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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001022019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102201
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- Images teilweise schlecht lesbar
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Amtsötatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Raches nnd Nolizei-Ärntes -er Ltadt Leipzig. 538. Montag den 22. October 1900. Anzeigett Preis -ie »'»gespultem' Petitjrile 2.1 Reclamen unter dem Redactionsstrich (4gespa!ten> 7', vor den Familiennach- richten >6gespalten) 5>l) Tabellarisü^r nnd Ziffernsap entlprcchrnd böbec. - Gebühren sür Nachweqiuigeil und Offectenaniiayme 25 (excl. Porto). (Srtra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./l 60.—, mit Postbesörderung .St 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei brn Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedition zu richten. - Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 84. Jahrgang. Die Wirren in China. Mukden. Zu Anfang dieses Monats haben die russischen Truppen — wie jetzt erst amtlich gemeldet wird — Mulden besetzt und damit nicht allein den wichtigsten strategischen Punct im nördlichen China, sondern auch eine Stadt, welche handelspolitisch von größter Bedeutung ist, in ihre Hände belommen. Mukden ist nicht nur die Hauptstadt der Provinz Schöng- ting, sondern auch der zukünftige Knotenpunct der Ostchinesischen (Mandschurischen) Eisenbahn in ihrem südlichen Ausläufer von Stirin nach Port Arthur und der bereits theilweise fertig gestellten Eisenbahnlinie Mukden-Lin-ju-Tientsin-Peklng. Es ist außerdem Hauptstation der Landtelegraphenlinien, die von hier auS über Kiautschau nach Tientsin, ferner über Söul durch Korea führen, um dann als Unterseekabel Japan zu erreichen. Auch ist Mukden Station der Landtelegraph nlinie über Kirnt nach dem russischen Usfuri-Gebiet, und die Telegraphenlinie, die später die Mandschurische Bahn begleiten wird, findet hier Anschluß. Endlich soll Mulden noch telegraphisch über Nuit- schuan mit Port Arthur in Verbindung gesetzt werden. Was die strategische Bedeutung von Mukden angeht, so ist es das operative Mittelglied zwischen dem östlichen China und Korea. Die Japaner hatten deshalb auch im Kriege 1894 die Landoperationen anfänglich in der Richtung auf Mukden an gesetzt. Schwierigkeiten in der Verpflegung, Geländehinder- niffe, sowie der Eintritt der schlechten Jahreszeit liehen sie aber schließlich von dem Vormarsche auf Mukden absehen. Sie ver legten den Schwerpunkt ihrer Operationen auf Eroberungen in Tschili. Mukden liegt in operativer Reichnähe des großen Liou-Flusses, dessen Lauf den bedeutendsten Abschnitt bildet zwischen der südlichen Mandschurei, den Provinzen Kirni, Schöngkinq und der Provinz Tschili mit Peking. Endlich treffen in Mukden die großen Straßen aus dem Osten und Norden zusammen, um von Mukden aus in eine Hauptstraße vereinigt, in westlicher Richtung erst den Liou- Fluß zu überschreiten und dann nach Süden sich der Meeres küste zuwendend, schließlich wieder in westlicher Richtung Peking zu erreichen, welches von Mukden in der Luftlinie 550 Kilo meter abliegt. So kann Mulden ohne Ueberireibung in gewissem Sinne als der Schliisselpunct der sogenannten russischen Interessen sphäre in China, und zwar für die großen Gebiete von Peking östlich bis zum Meere, bezeichnet werden. Bei dieser Sachlage hat auch bis auf Weiteres Peking für die Ziele russischer Politik nur untergeordnete Bedeutung. Der Besitz von Mukden ist Rußland vorläufig militärisch, wie handelspolitisch, wichtiger, wie derjenige der seitherigen Reichshauptstadt. Cvurtoisie eines französischen Generals gegen deutsche Truppen. Aus Tientsin, Anfang September, wird uns berichtet: Bekanntlich sind Anfang August auch zwei deutsche Matrosen detachements nach Peking aufgebrochen. Von Interesse dürfte dabei noch der Umstand sein, daß die Abtheilung vom 9. August auf französische Anregung zusammen mir einem französischen Detachement aufgebrochen ist. Der französische General wandte sich nämlich in einem an demselben Tage ab gehaltenen Kriegsrath an die Vertreter der deutschen, öster reichischen und italienischen Contingente mit dem Vorschläge, an dem Vormarsch auf Peking theilzunehmen. Es wäre nur natürlich, so führte er aus, daß die Truppen, die bisher so Vorzügliches geleistet hätten, auch der Ein nahme von Peking beiwohnten. Er selbst sende noch 80 Mann jur Front und würde sich freuen, wenn Deutsche, österreichische und italienische Matrosen mit diesen zusammen aufbrächen. Er stelle ihnen gern seine Proviantcolonnen zur Verfügung. Capitän Pohl erwiderte hierauf, daß er ohnehin mit einem deutschen Detachement so schnell wie möglich zur Front aufzubrechen beabsichtige und den Vorschlag des Generals daher mit Dank annehme. So brachen denn noch an demselben Tage die Matrosen der Drei bundsmächte zusammen mit der französischen Abtheilung von hier auf, und zwar unter dem Commando des genannten deut scheu Officiers, der der rangälteste Detachementsführer war. Die TchreckenSzeit in Peking. (Fortsetzung.) Beruhigende Nachrichten. Indessen auch dieser Erlaß gab einen vollständigen Sinnes- wechsel zu erkennen. Die Missionare, die kraft des Erlasses vom 2. Juli „in ihre eigenen Länder ausgetrieben" werden sollten, waren nach dem Erlaß vom 18. Juli „in jeder Provinz zu be schützen, zu beschützen ohne die geringste Nachlässigkeit". Der Trotz und die Kriegslust, die aus den Erlassen sprach zu der Zeit, als unsere Truppen zurückgedrängt wurden, war ver schwunden, in ihrem Ton bemühten sie sich jetzt, uns gerecht zn werden und uns zu versöhnen. Das ließ nur die eine Deutung zu, daß die Chinesen geschlagen worden sein mußten. Noch an demselben Tage kam die Bestätigung dieser Muth- maßung. Ein von den Japanern abgesandter Bote kam glück lich durch die feindlichen Linien und brachte uns die so lange erwartete Nachricht. Dadurch erfuhren wir, daß General Futuschima mit 4000 japanischen Soldaten am 29. Juni in Tientsin eingetroffen sei, daß ferner 4000 Russen, 2000 Briten, 1500 Fran zosen, 1500 Amerikaner und 500 Deutsche ge landetseien, daßdie Chinesen st adt von Tient sin am 14. genommen worden und daß das Arsenal in den Händen der Verbündeten sei. Wir erfuhren weiter, daß eine Division der japanischen Armee Hiroschima am 8. Juli verlassen habe und am 20. in Tientsin erivartet werde, und daß eine zumeist aus Japanern bestehende Expedition zu unserm Entsatz sofort abgehen solle. Das bedeutete freilich, daß jetzt, am 18. Juli, der Entsatz uns noch ferner war, als er es am 18. Juni unserer Meinung nach gewesen; jedoch begrüßte Jeder diese Nachrichten mit Befriedi gung. Die Wahl des Führers erschien uns vortrefflich, denn General Fukuschima ist in Peking eine bekannte Persönlichkeit; er war hier mehrere Jahre der Gesandtschaft attachirt und nahm einen hervorragenden Antheil am Kriege mit China, insbesondere hatte er die Kundschaftsberichte bearbeitet, auf die sich der ganze Feldzugsplan gründete. Er war cs auch, der quer durch Asien von Berlin nach Wladiwostok ritt und bei seiner Landung in Japan mit ähnlichen Ehrenbezeugungen empfangen wurde, wie ein Moltke, der aus einem siegreichen Kriege heimkehrt. Derselbe Bote überbrachte dem französischen Gesandten einen Brief, der ihm kund that, daß er mit einer höheren Classe der Ehrenlegion ausgezeichnet worden sei, daß Frankreich dem chinesischen Gesandten die Pässe zugestellt habe, und daß China ihm schleunigst neue Beglaubigungsschreiben gesandt und ihn an gewiesen habe, den Beistand der befreundeten Republik anzu rufen, deren Gesandtschaft in Peking zu derselben Zeit kaiser liche Truppen unter dem Befehl Dunglu's durch Schießpulver in die Luft sprengten. Auch dem belgischen Gesandten brachte der Bote eine Depesche seines Consuls in Tientsin. Nur nicht ängstlich, hieß es darin, bleiben Sie ruhig. Sollte ihm ein Unglück zustoßen, so würden die Interessen Belgiens darunter nicht leiden, Herr de Cartier, der Geschäftsträger in Peking ge wesen und schon auf dem Wege nach Hause war, sei in Shang hai angehalten worden und habe Weisung erhalten, im Falle seines Todes als Gesandter aufzutreten. Für den Gesandten Herrn Joostens war das eine recht erbauliche Kunde. Die folgenden Tage verliefen ruhig, obwohl das Schießen nie ganz aufhörte. Ein Russe wurde getödtet, ein Oesterreicher, ein Italiener und ein Japaner wurden verwundet. Im Fu konnten sich die christlichen Flüchtlinge immer noch nur mit Lebensgefahr bewegen, mehrere von ihnen wurden verletzt und zwei erschossen. Das Damen wurde von Tag zu Tag versöhnlicher, so daß wir nachgerade die Fortschritte der Entsatztruppen an dem Grade, in dem die Minister sich zu Vertheidigen suchten, abmessen konnten. Aber wir waren immer noch aufs Strengste von jeder Zufuhr abgeschnitten, und die chinesischen Christen litten bittere Noth. Chinesische Botschaften an die Mächte. Am 21. erfuhren wir, daß den Gesandten der Mächte De peschen des Tsung li Damen zugegangen seien, denen Ab schriften der Noten beigelegt waren, die der Thron an die Re gierungen der von ihnen vertretenen Staaten gerichtet hatte. Aus den Mittheilungen an Sic Claude Macdonald ging her vor, daß dec Große Rath am Juli ein Telegramm des Kaisers von China an die Königin abgesandt habe, worin England Beistand angerufen wurde, um China aus seinen Verlegenheiten herauszuhelfeu. Das Damen setzte hinzu, die Depesche sei „schon längst abgesanvt", der Gesandte erhalte sie daher in Abschrift. Das Telegramm war deshalb besonders interessant, weil es am Tage nach der Veröffentlichung des kaiser lichen Erlasses abgesandt worden war, der anbefahl, daß die Christen ausgerottet werden sollten, der die treuen und patriotischen Dienste, die die Boxer durch das Verbrennen und Abschlachten der Christen geleistet, in den Himmel hob und dir Austreibung aller christlichen Missionare aus China anordnete. In dem Telegramm hieß es unter Anderem: „Kürzlich haben in Folge der Feindschaft zwischen der Bevölkerung und den chinesischen Christen ordnungsscheue Leute die Gelegenheit er griffen, gesetzwidrige Thaten zu begehen. Die Folge war, daß alle Mächte den Thron verdächtigten, daß er diese Leute unter stütze und den Christen feindlich gesinnt sei, und das Ergebniß war die Besetzung der Forts von Taku. Seitdem drohte der Krieg auszubrechen und ist die Lage immer verwickelter geworden, Nun beruhen die Beziehungen Englands besonders auf dem Handel mit China, von dem neun Zehntel britisch sind. Eng lands Haltung ist stets freundlich gewesen und es strebt nicht nach Gebietszuwachs. Aber dieser Krieg gegen alle Mächte kann ungünstig für China verlaufen und in dem Falle könnte eine andere Macht die Gelegenheit benutzen und chinesisches Gebiet be setzen. Das würde für England so nachtheilig sein, wie für China. An England allein wendet sich deshalb China, damit es ihm Helse, aus seinen Schwierigkeiten herauszukommen." Vermuthlich wurde derselbe Brief an den Präsidenten der Ver einigten Staaten gesandt, und er war es, der die Erwiderung veranlaßte: „Die Vereinigten Staaten werden China mit Freuden beistehen". Die chinesische Vertheidigungslinie am Tage der Abrechnung stellte sich offenbar folgendermaßen dar: Nicht die kaiserlichen Truppen hatten auf die Gesandtschaften von der kaiserlichen Mauer und der Stadtmauer aus mir Shrapnels, Vollkugeln und Explosivstoffen gefeuert, sonvern Banditen, die die chinesische Regierung gern unterdrückt hätte, aber nicht zu unterdrücken im Stande war. Chinesische Truppen hatten vielmehr die Gesandtschaften „beschützt" und sie „mit Nahrungsmitteln versorgt". Daß diese selben Banditen in kaiserlichen Erlassen als treu und patriotisch belobt worden waren, stand dazu zwar im Widerspruch, aber ihn wegzudispu- tiren, konnte ruhig der unverzagten Lügenhaftigkeit eines Lofen- gluh (Gesandten in London) oder eines Wutingfang (Washing ton) überlassen werden. Sir Robert Hart Am 22. ging Sir Robert Hart eine Depesche des Tsung li Damen zu. Die Minister bemerkten darin ganz harmlos, es sei Die Verschwörung M Cordillera. Nach dem Ungarischen von Armin Ronai (Pest). Nachdruck verbcUu. Ganz Columbia war einfach weg. Einen solchen Tenoristen hatte man in ganz Amerika noch nicht gehört, geschweige denn in der bescheidenen Hauptstadt der kleinen, centralamerikanischen Republik Cordillera. Don Miguel, der glückliche Besitzer dieser phänomenalen Tenorstimme war aber auch nirgends mit solcher Begeisterung gefeiert worden, als gerade hier. Für die Oper bedeutete sein jedesmaliges Auftreten ein ausverkauftcs Haus, zweitausend bezahlte Billets. Nach jeder Arie, die Miguel sang, brachte man ihm eine halbe Stunde lang Ovationen dar. Nach jeder Vorstellung trugen ihn begeisterte Jünglinge auf den Schultern nach Hause. Selbst wenn er am Tage aus fahren wollte, spannten ihm Kunstbegeisterte die Pferde aus, Männlein und Weiblein griffen zur Deichsel und zogen ihn im Triumphe durch die Straßen. Daß man nur noch Miguel- cravatten, Miguelkragen und -Hüte trug, ist selbstverständlich. Kurz, der Miguelcultus stand in Columbia auf der allerhöchsten Stufe. Die Lieblinge des Publikums von gestern und ehe- gestern waren vergessen. Noch vor wenigen Wochen war der Tenorist Pedro ebensosehr gefeiert, dann kam der Miguel- rummel, und Pedro verschwand in der Versenkung. An seine Triumphe dachte in Columbia kein Mensch mehr. Es war nach dem zweiten Aufzuge des „Faust". Der Tenorist Miguel saß auf einer Chaiselongue in seiner Garderobe und ruhte ein wenig aus. Da trat eine Gestalt herein, in einen langen, schwarzen Mantel gehüllt, das Gesicht mit einer schwarzen Maske bedeckt. Kaum war die Person im Zimmer, so schloß sie die Thür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Miguel sprang erbleichend auf. „Wer sind Sie?" fragte er mit bebender Stimme. „Nur langsam, verehrter Herr", antwortete der Vermummte; „was wollen Sie zuerst wissen?" „Wer Sie sind und was sie von mir wollen?" schrie Miguel, am ganzen Leibe zitternd. Der Vermummle nahm sich einen Stuhl und setzte sich breit hin. Dann sprach er mit aller Ruhe: „Mein Herr! Sie kennen die hiesigen Verhältnisse noch nicht. Woher denn auch? Dor ein paar Monaten waren Sie ja noch am Manzanares zu Hause. Nun, so hören Sie: Ich bin der Generalsekretär de» ersten Cordillarischen Centralverein» für Re volution und Staat-umwälzung." „Und wa» wollen Sie von mir?" fragte Miguel, in höchstem Erstaunen über den sonderbaren Gast. „Sie werden mich sofort verstehen. Die Angelegenheit ist Lberau» wichtig. Sie, Don Miguel, sind heute der populärste Mann in ganz Cordillera! Stellen Sie sich an die Spitze unserer Verschwörung; und ehe e» Mitternacht wird, sind Sie Präsident der Republik." »DH, großartig, — daran konnte ich natürlich nicht denken. Sie erlauben aber wohl die Bemerkung, daß für diesen Posten ein Soldat doch besser paßte, ich meine Jemand, der auch etwas vom Kriegführen versteht." „Aber nein, das ist ganz und gar nicht nöthig. Unser erster Präsident war ein Schafhirt, der zweite ein Arzt, der dritte Jockey, der fünfundzwanzigste ein Schneider, der zweiundsieb zigste Advocat, der hundertste rin Circusclown . . „Genug! Halten Sie ein. . . . Ja, wieviel Präsidenten hatten Sie denn schon?" „Nun, ich denke — warten Sie mal — seit Bestehen der Re publik ungefähr acht- bis neunhundert. Jeder Präsident hat durchschnittlich fünf Tage regiert. Freilich muß ich auch der Wahrheit gemäß hinzusetzen, daß von ihnen nur etwa zehn eines natürlichen Todes gestorben sind, ich meine damit den Tod aus dem Schlachtfelde gegen die jeweilige andere Partei — die an deren hat man aufgehängt, erschossen, ins Wasser gestürzt, ge viertheilt, ins Rad geflochten oder lebendig verbrannt." „Hm, ein etwas unruhiger Posten, Ihre Präsidentschaft." „Allerdings, es ist nicht zu leugnen — etwas bewegt, aber dafür auch sehr lohnend." „So, welches Gehalt bezieht er denn?" „Gehalt? Lächerlich! Was für überlebte europäische Be griffe haben Sie! Bei uns bezieht überhaupt Niemand einen Gehalt, sondern es ist für jeden Staatsbeamten gewissermaßen officiell festgestellt, wieviel er aus dem öffentlichen Vermögen stehlen darf. Nur der Präsident bildet darin eine Ausnahme: der darf stehlen, so viel er will." „Und hat denn Ihre Partei genügenden Anhang?" „Das will ich meinen! Momentan freilich sitzen unsere Ge nossen fast Alle im Gefängniß. Aber um Mitternacht können Sie sie ja befreien. Schließlich müssen wir das auch thun. Wir hätten ja sonst keinen Platz, um die Gegenpartei einzusperren." „Die ganze Gegenpartei wird also in den Kerker geworfen?" „Die ganze gerade nicht, wohl aber der Präsident, die Mi nister, die höheren Staatsbeamten. ... Zu tief dürfen wir nicht greifen, sonst würden wir ja das ganze Land entvölkern. (Übri gens können wir ja die Details später besprechen. Die Haupt sache ist vorläufig: Nehmen Sie den Vorschlag an oder nicht?" „Und wenn ich nicht annehme?" „Ich habe auch daran gedacht." Damit nahm der Vermummte einen runden, schwarzen Gegenstand aus der Tasche und ließ ihn aus einer Hand in die andere gleiten. „Errathen Sie, Don Miguel, was das ist?" „Ein Rettich." „Nun ja, so sieht es wohl aus. Aber das Ding ist aus Eisen." „Aus Eisen?" „Jawohl. Und gefüllt mit Singurit." „Was ist denn das nun wieder?" „Was Singurit ist? Herr, ich sage Ihnen nur so viel: Dvnamit, Eirasit, Melinit oder Nitroglycerin ist dagegen die reinste Buttermilch. Sehen Sie mal, wenn ich diesen Rettich hier fallen ließe — von dem ganzen Theater mit seinen zweitausend Besuchern bliebe nicht die Spur zurück, ganz Cordillera zerfiele in Trümmer, und Sie selbst, verehrter Meister, wären von diesem Augenblicke an nichts weiter al» Luft — Atmosphäre." Der Tenorist zitterte wie Espenlaub. Es ging ihm bald heiß, bald eisig kalt über den Rücken. „Um Go — ottes ... wi — illen", stotterte er. „Sie werden doch da- Di — ing hier nicht fallen lassen?" „Keineswegs — wenn Sie die Präsidentschaft annehmen." „Aber freilich nehme ich an", versicherte der geängstigte Sänger hastig, „ich acceptire mit tausend Freuden! Cs war ja der schönste Traum meiner Jugend, einmal Präsident von Cordillera zu werden! Aber, nicht war, lieber Freund, den „Faust" darf ich doch zu Ende singen?" „Natürlich, das wird ja nur Ihre Popularität steigern! Also leben Sie wohl. Nach der Vorstellung erwarte ich Sie am Künstlerausgang, und dann geht es direct ins Regierungs gebäude." Damit entfernte sich der Fremde. Die Singuritbombe hatte er aber auf dem Tische vergessen. . . . Als der Tenorist das bemerkte, trat kalter Schweiß auf seine Stirne. Was fing er nun mit diesem entsetzlichen Gegen stände an? Wenn die Kugel vom Tische rollte, war das Malheur fertig. Eine Ratte konnte das Ding beschnuppern, oder sonst eine kleine Erschütterung — und das Theater, mit Allem, was drin war, hatte aufgehört zu existiren. Er nahm die Bombe mit äußerster Vorsicht in die Hand und dachte nach, was er eigentlich beginnen sollte. Ohne Aufsicht durfte er sie nicht liegen lassen, das stand bei ihm fest. Einen Dritten in die Sache einzuweihen, war auch gefährlich. Eben klingelte der Jnspicient. Er mußte hinaus, die Vor stellung nahm ihren Fortgang. Da faßte Don Miguel einen Einschluß: er steckte die Bombe einfach in die Tasche. So war er wenigstens sicher, daß keine äußere Einwirkung die Katastrophe herbeiführen konnte. Hochaufathmend betrat er die Bühne. . . . Aber welches Gefühl beschleicht ihn da? Das Lampenfieber seiner längst entschwundenen Anfängerzeit in hundertfacher Potenz! Eine ungeheure Aufregung durchrast alle seine Glieder. Alles tanzt vor seinen Augen. Das Publicum empfängt ihn mit einem donnernden Applaus. Aber er weiß kaum, was ihm geschieht. Er sieht und hört nichts — er muß immer wieder an die Bombe in seiner Tasche denken. Nun will er singen. . . . Doch kein Ton dringt aus seiner Kehle. Der Kapellmeister stampft mit den Füßen und fuchtelt wie besessen mit den Händen in der Luft herum; das Orchester verstummt und fängt wieder von vorne an; der Director ist sprachlos vor Schreck, der Souffleur fällt in Ohnmacht — aber Don Miguel kann keinen Ton singen. Er reckt sich krampf haft in die Höhe, öffnet den Mund so weit, daß eine ganze Oper hätte herausdringen können, aber was der sieggewohnten Kehle entströmt, ist nicht lieblich zu hören. In vorsintfluthlichen philharmonischen Concerten dürften die zweiten Bässe der Jchthyosaurusse derartige Grunztöne von sich gegeben haben. Es war furchtbar anzuhören. . . . Der Tenorist Miguel stand schreckensbleich, mit krampfhaft wogender Brust auf der Bühne. Mit der einen Hand drückte und würgte er seine widerspenstige Kehle, mit der anderen preßte er die Singuritbombe an sich. Dor seinen Augen sprühte es in allen Farben, und er hatte total vergessen, was er seiner Rolle schuldig war. Das Publicum war anfangs starr vor Erstaunen über diese Wandlung. War das Miguel, der göttliche Miguel, der vor kaum einer halben Stunde noch dastand und sang wie ein Apoll? Das Monstrum Publicum vergißt aber rasch. Di« Stimmung schlug bald in» Gefährliche um, dir Mmschen begannen einen Hexensabbath aufzuführen. Man brüllte, johlte, pfiff und warf mit den unmöglichsten Gegenständen nach der Bühne. Der Vorhang wurde heruntergelassen. Der Jnspicient trat vor und bat um etwas Geduld, Herr Miguel fühle sich unwohl, werde aber in einer Viertelstunde wieder auftreten. Dieser saß in seiner Garderobe und schluchzte bitterlich über das unvermuthete Malheur. Der Director stand neben ihm, rang verzweifelt die Hände und fragte fortwährend nach dem Grund seiner plötzlichen Indisposition. Aber Miguel hatte nicht den Muth, zu verrathen, daß er an der Spitze einer revolutionären Bewegung stehe und schon in kurzer Zeit Präsi dent der Republik Cordillera sein werde. Er befürchtete, ver haftet und »och vor der Zeit justificirt zu werden. Nach einer Viertelstunde trat er wieder auf. Revolution und Singuritbombe hatten ihn aber für diesen Abend definitiv unmöglich gemacht. Was aus seiner Kehle kam, waren nur unartikulirte Laute. Jeder Versuch, die Arie zu beginnen, zog einen schrecklichen „Gickser" nach sich. Nun war das Publicum nicht mehr zu halten. Die Cordillereaner konnten schrecklich sein. Im Nu war die Bühne mit Orangen, Aepfeln, Kartoffeln, Zwiebeln, faulen Eiern, leeren Bierflaschen, Stöcken und Stühlen bedeckt. Alles, was im Theater nicht niet- und nagelfest war, flog über die Rampe, dazu noch das tolle Geschrei der aufgeregten Menge — einen solchen Hexensabbath hatte selbst das vielerfahrene National Theater in seinen Räumen noch nicht erlebt. Erst stand Don Miguel wie versteinert da und blickte, die Arme verschränkt, in das Getöse. Dann packte ihn wilde Verzweiflung, und er stürzte von der Bühne hinweg, geschminkt und costümirt hinunter auf die Straße. Unten stand, seiner harrend, der Vermummte. „Mein Herr", rief er, als er Miguel erblickte, „Sie haben uns schändlich betrogen. Sie haben sich heute um Ihr ganzes Ansehen, um Ihre Popularität gebracht. Einen Menschen, den das Publicum ausqepfiffen hat, können wir nicht zum Präsi deuten brauchen. Ich ziehe meinen Antrag zurück. Geben Sie mir meine Bombe wieder." „Deine Bombe, Halunke", schrie der Tenorist mit fürchter licher Entschlossenheit, „hier hast Du sie, gehe auch Du mit uns zu Grunde!" Damit warf er die Kugel mit großer Gewalt zu Boden. Die Bombe sprang einige Male in die Höhe und rollte dann fromm und geräuschlos in den Rinnstein. „Was ist das?" stammelte Miguel, und rieb sich die Augen, als erwache er aus einem schweren Traume. Der Vermummte war schon in sicherer Entfernung. „Was das ist?" rief er hohnlachend zurück. „Hahaha! Das ist Kautschuk, und ein schöner Gruß von Ihrem Kollegen Pedro, der morgen Abend die Ehre haben wird, an Ihrer Stelle den Faust zu singen." Damit war er im Dunkel der Nacht verschwunden. Am anderen Abend feierte der Tenorist Pedro al» Faust im National-Theater zu Cordillera die großartigsten Triumphe, und das Publicum war allgemein der Ansicht, noch nie einen solchen Tenoristen gehört zu haben.
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