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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001107023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110702
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- Wahlperiode
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aatyes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6gespaltene Petitzeile S5 Reklamen unter dem RedactionSstrich (sgespaltenj 7.', vor den Familiennacki- richten (0 gespalten) 50 Tabellarischer und Zifserusotz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannohme 85 H (excl. Porto). Extra Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbeförderung ./t 60.—, niit Postbesürderung 70. . Äunahmeschluß für Anzeige»: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« l>albe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di, Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Mittwoch den 7. November 1900. 9t. Jahrgang. Die Wirren in China. Tie russische Antwort auf das deutsch-englische Abkommen, die jetzt vom „Russischen Invaliden" ihrem Inhalte nach mit- getbeilt worden ist, widerlegt die Befürchtung einiger deutscher Zeitungen, daß Rußland durch das deutsch-englische Abkommen sich verletzt fühlen müsse, weil das Abkommen sich gegen Ruß land richte. Die russische Antwort beruft sich mit Recht auf die Proclamirung der Integrität Chinas durch Rußland, wie sie am Anfang der gegenwärtigen Wirren erfolgt ist, und betont dem gemäß, daß Punct 2 des Abkommens den russischen Absichten um so mehr entspreche. Punct I des Abkommens — die Be stimmung, überall, wo Deutschland und England Einfluß aus- iiben, für den Handel aller Nationen die Thür offen zu halten — konnte von Rußland, wie die Antwort es auch ausspricht, nicht anders als sympathisch ausgenommen werden. Endlich be zeugt auch die russische Antwort auf Punct 3 — die Bestimmung, daß Deutschland und England im Falle der Verletzung der In tegrität Chinas durch irgend eine Macht sich die Verständigung miteinander zur Wahrung ihrer Interessen Vorbehalten —, daß Rußland den darin eingenommenen Standpunkt als berechtigt anerkennt, indem es selbst seine Haltung davon abhängig macht, daß die Integrität Chinas thatsächlich unverletzt bleibe. An gesichts der russischen Antwort dürfte die Meldung der „Times" über angebliche Verhandlungen des russischen Admirals Alexejeff mit Li wegen der Verwaltung der Mandschurei unter russi schem Schutze und die Bedeutung eines Fühlers haben. Tie KricdenSvcrhau-lunge». Die Londoner Blätter melden, wie schon in einem Theile der Auflage unseres heutigen Morgenblattes mitgetheilt, aus Shanghai, Nachrichten aus chinesischen Quellen zufolge ver langten die Verbündeten von Li-Hnng-Tschang, daß er an den Kaiser telegraphire nund ihn ersuchen solle, ein Edict zu erlassen, wodurch die Hinrichtung des Schatzmeisters der Provinz Tschilt, Tingiung, angeordnet wird. — Weiter wird aus Shanghai gemeldet, daß ein auswärtiger Be amter gestern ein Telegramm aus Peking erhielt, des Inhalts, die fremden Gesandten seien nicht gewillt, mit eingehenden Verhandlungen zu beginnen, bevor nicht die Be strafung der Urheber der jüngsten Frevel gesichert sei. Demnach kämen also die Vertreter der Mächte dem ersten Vorschläge Deutschlands wieder nahe, nach dem erst die Be strafung, dann der Beginn der Verhandlungen erfolgen sollte. Weitere Kämpfe. Ein gestern in London eingetroffenes Telegramm des Gene rals Campbella besagt: Ich bin in Wang-kia-kou (südlich von dem Sumpfgebiet des Paotingfu mit Tientsin ver bindenden Flußlaufes) eingetroffen. Alles ist wohl. Ich habe hier im Damen Dokumente beschlagnahmt, welche überzeugend darthun, daß die Bewohner der Stadt Wenn-ngan-hsien (süd westlich von Wang-kia-kou) den Boxern in jeder Weise Beistand geleistet haben. Ich habe es für nöthig gehalten, einen möglichst nachhaltigen Eindruck bei den Chinesen zu hinterlassen. Dem gemäß habe ich die nordöstlichen und nordwestlichen Bastionen zerstört, ebenso die nördliche Grenzmauer der Stadt. Heute früh habe ich das stark befestigte Boxerdorf Liu-ho - tschwang (nördlich von Wang-kia-kou) niedergebrannt, in dem sich große Massen von Waffen und Munition befanden. Die Boxer hatten diese Stellung aufgcgeben vor unserer Ankunft, ihre Waffen vergraben und sich in der Umgegend zerstreut. Die ein geborenen Christen sagen, daß die Zerstörung dieser Boxerveste cm ganzen District einen guten Eindruck machen und dazu bei tragen werde, ihr Leben und Eigenthum zu schützen. Der Krieg in Südafrika. Es steht nunmehr fest, daß Lord Kitchener als Dictaior der Nachfolger des Lord Roberts sein wird, uno es ist interessant zu hören, was ein Londoner Blatt, der „Mornmg Leader" zu dieser Ernennung zu sagen hat: „Kitchener ist also für den Oberbefehl im Transvaal ausgewählt worden, und das Auswärtige Amt, oder vielmehr Lord Salisbury, hat also eine Maßregel burchgesetzt, welche höchstwahrscheinlich ge radezu fürchterliche Folgen in gewisser Hinsicht haben wird. Wir dürfen uns nämlich nicht darüber im Unklaren sein, daß Kitchener unbeugsam ist und keine Schonung kennt. Wenn es wirklich die Absicht unserer Regierung ist, die beiden Republiken in Grund und Boden zu ruiniren, und dies dann „den Frieden" zu nennen, so haben sie den richtigen Mann gewählt, um die beiden neuen „Colonien" zu einer Hölle auf Erden zu gestalten, denn Kitchener ist ein Soldat, dessen Gesicht feinen Charakter widerspiegelt, und dem die Boeren ganz instinktmäßig miß trauen. Andererseits ist er bekanntlich der bestgehaßte Mann der britischen Armee, der seine eigenen Truppen einem fort- währenven Fegefeuer unterwerfen und sic davurch vielleicht zur Verzweiflung treiben wird. Er kennt für seine Befehle keinen anderen Grund, als seinen eigenen eisernen Willen, und wenn sie auch noch so abstoßend und unverständlich selbst für feine höchsten Untergeneräle sein sollten." — Das sind schöne Aus sichten für die Bevölkerung der beiden Länder, welche Kitchener mit seiner militärischen Diktatur beherrschen wird, und es bleibt natürlich abzuwarten, ob er mit seiner grausamen Schneidigkeit erfolgreicher in der Niederwerfung der Boeren sein wird, als sein bisheriger Chef, Feldmarschall Lord Roberts. Die englischen Truppen haben jetzt wieder außerordentlich unter den schweren Regengüssen und der wieder sehr hoch gestiegenen Temperatur zu leiden, so daß natürlich auch Dysen terie, Fieber u. s. w. neuerdings in bedrohlichem Umfange auf treten und die Feldhospitäler füllen. Lord Roberts erwähnt hiervon nichts in seinen Depeschen, wie er sich denn über haupt bemüht, sich einen thunlichst angenehmen und wenigstens äußerlich für sein Renommve vortheilhaften Abgang zu ver schaffen. Sein, gelinde gesagt, merkwürdiger und komischer Brief an die englische Presse, in welchem er die britische Nation bittet, seine Soldaten, wenn sie jetzt als Helden aus dem Felv- zuge heimkehren, nicht betrunken zu machen, wird von einigen vernünftigen englischen Blättern rückhaltlos als das bezeichnet, was es wirklich ist, nämlich als eine klägliche theatralische Farce, die natürlich durchaus werthlos und inopportun ist, weil nichts und Niemand in der ganzen Welt den englischen Soldaten nnd seine Freunde davon abhalten wird und kann, sich so schwer als nur eben möglich zu betrinken, wenn er erst wieder einmal in die Nähe englischer Wirthshäuser gekommen ist. Vernünftige und nicht verblendete Leute in England denken sogar jetzt schon mit Schaudern daran, daß über kurz oder lang die auf den Schlachtfeldern und in den Lagern in Südafrika sicherlich nicht besser gewordene britische Soldateska in England wieder los gelassen und dann oct oeulos demonstriren wird, welcher Art ihr „Heldcnthum" und ihr persönliches Verhalten ist. Eine liberale Zeitung constatirt mit Bezug auf den famosen Brief des Fekdmarschalls Roberts mit drastischer Offenheit, daß „ein eng lischer General und Gentleman wohl noch niemals so unver schämt und so heuchleriscy gelogen habe, wie es Roberts in seinem gänzlich unnöthigen Appell an seine Mitbürger thut". — Es ist weit gekommen mit der englischen Wahrheitsliebe und vem Ehr gefühl englischer Gentlemen, wenn derartig klägliche Sachen überhaupt Vorkommen können. * Loudon, 7. November. (Telegramm.) Tic Morgen blätter berichten aus Durban: Die Boeren brachten einen aus Pretoria kommenden Zug am letzten Montag in der Nähe von Standerton zum Entgleisen, wobei ein Heizer getobter wurde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. November. Zn einigen Blättern war behauptet worden, die 3oll- tarifvorloge werde dem Reichstage erst im Februar zu gehen. Ans einer Auslassung der „Berl. Polit. Nachr." scheint nun hervorzugehen, daß die Behauptung begründet sei. Das häufig zu officiösen Kundgebungen benutzte Organ erklärt zwar, angesichts gewisser Bestrebungen, die Berathung der wichtigen Vorlage ungebührlich in die Länge zu ziehen, empfehle sich der baldige Beginn der Berathung, aber eS sucht sodann nachzuweisen, daß auch bei einem spätere» Be ginne die Möglichkeit einer gründlichen Durchberathuna nicht ausgeschlossen sei. Das ergebe sich schon aus einem Rückblick auf die Vorgänge vom Jahre 1879: „Damals fand die erste Lesung des Zolltarifentwurss in den Tagen vom 2.-9. Mai statt, und am 12. Juli konnte die Schlußabstimmung über die Vorlage im Ganzen vorgenommen werden, bei der sie mit 217 gegen 117 Stimmen angenommen wurde. Im Jahre 1879 wurden somit die parlamentarischen Verhandlungen über den Zolltarif in wenig mehr als 2 Monaten zum Abschluß gebracht, ob. wohl man doch sicher der sreihündlerischen Opposition das Zeugniß nicht versagen kann, daß sie ihre Bedenken in der gründlichsten und umfassendsten Weise geltend gemacht hat. Und doch handelte es sich 1879 »m wirthschastspolitische Fragen von ganz anderer gründ« sätzlicher Bedeutung als zur Zeit. Es galt, nicht blos von dem bis zur Aushebung der Eisenzölle getriebenen Freihandelssystem zu gemäßigten industriellen Schutzzöllen zurückzukehren, es war auch der hochbedeutsame wirthschastspolitische Grundsatz, daß Industrie und Landwirthjchaft, kurzum alle Zweige der nationalen Production, gleichmäßigen Anspruch auf Zollschutz haben, in das deutsche Zollsystem einzusühren und zugleich zur Anerkennung zu bringen, Laß die Landwirthschaft nunmehr gleichfalls schütz- bedürftig geworden sei. Neben diesen grundlegenden Fragen der Zoll- und Handelspolitik kamen weiter wichtige Ziele finanz politischer Art in Betracht. Es galt, dem Reiche so viel neue Einnahmen zuzuführen, daß es nicht mehr Kost- gäuger bei den Bundesstaaten zu sein brauchte, deren Cassen vielmehr zwecks Erleichterung drückender Steuern mit seinem Ueberfluß speisen konnte. Endlich galt cs, die schwierigen versa ssungssormal rechtlich en Probleme zu lösen, wie äußer- lieh das finanzielle Verbältniß des Reiches zu den Bundesstaaten zu gestalten und wie dem Reichstage sein Budgetrecht zu wahren sein würde. Letztere beiden finanzpolitischen Aufgaben haben be kanntlich durch die Klausel Franckenstein ihre Erledigung gesunden. Jetzt handelt es sich dagegen ausschließlich um Fragen der Zoll- und Handelspolitik. Es handelt sich auch nicht darum, neue Grundsätze für diese Zoll- und Handels- Politik oufzustellen. Tie Aufgabe ist vielmehr lediglich die, auf der Grundlageeinerseitsdes gleichmäßigen Schutzes allerProdnctiynSzweige und andererseits des Abschlusses langfristiger Handelsverträge unser Zollsystem fortzubauen und unsere Zoll- und Handelsbeziehungen zum Auslande so zu regeln, wie es den Interessen und Bedürfnissen des heimischen Erwerbslebens entspricht. Vergleicht man die Bedeutung und Tragweite der Verhandlungen von 1879 mit den bevorstehenden Verhandlungen über den Zolltarif, so wird man keinen Zweifel darüber hegen können, daß sich die letzterwähnten Verhandlungen bei vollster Gründlichkeit sehr füglich in der bevorstehenden Tagung zu Ende führen lassen, eS sei denn, Laß man sie mala kicks durch Miß brauch der Geschäftsordnung zu verlängern und hillauszuziehen be- absichtigt." Bei dieser Gegenüberstellung der damaligen und der jetzigen Aufgaben und Verhältnisse vergessen die „Berl. Pol. Nachr." nur, daß damals Fürst Bismarck mit seiner ganzen Energie, seinem ganzen Einflüsse nach oben und nach unten für die Vorlage eintrat. Daß Graf Bülow, ob wohl er den redlichen Willen hat, in den Spuren seines großen Vorgängers zu wandeln, schon jetzt dessen Einfluß nach allen Seiten besitze, werden die „Berl. Polit. Nachr." Wohl kaum zu behaupten wagen. Er selbst wird sich schwerlich darüber täuschen, daß noch manches Jahr vergehen kann, bevor er besonders in finanz- und wirthschaftSpolitischen Fragen die Autorität genießt, die der erste Reichskanzler schon kurze Zeit nach seiner ersten ernstlichen Beschäftigung mit solchen Fragen sich zu erwerben verstand. Und trotz dieser Autorität mußte Fürst Bismarck, da er die von anderer Seite geforderten „konstitutionellen Garantien" nicht geben konnte, vom Centrum die Klausel Franckenstein sich aus- nöthigen lassen und überhaupt Herrn Windthorst Zugeständ nisse machen, die den Grund zu der jetzigen Machtstellung des CentrumS legten. Wenn Graf Bülow nicht in ähnliche Zwangslage sich versetzt sehen will, wird er vor allen Dingen verbüken müssen, daß ihn die Knappheit der Zeit zu Ent schlüssen dränge, die er vermeiden möchte. Je früher also die Berathung der Zolltarisvorlage beginnen kann, um so besser. Der Wahlkampf in« Wahlkreise Meseritz-Bamst ist nicht nur, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde, viel interessanter, als es Ersatzwahlen gemeinhin sind, sondern leider auch ganz besonders unerfreulich. So fand vor einigen Tagen eine conservarive Wahlversammlung statt, die infolge eines heftigen Zusammenstoßes zwischen Parteigenossen der Ein- berufer und antisemitischen Gästen aufgelöst werden mußte. Aus de» vorliegenden, einander widersprechenden Berichten läßt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, wem die Hauptschuld au der Scene zuzuschreibe» ist, die zur Auflösung führte, jedenfalls ist ein solcher Vorgang in einem so be drohten Wahlkreise noch beklagenSwerther als ander wärts. Denn hier handelt es sich um einen Kampf zwischen Dentschthum und Polentbum. Daß bei einem solchen Kampfe die deutschen Stimmen durch Sondercandidaturen zersplittert werden, ist schon an sich sehr bedauerlich; wenn aber der Wahlkampf in nicht anständiger Weise geführt wird, so ist dies geradezu ein Verrath an der deutschen Sache. Die Polen sollen nicht nur durch staatliche Zwang mittel, sondern in erster Reihe durch die Ueberlegenbeit der deutschen Cultur zu Deutschen gemacht werden. Die politische Cultur ist ein Theil der allgemeinen Cultur; eS zeugt aber wahrlich nickt von einer solchen, wenn es in einer FrurNetoir. es, Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck rndclcn. „Za, ich verstehe Wohl, aber —" „Nicht aber, Junker. Die Sache geht ganz glatt und natür lich zu. Schickt mich nur hin, zum Herzog " „Zum Lothringer?" „Zum Herzog Anton von Lothringen natürlich. Zu wem denn sonst? Er ist unser Mann in dieser Zeit. Er braucht nur zu sagen: Da und da will ich die Bauern haben, und wir stellen sie ihm hin, damit er sie zusammenhaut. Ist das klar?" „Wolf —" warf der Junker zagend, aber wie beklommen und warnend ein. Freilich war ihm jetzt klar, was Wolf Haß flug meinte, aber der Plan war so niederträchtig, so teuflisch hinterlistig, daß er selbst davor zurückschreckte. „Nichts ist einfacher als das", fuhr Wolf leise, aber flott und launig fort. „Wir verabreden geheime Zeichen über Stand und Stärke der einzelnen Trupps, zetteln sie zwischen Thälern und Hügeln hin und her, daß sie selbst nicht mehr wissen, wie und wo sie stehen, geben widersprechende Befehle und bringen das Ganze so in Unordnung, daß kein Heiland sie zu retten vermag. Laßt mich nur machen. An guter Beute kann's nicht fehlen. Ihr thut den großen Herren und Fürsten gelegene Dienste, Euer Ansehen wächst unter den Edelleuten — wo kann's Euch fehlen?" „Schon recht, Wolf, schon recht, wenn nur " „Ist einmal das vorbei, so wollen wir die klebrigen — wenn welche übrig bleiben — schon klein kriegen. Wir gehen mit reicher Beute beladen nach Hohnack zurück, werben Söldner über Söld ner und machen dem Herrn Ulrich unsere Rechnung." „Wenn Hohnack unterdessen nicht verloren geht." „Das laßt meine Sorge sein, Junker. Vohland und Holm lassen wir hier. Das sind derbe Burschen und werden schon Ordnung halten. Ich will sie. schon instruiren. Wenn Alles in Ordnung ist, bekommen sie ihre hundert Gulden. Ich sage Euch, nichts wird in dieser Zeit so treu behütet sein, wie die Burg Hohnack und ihre Gefangenen. Gebt mir nur Auftrag an den Herzog. Da« Uebrrge kommt dann von ganz allein. Ich habe wohl ausgekundschaftet, wo ich den Herzog treffe. Ich schlafe ein oder zwei Stunden, spreche mit Vohland und Holm und verlasse Hohnack mitten in der Nacht, ohne daß Jemand weiß, wohin und warum. Morgen früh bin ich im Lager des Herzogs, und ehe man noch recht weiß, um was es sich handelt, bin ich wieder zurück. Dem Lenz Mayer macht man natürlich etwas vor." „Sie wollen morgen früh nach dem Landgraben aufbrechsn. Es ist schon Alles vorbereitet. Zwanzig Mann sollen als Be satzung Zurückbleiben." „Laßt sie nur machen. Wir sagen ihnen, daß ich nach Rap- poltsweiler hinüber geritten bin, um «ine Verständigung mit diesem Haufen zu treffen, und stoße dann im Laufe des Tages in Bercken oder Kestenholz oder irgendwo auf der Landstraße wieder zu Euch. Es eilt nicht. Wenn ich Euch nur am Land graben wiederfinde. Und dann . . . Nur vorsichtig, Junker, und laßt es an der gehörigen Begeisterung für die gute Sache nicht fehlen, redet ihnen von Eurer überlegenen Kriegskunst und Heerführung vor, damit Eure Befehle ausgeführt werden, wenn es so weit ist." Der Plan war niederträchtig und empörend in seiner Nieder tracht. Auch scheute Junker Neidhart anfangs davor zurück, aber er Ivar auch zweckdienlich, und der Haß, der sich bei dem leidenschaftlichen Junker allmählich gegen seine bisherigen Bundesgenossen herausgebildrt hatte, bewirkte schließlich, daß er daraus einging. Er wollte sich nicht mehr von einem Schneider commandiren lassen und benutzte die Gelegenheit, ihn von sich abzuschütteln. Daß dabei noch Tausende und aber Tausende elender Bauern zu Grunde gehen konnten, ein entsetzliches Blut vergießen entstehen und fremde Kriegsvölker immer weiter in deutsches Land kommen und immer wüthendcr und begehrlicher nach deutschem Hab und Gut werden würden, kümmerte ihn nicht. Woher hätte auch vaterländisches Gefühl und Empfinden bei dem Junker von Hohnack kommen sollen? Das war eben der Fluch jener Zeit, daß das warme Herz für die allgemeine, große und schöne Heimath, das nationale Empfinden für des Reiches Kraft und Herrlichkeit verkümmerte und unterging in der Zer rissenheit, in den grausigen und erbitterten Kämpfen unter ein ander, in dem Zwist und Hader der großen und kleinen Herren unter sich. Der große PulSschlag der Nation versiegte hinter dem Interesse der Einzelnen. Was kümmerte sich ein Junker von Hohnack darum, wenn dreißigtausend fremd« Barbaren über deutsches Land und deutsche Bauern herfielen? Wenn er nur sich und seine Burg dabei rettete. Die Nacht war schon weit vorgeschritten, die Mondsichel längst hinter den westlichen Abhängen der Vogesen versunken, einsam und schweigend lag Burg Hohnack auf ihrer felsigen Höhe. Die Nacht war warm und ruhig, wenn auch so finster, daß man den auf der Mauer neben der Zugbrücke auf- und abschreitenden Wachmann kaum sah. Da traten Junker Neidhart und Wolf Haßflug, der sein Pferd am Zügel führte, auf den Burghof und näherten sich der Zugbrücke. Sie sprachen leise zusammen, ruhig und gleichgiltig, als ob es sich um Nebensachen handle. Vielleicht war das auch der Fall, denn im Großen und Ganzen waren sie einig. Der Verrath war beschlossene Sache, und zwischen ihnen längst bis in alle Einzelheiten besprochen. Nun brach Wolf auf, um seine Mission zu erfüllen. Er löste selbst den Hebel an der Zugbrücke, so daß sich diese geräuschlos und langsam senkte. Noch einmal, auf der Brücke stehend, drückten sich die Beiden die Hand zum Zeichen des Einverständnisses. Dann schwang sich Wolf aufs Pferd und war im nächsten Augenblick verschwunden, als ob ihn die Erde verschluckt hätte. Junker Neidhart selbst sah sich über rascht um. Wo war der Mann so plötzlich hin? Kein Laut, kein Hufschlag, kein Ton mehr. Es war ihm, als ob er Wolf noch etwas hätte zu sagen gehabt, als ob er ihn zuriickrnfen oder zuriickhaltcn müßte. Er rief noch einige Male seinen Namen, es folgte aber keine Antwort. Rings eine bange, räthselhafte, bedrückende Ruhe. „Der Teufel hat ihn geholt", murmelte Junker Neidhart end lich leise und kehrte sich um, um wieder durch das Thor nach dem Burghof zurück zu gehen. Plötzlich machte er eine heftige Bewegung uno zuckte, wie im jähen Schreck, zusammen. Ein leiser Schrei, oder vielmehr ein Glucksen oder Röcheln rang sich von seinen Lippen, das etwa klang wie wenn ein Ertrinkender noch einmal — zum letzten Male — nach Luft schnappt. Seine Augen starrten entsetzt, als wenn sie einen Geist gesehen, auf den nur halb geöffneten Thor- flügel. Und doch war nichts da, was das Entsetzen des Junkers hätte erregen können, als ein weißes Blatt, das irgend Jemand an den äußeren Thorflügel angeheftet hatte, und das in der Dunkel heit kaum wahrzunehmcn war. Aber „die Furcht, die, wie man sagt, des Unrechtes Schritt begleitet", die Ahnung sagte dem Junker im selben Augenblicke, daß dieses Blatt wohl sein Unter gang, wohl eine Ladung des heimlichen Gerichts, der heilige» Vehme sein könne. Der Vorgang, daß man eine solche Ladung heimlich an das Burgthor des zu Ladenden heftet, war ihm nichts Neues. Er war nicht der erste Raubritter, den das heim liche Gericht in dieser Weise zur Rechenschaft zog, — auch nicht der letzte. Andererseits war sein Gewissen schwer genug be lastet, um ihn eine solche Ladung ahnen zu lassen. Scheu, und wie widerwillig, näherte er sich dem Thorflügel und riß dann plötzlich in einem Wuthanfall das Blatt herab, um es in die Schlucht zu werfen, aber im selben Moment hielt er wieder ein, strich es glatt uno schob es in das Wams. Er wollte es zu lesen versuchen, wollte wissen, was es sei. Vielleicht hatte er sich ganz umsonst erregt. Vielleicht war es nichts, ein Befehl für die Besatzung, eine gleichgiltige Nachricht. Aber wie war der Mann, der das Blatt angeheftet hatte, an diese Stelle gekommen? Kannte» die Sendboten der heiligen Nehme auch den Weg, den Wolf Haßflug seiner Zeit von jenseits der Schlucht bis zum Thore der Burg zurückgelegt? Oder war es von Jemand im Innern der Burg angeheftet worden, und war der Aerräther — der Mörder — schon in seiner nächsten Nähe? Unwillkürlich blickte er ängstlich um sich — es war nichts zu sehen und zu bören. Immer noch die gleiche räthselhafte und geheimnißvolle Ruhe. Ein Zittern überlief seinen Körper, und auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß wie nie in seinem Leben, auch nicht in der ärgsten Gefahr. Dann schloß er leise, aber mit zitternden Händen, wie ein Dieb, das Thor, zog die Zugbrücke selbst herauf, und ging eiligen Schrittes nach seinem Zimmer, dessen Thür er, wie auch vorher schon jede Nacht, fest verrammelte. Ein Kienspan, bei dessen schweelcndeni und flackerndem Licht er schon vorher mit Wolf zusammen gesessen, verbreitete eine un sichere und dunstige Helle, und hier zog Junker Ncidhart auf geregt und stoßweise athmend das weiße Blatt wieder bervor, um es, so gut ihm das möglich war, zu entziffern. lieber der Schrift waren drei schwarze Kreuze, und unter der Schrift ein großes Siegel, wahrscheinlich dasjenige des Frei grafen. In dem Siegel waren ein Dolch und ein Weidenflrick abgebildet, darunter stand das Wort „Andlau". Mühsam, Buchstaben für Buchstaben entziffernd, wie er eS in der Klosterschule zu Pairis gelernt, bevor er den Mönchen wieder weggelaufen war, enträthselte der Junker das Wort Andlau, und sein nächster Gedanke war, daß er dem Diepold von Andlau diese neue Bedrohung zu verdanken habe. Er hattr wahrscheinlich de» Ankläger gemacht, denn — Niemand wie er war im Stande, die Machinationen des Junkers zu durchschauen, sowohl was das Gottesurtheil zwischen Wolf und Diepold an ging, als was das Vcrhältniß des Junkers zu Edelinde von Rappoltstein betraf. Was aber enthielt nun dies verruchte Blatt, fragte sich Junker Neidhart stöhnend. Hätte er denn nun nicht wenigstens noch ein paar Wochen bei den Mönchen von Pairis auShalten könmn, damit er nun dieses verfluchte Blatt zu lesen vermochte? Stundenlang mühte er sich ab, und endlich wurde ihm klar, daß er „wegen Untreue und VerrathS, wegen Mordes bei der Er oberung der Burg Hohnack, wegen widerrechtlicher Gefangen-
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