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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190011118
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19001111
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19001111
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
- Tag1900-11-11
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1900
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Anzeige«-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile LS Reclamen unter dem Rrdacttm»»ftrich (4 gespalten) 75 vor den Famillennach» richten («gespalten) 80 Tabellarischer und Zifferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Rachwetsungeu und Offertenannahme L5 (»rel. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgeu-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbeförderuug 70.—, Annahmrschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbroche» geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr- Druck und Verlag von L. Holz in Leipzig. «zr 575. Aus Ler Woche. Wenn vor Ende der heute beginnenden Woche nicht sonderlich aufregende Nachrichten au» Ostasien eintreffen, so wird vielen Deutschen der Schwerpunct der chinesischen Frage im Reichstag zu liegen scheinen. Wie e» heißt — Gewißheit ist noch nicht gegeben —, beabsichtigt die Regierung, ihre Indemnitätsvorlage als erste vor daS am Mittwoch zu sammentretende Parlament zu bringen, und bei dieser Ge legenheit wird sehr viel zum Fenster und über die NeichSgrenzen hinaus gesprochen werden. Aber, ein paar Tage Reden, und Alles dürfte aus dem alten Flecke stehen. Die Socialdemokrateu und ihre bürgerlichen Nachläufer haben das Pulver ihrer Mandarinenbegeisterung schon auf Versammlungen, Congreffen und in Zeitungen verschossen und die aaderen Parteien, so darf man anuehmen, halten in ihren Kellereien gar keinen oppositionellen Wein, in den sie Wasser zu gießen hätten. Voraussichtlich werden auf dieser Seite die Schleusen der Unzufriedenheit gerade soweit geöffnet werden, daß Graf Bülow bequem durch sie hindurch gleiten kann. Lust, den Finger in alte Wunden zu legen, die die Cbinapolitik neuerdings aufgedeckt hat, ist kaum vorhanden. Das Organ einer nationalen Partei hat die letzten Tage vor dem Zusammen tritte des Reichstages wahrgenommen, um den Verzicht auf eine frühere Einberufung, über deren Zweckmäßigkeit bekanntlich die Ansichten unter den Angehörigen der positiven Parteien getheilt waren, heftig zu tadeln, woraus zu schließen, daß die parlamentarische Kritik sich an diesem Puncte festbeißen wird. DaS thäte keinem RegierungSmanne Weh, denn der Reichs kanzler, der auS Gründen, die nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen sind, die Berufung im Sommer und Früh herbst unterlassen hat, ist politisch nicht mehr am Leben. Zur Chinapolitik wird immerhin manches Fatales vorze- tragen werden. So z. B. ist nicht zu bezweifeln, daß der eine oder der andere Abgeordnet «hinsichtlich der Geschichte der .Ernennung" deS Grasen Waldersee zum „Oberbefehls haber" sich die Darstellung deS »Ruff. Regierungs boten" aneignet. Aber Graf v. Bülow hat Gluck, die deutsche politische Welt bekümmert sich bereits fast ausschließlich um den künftigen Zolltarif, sodaß alles Andere in den Hintergrund tritt. Herr v. Miquel hat sich in Hildesheim das Verdienst erworben, die Agrarier vor allzu großer Begehrlichkeit zu warnen. DaS ist der Sinn seiner Reve, denn der große Fehler, den man ihm nachsagt, von einer „Wirthschaftspolitik deS Kaisers", die man nicht durchkreuzen dürfe, zu reden, ist dem vorsichtigen Manne allerdings nicht untergelaufen. Hätte er gesagt, was gemeldet worden war und wogegen die linkSlideralen Blätter befremdlicher Weise nicht protestirten, so würde eS mit den Bemühungen des Reichstagspräsidenten, die Hereinziehung der Person des Kaiser- in die Debatten zu verhüten, ein für alle Male auS gewesen sein. Herr v. Miquel hat in der Thal nach der rechten Seite zum Guten, zum Vertragen geredet; eS wäre recht nützlich, wenn auch der Linken ein Warner erstände. Ueber Nürnberg soll von Berlin auS ein Sturm gegen weitere „LebenSmittelvertheuerung" erregt werden. Vater deS Gedankens ist Herr vr. Barth, der auch wohl der Autor der Nürnberger Resolution ist, in der über Getreidezölle geredet wird, als ob eS in Franken nur Großgrundbesitzer und keine Bauern gäbe, während d«S Um gekehrte der Fall ist; eS giebt dort keine Landeigner, denen die Bezeichnung Großgrundbesitzer zukäme. Der gewaltige Irr- thum, daß nur die ostelbischen Junker ein Interesse an höheren Zölle» hätten, behauptet, so sehr er sich sckon gerächt hat, auch in dieser Agitation der Herrschaft, und dies ist im Interesse de» Liberalismus, aber auch der Respectirnng berechtigter industrieller und speciell städtischer Wünsche durch die Land- wirthe tief zu beklagen. Folgt nun auch der deutsche HandelStag den Handelskammern, die sich schon gegen jede Erhöhung landwirtbschaftlicherZölle erNärt haben, so wird derSchaden für die städtischen und die HaadelSinteressen sich nur noch vergrößern. Die Freihändler betragen sich so, als ob über die künftigen Handelsverträge noch durch Wahlen zu entscheiden wäre, wobei sie, allerdings nur bei sehr großem Optimismus, für ihre radicalen Aspirationen etwas zu hoffen hätten. Sie haben aber unter allen Umständen mit einer bestehenden schutzzöllnerischea ReichStagSmehrheit zu rechnen, deren extremen Elemente durch das Hervortreten einer extremen Freibandel-politik nur neu gekräftigt werden. Im Grunde sieht man da- auch ein, und deshalb wird für die Reichstag-Verhandlungen über den Zolltarif ein Ver fahren empfohlen, da» einer Obstruction zum Verwechseln ähnlich sähe. Die Finder deS Gedanken», Freisinnige, bedenken nicht, daß sie mit ihrem Verfahren dem autokratischen System einen langst gesuchten Weg bahnen und gleichzeitig ihren principiellen Widerstand gegen eine Erhöhung der Getreidezölle comvromittiren. Denn verhindert eine parlamentarische Verschleppung der Tarisverhaudlnugen da» Zustandekommen von Handelsverträgen, so tritt der gegen den jetzigen um 1 uck 50 höhere frühere Zollsatz von selbst wieder in Kraft. klebrige»» wird — und da» gereicht den auf Zer» störnng der parlamentarischen Maschine sinnenden Bewun derern de- englischen Regierungssystem- zur Beschämung — die Socialdemokrati« zu einer Obstruction nicht die Hand bieten. Sie ist eben klüger al» der Freisinn. Wenn andererseits — vir Haden davon Kenutniß genommen — einem Durchpeitsche« de» Tarif» da» Wort geredet wurde, so glauben wir nicht, daß hinter diesem verlangen eine amtlich« Stelle zu suchen sei. Die Vorlage wird nicht vor de« Februar an den Reichstag gelange« und sie von da ab bi» zum Sommer zu erledigen, erscheint um so weniger möglich, al», mag der vunde»ratb sich für einen einfachen oder für den Doppeltarif entschieden habe«, der Er örterung dieser grundlegenden Frage billigerweis« hinreichend Raum gegeben werd« muß. Herr Graf Posadoweky wird gewiß nicht glauben, daß die Beurtheilung und verant wortliche gesetzlich« Entscheidung einer Arbeit, die ihm so viel Zeit und Kopfzerbrechen verursacht hat, vom Reichstage im Handumdrehen bewerkstelligt Werve» könne. Eine Wiederauf nahme derTarifberathuug in» Herbst, also eine Vertagung de» Rsich»tag» im Sommer, dürst, sich nicht umgehen lassen. Sonntag den 1 Nochmals Priester Prinz Mar. * Kein Tag vergeht, au dem nicht au- irgend einer säch sischen Stadt über eine neue Kundgebung gemeldet würde, die gegen die vielbesprochenen, vom Priester Prinzen Max un längst in Plauen an italienische Arbeiter gerichteten Mahnungen Protest einlegt und im Interesse des Vertrauens, welche- da protestantische sächsische Volk mit seinem katholischen Königs hause verbindet, die Abwendung der Möglichkeit der Wieder holung solcher Mahnungen auS solchem Munde verlangt. Daß gerade die letzten Tage eine besondere Fülle solcher Kundgebungen gebracht haben, liegt augenscheinlich daran, daß man von gewisser protestantischer Seite bemüht gewesen ist, den Thatbestand zu verschleiern, und in diesem Bemühen eine Ungeschicklichkeit an den Tag gelegt hat, die nur zu deutlich die Absicht verrcith, um jeden Preis die Aufregungözu beschwichtigen. So haben die „DrcSd. N. Nachr", um vom Prinzen Max selbst Aufklärung zu erlangen, zu ihm einen Berichterstatter gesendet, der nach einer warmen Schil derung seines Empfanges durch den Prinzen als Resultat der mit ihm geführten Unterredung Folgendes zum Besten giebt: „ES ist für mich sehr betrübend und niederschlagend", so etwa äußerte sich Prinz Max, „all die Anschuldigungen zu erfahren, die man gegen mich erhebt, denn ich habe keinen Grund zu solchen Ausfällen gegeben. Wie Sie wissen, sind in Sachsen viele Italiener, arme Arbeiter, sich selbst überlassen im fremden Lande, ohne daß Jemand sich um sie bekümmert. In Sachsen giebt eS wenige Priester, die der italienischen Sprache genügend mächtig sind, um die Seelsorge für diese Leute zu übernahmen. DaS Gesetz in Sachsen verbietet die Pastoration jedem sremdrn Geistlichen, und im Glauben, ein ebenso christliche» als philanthropisches Werk zu thun, habe ich für einige Zeit diese Mission übernommen. Einmal suchte ich den braven italienischen Arbeitern klar darzulrgen, Laß sie sich von den Socialisten und Anarchisten, die Feinde der Religion und des BaterlandeS sind, sernhalten sollen. Aber nie ist von meinem Munde ein Wort gefallen, da» meine Mit brüder, di« Dissidenten, betrüben könnte, nie habe ich einWortvon confessioneller Intoleranz gesprochen. Ein protestantischer Theologe schrieb nun, ohne den eigentlichen Sinn meiner Predigt zu erfassen, einen Artikel, darin Aeußerongen er- wähnend, die ich nie gethan habe, und daher rührt diese unloyale Polemik her. Ich erhielt auch von verschiedenen Städten Deutschlands anonyme Briefe, in welchen man mir die gröbsten Beleidigungen ins Gesicht wirft, Triviali täten, eines denkenden Mannes unwürdig, doch ich verzeihe ihnen". Schon der Satz, den der Interviewer dem Prinzen in den Mund legt: „Nie ist von meinem Munde ein Wort gefallen, da- meine Mitbrüder, die Dissidenten, betrüben könnte", beweist, daß der Berichterstatter sich entweder ver hört hat, oder unfähig war, daS Gehörte richtig wiederzu geben. Bekanntlich war auS der Plauenschen Rede deS Prinzen in einem Berichte, den der Oberlehrer Schürer- Stolle verfaßt hatte, als besonders empfindlich für die Protestanten daS Folgende hervorgehobr« worden: „Ihr seid freilich in einem Lande voller Secten; Ihr könnt aber leicht erkennen, daß diese die christliche Wahrheit nicht haben, da die katholische Kirche schon längst bestand, als diese Secten austauchtea." Danach forderte er seine Zuhörer auf, den Verkehr mit de« iukiäeli — den Un gläubige» — -u meiden, da daran» Gefahren für ihren sittlichen Lebenswandel erwachsen könnten. Der Prinz hatte dann in einem an den katbolischen Pfarrer in Plauen gerichteten Briefe selbst erklärt, daß er den Ausdruck „iuüäeli" gebraucht habe. Und wenn er dem auch hinzugefügt batte, er habe bei diesem Worte nicht an die Evangelischen, sondern an Gottesleugner gedacht, so mußte er sich doch bewußt sein, daß die katholische Kirchenlehre da» Wort „inüäsli" in erster Linie auf die Protestanten an wendet und daß also sein Gebrauch diese- Wortes wohl ge eignet war, die Protestanten, resp. Dissidenten zu „betrüben". Er kann also dem Interviewer gegenüber nicht behauptet haben, was ihm dieser in den Mund legt. Denn wie man auch übw da« Auftreten deS priesterlichen Prinzen denken mag, Offenheit und den männlichen Muth, seine Worte zu vertreten, wird ihm Niemand absprecheu. Wa- man an ihm au-setzt, ist gerade da«, daß er trotz seiner privzlichen Eigen schaft den römischen Priester scharf hervorkehrt und im Eifer der Rede nicht bedenkt, wie ungünstig diese- Hervorkehren auf die Dauer jene- VertrauenSverhältniß zwischen dem protestantischen sächsischen Volke und seinem katholischen König-Hanse beeinflussen könnte. Da- also, wa« ,ha der Interviewer sagen laßt, kann der eifrige Priester nicht gesagt haben. Auch daß er meinen sollte, der Au«druck „meine Mitbrüder, die Dissidenten", könne die Protestanten nicht „betrüben", ist au-geschlossen. Er steht z« fest auf dem Boden, au- dem der erst am 19. August diese- Jahre- geschriebene Brief de- Papste- an den Generalvicar von Rom, Cardinal Respighi gewachsen ist und in dem e- über die protestantischen „Brüder" in Italien heißt: „«» ist mlnmehr durch dl« Evidenz her Thatsachrn allgemein bekannt, daß der von de» häretische» Secten, diese« vielgestaltigen An»st,ß de» Prot»stauti»«u», gefaßt» Plan darin besteht, di« Fahne der religiösen Unordnung und Rebellion auf der Halbtusel, vor Allem aber i» dieser hrhrru Stadt vuszupslanzen... Nachdem di« (sie häretische« Serien) 1« di« Gemüther jhrer «nhäuer de» eisigen Hauch de» Zweifel«, der Trennung und de« Un glaube«» gelegt... hab« fit sich tu di«seu au-erlesenen Wein- berg de« Herrn eiugeschliche» z« dem Zwecke, hier ihre verhäng, »ißvoll« Zerstörung»,rbett fortzusetzr«. Uud da sie auf die Kraft der Wahrheit nicht rechne« können, so mach,« st« sich, um in de« Gemüthern de» katholische« Glauben auSznlöscheu oder wenig- stea» zu schwächen, da» »ehrlos« »art, Alter, ungenügend« Bildung, di« vedräugnifl« der Roth und die Schmeicheleien, Lockungen und Verführungen zugänglich« ««falt Vieler »» «atz« .. . November 1900. Stände der Prinz nicht auf diesem Boden, wie hätte er von der Kanzel der katbolischen Hofkirche in Dressen die Aufforderung an die evangelischen Sachsen richten können römisch-katholisch zu werden? Erfährt man somit von dem Interviewer nicht, was der Prinz nicht gesagt hat, so erfährt man noch weniger, was er gesagt. Weit entfernt also, daß der Interviewerbericht beruhigen könnte, erweckt er vielmehr Beunruhigung, weil man aus ihm schließen muß, der Berichterstatter habe die Beruhigung, die er berbeiführen wollte, durch eine klare Wiedergabe dessen, was der prinzlicbe Redner in Planen gesprochen, nicht herbei- fübren zu können geglaubt. Nimmt man nun noch hinzu, daß der Berichterstatter, dem die Meldung über die Plauensche Rede zu verdanken ist, mit seiner ganzen Person den Inhalt seines Artikels aufrecht erkält, so ist eS höchst begreiflich, daß statt einer Beruhigung eine immer tiefer gebende Beunruhigung Platz greift und das Verlangen immer dringender wird, eS möge dem Wiederauftreten deS Prinzen auf Grund des tz 26 des sächs. Kirchengesetzes vom 23. August 1876 eine Schranke gesetzt werden. Der Prinz — und daS ist wohl das einzige Nichtige in dem Berichte des Interviewers der „DrcSd. N. N." — weist selbst auf dieses Gesetz hin. Nie hat sich dessen Notwendigkeit für unser Königreich deutlicher herausgestellt, als durch daS eben citirte päpstliche Schreiben. Und auf keinen seiner geistlichen Amtsbrüder sollte eS nnnachsichtlicher angewendet werden als auf den Prinzen. Keiner, und wenn er wörtlich mit den Ausdrücken des Papste- redet, kann damit Hervor rufen, waS der Prinz selbst daun bcrvorruft, wenn er milderer Ausdrücke sich bedient. Mitglied unseres Königs hauses ist er allein und er allein vermag also die Besorgniß Zu erregen, daß eine Zeit kommen könne, in der die Betbätigung seines propagantistischen Eifers infolge seine-Einflusses von seinen hohen Anverwandten gebilligt werde. Nicht wegen der Protestanten allein, sondern auch und vor allen Dingen unsres Königshauses willen regt sich also daS Ver langen nach Anwendung dieses Gesetzes auf den Prinzen, in dem der Prinz mehr und mehr hinter den Priefle? zurücktritt. Und zu diesem Grunde kommt noch eia anderer. ES ist eine nn- verbürgte Thatsache, daß in gewissen protestantischen Kreisen ans die Aufhebung oder wenigstens die Revision dieses Gesetzes und besonder- deS H 26 hingearbeitet wird. Soll doch selbst an einen hervorragenden nationallibe ralen Abgeordneten nicht ohne allen Erfolg daS Ersuchen berangetreten sein, diese Bestrebungen durch seinen Ein fluß auf die Parteigenossen zu unterstützen. Es heißt auch, man hoffe durch starke Beschneidung dieses Ge setze- eine Situation vorbereiten zu können, die dem Prinzen den Zugang zu dem sogen, katholischen Bischofssitze für Sachsen erleichtere. Nun wird zwar in einer den „DreSd. N. N." von katholischer Seite zugegangenen Zuschrift auf da- Entschiedenste bestritten, daß der Prinz daran denke, Nach folger deS Bischof- Wahl zu werden: „Nach der Verfassung unseres Königreichs und den zu dieser gehörigen AuSsührungsgesetzen ist er (der apostolische Vicar in Dresden) dem königl. Cultusministerium genau In derselben Weise wie das evangelisch-lutherische Landesconsistorium amtlich unter- geordnet. Dir eben angedeuteten amtlichen Beziehungen, die ganze Schwierigkeit der Amtsverwaltung deS apostolischen BicarS, sein Verhältniß zum königl. Hofe und im Lande, die Möglichkeit von allerlei Mißverständnissen uud Zwischenfällen — alles daS läßt den Gedanken an «in Mitglied des Königshauses in der Stellung de» leitenden katholischen Geistlichen nicht nur von vornherein als aus geschlossen, sonder» auch als geradezu abenteuerlich er- scheinen." Wir wissen aber auS unanfechtbarer Quelle, daß von einer den vaticanischen Kreisen nahe stehenden Seite der „abenteuerliche" Plan sehr ernstlich gehegt und gepflegt wird. Vielleicht ist die stille Agitation gegen kirchliche Gesetze auf Betreiben dieser Seite und auf den Wunsch zurückzu führen, die Stellung deS apostolischen VicarS in Dresden zu einer unabhängigeren zu machen. Und Rom bat, trotz fürstlicher Einsprache, schon Schwerere- durch Zähig keit und diplomatische Künste durchgrsctzt. Peinliche „Miß verständnisse" und „Zwischenfälle" würden dann die unaus bleibliche Folge sein. Auch deshalb also ist der Wunsch gerechtfertigt, daß da- Kirchengesetz vom 23. August 1876 »»geschmälert in Kraft bleibe und auch vor dem Priester Prinz Max nicht Halt mache. Er bat die priesterliche Laufbahn jeder anderen vorgezogen, di« seine prinzliche Geburt ihm eröffnet hätte; hoffentlich aber ist er noch sächsischer Prinz genug geblieben, um lieber auf eme priesterliche Thätigkeit in Sachsen zu verzichten, als hier auch ferner eine Beunruhigung hervorzurufen, die ohne jeden Zweifel auch seinen hohen Anverwandten da- Gegentheil von Freude bereitet. Die Wirren in China. Peking- Wie erinnerlich ist, wurde Peking nach der Besetzung durch di« Alliirten in verschiedenen Bezirken unter den Mächten zur Wiederherstellung der Ordnung vertheilt. Bis jetzt scheint nur in dem japanischen viertel Friede und Zuversicht wieder einge kehrt zu sein, in den anderen Vierteln dagegen scheint eS noch recht trübe auszusehen, und besonder» im russischen Viertel sieht ei wüst und öde au». Der Kriegsberichterstatter der „Daily New»" hat den japanischen Commandeur über die Mittel und Weg, interviewt, durch di« er so schnell die Ruh« wieder brr-" stellen konnte, und erfuhr, daß da» japanische Princip einfach war, gegen die chinesische Bevölkerung freundlich zu sein, alle entnommenen Waaren zu Marktpreisen baqr zu bezahlen, aber unerbittlich streng« Gerichtsbarkeit zu führen. Da» japanische Viertel umschließt den größten Theil der Tatarenstadt und ist von den Japanern wieder in drei Unterdistricte eingetheilt. In jedem haben sie ein große» Gebäude, al» SerichtSstatt«, Polizei amt und Bürgermeisterei, eingerichtet, und hier arbeiten Japaner zusammen mit chinesischen Beamten und Polizeidienern. Der dächtige oder unruhige Elemente werden hier nach chinesischen, Gerichtsverfahren abgeurtheilt, die Amtisprache ist chinesisch, di- Bollstreckung der Urtheik geschieht durch Chinesen, und zu allen Verhandlungen hat da» chinesisch» Publicum ungehindert Zu 94. Jahrgang. tritt. Ueber jeden Fall berichtet der chinesische Beamte an das japanische Hauptquartier und bemerkt zugleich, was nach chine sischen Anschauungen jedes Mal geschehen würde. A n - geklagte, die überführt sind, an der Boxer- bewegung acti ven Antheil zu haben oder ge habt zu haben, werden in allen Fällen zum Todeoerurt'heilt. Nach dem Urtheil wird der Delinquenr an dem Kreuzungspuncte der größten und belebtesten Straßen zwei Tage lang am Pranger seinen Landsleuten zur Schau ge stellt, und dann durch einen chinesischen Henker aus öffentlichem Platze enthauptet. — Solche Hin richtungen sind ziemlich häufig, in den ersten vierzehn Tagen nach der Besetzung des Viertels durch die Japaner wurden einige zwanzig Mann enthauptet. Gefängnißstrafen giebt es nicht, einmal, weil es an geeigneten Gefängnissen fehlt, und dann, weil dieselben meist wirkungslos sind. — Dagegen giebt es bei geringeren Vergehen, Unbotmäßigkeit und dergleichen die Bastonnadc, und zwar sehr energisch. Schließlich giebt es dann auch noch Geldstrafen, die auch gute Wirkung zu haben pflegen. Neben diesem Strafgericht haben die Japaner dann noch einen Beschwerdehof in jedem District errichtet, d. h. ein Bureau, in dein jeder Chinese die ihm widerfahrene Unbill zu Protokoll geben kann. Diese Einrichtung wird von den Chinesen eifrig be nutzt, sie sind sogar so zufrieden mit der japanischen Justiz, daß sie in der letzten Zeit unaufhörlich mit Klagen gegen andere Chinesen kommen. — So 'weit es geht, wirkt das japanische Amt auch hier als Schiedsrichter. Allerdings macht dieser Be schwerdehof eine Masse unnützer Arbeit und Schererei, und die chinesischen Polizeidiener sind nicht gerade übermäßig zuverlässig, aber immerhin spricht der Zustand des japanischen Viertels, in dem heute Jeder wie früher seiner friedlichen Beschäftigung nach geht, von selbst für die Zweckmäßigkeit des japanischen Systems. — „Daily News" berichtet weiter: Im deutschen Viertel geht es noch recht still zu, wenige Läden sind geöffnet und die Bevölkerung hat offenbar Furcht vor der deutschen Verwaltung, die übrigens, was wohl kaum erwähnt zu werden braucht, musterhafte Disciplin unter ihren Soldaten hält. — Im rus sischen Viertel herrscht die Ruhe des Kirchhofs und keine Frau läßt sich in den Häusern oder auf der Straße blicken. Auch im deutschen Viertel sieht man wenig Frauen, aber deren Befürch tungen sind, wie allgemein anerkannt wird, grundlos, denn ab gesehen von einzelnen Ausschreitungen, die nun einmal in den ersten Tagen der allgemeinen Verworrenheit kaum zu vermeiden waren, 'hört man über das Benehmen der deutschen Soldaten keine Klagen. Im englischen Viertel geht es lebhafter zu, aber mit dem japanischen kann sich kcins ver gleichen. Die Kriegsbeute, welche die flinken Japaner bis jetzt gemacht haben, sollte nach ersten Schätzungen in ungefähr zehn Millionen Dollars Gold und Silber bestehen. Jetzt erfährt der Correspondent der „Nowoje Wremja" in Uokohama, daß die japanischen Truppen in Tientsin, Tungtschau und Peking nicht weniger als 33 Millionen Uen in Silber erbeuteten. Dazu kommen 185 Kanonen, 100 chinesische Dschunken und ein Dampfkutter. Es heißt, daß die Japaner die Ersten bei der Besetzung des chinesischen Schatzamtes oder Finanzministeriums waren, und den Russen die weitere Be wachung der Gebäude überließen, nachdem sic es gründlich aus- geräumt hatten. Ganz so schlimm wird es wohl nicht gewesen sein, denn aus Tokio wurde kurz nach dem Entsätze von Peking in officiellen Berichten nur von sieben Millionen Arn, die erbeutet waren, ge sprochen. 33 Millionen Den sind rund 100 Millionen Mark. Bun »en Plünderungen in Peking entwirft der Missionar Arthur H. Smith in der letzten Nummer des Now Uorker „Outlock" ein wenig erfreuliches Bild. Smith hat die Belagerung mit durchgemacht und sagt, der Versuch, die Fremden aus dem Lande zu treiben, habe für die Chinesen Folgen gehabt, die in der Geschichte der modernen Civilisation einzig dastehcn und ihrer nicht würdig find. Leichen von Bürgern und Soldaten lagen überall, einzeln und in Haufen, und selten nur mit Stroh oder Matten bedeckt, in den Straßen herum, und wurden von den nach Tausenden zählenden Pariah-Hunden der Stadt als willkommene Beute betrachtet. Alle Pfützen, Teiche und Brunnen waren mit Leichen vollgepfropft, besonders solcher von Frauen, die sich aus Furcht vor den widerlichen Ver gewaltigungen durch die Soldateska aller (?) Nationen selbst das Liberi genommen hatten. — Am Schlimmsten benahmen sich in dieser Beziehung die Russen. Die berühmte Universität Han Lin ist ein rauchender Trümmerhaufen, — und nur zwei von 25 großen Bibliotheksälen wurden vor völliger Vernichtung ge rettet. Chinesische Werke von unschätzbarem Werthe wurden zum Zustopfen von Löchern beim Bau der Barrikaden verwendet, das Papier von Büchern, die viele Jahrtausende alt sind, wurden als Packpapier, zum Feueranzünden und sonstigen häuslichen Verrichtungen verwendet. Die einzig dastehende „Encyclopädie" des Dung-Le", «in lexikographischeS Werk von mehreren Tausend Bänden, ist mit sammt den Kästen aus Kampherholz, in denen die Bücher aufibewahrt wurden, verschwunden. * Berlin, 10. November. DaS letzte denDsch« Truppen- tranSportschiff ist am 10. October vor Tak« eiagetroffen, sodaß nur uoch einige Dampfer mit KriegSbedürfaiffen, speciell Barackenmaterialieu für die Unterkunft der Truppen im Winter, unterwegs sind. Die Ausladungen scheiae« trotz der großen Schwierigkeit«», di« zu überwinde» sind, bisher befriedigend von Statten gegangen zu sei», sodaß sogar der grüßte Theil de» Troppeanachschube», der die «»-reife von Bremerhaven in der Zett vom 81. «»gust bi» 4. September «»getreten hat, bereits kriegsbereit am Lande ist. Di« Wittwung und der nftdrige Wafferstand auf der Barre von Taku machen sich scho« sehr fühl bar, so daß nach Witt« November eine Ausschiffung von Gütern dort wahrscheinlich nicht mehr m»glich sei» wi^. Di« -er- bindung wird dann voraussichtlich über Tstngwangtau (IS ft» südwestlich Schanhalkwan), wo die Liefe» Verhältnisse Einstiger sind, erfolge». Di« in Amerika nutz Anstralien angekansteu Pferd« erroeiseu sich al« brauchbar nnd ist dor Bedars des ExpeditiouScorp» au Reit- uud Zugthier« durch ft» und die iu China erworbenen Ponie» uud Maolthirrr gedeckt. La» Feld- grräth der Truppe» bewährt sich. Di« Verpflegung ist gut und ausreichend, besonder- da di» au» der Honrath «ftgsfühtt« B»
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