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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001026023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102602
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Ämlsvlatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 26. October 1900. Anzeigen. Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach« richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Myrgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Vie Wirren in China. Expedition nach Paotingfu. Vom General Gaselee sind felgende Depeschen in London eingegangen. Die erste datirt vom l8. d. M. auS dem Lager bei Ngan-su. Sie lautet: Ich gevenke morgen in Paotingfu einzutreffen, wo die von Peking und von Tientsin kommenden Truppen der Berbündetcn zusammentresfen sollen. Wider stand wurde uns nicht geleistet, da die chinesischen Truppen sich zurückgezogen haben und wir auf Boxer nicht gestoßen sind. Der Gesundheitszustand der Truppen ist bei der Colonne aus Peking vorzüglich. Von General Campbell habe ich über die Tientsiner Colonne nichts gehört. Vorräthe an Getreide und sonstigen Nahrungsmiueln stehen uns gegen Bezahlung im Ueberfluß zu Gebote. Die TranSportverhält- niffe sind gut. — Die zweite, auS Paotingfu den 20. October dalirte MeldungGaselee's lautet: Die unter meinem Befehl stehende Streitmacht der Verbündeten traf gestern hier ein. Heute wurden an den Thoren der Stadt Wachen auf gestellt, von britischen, deutschen, französischen und italienischen Truppen. Sämmtliche Generale der Expedition machten, begleitet von kleinen Truppenabtheilungen, einen Zug durch die Stadt. Darauf wurden die Ouartiere der Occupationstruppen verlheilt. Ich werde die meisten britischen Truppen rin Lager hallen und warte jetzt die Anordnungen deö Feldmarschalls Grafen Walderste be züglich der weiteren Schritte ab. Die Einwohner sind zu meist in der Stadt geblieben und von Feindseligkeiten liegen keine Anzeichen vor. Vorräthe lassen sich hier beschaffen, sind aber keineswegs reichlich vorhanden. — Eine Depesche des Generals Campbell meldet, daß er am 19. October in der umwallten Stadt Kaojanghsien «»gekommen ist. Lage bei Peking. AuS Tientsin, 24. October, wird unS berichtet: Eine aus Deutschen, Russen und Franzosen zusammengesetzte Expedition ist gestern von hier abgeaangen. Die Deutschen marschiren nach Hsiang-Ho, die Russen und Franzosen nach Pao-ti. Tie Colonne zählt insgesammt Tausend Mann mit zwei Geschützen und Cavallerie. Diese Expedition ist nöthig geworden, um die re ch t e Fl an ke der Verbindungs linie von Tientsin nach Peking zu schützen, die großen Massen von Boxern, welche vor den aus Petiang und Lulai verdrängten chinesischen Truppen flüchteten, haben sich zwischen Hoi ang-ho und Pao-ti, vierzig Meilen östlich von Peking, festgesetzt. — Admiral Alexejesf ist hier eingetroffen. Lage im Tüllen. „Reuter's Bureau" meldet auS Hongkong, 25. October. Nach Berichten aus Lin tschau nahmen die Boxer, nachdem sie in der Stadt Placate angeschlagen batten, in der amerikanischen Mission Requisitionen vor, ohne jedoch die Mission zu zerstören. Man nimmt an, Laß allen Er hebungen am Ostflusse und Nordflusse in Kwangsi derselbe Plan zu Grunde liegt, daß sie den Sturz der Mandschudyuastie bezwecken. Allein die Nach richten sind so widersprechend (I), daß es schwer ist, der Wahrheit auf den Grund zu kommen (!). Die Weitcrentwickelung der Dinge wird mit lebhaftem Interesse und großer Be sorg n iß verfolgt. Man glaubt in Canton, die Erhebung am Ostflusse werde nicht leicht unterdrückt werden, weil die chinesischen Behörden die Sache nicht ernst nähmen und nur 600 bis 700 Manu gegen die Rebellen auSgesandt hätten. Wie berichtet wird, soll rin Stellvertreter de- Mandarins von Kweischin entsandt worden sein, um die Rebellen zu zer streuen, er sei aber gefangen genommen und enthauptet worden. Dieser Nachricht wird in Canton Glauben geschenkt. Nach Meldungen au« Wutschau ist die jetzige Reis er nte in der ganzen Provinz Kwangsi mißrath en und Räubereien sowie Plünderungen kommen an den ver schiedensten Stellen der Provinz vor. ES werde sicherlich HungerSnoth auSbrechen. Ter Kaiser von China und Prinz Tuan Wie dir nicht eben zuverlässige „Daily Mail" auS Shanghai erfährt, hat Li-Hung-Tschang den Kaiser von China veranlaßt, zu versprechen, nach Peking zurück zukehren (?). Der Kaiser, so heißt e-, will innerhalb sechs Wochen wieder in Peking Wohnsitz nehmen (?). Li-Hung-Tschang wünschte, daß der Sommerpalast sür den Kaiser reservirt werde. Derselbe ist aber von den Russen völlig auSge- plündert. — Nach einer Meldung de« „Standard" auS Shanghai war der Hof vor einigen Tagen noch immer in Tungkwan (so hatten wir richtiavermuthet), der Grenzstadt von Schansi und Scheust. Die Meldung, daß PrinzTuan in Taiynenfu zurückblieb, soll wahr gewesen sein. Man wisse aber, daß eS dem Prinzen Tuan sehr darum zu thun sei, sich vom Grafen Waldtrsee so weit wie möglich sern zu halten. TaS dcutsch-cuglischc Abkommen. Aus Washington wird dem „New Jork Herald" ge meldet, daß das Staatsdepartement Anfragen gestellt habe, um die Bedeutung des Artikels 3 der deutsch-englischen Abmachung zu erfahren. (In diesem Artikel wird bekanntlich gesagt, daß Deutschland und England, wenn eine andere Macht aus den gegenwärtigen Eomplicationen territoriale Vorthelle in China ziehe, sich über die Wahrung ihrer eigenen Interessen zu verständigen suchen werden.) Die amerikanische Regierung habe nicht die Absicht, allen Theilen des Abkommens beizustimmen, weil man in Washington an nehme, daß die Abmachung gegen Rußland gerichtet sei, und da die Beziehungen zwischen Amerika und Rußland herzliche seien, so wolle der Präsident nicht eine Rußland feindliche Action Vorschlägen. DaS ist auch gar nicht nöthig, denn die Mächte sind von Deutschland und England nur aufzcfordert worden, den in dem Abkonimen auSgedrückten „Grundsätzen", d. h. der Politik der „offenen Tbür" zuzustimmeu. Mit dieser Auffassung stimmt auch eine Meldung des Bureau Reuter aus Washington überein, wonach eS sür unzweifelhaft gilt, daß Amerika zum Mindesten eine „qualificirte Zustimmung" geben werde. DaS Staatsdepartement, so heißt es in dieser Reuter-Depesche, werde seine Zustimmung nicht vor Ablauf einiger Tage geben. Die Sache bedürfe sorgfältiger Erwägung und eS sei insbesondere wünschenSwerth, daß der dritte Artikel weiter aufgeklärt werde, ehe die Vereinigten Staaten eine Action unternehmen. Der Krieg in Südafrika. Es ist eine Summe von HiobSpoften, die Roberts in dem gestern mitgetheilten Berichte zusammenfaßt. Wenn man die Zahlen der Verluste addirt, die die Engländer in der kurzen Zeit vom 16. bis 20. October zu beklagen haben, so ergiebt sich, daß gefallen sind: 3 Officiere und 9 Mann, verwundet 5 Officiere und 52 Mann und vermißt oder ge fangen genommen 2 Officiere und 7 Mann, der Gesammt- verlust beträgt also 10 Officiere und 68 Mann. Das ist bei der herrschenden Guerillakriegführung recht erheblich, namentlich wird den Engländern der Verlust der 10 Officiere sehr schmerzlich sein bei dem chronischen Mangel an Officieren, unter dem sie schon immer zu leiden hatten. Was besagt demgegenüber der kleine Vortheil bei Pienaarsriver, nördlich von Pretoria, an der Bahn nach Pietersburg, wo es den Briten gelang, ein Boerenlager zu überfallen und 18 Boeren gefangen zu nehmen. Außerdem gewinnt man nicht den Eindruck, daß diese Streifzllge durch die noch nicht besetzten Gebiete viel Erfolg gehabt hätten. Es tritt vielmehr immer deutlicher hervor, daß im Beginn des Sommers der Kampfesmuth der Boeren von Neuem aufflackert. Das ist auch nicht wunderbar, denn die Methode der Beutezüge, welche die englischen Generale jetzt allgemein geführt haben, ist ganz danach angethan, die Erbitterung der Boeren zu steigern, zumal da die durchstreiften Gebiete sich sogleich wieder selbst überlassen bleiben, statt daß sie durch zurückgelassene Be satzungen in scharfer Zucht gehalten werden. Diese Art der Kriegführung muß nothwendiger Weise den Eindruck der Plan losigkeit machen und kann unmöglich zu einem baldigen Ende führen. Von wirklichen Plänen hat man seit den Kämpfen von Dalmanutha und Machadodorp nur noch zweimal gehört. Der eine galt der abermaligen Verfolgung De Wet's, gegen den De Lisle ausgesandt wurde; nach dem andern sollte ein Truppen- cordon von Bloemfontein bis zur Basutolandgrenze gezogen werden, um die südlich von dieser Linie streifenden Boeren- schaaren zu Paaren zu treiben. Beide Pläne sind zu Wasser geworden. Die Jagd auf De Wet hat am Nordufer des Vaal ihr Ende gefunden; De Lisle, und wie es scheint auch Roberts, begnügen sich damit, festzustellen, daß De Wet's Abtheilung bei Venterskron in kleine Trupps zer sprengt ist, nachdem ihnen De Wet zu wiederholten Malen ge zeigt hat, daß diese Zersprengung nur Taktik von ihm ist, um seine Leute an anderm Orte wieder in Sicherheit zu ver einigen. Von dem beabsichtigten Kesseltreiben durch den Süd osten des Freistaates, schreibt die „Köln. Ztg.", ist überhaupt nichts laut geworden, so daß man bis heute noch nicht genau weiß, ob Wepener, Smithfield uno Roux Ville wieder in Händen der Briten sind. Statt dessen haben die Engländer vielmehr auch im Südwesten bei Jagersfontein und Fauresmith Arbeit bekommen. Besonders planlos erscheinen die Operationen Methuen's, der ja nie eine glückliche Hand gehabt hat, und Settle's. Methuen marschirt in den Trans vaalbezirken Lichtenburg und Rustenburg immer hin und her; was dabei herauskommen soll, ist sein Geheimniß. Jedenfalls hat er stets wieder um die größeren Ortschaften von Neuem zu kämpfen. Gegenwärtig hat er Zeerust wieder einmal ein genommen und dort den Obersten Douglas als Garnison zurück gelassen, während er selbst eine neue Expedition nach Osten an getreten hat in der Richtung auf Elandsriver, um, wie sich der „Times"-Berichterstatter in Mafeking ausdrückt, die Verbindung Steijn's mit Delarey abzuschneiden. Am 28. October hatte er Bufelshoek erreicht, wo er liegen bleiben mußte, weil ihm die Boeren inzwischen, wie Roberts meldet, seinen Train ab gefangen haben. Settle's Operationscorps ist ein Detachement von Methuen's Heer; es wurde zuletzt in Bloemhof gemeldet. Weshalb Settle nun den Vaal überschritten hat und nach Hoop- stad gegangen ist, ist völlig unklar; man sollte meinen, daß ihm die Gebiete nördlich vom Vaal genug zu thun geben, wo seit dem Vormarsch von Fourteen Streams sich keine englische Abtheilung mehr hat sehen lassen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. October. Durch das zuerst von der „Leipz. Volksztg." veröffent lichte Burck'schc Schreibe», betreffend 12 000 Mark,'die das Reichsamt des Innern von der Industrie bebufs Propazirung der sog. Zuchthausvorlage erbeten, war über unser innerpolitisches Leben eine gewisse Schwüle ge kommen. Diele wurde vermehrt durch dunkle Andeutungen des „Vorwärts" über einen „in augenblicklicher Notblage" befindlichen Beamten, der „für seine persönlichen Zwecke" die Summe gebraucht, und durch die Hindeutung des selben Blattes, daß vielleicht eines Tages das Reichsamt des Innern an den Or. Hahn mit dem Wunsche sich wende, der Bund der Landwirthe möge Gelder zum Zwecke einer Agitation sür einen Getreide zoll von 10 zur Verfügung stellen. Die Sache litt an einer beängstigenden Unklarheit, deren Wirkung wenigstens nicht abgeschwächt wurde durch die Behauptung einiger Blätter, erst im Reichstage werde Aufklärung gegeben werden. Wir haben die Richtigkeit der letzteren Behauptung sofort bezweifelt, weil es nicht im Interesse einer einheitlichen und zielbewußten Regierung liegen konnte, daß die Unklarheit noch länger dauerte und Material für die Verdächtigungssucht bildete. Gras v. Bülow ist augenscheinlich derselben Ansicht gewesen, denn er bat dafür gesorgt, daß alsbald Aufklärung gegeben wurde. DaS ist geschehen durch die bereits im heutigen Morgenblatte mitgetheilte Erklärung der „Berl. Correspondenz", über die der Telegraph nur insofern falsch berichtet hat, als er angab, der Schlußsatz laute: „Ueber die Verausgabung der Summe bebufs Verbreitung ... besitzt der genannte Beamte keine urkundlichen Beläge", während der Satz lautet: „Ueber die Verausgabung . . . besitzt der ge nannte Beamte urkundliche Beläge." Die Erklärung unter läßt es zwar, ausdrücklich zu bemerken, daß der Brief Bueck's nickt vom 3. August 1898 stammen kann, sondern erst ungefähr ein Jahr später geschrieben sein müsse. Dies ergiebt sich aber aus dem übrigen Inhalte der Erklärung so zweifellos, daß es kaum gesagt zu werden brauchte. Und besteht auch insofern ein Wider spruch zwischen dem Briefe Bueck's und der ministeriellen Erklärung, als Bueck von einem „etwas eigenthümlichen" Verlangen des Reichsamts deS Innern an die Industrie spricht, während die Erklärung die Sache so darstellt, als habe erst die Industrie das Reichsamt zu einer „Anregung" und „Vermittelung" veranlaßt, so ist dieser Widerspruch, der übrigens von der einen oder der anderen Seite wird aufgehellt werden müssen, wenn er nicht bereits durch eine an anderer Stelle mitgetheilte Erzählung der „Post" aufzehellt ist, neben sächlich im Vergleich zu der wirklichen Klarstellung. AuS ihr ergiebt sich, daß die socialdemokratische Presse wieder einmal bewiesen hat, daß sie nicht nur Privatbriefe auf Ab- und anderen Orten zu finden weiß, sondern, um ein „Panama" festzustellen, auch in wesentlichen Puncten un richtig wiederzugeben versteht. DaS ReickSamt des Innern hat nicht zum Behufs einer dunklen Agitation für einen noch angeborenen Gesetzentwurf um Gelder nachgcsucht, sondern zur Drucklegung bereits bekannten, aber nur Wenigen zugänglichen amtlichen Materials. Gegen diesen Zweck an sich ist nichts einzuwenden, dieFinanzirung aber ist einfach unerhört. E>n ReickSamt wendet sich — ob ganz aus eigener Initiative, ist, wie gesagt, nebensächlich — an einen Interessenten verein, der ein bestimmtes Gesetz, mag eS auch weiten, geschäftlich unbetbeiligten Kreisen Wünschenswerth erschienen sein, aus beruflichen Gruppenrücksichten dringend verlangt, um Geld, Feuilleton. is) Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verbot.'«. „Es ist noch viel Judenweins *) in der Stadt", brüllte er in den Haufen hinein, „den man uns herausgeben soll. Wo nicht, sperren wir die Thore auf und holen unsere Brüder und lieben Nachbarn, die Bauern, herein. Die werden ihn schon finden." Andere wieder lärmten und schrien, daß der Adel und der Rath die Gemcindc verrathen haben, und daß die Sturmglocke gezogen werden müsse. Herr Ulrich redete zum Guten und ermahnte sie zur Ruhe. „Die Glocke ist Euer", sagte er ihnen, „läutet damit, so lange Ihr Lust habt, aber bewahrt die Stadt wohl vor den Bauern, die Euch mit schönen Reden betrügen wollen. Sind sie erst in der Stadt, so werdet Ihr wohl sehen, was für gute Freunde und liebe Nachbarn es sind." Und dazwischen brüllte das Läpplin immer wieder: „Den Judenwein! Wir wollen den Judenwein, kommt, ich weiß welchen. Es ist bester, wir trinken den Judenwein, als unsere lieben Nachbarn, die Bauern." Ulrich mußte ihnen gewähren, was er nicht hindern konnte, wenn er nicht die Revolte in der Stadt offen ausbrechen lassen wollte. Dieser Läpplin war eine wahre Gefahr für die Stadt. In seiner Dummheit und Trunkenheit krakehlte der Mensch immerzu, regte die Leute auf, und alle Welt lief ihm nach, weil er eben den Jnstinct der Massen, oder, gerade heraus gesagt, immer Durst hatte. Nun hatte Herr Ulrich eigentlich die Absicht, nach dem Schloß zurück zu reiten und dieses zur Bertheidigung herzurichten, so gut eS ging. Als er aber im Begriff war, vom Markt wegzu *) Wie bei allen Volksbewegungen im deutschen Mittelalter, hatte auch diese ihre Spitze gegen die Juden, weniger au- religiösem Haß, als aus Lust am Plündern und Stehlen. Herr Ulrich in seiner Chronik schreibt: Da handt sie Juden wein trunken und wohl gehüt' (gelebt) und wollten mir das Hinterthor zumauern und die Brück abwerfen und viel selt sam Reden getrieben von Priestern und Adel und Herrschaft zu Nacht mit den Priestern zehrt bis zu Mitternacht und wenig gearbeit, weder Mann noch Weib u. s. w- reiten, drängte sich wieder Bartel zu ihm durch und flüsterte ihm hastig und bang zu: „Herr, habt Ihr Befehl gegeben, das Metzgerthor zu sperren?" „Nein, wozu auch?" „Es ist gesperrt", fuhr Bartel ängstlich fort. „Niemand kann heraus oder herein." „Wer hat das gethan?" fragte Ulrich streng. „Das Metzgerthor?" schrie Schott wieder, „das haben wir gesperrt." „Ihr sollt nicht nach dem Schloß", rief ein Anderer. „Ihr gehört in die Stadt zu unserem Schutz." Die Sache fing an sehr bedrohlich zu werden. Die Menge in den Straßen wuchs zu Hunderten an, und Ulrich von Rappolt stein sah wohl ein, daß er von der Stunde an, wo man ihm den Verkehr nach dem Schloß verweigerte, ihr Gefangener war. Er hielt noch immer unten am Rathhaus, und wenn er auch nicht zu befürchten hatte, daß man ihm Gewalt anthat, so war es doch auch nicht rathsam, daß er Gewalt anwandte, weil er in einem offenen Aufstand unbedingt den Kürzeren ziehen mußte. So blieb die Situation eine lange Zeit. Ulrich versuchte von Zeit zu Zeit, die Stadtmiliz heranzuziehen, um sich mit deren Hilfe wieder Luft zu verschaffen. Die Befehle dazu gingen auch ab, aber sie wurden nicht ausgeführt. Er mußte sogar zusehen, wie der Junker von Hohnack keine zwanzig Schritt von ihm mit einer ziemlich starken Truppe voriiberzog, um nach den Thoren abzureiten. DaS war offener Ungehor sam und Unbotmäßigkeit. Noch ein Schritt, und der Aufstand in der Stadt selbst loderte empor. Das aber war es, waS Ulrich um jeden Preis verhindern wollte, denn die Folgen davon waren für ihn und für die Bürger, wie auch für die Stadt unabsehbar. Um sich selbst hätte er sich Wohl zuletzt gekümmert, was aber wurde aus den Frauen und Kindern, aus all' den Hilfs- und rathlosen Bürgern, die um Haus und Habe besorgt widerstandslos der Meute zum Opfer fielen, die nur auf Unordnung und Aufruhr wartete, um sich in der Plünderung gütlich zu shun? In dieser Bedrängniß stieß Herr Richbert mit einigen Raths herren zu ihm. Sie waren gut bewaffnet, und wenn sie auch viel zu wenig waren, um mit Aussicht auf Erfolg den Willen der Menge zu brechen, so konnten sie sich doch Achtung genug verschaffen, um Ulrich und sein« Begleiter von der Stelle zu bringen. „Kommt in mein Haus, gnädiger Herr; wir sind nicht weit", rief er Ulrich von Rappoltstem zu, „dort mögt Ihr einen Imbiß nehmen und der Dinge in Ruh« warten." Nach der niederen Stadt, wo Herrn Richbert's Haus stand, konnte man leichter gelangen, als nach dem Schloß. Die Menge sah es sogar als einen Erfolg oder als eine Art Triumph an, als sich die Ritter wandten und statt nach dem Schloß zurück, nach dem niederen Thor hin ritten. Johlend und schreiend lief man hinter ihnen drein und verlangte, daß man Fleisch und Wein „für die Armen" vertheile, die nicht der gewohnten Arbeit der Unruhen wegen nachgehen konnten. Auch das geschah. Ulrich ließ vier Centner Fleisch und zehn Viertel Mehl unter sie Vertheilen. Auch aus dem Kloster in der mittleren Stadt wurde Wein herausgeholt, für jedes Stadtviertel ein oder zwei Faß, dazu Mehl, so viel man wollte, um Brot zu backen, das dann in dem Hause des Glasers Eucharius aufgestapelt wurde. Es war immer noch besser, sagte man, daß man es den Rappoltswciler Bürgern hingab, als daß man es von den Bauern draußen holen ließ, die gewiß nichts davon übersehen hätten, wenn sie erst in der Stadt waren. Ulrich hatte vom Thurm am niederen Thor herunter gesehen, daß die Bauern kein Geschütz bei sich hatten, die Wälle der Stadt aber waren gut mit grobem Geschütz gespickt. Vor der Gewalt der Bauern brauchte er sich also nicht zu fürchten, wohl aber vor der Uneinigkeit der Bürger in der Stadt. Konnte er diese verhüten — nur ein „zwei" Tage lang, so mußten die Bauern, die vor den Thoren auch hungerten, wieder weiter ziehen, um sich zu nähren. Es waren ihrer gewiß mehr als sechstausend. Wovon wollten sie leben, wenn sie nichts aus der Stadt bekommen konnten? Und war erst diese Gefahr wieder beseitigt, so hoffte Herr Ulrich, in seiner Stadt schon wieder Ordnung schaffen zu können. So ging der Hexensabbath in der Stadt weiter den ganzen Tag lang. DaS Kloster wurde rein ausgeplündcrt, der Juden wein auf die Gasse herausgetrayen und ausgctrunken — man fragt nicht viel nach seiner Religion —, vieler Leute Häuser, so daß des Rathsherrn Spörrlin, erbrochen und ausgeraubt. Kein Mensch wollte nach der gewohnten Arbeit sehen. Auf den Gaffen brüllten betrunkene Leute, Männer und Frauen herum, daß es eine Schande war, und Niemand war da, der ihnen wehrte, daS stille, trauliche RappoltSweiler schien ein giftiges Anarchistenuest geworden zu sein, und ein Theil seiner Ein wohner war wie das Vieh. Dazu ein Sturmläuten und Laufen hin und wieder, ein Trommeln und Schreien Straße auf, Straße ab, jede Ordnung schien aufgelöst und kein Wille zu frech und unverschämt, als daß er nicht Erfüllung gefunden hätte. Faustrecht und Rohheit überall, ein Hohn der goldenen Frei heit, eine Fratze der Zucht und.Sitte — die Anarchie. Gegen Mittag verbreitete sich in der Stadt da» Geschrei: „Die Bauern ziehen ab", und Herr Ulrich stieg auf das Dach des Richbert'schen Hauses, um von da herunter zu schauen, was wohl an dem Geschrei Wahres wäre. Da sah er allerdings, wie starke Züge der Bauern begannen, sich vom Osten der Stadt weg nach dem Westen zu ziehen, wo sie sich in die Waldungen nach dem Dusenbach-Thale verloren. Das wäre die Richtung nach Kaisersberg, nach Kloster Alspach und Burg Hohnack, Reichenstein und Altweiler gewesen, aber gleichviel, wohin die Bauern zogen, wenn sie nur fort zogen. Wer war froher, als Ulrich von Rappoltstcin, als er den vermeintlichen Abzug der Bauern von seinem hohen Standort herunter conftatircn konnte! Unwillkürlich, wie im Gebet, breitete er die Hände zum Himmel und athmete erlöst auf. „Der liebe Gott hat ein Einsehen mit unserer Stadt und ihrer Noth", sagte er zu Herrn Richbert, „und läßt noch einmal Gnade für Recht ergehen. Ewig Lob und Dank sei ihm." III. Während sich das Unwetter drohend und gefährlich über der sonst so stillen und friedlichen Stadt RappoltSweiler am Streng bach zusammenzog, saß Edelinde von Rappoltstein hangend und bangend auf der alten Burg Hohnack, dem grauen Felsenneste, das fast wie der Fels selbst, auf dem es stand, verwittert, trotzig, in Wind und Wetter zum Himmel aufstrebte. Sie hatte keine Ahnung von den Ereignissen, die sich gerade jetzt in Rappolts- weiler abspielten, lugte von ihrem epheudewachsenen Söller hinunter in das stille, friedliche Thal, das vor ihr lag, sah, wie die Ortschaften zu ihren Füßen, Kaisersberg, Ammenweier, Krengheim, in der Sonne träumten, hörte die Waldvögelein, Nachtigall und Rothkehlchen, di« in Menge den einsamen und in seiner Ruhe erhabenen Felsen von Hohnack umschwärmten und mit ihrem anmuthigen Gezwitscher belebten, und dachte an Die- pold von Andlau, der so plötzlich das gastliche RappoltSweiler verlassen mußte, und nun, ebenfalls einsam, auf seiner Burg Andlau im »lederen Elsaß war. Sie kannte Diepold als einen rechtschaffenen, ehrlichen Cha rakter. Niemals hätte sie ihn der Anzettelungen fähig gehalten, die ihm der verwegen« Wolf Haßflug andichtete und angeblich „mit seinem guten Schwerte" bewiesen hatte. Das Schwert war ihr kein Beweis, sie sah den Männern ins Auge und — wußte genug. Sie hatte Diepold noch kurg vor seinem Abzug« ganz ins geheim gesprochen. Nicht als ob sie sich erst dadurch von dessen Unschuld hätte überzeugen müssen. Davon war sie schon vorher überzeugt. Aber sie hatte den inständigen Bitten DiepoSd's nach- gegeb«n, weil sie nicht wußte, waS sonst während der Trennung
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