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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.11.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001117019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900111701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900111701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
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Äinksklatk des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen.Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich s4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten («gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesöcderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 588. Sonnabend den 17. November 1900. 94. Jahrgang. Der Kaiser in Gefahr. * Kaum hat Kaiser Wilhelm II. in der Thronrede zur Eröffnung deS deutschen Reichstags der Wehmuth Worte verliehen, die ihn bei der Erinnerung an das Geschick seines treuen Verbündeten und Freundes König Humbert erfüllt, so scheint auch gegen ihn eine Hand sich erhoben zu haben, die ihm ein ähnliches Geschick zu bereiten suchte. In der ersten, allen unseren Lesern durch unser gestriges Abendblatt bekannt gewordenen Privatmeldung auS BreSlau hieß eS, ein als Weib verkleideter Mann habe, als der Kaiser mit dem Erbprinzen von Meiningen den dortigen Bahnhof ver ließ, ein Beil nach dem offenen Wagen geworfen, daS aber nicht getroffen habe und am Hinterrade zerschellt sei. Als der Mann zu einem zweiten Wurfe auSgeholt habe, sei er ergriffen worden. Inzwischen hat sich herauSgestellt, daß nicht ein Mann ein Beil nach dem kaiserlichen Wagen geschleudert hat, sondern eine anscheinend geisteskranke Frau, die einen zweiten Wurf nicht versucht hat. Die betreffenden Meldungen des „Wolff'schen Tel.-Bur.", die gestern nur einem Theile unserer Leser mitgetheilt werden konnten, lauten: * vreSla«, 16. November. Als Se. Majestät der Kaiser mit dem Erbprinzen von Sachsen-Mei li in gen Pente Mittag in offener Equipage vom Bahn hofe »ach der Kürassier-Kaserne fuhr, warf eine an scheinend geistesgestörte Fra» ans dem Pnblienm ein kurzes Handbeil in der Richtung nach dem kaiser lichen Wagen; das Beil fiel hinter dem kaiserlichen Wagen zur Erde. Niemand ist verletzt worden. Die Frau wurde sofort verhaftet. * BreSlau, 16. November. Die verhaftete AraucuS- person heißt Selma Schnapke; sie stand in der vordersten Reihe des Publienms auf der Seite des Wagens, wo der Erbprinz von Meiningen sah. Als der Wagen vornberfuhr, schleuderte sie ein kurzes Veil nach demselben, dasselbe prallte vom Wagen ab und fiel un mittelbar hinter dem Wagen nieder. Die Menge stürzte sich aus die Frau; Schntzloute nahmen sie sogleich fest. DaS zweite dieser Telegramme läßt sogar der Möglichkeit Raum, daß der Wurf nicht dem Kaiser, sondern dem Erb prinzen von Meiningen gegolten habe. Ob die Unter suchung darüber Aufschluß giebt, muß, wenn die Frau wirklich geistesgestört ist, dahin gestellt bleiben; ebenso, ob ein Anhaltepunct für die Art der Wahnvor stellungen gefunden wird, die zur That führten. Da aber in Fällen, in denen das Ziel eines Angriffes zweifel haft ist, wohl mit Recht vermuthet werben kann, daß daS hervorragendere Haupt dieses Ziel gewesen sei, und da ferner wenigstens die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß die verbrecherischen Theorien und Thaten der anarchistischen Banden den Geist der unseligen Frau umnachtet und ihre Hand bewaffnet haben, so wird mit der größten Sorgsamkeit jeder Spur, die zur vollen Klar heit über die Entstehung der mörderischen Idee führen könnte, nachgegangen werden müssen und nachgegangeu werden. Sollte dann daS Ergebniß der Untersuchung Anlaß zur Be schleunigung der Berathungen über internationale Maßregeln gegen die „Propagandisten der That" führen, so hätte die ganze civilifirte Welt Anlaß, der Vorsehung dafür zu danken, daß ein unseren Kaiser nur wenig ge fährdender Anschlag zu so heilsamen Folgen geführt hätte. Aber auch wenn solche Folgen auSbleiben, werden mit der ganzen deutschen Nation alle civilisirten Völker dem Himmel dafür danke», daß Kaiser Wilhelm II. vor dem Geschicke, da» dem König Humbert bereitet wurde, gnädig bewahrt worden ist. Eine erfreuliche Klärung. In einem Artikel über die Wahl in Meseritz - Bomst hat die „Köln. VolkSztg." dieser Tage den Schiller'schen Satz eitirt: „ES ist ein charakteristischer Zug der vernünftigen Freiheitsliebe, daß sie Geist und Herz weiter macht und im Denken wie im Handeln ihre Sphäre ausbreitet. Gegründet auf ein lebhafter Gefühl der menschlichen Würde, kann sie Rechte, die sie an sich selbst respectirt, an Anderen nicht gleichgiltig zu Boden treten sehen." DaS lebhafte Gefühl der menschlichen Würde scheint aber bei dem klerikalen rheinischen Blatte nicht allzu stark entwickelt zu sein, sonst würde es sich dagegen aufgelehnt haben, als ein alter und angesehener Geistlicher von dem Erzbischof von Posen in einem Tone abgekanzelt wurde, der einem Schulknaben die Röthe deS ZornS und der Scham in» Gesicht hätte steigen lassen müssen. Auch entsprach e» wohl nicht ganz dem Begriffe der FreiheitSliebe, al» auf diesen Geistlichen die vorgesetzte Kirchenbehörde eine starke Pression auiübte, um ihn zur Zurück ziehung seiner Candidatur zu veranlassen. Dieser Druck ist nicht etwa deshalb erfolgt, weil der Geistliche sich in der Wahl agitation gegen die Regeln und Gesetze der katholischen Kirch« vergangen hätte, sondern weil er ei wagte, einem polnischen Be werber gegenüberzutreten. WaS den kirchlichen Standpunct an betrifft, so hätte ja doch eigentlich ein Geistlicher dem Erz. bischofe ein viel genehmerer Candidat sein müssen, al» ein Rechtsanwalt, der, so religio» er auch vielleicht sein mag, doch immerhin nicht diejenige Feuerprobe bezüglich de« kirchlichen Glauben» bestanden hat, die ein katholischer Geistlicher bestanden haben muß. Man sieht hieraus, daß, wenn eS sich um polnische Inter essen handelt, dem Erzbischöfe von Posen das nationale Interesse über daS kirchliche geht. Dadurch wird der Fall um so eklatanter und deshalb ist er auch um so dankbarer als eine Klärung zu begrüßen! Der Brief des Erzbischofs ist ge schrieben unmittelbar vor der Eröffnung des Reichstage», der ersten Reichstagssession, in der Graf Bülow als Reichskanzler vor die Volksvertretung tritt. Erz bischof StablewSki, der sich jetzt so unverhüllt als Nationalpole gezeigt hat, ist zu seiner hohen Stellung in jener unglückseligen Zeit gelangt, in der der Vorgänger deS Grafen Bülow die Polen umwarb, um seine sehr unzuverlässige ReichStagsmehrheit zu verstärken. Jetzt zeigen sich die traurigen Folgen dieser un glückseligen ConcessionS- und Compromiß-Politik. So erscheint denn der Brief deS Herrn von StablewSki als eine Mahnung an den gegenwärtigen Reichskanzler, nicht um augenblicklicher Dortheile willen in nationalen Fragen eine schwächliche Nach giebigkeit zu zeigen. Aus diesem Grunde aber wird Graf Bülow nicht nur den Polen, sondetn auch dem Centrum gegenüber äußerste Vor sicht walten lassen müssen. Denn der Brief des Herrn von StablewSki ist nur eine Frucht des Verhaltens der CentrumS- partei. Das Centrum hat in einem officiellen Schreiben den streng katholischen, aber trotz seines Namens allerdings nicht polnisch gesinnten Propst Herr von KrzesinSki verworfen und den deutschen katholischen Wählern den polnischen Bewerber empfohlen. Hätte das Centrum nicht so ostentativ die deutsche Sache verleugnet, so wäre vielleicht auch der Erzbischof von Posen weniger demonstrativ hervorgetreten. So aber konnte man es ihm kaum noch verübeln, daß er ebenso polnisch sein wollte, wie das deutsche Centrum. Während der Reichskanzlerschaft des Fürsten Hohenlohe hat das Centrum wiederholt seine „nationale" Gesinnung bewiesen. Es hat die beiden Flottenvorlagen von 1898 und 1900 durch bringen helfen, eS hat das Compromiß bei der Heeresvorlage von 1898/99 zu Wege gebracht, es hat dem Bürgerlichen Gesetz buche zugestimmt. Wie wenig gefestigt aber die nationale Ge sinnung dieser Partei ist, mag Graf Bülow gerade aus dem Vorgänge in Mcseritz-Bomst entnehmen. Wie die vom Grafen Caprivi den Polen gemachten Con- cessionen nichts genützt, sondern nur geschadet haben, so würden auch Concessionen an das gesinnungsverwandte Centrum ledig lich Schaden stiften. Deshalb kann Graf Bülow nicht dringend genug vor solchen gewarnt werden. Die Centrumspresie hat neulich in einem sehr poetischen Bilde erklärt, die Jesuiten- frage sei die Dynamitpatrone, die unter der vom Centrum zur Regierung führenden Brücke liege. Nun, der neue Reichskanzler möge es ruhig darauf ankommen lassen, ob diese Patrone die Brücke in die Luft sprengen wird. Zu den Zeiten des Fürsten Hohenlohe hat sie dies nicht gethan, und in zwischen könnte sie vielleicht feucht geworden sein und sich nicht mehr entzünden. Sollte sie es aber doch thun, so fände sich vielleicht eine Ersatzbrücke. Die Brücke, die Graf Bülow jeden falls betreten muß, ist diejenige, die zum Herzen und zum Ver trauen des deutschen Volkes führt. Diese Brücke aber würde gewiß zerstört werden, wenn der Reichskanzler sich einer Partei verschriebe, die eben ihre antinationale Gesinnung so drastisch bekundet hat. Die Wirren in China. Eine in New Aork gestern eingetroffene Depesche aus Peking vom 13. November besagt, die Note der Mächte werde wahrscheinlich innerhalb zehn Tagen rur Vorlegung an die Chinesen fertig sein. Wie man erfährt, soll über alle Puncte eine Verständigung erzielt worden sein, aus genommen untergeordnete Einzelheiten in verschiedenen sehr wichtigen Fragen, über die die Gesandten von ihren Re gierungen Instructionen erbeten haben, welche vor dem 20. November, dem Tage der nächsten Zusammenkunft, er wartet werden. Revolution? Auch Londoner Nachrichten aus Shanghai zufolge wird auS „zuverlässiger chinesischer Quelle" versichert, daß Prinz Tuan und General Tung-fu-bsiang in Kansu die Fahne deS Aufstands erhoben haben. Ob man der Nachricht trauen kann? Vielleicht ist sie nur in die Welt gesetzt, um damit die Unmöglichkeit für die chinesische Regierung, der Haupt- Uebelthater habhaft zu werden, den Vertretern der Mächte glaubhaft erscheine» zu lassen. Der Hof tn Scheust. Der Londoner „Standard" berichtet au» Shanghai unter dem 14. November: Der Vicekönig von Wu-tschona, Tsch an g- tschi-tung, soll beschäftigt sein, noch 10000 Mann mobil zu machen. Er habe dem Dicekönig Lin-kun-yi in Nanking vorgeschlagea, ihre Truppen zu vereinigen und gemeinsam sich den Verbündeten entgeaenzustellen, fall» diese den Nangtsr- Hafen al» Basis von Operationen gegen Schensi benutzen sollten. — Die chinesischen Behörden in Su-tschon-fu bei Shanghai treiben von allen dort ansässigen wohlhabenden Chinese» große Geldsumme» ein. Wettere Meldungen: * LouVou, 16. November. (Delegramm.) Die „Time-" berichte« au» Peking »ater dem 13. November: Nach glaub würdigen Berichte« au» Ni« »schwang schaffen die Russen trotz eutgegeugesetztrr Versicherungen 100 Tonne« Eisenbahnmaterial der Eisenbahn Gcha«-bai-kwa«-Nt«tschwa«g bei Nmtschwang über de« Fluß nach der russische« mandschurische« Bahn. * Washington, 16. November. (Telegramm.) Der amerika- ntsch« General tznmphery hat sich noch Schaa-hai-kwan br- gebe«, um z» sehen, ob der dortig« Hafen al» Winterhafen zu br- nutzen sei. * Berlin, 16. November. (Telegramm.) „Wolff s Telegr.- Bureau" erfährt: Der Kabeldampser „v. PodbielSki" ist gestern in Wusung eingrtroffen und beglrbt sich zur Legung de» Kabels Tsingtau-Shonghai nach Tsingtau. (Wiederholt.) Der„Ostasiat- Lloyd" bringt einen auS Tientsin 24.September datirten Bericht über die Einnahme -cs Peitangfort», den wir folgende interessante Stellen entnehmen: Glücklicherweise war durch einen Gewitterregen am Morgen deS 20. September ein Theil der Minen nicht voll wirksam, sonst würden wir wobl mebr Verluste gehabt haben. So stürmten wir bis an die Hüsten im Wasser und Lehm, ohne einen Schuß zu thun, auf Fort 1 zu. Der Ausdruck stürmen ist allerdings nicht recht am Platze, jeder Schritt war eine Anstrengung und kostete Zeit, fort während fiel einer hin und mußte sich mühsam auS dem Lebm wieder herauSarbeiten, wenn noch Chinesen im Fort gewesen wären, sie hätten uns in aller Ruhe einzeln ab schießen können. Plötzlich gingen rechts vorwärts von uns in der Com pagnie von Norman» zwei Minen hoch, wir sahen deut lich die Leute in der Luft sich Überschlagen. Seltsamerweise lief die Sache verhältnißmäßig gut ab, zwei Leute haben erhebliche Brandwunden an Händen und Füßen und im Gesicht erlitten, der dritte fiel auch erst zu Boden, blieb eine kurze Weile liegen, sprang dann aber wieder auf und lief hinter den anderen her, die, ohne einen Moment zu stutzen, weiter auf das Fort zueilten. Die Compagnie von Norman» erreichte da» Fort zuerst und Leutnant TörtS pflanzte als erster die deutsche Flagge auf der Umwallung auf, dann folgten die Russen und die Oesterreicher, die ebenfalls ihre Fahnen auspflanzten. Im Fort wurden nur noch vier Chinese» »«getroffen und todt- geschosse». Als wir sahen, daß das Fort 1 bereits genommen war, befahl Hauptmann Böckler sogleich, nach links abzuschweuken und auf Fort 2 loszugehen. Wir hatte» noch eine schwierige Wanderung zu bestehen durch verschiedene tiefe Wasser gräben, auch wären wir im Dorfe beinahe in daS Feuer der eigenen Artillerie gekommen, da vic Russen noch immer mit Batteriesalven in das an mehreren Enden brennende Dorf schossen. DaS Tors muß auch schon lange vorher verlassen gewesen sein, wir sahen nur einen sterbenden Chinesen, dem durch eine Granate beide Beine weggcrissen waren. Dann ging eS durch das offene Thor zum Fort hinein, in dem wir bereits die 8. Compagnie an trafen. Zu gleicher Zeit waren die Russen in Fort 3 an gekommen. Ein großer Nubm lag nicht darin, zuerst in dem Fort zu sein, eS war lediglich davon abhängig, wer am schnellsten laufen konnte. Um 11 Uhr war die ganze Affäre beendet. Fort 2 war »och nickt lange verlassen. Wir fanden noch heißes Wasser und heißen Reis; dieser war aber höchstens für 50 Leute bestimmt; mehr Soldaten waren also im Fort scheinbar nicht mehr gewesen. Glücklicher Weise war Wasser genug in den Töpfen im Fort vorhanden, daß wir Alle unseren Durst löschen konnten unv später genug zum Abkochen hatten. Die Bedenken, daß das Wasser vergiftet oder gesundheitSgesäbrlich sein könnte, schwiegen unserem gierigen Durst gegenüber; daß das Wasser so unrein war, daß wir unS in Europa nicht die Hände darin gewaschen haben würden, daran hat Keiner überhaupt gedacht. Mir schien «S köstlicher, als manche Flasche Sect. Auch die Erbswurstsuppe, zu der ich bei der Compagnie Böckler am Nachmittage ein geladen wurde, und die nebst einem Stücke harten russischen Brode und SchiffSzwicbäcken unsere einzige Nahrung während zweier Tage voll Strapazen und Anstrengungen war, schien mir herrlicher, als manches gute, blasirt genossene Diner. Daß wir über und über mit Lehm bedeckt und entschieden das Gegenthcil von salonfähig waren, interessirte unS über haupt nicht mehr. Zn Fort 2 richteten wir unS häuslich ein. Unsere nassen Kleider und Stiefel vertauschten wir mit den vorgefundenen chinesischen Gewändern und Schuhen. Dann ging es an die Besichtigung deS Forts. DeS Interessanten war natürlich genug da. So fanden wir eine groß- Menge von Bildern von BiSmarck und Li- Hung-Tsckang, dann in den Zimmern de» Generals Li das Prachtwerk von Sloan „Iko liks ok Napoleon" rc. rc. Wir hätten uns gern von dem in den Wohnräumen umherliegenden, an sich werthlosen Kram Manches als Erinnerung mitgenommen, aber einmal war eS unmöglich, die Sachen zu tranSportiren, dann aber hatte Generalleutnant von Lessel streng befohlen, daß Zeder nur eine nicht werth volle Sache als Erinnerungszeichen mit sich nehmen sollte. Seine eindrucksvollen Worte, die er drei Stunden nach der Einnahme der Fort» persönlich an die Soldaten richtete, werden hoffentlich in Erfüllung gehen. Sie lauteten ziemlich wörtlich: „Wenn wir hier von China wieder Weggehen, dann soll man sngen: ES gab eine Nation, die stet» tapfer vor dem Feinde war, die aber niemals geplündert hat und mit leeren, aber reinen Händen wegging, und daS war die deutsche Nation." Bei der Auswahl der Erinnerungszeichen ging e» un» wie Alladin mit der Wunderlampe. Kaum hatten wir unS für einen Gegenstand entschlossen, so schien unS ein anderer mtereffanter zu sein, und die ementliche Wahl haben die meinen erst beim Abmarsche getroffen. Die Verluste der Deutschen waren ganz unbedeutend, von dem Bataillon der linken Colonne waren nur zwei durch die oben erzählte Explosion verwundet, die Artillerie batte gar keine Verluste, dagegen war die Compagnie des dritten Regiments auf dem rechten Flügel drei Stunden, nachdem die Sach« vorüber war, aus eine Mine gekommen, und fünf Leute waren erheblich, aber nicht schwer verwundet worden. Die Oesterreicher hatten großes Unglück. Mittag«, auch lange nach Einnahme der Forts, führte ein Fabndrick, Freiherr von Grabb, von Tongku her noch 25 Mann nach, hierbei gerieth er auf eine Mine, er selbst und ein Anderer waren auf der Stelle todt, acht Mann wurden schwer »er- letzt, zwei weitere leicht. Die schwersten Verluste haben di« Russen gehabt, besonder» bei der Vorbereitung der Operation, die hauptsächlich ihr Verdienst ist. Sie haben ungefähr 30 Tokte und 1l0 Ver wundete, die außer auch durch Minen-Explosionen, nur wenige durch Kugeln bei dem nächtlicken Sturme auf die Feldwache. Wenn sie am 2V., wie behauptet, noch Kugelverletzungen er litten haben, so ist es meine feste Ueberzeugung, eS sind ikre eigenen Kugeln bei dem unsinnigen Salvenfener gewesen. Zm klebrigen meine größte Hockacktung vor den Russen, Officieren wie Soldaten. ES ist der Feldsoldat, wie er im Buche steht, er kennt keine Ermüdung und Entbehrung, und wenn er auch das Leben anderer nicht achtet, er acktet auch daS eigene nicht und schreckt vor keiner Gefabr zurück. Als die Mineure z. B. des Nachts zuerst geschlossen auf dem Damm vorgingen, und bei jeder explodirenden Mine mehrere in die Luft gingen, da hieß es einfach, ein Mann zehn Schritte vor, der erste ging in die Luft, dann kam der zweite, so verloren sie fast 25 Mann. Das ist DiSciplin und Todesverachtung. Die Franzosen hatten gar keine Verluste, aber auch keinen Erfolg. Zwei Stunden post, tostum kamen sie vor den schon besetzten Forts an und mußten wieder abziehen. Schade! Es sind sicher tüchtige Soldaten, aber die unglaubliche Be packung macht sie schwerfällig und unfähig, größere An strengungen zu ertragen. Deutsches Reich. -s- Berlin, 16. November. (Allein auf weiter Flur.) Zn der Zustimmung zu den Forderungen der Mächte gegen über Ci>ma ist, so weit wir eS überblicken können, die bürgerliche Presse einig. So schreibt beispielsweise die „Neue Bayerische Ztg.", daS Organ der bayerischen Centrumsleute oder, was dasselbe sagen will, der bayerischen Particularisten: „Zm Allgemeinen kann man sich mit diesen Forderungen einverstanden erklären." Auch die „Freisinnige Ztg.", die doch wahrlich an der Chinapolitik bislang genug auszusetzen gesunden hat, spricht von „sehr gemäßigten Forderungen." Zn krassem Gegensätze zu dieser correcten und sachlichen Haltung selbst der radical-bürgerlichen und der particularistischen Presse steht die rüde Tonart der socialdemokratischen Organe. Der „Vorwärts" spricht von einer Vergewaltigung Chinas, von einer „schmählichen Demüthigung", von einem „furchtbar auS- geraubten und gebrandsckatzten Cbina" und im Gegensätze dazu von den „weltpolitischen Naubmäckten". Selbstver ständlich will sich die „Sacks. Arbeiterztg." nicht durch daS reichSbauptslädtische Bruderblatt übertreffen lassen und des halb schreibt sie: „Solch eine empörende Zumuthung ist wohl noch nie von civilisirten Nationen einem besiegten Staate gestellt worden . . . Friedensbcdingungen wollen die Gesandten formulirt haben — wir fürchten, daß diese Forderungen den Frieden noch lange verhindern werden. Die Diplomaten haben also wieder einmal etwas ganz GescheidteS ausgebrütet." So befindet sich also in diesem Falle die Socialdemokratie allein ans weiter Flur, und man wird der „Frei sinnigen Zeitung" gewiß zustinimen können, wenn sie derartige Artikel als charakteristisch für die Socialdemokratie bezeichnet. Es ist allerdings ein Charakteristikum für diese Partei, wenn sie, unähnlich den Gesinnungsgenossen in Frankreich, Belgien oder Norwegen, unter allen Umständen für den Gegner des Vaterlandes Partei nimmt. Eö wäre nur dringend zu wünschen, daß die „Freisinnige Ztg." sich nickt damit begnügte, dies charak teristische Unterscheidungsmerkmal zwischen dem SocialiSmuS und allen bürgerlichen Parteien durch „Druckerschwärze auf Papier" festzustcllen, sondern wenn sie die hinter ihr stehenden Männer veranlaßte, daraus auch die Conscquenzen zu ziehen. Wir geben unS gewiß nicht der Hoffnung hin, daß die enge Verbrüderung zwischen bürgerlichem Radikalismus und Social demokratie in den meisten inncrpolitischen Fragen in abseh barer Zeit ein Ende finden werde, aber in solchen Fragen, die Deutschlands Beziehungen zum AuSlande auf das Tiefste berühren, sollte eine scharfe Scheidung vollzogen werden: hie vaterländisch — hie vaterlandSloS. Tie erste Consequenz dieser Auffassung hätte die freisinnige Volkspartei bei der Beratbung der Chinavorlage zu ziehen Gelegenheit. U Berlin, 16. November. (Reichsgesetzliche Rege lung deS privaten Versicherungswesens.) Ein Gesetz entwurf, wie er gegenwärtig dem Reichstage in dem über die privaten VersicherungSunternehmungen vorliegt, ist vom deutschen Parlamente schon einige Male gewünscht worben, so auch in besonderen Resolutionen Ende der siebziger und Mitte der neunziger Zahre. Es ist demnach anzunehmen, daß der Reichstag dem die öffentlich-rechtliche Seite deS privaten Versicherungswesens regelnden Entwürfe wenn auch vielleicht unter Acnderung von Einzelheiten seine Zustimmung geben wird. Aber auch die Regierungen haben sich verschiedentlich bemüht, zu einer Beseitigung der die mannigfachsten Mißstände im Gefolge habenden Bunt- scheckigkeit in den einzelstaatlichen Bestimmungen über das Versicherungswesen durch Ausführung des Artikels 4 der Reichsverfassung zu gelangen. Der BundeSrath batte schon zu Beginn deS Zahre» 1869 auf Antrag von Sachsen-Coburg- Gotha an de» Bundeskanzler da» Ersuchen gerichtet, den Ent wurf eine» Bundesgesetzes über da« Versicherungswesen auS- arbeiten zu lassen. Die sächsische und die preußische Re- gierunz sind später für eine Beschleunigung der Angelegenheit cingetreten. Es war denn auch schon Mitte der achtziger Jabre ein Gesetzentwurf soweit vorbereitet, daß er den Einzel regierungen zur Begutachtung vorgelegt werden konnte. Damals scheiterte die Action an den Widersprüchen einzelner Regierungen, welche einzelnen in dem Entwürfe nteder- gelegten Beschränkungen ihrer Competenzen nicht zustimme» konnten. Zetzt ist nach Beseitigung der verschiedensten in der Materie liegenden Schwieriakeiten der Entwurf von den Regierungen genehmigt, diese» Bedenken also überwunden worden. Man wird bei der weiteren Behandlung der An gelegenheit überhaupt gut thun, sich stet» zu vergegenwärtigen, baß daS Bessere de« Guten Feind sein kann, und sich in seinen Ansprüchen an den Umfang der reich-gesetzlichen Regelung de« Versicherungswesen» Beschränkungen aufzuerlrgen. Wenn in dieser Weise verfahren wird, dürfte die Angelegen heit wohl am besten gefördert werden.
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