Times" am Schlüsse ihrer Ausführungen, „hat es, wie wir mit Freuden sehen, verstanden, dieses unverschämte Vor gehen im richtigen Sinne zu beantworten, und es verlohnt daher gar nicht der Mühe, auf die einzelnen Puncte der chinesischen Vorschläge näher einzugehen. China läßt sich zu dem Aus drucke des Bedauerns über die jüngsten „Vorkommnisse" herbek und zu dem Versprechen, daß dieselben sich nicht wiederholen sollen. Kaiser Wilhelm hat bereits in schneidender und praktischer Weise diese wohlfeile Art der Sühne abgefertigt. Die Erwiderung des französischen Gesandten ist ein trefflicher Commentar zu dem deutschen Telegramm an den chinesischen Kaiser. China räumt auch seine Haftbarkeit zur Zahlung einer Entschädigung ein. Ganz natürlich! Seine Bemühungen waren, seit ihm ein Licht darüber aufging, daß die Mächte siegen würden, fortwährend dahin gerichtet, sie dahin zu bringen, für ihre beschimpfte Ehre und für das Leben ihrer ermordeten Staatsangehörigen Geld zu nehmen. Sie werden jedenfalls von ihm Entschädigung heischen für die Unkosten, in die es sie gestürzt, und für den Schaden, den es am Gute ihrer Staats angehörigen angerichtet hat, aber keine Großmacht kann sich so weit erniedrigen, Blutgeld aus seine- Hand zu nehmen. Das einzige sonstige Anerbieten, wenn man dergleichen überhaupt ein Anerbieten nennen darf, geht dahin, die alten Handelsverträge aufs Neue zu bestätigen oder abzuändern, oder neue Verträge zu schließen. Dafür solle dann dem Tsung li sstamen gestattet werden, wieder in Thätigkeit zu treten, und ferner soll das mili tärische Vorgehen unverzüglich eingestellt werden. Herr Pichon hat darauf die Antwort ertheilt, die solche Unverschämtheit verdient." Zur weiteren Erörterung der neuesten chinesischen Vor schläge äußert der „Daily Graph ic" die zuversichtliche Hoffnung, das Concert der Mächte werde die Schritte des fran zösischen Gesandten unterstützen, und bemerkt dabei, es sei übrigens scherzhaft, daß Pichon die Mächte genau zu dem Stand punkt der ersten deutschen Nundnote zurückyebracht habe, die, wie erinnerlich, von den Mächten in so unsicherer Weise an genommen worden sei, daß Graf Bülow sich genöthigt gesehen babe, sie thatsächlich zurückzuziehen. Ter kaiserliche Hof. Ein kaiserlich erErlaß besagt, der Hof habe zeitweilig seinen Sitz westwärts verlegt, „um die Verhandlungen mit den Mächten besser leiten zu können", und seinen Beamten strenge Befolgung der Verträge und Unterdrückung von Wirren ein geschärft. Der Erlaß erklärt ausdrücklich, der Kaiser handle unter den Weisungen der Kaiserin. Dem „Standard" wird aus Shanghai berichtet, Manschikai, per Gouverneur von Schantung, habe telegraphisch die Vangtse-Vicekönige benach richtigt, Prinz Tu an behaupte, obschon formell abgesetzt, nach wie vor seine Stellung am Kaiserhofe und erfülle sämmt- liche früheren Obliegenheiten. (Spedition nach Paotings». „Reuter's Bureau" berichtet aus Peihotien (etwa M Kilometer von Paotingfu) unter dem 15. October: Die englische Colonne ist hier angekommen, ohne auf Widerstand zu treffen; sie fand die hiesigen Behörden durchaus freundlich ge sinnt. Das deutsche, französische und italienische Contingent haben in der Stadt Ouartier genommen, während die Engländer vormarschirten und drei Meilen weiter am Ostufer des Flusses ein Lager bezogen. Die Ortschaften in der Nachbarschaft waren von den Boxern geplündert und niedergebrannt worden. Zwei chinesische Soldaten, die gefangen genommen und später wieder freigelassen wurden, erklärten, die kaiserlichen Truppen hätten erfolgreich gegen die Boxer operirt. Eingeborene berichten, zwei französische Bataillone seien in Paotingfu eingetroffen und hielten die Vorstadt besetzt. Ter Aufstand in« Süden Aus Hongkong, 20. October, meldet das Neuier'sche Bureau: Aus Cantou wird gemeldet, daß der Aufstand sich nach dem Ostfluß zu aus breit et. Die Ein wohner von Tschellung bezweifeln, daß die Militärbehörden im Stande sind, die Vcrtheidigung der Stadt und ihrer Be wohner vorzubereiten. Unter den Chinesen heißt es, der 23. October sei als Tag für die Zerstörung aller Missionen und die Ermordung aller christlichen Chinesen in Kwangtung bestimmt worden. Ei» Vckctmtnik und ein Appell Kuaua hsü's. Aus Shanghai, 14. September, schreibt der ständige Mitarbeiter der „Welt-Corr.": Soeben wird in seinem Wortlaute der erste kaiserliche Erlaß bekannt, den der Kaiser von China nach der F l u ch t a u s P e k i u g e r l a s s e n h a t. Er trägt das Datum des 20. August, ist aber erst vor wenigen Tagen bet den General gouverneuren des Uangtsethals eingetroffcn. Das Schriftstück ist sowohl um der Persönlichkeit willen, von der cs ausgeht, als auch wegen der darin sich bekundenden Denk und Sprechweise der Chinesen hochinteressant. Bemertenswerth ist, daß die Boxer-Bewegung mit keiner Silbe verur- theilt wird; sie werden einfach t'nan (Haufen, Banden) genannt, was indessen lediglich als eine Abkürzung des Namens der Boxergesellschaft I ho t'nan (rechtschaffene Patriotenhansen) auszufassen ist. Das taiscrlich^Evict selbst lautet: Meine seit mehr als 200 Jahren herrschende Dynastie hat sich stets die Uebung von Selbstlosigkeit und kindlicher Liebe zur Pflicht gemacht. In dem gewaltigen Reiche der Milte haben Alle in gleichem Maße Beweise ihrer Gnade und Freigebigkeit em psangen. Beamte und Privatleute, Alle liebten und ehrten ihren Herrscher, und Alle waren ohne Unterschied bereit, ihr Leben für ihn zu geben. Nur so gelang es meinen Ahnen, Aufruhr zu unterdrücken und dem Lande den Frieden zu geben. Daß der Friede im ganzen Reiche ein dauernder blieb, war nur der guten Civilverwaltung und der kriegerischen Tüchtigkeit meiner Vorfahren zu danken, Eigenschaften, iy denen sie die Herrscher früherer Dynastien bei Weitem übertrafen. Weil es meine Dynastie stet» liebte, sich mit tugendhaften und tüchtigen Mi nistern zu umgeben, gelang es ihr, unendliche Schwierigkeiten zu. überwinden. Die Regierungszeiten Taokuang's und Hsienft-ng's hatten viel Mißgeschick im Gefolge, aber stets gelang c» der wohl berathenen Politik dieser Herrscher, das Glück zu drehen, die Ge fahr abzuwenden und dem Lande den Frieden loiederzugeben. Dann bestieg ich, noch ein Knabe, den Thron. Allen meinen Unterthanen ist genugsam bekannt, wie ich, voll Ehrfurcht den Ermahnungen meiner kaiserlichen Mutter, der Kaiserin-Regen tin, lauschend, mich stets nach Kräften bemühte, in allem, was ich unternahm, getreu den herrlichen, von meinen Vorfahren aufge stellten Principien häuslicher Disciplin und Ehrerbietung, gc wisscnhafter Pflichterfüllung und Menschenliebe zu handeln. Da begannen ganz unerwartet vor kurzer Zeit Streitigkeiten. Die patriotische Liga und die Christen befehdeten sich, und ein plötzlicher Ausbruch von Unruhen folgte. Im Anfang ganz un bedeutend, nahmen sie allmählich einen furchtbaren Umfang an. Schrecken und Furcht drang bis in die Hallen meiner Ahnen: die ehrwürdige Person der Kaiserin-Regentin mußte entfernt werden. Wahrlich, schwer bin ich gestraft worden! Wie hätte solch ein allgemeiner Zusammenbruch an einem einzigen Tage erfolgen können, wenn wirklich alle hohen und niederen Beamien in treuer Pflichterfüllung nur das Wohl und Wehe des Vaterlandes im Auge gehabt hätten? Ein Gewissen, das Euch erkennen läßt, was recht und billig ist, müßt Ihr doch Alle noch haben; so sagt mir denn, ob unter Euch noch irgend Jemand ist, der die zu gewöhnlicher Zeit in so reichem Maße er haltenen Gnadenbeweise in dankbarer Erinnerung hält? Ist das die Treue, die Ihr mir gelobt habt? Was sind denn eigen: lich Eure Gedanken, jetzt, wo der Staat in solcher Gefahr schwebt? I ch h a b c in i ch i n M e n s ch e n g e t kl u s ch t u n d muß allein die Strafe dafür tragen. Wie kann ich die Verantwortung auf das Volt abwälzen, das unverdienter Weise von solch schrecklichem Unheil betroffen ist? Ich, der Herrscher dieses gewaltigen Reiches, vermochte nicht, mein Volk vor sc.chein Unglück zu bewahren: von eigener H a n d z u sterben, wäre mireine Wohlthat gewesen. Nur der Gedanke an das hohe Alter meiner kaiserlichen Mutter hielt mich von diesem Schritte ab. Ich gewann es nicht über mich, sie der Liebe nnd Pflege ihres Sohnes zu berauben. So kam cs, daß ich mich zeitweilig mit Ihrer Majestät nach T a l - y n ä n s n begab. Daß Ihre Majestät die Reise gut überstanden hat und sich wohl befindet, wird allen Unterthanen des Reiches der Mitte eine willkommene Nachricht sein. Die kommende Zeit wird benutzt werden, um die gefährliche Lage zu verbessern. Auf mir, dem Herrscher, ruhk die ganze Verantwortung. Allen Präsidenten und Licepräsidenten der Ministerien und allen höheren Beamten wird hiermit befohlen, sich eiligst hierher zu begeben, um wieder Ordnung in das bestehende Chaos zu bringen. Alle hohen Beamten der Provinzialverwaltung weise ich an, die größte Sorgfalt auf die Instandsetzung unserer Vertheidi- gungSkräfte zu Wasser und zu Lande zu verwenden. Die Generalgouverneure Liu Kun-i, Chang Chih-iung und Andere haben mir berichtet, daß sie dem Handel in den S e e nnd Flußhäfen, wie zuvor, den vertragsmäßigen Schutz gewähren. Ich befehle ihnen, damit fortzufahren, nm einen Beweis meiner Aufrichtigkeit zu geben. In allen Provinzen giebt es unter den z u in Christenthum Bekehrten getreue und ungetreue Unterthanen. So lange sie sich nicht in Massen zusammenschaarcn und Unruhen anstif ten, sind sie als gute Unterthanen zu betrachten. Die localen Beamten müssen fortfahren, unparteilich und ohne An sehen der Person Frieden unter Allen zu erhalten. Kurz, ein jeder Beamte hat seine besonderen Pflichten; einer lei aber, ob hoch oder niedrig, Civil- oder Militär-, Metropoli tan- oder Provinzial Beamter, Alle müssen stets in gleicher Weise der Verdienste meiner Vorfahren um das Reich eingedenk sein. Alle müssen daran denken, daß, wenn der Herrscher beschimpf: ist, seine Beamten für ihn in den Tod gehen sollten. Ihr müßt Alle Eure Schuldigkeit bis zum Aeußersten thun. Staatsgc schäfte müssen mit derselben Sorgfalt wie Privatgeschäfte er ledigt werden. Wenn Ihr einen Fehler begangen habt, müßt Ihr Euer Unrecht einsehen und nicht durch rechthaberischen Starrsinn die Regierung irreführen. Wenn eine Mehrheit an derer Meinung ist, als Ihr, so verharrt nicht in eigensinnigem Dünkel bei der Euren. Reinigt Eure Gedanken und Euer Her; und helft mir weiter, wenn mein Können mich im Stich läßt. Nur so können wir hoffen, den Willen des Himmels umzustim men und ihn zu bewegen, Vas Unheil wieder gut zu machen. Ter letzte Tag Ser Belagerung Aus Morrison's Bericht über die Schreckenszeit in Peking ist noch Folgendes nachzutragen: Am Freitag, den 10. August, gelang es einem Boten, durch die feindlichen Reihen zu dringen und uns Briefe vom General Gaselec und General F u i u s ch i m a zu überbringen. Eine starke Entsatzmacht war nach Peking unterwegs und sollte hier, wenn nichrs dazwischen käme, am 13. oder 14. eintreffen. Tie, Gefahr für uns war daher, daß der Feind einen letzten Versuch machen würde, die Gesanoischaften vor der Ankunft der Verstärkung zu überrumpeln. Diese Erwartung bestätigte sich denn auch. Während der beiden letzten Tage hatten wir ein heftiges Gewehr- und Geschützfeuer auszuhalten und erlitten zahl reiche Verluste. Eine Granate platzte in Sir Claude Macdonalo's Schlafcaum. Unsere Vertheidigungsmittel waren nunmehr aber vortrefflich und unsere Mauern bombensicher. Wir hatten uns des Mongolenmarktes bemächtigt und den General getödtet, der die Schansitruppen anführte, Sie versucht hatten, die Gesandt schäften in fünf Tagen zu überwältigen. Am 12. August schr:-o die anonyme Körperschaft „Prinz T s ch i n g u n d A n de r e" uni eine Audienz bei den fremden Gesandten, damit die Vor bedingungen für die Einstellung der Feindseligkeiten erörtert wer den könnten. Die Erlanbniß dazu wurde gegeben und die Unter redung auf 11 Uhr früh am anderen Tage festgesetzt, die Minister fanden sich aber nicht ein. Im letzten Augenblick waren sie Zu „sehr beschäftigt", oder sie hatten Angst. Der gestrige Tag ver ging unter fortwährendem Gewehrfeuer, das bei der Dunkelheit an Heftigkeit zunahm. Dann wurden wir um 3 Uhr Morgens Alle durch den Donner der Kanonen ini Osten und durch das willkommene Geräusch des Salvenfeuers geweckt. Bald ging es runo: „Die fremden Truppen befinden sich an der Stadtmauer und beschießen das Ost t hör." Bei Tagesanbruch begaben sich die meisten von uns nach der Stadtmauer und sahen der Beschießung des Ostthores zu. Wir wußten, daß die Verbündeten in getrennten Colonnen vor marschicen würden und waren natürlich sehr aufgeregt, denn jeden Augenblick konnten nunmehr die Truppen eintreffen. Das Früh stück, das harte Frühstück aus Pferdefleisch wurde aufgetragen, und wir halten es kaum beendet, als durch die Gesandtschaft der Ruf ging: „D i e B r i t s n t o in m en !" Rian rannte nach dem Eingangsthor, die Canalstraße hinauf nach dem Wasserthor. Die kräftigen Gestalten des Generals und seines Stabes zogen durch das Wasserthor, gefolgt von dem 1. Sikhsrcgiment und den Radschputen. Sie gingen die Canalstraße hinab und zogen, während wir unbeschreiblich erregt waren, nach der britischen Gesandtschaft. Die Belagerung war aufgehoben! Feirilleton. ui Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. Niilbdruck verboten. Mit leidlichem Anstande sprang Wolf Habflug vom Pferde, nalM fein Barett vom Kopfe und machte eine tiefe, respektvolle Verbeugung- „Sprich, was Du von der Sache weißt" forderte ihn Herr Ulrich auf. „Mit Verlaub, gnädiger Herr, das Läpplin lhU angegeben, daß er von mir die Nachricht des Ueberfalls erhalten habe", be gann Wolf Haßflug. „Von Dir?" unterbrach ihn Herr Ulrich stirnrunzelnd. „So ist's, gnädiger Herr. Der Richter wird es Euch be stätigen." „So hat das Läpplin also in der Noth gelogen, Wolf Haß flug?" fragte Herr Ulrich wieder, den jungen Landsknecht prüfend an sehend. „Durchaus nicht. Läpplin sprach die Wahrheit." „Wie? Du gestehst also, das zur Empörung und Aufruhr ersonnene Geschwätz erfunden zu haben?" brauste Ulrich zornig auf. „Gnädiger Herr, ich bin ein armer Landsknecht! Wie könnt Ihr glauben, daß ich solcherlei Dinge erfinde?" entgegnete Wolf Haßflug offen und einfach. „Ich bin imGegrntheil hier, um Euer Gnaden denjenigen zu bezeichnen, von dem ich das Gerücht habe. Mag er dann sagen, ob er es erfunden hat, oder wer es ihm gesagt." „Bon 'wem hast Du es vernommen?" fragte Herr Ulrich kurz und drängend. „Vom Ritter Diepold von Andlau", erwiderte Wolf fest und sicher, mit der Hand auf diesen hindrutend. „Tretet vor, Herr Ritter, gebt der Wahrheit die Ehre, und berichtet, was Ihr mir am Donnerstag Morgen im Gasthaus zur Sonne erzählt." Eine allgemeine Verblüffung folgte diesen Worten, nicht zum Wenigsten bei dem Genannten selbst. Mit einem unwillkürlichen Griff nach dem Degen trat er rasch einige Schritte auf den Landsknecht zu und kies heftig: „Du wagst es, elender Bettler, einen Ritter zu verdächtigen?" Wolf Haßflug richtete sich aus seiner bisherigen demüthigen Haltung hoch empor und maß den jungen Ritter mit ruhigen, festen Blicken. „Es thut mir leid, Herr Ritter", fuhr Wolf Haßflug nicht ohne einen gewissen Anstand fort, der sich von der etwas ungestiimcn Grobheit Diepold's Vortheilhaft abhob, daß meine Offenheit Euch ungelegen kommt. Allein, wo cs gilt, die Wahrheit zu bekennen, gilt kein Ansehen und kein Stand der Person. Ich hoffe, Ihr werdet nicht vor unserem gnädigen Herrn leugnen, was Ihr, wenn auch vielleicht etwas übereilt und mit weinschwerer Zunge, mir erzählt." „Lügnerischer Schuft!" platzte Diepold von Andlau zornig heraus, „noch ein Wort, und ich schlage Dir mein Schwert um die Ohren, daß Dir Hören und Sehen vergeht." „Ihr ^beschimpft mich, Herr Ritter", fuhr Wolf noch immer ruhig und mit Respect fort, „weil ich die Wahrheit sage, Ihr nennt mich einen lügnerischen Schuft vor unserem gnädigen Herrn und bedroht mich, um mich einzuschüchtern, weil es Euch nicht paßt, daß ich hier die Wahrheit sage. Das hätte ich dem Läpplin auch anthun können, was Ihr mir jetzt thut, und ver- muthlich mit besserem Erfolge als Ihr, denn Läpplin sagte unter der Tortur aus, während ich als freier, unbescholtener Mann der Wahrheit zu Liebe meine Aussage gemacht habe." Damit trat Wolf Haßflug zwei Schritte zurück, und zog mit einer gewissen herausfordernden Behendigkeit und Kampfeslust den Degen. „Hier ist mein Schtvert!" fuhr er fest und bestimmt fort. „Wenn ich auch ein armer Landsknecht bin, so bin ich doch ein frei und ehrlich geborener Mann, und kein Ritter der Welt hat das Recht, mich einen lügnerischen Schuft zu nennen, wenn ich der Wahrheit zu Lieb und Ehre bekenne, was sich zugetragen hat, und es in der Schlacht keine Schande ist, seinen Degen mit einem Landsknecht zu kreuzen, so hoffe ich, wird mir auch jetzt die Ehre zugebilligt, durch ein Gottesurtheil die Wahrheit zu verkünden." Dann hob er das Schwert kerzengerade zum Himmel empor und sagte mit stärkerer, freier Stimme: „Hiermit behaupte ich, der Wahrheit gemäß gegen den Ritter Diepold von Andlau, daß er mir am Donnerstag Vormittag im Gasthaus zur Sonn« in der niederen Stadt erzählt hat, daß der Landvogt Wilhelm von Rappoltstein mit fünfzehnhundert Reitern die Stadt Rappoltswciler überfallen und plündern wolle Ich behaupte ferner, daß Ritter Diepold von Andlau solches gethan, um Unfrieden und Verwirrung in der Stadt zu erregen, und in der Unordnung Edelinde von Rappoltstein, unseres gnädigen Herrn Schwester, mit Gewalt nach der Burg von Andlau zu ent führen und Lösegeld zu erpressen. Solches beweise ich durch mein gutes Schwert und fordere Jeden, der daran Zweifelt, zum Gottesurtheil Lurch Zweikampf heraus." Sofort trat Diepold von Andlau mit gezogenem Schwert vor und rief mit lauter Stimme: „Steckt das Felo ab! Ein Hundsfott, wer diese schamlosen Verleumdungen glaubt oder weiterträgt. Den Burschen aber, der mit dreister Stirn sich in solcher niederträchtigen Art an meiner Ritterehre vergreift, will ich den Vögeln unter dem Himmel zum Fraß vorlegen. Sein Blut sei verflucht und ver dammt, und sein Leben eine Qual, so lange ich meine Arme rühren und ein Schwert führen kann. Vorwärts, die Gries- wärtcl*) her." „Haltet ein!" befahl Herr Ulrich laut, „noch sind wir nicht so weit und ich hoffe, daß es noch andere Mittel zur Erforschung dec Wahrheit giebt, als das Gottesurtheil. Wo wart Ihr am Donnerstag Vormittag, Ritter von Andlau?" Erne gewisse Bewegung und interessirtc Neugier bemächtigte sich der Anwesenden. Die breitschultrige Figur des fast ganz in Eisen gehüllten Junkers von Hohnack hatte sich dicht vor den Streitenden aufgepflanzt. Andere drängten herzu, auch Edelinde von Rappoltstein folgte mit ängstlichen Blicken und einer zitternden Beklommenheit der Scene. Bei der Frage ihres Bruders an 'den Geliebten hingen ihre Augen, leicht mit Thränen verschleiert, gespannt und ängstlich an dessen Zügen. „Ich war allerdings am Donnerstag Vormittag im Gasthaus zur Sonne", bemerkte Diepold etwas verlegen. „Er kann's nicht leugnen, gnädiger Herr. Ich selbst habe ihn dort gesehen", bemerkte Junker von Hohnack und habe auch ge sehen, wie er mit Wolf Haßflug sprach." „Herr des Himmels, Diepold!" rang es sich plötzlich zweifelnd und ängstlich von den Lippen Edelinde's. „Aber nicht das, was der Verleumder hier behauptet!" brauste Diepold wieder von Neuem auf. „Und was habt Ihr mit dem Landsknecht zu verhandeln ge habt?" fragte Herr Ulrich etwas verwundert. „Ich babe mit dem Manne von den neuen Hakenbüchsen ge sprochen, die Euer Gnaden für den Wall von Rappoltswciler an geschafft haben", erwiderte Diepold. „Sie interessiren mich, weil *)Gries'wärtel nannte man beim Gottesurtheil eine Art Se kundanten, die anfpaßten, daß Alles ohne List und Trug herging und Sonne und Wind, Licht und Schatten unter den Kämpfenden gerecht oertheilten. Wenn Blut von Einem der Kämpfenden auf die Erde fiel, erklärten die Grieswärtel in der Regel den Kampf für beendet und den Blutenden für besiegt. Ser Mann behauptete, sie seien vollständig aus gegossenem Eisen gemacht, während ich bisher nur solche aus Holz*) gesehen." „Das behaupte ich auch noch", fiel Wolf Haßflug rasch ein. „Sei still, bis Du gefragt wirst", verwies ihn Ulrich und fuhr dann, zu Diepold gewendet, fort: „Uns was hat das mit meinem" Vater uno den fünfzehnhundert Reitern Zu thun?" „Nichts, Euer Gestrengen", erwiderte Diepold, „davon war auch keine Rede, bei meiner Ritterehre." „Er lügt", rief Wolf Haßflug laut. „Gestattet mir, Euer Gnaden den Vorgang zu erzählen." „Es sei Dir gestattet." „Daß wir von den neuen Hakenbüchsen gesprochen, ist ganz richtig", fuhr Wolf Haßflug fort, und just daraufhin brauste Diepold von Andlau, dec wohl etwas angetrunken n>ar „Unverschämter Wicht!" unterbrach ihn Diepold zornig. „Still", gebot Herr Ulrich, „und Du fahre fort!" Just daraufhin sagte Ritter Diepold wörtlich: „Uno wenn Ihr Kanonen von Silber uno Gold gießt, so werden die den fünfzehnhundert Reitern des kaiserlickM Landoogts nicht wieder stehen." „Auf meine Frage", erzählte Wolf weiter, „was er damit sagen wolle, raunte er mir halblaut zu, was ich hier behaupte und dem Läpplin wiedererzählk." „Gestattet, gnädiger Herr,daß das Feld abgesteckt wirb, und ich werde mit dem Schwerte beweisen, daß ich die Wahrheit sprach." „Wenn Ihr vergessen haben solltet, Ritter Diepold, was Jbc gesagt, so erinnere ich Euch, daß wir davei Beide am rechten Fenster im unteren Gemach der „Sonne" zusammen sprachen. Ihr, nachlässig, halb aus dein Ecktische sitzend, der dort steht, ich aufrecht vor Euch, wie das der Respect vor einem Ritter verlangt. Hundert Einzelheiten will ich Euch erzählen, falls Ihr Euch noch immer nicht besinnt." „Er ist ein abgefeimter Lügner, Ulrich", rief Diepold wieder, „vergönnt, daß man das Feld absteckt, und ich den Burschen, wie es gebührt, züchtige." Edelinde schlug die Hände zusammen und trat etwas von Diepold von Andlau zurück, um ihrem Bruder näher zu sein. „Was willst Du thun?" fragte sie ihn leise. Ulrich von Rappoltstein wußte offenbar selbst nicht recht, was geschehen sollte. So sehr er wünschte, den Strciifall zu erledigen, und die Wahrheit zu erfahren, so wenig schien ihm das „Gottes urtheil" dazu geeignet. *) Die ersten Kanonen waren aus Buchsbaum, woher sich wohl auch unser oeutscheS Wort „Büchst" ableitet.
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