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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.08.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010831023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901083102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901083102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-31
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Sonnabend den 31. August 1901. Anzeigen »PretS die «gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 7K H, vor deu Familteuaach» richten («gespalten) KO L». Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen nud Offertenannahme LS H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug «0—, mit Postbesörderuug ^l 70.—» Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Staude früher. Anzeige» sind stet» aa die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Drwk und Verlag vo» E. Pol» i» Leipzig 93. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Angesichts des wachsenden Aufstandes der Cap holländer hat sich die englische Regierung zu rigorosen Maßnahmen gegen die Führer der Afrikanderpartei entschlossen. So hat, wie bereits telegraphisch gemeldet wurde, Mr. Mer- riman, einer der Fricdensdelegirten, die kürzlich in England waren, den Befehl erhalten, sich nicht von seiner Farm in Stellenbosch zu entfernen. Ein Korrespondent des „Standard" sagt, daß diese Anordnung in Folge gewisser Vorgänge ge troffen wurde, die auf der Farm Mr. Merriman's vor gekommen seien. Die Militärbehörden ordneten, wie es scheint, eine Haussuchung an, die bei Nacht vorgenommen wurde; dann wurde Mr. Merriman verhaftet, später jedoch gegen Ehren wort wieder auf freien Fuß gesetzt. Die letzte Post aus Süd afrika hat einen Brief Mr. Merriman's an einen Londoner Freund gebracht, in dem sich der frühere General schatzkanzler der Capcolonie in der folgenden Weise über die Verhältnisse in der Kolonie ausspricht. Der Brief ist Stellen bosch, den 6. August, datirt. „Ich habe lange", heißt cs da, „aufgehört, mich über etwas zu wundern, aber trotzdem ich mich nachgerade an die Verlogenheit der konservativen ge wöhnt habe, traf es mich doch wie ein Blitz, als ich las, daß Mr. Chamberlain erklärt habe, daß sich noch Niemand über das Kriegsrecht beklagt habe, das in der Capcolonie gilt. Ich hatte gedacht, daß Sauer und ich uns deutlich genug darüber ausgesprochen hätten. Alle öffentlichen Versammlungen sind verboten, und erst kürzlich wurde ein Abgeordneter, der kaum 50 Meilen von Capstadt entfernt wohnt, vor ein Kriegsgericht gebracht, weil er 50 Leute in seiner Nähe hatte. Ein anderer Abgeordneter wurde deportirt, weil er sich weigerte, in eine Stadtwache einzutreten. Und was Allem die Krone aufsetzt ist, daß das Parlament, wo die Stimme des Volkes gehört werden sollte, suspendirt ist, gegen alle Gesetze, und daß das Geld so ausgegeben wird, ohne daß das Volk feine Einwilligung dazu gegeben hätte." * London, 30. August. Ein Telegramm der „Daily News" aus Norvalspont meldet, daß die Boeren am Dienstag Nachts das Blockhaus der Eisenbahn unweit de Aar angriffen, aber nach längerem hartnäckigen Kampfe zurückgeschlagen wur den. Einer Depesche aus Capstadt zufolge wurden In Graafreinet am Mittwoch zwei weitere Rebellen kriegsrechtlich erschossen. * London, 30. August. „Standard" berichtet aus Pre toria unter dem 29. August: Ende Juli befanden sich in den Concentrationslagern Transvaals 62 479 Personen, darunter 10 000 Männer und über 23 000 Frauen mit mehr als 28 000 Kindern von einem bis zu zwölf Jahren. Bis Ende Juli sind 1067 Personen gestorben, darunter 860 Kinder. * London, 30. August. Dem „Reuter'schen Bureau" wird aus Vereeniging unter dem 23. dieses Monats berichtet: Oberst Garret überrumpelte heute «in Lager westlich Ver- cenigings, wobei drei Mann fielen und acht gefangen genommen wurden; auch eine Menge Vorräche wurde erbeutet. Der britische Verlust beträgt vier Todt«. Politische Tagesschau. * Leipzig, 31. August. Jin Reichstage wird, wie auf dem Osnabrücker „Katholikentage" verkündet worben ist, das Centrum bei den Verhandlungen über den Zolltarif den Antrag ein bringen, daß die aus der Erhöhung der Lebens Mittel zölle zu erwartenden Mehreinnahmen ganz für social politische Zwecke zu Gunsten der Arbeiterbevvlkerung ver wendet werden sollen. Diese Absicht ist schon früher aus gesprochen worden und der Reichskanzler hat sich günstig zu ihr gestellt. Ans dem Entwürfe zum Zoll tarife scheint eben hervorzugehen, daß Graf Bülow diese Stellungnahme bereue und bei den Zolltarif- Verhandlungen einer finanzpolitischen Erörterung auS dem Wege gehen möchte. Trotzdem wird er eS erleben müssen, daß die ausschlaggebende Partei deS Reichstags die Frage nach der Verwendung der zn erwartenden neuen Ein nahmen aufwirft. Nun ist bisher, wenn das Centrum finanz politisch lhätig war, noch nie eine zweckmäßige Maßnahme zu Stande gekommen. Als eine solche kann man jedenfalls die Clausel Franckensteiu, die noch die beste der finanzpolitischen Thaten deS CentrumS ist, nickt bezeichnen, da sie die den neuen Besteuerungsgrundsätzen Hohn sprechenden „monströsen" Matricularbeiträge conscrvirt. Die lox Huene hat sich keines langen Daseins erfreut und die lex Lieber zur Regelung der Ncichsschuldentilgung hat von selbst jede Gel tung verloren, seitdem die Ucberschußwirthschaft zu Ende ge gangen ist. Nach diesen Erfahrungen wird man sich vom Centrum nicht gerade bahnbrechender finanzpolitischer Vor schläge versehen dürfen; auch macht, wie ein Mitarbeiter der „Hamb. Nachr." hervorbebt, die Form, in welcher der oben erwähnte Antrag eingeliracht werden soll, schon wieder den Eindruck Les Halbseitigen. „Wie" — so fragt dieser Mit arbeiter — „will mau das Maß der Einnahmesteigerung, welches auf die Zollerhöhung fällt, abgrenzen?" Und er fährt fort: „Die natürliche Bevölkerungsznnahme bringt Loch so wie so schon eine Erhöhung der Zolleinnahmcn mit sich, wie das Beispiel der letzten zwanzig Jahre wohl zur Genüge gezeigt hat. Kurz, inan wird gut thun, dem neuesten Vorgehen des CentrumS auf dem Gebiete der Finanzpolitik vorläufig mit recht geringem Vertrauen zu begegnen. Wenn nun aber das Centrum einen bedeutenden, vielleicht den größten Theil der zu er- warienden Zoll-Mehreinnahmen für bestimmte Zwecke fest legen will, wie denkt es sich denn die Beseitigung der Finanz» calamität im Reiche? So wie die Finanzen bi» jetzt jsind, können sie doch nicht bleiben. Die Einnahmen müssen vermehrt werden, wenn nicht die Matricularumlagen bis zu einer uner schwinglichen Höhe hinaufgeschraubt werden sollen. Herr v. Miquel hat doch noch jüngst aus das mit den Thatsachen nicht in Einklang zu bringende schöne Aussehen des Neichsetats für 1901 hin gewiesen, wie soll aber erst den gar nicht abzuweisenden Mehr» sorderungen für 1902 bei dem Pensionsfonds, der Jnva. lidenversicherung, den Zinsen, der Kriegsinvaliden. Versorgung, der eventuellen Neuregelung des Militärpensions> wesenS n. s. w. genügt werden? Will das Centrnm die Haupt- sächlichsten Mehreinnahmen aus den Zöllen für WohlsahrtSeinrich- tungen verwenden, so zwingt es die Regierung, mit neuen Steuer vorlagen au den Reichstag heranzutreten. Ueber diesen Zusammen hang der Dinge sollte namentlich die Regierung keine Unklarheit lassen; sie sollte den erwähnten Centrumsantrag im Reichstage durch sofortige Einbringung von Steuervorlagen beantworten; dann würde daS Centrum schon wählen müssen. Auf jeden Fall würde es dann klar werden, daß das Centrum eine R eichsfinanz- reform auf Grund der Zolltarifrevision Hinter treiben will." Ueber diesen Zweck deS CentrumS braucht man unserer Ansicht nach gar nicht erst inö Klare zu kommen. Aber eben deshalb besorgen wir auch, daß der Reichskanzler kein Ver langen tragen werde, den Zweck der ausschlaggebenden Partei durch Einbringung von Steuervorlagen zu durchkreuzen. Er ist bei den Zolltarif-Verhandlungen aus das Centrum an gewiesen und wird lieber das Drängen der einzelstaatlichen lliegierungen nach einer organischen Reichsfinanzreform zu beschwichtigen suchen, als die Mannen deS Herrn Or. Lieber verstimmen. Für die Einzelstaaten entsteht dadurch eine recht üble Lage, aus der sie sich nur dann befreien können, wenn sie möglichst bald nnd energisch Stellung gegen das Centrums- project nehmen und im Bundesrathc selbst Anträge einbringen, die nach Art. 7 der Neichsverfassung vom Präsidium zur Bcrathung gebracht werden müssen. Ueber die neue Culturkampf-Parole von Osnabrück schrieb die klerikale „Köln. Vvlksztg.": „Die Parole (zum Kulturkampf) ist ausgegeben und der Wider- hall wird nicht ausbleiben. Das ist das Neue, was in Osnabrück geschehen ist, und hierin darf man vielleicht das Hauptverdienst dieser gewaltigen Kundgebung der deutschen Katholiken erblicken I" In Osnabrück selbst scheint aber „der Widerhall auS- gcbkieben" zu sein; die Ankündigung des neuen CulturkampfeS, auS welcher jetzt die Centrumsblätter nachträglich ein mäch tiges Fansarengeschmetter machen wollen, scheint auf die Ver sammlung selbst einen äußerst verblüffenden Eindruck gemacht zu haben; „denn", wie die „Osnabrücker Ztg." schreibt, „es folgte keine Acnßrrung der Zustimmung, sondern lautlose Stille. Wären von anderer Seite, außer vom Abg. Trim- born, ebenfalls die „dunklen Wolken am Horizont" bereits erblickt worden, dann bätte eS wohl kaum an bekräftigendem „Sehr richtig" gefehlt!" Um so weniger, als es kaum bei- sallslustigere Versammlungen giebt, als die deS „Katho likentags". Das Schreiben des Cardinal-StaatSsekretä.'rS Rampolla an die deutschen Domcapitel, auS dem wir in unserer gestrigen Morgenausgabe einen der „Frkf. Ztg." ent nommenen Auszug mittheilten, liegt jetzt im Wortlaute vor. Nach diesem ist seine Form allerdings etwas weniger schroff, als man nach dem Auszuge annehmen mußte. So enthält es folgende Stelle: „Jenes negative Eingreifen, das einem nichtkatholischen Landesherrn oder einer solchen Regierung zugestanden wurde, hat keinen anderen Zweck, als die Wahl von Personen zu ver hindern, die der weltlichen Gewalt minder genehm sind. Den Domcopiteln obliegt somit nur, Männer in Vorschlag zu bringen, die bereits vor der Wahl außer den zur Lehre, Der- theidigung und friedlichen Leitung der Kirche erforderlichen Eigen schaften den Ruf genießen, daß sie klug, ruhig und loyal sind, jo daß sie der Regierung nicht unangenehm sein können." Es scheint auch, als ob das Schreiben nicht vom 20. Juli 11901, sondern vom gleichen Tage des Vorjahres stamme. Gerade dann aber hat es dazu beigetragen, daß der AuSgang der elsaß-lotbringischen BiscbofSfragen sich so lange verzögert hat. Endet doch daS Schreiben des Cardinal-StaatSsekretärS ganz im Sinne der Klagen, welche die klerikale Presse fast bei jeder Bischofswahl der letzten Jahre erhoben hat. Es spricht davon, daß die Candidaten, welche „klug, ruhig und loyal" — nach klerikaler Auffassung — sind, der Regierung nickt unangenehm sein können; es spricht ferner davon daß die Regierungen nicht ein „unbedingtes Ausschlußrecht" batten. Dieses Ausschlußrecht ist aber in der Thal ein un bedingtes, wie wir im nächsten Morgenblatte nachweisen werden; die Vorschlagslisten sind das Mittel, festzustellen, daß kein der Regierung „minder genehmer" Candidat in Frage kommt, und diesem Zwecke gemäß muß die Einrichtung ge handhabt werden. Die Lage auf dem Balkan wird fortgesetzt scharf be obachtet. Wir haben unseren Lesern bereits von dem auf fälligen Artikel des „Pester Lloyd" Kenntniß gegeben und der Beschwichtigungsversuche der „Neuen Freien Presse" ge dacht. Jetzt wird auch osficiöS von Berlin aus abge winkt, ohne daß man aus dieser Friedevsschalmei mehr als Worte hört. Man leugnet, daß am Pruth russische Truppensammlungen stattfänden, und fügt „glücklicher Weise" hinzu, bezeichnet die Fahrt der russischen Kriegsschiffe auf dem Kiliaarme als den „Ausfluß eines marinepolitischen Nach ahmungstriebs" und kann überhaupt für die angebliche Spannung zwischen Oesterreich und Rußland weder Grund noch Beweis finden. Nun, bis zum Kriege ist es ja gewiß noch nicht gediehen und wird eS wohl nicht kommen, wenn auch Londoner Blätter berichten, daß die englische Admiralität sichere Informationen habe, daß Rußland und Frankreich mit größter Eile an dem Ausbau einer submarinen Armada arbeiten und in sechs Monaten eine Flotte von 92 Unterseebooten neuesten Typs besitzen würden; allein schwerer wiegt es, daß die „Neue Freie Presse" sich heute viel reservirter auSvrückt al» gestern, weil sie vielleicht vom BallhauSplatze einen Wink bekommen hat. Heute schreibt sie nämlich, nachdem sie die Vorsicht GolouchowSki'S betont und den Werth, den er auf ein gutes Einvernehmen mit Rußland legt, hervorgehoben hat, daß dies nicht au-schließe, daß die österreichische Regierung Gründe habe, allerdings Gründe anderer Art, bezüglich der Vorgänge im Südosten die Augen offen zu halten und sich nicht ausschließlich auf die FricdenSbürgschaft zu verlassen, die daS Peters burger Uebereinkommen biete. Im Grunde hat Graf GoluchowSki, so fährt sie fort, schou im Mai die Dele gationen darauf vorbereitet, als er von dem auf der Balkan-Halbinsel aufgehäuften Zündstoffe sprach, der Gefahren in sich berge und zu Besorgnissen Anlaß biete, denen gegenüber auch daS Einvernehmen mit Rußland nicht immer wirksam seine könne. Man erinnert sich noch des tiefen Eindruckes, den diese Worte machten, und wie sehr man damals geneigt war, daraus auf eine Verschlechterung unserer Beziehungen zu Rußland zu schließen, so daß der Minister des Aeußeren sich veranlaßt sah, zwei Tage später in einer anderen Sitzung de» Budget-AuSschuffeS der österreichischen Delegation mit dem Hinweis ans die wohlthätige Einwirkung der beiden Mächte in Makedonien ausdrücklich zu versichern, Oesterreich-Ungarn hätte allen Grund anzunehmen, daß auch die russische Re gierung an dem Einvernehmen festhalte. Daß die Motive, die den Grafen GoluchowSki zu einer so wenig opti mistischen Beurtheiluug der Sachlage im Orient ver- Fottilletsir. 2 Arbeit. Von Eva Treu. Nachdruck verdclcn. Sie hatten durchgesetzt, was sie sich vorgenommen hatten, Christian Ohle und seine Frau: sie waren wohlhabende Leute geworden. Als sie vor etwa zwölf Jahren heiratheten und das Wirths- haus am äußersten Ende der Stadt mit der Schenke und der Durchfahrt übernommen hatten, schien es nicht gerade sehr glaub würdig, wenn der Mann stets mit ruhiger Gelassenheit behaup tete, „die Sache würde sich schon machen". Frau Lene brachte allerdings ein paar tausend Thaler in die Ehe, aber doch lange nicht genug, um den Kaufschilling für die Wirthschaft gleich baar zu erlegen, und außerdem hatten Beide damals nichts besessen, als ihre fleißigen Hände. Zudem stand die Wirthschaft nicht im besten Rufe, sondern war unter dem letzten Besitzer arg herunter gekommen. „Wird schon anders werden", sagten die jungen Eheleute ruhig und begannen ihr Werk. Und siehe da, es wurde anders. Nicht lange währte es, so hatte das Anwesen von innen und außen ein schmucke» Aussehen erhalten; Alles, waS früher unsauber und ver lottert gewesen war, blinkte nun von Reinlichkeit, und Frau Lene'» Kochkunst errang sich bald eine Art von Berühmtheit in der Stadt und Umgegend. Nach ein paar Jahren war Vie Wirthschaft schuldenfrei, und wieder einige Jahre später schmunzelte Christian Ohle wohlgefällig, wenn man ihn unter die gutgestellten Bürger der kleinen Stadt zählte. ES fiel ihm nicht ein, solchen Reden zu widersprechen. Ein Anderer würde vielleicht der Versuchung nicht wieder standen haben, dem schlichten WMHSHause, daß sich jetzt einen trefflichen Ruf erworben hatte, den hochtrabenden Namen Hotel beizulegen. Christian Ohle dachte nicht daran. Ob ihm die Kundschaft, die ihn wohlhabend gemacht hatte, auch in einem vornehmen Hotel treu bleiben würde, wußte er nicht, und sie war ihm eben recht, nicht zu hochmüthig, um mit ihm auf gleichem Fuße zu verkehren, und anständig genug, daß ein angesehener Mann, wie Herr Ohle e» jetzt war, sich mit seinen Gästen an einen Tisch setzen konnte, ohne sich etwas zu vergeben. DaS liebte er. Herr Ohle war ein geselliger Mensch, der weder einen guten Trunk, noch ein lustiges Wort verachtete, wenn er beider haben konnte, und nun, da die Wirthschaft so glatt und geregelt ihren Weg ging, hielt er e» an der Zeit, auch sein Leben ein wenig zu genießen. Er war ein noch jugendlich aussehender Mann mit blondem Haar und Vollbart, von stattlichem, etwas zur Fülle neigendem Wuchs und einem rosigen Gesicht. Die arbeitsreichen Jahre, die hinter ihm lagen, waren ihm unver kennbar wohl bekommen. Nicht ganz so gut schienen sie Frau Lene angeschlagen zu haben. Freilich war auch die Hauptmühe der Wirthschaft ihr zugefallen. Von jeher hatte sie früh und spät überall im Hause auf dem Posten sein müssen; dabei mochte sie sich wohl etwas viel zugemuthet haben, denn nun, da das Ziel, das sie so emsig erstrebt hatten, erreicht war, schien es fast, als sollte sie sich des Wohlstandes nicht gar zu sehr freuen, so blaß, mager und ver blüht sah sie aus. Hübsch war sie nie gewesen, die Lene, und nicht ihrer Augen zu Liebe hatte Herr Ohle sie seiner Zeit geheirathet, wenn ihr auch die Sanftmuth und Herzensgute unverkennbar auf dem Gesichte geschrieben stand. War sie doch sogar zum Ueberfluh noch ein paar Jahre älter wie er. Er hatte sie zur Frau haben wollen, weil sie als tüchtig, fleißig und ordentlich bekannt war und ein kleines verfügbares Vermögen besaß, — und sie hatte ja gesagt, weil sie den hübschen, allezeit vergnügten und unverdrossenen Mann lieb hatte. Ueber seine Gefühle für sie hatte sie sich wohl nie viele Illusionen gemacht. Jedoch lebten die beiden Menschen völlig zufrieden mit ein ander, im gleichen Schritt und Tritt rüstig aus dem Wege ent lang schreitend, der zu dem vorgesetzten Ziele führte, nicht rechts noch links sehend, nichts von einander begehrend, was sie nicht geben konnten, jedes befriedigt, einen so zuverlässigen Genossen zu baden. Aber sie mußten den Weg nicht mit gleichen Kräften begonnen haben, denn während sich des Mannes Figur und Gesicht mehr und mehr rundete und ihm die Lebenslust von Jahr zu Jahr Heller aus den Augen lachte, war die Frau in derselben Zeit alt und müde geworden, so müde, daß sie endlich, widerstrebend zwar und zögernd, zugeben mußte, sie könne siäs viele Umher- wirthschaften im Hause nicht mehr vertragen und müsse Hilfe haben. Herr Ohle hatte beinahe gelacht bei dieser Ankündigung. Seine Frau hatte immer so ruhig und still vor sich hingearbritet, ohne jemals auch nur mit einem Worte über irgend etwa» zu klagen, daß es ihm garnicht in den Sinn kam, e» könnte ihr auch einmal zu viel werden. Sie hatte sich nicht für besser gehalten, wie die dicke, rotharmige Magd, sich nicht mehr geschont, wie diese — warum in aller Welt hatte sie nicht lange gesagt, daß sie eS nicht mehr ausholten könnte? Nun zum ersten Mal seit langer Zeit that er seine gut- müthigen, wafferblauen Augen weit auf, um sich seine Frau anzusehen, und er erschrak wirklich, wie mager, alt und hinfällig sie aussah, die arme Lene. Natürlich sollte sie Hilfe haben, so viel sie wollte. Es lag ja gar kein Grund vor, sich immer noch so abzuarbeiten. Die Wirthschaft ging ihren regelmäßigen Weg jetzt auch mit bezahlten Kräften, wenn nur das überwachende Auge der Herrin nicht fehlte. Besser freilich wäre es gewesen, wenn Lise schon hilfreiche Hand hätte anlcgen können, aber sie war noch zu klein, als daß man ihr irgend etwas hätte aufbürden oder anvertrauen können. Lise war das einzige Kind, das dem Ehepaar von dreien ge blieben war, das älteste; die jüngeren waren gestorben, ehe sie noch gehen gelernt hatten. Die Mutter, obschon sie wenig Zeit hatte, sich mit der Tochter zu beschäftigen, hing doch mit der innigsten Liebe an dem Kinde. Wenn sie sich fast „den Bast von den Händen arbeitete", so dachte sie dabei nicht an sich, sondern an das kleine, magere Ding, das ihr überall im Wege stand, und das doch ihr Augentrost war. Sie selbst — ach Gott, sie dachte garnicht daran, daß sie einmal alt werden und die Früchte ihres Fleißes genießen könnte. Das war ja noch lange hin, Gott mochte wissen, ob sie es erlebte. Aber das Kind, die Lise, sollte es gut haben in der Welt. Sie sollte nicht erfahren, was es heißt, keine Ruhe bei Tag und Nacht kennen. Der Vater hatte das Kind ja auch lieb, natürlich, Life war ja seine Einzige, aber, er hätte selbst nicht sagen können, woher eS kam: die Kleine war ihm immer ein wenig ungemüthlich. Sie artete weder nach ihm, noch nach seiner Frau, obschon sie von der letzteren wenigstens die stille Art geerbt hatte, im Hause umherzugehen. Von den Eltern hatte sie weder das blonde Haar noch die hellblauen Augen, sondern aus ihrem schmalen, etwa» blassen, von dicken, dunklen Zöpfen umgebenen Kindergesichtchen blickten große, dunkelgraue, ernsthafte Augen hervor mit einem so eigenartig in sich abgeschlossenen Ausdruck und einem so ruhigen Aufschlag der langbewimperten Lider, daß Christian Ohle unbehaglich meinte, es käme ihm manchmal vor, als könnte seine Lise durch die Menschen hindurchsehen, wie durch Glas. Nun hatte er zwar in seinem gutmüthigen und harmlosen Herzen nicht viel zu verbergen, aber seine Lise war ihm mit ihrer Sillen, zurückhaltenden Art und mit ihren dunklen Augen doch -stets wie etwas, was nicht so recht zu ihm paßte, und wenn er ihr gelegentlich einmal über den dunklen Krauskopf strich oder ihr ermunternd auf die Wange klopfte, so meinte er, damit seine Daterpflichten vollauf erfüllt zu haben und ließ sie im Uebrigen ihre Wege gehen. So ging denn die kleine Lise still und wenig beachtet im Hause umher. Wenn sie nicht in der Schule war, hielt sie sich gern in der Nähe der Mutter auf, für die sie eine große, ver schwiegene Zärtlichkeit hegte, doch wurde sie oft fortgewiesen, da sie im Wege stand. Sie zu kleinen häuslichen Hilfsleistungen anzuhalten, besaß Frau Lene leider kein Talent. Es war zu zeitraubend, und für die Schule hatte Lise keine besondere Vorliebe. In ihrer zurückhaltenden Weise verstand sie es nicht, sich unter ihren Kameradinnen viele Freundinnen zu erwerben, und die Lehrer zeigten im Allgemeinen für das kleine stille Ding, das so wenig aus sich herausging, kein hervorragendes Inter esse. Anlaß zur Klage gab Lise nicht; sie that, WaS ihr auf getragen wurde, gewissenhaft und treu, aber selten etwas darüber hinaus, denn trotz ihrer wunderbaren Augen war si- geistig nicht über das Durchschnittsmaß begabt, wemgsten» nicht für daS, was in der höheren Töchterschule gelehrt wurde. Nur für alle Arten von Handfertigkeiten, besonders für all: Beschäftigungen mit der Nadel, zeigte sie von frühester Jugend an ein Geschick, wie es nur wenige ihrer Altersgenossinnen bc saßen, und spät Abends, wenn die Kleine schon schlief, nahm Frau Lene wohl, ehe sie sich selbst zur Ruhe legte, daS Nähzeug auS dem braun polirten Holzkasten, auf dem mit schön ver schnörkelten Buchstaben „Elisabeth Ohle" stand, und betrachtete es voll Stolz und Freude. Wie fein und ebenmäßig die Stiche waren, au einander gereiht wie Perlen auf einer Schnur, und wie ordentlich und sauber daS Ganze auSsah! Und die Finger, die das Werk gefertigt hatten, waren doch noch so Nein. Verstohlen nur freute sich Frau Lene daran; viele Lobes erhebungen darüber zu machen, hätte sie nicht für richtig ge balten. Aber allemal am nächsten Morgen wurde Life durch etwas aus der Mutter eigenem kleinen Nähtisch überrascht, in dem Mancherlei geborgen wurde, WaS noch auS den Zeiten der Großmutter stammte. Bald war's ein hübsche- Stück Faden wachs in Form einer kleinen Apfelsine, bald ein niedliche» Wickclhölzchen mit einer aufgeklebten Rose oder gar ein Strang bunter Seide, ein Schächtelchen mit Perlen; der alte Nähtisch schien unerschöpflich zu sein, in irgend einem seiner vielen Fächer barg er immer noch eine wünschenswerthe Herrlichkeit. In der letzten Zeit war die Mutter mit diesen kleinen Dingen freigebiger gewesen wie sonst. Sie fühlte sich oft so matt und müde, daß sie unbewußt das Bedürfniß hatte, irgend Jemandem eine Freude z» bereiten, als müßte sie sich die Liebe T)erer, die sie umgaben, sichern. Sie hatte die Srkenntniß, daß eS so, wie sie es bisher getrieben hatte, nicht weiter ginge, immer wieder von sich geschoben, aber schließlich mußte sie doch ausgesprochen werden, die Bitte um Hilfe, die ihr wenigsten» ebenso schwer von den Lippen ging, wie einem langjährigen treuen Beamten die Bitte um Pensionirung aus der Feder fließt. Es verstand sich von selbst, daß Herr Ohle ihrem Wunsch« sofort entsprach. Warum sie nicht längst gesagt hätte, daß sie mit der einen Magd die Arbeit nicht bequem bewältigen kön«t«,
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