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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.08.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010810011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901081001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901081001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-10
- Monat1901-08
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Sonnabend den 10. August 1901. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile L5 Reelamen unter demRedacttonSstrich (»gespalten) 7S vor den FamMeunach» richten (S gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren siir Nachweisuuge» ued Offerteuanoahme SS L, (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), aur mtt der Morgea-Au-aab«, ohne Postbesördrruug ^l SO.—, mit Popbesörderuug ^tl 70.—. ' Annahmrschluß für Anzeigen: / Lb«»d«A»rgabe: Bormittag» IO Uhr. Morge».Aa»gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei de» Filiale» »ud Annahmestelle» je ein» halbe Sdurde früher. Uazeige» sind pet» a» die Exprdtttou za richte». Die Expedition ist Wocheutaa» «uunterbrochr» geöffuet von früh S bi» Mead» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Volz t» Leipzi». 95. Jahrgang. Der Socialismus -er römischen Kirche in Italien. Immer mehr muß eS di« römisch-katholische Kirche Italiens merken, was für ein gefährlicher Gegner ihr im Socialismus erstanden ist. ES war schon zur Kennzeichnung der Sachlage charakteristisch, daß di« Socialisten Mailands es wagen durften, die Entfernung des ?nter noster in den Elementarschulen zu beantragen. Mehr Glück als bei ihrem Vorgehen in Mailand hatten sie kurz« Zeit darauf in Monza. Dort war in einer der großen Hutfabriken die Aufsicht über die Arbeiterinnensäl« probe weise katholischen Schwestern anvertraut. Am Ende der zwei monatigen Probezeit wurde von der socialistischen „Oamera <1s1 lavoro" ein Memorial« eingereicht, in dem die Entfernung der Schwestern verlangt wurde. Trotz des Protestes der katho lischen „Iwg» ckel lavoro" siegten die Socialisten, und die Schwestern wurden entfernt, weil, wie der Gemeinderath in Monza sich cnSgedriickt, „die klerikale Partei auf diese Weise sich zur Schiedsrichterin im Arbeitscontract aufwerfen und die Ar beitermengen zum Zweck eigener politischer Machtstellung aus nützen wolle". Solche und ähnlich« Vorgänge haben der römischen Kirche Italiens allmählich die Augen geöffnet und ihr gezeigt, daß sic dem Treiben der Socialisten nicht weiter unthätig zuschauen darf. Ihm «ntgrgrnzuarbeiten, will die Kirche nun selbst social werden. „Für den Katholiken", sagt die „Difesa" vom 8. Mai, „giebt es gegenwärtig kein größeres Interest«, als die Volksmassen der socialistischen Propaganda zu entziehen und ihr zu ihren wirk lichen Rechten unter der Vormundschaft der Kirche zu verhelfen." Es hat sich ein „Opern äei congrossi" für social - christliche Wirksamkeit (eeonoraia) und Liebesthätigkeit" organisirt, das in verschiedene Gruppen zerfällt. Was sie beabsichtigen, geht aus einem Aufruf der zweiten Gruppe, die ihren Sitz in Bergamo hat, hervor (norme äirettivs äell' nrione sociale cristiana in Italia). D«r Aufruf geht von den socialen Encycliken des heiligen Vaters aus, durch die „eine wahre, heilbringende, christ lich-demokratische Bewegung" hervorgerufen werden solle. Nach dem "dann die eassc- rurali, die Sparkassen, die Volkssekre tariate u. A. warm empfohlen sind, kommt der Ausruf zu dem Punct, der „am dringendsten «ine Lösung heischt". „Er betrifft die ökonomischen und juridischen Beziehungen zwischen den ein zelnen socialen Elasten im Allgemein«» und zwischen Herren und Arbeitern im Besonderen, ein Problem, das auf seine einfachste Form gebracht, die Mittel betrifft, durch die Gerechtigkeit und Billigkeit den Arbeitsvertrag bestimmen zu können. Nach dem System des Individualismus befindet sich jeder Arbeiter, schwach und vereinzelt, einem Kapitalisten gegenüber, von dem er noth- gedrungen den Arbeitsvertrag annehmen muß, mag er sein, wie er will. Soll also Gleichheit zwischen den Kontrahenten des Ver trages sein, so muß, wie auf der einen Seite das ganze Capital, so auf der anderen Seite die ganze Arbeit concurriren. Daraus ergiebt sich die Nothwendigkeit, daß die Arbeiter sich in Verbin dungen einigen, zum Schutz und zur Vertheidigung ihrer Inter esten und Rechte." Solche Arbcitervereinigungcn, zumal von Socialisten gegründet«, sagt der Aufruf, gi«bt es schon in ganz Italien. Aber er bemängelt an ihnen, „I) daß sie in den An sprüchen der Arbeiter die von der Gerechtigkeit gezeichneten Grenzen nicht inne halten, 2) daß sie nicht selten Centren einer umstürzenden Politik sind, 3) daß sie in der Religion neutral, wenn nicht offen antichristlich sind." Darum gilt es, unter katho lischem Geiste stehend« Arbeitervereinigungen zu gründen, und als ersten Schritt dazu empfiehlt der Aufruf eure „Arbeiterver tretung" (rappresentunrn äsl Invoro) zu schaffen, die sich nach den einzelnen Professionen in „Gewerbsvereinigungen" (unious Professionals) th«ilt. Durch Vermittelung dieser beiden Instanzen sollen dann die Arbeiter mit den Arbeitsherren ihre beiderseitigen Jntrressen verhandeln, ohne daß di« Arbeiter zum Streike greifen müssen. Um aber christlichen Geist in diesen Ver einigungen zu wahren, „seh« man zu, daß nur solche Personen ausgenommen werden, welche diesem Geiste nicht entgegen sind", und „daß die Vorsteher der Arbeitervertretung in steter Dcziehungs mit den kirchlichen Autoritäten bleiben". Dieser Aufruf, sowie Alles, was vi« katholische Kirche in Italien bisher an socialer Thätigkeit unternommen hat, ist durch d'> Furcht eingegeben und stammt nicht aus selbstlosem Interesse am Wohle der Arbeiter. Darum war alles Wirten in dieser Richtung bisher umsonst und wird wahrscheinlich auch vergeblich bleiben. Will eine Kirche social wirken, so muß im Miitelpuncte ihres Interesses wirklich vi« einzeln« Menschenscele stehen. Der römischen Kirche steht aber im Miitelpuncte des Interesses die eigen« Machtentfaltung, dak Amt, das Papstthum. Das social« Wirken ist ihr nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum letzten, höchsten Zweck, die Massen im Gehorsam zu halten. Das social« Elend deS Volkes an sich hat die katholische Kirche bisher noch stet-kalt gelassen; ja, wir wissen genugsam, wie oft gerade Klöster und Geistliche die Dränger und Treiber des Volkes gewesen sind. Auch heute würde di« sociale Noth d«s Volkes an sich die Kirch« kalt lassen, wenn sie nicht fürchten müßte, daß durch die socialistischen Parteien di« Massen ihr entzogen werden. Das soll auf jeden Fall vermied«» werden, und geschickt, wie sie ist, den Mantel nach dem Winde zu drehen, spielt sich di« Kirche selbst als social auf. Aber viel Glück wird sie mit diesem Manöver nicht haben. DaS Volk, daS im socialen Elend sitzt, erwartet einen Helfer mit warmem Herzen; eS wird bald merken, daß dieser Helfer, der sich ihm in der römischen Kirche biet«t, nicht sowohl auf Abstellung seiner Nöthe, al» auf Sicherung -der eigenen Position bedacht ist. Noch fliegen die Gehorsamsadreffen au» den „christlich-demokratischen" Versammlungen in Menge zu Seiner Heiligkeit hinüber; wir zweifeln ober, ob da» Volk zu frieden sein wird, wenn sie da» einzige positive Ergebniß der Versammlungen bleibe», und wenn statt Erfüllung der gegebenen Versprechungen ihm immer wieder an» Ohr klingt: Gehorsam gegen die Kirche, Gehorsam gegen den Papst! — Für die römische Kirch« ist der Sociali»mu» ihrem Princiv nach eine Lüge. ES ist heute ein gefährliche» Spiel, der versuch, mit einem socialen Programm dir Menge zu täuschen. Die römische Kirche Italien» mag Zusehen, daß sie ihrer in» Schwanken kommenden Macht danm nicht einen weiteren Stoß gebe! Der Krieg in Südafrika. Lord Kttchcuer'S Proelaination ist puLlicirt. Wir erhalten darüber folgende, schon in einem Theile der Ausgabe des gestrigen Abendblattes enthaltene Meldung: * London, 9. August. (Telegramm.) Die heute ver öffentlichten Parlamentspapiere enthalten den Text der von Lord Kitchener am 7. August in Gemäßheit der ihm von der Re gierung ertheilten Instructionen unter Zustimmung der Regie rungen der Capcolonien und von Natal erlassenen Proclamation. Die Proclamation lautct: „Alle Kommandanten, Feldcornets oder Anführer be waffneter Banden, die Bürger der ehemaligen Republiken sind und noch immer den Truppen Seiner Majestät Wider stand leisten, sei es in der Oranjecolonie, Transvaal oder einem anderen Theile des Herrschaftsgebietes Seiner Majestät in Südafrika, und alle Mitglieder der Regierungen des ehemaligen Oranje - Frei staates und Transvaals werden, wenn sie sich nicht bis zum 15. September ergeben, für immer aus Südafrika ver bannt. Die Kosten der Unterhaltung der Familien der Bürger im Felde, die sich bis zum 15. September nicht er geben, fallen den betreffenden Bürgern zur Last, und sowohl das bewegliche, wie das unbewegliche Eigenthum dieser Bürger der beiden Colonien soll dafür haften." In der Proclamation sind, wie aus dem ihr vorhergegangenen Schriftwechsel ersichtlich ist, die Rathschläge des Gouverneurs von Natal in weitem Maße berücksichtigt worden, die dieser im'Namen der Minister von Natal am 24. Juli gemacht hat. Der 15. Sep tember ist als Termin vom Gouverneur Milner empfohlen worden. Die Proclamation ist eine neue Schmach für England, das mit ihr von Neuem der Welt das tick beschämende Eingeständniß unterbreitet, zu eine» Nicdertämpfung der beiden tapferen Boeren- völker mit den Waffen in der Hand, nicht fähig zu sein. Die hochmüthigige Gebieterin der Meere muß, um zum Ziele zu ge langen, zu solchen infamen Mitteln der Einschüchterung greifen, die, wenn sie wirklich zur Anwendung gelangen, allen geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen der Kriegführung und der Völker moral Hohn sprechen. Verbannung ist das Empfindlichste, was den Boeren treffen kann, da er mit Leib und Leben an der schwer erkämpften Scholle hängt, zumal die Maßregel auch den mate riellen Ruin aller von ihr Betroffenen in sich schließt. Wir sind gespannt, wie die Boeren die Proclamation Kitchener's beantworten werden, gehen aber wohl mit der An nahme nicht fehl, daß sie aus dem neuen Geständniß der mili tärischen Ohnmacht Englands die entsprechende Konsequenz ziehen werden. Präsident Krüger. * London, 9. August. Eine Depesche aus Rotterdam meldet, der Gesundheitszustand des Präsidenten Krüger verursache seiner Umgebung ernste Besorgnisse; ein berühmter Specialist sei telegraphisch von Berlin nach Hilversum berufen worden. Behandlung der Kriegsgefangenen in Ceylon. Der Alldeutsche Verband theilt uns folgendes Schreiben mit, das ihm aus dem Gefangenenlager Regamakamp auf Ceylon durch einen Zufall uncensirt zugegangen ist: Regamakamp, 26. 6. 01. Unser Leben im Regamakamp ist das denkbar traurigste und werden wir wohl Alle eine geschädigte Gesund heit als bleibendes Andenken von hier mit fortnehmen. Es fehlt uns an Bewegung, unser Kamp — ringsum von dünstenden Sümpfen um schlossen — ist viel zu klein, es ist kein Platz da, wir sind also auf den ständigen Aufenthalt in den Hütten bezw. zum Liegen auf unseren Pritschen angewiesen. Schwere Ver dauungsstörungen sind daher an der Tagesordnung! In Diyatalawa war wenigstens Platz, um sich auszulaufen, nach unserer Abreise im Januar — hier sind nur Ausländer — ist den Boeren noch viel größere Bewegungsfreiheit eingeräumt worden, kro tornia hat man uns auch hier einige Male Ge legenheit gegeben, kurz nach Sonnenaufgang unter starker mili tärischer Bedeckung außerhalb spazieren zu gehen. Froh, wenn auch mit nüchternem Magen, folgten wir zweimal der Auf forderung, Gefangenschaft und Kost hatten unsere Kräfte jedoch dermaßen geschwächt, daß wir von diesem Gang „vollständig aufgelöst" zurückkamen. Wie soll es uns später gehen, wenn es erst wieder mit der Hände Kraft das tägliche Brod verdienen heißt! Mangels Theilnehmern sind diese Spaziergänge in zwischen wieder eingestellt worden. Unsere Kost ist er bärmlich, das Fleisch ist fast immer ungenieß bar hart, die Kartoffeln sehr, sehr oft ver dorben; wir ernähren uns von Thee und trockenem Brod. Wo sollen da Kräfte Herkommen? Die Folgen dieser einseitigen Ernährung zeigen sich an unseren Zähnen, die glatt wegbrechen. Schreiber dieses hat beinahe alle seine Backzähne in dieser Zeit eingebüßt. Mit einem Stückchen weichen Holz putzen wir Armen uns die Zähne; Zahn bürsten, Zahnpulver können sich nur wenige Auserwählte leisten, Strümpfe haben wir schon seit Jahr und Tag nicht mehr ge sehen, als Handtücher dienen Fetzen zerrissener Kleidungsstücke. Bei unserem s. Z. Abschub erhielten wir ein Hemd und einen Zwirnanzug, das war unser ganzer Reichthum. Schon im März war nicht mehr viel davon übrig; seit dieser Zeit sind wir halbnackt herumgelaufen. Vor fünf Tagen erhielten wir endlich wieder eine neue Garnitur, d. h. nur Die, die kein Geld beim Kommandanten stehen haben, die Anderen müssen eS sich für eigene Rechnung kaufen. Die letzten Wochen war e» kühl und windig im Gegensatz zu der sengenden Sonnengluth der ersten Monate. Tag für Tag Regen und — unsere Hütten sind mit Palmblättern gedeckt! Sieben Achtel von uns leiden an Rheumatismus, Äthern« beschwerden, Fieber, Dyssenterie, Ver stopfung, Zahnschmerzen, Ohrengeschwüren, letztere Krankheit tritt epidemisch auf. Unsere Hände zittern, al» wären wir ganz alte Leute, All« sind wir so nervös, baß man oft Männer sitzen sieht, denen die Thränen in den langen Vollbart laufen, ohne daß sie recht sagen können, warum. Ein Taschentuch auswaschen läßt uns Ströme von Schweiß vergießen; der Aufenthalt hier ist eben zu ungesund. Unser alter Doctor ist mehrere Mckle beim Gouverneur wegen Verlegung unseres Kamps vorstellig geworden — er könne sonst für nichts stehen. Seine Eingaben haben den Erfolg gehabt, daß man ihn nach Indien versetzt hat. Jetzt versieht ein junger Arzt seinen Posten, und auch der hat schon wieder eine ähnliche Eingabe der Kampverlcgung ab geschickt. Müssen wir noch lange hier leben, dann kehren wir Alle geistig und körperlich vollkommen ver kümmert und verkrüppelt nach Hause zurück, unfähig, für die Existenz zu arbeiten. Was Wunder, wenn man daher immer nach einer Gelegenheit zur Flucht ausschaut. Alle Ver suche sind bisher mißglückt. Die mit Hilfe der Singhalesen Wiedereingefangenen wandern auf Wochen ins Gefängniß^nach Khandi, bestraft mit schwerer Arbeit oder Einzelhaft. Im Colomboer Gefängniß sitzen 6 Mann schon seit Monaten. Daß Ende vorigen Jahres ein gewisser Leopold Bedenkammer, an geblich aus Passau, Abends im Kamp beim Verlassen des Abortes durch einen wahrscheinlich betrunkenen Tommy einfach über den Haufen geknallt wurde — als fluchtverdächtig — dürften Sie wohl gehört haben. Unser deutscherConsul, der uns erst sechs Monate Zeit ließ, uns hier einzugewöhnen, ehe er uns besuchte, sagte allerdings, er sei Oesterreicher gewesen. Wir konnten über die Angelegenheit nie etwas schreiben, unsere Briefe unterliegen der schärfsten Censur, eingeschriebene Briefe an Konsulat oder auswärtiges Amt sind nicht erlaubt; wer Briefe von vier Seiten und mehr erhält oder schreibt, muß ge wärtig sein, daß sie ihr Endziel nie erreichen, so wenigstens schreibt der Censor Baumann, ein Deutscher im englischen Sold. Man macht mit uns, was man will. Als wir vor Kurzem uns weigerten, eine Liste, die ihnen als Information über gewisse Dinge dienen sollte, auszufüllen, wurden wir auf halbe Rationen gesetzt. Durch Hunger zwangen sie schließlich Halbverhungerte. Wann erbarmt man sich unserer end lich, fragen wir uns Tag für Tag! Oder ist alles Hoffen umsonst. Der Absender dieses Briefes ist ein Reichsdeutscher. Der Brief ist von ihm unterzeichnet; doch verbietet sich aus nahe liegenden Gründen die Veröffentlichung seines Namens. Was den Vorwurf gegen den deutschen Konsul in Colombo, Herrn Freudenberg, betrifft, so möchten wir uns den gegen diesen erhobenen indirecten Vorwurf nicht aneignen, so lange uns nicht weitere Beweise zu Gebote stehen, weil uns Herr Freudenberg als ein durchaus nationalgesinnter, gut deutscher Mann bekannt ist. Es fragt sich Wohl auch, wie weit ihm die von Berlin aus gegebenen Weisungen eine Intervention zu Gunsten der gefangenen Reichsdeutschen gestatten. Die Frage ist aber Wohl berechtigt, ob denn unser Auswärtiges Amt nicht in der Lage ist, für die gefangenen Reichsdeutschen von der eng lischen Regierung eine menschliche Behandlung zu erreichen. Dadurch, daß die betreffenden Reichsdeutschen gegen die Eng länder gekämpft haben, haben sie sich natürlich dem Schicksale ausgesetzt, von den Engländern in Gefangenschaft gehalten zu werden und hiergegen kann die deutsche Reichsregierung wohl höchstens auf dem Wege freundschaftlicher Vorstellungen etwas erreichen. Aber dadurch, daß die deutschen Reichsangehörigen gegen die Engländer gekämpft haben, haben sie doch nicht den Schuh des Völkerrechtes verwirkt und hier wäre es sehr wohl möglich, daß unser Auswärtiges Amt unter Berufung auf dasselbe eine menschliche und anständige Behandlung der Kriegs gefangenen deutscher Reichsangehörigkeit erwirkt. Wir bemerken noch, daß der Alldeutsche Verband ver schiedentlich Unterstützungsgelder aus seinem Boerenfonds nach Colombo gesandt hat und er wäre natürlich auch bereit, dies fernerhin zu thun; wie aber aus der Stelle des veröffentlichten Briefes, die die neue Vertheilung von Kleidern betrifft, hervor geht, würden dadurch nur der englischen Regierung Ver pflichtungen abgenommen werden, die sie selbst zu erfüllen hat. Die Wirren in China. Deutschland und Japan. Die „Japan Times" vom 25. Juni schreiben: „Di« japa nische Presse hat den Gefühlen aller nachdenkenden Japaner Rech nung getragen, wenn sie den Grafen Waldersce beim Betreten des Landes in einem Tone aufrichtiger Hochschätzung als einen der hervorragendsten Officiere der Jetztzeit und als den Oberbefehls haber begrüßt haben, unter dem die japanischen Truppen mehrere Monate gedient. Auch lenken die japanischen Blätter die Auf merksamkeit auf die Thatsache, daß der Feldmarschall schon des halb Anspruch auf die Gastfreundschaft und Hochschätzung hat, da er dem Lande angehört, welchem Japan betreffs der Unter weisung und Anregung für die Neugestaltung seiner Wehrkraft so sehr verpflichtet ist. Als deutschem Officier dürfte dem Grasen Waldersce die Ueberzeugung, daß die Japaner keine unwürdigen Schüler des deutschen Systems gewesen sind, zur Genugthuung gereicht haben. Die Hochschätzung und Bewunderung, die das japanische Volt dem Grafen Walderse« bewiesen hat, ist aber um so bemerkens- werther, als unglücklicher Weise nicht mit gutem Gewissen be hauptet werden kann, daß diese Gefühle ein Ausfluß der all gemeinen freundschaftlichen Gesinnung zwischen den beiden Völkern sind. Es hat keinen Werth, zu verschleiern, denn es ist eine unleugbare Thatsache, daß es unter den einsichtsvollen Ja panern nur Wenige giebt, die die Politik Deutschlands während der letzten Jahre im fernen Osten bewundern oder billigen. Die Nichtjapaner, die die allgemeine Meinung und Auffassung in Japan zur Zeit der Intervention der Macht« nach dem Kriege mit China vor sieben Jahren und seitdem genau verfolgt haben, müssen bemerkt haben, daß der Groll der Iapan«r gegen Deutsch land noch größer ist, als gegen Rußland und Frankreich. Daß Rußland begierig war, den Japanern Liaotung aus den Händen zu reißen, ist verständlich; ja, man erkennt sogar bi» zu einem aewiffen Grade di« Gründe an, au» denen Rußland sich zwischen Japan und sein« wohl leicht errungene SiegeSbrute stellte. Ebenso leicht war e» zu verstehen, daß Frankreich mit sein«m Bunde»- genoffen und Freund gemeinsame Sache machte; «S konnte sich dem gar nicht entziehen. Aber mit Deutschland lagen di« Dinge denn doch wesentlich ander». Wenigstens denken di« Japaner so. Bi» zu dem Augenblick«, wo der deutsche Gesandte an jenem verhängnißvollen Lprilmorgen im Jahr« 1895 mit seinem russi schen und seinem französischen Kollegen im Auswärtigen Amts vorfuhr, glaubten die Japaner, mit ihren Lehrern und Führern, die sie nicht nur auf dem Gebiete der Kriegskunst und Kriegs wissenschaft, sondern auch auf dem der Künste und Wissenschaften des Friedens schätzen gelernt hatt«n, auf d«m besten Fuße zu stehen. Die Meldung, daß Deutschland einen thätigen, wenn nicht gar einen leitenden Antheil an dem verhängnißvollen Drama hatte, kam dah«r den Japanern völlig überraschend und betäubend. Zweifellos mußten di« Staatsmänner in Deutsch land Gründe, und zwar gute Gründe haben, sich dem Japan feindlichen Bunde anzuschließen; aber diese Gründ« waren für die Japaner nicht so klar zu erk«nn«n, wie di« Rußlands. Deutschland besaß keine territorialen oder anderen Interessen in diesem Teile der Welt, die durch die Besitzergreifung der Halbinsel Liaotung durch die Japaner in Gefahr gebracht wurden, wie Rußland. Unter diesen Umständen mußten die Japaner zu der Auffassung kommen, daß die Handlungsweise Deutschlands mehr durch Rassen- und religiöse Vorurthene bestimmt sei, als durch unvermeidlich« Erwägungen nationaler Interessen. Jedenfalls wurde in Folge dessen das Gefühl der Japaner gegen Deutsch- land viel bitterer, als gegen dessen Verbündete. Die unfreund liche Stimmung, die so in der Brust des japanischen Volkes er zeugt wurde, ist später durch die 'weitere Entwickelung der deut schen Politik im fernen Osten nicht verbessert worden. Wir haben die Aufmerksamkeit auf diesen unfreundlichen Stand "der Dinge gelenkt, nicht um unserem Groll Luft zu machen, sondern lediglich und allein, weil wir die Entfremdung zwischen zwei Völkern bedauern, die nach unserer Auffassung sehr wohl in wechselseitiger Freundschaft leben können. Wir hoffen, daß in nicht zu ferner Zeit der Tag kommen mag, wo beide Nationen sich besser haben kennen gelernt und gemeinsam an den Werken der Civilisation und des Handel» im fernen Osten arbeiten können und werden." * Pari», 9. August. (Telegramm.) General Succillon, der am 8. August da» Commando über die Besatzungsdrigade in China übernommen hat, meldete, daß die Generale Voyron und Baillond mit mehreren Officieren nach Japan abgereist sind. Derrtschps Reich. Leipzig, 9. August, (Lehrerschaft, Socraldemo- kratie undKlerikalismus.) Man schreibt uns: Di« vom Centrumsveteran Edmund Jörg herausgegebenen „Historisch-Politischen Blätter" beschäftigen sich in sehr merkwürdiger Weis« mit der französischen Ordensgesetz gebung. Die genannte klerikale Monatsschrift erhebt in dem be treffenden Artikel gegen die deutschen Lehrer An schuldigungen, die zur Beleuchtung der klerikalen Lehrer freundlichkeit dienen können. Nachdem die „Hist.-Polit. Blätter" mit einem Eifer, der jedem Pariser Nationalistenblatt zur Ehre gereichte, die französische Regierung beschworen hat, 'wegen der auswärtigen Machtstellung Frankreichs die Orden, insbesondere die Schulorden nicht zu vernichten, fahren sie wörtlich fort: „Für die inneren Zustände und Verhältnisse ist der Fort bestand aller Gemeinschaften von höchster Wichtigkeit und Nothwendigkeit. Niemand kann leugnen, daß die geistlichen Schulen, hohe wie niedere, zu den besten gehören, die es giebt, das Vertrauen Aller genießen . . . Hochwichtig ist aber, daß die Ordensleute nicht blos durch Lehre, sondern auch durch Beispiel erziehen, Tugenden einflößen, welche unschätzbar für das Gemeinwesen sind. Die Ordensleuie und Priester geben ihren zwei Millionen Zöglingen täglich das Beispiel der Ge nügsamkeit, Zufriedenheit, Anspruchslosigkeit, der Hingabe für den Nächsten, für das Allgemeine. Der sein« Bedürfnisse auf das Nothwendigste bestreitende Schulbrudcr, oder die Schulschwester, giebt den Kindern doch ein anderes Beispiel als der Lehrer, welcher wirth- schaftlich viel besser steht, als die Eltern seiner Zöglinge, — dabei fortwährend, sogar öffentlich, durch Vereine, Versamm lungen und Zeitungen nach Erhöhung des Gehaltes strebt . . . Alle Beobachter stimmen darin überein, dem Bei spiele der Ordenslehrer und Schulschwestern, welches auch auf di« weltlichen Lehrer wirkt, ist «s zu verdanken, daß in Frankreich der Socialismus, trotz allen Vor schubes seitens der Politiker und Schriftsteller, noch nicht entfernt so ins Volk gedrungen ist, als in Deutschland. Im neuen Reiche kann man g«nau ver folgen, daß gerade in den Städten (z. B. Berlin, Leipzig, Hamburg u. s. w.), wo die Lehrer am üppigsten gestellt und am anspruchsvollsten sind, die Socialdemokratie am meisten rns Krautge- s ch o s s e n i st." Mit schwächeren Gründen ist schwerlich jemals für die geist liche Schule Propaganda gemacht worden. Mit am haltlosesten ist der Vergleich der französischen und der deutschen Sociakoemo- kratie. Es ist ja nur zu begreiflich, daß in der Tendenz, die katholische Kirche als Bollwerk gegen di« Socialdemokratie aus zugeben, von klerikaler Seite angeblich Erfolge der geistlichen Schulen schönfärberisch dargestellt werden. Wo aber die That- sachen eine so beredte Sprache führen, wie in Frankreich, sollte sich jen« Schönfärberei doch wenigst«»» in gewissen Grenzen halten. Nach den Kammerwahlen vom 8. und 23. Mai 1898 wurden in Frankreich 74 radikale Socialisten und 57 sonstige Socialisten, zusammen also 131 Socialisten, gewählt. Die FractionSliste des deutschen Reichrtage» dagegen weist für die Session 1900—1901 57 Socialdemokraten auf. Wenn nun auch die französische Kammer 584 und der deutsche Reichstag nur 397 Abgeordnet« zählt, so ist dos Verhältniß immer noch sehr un günstig für Frankreich. Entsprechend der Machtstellung des französischen Socialismus, hat denn auch ein Sociolist seinen Einzug in daS französische Ministerium gehalten. Wie darf unter solchen Umständen behauptet werden, daß der Socialismus in Frankreich nicht entfernt so ins Volk gedrungen sei, als in Deutschland? Der Vergleich der Schulbrüder mit den Lehrern ist ebenfalls vollkommen unhaltbar. Auch nach der Aufbesserung
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