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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001108025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Donnerstag den 8. November 1900. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennaä^ richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, niit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde fmher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag voa E. Polz i« Leipzig, 94. Jahrgang. Oie Wirren in China. Kaiser Kwang-sü. Nach einer Meldung der römischen „Tribuna" aus Peking vom 3. d. M. melden direct aus der Provinz Schensi, wohin der kaiserliche Hof sich geflüchtet hat, stammende Privatnach- richten, der Kaiser stehe im Begriff, über Honan nach Peking zurückzukehren. Die Meldungen über die Absichten des Kaisers widersprechen sich so direct, daß sie nur mit großer Reserve aufzunehmen sind. Tic Kaiserin-Wittwe. Londoner Blätter berichten aus Shanghai unter dem 7. November, es gehe das Gerücht um, die Kaiserin- PL i t t w e 's e 'i g e st o r b e n , in Folge dessen herrschte große Aufregung. Die chinesischen Beamten hätten aber keine Kennt- niß von dem Tode der Kaiserin-Wittwe. Es wird an diesen Gerüchten wohl ebensoviel sein, wie an den Meldungen über die schwere Erkrankung der Kaiserin, die sich nicht bestätigt Haven. Hinrichtungen und Verhaftungen. „Reuter's Bureau" berichtet aus Peking, 5. November: General Richard'son's Truppen trafen wieder aus Paotingfu ein, nachdem sie mehrere Boxerdörfer zer stört, drei Führer der Boxer abgeurtheilt und er schossen, und von den Chinesen das Versprechen erhalten hatten, 40 000 Taels als Entschädigung für die Ermordung britischer Missionare zu zahlen. Ter chinesische General Fan wurde in Folge eines Mißverständnisses von indischen Soldaten erschossen. Die „Times" melden aus Shanghai: Der stellvertretende Bicekönig der Provinz Tschili, Ting-jung, der Tartaren- generckl Kuei - heng und der Oberst Wang-tschau-me sind auf Befehl des Kriegsgerichts zu Paotingfu er schossen worden. Der Präsident des Haudclsamtes, Tschungli, wurde von den Franzosen in der Nähe Pekings verhaftet. Weitere MelSungeu. * London, 7. November. (Telegramm.) Eine Depesche Les Generals Campbell besagt: Ich traf heute, am 7. November, in Tientsin ein. Gestern machten in Tiuliu Chinesen den Veciuch, Pulver zu stehlen, wobei sie eine Explosion verursachten. Drei englische Soldaten wurden getödtet, ebenso drei Träger; vier Träger wurden verwundet. Eine große Anzahl Chinesen wurde getödtet und verwundet, weil ihre watticten Kleidungsstücke Feuer fingen. * Paris, 8. November. Tie „Agence Havas" berichtet au-z Peking unter dem 6. November über Shanghai: 2 Bataillone Marine-Infanterie und Zuaven, sowie 2 Batterien Artillerie und eine Schwadron Cavallerie sind nach Cussing abgegangen, um Las kaiserliche Grab zu besetzen. Im Chinesischen Hexenkessel scheint es auch weiterhin unter der allmählich ruhiger werdenden Oberfläche zu brodeln und zu gähren; der lange gefürchtete Aufstand der chiucsischen Mohamcdaucr soll, wenn man den Berichten Laffan's glauben kann, nun doch zur Thatsache werden. Eine Meldung, nimmt darauf Bezug, daß Tung-Fu-Siang, der den Ober befehl über' die kaiserliche Escorte führt, ursprünglich Mohamedaner war und bereits einmal einen Aufstand der Muselmänner leitete. Damals ging er aber ins kaiserliche Heer lager über, wie es heißt, durch Bestechung. Das Centrum des Aufstandes soll das allerdings halb mohamedanische Singan-Fu sein und Tung-Fu-Sian versuche, durch den Aufstand, den kaiser lichen Hof von der Rückkehr nach Peking oder ernsthaften Fricdcnsverhandlungen abzuhalten, weil er auf der Liste der an die Alliirten Auszuliefernden mit an erster Stelle steht. Es gilt als erwiesen, daß Tung-Fu-Sian seiner Zeit die Flucht des Hofes von Peking durchsetzte und vor Beginn der Belagerung der Gesandtschaften war er tonangebend bei der Insolenz, mit der die europäischen Vertreter behandelt wurden. Der Pekinger Correspondent der „Daily News" hat den Prinzen Tsching ergründen wollen, sich aber dabei natürlich die Zähne ausgebrochen. Der Prinz empfing ihn mit viel Höflichkeit und freundlichen Worten und versicherte ihm: „Es liegt uns Allen daran, selbst um jeden Preis Frieden zu haben, und wir haben nur das eine Interesse, die freundlichen Beziehungen zwischen den anderen Nationen und China wieder hcrzustellen. Leider haben wir darin immer noch keine greifbaren Fortschritte gemacht. Wenn Li- Hung-Tschang in Peking eintrifft, werden wir im Stande sein, in beiderseits befriedigende Verhandlungen einzutreten." Der Journalist wollte wissen, ob Tsching Vollmachten vom Kaiser oder der Kaiserin besitze, und erhielt die lakonisch: Antwort: „von Beiden." „Der Kaiser befände sich wohl, aber wo er sich aufhielte, dürfe Tsching nicht vcrratheu. Ter Interviewer wollte dann nur hören, ob der Kaiser sich in Tai-S)uen-Fu aufhaltc." Prinz Tsching, der leidend auf dem Sopha lag, machte eine halbe Wen dung zu mir, sah mich lange Zeil an, und sagte dann, ohne auch nur die Spur irgend einer Bewegung zu zeigen, einfach: „Ja." — Das Interview Hai am 17. September stattgefunden und ist brieflich nach London übermittelt worden. Der Correspondent ist sich wohl darüber klar gewesen, daß er aus dem Aamen ebenso klug Herauskain, wie er hineinging, und daß sein Interview doch die Kabelkosten nicht werth war. Seitdem Prinz Tsching seinen innigen Wünschen für Frieden Ausdruck gab, sind sieben Wochen ins Land gegangen, und die Sachen stehen im Grunde genommen noch ebenso wie damals. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. November. Es steht fest: Mac Kinley wird wieder Pr äsident der Vereinigten Staaten, denn er hat die erdrückende Mehrheit der Elcktoralstimmen. ES hätte ein Wunder geschehen müssen, wenn cs anders gekommen wäre. Vor Allem sprach zweierlei für eine Wiederwahl des jetzigen Präsidenten, einmal die Thatsache selbst, das; er im Amte ist. Es hat noch immer außerordentlich schwer gehalten, einem Präsidenten die zweite Amtsperiode zu verschließen. Eine dritte giebt es bekanntlich nicht; das Gesetz verbietet sie nicht, wohl aber die bestehende Hebung und die Anschauungen des Volkes. Ein Präsident, der von seiner Partei für eine zweite Periode ausersehen ist, besitzt eine große Gewalt, und schon durch sein Amt, abgesehen von aller Agitation, ein großes Uebergewicht über seinen Gegner; denn ihm steht der gewaltige Bcamtenapparat der Union zur Verfügung. Jeder Beamte weiß, daß er beseitigt wird, wenn die Gegenpartei obenauf kommt, da der Sieger mit den freigemachtcn Stellen seine Anhänger und Mitarbeiter im Wahlkampfe zu belohnen hat. Die Beamten müssen also, schon um ihrer Existenz willen, die größten Opfer an Geld und Zeit für die Wahlagitation bringen und überhaupt alle möglichen Anstrengungen machen, damit der von ihrer Partei aufgestellte Candidat gewählt werde. Die zweite Macht, welche die Wiederwahl Mac Kinley's betrieb, war die Geschäftswelt, welche eine Wahl Bryan's fürchtete, nicht blos, weil dieser die Silberprägung wieder freigebcn, also die bestehende Goldwährung wieder erschüttern wollte, sondern auch, weil sie im Allgemeinen besorgten, daß seine Wahl die Geschäfts lage überhaupt verschlechtern werde. Unter Mac Kinley's Prä- siventsckaft haben die Vereinigten Staaten in wirthschaftlicher Beziehung einen gewaltigen Aufschwung genommen, was zu einem großen Theile der Sicherung der Goldwährung zuge schrieben wird. Warum eigentlich Bryan die Silberprägung wieder auf sein Panier schrieb, ist nicht recht erfindlich. Die Be kämpfung des Imperialismus war doch ein Schlagwort, das vollauf genügte und sicherlich großen Erfolg gehabt hätte; denn mag auch das amerikanische Volk im Großen und Ganzen chauvinistisch gesinnt sein und sich gern weltbeherrschenden Ge danken überlasten, so geben doch andererseits wieder die unge heuren Opfer, welche die neueste Politik von der Union fordert, und der Militarismus, den sie mehr und mehr groß zieht, zu großen Befürchtungen Anlaß. Alle einsichtigen Männer sehen mit Kümmerniß voraus, daß mit der imperialistischen Politik die Grundlage» der demokratischen Republik, wie sie Washington und seine Mitarbeiter geschaffen, erschüttert werden. Hätte Bryan mehr «n diesem Puncte eingesetzt, das Resultat wäre vielleicht anders geworden. Es scheint aber, als ob Bryan nicht frei habe handeln können, daß er dem Drängen der Silbergeldleute, die ihm das meiste Geld zur Agitation und die Stimmen der nordwest lichen Staaten einbrachten, nicht widerstehen konnte. Mit seiner Niederlage wird wohl auch die csilbergeldfrage begraben sein und nicht mehr in der demokratischen Plattform, d. h. im Wahl programme dieser Partei erscheinen. Die Goldwährung ist in den Vereinigten Staaten ein für allemal gesichert. Mitgewirkt hat für Mac Kinley sicher auch die Ueberzeugung, daß man bei den Niesenausgaben, welche die nun einmal cingeschlagene im perialistische Politik den Vereinigten Staaten aufbürdet — viels Philippinen — auf sein Schuhzoll-System nicht verzichten kann, sowie die unausgesprochene Uebcreinstimmung darüber, daß es am besten sei, den Schleier von den schreienden Unregelmäßig keiten, welche seit Beginn der imperialistischen Aera (spanischer Krieg, Philippinen) vorgekommen sind, ohne Noth nicht^ aufzuheben, was natürlich geschehen wäre, wenn Mac Kinley nicht gesiegt hätte. — Die New Uorker „World" erklärt, das Freisilber-Programm sei ein Mühl stein um Brpan's Hals gewesen. Das Volk habe es vor gezogen, den Silberschwindel für immer zu beseitigen und werde überdenJmperialismusspäterrichten. Die New Parker „Staatszeitung" sagt, die Niederlage Bryan's und der Anhänger freier Silbcrprägung sei eine vollständige und ent scheidende, und die Erhaltung guter Währung sei gesichert, in dessen müssen Besorgnisse um die Zukunft der Re publik obwalten, sofern nunmehr die imperialistischen Tendenzen nicht energisch bekämpft werden. Es gehört zu den Gepflogenheiten des deutschen „Frei sinns", jeder irgendwie hervorragenden Persönlichkeit, die in ven Vordergrund des öffentlichen Lebens tritt, auf mehr o^er weniger geschmackvolle Weise seine Reverenz zu erweisen. Die Würdelosigkeit aber, mit welcher das „Berliner Tageblatt" die Wiederwahl Mc Kinley's „feiert", ist so groß, daß sie nicht mit Stillschweigen übergangen werben darf. In der Freude, Mc Kinley's Wiederwahl als einen Sieg der Goldwährung begrüßen zu können, versteigt sich nämlich daö „freisinnige" Blatt zu folgender Behauptung: „Jedenfalls ist es für die deutsche Politik eine Lebens frage, mit dem Staatsoberhaupt eineS so großen und durch so enge wirthfchaftliche und auch nationale Bande mit uns ver knüpften Landes, wie es die Bereinigten Staaten siud, correcte und loyale Beziehungen zu pflegen." Weiter kann man die Unterwürfigkeit unter daS neu- gewäblte amerikanische Staatsoberhaupt kaum treiben. Und ras, obwohl das „Berl. Tagebl." ausdrücklich bervorhebt, daß Mc Kinley nicht als Deutschenfreunv im eigentlichen Sinne Leö Wortes gelten kann und daß die Frage der Handelsvertrags verhandlungen gleichmäßig von Wichtigkeit für beide Nationen ist! Gewiß ist eS erwünscht, mit den Vereinigten Staaten in correcien Beziehungen zu stehen; deren Loyalität bedarf gar nicht der Hervorhebung. Wird aber ein solcher Wunsch derart übertrieben, daß die Gestaltung der Beziehungen zu dem Präsidenten der Vereinigten Staaten schlechthin sür eine Lebensfrage der deutschen Politik erklärt wird, dann ist es wabrlick nicht erstaunlich, wenn das also an- geschmeickelte amerikanische Staatsoberhaupt der Versuchung anheim fällt, Deutschland mit Hochmuth zu begegnen. Ei bat einmal eine Zeit gegeben, wo gerade die freisinnig, Presse dem Fürsten Bismarck den Vorwurf des „Welt- kriechens" vor — Rußland machte. Aus welchem Stoffe di: Toga nationalen Stolzes bestand, in die damals der Freisinn sich zu hüllen liebte, ist zu keiner Zeit zweifelhaft gewesen. Solches Kriechen vor ausländischen Machthabern, wie eS in der obigen Auslassung des „Berl. Tageblattes" zu Tage tritt, öffnei auch dem Blödesten die Augen darüber, wie eS mit dem Nationalstolz der Freisinnigen vom Schlage des „Berl. Tageblattes" bestellt ist. In Preußen haben in jüngster Zeit zwei bemerkenswertste Landtagsersatzwahleu stattgefunden: in voriger Woche im wes: preußischen Kreise Strasburg und dieser Tage im rheinisch.» Wahlkreise Wetzlar. In beiden Fällen sind — und daS mag auch der Grund sein, warum rechts und links an dem Ergebnisse so schweigsam vorübergegangen wird — nationallibc- rate Abgeordnete gewählt worden, so daß die national liberale Fraction im nächsten Winter um zwei Angehörige ver mehrt, in einer Stärke von fünfundsiebzig Mitgliedern in das Abgeordnetenhaus zurückkehrt. Beide Wahlen haben mit einander gemein, daß Ergänzungswahlen an Wahlmännern in irgend einer in Betracht kommenden Zahl nicht vorzunehmen waren und im Wesentlichen dieselben Wahlmänner Stellung zu nehmen hatten, wie im Jahre 1898. In Strasburg war damals bei einer Gesammtzahl von 201 Wahlmännern der im Kreise wegen seiner Tüchtigkeit und Objectivität geschätzte Landrath Dumrath gewählt worden; er hatte 105 Stimmen erhalten, 94 waren auf den polnischen Gegencandidaten Or. v. Wolszlegier gefallen. Der Abg. Dumrath hatte sich der freiconservativcn Fraction angeschloffen, war dann wegen seiner Haltung in der Canalfrage als Landrath zur Disposition gestellt und späterhin zum Regierungsrath und Censor beim Berliner Polizeipräsidium ernannt worden. An seiner Stelle ist der nationalliberale Abg. Sieg gewählt worden mit 104 gegen 92 Stimmen, die auf denselben polnischen Gegencandidaten fielen. Der Abg. Sieg hat bereits in der verflossenen Legislaturperiode als Vertreter von Thorn-Kulm der nationalliberalen Fraction des Abgeordneten hauses angehört. So lehrreich der Ausgang dieser Wastl- bewegung ist, noch mehr ist es die Wetzlarer Wahl. Hier hatten von 184 Wahlmännern im Jahre 1898 175 den Prin zen Hermann zu Solms-Braunfels gewählt, dec seit 1882 dem preußischen Abgeordnetenhause als Mitglied der conservativen Fraction des Abgeordnetenhauses angehört, stets Feuilleton. 25) Der Bundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nackrruck verboten. Rasch theilte er seinen Verdacht einigen handfesten Leuten seiner Umgebung mit. Wolf schien noch ahnungslos. Er ritt, als die ersten Schliffe vor Scherweiler fielen, in der einzigen Straße, die der Ort hatte, hin, um sich zunächst zu orienilrcn, in welcher Weise sich die Schlacht entwickeln werde und wo die Bauern ihre Vertheidigungswcrke aufführten. Da sah er, daß die Bauern von allen Feuern um den Ort her nach Scherweiler zusammenliefen, sei es aus Furcht vor dem wilden Ungestüm des Feindes, vor dem die einzelnen Trupps zu schwach waren, sei es in der richtigen Erkenntniß, daß dieser Ort unter allen Umständen gehalten werden mußte, wenn nicht Alles verloren sein sollte. Auch ein weniger erfahrener Kriegsmann wie Wolf mußte erkennen, daß der Kampf um Scherweiler ein ebenso heftiger und erbitterter, wie blutiger sein ivürde. Das Getümmel und Gedränge im Orte selbst, das Geschrei und Fluchen, das Stöhnen und Aechzen der Verwundeten, der Lärm der Büchsen und Feldschlangen wuchs von Minute zu Minute. Besonders kühn und unerschrocken stürmten die Italiener des Grafen Bandemont auf den Ort ein. Wolf kannte diese verwegenen, wilden Gesellen schon von der Schlacht von Pavia her, nur that es ihm leid, daß diese immer an den Stellen stürmten, wo die Bauern am stärksten und die Wagenburg am dichtesten und festesten war. Hinter einem Hause haltend, wo der Ansturm weit leichter und besser gelingen mußte, weil die Wagenburg hier noch nicht geschloffen und so auch für die Reiterei ein Zugang in den Ort war, griff Wolf in die Tasche seiner weiten Pumphosen und holte daraus eine Handvoll dunkel brauner Erde oder Pulver hervor, die er in ein in der Nähe glimmendes Feuer warf. Sofort schoß eine dunkelroth glühende, weithin leuchtende Lohe eyipor, die das mit dem Grafen Vande- mont verabredete Zeichen war. Im Uebrigen hatte Wolf das Seine gethaii. Er hatte die Falle aufgestellt, die Bauern waren hineingekrochcn und di: Lothringer hotten den Ring geschloffen. Noch dieses letzte Zeichen, das dem Feind die schwächste Stelle in der Vertheidi- guna ongeben sollte, und er wollte sich im Getümmel davon machen, mit dem Ausweis, den er bei sich trug, zum Feinde hinüberreiten, um auf dem nächsten Wege nach Hokmack zurück- zukehren, wo er das Weitere in Ruhe abzuwarten dachte. So ritt er, sich vorsichtig umsehend, um das einzeln stehende, Haus herum, um zunächst in dessen Schatten aus der Beleuchtung des Feuers herauszukommen. Nur einzelne Bauern lungerten herum, die er kaum beachtete. Was konnten sie ihm thun? Zwei, drei Sätze seines Pferdes, auf das er sich verlassen konnte — und er war aus ihrem Bereich, ehe sie wußten, um was es sich handelte. Etwa zehn Schritte von dem Bauernhause ent fernt ging ein Graben, der sich wie eine dunkle Linie längs des Ortes hinzog. Wolf eilte auf ihn zu, noch wenige Schritte, und er war im Freien. Plötzlich fühlte ec sich rechts und links gepackt, und ehe er auch nur den Degen ziehen konnte, vom Pferde herunter gerissen. Er wehrte sich wie ein Verzweifelter und schlug mit Händen und Füßen um sich herum. Aber cs waren offenbar mehr Leute vor ihm, als er ahnte. Man kniete auf seiner Brust, man schlug ihm ins Gesicht. Jemand stach ihm mit der Hellebarde in den Rücken. „Was wollt Ihr?" keuchte er wüthend, was wollt Ihr von mir? Ich bin ja kein Feind." „Bindet ihn!" hörte er die Stimme Lenz Maycr's. Er ist tausend Mal schlimmer als ein Feind und soll es auch tausend Mal schlimmer haben. Er hat Euch und Eure Brüder ver- rathen." Wolf wußte sofort, daß für ihn Alles vorbei war. Seine Rechnung war gemacht. „Ich biete tausend Gulden Lösegeld, Lenz", röchelte er vor Schmerz halb ohnmächtig. „Tausend baare Goldgulden, hörst Du, Lenz? Sie liegen bereit für Dich unter der Giersburg. Sie sind Dein, wenn Du mich als Gefangener dahin führst und dann freiläßt." „Schuft!" stieß Lenz Mayer als einzige Antwort hervor, und trat ihm mit dem schweren, bespornten Reiterstiefel ins Gesicht. Dann fühlte Wolf, wie man ihn an Händen und Füßen knebelte. Er hielt rasende Schmerzen aus und wünschte sich in diesem Augenblicke den Tod, einen schnellen, was auch immer für einen Tod, nur rasch sollte es vorbei sein. Aber so glimpf lich sollte er nicht davon kommen. Man trat ihn mit Füßen, mehrere Male fühlte er am Kopfe und im Gesicht die schweren und harten Stiefeln der Bauern, die sich zu dieser Procedur ver abredet zu haben schienen. Wenn Wolf noch nicht erfahren hatte, was ein Bundschuh war, in dieser Nacht erfuhr er cs. Endlich hob man ihn auf und wollte ihn eben wegtragen, als er ein sich rasch näherndes stampfendes und klapperndes Ge töse wahrnahm, als ob eine Anzahl Pferde über felsigen, harten Grund herangesprengt kämen. Das mußte die feindliche Reiterei sein, die auf sein Signal herbeieilte. Noch einmal schöpfte er Hoffnung. „Da, seht Ihr seine Kunststückchen", rief Lenz Mayer wieder, „er verräth dem Feind durch sein Leuchtfeuer unsere Schwächen. Schafft ihn zurück. Die Reihen geschlossen. Die Büchsen vor." Dann hörte und sah Wolf nichts mehr. Ohnmächtig trug man ihn fort. Die Bauern wehrten sich mit der Kraft dec Verzweiflung. Dreimal drangen 'die feindlichen Massen in einzelne Theile des Dorfes ein und 'dreimal warfen die Bauern sie 'wieder hinaus. Das nächtliche Gemetzel wurde immer erbitterter, immer grau siger und blutiger. An einen Abzug der Bauern aus Scherweiler war nicht zu denken. Sie waren eingesch'lossen. Ein Entfernen vom Mittelpunct der Stellung war der sichere Untergang, ein Verharern daselbst war freilich auch nicht viel besser. Die Hoff nung -auf endlichen Sieg wurde mit jeder Viertelstunde schwächer. Aber immer, wenn den Seinen der Muth sank, wußte sie Lenz Mayer in seiner fanatischen Raserei wieder anzu'feuern und zum Widerstand bis auf den letzten Mann zu reizen, der unter diesen Umständen allerdings auch die einzige Aussicht auf Rettung bot. Stundenlang wogte der Kampf in dieser Weise hin und her. Wenn auch der Feind einmal einen Vortheil errungen hatte, so setzten die Bauern ihre äußersten Kräfte daran, um ihn wieder zurückzutreiben. Aber die Reihen lichteten sich. Ueberall in dem Dorfe, in den Häusern, in den Gaffen, in den Gräben und hinter den Hecken lagen di« Tobten, hie und da vereinzelt, an manchen Stellen aber reihenweise. Und immer gräßlicher wurden die Opfer, immer wüster und wilder die Menschenschlächtcrvi. Etwa -um Mitternacht gerietst Lenz Mayer mit den Seinen am Nordende des Dorfes in ein erbittertes Gefecht mit den Stratioten und Albanesen des Prinzen von Guise. Er hatte in den Taschen Wolf's noch eine Menge von dem dunkelbraunen Pulver gesunden, das dieser benutzt hatte, um dem Feind Zeichen zu geben. In seiner verzweifelten Wuth und grau samen Verschlagenheit benutzte nun Lenz Mayer dieses Pulver zu demselben Zweck, nur daß er es immer an den Stellen an- bvannte, wo der Widerstand am kräftigsten und der Sturm für den Feind am verderblichsten war. Durch diese List verlor auch der Feind Tausende von Sölvnern, ehe man sie surchschaute, aber auch das krackte den Bauern kein Heil. Der Feind war zu übermächtig, als daß ihn solche Verluste abschrecken konnten, und man erreichte nur, daß sich auch auf der anderen Seite Wuth und Erbitterung steigerte. Nun hatte 'Lenz die feindlichen Reiter durch seine trügerischen Feuerzeichen in einen Verhau gelockt, den man durch altes Gebälk, umgestürzte Wagen und Karren, Baumzweige und Stämni: gemacht. In der Finsterniß sahen die Reiter diese Hinderniss: nicht, und in der Meinung, daß sie nur darauf los zu stürmen brauchten, um das Dorf an dieser Stelle zu erreichen, geviethen sie zu Hunderten in die todtbvingenden Gefahren. Ern fürchter licher Wiröwarr entstand. Die Pferde stürzten, 'di« Reiter schrien und fluchten und standen mit ihrem schweren Rüstzeug und langen Lanzen ziemlich hilflos, oder lagen selbst fest unter ihren Pferden, während die Bauern von allen Seiten hn^ul'iefen und ihnen den Garaus machten. Hier sah Lenz Mayer einen riesenstarken Mann an sich vor- i beitragen, den man, schwer verwundet, auf ein Brett gelegt hatte, um ihn aus dem Getümmel zu tragen. Als er weiter herantrat, bemerkte er, daß es der Hauptmann Adolf Wagner war. Ein armseliges, elendes Röcheln klang von den Lippen des Sterbenden. „Wagner!" schrie Lenz erschreckt. Die Träger hielten einen Augenblick an, und Adolf Wagner winkte seinem Unterhauptmann, näher zu kommen. „Lenz", keuchte der Verwundete mühsam, „halte den Platz! Dsrtheidige ihn bis auf den letzten Mann. Hier steht und fällt der Bundschuh. Wir haben uns nicht für zu gering geachtet, unserem Vaterland eine neue Cultur und ein neues Recht HU schaffen. Wir waren zu schwach dazu. Zeigt, daß wir wenigstens als Helden für unsere Sache zu sterben wissen. Fort, nur fort! Dort ist der Feind. Mit mir ist's aus. Wir sind die Saat der neuen Zeit." Das waren seine letzten Worte. Ein Zittern und Zucken überlief den gewaltigen, einst so riesenstarken Körper. Nun seufzte er noch einmal schmerzgequält aus tiefster Seele auf und streckte sich auf seinem 'Brett, — er war ein« Leiche. Lenz Nbayer eilte mit den Seinen weiter. Ein« gvwiffe Weihe, ein Todesmuth, eine unbwußt« Größe kam über den immer kleiner werdenden Haufen. Keiner von ihnen flehte und winselte um Erbarmen, wo keins war, sie wollten sterben, unter- ! gehen, wo ihr« gute Sache fiel. Die fühlten sich vielleicht nicht j als Helden, aber sie waren es in Wirklichkeit nm so mehr. Lenz sah wohl, wie es stand. "Sein Haufen schmdkz mehr ' und mehr zusammen. Der Tod Wagner's traf ihn schwer. Wie lange noch, und sie waren auch hinüber, lvar Krieg und Kriegs geschrei, Wuth uno Aufregung vorbei. Noch ein StünVkin »der zwei, aber ec wich und wankte nicht. Bis zum letzten Atchempiqe beseelt- ihn der verbissene Fanatismus, die wilde Leüdenschoftlich- k«t, die fein za-qes Leben laug di« Triebkraft seiner Lhäkn gewesen. (Fortsetzung folgt.)
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