Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190010289
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19001028
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19001028
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-10
- Tag1900-10-28
- Monat1900-10
- Jahr1900
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1900
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis Kl der Hauptexpedttion oder den im Stadt bezirk und de» Bororten errichtete» Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich u-l 4 50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau- .^! 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. ^tl «. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalte» in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese» Blatte» möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Ue-actio» und Lrpe-ition: IohanniSgaffe 8. Filialen: Alfred Bahn vorn». O. Klemm'» Sortim. UnrversitätSstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. riMger. TlMbialt Anzeiger. Ämtsvüttl des Königliche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aattzes n«d Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 55V. Sonntag dm 28. October 1900. .... !. . Anzeigen.Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redact1on»strich (»gespalten) 75 vor den Familiennach. richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung .4l SO.—, mit Postbesörderung .4! 70.—. Änuahmeschluß fiir Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Aus der Woche. Ein erkleckliches Wort und da» auch etwa» gilt, läßt sich über den Stand der chinesischen Frage beute so wenig sagen wie an einem der vielen früheren Wochenabschlüsse, die seit dem AuSbruch der ostasiatischen Wirren dahingegangen sind. „Die Friedensverhandlungen haben begonnen," Graf Waldersee bat den Pekinger Kaiserpalast besichtigt; daS kann der Feldmarschall, da er in der chinesischen Hauptstadt bleibt, noch öfter thun und die Friedensuntcrbandlungen, so steht zu befürchten, werden auch noch recht oft „beginnen". Vor läufig hat da» deutsch - englische Abkommen den Gang der Dinge noch nicht gefördert und da- Gebet de» Kaiser«, daß ihm die Erhaltung deS Frieden-, wenn nötbig, zu erzwingen vergönnt sein möge, soll, wie man versichert, nur allgemein und keineswegs in Bezug auf die Verwicklungen in China aufzufafsen sein. Inzwischen ist uns Chinesisches ins eigene Haus getragen worden, in so weit wenigstens Chinesisches, als einem Europäer daS Verständniß für das Wesen der Leute im Reiche der Mitte noch nicht aufgcgangen ist. Die 12 OOO-Mark-Affaire deS ReichSamlS deS Innern oder deS Herrn v. Woettkc ist für einen deutsch-politisch erzogenen Menschen so unfaßbar wie manche chinesische Eigenthümlichkeit. Die Angelegenheit hat sich ja viel freundlicher gestaltet, als sie zuerst aussab, und diejenige Berliner Zeitung, die wegen deS Zwischenfall- daS Abzehen deS Grafen v. Posadowsky mit dem weißen Stab als etwas Unabänderliches binstellte, die „Nationalztg.", befindet sich in sichtlicher Verlegenheit. Dies Blatt war wider seine Gewohnheit etwas rasch. Aber sein Uebereifer erscheint sympathischer, als der in entgegengesetzter Richtung sich bewegende eines anderen nationalliberalen Organs, der „Naiionallib. Corr." An dieser Stelle ist eine Betrachtung zu lesen, die, waS charakteristisch ist, in nalionalliberalen Blättern, für die genannte Correspondenz geschaffen worden ist, nur vereinzelt Aufnahme gefunden hat, deren Kenntniß vielmehr die weitere Ocffentlichkeit den dem Ccntralverband Deutscher Industrieller nahestehenden „Berl. N. N." verdankt. Die „Nationallib. Corr." schreibt: „Bom RechtSstandpuuct geprüft, steht zunächst fest, daß e» sich um eine Vorlage handelte, hinter der, wie im Reichstage be kannt gegeben worden ist, die gesammten verbündeten Regie rungen standen und die im Reichstage die erste Lesung hinter sich hatte. DaS entlastet die Situation wesentlich. Ferner steht fest, daß eS sich lediglich um ZritungSbeilagen parlamentarischen Materials handelt. Daraus zusammevgestellte Beilagen für Zeitungen Herstellen zu lasten, ist eine Prehbeeinflustung, die man, gleichviel wie man zu einer Vorlage steht, der Regierung unbedenklich einräumen muß. Auch ist an sich noch nicht zu mißbilligen, wenn die Regierung für eine solche Pro paganda eine» von allen verantwortlichen Stelle» vertretenen Zwecke- sich auch solcher Mittel bedient, die ihr in gleicher Rich tung mit ihr arbeitende Einzelpersonen zur Verfügung stellen. Wir wiederholen, das ist bei der Flotten Vorlage und bei den Septennatswahlen und noch bei manchen anderen Gelegen- heiten geschehen, und oft genug hat es sich dabei sogar um Be- einflustung durch Artikel und sonstige Anlagen gehandelt, und nicht nur, wie im vorliegenden Fall nur um Beilagen mit parlamen tarischem Material. Der Vorwurf der Verletzung der Amts pflichten läßt sich daher im vorliegenden Fall keinesfalls begründen, womit wir aber trotzdem zu keiner vollen Bil ligung dieses Schrittes gelangen können. Diese Nichtbilligung ober hat ihre Begründung in der Stellungnahme zur Arbeit-- willigen-Vorlage überhaupt. Wir begreifen, daß nach der ungünstigen Aufnahme in der ersten Lesung im Reichstag iu der ReichSregierung das Bedürfniß herrschte, für diese Vorlage den Sommer hindurch Stimmung zu machen für die zweite Lesung, die nach der Sommerpause stattfand. ES hätte dabei aber nicht entgehen dürfen, daß die Agitation, die eine, sagen wir leitende Gruppe des CentralverbandeS dabei entfaltete, in ihrer Art sehr vielen Anstoß erregt hat. Auch m solchen Kreisen, die einzelne berechtigte Forderungen in der Vorlage ge- billigt haben. Unter diesen Umständen hätten die verantwort lichen Stellen im Reichsamte des Innern von der Möglichkeit, Mittel de» CentralverbandeS für eine wenn auch an sich erlaubte Propaganda zu benutzen, keinen Gebrauch machen sollen. DaS ist aber keine Staatsfrage, die für die Zusammensetzung der StaatS- leitong beziehungsweise der ReichSregierung irgendwie bestimmt ist, wie sich daraus ergiebt, daß die m aßgebendste Stelle im Reiche, die doch die nächste dazu ist, in dem berührten Vorgang keinen Anlaß zu einer Cabinetsfrage erblickt." Wir glauben nichts zu wagen, wenn wir aufs Bestimmteste versichern, daß nationailiberale Kreise diesem Beschönigungs versuche vollkommen ferne stehen. Ist er officiöS, so doch gewiß nicht parteiofficiöS. Die nationalliberale Partei muß sich schon gegen den Vergleich der SeptennatSwablen, eine- für die VertheidigungSsäbigkeit deS nach eine» Bismarck Zeugniß schwer gefährdeten Vaterlandes geführten Kampfe» mit der durch dunkle und dunkelste Gänge geführten Agitation für die „Zuchtbausvorlage", entschieden verwahren. Könnten aber die Kampfobjecte verglichen werden, so bat doch im SeptennatS» streite die Regierung bei Intereffentengruppen, also etwa bei Waffenlieferanten, seine Gelder für die Propaganda de» Gedankens der HeereSverstärkung Gelder erbeten. Dieselbe Nichtanalogie ließe sich durch eine einfache Frage für die Flottenbewegung feststellen; dieser Aufgabe werben sich aber mit gehörigem Nachdruck den Inspiratoren der Vergleiche gegenüber andere, gewichtigere Persönlichkeiten unterziehen. Die Behauptung, daß Herr von Woedtke keine Amtspflicht verletzt habe, würde wahrscheinlich auch von dem Vertheidi^er in einem DiSciplinarverfabren vorgrbracht werden, und hier Wohl mit Erfolg. Moralisch liegt zweifellos eine schwere Pflichtverletzung vor, wenn ein Beamter die staatliche Gesetz- gebung-arbeit derart verdächtig macht, wie e» durch die „An regung" bei Herrn Bueck geschehen ist. Man hat durch diesen Schritt — die „Germania" nennt ihn nur eiue große politische Dummheit, wir glauben einen Act der Streberei vor ua» zu haben — deu Socialdemokraten und Demo kraten dre Handhabe gegeben» bei jedem Gesetz entwürfe, der diesen Richtungen nicht gefällt, die nicht mehr ungeheuerliche Aufforderung ergehen zu lassen: „Sucht den Interessenten". Und ein nationale» Organ müßte, anstatt sich dem Herrn v. Woedtke gegenüber, billigend, wenn auch nicht „voll" billigend, auf die Flottenvorlage zu berufen, im geraden Gegrntheil wegen künftiger Flotten-(und Heere»-)forderungen da» Unterstützungsgesuch au» dem NeichSamt de- Innern vorbehaltlos vexurtheilen. Schon kündigt der „Borwärt»" an, daß man nun immer fragen werde: „Wa- kosten die auf Privatbestellung bearbeiteten Gesetze?" Und weder die Interessen der deutschen Waffentüchtigkeit noch di« der deutschen politischen Sittlichkeit lassen e- wünschenSwerth erscheinen, daß bei Schiffs- und Gewehrforderuugen die ReichSfeindc einen Anhalt haben, sich nach der Höh« der Provision zu er kundigen, die Krupp und Mauier für die BundeSraths- forderungen bewilligt haben. Gewiß, ausschlaggebend sind erfahrungsgemäß solche Treibereien nicht, da» Reich hat im Großen und Ganzen »och alle seine Wehrbedürfnisse trotz niedrigster demokratischer Anfechtungen befriedigen können, aber leicht sind die Kämpfe, ist in-besoadere der in dem obigen Citat gewissermaßen in den Staub gezogene SeptennatS- kampf nicht gewesen, und wenn ein zu blindem Diensteifer sich verpflichtet fühlender Beamter solchen Kämpfen Steine in den Weg wirft, sollte doch ein nationale» Organ nickt Miene machen, die» Thuu al» nahezu unbedenklich hinzu stellen. Daß übrigen» die Angelegenheit leider noch immer nicht voll geklärt ist, und daß dem NeichSamt deS Innern von den Mußjonrnalisten der „Berl. Corresp." vielleicht noch «ine sehr böse Suppe eingebrockt worden ist, können unsere Leser au» der ersten Notiz unter „Deutsche» Reich" der vorliegenden Nummer unsere» Blatte» entnehmen. Eine „Staatsfrage", da» geben wir zu, ist die 12 OOO-Mark-Affaire nicht, und daß die maßgebende Stelle sie zum Anlaß eiue» Personenwechsel» nehmen werde, hat wohl Niemand geglaubt. Graf Posadowsky bat ungerechtfertigte' Angriffe, allerdiog» auch die BertheidigungSexcrfse, denen er, der von dem Vor fall wahrscheinlich auch erst jetzt erfahren bat, ausgesetzt war, nur den immer mehr da» politische Gebiet beherrschenden handelspolitischen Meinungsver schiedenheiten zuzuschreiben. Mit diesem Maße wird auch der „innere" Graf Bülow ganz ausschließlich gemessen, wenigstens in Preußen. Mau lobt seine Worte von Einheitlichkeit und Geschlossenheit als RegierungSnolhwendigkeiten, aber die Einen verstehen darunter da- HiaauSwerfen de- Freiherrn v. Tbielmann vom ReichSschayamt, der nicht für daS Doppelspiel ist, und die Anderen die — Amovirunz de» Herrn v. Miquel, der, obwohl vielleicht ohne Grund, nun einmal der Handelsvertrag»- und Canal gegnerschaft verdächtigt wird und bleibt. Die „Kreuzztg." stimmt den allgemeinen Regierungsgrundsätzen des neuen Doppelregierungschefs freudig zu, aber sie verlangt ein Programm. Erscheint ein solche» und fällt es nicht voll kommen nach den Wünschen der conservativen Führer aus, so wird das Blatt nicht verfehlen, gegen den Grafen von Bülow, trotz Billigung der „Geschlossenheit", Minister- collegen auszuspielen. Die freisinnige Bolk»partei bat Unglück. Don ihrem, nur lose an sie angegliederten linken Flügel wird ihr nach dem letzten Parteitag noch mehr al» sonst Berrath an der Sache der Demokratie vorgeworfen, und nun hat Herr Schmidt-Elberfeld den Kronrnorden 2. Classe erhalten. Die GesinnuugStüchligkeit fragt den Himmel, ob er keine Flinte habe. Priester Prinz Mar. ^l. Jede» Jahr wird den Abiturienten der Gymnasien und der Realgymnasien nach e ner Verordnung des Cultusmini- steriumt bekannt gegeben, daß „den in Freiburg i. d. Schweiz betriebenen Universrtätsstudren im deutschen Reich« im Allge meinen die Anerkennung versagt und daß auch, soweit ein Drs- pensationSrecht in Frage kommt, von demselben zu Gunsten der Universität Freiburg i. d. Schweiz kein Gebrauch gemacht werden wird." Die „katholische" Universität in Freiburg wird von Dominikanern ganz im mittelalterlichem Geiste grienet; sie ver tritt nach der Anweisung de» Papste» die Philosophie de» Thoma» von Aquino und weiß nicht» von echter, freier Wissenschaft. Sie pflegt antideutsche Gesinnung und bringt dadurch den Be weis für ihr völlig ultramontanes Gepräge. Darum ging eine große Anzahl deutscher Professoren nach kurzer Wirksamkeit von ihr wieder fort und kehrte nach Deutschland zurück; da» ehrt sie. Selbst ein katholisch gesinnter Gelehrter, wenn er nur einen Ton des Forschersinnes in sich hat, kann sich nicht mit der Arbeit für eine überwundene Theologie und Philosophie befreunden, die vom Papste commandirt wird und mit Unrecht in den wissenschaft lichen Mantel sich kleidet; er kann ebensowenig, wenn nur ein Tropfen warmen germanischen Blute» in ihm rinnt, Lehrer an einer Anstalt bleiben, die den Haß gegen da» deutsche Volk und den deutschen Geist nährt. An dieser Universität, derm Besuch in Deutschland nicht als wissenschaftliche» Studium anerkannt wird, besteigt der Priester Prinz Max einen Lehrstuhl. Diese Thatsache erschüttert den letzten Rest von vertrauen zu seinem wissenschaftlichen Streben und seinem Vaterland«. Einen Mangel an taktvollem, nationalem Verhalten fand man schon damal», al» er in einer für die Revanche erbauten Pariser Kirche Messe gelesen hatte. Die Vorwürfe, die darüber gegen ihn mit vollem Recht erhoben wurden, werden auf» Neue durch seinen Gang nach Freiburg gerecht fertigt. Unser König ist eine der festesten Stützen unsere» Reiche» und seine Treue gegen da» groß« gemeinsame Vater land ein leuchtende» Vorbild für sein« Sachsen. Priester Max, ein Glied seine» Hause», bringt e» über sich, an eine Anstalt sich schicken zu lassen, welche um ihre» antideutschen Charakter» willen von deutschen Professoren aufgegeben wird. SS ist ein schlagender Bewei» dafür, wie sehr der Ultramontanismu» seine Leute fanatisirt, daß sie jede, auch jede Rücksicht auf Familie, Volk und Staat au» dem Auge verlieren, wenn sie meinen, römi schen Ansprüchen dienen zu können. Lies« verzehren in ihren Anhängern jede feinere Empfindung für das, was sich gegen Andersgläubige schickt. Priester Prinz Max begann seine Laufbahn auf der Kanzel der katholischen Hofkirchc in Dresden mit einer Predigt, in der er die evangelischen Sachsen aufforderte, römisch- katholisch zu werden. Der junge Prinz beachtete dabei nicht, wie leicht sein Vorgehen dunkle Schatten auf das Verhältniß zwischen Volk und Herrscherhaus werfen, wie leicht es die Zu versicht lockern konnte, daß der katholische Hof peinlich Alles ver meide, was das protestantische Gefühl des Sachsenvolkes zu ver letzen vermöchte. Aber viel härter als jene, ohnehin schwache Erstlingspredigt muß die Rede beurtheilt werden, die er vor seinem Auszug nach Freiburg jüngst in Plauen gehalten hat. Dort hat er zu italienischen Arbeitern Folgendes gesprochen. Nachdem er sie ermahnt hat, ihrem fernen Vaterland Ehre zu machen, fährt er fort: „Ihr seid freilich in einem Lande voller Secten; Ihr könnt aber leicht erkennen, daß diese die christliche Wahrheit nicht haben, da die katholische Kirche schon längst bestand, als diese Secten auftauchten." Danach fordert er seine Zuhörer auf, den Verkehr mit den inkicksti — den Un gläubigen — zu meiden, da daraus Gefahren für ihren sittlichen Lebenswandel erwachsen könnten. Man traut seinen Augen kaum, wenn man solche Aeuße- rungen liest. Man bedauert den jungen Priester, der sich so eng in das ultramontane Gedankennetz einspinnen ließ, daß er sich nicht scheute, Fremde vor seinem eigenen Volke zu warnen. Er ermuntert die Italiener, sich so zu verhalten, wie es ihrem Vatcrlande zur Ehre gereiche, und in demselben Athem- zug wirft er Schmutz auf sein Volk. Sachsen, ein Land voller Secten, die die christliche Wahrheit nicht besitzen! Ach, wenn doch der junge Kaplan, anstatt rn italienischen Ansprachen sich zu üben, lieber die sächsische Geschichte etwas genauer studirte! Dann würde ihm — vielleicht — eine Ahnung davon aufgehen, daß daS Volk, das so fest an seinem Glauben gehalten, das aus seiner Mitte eine Menge hervorragender protestantischer Männer und Christen erzeugte, nicht so ganz von der Erkenntniß der christlichen Wahrheit entfernt sein kann, wie er sich einbildet. Dann müßte er sich fragen, ob dies Volk so beharrliche Treue gegen sein Herrscherhaus in allen Stürmen, in aller Noth hätte bewahren können, wenn es nicht einen tiefen religiösen und sittlichen Fonds besäße. Dann dürfte ihm auch die Erwägung nahe treten, warum dies „Sectenland" unter der Herrschaft des Protestantismus auf allen Gebieten gewaltigen Aufschwung nahm, während die völlig unter dem Einflüsse des Papismus stehenden Staaten rettungslos niedergehen. — Die Italiener, zu denen er redete, suchen ihr Brod in Sachsen, weil ihnen ihr eigenes, zum großen Theile in Unglauben und Aberglauben versunkenes und dadurch mit ver armtes Land das tägliche Brod nicht bietet. Anstatt diese Arbeiter zum Danke gegen die Protestanten zu er muntern, deren reger Fleiß ihnen Unterhalt verschafft, warnt er sie vor der Berührung mit den ungläubigen Sectirern, ohne sich zu überlegen, daß diese Warnung die Italiener nicht blos zu Mißtrauen, sondern auch zu Ungezogenheiten gegen ihre Arbeit geber veranlassen könnte. Seit Langem hat unsere sächsische Bevölkerung nichts so erregt, als dies Auftreten des Priesters Prinz Max. Kaum hat die hochherzige Verordnung des Königs über die Nichtbctheiligung evangelischer Pagen und Soldaten bei katholischen Processionen die Aufregung gestillt, die durch die „Kniebeugungsfrage" unser Volk ergriffen hatte, so bringt dieser junge Kaplan eine neue, weit tiefere Erbitterung wider ultra montane Ungehörigkeiten und römischen Uebermuth hervor. Er fördert, wie kein Anderer, das Verständniß für die Noth- wendigkeit des evangelischen Bundes gerade in Sachsen. Freilich, man wird wohl auf seine fernere Thätigkeit für den Bund verzichten müssen; wir nehmen an, daß ihm von nun an die Grenzen Sachsens sich verschließen. Der katholische Pfarrer Müller in Chemnitz behauptet, Priester Max habe seine Vorträge mit Erlaubniß deS Kultusministers gehalten. Dieser konnte nicht voraussehen, daß solche Er- laubniß zur Beschimpfung des sächsischen Volkes mißbraucht werden würde. Aber die jüngsten Vorgänge haben dem Cultus- ministerium gezeigt, wessen es sich von dem Priester Prinz Max zu versehen hat. Durch eine weise Regierung hat König Albert das volle Vertrauen und die begeisterte Liebe seines Volke» gefunden. Durch nichts können diese erschüttert werden; aber die Anhänglichkeit an das Herrscherhaus wird nicht ge fördert, wenn der Priester Prinz Max auch ferner in Sachsen amtiren darf. Zum Schutze der Sachsentreue muß man vom CultuSministerium verlangen, daß es dem rücksichtslosen Ver treter des RomanismuS die weitere Wirksamkeit auf sächsischem Boden versage. Die Wirren in Lirina. Die Anneelisn der Mandschurei. Manschreibt unS au» Odessa unter dem 15. October 1960: Wir haben gesehen, daß die russische Regierung officiell er klärt, alle Gerüchte und Mitthcilungen über «ine siattgefundene oder zu vollziehende Annexion der Mandschurei seien vollständig au» der Luft gegriffen und entbehrten für heut«, wie für kommend« Zeiten jeglicher Begründung. Dieses Dementi hat hier jedenfalls sehr viel mehr Ueberraschung hervorgerufen, als im Aurlande, und thatsächlich hat man für dasselbe schließlich Loch nichts, al» ein verständnißvolles Lächeln. Seit Monaten schon ist Jedermann hier vollständig davon überzeugt, daß die Mandschurei russisch werden müsse, und sicherlich bald sein werde, ob das nun in Form einer officiellcn Besitzergreifung, oder, wie eS jetzt heißt, „eines zeitweiligen administrativ«,, Pro- tectorat»" geschieht, ist nach russischer Auffassung, die wohl auch an sehr vielen Stellen im Aurlande getheilt werden wird, voll ständig irrelevant. — Politische und militärische Kreise haben hier stet» di« russischen Operationen in China in zwei vollständig unabhängige Actionen getheilt, die eine diejenige, die im Verein mit den Alliirtea zur Befreiung der Gesandtschaften ausheführt wurde, die andere, welche die Eroberung der Mandschurei, oder die militärische Bewachung deS Eisenbahnbaues dort, oder die Sicherung de» linken Amurufer» gegen chinesische Einfälle, oder wie immer man die Sache bezeichnen will, zum Zweck hatte. Da» war, wie ich ausdrücklich hervorhebe, die allgemeine öffent liche Meinung, und ich kann au» eigener Erfahrung hinzufügen, daß dieselbe von jedem der nach China gehenden Officiere und Beamten, mit denen ich Gelegenheit hatte, zu sprechen, getheilt wurde. Jetzt wird die öffentliche Meinung durch einen Federstrich dahin corrigirt, daß die ungefähr 150 000 Mann, die nach be scheidener Schätzung in die Mandschurei geworfen werden, nur den Eisenbahnbau überwachen sollen, daß von einer Annexion keine Rede sein kann, und daß die officielle und formelle Besitz ergreifung des rechten Amurufers, von der hierher in einer Weise berichtet wurde, die jeden Zweifel ausschloß, gar nicht statrge- funden hat. Das ist erfreuliche Zeitung, wenigstens für Lie Kreise, die glauben, daß «ine russische Gebietserweiterung auf Kosten Chinas nach all' den feierlichen gegenseitigen Versiche rungen, welche die Regierung des Zaren in Uebereinstimmung mit denen der anderen Großmächte abgegeben hat, schwere Com- plicationen zur Folge haben könne; für die panslavistischen Kreise Rußlands aber würde diese Nachricht «ine herbe Enttäuschung bedeuten, wenn man sie nicht für eine diplomatische Nothlüge hielte, di« man schließlich nicht einmal für eine directe Unwahr heit, für eine expressiv /alsi, sondern für eine der schon vor Tallcyrand hoffähig gewesenen Luppressiones veri hält. Und deshalb verzagen die Kreise, die Rußlands stetiges und unauf haltsames Vordringen bis an den indischen und den pacifischen Ocean mit solcher Inbrunst beschleunigt zu sehen wünschen, nicht einen Augenblick daran, daß die traditio nelle Politik des w«isen Zaren doch noch zur rechten Zeit Lie russische Standarte überall dahin tragen wird, wo sie nach pan- slavistischen Ideen schon längst s«in sollte. Die Anwesenheit der chinesischen Würdenträger in Livadia, die moralische Eroberung Thrbets, und uncontrolirbare Gerüchte über bereits mit China und Japan getroffene, oder zum Unterzeichnen fertige Separat abkommen, tragen dazu bei, diese Hoffnungen zu stärken und zu erneuern. In Rußland steht, mehr als anderswo, das, was die Re gierung anzuordnen für gut befindet, häufig in vollem Wider spruche mit dem, was die öffentliche Meinung erwartete und er hoffte, deshalb ist es voreilig, aus dem Eindrücke, den man von dem Stande der öffentlichen Meinung in Rußland erhalten hat, auf Schritte oder Absichten der Regierung zu schließen, und be sonders in diesem Falle wäre es vielleicht ungerecht, au» dcm Umstande, daß man in Rußland den Annexionsdementis nur einen passageren Werth beilegt, nun zu schließen, daß dasselbe wirklich lediglich ein Beschwichrigungsmittel sei, und im Uebrigen die Situation in der Mandschurei kaum äußerlich, und auch nur für heute, ändere. Anderersets ist nicht recht verständlich, wes halb die russische Regierung, die doch, wie man meinen sollt«, einigen Einfluß auf die Presse hat, es ruhig geschehen ließ, daß weite Schichten der russischen Volkes, und gerade die besten, zu freudiger Begrüßung einer russischen Mandschurei systematisch beeinflußt wurden; wenn sie von vornherein keinerlei Absichten auf chinesisches Gebiet, durch die andere Mächte beunruhigt wer den mußten, gehabt hätte. Indessen, dem sei nun, wie ihm wolle, heute wird mit einem Federstriche Lie Situation geändert, und was gestern rosig war, ist heute grau in grau. Mancherlei Commentare werden über diesen Wechsel laut, unten denen am beharrlichsten das Gerücht ist, Deutschland und England seien bereit, die officielle Annexion der Mandschurei mit einer sofortigen Besetzung Schantungs resp. des Aang-tse- Thales „zum Schutze von Eisenbahnbauten" zu beantworten. Ob ein solcher Wink ergangen ist, wird sich in absehbarer Zeit wohl kaum pudlia beweisen lassen, auffällig erscheint nur, daß Japan und die Vereinigten Staaten bei dieser Combination kaum erwähnt werden, und von Frankreich nur beiläufig angenommen wird, daß es sich im Aunnan häuslich niederlassen werde. Nun ist man sich in Rußland ziemlich klar darüber, daß alle Expansions gelüste an den deutschen, und damit auch den englischen, solcher maßen festgelegten, Grenzlinien ein für alle Mal aufhören müssen zu existiren, und man zweifelt auch nicht, daß eine aus gedehnte deutsche -Verwaltung schließlich auch für den Chinesen vortheilhaftvon einer russischen abstechen würde. Das wäre natür lich gleichbedeutend mit einer starren Gefährdung des russischen Prestige, das heute unzweifelhaft der chinesischen Regierung groß genug erscheint, um sie ein Anlehnen an Rußland Wünschens werth finden zu lassen. Das Schicksal der traditionellen Po litik Rußlands in Bezug auf China hängt aber von der Er haltung seines Prestige ab, und um sich dieses zu erhalten, und sich die Zukunft zu sichern, bringt die russische Regierung jetzt das große Opfer, «inen Pflock zurückzustecken, weil es durch das leichtere Opfer der Preisgebung feiner Friedenspolitik denjenigen anderen Mächten gegenüber, die dann in Betracht kämen, heute strategisch und materiell nicht so vorbereitet ist, um bei dem zweiten Opfer auf einen sicheren Erfolg rechnen zu können, wie bei den ersteren. Das sind so die Ansichten, denen man hier in politischen und militärischen Kreisen begegnet. Sie mögen neben vielerlei aka demischer Combination doch Wahres enthalten, und sind jeden falls symptomatisch für die Anschauungen weitester Kreise der intelligenten und besitzenden Elasten Südrußlands. In die officiellcn Kreise aber, insbesondere die, welche jetzt den Zaren in Livadia umgeben, haben die widersprechendsten Tendenzen der letzten Woche ein« Nervosität gebracht, die eine endliche Lösung des Allienz-Jmbroglio zu einer klaren einheitlichen Action mehr als je dringend nothwendig macht. Tie chinesischen Seezökle. In letzter Zeit ist oft -der Name des Sir R o be r t Hart, des Gc-neral-Directors der chinesischen S«ezöll«, genannt worden. Er war es auch, durch dessen Vermittelung die ersten Nachricht«» über «das Schicksal der in Peking eingefchlossenen Gesandtschaften -m die Küste gelangten, und neuerdings spielt er eine wichtig« Rolle bei der Regelung der Verhältnisse in China. Um die Geschichte und die Bedeutung seiner Stellung zu verstehen, muß man in die Zeit der Tai Ping-Revolution zurück gehen. In den fünf in Folge des Friedens von Nanking (1842) geöffneten Vertragshäfen wurden die Zölle von chinesischen Be amten erhoben. Die Taipings bemächtigten sich im Jahre 1853 des Hafens von Shanghai und vertrieben di« Be amten. Um mm der gesetzlichen Regierung keinen Vorwand zum Dor- arhen gegen sie zu geben, beschlossen die in dieser Stadt an sässigen Kaufleute, unter sich «in« international« Commission zur Erhebung der Zollabgaben zu bilden. Als nun di« Regierung nach Beendigung des Aufstande» wi«der in -den Besitz der Gewalt gelangte, lieferten -die Kaufleute die inzwischen gesammelter«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite