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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.11.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001109013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 9. November 1900. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich («gespalten) 75 H, vor den Familienuach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.-— mit Postbesörderung 70.—. Annaymeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition ' zu richten. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Könitz. -H> E« ist nun schon der zwölfte Tag, daß wir unseren Lesern einen Bericht über die Gerichtsverhandlung wegen des Mordes an dem Gymnasiasten Winter in ausführ lichster Weise darbieten, und noch ist immer kein Ende der Verhandlungen abzuseben. Halb Könitz, könnte man über treibend sagen, Hal schon Zeugniß in dieser grauenhaften Sache abgelegt, aber je mehr Zeugen verlangt werten, je mehr der Telegraph und die Eisenbahn nach Schlochau, Tuchel und Czersk in Bewegung gesetzt wird, desto verwickelter wird die Angelegenheit; je mehr Zeugen aufgerufen werden, desto mehr werben Widersprüche kund, desto fester und steifer be harren die Parteien auf ihren Aussagen. Die Parteien? Ja die Parteien. Nickt Parteien im civilrechtlicheu Sinne, aber Parteien nach der Auffassung der Dinge. Die Einen belasten Lewy, die Andern entlasten ihn. Zeder Zeuge sagt gewiß nach seinem Bewußtsein die Wahrheit, aber unbeeinflußt durch den Gang der Verhandlungen, die er natürlich aus den Zeitungen kennt, ist Wohl keiner. Wir sagen belasten oder entlasten Lewy. Und das ist richtig. Neben vielen Absonderlichkeiten, die dieser Proceß bietet, ist seine Hauptsonderheii, daß die eigentlichen Angeklagten so ziemlich in den Hintergrund treten und eine öffentliche Untersuchung gegen den unbekannten Mörder geführt wird. Der Volksglaube zeigt aus Lewy, und dieser Mann, mag er gänzlich unschuldig sein, ist der eigentliche Held des Protestes. Ein armer Held! Seit dem 11. März, da tausend Finger auf ihn zeigten, ist er ein armer Mann geworden, er schlachtet kein Vieh mehr und müßte zu Grunde gehen, wenn er nicht Einiges gespart hätte oder man ihm vielleicht seitens der Glaubens genossen nicht unter die Arme griffe. Man kann ihm in seinem langen Leben nichts Schlimmes nachweisen, erst der 11. März soll den Vorhang von dieser schwarzen Seele ge zogen haben und seit jener Zeit soll er der Schuldige ober wenigstens der Mitwisser eines der grausamsten Morde sein, die sich erdenken lassen. An jenem 11. März, einem Sonntage, an dem die Lerchen rn die Höbe stiegen und Gott zu Ehren ihr frohes Lied erschallen ließen, an dem die Veilchen am Bachcsrand sprießten und ein keusches frommes Frühlingsahnen durch die Natur ging, an dem Sonntage, an dem sich ganz Könitz geschmückt hatte, um den schönen Feiertag zu genießen, an jenem 11. März 1900 wurde der lebensfrohe, kräftige Gymnasiast Ernst Winter im vollen Sinne des Wortes — geschlachtet. Es wurde ihm mit einem Schnitt die Kehle durchschnitten, seine Glieder wurden ab gelöst, seine Eingeweide herauSgenommen, seine Kleider ver brannt und die Leichentheile nach und nach versteckt, bis Nach forschungen oder ein Zufall zu ihrer Auffindung führten. Ein Grauen ging durch die gesammte Bevölkerung nicht nur von Könitz, sondern von ganz Deutschland, als der Mord in seinen Einzelheiten bekannt wurde, ein wüthcnder Rachedurst und Vergeltungstrieb ergriff jeden warmblütigen Menschen und mit Gier verschlang man jede Nachricht, die auS dem west- preußstchen Städtchen kam. Zn dieser Stadt von 10 000 Einwohnern kennt man sich doch so ziemlich, man trifft sich, spricht sich, da kann doch solch eine Tbat nicht verborgen bleiben. Zedermann hatte dieses Gefühl und als immer weniger ThatsäcklickeS gemeldet wurde, als die fast einzigen Thatsachen die Auffindung deö KopfeS und eines Armes deS unglücklichen Menschen waren, begann man in ganz Deutschland den Kopf zu schütteln und seine Glossen über die Findigkeit der Polizei zu machen. Es kamen gewiegte Criminalisten auS Berlin, sie suchten und spürten, aber ihre Nachforschungen führten zu nichts. Wohl ver hafteten sie den christlichen Fleischer Hoffmann, mit dessen Tochter Winter ein Liebesverbältniß gehabt haben sollte — es war ja denkbar, daß dieser Mann in der Wuth einen Todtschlag begangen haben konnte —, aber die Anklage zerfiel in Nichts, das Alibi war zwingend und der Grund zum Todtschlag fiel nach der Untersuchung fort. Man kann sich die Stimmung der Konitzer Bevölkerung ausmalen. Tumulte, Aufruhr waren an der Tagesordnung, man ließ Militär kommen, man ging streng vor, man strafte die Stadt durch die Be legung mit Militär auf Stadtkosten, aber der Mörder wurde nicht entdeckt. Nicht nur in Könitz sing man an, der Polizei manche Unterlassung vorzuwerfen, und der Proceß hat ja auch ergeben, daß die Polizei weder das Zimmer der an geblich kranken Frau Lewy, noch die Räucherkammer deS Herrn Lewy untersuchte, letztere, weil angeblich das Schloß verrostet war. Weil nun die Polizei, auch die Berliner, versagte, nahm sich daS Publicum der Sacke an, und wie jetzt in den Verhand lungen der Geschworene M eye rMancheS zur Aufklärung durch seine Fragen beiträgt, so suchten unabhängige Männer durch einen — sagen wir — Untersuchungsausschuß die Wahrheit an daS Licht zu bringen. Diese Männer entwickelten eine fruchtbare Thängkeit und da im Publicum die durch die Verhandlungen nicht entkräftete Annahme herrschie, daß die Zeugen bei der Behörde etwas barsch augefahren würden, so gingen sie zu ibren Mitbürgern und theilten ihre Wahr nehmungen mit. Ob eS immer Wahrnehmungen, reine That sachen wären? Ob nicht hier und da ein Gespräch in der Kneipe, eine Unterhaltung zu Hause mit ihren vielen Ab schweifungen, Unterstellungen und Vermythungen auf dieErinne- rung einwirkte? Wer kann eS wissen. Alle die Leute sagen unter ihrem Eide auS und haben ihre Aussagen zu verantworten; daß dabei unbewußt eine Menge Meineide geschworen werden, ist natürlich, vielleicht werden sie auch verfolgt. Zustitia wird ein Richteramt übernehmen, wo der Psychiater allein das Wort haben sollte. Und trotz alledem. . . So sehr auch da- Schifflein des ProcesseS schwankt, so sehr auch die Meinungen hin- und her wogen, eS erschallt au- dem Auslug ein Ruf, keine Stimme ruft Land, Land. Kein«, auch kein einziges Zeichen giebt der Proceß, wo denn eigentlich der Mörder zu suchen sei. Der erfahrene Criminalcommiffar Braun nimmt an, daß der Mord in der nächsten Gegend des MönchseeS, also in der Stadt verübt sein müsse. Dort stehen jedenfalls mehrere Häuser, man hat aber nur da« Hoffmann'sche, da« Lewy'sche und di« Synagoge mttersucht — warrn denn gar keine Spuren, die nach einem dritten Hause wiesen? Winter ist zuletzt in Begleitung von zwei Personen, über deren Aussehen die Berichte auseinander gehen, gesehen worden — keine dieser Personen bat sich oiS jetzt gemeldet, waren sie die Tbäter? Eine große Summe ist für die Entdeckung der Mörder ausgesetzt und daS Geheimniß muß Mitwisser haben, doch verdient sich keiner die Summe und einen Gotteslohn nebenbei. DaS ist räthselbaft, wenn mau nicht annimmt, daß es in Könitz selbst nur wenige Kundige giebt und die andern außer dem Bereich der Justiz seien. Ja, es braucht in Könitz nur Mitwisser zu geben, dir Thäter sind vielleicht längst über alle Berge. Da steht nun der arme Sckächcr, der MaSloff, der Hauplangeklagte, ein unsympathischer Mensch vom Scheitel bis zur Sohle und doch ein Zuwel für die Justiz, wenn er die Wahrheit sagt. Aber — und das ist der Treppen witz der Weltgeschichte — er steht ja der Unwahrheit, des Meineids augeklagt vor den Schranken des Schwur gerichts, denn seine Aussagen sollen erlogen sein. Im Proceß ZsraelSki sprach man diesen Abdecker frei, weil er nicht Mit- lhäler sein könnte einer That. die als solche gerichtlich nicht bewiesen war; hier steht ein Mann, ein Dieb eingestandener maßen, angeklagt der falschen Aussage, die nolbwendiger Weise, wenn sie wahr wäre, eine Untersuchung gegen Lewy und seine Gesellschaft zur Folge haben müßte. Deshalb dreht sich auch der Proceß nicht um MaSloff, sondern um Lewy; die eigentlichen Ankläger in dem Processe sind die Verthcidiger, die die Wahrheit der Masloff'schen Aussage unter allen Um ständen aufrecht erhalten und beweisen wollen, und die Anklage selbst sieht, wie cs den Anschein hat, diesem Beginnen mit süßsaurer Miene zu, weil sie, obgleich ihr natürlich an der Aufdeckung des Verbrechens liegt, die Fährte der Vertheidigung als falsch ansiebt. Dem Präsidenten aber ili es um die Ehre der preußischen Zustiz zu thun, er will Licht haben in dieser dunklen Angelegenheit und giebt dem Zeugenbeweis den weitesten Spielraum, bis jetzt ohne Ergebnis;. Man spricht von einem Ritualmord der Juden. Weber in Tißa Eszlar, noch in Pr. Stargard, noch in Tanten hat sich ein solcher nachweisen lassen. Morde aus religiösem Fanatismus kommen aber vor. Vor einigen Monaten schlug ein frommer, gläubiger Protestant, ein Bauer im Hollän dischen, im religiösen Wahne seinen Knecht, der ihm lauge Zabre gedient hatte und der seine religiösen Neigungen theilte, todt, die TuggS in Zndien ermorden Zedcn, der ihnen begegnet, in Rußland haben Sectirer ihre eigenen Anhänger lebendig begraben . . . warum könnte nicht in einem Bruchtheile des jüdischen Volkes, das sich nicht nur nach dem Talmud richtet, der Glaube an die Heilkraft christlichen Blutes bestehen? Man könnte eS verstehen wenn innerhalb völlig abgeschlossener jüdischer Familien Tra ditionen herrschten, von denen die Professoren auf den Uni versitäten keine Ahnung haben. Die Wunderrabbiner und ihre Seelen sind noch nicht ausgestorben,und wenn wir auch nicht annebmen, daß diese Seelen Ehristenblut brauchen, daß eigentliche Ritualmorde einen Bestandtheil ihrer Lehren bilden, so können wir eS wohl verstehen, daß ein Tbeil des deutschen Volkes, und nickt nur dieses, an dem seit länger al« tausend Jahren in Deutschland eingewurzelten Glauben an jüdische Ritualmorde festbält. Die Abgeschlossenheit der Zuden, ihre gebeimnißvollen Gebräuche, ihre für die Mehrzahl unverständ liche Sprache und Schrift begünstigen solche Annahme, die fick ost in den Judenverfolgungen betbätigt hat. Eines bestärkt diesen Glauben, daS ist die, die Bibel von Kain und Abel an Lügen strafende Verwahrung, als ob ein Jude einen Mord überhaupt nicht begehen könnte. Dieses Festhalten an einem Axiom, die Aufregung, wenn man anderer Meinung ist, macht die große Mehrheit stutzig. Wenn wirklich einmal ein Mörder ein Jude ist, so braucht daS doch die vielen rechtlichen Israeliten nicht zu geniren, und wenn wirklich — wir glauben eS nicht — ein Mord auS religiösem Fanatismus hier geschehen wäre, so wird man den Wahnsinnigen Loch nicht Len ge bildeten Israeliten an die Nockscköße hängen. Während man auf der einen Seite immer an den Ritualmord denkt, weist man auf der anderen die Möglichkeit jedes Todschlags zurück. DaS ist falsch und wirkt gerade so ungünstig wie daS Leugnen des Pincenez - Lewy, der Dinge bestreitet, die naturgemäß und erklärlich sind und ihn gar nicht belasten. Zu gleicher Zeit wird in der kleinen böhmischen Stadt Pi sek ein Proceß verhandelt, der ebenfalls die Spannung er hält, der Proceß gegen Hilßner au« Polna , der des Mordes ! der AnnaHruza und der Marie Klima angeklagt ist. Man hat eS hier mit einem ganz verkommenen Menschen zu thun,! dem wohl ein oder zwei Morde zuzutrauen sind, allein der Proceß wird so aufgebauscht, daß er zum Tendenzproceß wird, und eS scheint fast, al« ob sich ernste und gebildete jüdische Kreise mit diesem arbeitsscheuen Hallunken solidarisch erklärten. Auch in diesem Processe befinden sich daS Publicum und leider auch die Zeugen in einer gewissen Boreingenommen beit, die dem klaren Erkennen der That hinderlich ist. Hier wie in Könitz werden von einwandfreien Zeugen die gegen sätzlichsten Dinge beschworen, hier wie in Könitz nimmt da- Publicum durch Mißfall« - oder Beifall-Lußerungen Partei im Proceß. Das ist ein schlechtes Zeichen für die Bildung und den Geist deS Publicums. Die Oeffentlichkeit deS Gerichtsverfahren- giebt dem Publicum den Zutritt zu den Verhandlungen, aber nicht daS Recht zu urtheilen, da- Urtbeil fällt der Richter — in beiden Pro cessen sind eS Geschworene. Eine Meinung mag sich jeder bilden, au Gericht-stelle soll sie sich nicht kundthun. So wie e« in Könitz und in Pisek zugebt, macht es den Eindruck, al- ob da« Publicum zu den ernsten Verhandlungen, wo eS sich um die schwersten Verbrechen dreht, wo der Mensch in seiner ganzen Bestialität sich zeigt, wie zu einem Schauspiel ginge. Zm alten Rom mag die schöne Römerin den bluttriefenden Gladiator, der seinem Genossen den Gnadenstoß gab, bejubelt haben; wenn die Tiger aus Christenmädchen gehetzt wurden, mag ibr da- rin angenehmes Schauspiel gewesen sein. Wie damals, so handelt eS sich jetzt um Menschenleben, wir aber sind keineRömer, wir sind, oder sollten eS sein, um eine anderthalbtausend- jährig» Cultur älter, und diese „Heiterkeit" und dieses „Lachen" im Gericht-saal gefällt un« nicht — der Ernst der Vrrhand- lungen leidet darunter, die Würde des Gerichts. Wenn wir auS keinem anderen Grunde die baldige, von einem wirk lichen Erfolge gekrönte Beendigung der Processe wünschten, schon aus diesem Grunde thäten wir cs, denn solche Beispiele verrohen. Die Wirren in China. Militärische Lpcrationcn. AuS Tientsin, 6. November, meldet „Reuter'S Bureau": General Campbell, der, wie bereits berichtet worden, von Paotingfn hierher zurückgckchrt ist, hat auf dem Wege keinen ernsten Widerstand gefunden. Er hat 26 Boxer- dörfer beschossen, in Brand gesteckt und die Befestigung von Manantsien zerstört. Er zwang den richterlichen Beamten Jencdin, die Boxer seines Districts ergreifen und hin kickten zu lassen und den Christen eine Entschädigung zu gewähren. — Die Russen sandten am Sonntage zwei Colonncn von Cutai nach Iangtsun. Tie Lage im Lüden. Die Vicekönige des Jangtse-Gebietes sind in großer Besorgniß, weil der Hof sich noch immer den Mandarinen, die fremdenfreundlich gesinnt sind, abgeneigt zeigt. Nach Berichten aus Canton ist im Zusammenhänge mit der Explosion im Namen der Reformer Skinn zum Tode verurtheilt worden. Ein anderer Reformer wurde beute verhaftet; weitere Verhaftungen stehen in Aussicht. — Der amerikanische Monitor „Montery" ist nach Canton ab gegangen. Rivalitäten. I/. London, 8. November. (Privatt eleg ramm.) Ter „Standard" bringt folgende Depesche au« Shanghai: Das hier eingetroffene Transportschiff „Humber" überbringt über eiue Be- chimpfung der britischen Flagge durch die Russen folgende Nachricht aus Tsching-w an-tao, »vo neben einem russischen Officier mit 60 Mann ein britischer Osficier mit wenigen Sikhs stationirt ist. Der russische Osficier ließ die englische Flagge hcrunlerholen, rollte sie zusammen und trat mit dem Fuße darauf. Ter englische Osficier suchte sie wieder hochzuzichcn, der russische drohte aber, nach ihm zu schießen. Der Engländer gab nach, weil er einer Ucbermacht sich gegenüber befand. Später entschuldigten sich die Russen. Man mciut, der Zwischenfall sei erledigt. (Wdhlt.) Tschi-Tschcn Lofcngluh über China. Der chinesische Gesandte in London, Excellenz Tschi-Tschen Lofengluh legt in der letzten Nummer des „Humanitarian" seine Aussichten über die Krisis nieder und sagt: „Die gegenwärtige Dynastie ist 280 Jahre alt und kann nicht erhalten bleiben, wenn die Kakserin-Wittwe nicht anerkannt wird. Was immer Sie von unseren Methoden denken mögen, thatsächlich hat China sich Jahrtausende hindurch allein regiert und dabei Friede und Wohl stand gehabt. China that das ohne Euren Beistand uno braucht auch jetzt Eure Hilfe nicht. Wenn es Euch gelingt, das regierende Herrscherhaus in China abzu setzen, so würdet Ihr sehr wahr scheinlich das ganze Reich desorganisiren. Angenommen Mr erobertet China, würdet Ihr im Stande sein, es zu regieren? 400 Millionen Menschen sind nicht so leicht regiert. Sicherlich würde die erste Folge eine enorme Zunahme der chinesischen Aus wanderung sein. Wie würde Euch das gefallen? Ihr beschwert Euch jetzt schon, weil einige Chinesen Wäschereien in London er richten .... ich bin überzeugt, daß einmal, nach sehr langer Zeit, China europäisirt sein wird. Die Kraft der Civilisation ist so groß, daß schließlich doch jedes Land, so exclusiv und in tolerant es sich auch gegen dieselbe zeigen mag, sich ihr fügen mutz. Ob das zum Guten oder zum Bösen führt, möchte ich hier nicht beurtheilen. Wenn wir einmal in dem Sinne cirss- lisirt sind, wie Ihr das auffatzt, werden wir auch Eure Politik und Eure Methoden annehmen. Wir werden unsere militä rischen Hilfsmittel ausbeuten, wir werden eine gewaltige, kampf starke Nation werden. Und dann .. . Man sieht, der chine sische Würdenträger hat nicht sehr viel Respect vor uns. Chinesische Tapferkeit. Die auffallende Tbatsache, daß Tausende gut bewaffneter und gedrillter regulärer chinesischer Soldaten in Peking eS nicht gewagt haben, gegen das kleine Häuflein Fremder in den Gesandtschaften im Sturme vorzugehen, erklärt der ebenfalls in Peking eingeschlossen gewesene öster- reichisch-ungarische Geschäftsträger vr. von Rostborn in einem vom 20. August datirten Berichte folgendermaßen: ES liegt ausschließlich daran, daß die chinesischen Truppen von einer fast abergläubischen Angst vor europäischem Militär erfüllt sind, die sich auch dieses Mal darin äußerte, daß von den Chinesen während der ganzen BelagerungSzeit auch nicht ein einziger Sturmangriff versucht, hingegen viele Stunden nnd Tage lang und insbesondere in der Nacht daS heftigste Gewehrfeuer unterhalten wurde, augenschein lich nur, um unS von Ausfällen abzuschrecken. Wieder holt konnte man hören, wie den Officiercn, wenn sie ihre Leute selbst in sicherer Deckung zum Vorgehen anspornten, von diesen erwidert wurde: „Es geht nicht, denn die Fremden schießen." Die Soldaten selbst sah man fast nie; nur ihre Gewehrläufe tauchten über den Mauern und Barrikaden auf. Bei einem Munitionsverbrauch, der nicht unter zwei Mil lionen geschätzt werden kann, hatte das chinesische Gewehr feuer selbst aus Distanzen von zwanzig Metern kaum eine nennenSwerthe Wirkung. Die „Angriffe", die anfangs stünd lich Alarmsignale und einen überaus aufreibenden Dienst zur Folge batten, erwiesen sich stets so harmlos, daß sie zuletzt nicht einmal mit einer Verstärkung der Posten beantwortet wurden. Wie mit den Handwaffen stand eS mit den Ge schützen. Da diese niemals exponirt, sondern stets hinter Barrikaden ausgestellt waren, konnten sie nur Hochschüsse abgeben, die zwar unsere Dächer mehr oder weniger deins- lirten, uns aber auS unseren Stellungen nicht zu vertreiben vermochten." „Hunncnbriefe." Dem Briefe eines Seesoloaten aus Peking, 12. September, entnimmt der „Hann. Courier" Folgendes: „. . . . An den Streifzügen, die dar Bataillon von Peking auS macht, kann ich nun nicht thrilnehmen. Tai schadet auch weiter nichts, es ist doch weiter nichts wie Mord. Tic Boxcrbanden, welche sich noch in den Städten der Umgegend aufhalten, werden auseinandcrgetricbeii, wenn die Boxer Wider stand leisten, werden sie erschossen. Gestern hatte unser Bataillon mit Artillerie eine Stadt zu nehmen, etwa 30 Kilometer von hier. Vorgestern marschirlen sie ab; gestern halten sie ein kleines Gefecht, wobei ein Seesoldat gelobtet, ein Leutnant und vier Mann leicht verwundet wurden. Dagegen wurden 300 bis 400 männliche Chinesen, zum Theil im Kampfe, erschossen, zum Thcil später hin gerichtet durch Erschießen. Auch die Boxer, welche noch in Peking aufgetrieben und als solche über führt werden, werden erschossen. Jeder von ihnen muß ein Loch graben, dann dahinter knien, weil er nach vorn über- nnd so direct in sein Grab fällt! Rache für die Gceuelthaicn, welche die Chinesen ausgeführt haben nnd ausgcführt haben sollen, ist und wird hier fürchterlich genommen. Im Peiho sahen wir an verschiedenen Stellen oft Leichen flußabwärts treiben. In den be festigten Städten, wie Montou, Tungschau, Pangtsun und anderen, sowie in sämmilichcu passirten Dörfern sah ich überall Leichen; und wie viel Kranke, Frauen, Kinder, Greise, die nicht haben flüchten können, mögen wohl unter den brennenden Trümmern begraben liegen! Wir haben Leute bei der Compagnie, die schon zehn Chinesen erschossen haben. Gestern wurde auch eine Stadt (Liangtschangtschung) südwestlich von hier eingenommen, unsere Compagnie hielt vor einem Thor, und die Chinesen wurden von der anderen Seite durch dieses Thor in die Bajonette der Leute unserer Compagnie gejagt. Es soll schauderhaft gewesen sein. — Soeben ist der Korrespondent der „Krenzzeitung" hier, der sich von meinen Leuten die Sache er zählen läßt! . . . ." Der „Fränkische Kurier" theilt ebenfalls Auszüge aus dem Briefe eines Seesoldaten (2. Seebataillon) mit. Es heißt da u. A. Tientsin, 2-t. August. Mit den Chinesen, welche uns nicht niit der Waffe begegnen, wirb nicht viel Federlesens gemacht. Die selben muffen schwer arbeiten. Wenn einer nicht an packen will, wird er sofort niedergeknallt; von uns weniger, aber die Russen und Japaner treiben dies en 8rc>5. Gefangene werden nicht gemacht, d. h., wenn solche gemacht werden, so werden diese nach dem Gefecht sofort erschossen. Peking, 1. September. Wenn wir es mit Boxern zu thun haben, dann legen wir uns hin und lassen dieselben ruhig an stürmen bis auf 10 oder 20 Schritte; dann aber erfolgt unserer seits ein so vernichtendes Feuer, daß eS jedes Mal eine Mauer von tobten Feinden giebt. Diese Boxer sind Teufel. Kürzlich fielen ihnen fünf Italiener lebendig in die Hände; denselben schnitten sic Stückchen für Stückchen vom Leibe. Ob sie die Feinde lobt oder lebendig bekommen, sie schneiden dieselben in kleine Stücke. Aber sie haben diese Grausamkeit schon schwer gebüßt. Ich will nicht zu viel sagen, aber bei den Gefechten, die seit Beginn des Ausstandes statlgcsunbcn, hat cs wenigstens schon 50 000 Chinesen das Leben gekostet. Auch hier in Peking geht cs ihnen nicht gut. Täglich werden solche eingefangen, und vor ein paar Tagen haben wir 15 Borer erschossen, welche viele Hunderte von chinesischen Christen ermordeten. Einer von ihnen hat selbst seine ganze Familie ge- tödtct, weil sie Christen geworden waren. Peking, 15. September. Heute Einiges von dem Gcfechr, welches wir am II. d. mit den Chinesen hatten. Wir marschirlen von Peking aus 30 Kilometer südlich nach Pang-tsin. Wir Deut schen, d. h. die beiden Scebataillone, waren dieses Mal allein. Wir waren bloß die Hälfte der Truppen ausgerückt und zählten 500 Mann, da eine starke Besatzung in Peking bleiben mußte. Wir kämpften gegen 800 Mann chinesische Soldaten und 1500 Boxer. Tie Chinesen verloren 400 Mann und beim Straßenkampf etwa 500 Mann. Iranen und Kinder wurden geschont, aber alles Uebrige vernichtet. Anfangs thaten unsere Ge wehrkolben ordentlich mit, aber dieselben springen beim 98er Ge wehr leicht ab, weshalb an ihre Stelle das Bajonett kam. E s war furchtbar anzusehen, und fast möchte man Mitleid haben, aber wenn man bedachte, was diese Kerls mit unS machten, trenn sie die Oberhand bekommen hätten, so ließ dieser Gedanke ein solches Empfinden nicht aufkommen. Wir stehen allen diesen Prrvatmittheilungen nach wie vor skeptisch gegenüber, da dabei leicht Uebertreibungen unterlaufen. Nichtsdestoweniger stimmen wir dem „Hann. Cour." zu, welcher meint, die Nothwendigkeit, daß eine officielle Auf klärung über die Art der Kriegführung in China erfolge, werbe immer dringender. Der Krieg in Südafrika. Deutschland und der Sieg Englands. Wie nahe Deutschland die neue Gestaltung der Dinge in Südafrika angeht, haben jetzt zwei Sir Gor- don Sprigg, dem Premierminister der Capcolonie, und C. Rhodes zugeschriebene Aeutzerungen gezeigt; beide Aussprüche beziehen sich auf Deutsch-Slldwestafrika und betreffen die Suprematie Englands über ganz Südafrika. An sich können diese anmaßen den Aussprüche von englischer Seile nicht überraschen, denn sie bilden nur die Fortsetzung der britischen Politik von der Mitte der 80er Jahre. Auf den höchst lehrreichen Schriftwechsel zwischen dem Fürsten Bismarck und dem Londoner Cabinet im Jahre 1884 über die Erwerbung von Deutsch-Südwestafrika soll hier nicht zuriickgegriffen werden. Zunächst hat Großbritannien, als sein Einspruch gegen die Festsetzung Deutschlands in Südwest afrika endgiltig zurückgewiesen war, ohne Weiteres und ohne jedes Recht Betschuanaland in Besitz genommen und uns so das Hinterland völlig abgeschnitten. Es ist nur eine Fortsetzung dieser Politik, wenn Sir Gordon Sprigg dieser Tage erklärt hat, die Briten müßten Walfischbai halten, denn die Zeit sei wahr scheinlich nahe, in welcher das Hinterland wieder in ihre Hände käme. Derselbe Minister behandelte die gleiche Frage schon 1888 bei den Wahlen im Caplande. In East London sagte er Anfang Juli: er befände sich dabei in völligem Einklänge mit einer in Südafrika durchzuführenden Reichspolitik, dabei käme die Su prematie Englands über Südafrika in Frage. In England hat man immer die Festsetzung Deutschlands in Südafrika nur als eine „vorübergehende" angesehen, und man versuchte stets, eine gewisse Bevormundung auszuüben. Dafür nur einen Beweis: Bei der Behandlung der Eisenbahnfragen im Cap-Parlament sagte am 18. Juni 1895 C. Rhodes: Auf Grund seiner Macht- befugnisse (als Premierminister), habe er im vorigen Jahre dem Commifsioner of Public Works (Minister Laing) ein Schriftstück eingehändigt, demzufolge keine fremde Bahn (von Deutsch-Süd- westafrika aus) ins Gebiet von Betschuanaland oder der Charter gesellschaft ohne Zustimmung der Capcolonie gebaut werden dürfe. Auf demselben Boden steht seine angebliche neuere Er klärung, daß er die Einwanderung von Doeren nach Südwest-
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