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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010903023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901090302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901090302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
- Tag1901-09-03
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WaS sie dazu bewogen, die Reise svrtzusetzen, ist noch nicht völlig klar; sie selbst geben sich fortgesetzt Mühe, in dem Lichte von Leuten zu erscheinen, denen plötzlich unterwegs Schwierig keiten bereitet worden wären, auf die sie nach den voraus gegangenen Abmachungen nicht hätten gefaßt sein können und die nur behoben worden wären durch die Festigkeit der Mission, die den deutschen Kaiser zu einem Entgegenkommen genötbigt hätte. Die in Berlin erscheinende, zweifellos von chinesischer Seite inspirirte „Ostasiatische Correspondenz" meldet nämlich, wie uns telegraphisch berichtet wird: In der Angelegenheit der chinesischen Snhnemission sind wir in der Lage mitzutheilen, daß Se. Majestät der deutsche Kaiser au» eigenster Initiative nunmehr dem Prinzen Tschun hat mittheilen lassen, daß er denselben in Potsdam und zwar allein, nur von einem Dolmetscher begleitet, zu empfangen geruhen wolle. Der Prinz hat telegraphisch seinen Dank für diese so gnädige Behebung der Schwierigkeiten ausgedrückt. Die Audienz dürfte am nächsten Mittwoch oder Donnerstag statlfinden." Von derselben Seite stammt Wohl die Meldung, chinesischer- seitö habe man sich an andere Mächte gewendet und ihnen dargelegt, daß das von dem deutschen Kaiser nachträglich gestellte Verlangen bezüglich der Form des Empfanges un verträglich sei mit den Würden, die einzelnen der Missions mitglieder von eben diesen Mächten erthcilt seien. Einige Berliner Correspondenten behaupten dagegen, erst jetzt sei die Mission von Peking auS in die Lage versetzt worden, alle die Verpflichtungen zu erfüllen, die ihr durch daS getroffene Abkommen auferlegt seien. Welche von diesen Behauptungen richtig ist, wird sich vielleicht erst nach Jahr und Tag fest stellen lassen. Aber wenn man auch schwerlich in der Annahme irrt, daß die hinterlistigen, doppelzüngigen Zopfträger den Versuch gemacht haben, in Berlin billiger wegzukomnien, als abgemacht war, so deutet man dock wobl auch andererseits daS verlegene Schweigen, daS die deutschen Ofsiciösen während der ganzen Verzögerung beobachtet haben, nicht falsch, wenn man r» als einen Beweis dafür ansieht, daß man in Berlin ent weder unschlüssig darüber war, wie man sich zu jenen Ver suchen stellen sollte, oder aber detaillirte Forderungen bezüglich des Verhaltens der Mission erst nachträglich stellte. Vielleicht hat erst die Reise des Reichskanzlers von Norderney nach Berlin Wandel geschafft. Äst das derFall, so wird ja wohl auch nunmehr die rechte Mitte zwischen übertriebener Ehrung des Sübne- prinzen und allzu demüthigender Behandlung gefunden sein. Die Thatsacke aber, daß dem Finden dieser Mitte eine die ganze europäische Presse in Bewegung setzende Verwirrung vorauSgehen mußte, eröffnet jedenfalls nicht die erfreulichsten Aussichten auf glatte Erledigung der Zwischenfälle, die bis zur Herstellung eines befriedigenden Verhältnisses Deutsch lands zu China noch in sicherer Aussicht stehen. Die „Post" hat den nächsten Zweck der Osnabrücker Culturkampfsignalisirung richtig erkannt. Sie ist überzeugt, daß die dort gehaltenen Reden die Anziehungs kraft deö Centrums für die Hockconservativen roch ver stärkt haben werden, sie fürchtet deshalb für die Schulpolitik und fordert volle Wachsamkeit, damit! nicht ernstliche Nacktheile für das Gemeinwohl er- j wachsen. Hinsichtlich der Conservativen hat sich die Vor hersage des freiconservativen Blattes sofort bewahrheitet. Die „Cons. Corr." hat bekanntlich ihre Partei unverzüglich als Bundesgenossen angeboten bei dem Kampfe, in dem nach der gleichfalls begeisterten „Deutsch. TgS;tg." das Centrum — „der Hieb ist die beste Parade" — aggressiv vorgehen wird. Das konservative Organ findet nickt nur die katholische Kirche bedroht, „sondern das bekenntniß- treue Christenthum im Allgemeinen" und es ist sogar etwas verschnupft, weil die konservative Bundesgenossenschaft in Osnabrück nicht direkt verlangt worden ist. Die „Ger mania" holt das nach, indem sie die Ausführungen der „Cons. Corr." „voll und ganz acceptirt" und sie ausdrücklich zu ihren eigenen macht. Allerdings will sie „Thaten" sehen, und nun folgt eine Auseinandersetzung mit der „Post", aus der hervorzeht, daß dieses Organ auch im zweiten Punkte richtig gesehen bat. Die „Germania" leugnet. nicht, daß er gegen die Schule gehen soll; „wer den Zweck — Erhaltung der christlichen Religion — will, der muß auch die Mittel dazu — vor Allem die Gestaltung des Unterrichts auf christlicher Grundlage wollen". Allo Graf Zedlitz-Trützschler herbei! Der Rest staatlicher Aufsicht über die Volksschule ist reif zum Abfallen und Professor Harnack und die freie wissenschaftliche Lehre — auf diese zielt die „Cons. Corr." — ist eö erst recht. Der katholische Pfarrer von Herzberg muß eine Professur für christliche Ethik haben, sonst gehen Staat und Kirche zu Grunde. Die extremen Antischutzzöllneriscken haben zwar keine Aussichten hinsichtlich der Zollgesetzgebung, erleben aber hier und da eine kleine Freude, der sie mit unverhältnißmäßig starkem Äubelgeschrri Luft machen. Die Organe des Central verbandes deutscher Industrieller und die des Bundes der Landwirthe schimpfen sich weidlich, WaS den Sanguinisten vielversprechend vorkommt, und die im gestrigen Morgenblatte mitgetheilte Auslassung des Wiener „Fremdenblattes" ist nicht ganz abbauunwürdig. Ruhig Ueberlegende sehen aber mit Bestimmtheit voraus, daß in der Stunde der Entscheidung gar nichts darauf ankvmnien wird, was die Herren Oertel und Klapper einerseits und Herr Schweinburg andererseits vorher gesungen, gesagt oder gescholten haben. Und selbst Herr Bueck, der Geschäftsführer des industriellen Verbandes, wenn er Unsterblichkeit erlangen sollte, wird diese angenehme Beerdi gungsbeigabe mehr der 12 OOO-Mark-Affäre als seiner Beein flussung der künftigen Handelspolitik zu verdanken haben. Auch die Wiener Zeitungskundgebung wird den Kohl, wenn er einmal zum Verzehren aufgetragen ist, nickt fett gemacht haben. An sich ist sie, wie sie telegraphirt wurde, recht brauchbar für die linken Taktiker deS Zollbürgerkrieges. Sie enthält eine leise Drohung gegen Deutschland und unseren Freihändlern ist nichts willkommener, al» die Gelegenheit, der Welt zu zeigen, daß die Deutschen neben Gott alles Andere fürchten, ausgenommen etwa die Republik Haiti. Es fällt uns nicht ein, den osficiösen Charakter der Auslassung deS „Fremdenblattes" zu bestreiten, obwohl der „Pester Lloyd", der mindestens so auswärtig - gouvernemental ist wie das Wiener Blatt, sich wiederholt in Ergüssen über den deutschen Tarifentwurf ergangen hat, die unverkennbar — Pester oder Berliner, daS ist ziemlich gleichgiltig — Privatarbeiten waren und der österreichisch - ungarischen Negierung kaum willkommen gewesen sind. Die Wiener Kundgebung ist ofsiciöS, aber sie meint den politischen — ohne Anspielung — Esel, indem sie den handelspolitischen Sack schlägt. Es war schon seit mehreren Tagen in der Presse zu merken, daß man am Wiener Ballbausplatze etwas verstimmt ist; die in unserer vorgestrigen Wochenschau er- wähnten publicistischen russischen Versuche, Deutschland als von Oesterreich etwas zurückgewichen zu kennzeichnen, haben wider unser Erwarten in den ofsiciellen Kreisen der habsburgischen Monarchie einigen Eindruck ge macht, und deshalb sieht man dort die Danziger Zu sammenkunft nickt gerade mit freudeglänzenden Augen sich vollziehen. Vielleicht spielt die Erinnerung an den letzten, amTage ve^Großjährigkeitöerklärung deS deutsckenKronprinzen abgestatteten, von gerade nicht mehr so gewöhnt gewesenen österreichischen Aufmerksamkeiten begleiteten Berliner Besuch deS Kaisers Franz Josef eine Nolle, und man denkt, die Früchte der außerordentlichen Liebesmühen seien nicht so haltbar gewesen, als gewünscht und geglaubt wurde. Diese Empfindung hat auS den vorgestern angeführten Gründen keinen thatsächlichen Untergrund, sie ist eine Reflexerscheinunz der zeitlich mit der Kaiserzusammenkunft zusammenfallenden, mit ihr aber außer jedem ursächlichen Zusammenhang siebenden russischen Bethätigung in Serbien und Ru mänien, und sie wird deshalb bald wieder ver schwunden sein. Wenn sie sich in einem ExcurS über Handelspolitik zu erkennen giebt, so erklärt sich dies Wohl auS dem durch das deutsche Brobwuchergeschrei auch bei dem einen oder anderen Preßeinflüsterer des Wiener Auswärtigen Amtes genährten Irrthume, der wirtbsckaftS-politische Punct sei derjenige, an dem das deutsche Reich augenblick lich am empfindlichsten sei. Jedenfalls hat eine solche Auslassung sehr wenig zu bedeuten im Vergleiche zu der concstianten, die Handelsvertragspolitik auf ihre wahre diplo matische Bedeutung zurück- und herunterführenden Dele gationsrede deS Grafen GoluckowSki, die unseren mit dem Zorne der ganzen Welt drohenden Freihändlern noch im Magen liegen wird, wenn sie diese Preßslimme längst ver daut haben werden. Immerhin läßt sich mit dem „Fremdenblatt"-Artikel noch eher etwas anfangen, als mit der Betrachtung eine» italienischen Diplomaten, die in einer deutschen Revue veröffentlicht worden ist. Dieser Herr setzt auseinander, daß der Dreibund vom heutigen Italien und insbesondere auch von Zanardelli nur noch als ein ganz überwiegend, eigentlich ausschließlich wirthsckaftliches Bündniß angesehen werde, an eine Erneuerung mithin nicht zu denken sei, wenn das handelspolitische Verhältniß zwischen Deutsch land und Italien irgend welche Trübung erleide. Gerade Italien bedarf auS politischen Gründen des Dreibundes und wird sich aus diesen Gründen eine mehr oder minder fühl bare Aenderung des handelspolitischen Verhältnisses zu Deutschland ruhig gefallen lassen. In Washington 'findet heute ein Ministerrath statt, an dem alle Mitglieder der Regierung der Vereinigten Staaten theilnehmen werden und in dessen Verlaufe bei Berathung der Botschaft des Präsidenten zur Eröffnung des nächsten Congresses Mac Kinley seine Stellungnahme zu verschiedenen Fragen «der inneren und äußeren Politik darzulegen haben wird. Als zweifellos kann es gelten, daß die Botschaft in Betreff der Reci- procitätsverträge dieselbe Ueberzeugung von der Nothwendigkeit eines starken Schutzzolles zum Ausdruck bringen wird, die der Präsident von jeher vertreten hat und deren praktische Verwerfung die nordamerikanische Republik auf jene Stufe der wirthschaftlichen Entwickelung gehoben hat, die es gegenwärtig nach Verabschiedung der freihändlersschen Ideen einnimmt. Ein nicht minder wichtiger Gegenstand der Verhandlungen, über den die Botschaft sich schlüssig zu machen haben wird, ist die Nicaragna-Canalfrage, die noch keineswegs ent schieden ist. Die Untersuchungen, 'welchen eine amerikanische Specialcommission zur Prüfung des Nicaragua- und des Panama-Projectes obliegt, sind noch nicht abgeschlossen, doch steht nach Meldung amerikanischer Blätter die Fertigstellung ihres Berichtes für den December zu erwarten. Auch in dieser Frage ist die persönliche Ansicht des Präsidenten, di« ihn im Gegensatz zu der republikanischen Mehrheit des Congresses stellt, keines wegs unbekannt. Gegenüber der von dem größeren Theile der Congreßmitglieder gefeilten Ansicht, daß jede Einmischung Großbritanniens in die Canalfrage abzulehnen sei, da eine solche nothwendig eine Beeinträchtigung der amerikanischen Interessen im Gefolge haben müsse, vertritt Mac Kinley das Neutralrtäts- princip und befürwortet demgemäß den Abschluß eines neuen Vertrages. Des Weiteren werden die Verhandlungen Gelegenheit bieten, die Ansicht Mac Kinl«y's über die in Ostasien zu be folgende Politik und die Stellungnahme Amerikas kennen zu lernen, das, ebenso wie Japan, im Interesse einer gemeinsamen Action gegenüber der russischen Politik von England stark um worben wird. Der bevorstehende panamerikanische Congreß endlich, der, wie jetzt endgiltig feststeht, unter Dheil- nähme des Staatssekretärs Hay ungeachtet der Weigerung Chiles und des Fehlens von Venezuela und Ecuador im October in Mexico abgehalten werden soll, wird dem Präsidenten Anlaß geben, di« Politik der Vereinigten Staaten kundzugeben und zu begründen. Daß diese keine indifferente sein, sondern mehr oder weniger offen eine Beeinflussung der wirthschaftlichen Entwicke lung im Sinne der Monroe-Dovtrin und ein« Überwachung dec politischen Gestaltung des amerikanischen Südens anstreben wird, steht außer Zweifel. Der Krieg in Südafrika. * London, 3. September. Der letzte Boerencom- mandantvon Johannesburg, vr. Krause, der seiner Zeit Johanesburg dem Feldmarschall Roberts übergeben hat und, nachdem er den Treueid geschworen hatte, seit vier Monaten in London lebt«, ist gestern Abend in einem hiesigen Hotel unter dem Verdachte der Spionage verhaftet und sein Gepäck beschlagnahmt worden. Er wird heute früh vor dem Polizeigericht in Bowstreet erscheinen. * Capstadt, 3. September. Bei dem Empfange einer Abordnung Uitlanders sagte der Gouverneur Milner auf ihre Ansprache, er werde für kein Ziel ausdauernder arbeiten, als dasjenige, den Transvaal-Flüchtlingen, so schnell es die Umstände gestatteten, die Heimkehr zu'ermöglichen. Er werde fortfahren, alles in seinen Kräften Stehende zu thun, um dieses Ziel zu erreichen. * Die gefangenenBoeren, die auf der Bermuda- insel, der englischen Colonie unweit der Küste Nordamerikas, untergebracht sind, haben nach einem Berichte des „Rcuter'scken Bureaus" aus Hamilton, der Hauptstadt der Colonie, ein recht behagliches Dasein. Die Boeren, sagt der Bericht, würden ver hätschelt, und es sei erstaunlich, wie viel Sympathie man ihnen Fsrrilleton. A Arbeit. Von Eva Treu. Nachdruck verdcken. Nichts antwortet«. Wo könnt« — o, wo konnte er sein? In der Scheune vielleicht. Aber in der Scheun« war nur der Knecht, der den Herrn nicht gesehen hatte. Es blieb nur noch der Garten, und dort endlich, in einer Laube fast am äußersten Ende, fand Life den Vater. Sie hätte nicht vorübergehen können, denn es schallten ihr von dorther lustig lachende Stim men entgegen. Auf der Bank, ein volles Bierglas vor sich, saß Christian Ohle und scherzt« laut und vergnügt mit Susann«, mit der er sich wohl wieder vertragen haben mußte, denn sie saß mit aufgestützten Armen ihm gegenüber und zeigte, hell auf lachend, alle ihre weißen Zähne. Ein bitterböser Zug ging über ihr weiß und rothes Gesicht, als sie Life am Eingänge der Laube bemerkte. Ruhten doch di« seltsamen Augen des Kindes wieder einmal mit jenem Ausdruck auf ihr, den sie verabscheute und fürchtete, weil er ihr stets das unheimliche Gefühl gab, als blickten diese dunklen Sterne in ihr tiefstes Herz hinein. „Was willst Du hier?" herrschte sie den unwillkommenen Eindringling an. „Vater, Du sollst schnell kommen, Mutter stirbt", sagte das Kind tonlos. „WaS thut sie?" rief der Mann und fuhr empor. „Sie stirbt." Christian Ohl« war blaß geworden; selbst Lis« konnte nicht so schnell in» Hau» zurücklaufrn, als er nun vor ihr her den Gartensteig entlang schritt. Dem Kinde schienen auf einmal dir Kräfte zu versagen, nun, da es den Vater endlich ge funden hatte. Aber „laßt mich hier nicht allein sterben!" klang e» ihr in den Ohren, und fast mit dem Vater zugleich er reichte fir die Stubenthiir. Er stand noch draußen, den THUr- griff in der Hand, tief aufathmend, al- müßte er sich erst sammeln, wie vor dem Eintritt in di« Kirche, und erst, als Life neben ihm stand, öffnete er behutsam und trat ein. Die Gardine am offenen Fenster blähte sich leicht, aber aui dem Lager, an da« der Mann und das Kind jetzt mit ein- ander traten, regte sich nichts. Di« dünnen Hände der Frau lagen, leicht in einander gefügt auf der Decke, da» magere Gesicht war noch ein wenig stiller und weißer wie sonst, und es lag jener seltsame, wunderbare, geheimnißvolle Ausdruck darauf, wie er Lebenden niemals eigen ist — jener Ausdruck, vor dem man sich unwillkürlich in Ehrfurcht neigt, weil man ihn nie entziffern kann. Frau Len« war tobt. „Sie ist todt", sagte der Mann und drückt« mit sanfter Hand die gebrochenen Augen zu. Es kam ihm auf einmal so vor, als wenn er di« stille Frau eigentlich sehr lieb gehabt hätte. Todt, sein guter Kamerad, der so viele Jahre Freud' und Leid mit ihm getheilt hatte, seine treue Frau, die er seit einem Jahre so ost gedankenlos gekränkt, und die doch nie ein böses Wort dafür gefunden hatte, — er vergaß auf ein mal ganz, wie oft er sie zuletzt alt, langweilig und unan sehnlich gefunden hatte — sie war ja todt. „Sie ist todt, Life", wiederholte er und strich sachte und liebevoll über das dunkle Haar des Kindes. Lise antwortete nicht. Sie warf sich nicht an die Brust des Vaters, wie vielleicht ein anderes Kind gethan haben würde. Eine große, unkindlich« Bitterkeit quoll in ihr auf. „Todt", sagte es in ihr, „und sic starb hier ganz allein und verlassen, weil Vater mit Susanne in der Laube saß und lachte und ich ihn so lange suchen mußte." Es kam ihr vor, als wäre an der Mutter ein unsühnbares Unrecht geschehen, indem man sie so einsam hatte sterben lassen. Der Vater bückte sich verwundert zu ihr nieder, da er sie keinen Laut, kein Zeichen des Schmerzes von sich geben hört«; rannen doch ihm selbst die Thränen langsam die Wangen herab. Hatte das Kind ihn nicht verstanden, oder hatte es kein Herz? Da schlug Lise die Augen langsam zu ihm auf, die großen, sonderbaren, traurigen Äugen, und selbst dieser Mann begriff, daß man ohne Thränen vielleicht am heißesten weinen kann. — Sie war doch ein eigenartige» Kind, die Lise! In ihrem schwarzen Kleide schlich sie umher wie ein Bild des Elends, aber di« Menschen sahen sie nicht weinen, nicht einmal, als der Sarg zum Haus« hinausgetragen wurde. Daß sie hinaus in den Garten eilte, von wo man dem Trauergefolgt bis fast an den Kirchhof Nachsehen konnte, und daß sie dort zu Boden stürzte und «ine ganze Weile bewußtlos liegen blieb, da» erfuhr Nie mand, — denn wer hätte sie fuchen sollen? „Sie ist ein schreckliches Kind", sagte Susanne zu den Nach barinnen, die der Leich« daS Geleite bi» an die Thür gegeben hatten. Sie hatte geweint, ihr« Augen waren ganz roth. Su sanne war so leicht gerührt, und «in« Leich« im Hause hat etwa» so Aufregende». „Sie ist ein schreckliches Kind, — sie ist schlecht und verstockt. Hat wohl Eine von ihnen gesehen, daß sie eine einzig« Thrcine um die Mutter vergossen hätte? Sie stand daher wie ein Stock, während der Prediger so schön und rührend sprach. Als wenn es gar nicht ihre Mutter wäre, die sie da begraben." „Herr Ohle war aber sehr betrübt", meinte «in« von den Nachbarinnen. „Das will ich meinen! Der Mann hat ein Gemüth — «in Gemüth sage ich Ihnen! Er hat es doch wahrlich nicht leicht gehabt mit der — na, sie war ja eine gute Frau, da will ich nichts gesagt haben, und sie ist ja euch todt, — aber be schränkt und kränklich und viel zu alt für ihn; er hatte es doch recht schwer damit. Und nun sehen Sie, wie er es sich zu Herzen nimmt! Zehn Jahre älter ist ja der Mann in den paar Tagen geworden." Das Lob über Herrn Ohle's großen Seelenschmerz wurde darauf mit allgemeiner Einmüthigkeit gesungen. Seine Betrüb niss war auch keineswegs erheuchelt. Ein paar Tage trauerte er wirklich aufrichtig um seine Lene. Christian Ohle gehörte nun einmal zu den Menschen, die jedem augenblicklichen Einfluss auf das Bereitwilligste zugänglich sind, und darum war es auch nicht zu verwundern, daß er sich, sobald nur die Beerdigung mit all der schwermüthigen Geschäftigkeit, di« dergleichen mit sich bringt, vorüber war, und das Alltagstreiben wieder in seine Rechte eintrat, schleunigst aller trüben Gedanken gänzlich ent- schlug und im Laufe weniger Wochen in eine so ausserordentlich vergnügte Stimmung gerieth, als wolle er nun eigentlich erst recht zu leben anfangen. Es wundert« sich Niemand sonderlich darüber. Du lieber Gott — er war ja eigentlich noch ein junger Mann, und wer kann ewig trauern? Als der Quartalstag herankam, zog Susanne nicht aus, wie es doch abgemacht war. Sie blieb stillschweigend, ohne dass erst viel darüber wäre geredet worden, und auch hierüber wundert« sich «igentlich Niemand sehr. Ein wsnig früh fand man es dann freilich, als nach kaum sechs Monaten verlautete, Herr Ohle hätte sich mit seiner Kellnerin, die nun längst zur Wirthschafterin aufgerückt war, verlobt und würde nächstens Hochzeit geben; jedoch ein grosses Hauswesen brauchte eben eine Frau, und die Susanne war doch auch wirklich «in sehr hübsches Mädchen, wenn auch ein bischen leichtfertig. Damit war di« Sache abgemacht, denn wa» man sonst ttwa noch über Susanne zu sagen hatte, blieb inner halb der verschwiegenen Grenzen einiger großer Kaffeegesell schaften, welche bei dieser Gelegenheit in de: Nachbarschaft ver anstaltet wurden. Lise kam aus der Schule, warf ihren Bllcherranzen draußen auf dem Flur auf die Fliesen, so stürmisch, wie sie sonst nie war, und öffnete ungestüm die Thür zum Hinterzimmer, wo ihr Vater zu sitzen pflegte, wenn er nicht im Hause beschäftigt war. Sie war jetzt beinahe dreizehn Jahre alt und in den letzten Monaten stark gewachsen, so dass ihr das schwarze Trauerkleid, das sie noch trug, überall zu eng und zu kurz war. Trotzdem sah sie merkwürdig hübsch aus, wie sie da auf der Thürschwelle stand, mit einem feinen, klaren Roth auf den sonst immer ein wenig bleichen Wangen, und einem Leuchten in den grauen Augen, welches sie seltsam verschönte. „Ist es wahr, Vater?" rief sie, fast ehe sie die Thür noch ganz geschlossen hatte. Christian Ohle sah von seinem Rechnungsbuche, in dem er geblättert und geschrieben hatte, empor. „Fünfundsiebzig — was soll wahr sein?" fragte er zer- streut, zu der schlanken, kindlichen Gestalt an der Thur hinüber blickend. „Die Mädchen neckten mich in der Schule damit, aber es ist gewiss nicht wahr. Ich glaube es nicht." „Na, was denn?" Es gelang Herrn Ohle nicht ganz, den unbefangenen Frageton zu treffen; er wusste sehr genau, wovon die Rede war. „Sie sagen, Du — Du willst —" Das Kind stockte plötz lich, aber das Roth in den Wangen und der Glanz in den Augen wurde tiefer, und Lise trat bis an den Tisch heran. „Sie sagten, alle Welt wüsste es — aber es ist doch ganz gewiss nicht wahr, daß Du Susanne heirathen willst?" Christian Ohle wurde plötzlich sehr unbehaglich unter den klaren Äugen seines Kindes. „Ja, natürlich ist es wahr", sagte er unfreundlich, wieder zu der Feder greifend, die er vorhin aus der Hand g-leat hatte. „Fünfundsiebzig — warum sollte es denn nicht wahr sein, wenn man fragen darf?" Er schrieb schon wieder, musste aber im nächsten Augen blick das Geschriebene ausstreichen, er hatte einen Fehler gemacht. Es ging doch nicht recht völlige Unbefangenheit zu heucheln. „O Vater!" sagte Life, und die Rothe wich ganz plötzlich aus ihren Wangen. Seit sie das Versprechen gehört hatte, da» vor sechs Monaten hier in demselben Zimmer gegeben wurde, war es ihr gar nicht in den Sinn gekommen, die Wirthschafterin könne ihre Stiefmutter werden, und sie hatte deshalb die Der- nachläffigung, die ihr zu Theil wurde, bisher ganz gelassen er tragen, wie einen vorübergehenden Zustand. „O Vater — Susanne! — und — und es sind ja erst etn paar Wochen, dass Mutter todt ist!" sagte sie stockend.
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