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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010815011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901081501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901081501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-15
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Donnerstag den 15. August 1901. Anzeigen «Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Neelamen unter dem RedacrtonSstrich (4gespaUea) 75 L. vor deu Familienuach' richt«, (Sgespaltea) 50 Tabellarischer uud Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteaanaahme Ld (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernng 60.—, mit Postbesörderuug 70-—. Amtahmeschluß für Aiyelgeu: Ab«»d-L»-gabe: vormittag» 10 Uhr. Mor-on-Lusgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bei deu Filialeu und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen stad stet» an di« Expedition g> richten. Die Expedition ist Wocheutaa» ununterbrochen geöffnet von MH 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag voa E. Polz in Leipzig SS. Jahrgang. Polen, Cenlrum und die Ostmarken. Die Polen haben da» Eentrum im Wahlkreise Duisburg im ersten Wahlgang bekämpft, im zweiten im Stiche ge lassen, der polnische Propst Liß hat sich öffentlich grobe Un- gebührlichkeiten gegen den Erzbischof Simar zu Schulden kommen lasten, die Geistlichkeit deS Westens und daS Eentrum haben auch sonst Verdrießlichkeit«» wegen des groß gehätschelten slawischen Element». Kein Wunder, daß Klerus und Partei iu der Presse Worte de» Tadel» und der Ab wehr finden, die ihnen gegenüber viel schlimmer» polnischen Angriffen auf daS Deutschthum nicht zur Ber- füguug stehen. Wir haben eine Probe schärfster Verurtheilung jener Art polnischer Agitation au» dem „Wests. Bolksblatt" mitgetheilt und hinzugefügt, daß die „Germania* sich die Kundgebung aneignet uud ihrerseits noch etwas verschärft. Deutschen Ohren, in deren Nachbarschaft sich kein sonderlich entwickeltes kritisches Organ befindet, mag e» wonnig klingen, wenn den Polen von irgend einem Standpunct au» die Wahrheit gesagt wird, und wir sehen dean auch schon in deutsch gesinnten Blättern daS Centrum als Bundesgenossen gegen die Polen oder wenigstens als künftigen Neutralen im Nationali- täteukampf deS Osten« begrüßen. ES beruht dies auf völliger Verkennung der Ursachen und deS Zwecks der Ausbrüche der klerikalen Verärgerung, und eS ist eia gefährliches Beginnen, denn die falsche Deutung und die Ueberschätzung deS polnisch klerikalen Zwistes kann nur einschläfernd auf die ohnehin nicht genügend rege deutsche Theiloahme de- gesammte» Deutschlands an dem Existenzkampf im Oste» wirken. Wir bestreiten gar nicht, daß die vielcommentirten Worte deS „Westfäl. Volksblatte-* ehrlichem Zorn entspringen, aber geistlichem Zorn über den „zurückgehenden kirchlichen Eifer*, Schwinden der „Empfänglichkeit für die Seelsorge* unter den polnischen Industriearbeitern deS Westens. Sie rechtfertigen nicht im Mindesten daS Vertrauen, daß die ultramoatane Polenpolitik eine Wandlung erfahren werde. Gerade ein der deutschen Beurthriluug der polnischen Kampfmethode gemachtes Zugeständniß, da- dem wahrscheinlich geistlichen Verfasser deS westfälischen AbwehrartikelS entschlüpft, k:no- zeichnet diese Frontstellung als eine reiu kirchliche. Wir lesen: „Der Proceutsatz der Polen, welche durchaus keiu Deutsch ver stehen, ist überhaupt nicht sonderlich groß, die weitaus meisten polnischen Arbeiter können genügend deutsch, wenn sie wollen. Und da liegt der Hase im Pfeffer." Da liegt er allerdings im Pfeffer. Aber wenn das Gleiche vom deutschen Standpunct und im deutschen Interesse gesagt wird, dann ist die gesammte klerikale Presse bei der Hand, daS stricte Gegentheil zu behaupten. DaS Centrum hat ledig lich der Polen wegen in daS Bürgerliche Gesetzbuch den be kannten Dolmetschparagraphen gebracht, dessen Ueberflüssigkeit hier zugegeben wird. Denn eine deutsche Aussage vor Gericht setzt keine größere Kenntniß der deutschen Sprache voraus, als daS Anhören einer deutschen Predigt oder gar das Ab legen der Beichte in deutscher Sprache. Aber noch mehr: ge rade wegen der Unterweisung in der Religion bezeichnen die deutschen Klerikalen kirchlichen Unterricht in polnischer Sprache für unerläßlich, nenne» sie die Verweigerung religiöse Be drückung. Nun, da die unberechtigten polnischen Sprach ansprüche an irgend einer geistlichen Stelle unbequem werden, heißt e» auf einmal: „Sie können genügend deutsch, wenn sie wollen.* Die Hoffnung aber, daß daS so deSavouirte Mittel der Unterstützung polnischer nationaler Propaganda nun nicht mehr in An wendung gebracht werden würde, ist durchaus eitel. Man wird sagen, das „Wests. Volksblatt" rede nur von Arbeitern, und darunter seien Industriearbeiter verstanden, im Osten bandle es sich aber hauptsächlich um Landbevölkerung. Dies wird nun zwar Schwindel sein, denn die polnischen Industrie arbeiter des Westens sind zum allergrößten Theile vom platten Lande zugezogen, aber wer die Moral deS heiligen Liguori für Moral hält, braucht auch einen solchen Behelf nicht zu verschmähen. Man wird sagen: im Westen ist eS dem Ceutrum Ernst, dort sähe es lieber keine Polen, jedenfalls keine polnische Agitation. Das trifft ohne Zweifel zu. Man müßte sich dort nicht so wehren, wie eS letzt nöthig ist; man hätte bei den Wahlen keine Unannehmlichkeiten wie die Duisburger; zudem sehen die deutschen centrumStreuen Arbeiter im Westen die polnischen Genoffen auch nicht gerne und zeigen Verstimmung darüber, baß „ihre Partei* dieses nationale Element in dessen Hauptsitzen bevorzugt und kräftigt. Die wahre Meinung im Westen will aber sür die klerikale Politik im Osten nicht» besagen. Von der „Köln. VolkSztg.*, also vom Rhein, erhalten die Polen in Posen und West preußen unausgesetzt den besten publicistischen SuccurS. Und die Hautpsachc: in Rheinland und Westfalen existirt eine polnische Gefahr nicht und wird eine solche nicht auf leben. Die Anmaßung der Ausbrüche deS Deutschen haffe-, deren sich polnische Häufchen inmitten einer ur deutschen Bevölkerung nicht enthalten zu müssen glauben, zeigen uns die Größe der Gefahr im Osten, wo die Polen an Zahl den Deutschen heute ebenbürtig, in vielen Orten über legen und von der Geistlichkeit geführt und gefördert werden. Aber polnische Inseln von dauerndem Bestände werde» sich inmitten de- aiedersächstsch-rheiufränkischea Ocean- nicht dil« deu könne«. Nun aber, uud darauf gründe» deutsch« Optimisten ihre Hoffnungen, da- Polenthum bedroht im Osten auch da- Eentrum, e- gefährdet dort ungefähr 16 Mandate der Fractioo. Gleichfalls richtig, und wenn auch da» Een trum gemäß seiner Gesinnung, über polnischen Zuwachs durch Grwiau vou Parlamentssitzen, die anderen deutsch' sprechendea Parteien gehört haben, Vergnügen em pfindet, di« eigene fractionelle Herrlichkeit mag - sich auch vicht durch uud zu Guuste» der besten Freuude schmälern lassen. Sich selbst wird e« also gegen die Polen wehren. Dabei grwiuut ja auch da- Deutschthum uud ver liert da- Polruthum »icht-, deu» da- Eentrum hat, wie vie Erfahrung »icht «ur in Schlefie» zeigt, gegen di« Polo»istrua- der Bevölkerung der von ihm beseffrueu Wahlkreise, wenn sie nur ihm verbleiben, nichts ein zuwenden. Wollte daS Centrum, woran nicht zu denken, andere Parteien gegen die Polen unterstützen, so würde «S daran gehindert werden. Denn am letzten Ende wird die Politik dieser Partei nicht von ihren sichtbaren Führern bestimmt, sondern von Rom, und der Ultra- montanismuS kehrt sich vor Allem gegen das Deutschthum. Er leiht der dem Deutschthum feindlichen Nationalität immer und überall seine Unterstützung, uud in Südtirol zeigt er, was nicht oft genug gesagt werden kann, daß ihm eine nichtdeutsche oder antiklerikale Bevölkerung genehmer ist als eine deutsch-klerikale. Das Deutschthum ist dem IesuitismuS unheimlich und man kann dies begreifen. Für ihn ist auf den deutschen Geist kein Verlaß. Döllinger war Jahrzehnte die stärkste Säule der ultramontanen Theologie und die Kirche glaubte, ibn später excom- municiren zu müssen. Der Erzbischof Cardinal Rauscher setzte in Oesterreich ein Concordat durch, das der Kirche im Staate Iosef'S H. vou ihr selbst niemals erhoffte Machtbefugnisse einräumte, und er nahm auf dem vatikanischen Coocil eine Haltung ein, die von den Jesuiten so beurtheilt wurde, daß es der deutsche Kirchenfürst einmal im Interesse seiner Sicherheit gerathen fand, von Rom nach Neapel zu flüchten. Schell in Würzburg galt als sicherer Mann und hat sich nachträglich als solcher erwiesen, indem er sich unterwarf, aber er war doch gegen den IesuitismuS als Ultramontaner i» der Theologie auf getreten. Der UltramontaniSmus findet immer wieder Grund, das deutsche Wesen zu fürchten, auch wenn er so mächtig in Deutsch land und Deutsch-Oesterreich ist, wie «S in der Gegenwart der Fall. Es ist nicht so sehr die deutsche wissenschaftliche Kritik, die ihn zittern macht, — damit können auch die Franzosen lästig werde» — als die Zuverlässigkeit deS Glaubens, der den Deutschen zum Unterschied von Romanen und Slawen eigen. Rom braucht NichtS-alS-Gläubige, und dazu haben auch viele gut katholische Deutsche nun einmal kein Talent. Deshalb wird eS in den Ostmarken bei der bisherigen klerikalen Poleupolitik bleiben. Waldersee loeutus. Die Reden des Grafen Waldersee in Hannover haben noch weit mehr Befremden verursacht, als seine Ham burger. Durfte man bis Hannover hoffen, daß sich das Sprech- bedürfniß in den ersten Tagen der Rückkehr erschöpfen und wohlthuender Zurückhaltung Platz machen würde, und durfte man deshalb ohne Verletzung journalistischer Pflichten, die Merk- Iwürdigkeiten der ersten Expektorationen auf die lang entbehrte Lust der Rede, auf die militärische Sprechweise und andere Gründe der Benevolenz zurückführend, den Hamburger Empfang mit Kopfschütteln und einfacher Lonstatirung der auffälligen Thatsachen abthun, so geht das jetzt nicht mehr. Leider nicht, denn es liegt Methode in dem Auftreten des Grafen. Wir sind der Aufgabe, dies selbst darzuthun, enthoben durch andere Blätter, die wir in diesem.Falle um so lieber citiren, da hier durch zugleich gezeigt wird, in wie weiten und wie ver schiedenen Kreisen die Waldersee-Sprüche abfällig beurtheilt werden. Sachlich am schärfsten mit spricht sich di« sonst vielfach als officiös geltende Münchener „Allgem. Ztg." aus, di« ihren Artikel „Militärische Ansprachen und Poli tik* überschreibt und in ihm u. A. sagt: „Dagegen vermögen wir die Ansprache mit unserer Zustim mung nicht mehr zu begleiten, wenn Graf Walder see schon jetzt sich politisch über das Facit der deutschen China-Politik nach dem Telegramm des Wolff- schen Telegraphenbureaus dahin geäußert hat: „Was in China für das deutsche Reich geschaffen wurde, wird hoffentlich recht bald an den Tag kommen; wir danken Alles allein dem Kaiser.* Wir theilen diesen Wunsch, wir theilen die Erkenntniß der kaiserlichen Initiative, würden aber jenes Facit erst dann zu ziehen wagen, wenn das Schiff im Hafen liegt. Noch ist in Ostasien das letzte Wort nicht gesprochen; noch sind Kräfte am Werke, die die Mißgunst über die starke Initiativ« auf dem deutschen Kaiserthron stark genug beherrscht, um den Wunsch zur That werden zu lassen, durch Verschleppung der endgiltigen Regelung, die deutsche Politik um ihre wohlerworbenen Frücht« zu bringen. Wir würden, wenn dies gelänge, uns mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, wenn in frivoler Um kehrung einer an sich berechtigten Anerkennung, wie sie Graf Waldersee ausgesprochen, die mit solcher Verschleppung möglicher Weise verbundenen Mißerfolge auf die Person unseres Kaisers zurückgeleitet würden. Da man bei der Lösung von Ver wirrungen, wie die ostasiatischen, aber auf alle Eventualitäten gefaßt bleiben muß, haben wir den dringenden Wunsch, wie für alle anderen Fälle, auch für jene Abwehr gerüstet zu bleiben, bis das letzte Wort gesprochen und sxrtzs Iu dstaills herzhaft Hurrah gerufen werden kann. Dann ein Zweit« ». Graf Waldersee ist zum Kaiser nach Homburg zurückgekehrt, al» der Feldherr, der da« ihm anver traute Amt in di« Hand de» allerhöchsten Kriegsherrn zurück legt. E r kehrte nach Hannover zurück al» Generalinspectcur der 3. Armeeinspection, der als Officier dem Kaiser unterstellt ist, wie jeder ander« Soldat. Der Soldat hat dem Kaiser zu danken; er hat auch das Recht, bei gegebener Gelegenheit diesen Dank offen und laut zu bekunden. Aber der Dank darf nicht die Form de» Zeugnisse» haben. So erscheinen die Worte de» Grasen Waldersee nach dem Wortlaut de» Wolff'schen Telegramme». Wir würden «» daher begrüßen, wenn der wirk- lich« Wortlaut ein anderer gewesen ist; denn den guten Tra - ditionen der Arme«, wi< wir sie auS den großen Zeiten de» Reiche» in Erinnerung haben, entspricht e» nicht wenn der untergebene Officier in off ent- licher Ansprache dem höher stehenden, oder ein General dem allerhöchsten Kriegsherrn die Anerkennung über Leistung «n und Thaten in einer Form bekundet, dir die mit dem Anrecht auf Ertheilung von Anerkennung untrennbar verbundene Autorität verschiebt.* Die „Hamb. Nachr." sind nicht minder scharf: „Wenn Graf Waldersee über den Verdacht erhaben ist, den Monarchen öffentlich zu schmeicheln und jede etwaige Eifersucht im Keime ersticken zu wollen, so bliebe zur Erklärung seiner drei Mal wiederholten Bezeichnung des Kaisers als alleinigen Urhebers der chinesischen Expedition nur die An nahme übrig, daß er in Form einer Huldigung dem Kaiser, wie die Initiative, so auch die Verantwortlichkeit für die chinesische Action allein hat beimessen wol len. Aber mit dieser Annahme würde man doch wohl sehlgehen, denn sie hätte zur Voraussetzung, daß sich Graf Waldersee selbst verantwortlich fühlte, und diese Verantwortung, gegenüber der zweifelhaften Stellungnahme der deütschen öfentlichen Meinung zu den Ergebnissen des chinesischen Unternehmens von sich ab- zuwälzendas Bestreben hätte, wovon natürlich bei ihm keine Rede sein kann, denn er war, wie er selbst geflissentlich betont hat, nicht mehr als Ausführer der Befehle seines Herrn, also nicht mehr als „Handlanger", wie unsere Officiösen sagen müßten, wenn sie den Muth dazu besäßen ... Je frag würdiger und bedingter die Errungenschaften der deutsch-chine sischen Action erscheinen und je mehr sie einstweilen außer Ver- hältniß zu den gebrachten Opfern stehen, desto vorsichtiger sollten sich alle Diejenigen über sie äußern, welche berufen waren, in verantwortlicher Stellung an ihr theilzunchmen. Das Wort des Grafen Bülow, daß wir dahin streben müßten, je eher je lieber aus China wieder herauszukommen, steht jedenfalls im flagranten Gegensatz zu den Aeußerungen, welche die Zeitungs berichterstattung dem Grafen Waldersee zugeschrieben hat." Wir lassen ein paar Bruchstücke folgen aus einem überaus charakteristischen Artikel der in politischen Dingen dieser Art sonst sehr zurückhaltenden „Voss. Ztg.": „Es scheint, er will doch Reichskanzler werden", hat dem Blatte zufolge ein sehr unbetheiligter und unbefangener Mann beim Lesen der jüngsten Reden des Grafen Waldersee gesagt, und nach diesem Motto bespricht die Zeitung die Stellung des Grafen Waldersee zu der Politik seit Bismarck's Tagen; sie erzählt: „Wir wissen, daß er schon unter dem Fürsten Bismarck als der „kommende Mann" bezeichnet wurde und sich genökbigt sah, eine öffentliche Erklärung abzugebcn, wonach er dem Kaiser als Soldat diene und kein Parteimann sei. Aber wir haben auch gesehen, mit welchen Augen ihn der erste Kanzler betrachtete, als Graf Waldersee ihn im Herrenhause nach der Preßfehde begrüßte. Der General trat auf den Fürsten Bismarck, der am Ministertisch saß, höflich zu und machte seine Verbeugung, und der eiserne Kanzler saß starr aufrecht, wie aus Stein gemeißelt, blickte den Günstling des Prinzen Wilhelm mit großen Augen an, als könne er sich nicht erinnern, den Mann schon einmal gesehen zu haben, zog dann seine schildpattgeränderte Lorgnette vor und beobachtete den fremden Herrn, um langsam seinen Gruß mit einer voll endeten Verneigung seines herkulischen Oberkörpers zu erwidern. Es waren Lieder ohne Worte. In demselben Jahre hielt Graf Waldersee in seinem Hause jene Versammlung ab, auf der Stöcker in Anwesenheit des Prinzen Wilhelm das große Wort führte. Fürst Bismarck glaubte darauf mit jenem in der „Post" veröffentlichten Artikel antworten zu sollen, der sich gegen die „Stöckerei und Muckerei" wendete. Bei der heutigen Beisetzung der Kaiserin Friedrich hat Graf Waldersee die könig liche Krone getragen; daS mag dem Hofceremoniell entsprechen, den Empfindungen, die die Heimgegangene Kaiserin für Walder see hegte, sicherlich nicht. Denn die politischen und religiösen An schauungen des Grafen Waldersee und seines Anhanges standen in schroffstem Gegensatz zu denen des Kaisers und der Kaiserin Friedrich. Mr wissen das genau, da das Kronprinzenpaar von San Remo aus die „Voss. Ztg." um eine freimüthige Mittheilung über den Eindruck ersuchte, den die Versammlung bei dem Grafen Waldersee auf die Berliner Bevölkerung gemacht habe, und auch mit der eigenen Meinung nicht zurückhielt. Kaiser Friedrich und seine Gemahlin haben den Einfluß, den Graf Waldersee auf den Prinzen Wilhelm ausübte, niemals für einen glücklichen gehalten. Neuerdings aber redcn die Freunde des Grafen Waldersee, und deren hat er in der Presse nicht wenig, in einem Tone von ihm, als sei er eine Art Vicekaiser — oder auch mehr." Den Schluß der Preßstimmen möge der letzte Satz eines Ar tikels der „Nat.-Ztg." machen: „Wir wollen uns auf den Aus druck der Hoffnung beschranken, daß es nun mit den Waldersee-Reden zu Ende sei; wir glauben nicht, daß irgend Jemand nach einer neuen Serie Verlangen trägt." Stimmt. Waldersee locutus — möchte doch auch der übliche Nachsatz stimmen: causa Lirüta! Der Krieg in Südafrika. * Ueber die am 10. und 12. Juli in Middelburg und Cradock,vollzogene Hinrichtung der beiden Cap- boeren, Abraham Marais und Johannes PetruL Coetzee, wird der „Voss. Ztg." aus Amsterdam geschrieben: Liest man den officiellen Rapport über die Gründe, aus welchen die beiden unglücklichen Capländer zum Tode verur- theilt worden sind, so drängt sich unwillkürlich und von selbst die Ueberzeugung auf, daß m diesen beiden Fällen ein gericht licher Mord begangen worden ist. Jeder der Heiden Ver- urtheilten hat bis zum letzten Augenblick seine Unschuld be- theuert und Coetzee ist überdies nut außerordentlichem Muth dem Tode entgegengegangen; in seinem letzten Worte drückte er noch die Hoffnung auf den Sieg der gerechten Sache aus, für die er willig den Tod erleide. Aus dem Rapport geht hervor, daß die Verurtheilung sich ausschließlich auf die Aussage eines einzelnen Zeugen, des Soldaten John Narrow, gründete und diese Aussage lautete wörtlich: „Ich sah an meiner linken Seite eine Donga (eine Art nut Gesträuch überwachsene Kluft), au» der, wie ich meinte, gefeuert worden war. AIS eS Tag wurde, ging ich mit dem Soldaten Matthew» auf diese Donga zu und wir fanden hier zwei Maurer, in denen ich jetzt Marai» und Coetzee wieder erkenne. Sie hatten Gewehre und Munition bei sich, ihre Magazine waren gefüllt und ihre Gewehre waren noch nicht lange abgeschossen. Matthews und ich entwaffneten sie und übergaben sie der Wache, die bei den übrigen Gefangene» war." Und auf diese» Zeugniß hin sind Marai» und Coetzee zum Tode verurtheilt worden. ES ist aber keineiweg» bewiesen, daß der Schuß, der den englischen Soldaten Gibbon» tödtlich verwundet«, von Coetzee und Marai» abgegeben worden ist. denn sie befanden sich bei einer größeren Anzahl Rebellen, die alle zugleich auf die Engländer gefeuert haben, so daß das Zeugniß von Barrow ebenso gut gegen jeden Anderen der Ge fangenen hätte verwendet werden können. Dazu kommt aber noch ein anderer Umstand, der die Verurtheilung noch viel un verantwortlicher macht und Kitchener's Bestätigung des Urtheils geradezu als eine leichtsinnige Ruchlosigkeit erscheinen läßt. In einem Processe, wo es sich um das Leben von zwei Menschen handelte, war den Angeklagten nicht einmal ein Nechtsbeistand gestattet worden, das Kriegsgericht bestand aus drei blutjungen Officieren, deren richterliche Fähigkeiten und juristische Bildung, wie sich von selbst versteht, gleich Null waren. Es wird be hauptet, daß sie ihren auf solch' schwachen Verdachtsgründen beruhenden Urtheilsspruch in der festen Ueberzeugung ab gegeben. hätten, daß Kitchener den Verurtheilten das in der englischen Rechtspflege häufig angewendete „bcnekit ok Ido cloubk" zu Gute kommen lassen und sie zu einer leichteren Strafe begnadigen werde. Das ist nicht geschehen, aber Middel burg und Cradock werden mit blutigen Buchstaben in der Ge schichte des afrikanischen Volkes fortleben. * Aus einer Reihe „AugenblickSbitVer von« Kriegsschau ¬ platz« i» Südafrika", die die „Deutsche Wochenschr. in den Nieder!." bringt, seien hier folgende mitgetheilt. Daß es der Frau des berühmten Boerengenerals Dewet nicht an Mutter witz gebricht, beweist die nachstehende wahrheitsgetreue Episode. Bekanntlich wurde ein höherer englischer Officier zu Frau Dewet gesandt, um sie zu überreden, ihren Mann zur Ueber- gabe zu bewegen. Da Frau Dewet so that, als ob sie der eng lischen Sprache nicht mächtig sei, nahm der englische Officier seine Zuflucht zum Gcberdenspiel. Er entnahm einem auf dem Tisch im Wohnzimmer stehenden Korb mehrere Eier und legte sie kreisförmig auf den Tisch. Der Kreis sollte den eng lischen Cordon vorstellen. Danach legte er in die Mitte ein großes Geldstück. „Dewet", sagte er, darauf hindeutend. Darauf beeiferte er sich, Frau Dewet begreiflich zu machen, daß ihr Mann unwiderruflich verloren sei und sich ergeben müsse. Frau Dewet folgte seinen stummen Ausführungen mit großem Interesse. Plötzlich wies sie mit dem Finger auf ein Bild ihres Mannes, das an der Wand hinter dem Officier hing. Der Officier schaute in die angedeutete Richtung, aber als er sich wieder umdrehte, war das Geldstück verschwunden. „IVcll", fragte Frau Dewet mit boshaftem Lächeln in reinstem Englisch, „wo ist Dewet?" Der englische Officier soll nicht gerade sehr gescheit dreingeschaut haben. — Ganz oben im Wipfel eines Baumes in einem der Gärten des Dörfchens Colenso an der Ueberseite des Tugela sitzt ein ungefähr fünfzehn jähriger Knabe und ißt Pfirsiche. Er ist über den Fluß geschwommen und hat nichts Anderes an als ein Hemd. Sein geladenes Gewehr und der volle Patronengürtel liegen unter dem Baume im Rasen. Beim Essen blickt er scharf aus nach einer Staubwolke, die in weiter Ferne sichtbar wird; sie kommt näher und näher und endlich bemerkt er einen Reiter, der in fliegendem Galopp naht. Das Thier läuft prächtig; es ist ein großer Brauner, und der Schwanz ist kurz ab geschnitten, aber der Reiter hat doch einen Schlapphut auf. Das Pferd rennt direkt auf den Baum los. Plötzlich gleitet der Knabe am Baum herunter, schnallt den Gürtel um und reißt das Gewehr an die Backe. Sein schrilles „kancis up!" bringt den wie toll daher Reitenden auf 50 Schritt Abstand plötzlich zum Stehen. Verblüfft starrt der Engländer ihn an. „I vonckcr vliat tde vevil u rogimenk von delnn? to" (Zum Teufel, zu welchem Regiment gehörst Du?) preßte er endlich hervor. Der „Senn" entwaffnet ihn, läßt ihn ab steigen, springt selbst in den Sattel und läßt seinen Ge fangenen vor sich hergehen nach einer durchwatbaren Furt im Flusse. An der anderen Seite stehen ein paar Aeltere, die den Knaben mit seinem Gefangenen ankommen sehen, und bevor der Engländer sich ins Wasser begiebt, rufen sie dem Knaben zu: „Seun, laß den armen Kerl doch aufsitzen; Du bist ja aus gezogen, und warum willst Du ihn denn so durch das Wasser schicken?" „O, nee oompies (Ohms), ich habe heute Morgen schon herrlich gebadet. Gebt Jack nun auch 'n bischen Chance, bei seinem Lager giebt's doch kein Wasser." — Auf unserem Marsche in der Umgegend von Estcourt befanden wir uns in der Nähe des berühmten Gestüts der Natalschen Regierung, welches durch unser plötzliches Erscheinen nicht zeitig genug in Sicherheit hatte gebracht werden können. Zwei junge Boeren reiten hopsend auf langschweifigen, langmähnigen Boeren- pferden; an der Hand führen Beide je ein prächtig gebautes, apfelrundes Pferd mit gerade abgeschnittcnem Schweif und kurzen Mähnen mit. Nun war aber das Beutemachen durch General Joubert strenge verboten. Der General, nur von wenigen berittenen Leuten seines Stabes umgeben und ohne äußerliche Erkennungszeichen seiner Würde, begegnet den beiden Boeren, hält sein Pferd an und ruft ihnen mit hoher durch dringender Stimme sehr böse zu: „Was ist das? Wo habt Ihr das Pferd her? Ihr habt sicherlich wieder Beute gemacht?" Aber ohne einen Augenblick anzuhalten, forthopsend, gucken sie den ihnen unbekannten, erregten Sprecher halb verwundert, halb schalkhaft über die Schulter an und rufen: „Was willst doch, Du altes Knopfloch; reg' Dich doch nicht auf für nichts! Wo wir die Pferde „gebeutet" haben, sind noch genug für Dich übrig geblieben." * Berlin. 13. August. Di« deutsche Regierung hat, wie die „National-Ztg." au» sicherer Quelle erfährt, keinen Antrag der englischea Regierung über die Nichtanerkennung der Boeren al» kriegführende Partei erhalten, sodaß zu Erörterungen darüber, wie sich Deutschland zu einem solchen Verlangen gestellt habe, keine Veranlassung vorliege. * L»nd»N, 14. August. „Reuter'» Bureau" berichtet auS Jager-foutein Road unter dem 13. August: Der Lommandant Pretoria-, dem vor einige» Woche« die Augen auSgrschossen worden waren, ist gestorben. * Mitztzklbsr», 13. August. Scobell» Colonne, in Stärk« von 300 Mann, stieß am 9. August in der Nähe de» Fish-River auf eine annähernd gleich starke Abtheilong Boeren. Diese leistete zwar Widerstand, wurde aber in vierstündigem Kampfe von Kopje zu Kopj« grtriebeu. Auf englischer Seite sind ein Officier und «in Manu gefalle». Stebea Mann wurden verwundet. (Reuter'» Bur.)
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