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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010914026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901091402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901091402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
- Tag1901-09-14
- Monat1901-09
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Ämtsgerichles Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ärrrtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »PretS die 6 gespaltene Petitzeile Ld H. Reelam«« unter demRedactionsstrtch (4 gespalten) 7b H, vor den Familieuuach« richten («gespalten) SO Tabellarischer und Ztfferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen m»d Offertenannahme 2b (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), «ur mit der Morgen-Ausgabe» ohne Postbesörderung ^il SO.—, mit Postbesörderuug ^l 70.—» Annahmeschluß für Anzeige«: Abead-Susgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bet den Filialen und Aunahmestelleu je ei» halbe Staude früher. Anzeigen stad stet» « di» Expedition za richten. Die Expedition ist Wochentag-ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag voa L. Volz t» Leipzig Sonnabend den 14. September 1901. SS. Jahrgang. Mac Linley -j-. A Nun ist doch da» vor wenig Tagen nock gänzlich Unerwartete eingetreten: Mac Kinley ist heute (Sonnabend) früh um 2 Uhr gestorben. Lange hat der Präsident gegen den Tod gekämpft und die Nachrichten der ersten sechs Tage schienen in der' That einen günstigen AuSgang der durch Mörderband hervoraebrachten Verwundung zu versprechen. WaS zuletzt die Wendung in dem Befinden herbeigeführt hat, ist bisher nicht mitgetheilt worden. Möglich ist es, daß man officiell den Zustand des Präsidenten sür bester ausgegeben hat, als er thatsächlich war. Gründe hierfür lägen genug vor. Einmal wollte man vielleicht die Stellvertretung des Präsidenten so lange als möglich verhindern, weil mit einer solchen Stellvertretung für daS rein persön liche Regiment deS Oberhauptes ein umfangreicher Personal wechsel verbunden ist, wenn! auch selbstverständlich der neue Mann derselben Partei wie der Alte angebört. Aber auch sonst ist der Tod eines Präsidenten ein genau so tief einschneidendes Ereigniß, wie der Tod eines gekrönten Hauptes, und die fürchterliche Panik der New Acrker Börse, die sich am Freitag Nachmittag nach dem Zugeständniß des schlechten Be findens entwickelte, zeugt davon, wie gut der sehr sensible Geld markt weiß, daß Veränderungen in der Politik bei Roosevelts Eintreten bevorstehen. Diese Aenderungen mögen noch so ge ring sein, bei der Verbindung der Börse mit Allem, was Politik heißt, wirken sie doch, und so bedurfte es der Anstrengungen der gesammten großen Bankenwelt New Aorks, um ein gänz liches Versagen der Wallstreetmaschine hintanzuhalten. Alles Persönliche über Mac Kinley haben wir vor einigen Tagen gelegentlich des Attentats mitgetheilt, wir können daher heute daraus verzichten. Eine Würdigung seiner Persönlichkeit ist eine Würdigung der amerikanischen Politik, Was sie unter seiner Regierung geleistet hat, das ist unS noch in frischem Gedächtniß. Wir Deutsche haben sie mit Besorgniß verfolgt und uns ist sie nickt von Bodtheil gewesen. Mac Kinleytarif und Dingleytarif sind Etappen in der Weltwirthschaftsgeschichte, die für unS Deutsche eine schlimme Wirkung auS- geübt haben, und die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten ist uns auch nicht gerade sympathisch. Der Krieg mit Spanien war gesucht, er war nur begonnen, um Kuba den amerikanischen Handelsleuten zu gewinnen, und wenn schließlich Kuba von dem Kriege Nutzen haben wird, so konnte die KriegSsührung selbst nicht allzusehr impo- niren. Daö Gleiche ist mit den Philippinen der Fall. Wir denken noch an den Zwischenfall zwischen unserem Admiral Diedrichs und Dewey in der chinesischen Südsee und an die Entrüstung, die sich in deutschen Kreisen über die amerikanische Anmaßung kundtbat. Die großen Empfänge deS schneidigen Dewey haben freilich bald aufgchört, der nationale Held hat sich als ein smarter Geschäftsmann entpuppt und die Begeisterung für Krieg und Kriegsgefahren sank jenseits des großen Wassers unter Null, als man immer mehr erkannte, daß nicht die Fähigkeit der Amerikaner, sondern die Unfähigkeit der Spanier den Aankees zum Siege verholfen hatte. Die von Mac Kinley stark hervorgehobene Monroe-Doctrin, daS Losungswort: Amerika den Amerikanern, ist in allen seinen Handlungen zu erkennen und die Entscheidung wegen der Nicaraguacanalfrage, der Panamerikanische .Congreß, die Weltwirthschaftspolitik in amerikanischem Sinne eines Rockefeller und Morgan kühlen unfern Enthusiasmus für Nordamerika sehr ab. Allein diese Erwägungen treten zurück vor dem mensch lichen Leide, das dem Präsidenten widerfahren ist. Wir wissen aus den vielen Anekdoten, die von ihm verbreitet sind, welcher Ehrenmann Mac Kinley war, welch ein zärtlicher Gatte, wie bescheiden und einfach er lebte und wie er gestrebt und gearbeitet hat, um den ersten Posten, den seine Mitbürger zu vergeben haben, zu erreichen. Nun hatte er ihn erreicht, zum zweiten Male batte ibn das Vertrauen seiner Mitbürger auf den Präsidentenstuhl berufen, da verwundete der Revolver eines verkommenen Mörders ihn, der eben im Begriffe stand, die schöne Pflicht und daS schöne Recht amerikanischer Staatsoberhäupter, den Mit bürgern die Hand zu schütteln, auszuübcn. In der Reihe der seit wenig Jahren von anarchistischer Hand ge- tödteten Staatsoberhäupter ist er der fünfte und Grimm erfaßt unS, wenn wir an all die Ungeheuerlichkeiten denken, die ein weiteres Umsichgreifen des Anarchismus mit sich führen muß. Im freiesten Lande der Welt, im Lande unbeschränkter persönlicher Freiheit streckt sich die Mörderband ebenso gut auS, wie im Lande der finstersten Reaktion und wie im konstitutionellen Staatswesen. Sie wissen es ganz genau, die Anarchisten, sie ändern mit diesem Mord auch nickt einen Deut in dem Laufe der Welt, aber sie ver breiten Schrecken und das wollen sie. Sie wollen, daß man sich immer erinnere, daß der Pfeil des Mörders stets ge schärft ist und daß es genug Hände giebt,ibn abzuschießen^Daher wird wobl die Nothwendigkeit, energische Maßregeln zum Schutze gegen Meuchelmörder zu treffen, auf keiner Seite mehr verkannt werden. Schwer hat noch Mac Kinley in seinen letzten Stunden zu leiden gehabt, doch der Tod bat sich ihm schließlich sanft genähert. Umgeben von seinen Lieben hauchte er schmerzlos seine Seele aus. Wir lassen nachstehend die Telegramme folgen, die Aus kunft über die letzten Augenblicke des Präsidenten geben. Dabei muß immer berücksichtigt werden, daß die Zeiten amerikanische sind. Nach unserer mitteleuropäischen Zeit, die der von New Aork 0 Stunden 10 Minuten vorgeht, ist Mac Kinley also beute Morgen 8 Uhr 10 Minuten gestorben. Kaum dreißig Minuten hat es gedauert, daß wir durch Extrablatt gegen ssig Uhr den dreißig Minuten vorher er folgten Tod mittheilen konnten. * Buffalo, 13. September, 1 Uhr Nachm. Mac Kinley war nicht im Stande, die durch Injektion eingefiihrte Nahrung zu behalten, da die Schleimhaut sehr gereizt ist. Es besteht die beständige Gefahr eines plötzlichen Nachlassens der Kräfte und voll- kcmmenen Collapses. Die Aerzte sind der Meinung, wenn der Präsident die Nacht überlebe, bestehe weitere Hoffnung. Die Aerzte sind über die Veränderung in der Herzthätigkeit im Unklaren; sie vermögen die Ursache der plötzlichen Herzschwäche nicht fest- zustellrn. (Wiederholt.) * Buffalo, 13. September. Das heute Mittag 2 Uhr 30 Min. veröffentlichte Bulletin über das Befinden des Präsidenten Mac Kinley lautet: Der Präsident hat sich seit heute früh mehr als auf der Höhe gehalten. Sein Zustand rechtfertigt die Erwartung weiterer Besserung; es ist besser als gestern um dieselbe Zeit. Puls 123, Temperatur 99,4. * Buffalo, 13. September. Nachmittags waren die Aerzte Mac Kinley's darüber einig, daß heute Nacht die Krisis ein treten muß, und sind der Hoffnung, den Kranken durchzubriugen. * Buffalo, 13. September, 5 Uhr 48 Min. Nachmittags. Die Familie des Präsidenten Mac Kinley ist an das Sterbe bett berufen worden. Es besteht keine Hoffnung mehr. — Mac Kinley's Sekretär Cortelyon gab um 5 Uhr 35 Minuten Folgendes bekannt: Nach dem Berichte der Aerzte ist der Zustand des Präsidenten ernst. Der Präsident leidet an äußerster Entkräftung. Er bekam Sauerstoff einzuathmen; er reagirt nur schwach auf Anregungsmittel. Puls 125, Athmung 40. — Die Verwandten, Cabinetsmitglieder und persönliche Freunde nahmen um 7'/« Uhr Abschied von Mac Kinley, der gleich darauf in Bewußtlosigkeit verfiel; auS dieser erwachte er um 7 Uhr 50 Minuten infolge von Belebungsmitteln und verlangte nach seiner Gattin, die sich sofort an das Krankenlager begab. * Buffalo, 13. September, 8 Uhr 35 Mi». Große Menschen mengen haben sich in den Straßen angesammelt, die in der Nähe der Polizei-Hauptwache, wo Czolgosz sich in Hast befindet, liegen; der Zutritt ist jedoch verboten. Eine große Polizeitruppe bewacht das Haus. Zwei Regimenter werden in Bereitschaft ge halten, falls die Menge die Polizei-Hauptwache stürmt. — 9 Uhr 27 Min. Tas Bewußtsein Mac Kinley's scheint end- giltig geschwunden zu sein. In den klarsten Augenblicken tröstete der Präsident seine Gattin. — Um 9 Uhr 35 Min. giebt vr. Mynter bekannt: „Mac Kinley verfärbt sich allmählich, sein Körper wird kalt. Er kann jedoch noch bis 2 Uhr leben. Der Puls ist kaum zu fühlen." — 9 Uhr 53 Min. Der Gebrauch des Oxygens ist sür einige Zeit eingestellt. Bevor Mac Kinley endgiltig daS Bewußt sein verlor, sagte er seiner Frau Lebewobl. Es wurden dann leise Worte gehört und von den Nächststehenden verstanden: „Mein Gott! Dir..." Kurz vorher hatte er die Doctoren gebeten, ihn sterben zu lassen. * Buffalo, 13. September, 10 Uhr 59 Min. Abends. Die Gliedmaßen des Präsidenten Mac Kinley's sind bereits seit geraumer Zeit kalt; der Präsident liegt seit mehr als zwei Stunden bewußtlos da. — 11 Uhr 7 Min. Der Arzt MacBurney erklärte, der Patient könne noch mehrere Stunden leben, obwohl er kaum noch athmet. — 11 Uhr 45 Min. Bisher ist keine Veränderung eingetreten. * Buffalo, 14. September. Präsident Mac Kinley ist heute Morgen 2 Uhr gestorben. * Berlin (New Hampshire), 13. September. Der Chef der hiesigen Polizei brachte in Erfahrung, daß ein Mann, der von hier nach New Dork abgereist ist, ge äußert habe, er gehe nach Washington, um den Vice präsidenten zu tödten. Die New Aorker Polizei ist darauf aufmerksam gemacht worden, jenen Mann zu überwachen. * New Nork, 13. September. Der Ausländer, der beute Morgen Berlin (New Hampshire) verlassen und erklärt hatte, daß er den Vicepräsidenten Rooseveelt er morden wollte, ist in New Jork verhaftet und nach dem Krankenbause gebracht worden, da er irrsinnig ist. Er ist ein Deutscher und heißt Karl Miller. Die praktischen Maßregeln der amerikanischen Regierung, zu denen das Attentat auf Mac Kinley nach aller Wahrscheinlichkeit führen wird, summirt der New Aorler Correspondent der „Morning Post" dahin: 1) Ausschluß aller Einwanderer, die nicht vou der Heimatbbehörde Zeugnisse mitbringen, die sie vom Verdacht, Anarchisten zu sein, befreien; mit anderen Worten: Aus schluß der Anarchisten von der Kategorie politischer Flücht linge, denen die Vereinigten Staaten ein Asyl gewähren. 2) Gesetzgebung der verschiedenen StaatenlegiSlaturen, die schon auf versuchten Mord die Todesstrafe setzt. 3) Engere Ueberwachung aller Anarchisten in Amerika nach dem Vorgang der europäischen Polizei. 4) Ueberwachung aller Anarchistenversammlungeu durch Geheimpolizisten, die instruirt sind, jeden Redner, der zu Gewaltthätigkeiten auffordert, zu arretireu. 5) Bessere Vorsichtsmaßregeln zum Schutze deS Präsidenten bei allen öffentlichen Gelegenheiten. Nach Auffassung der Londoner Polizei ist der Hauptübel stand in den Vereinigten Staaten, daß eS dort nicht wie inLondou eine centrale Polizeibehörde giebt, die die ganze Ueberwachung und Bekämpfung der Anarchisten einheitlich leitet, sondern daß jede locale Polizeibehörde nach eigenem Gutdünken verfährt, mit dem Resultat, daß man in verschiedenen Distrikten zahlreiche Anarchisten - Organisationen auf wachsen ließ, ohne praktisch Notir von ihnen zu nehmen. Die Londoner Polizei beansprucht für ihr System schärfster Ueberwachung, daß eS die besten Früchte getragen habe. In London, das noch vor fünf Jahren eines der Haupt- centren des Anarchismus war, sei seine Sache beinahe todt. Englische Anarchisten gebe es so gut wie gar keine und die fremden nehmen sich sehr in Acht, weil sie wissen, daß sie scharf überwacht seien. Von bloß allgemeinem Geschimpfe nehme die Polizei keine Notiz; sowie aber zu Mord aufgereizt werde, schreite sie sofort sckarf ein. Nack einer „TimeS"-Meldung beabsichtigt die amerika nische Regierung, nicht nur Czolgosz, sondern alle Mitglieder des Anarchistenvereins von Cleveland, dem er angehörte, wegen deS Attentats zur Verantwortung zu ziehen. Sie stützt sich dabei auf die gerichtliche Entscheidung in dem be rühmten Chicagoer Anarchistenfalle, die feststellte, daß alle Betheiligten an einer ungesetzlichen Verschwörung, die die Anwendung von Gewalt involvirt, falls sich eine Gewaltthat als natürliche Folge dieser Verschwörung ergiebt, gleich schuldig sind. Gemäß dieser Entscheidung sind im Chicagoer Fall verschiedene Anarchisten hingerichtet worden, obwohl sie nicht anwesend waren, als die Bombe geworfen wurde. Die ideale Mitthäterschaft durch Schrift und Reden genügte zur Ver- urtheilung. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. September. Ueber den Zarenbesuch auf der Danziger Rhede und das Ergebniß dieses Besuches bringt heute die „National- liberaleCorrespondenz" folgende überraschende Meldung: „Zar Nicolaus hat von der Danziger Rhede aus die Weitersahrt nach Frankreich angetrelen. Die Danziger Tag« der Monarchenzusammenkunft schufen in den deutsch-rufsijchen Beziehungen keine neuen politischen Constellationen, sondern frischten nur die alten, bewährten Ueber- tieferungen zwischen beiden mächtigen, auf gegen seitigen wirthschaftlichen Austausch angewiesenen Kaiserreichen durch persönliche Aussprache ihrer Monarchen und ihrer leitenden Staatsmänner Frttilletsn. Hannottl. Erzählung von Anna Blum. Nachdruck verboten. „Könne Sie mer nit «n bisle Leinwand gebe?" „Zu was denn?" „Ja, schauen Sie das arm' Dhierle." Eine klein« schmutzige Hand schob den zerfetzten Kra>gen zurück, der die Kindevgestalt der Bittenden einhüllt«. Am rechten Arme trug sie eine Zeitungs tasche, auf dem linken ein kleines, sehr struppiges Hündchen. Das Thier blutet« aus mehreren Wunden und sah zum Erbarmen ab gemagert auS. „Mach, daß Du fortkommst mit dem schmutzigen Vieh", rief der alte Diener verdrießlich. „Das Blut läuft ja auf di« weißen Stempckakten. Du kannst es doch zu Hause verbinden." „O, daheim hab' ich doch ksi' Leinwand", sagte das kleine Mädchen traurig und blieb unbeweglich stehen. „Mir gehört das arm' Hundle nit, auf der Straß' hab' ich's gesunde, grad hi«r am Haus. Die Bube haben's mit Stein« geworfe. Da hab' ich's, wie'S so da lag und gewinselt hat, g'schwind, g'schwind aufgehobe. Wie sie ges«he habe, daß ich hier in Vas Haus lauf', ist mir keiner nachgekomme." Der Alte macht« ein grimmiges Gesicht. „Hierher wagt sich Keiner", murmelte er düster. Hinter den Beiden hatte sich unbemerkt eine Thür geöffnet. Das Gesicht eines ungefähr fünfzigjährig«« Mannes sah aus der selben hervor. Es war sehr bleich und von seltsamer Starrheit, nur zwischen d«n Augen zeigte sich jetzt ein« kleine Zornesfalte über di« Störung, dir das Gespräch zwischen dem alten Diener und dem Kinde in dem sonst so stillen Hause hervorrirf. „Schau, ich hab' hakt denkt, wenn ich das Hundle jetzt ver binde könnt, dann ging ich zu all dene Leut, wo ich die Zeitung hinbring', und frag', ob sie nit das lieb' Thierke nehme wolle Es ist doch arg schlimm, so mit Steine gewodfe werde, und wenn eine Niemand lieb hat." Ein zitternder Seufzer ertönte hinter der Kleinen. Sie wandte sich hastig um, das schmale Kindergrsicht wurde einen Augenblick todtefiblaß. Da stand der Mann, mit dem di« Mütter die Kinder fürchten machten: „Warte, der Rotta holt Dich!" Der Mann, von dem man flüsterte, er habe seinen Onkel er mordet. Aber das tapfere, warme Kindrrherz überwand die jähe Furcht. Sie sah in ein paar traurige Augen, in den«n alles Licht erloschen schien. „Gelt, Sie gebe mir Leinwand, 0, sei« Sie so gut." Die weiße, schlaffe Hand des Einsamen wurde zum eisten Mal« seit 24 Jahren von einer warmen Menschenhand gefaßt. Und war es auch nur ein schmutziges Kinderhändchen, das sich flehend und ohne Scheu auf die seine legte; er faßte mechanisch auch mit der Linken danach. „Zeige mir den Hund, ich bin Arzt. — Ich war es", setzte er zögernd hinzu. „Komm' hier herein, Kind." Sie traten in ein großes, düsteres Zimmer. Er setzte den Hund auf den schweren Eichentisch in der Mitte desselben, der Diener brachte auf sein Geheiß Wasser uno Verbandzeug herbei. Das Kind hielt den Kopf des Thieres zärtlich an sich gedrückt und sprach ihm, während Doctor Rotta die Wunden sorgfältig auswusch, zärtlich zu. Die weiche, warm« Kinderstimme hallt« sonderbar wider in dem düsteren Raum. Der Hund schien die Sorgfalt, mit der er behandelt wurde, dankbar zu empfinden. Als die letzte Wunde verbunden war, kroch er auf den Pflegenden zu und leckte mit leisem Wedeln dessen Hand. „Das Thier ist dankbarer als die Menschen; wie manchem habe ich geholfen, und alle haben mich verlassen." Das Mädchen sah ihn mit den großen, klugen Kinderaugen flehend an. „Gelt, das ist ein Ueb's Thierl«, ein brav's. O, wenn —" Si« stockte, nur die Augen flehten heiß, besser als Worte vermocht hätten. „Kind, was verlangst Du, s«it fünfundzwanzig Jahren habe ich kein lebendes Wesen um mich geduldet, außer Anton. Geh, laß mich allein", rief er rauh. Das Mädchen sah mit «inem unendlich traurigen Blick zu dem finsteren Einsiedler auf, daun wollte eS den Hund auf den Arm nehmen. Dieser aber, als habe er verstanden, um was es sich handle, richtete sich plötzlich auf den Hinterfüßen empor und hob die Vorderpfoten bittend zu dem Herrn auf. Der Kleinen stürzten die bellen Thränen aus den Augen. „Schauen Sie nur, "wie lieb er ist", schluchzte sie. Die Hand Herrn Rotta's zitterte l«ise, als sie jetzt über das borstige Hundrfell strich. „Armer Kerl, Dir haben sie auch schlimm mitgespielt da draußen. Laß den Hund da", sagte er dann kurz zu dem Kinde. „Anton kann sür ihn sorgen." Das Mädchen bli«b mit gefalteten Händen vor dem düster«» Manne stehen. Ihre braungoldenen Augen kuchteten sonnenhell. „Jetzt weiß ich doch, daß Sie gut find. Ich dank' viel tausig Mal." Dann schloß sich die Thür hinter dem Diener und dem Kinde, das Geplauder, die leichten Schritte der Kleinen erschollen ferner und ferner. Noch nie war dem Einsamen die Todten- stille so drückend erschienen, wie jetzt. * * * Das Mädchen warf noch einen dankbaren Blick auf das eben verlassene Haus zurück. Ein seltsames Haus war es, mit «inem ungeheuren braunen Dach und zwei mächtigen dunklen Ulmen vor der Thür. Es lag nicht direct an der Straße, sondern wurde durch einen breiten Vorgarten von derselben getrennt. Ein großer Park, meist aus düsterem Nadelholz bestehend, schloß sich an der Rückseite des Gebäudes an. Es war ein alter Herren sitz und stand mindestens schon zweihundert Jahre. Die Wiesen und Felder, die einst dazu gehört hatten, waren verschwunden; der Onkel Rotta's hotte sie als Bauplätze verkauft. Statt dessen wuchsen häßliche Miethscasernen empor, deren obere Fenster wie neugierig« Aug«n das Dickicht der alten Waldbäume zu durch dringen suchten. Aber selbst aus den obersten Dachluken konnte man nur hier und da ein Streifchen Weg, ein kleines Stück Rasen aus dem Dunkel der Bäume aufschimmern sehen. Einsam und düster lag das Haus inmitten des lärmenden Treibens der Großstadt. Nie schallte ein fröhliches Menschenwort durch die weiten Ge mächer, die Laubgänge des Parkes. Ein Fluch schien auf dem Hause zu liegen. Meist waren die Besitzer einsame, miß trauische Menschen gewesen, di« Niemand liebten und von Niemand geliebt wurden. Und die jetzige Generation wandte dem dunkeln Haus doppelt ängstlich den Rücken, denn vor 25 Jahren war hier ein Mord geschehen. Der vorige Besitzer, der Onkel des jetzigen, war geradezu verhaßt gewesen. Man flüsterte sich zu, er leihe Geld auf Wucherzinsen aus, dabei war er von einem schmutzigen Geize und sehr mißtrauisch. Im Hause und im Park schlich er auf Filzsohlen umher und tauchte plötzlich wie ein Geist zwischen den erschrockenen Leuten auf, aus steter Angst, von diesen be stohlen zu werden. Die Abergläubischen unter ihnen flüsterten, er müsse sich unsichtbar machen können oder wenigstens stunden lang im Park versteckt auf der Lauer liegen, denn man habe ihn nicht aus der Hausthür treten sehen. Paul Rotta, sein Neffe, war der einzige Mensch, für welchen er einiges Gefühl zeigte, aber allerdings in einer sehr tyran nischen Art. Er bestimmte seinen Neffen zum Kaufmann, und als dieser ihn flehentlich bat, ihn Arzt werden zu lassen, drohte er mit Enterbung. Paul trat nun in ein kaufmännisches Ge schäft in Leipzig ein, widmete aber all' seine freie Zeit dem medicinischen Studium. Mt 27 Jahren konnte er endlich sein Staatsexamen machen und eilte nun zu seinem Oheim, um dessen Verzeihung für den heimlichen Schritt zu erwirken. Der Alte wüthete aufs Heftigste und Paul würde wohl auf die Erbschaft verzichtet haben und auf und davongegangen sein, wenn er nicht in heißer Liebe für ein sehr schönes, adeliges Mädchen entflammt gewesen wäre, deren Vater nur in dem Falle seine Einwilligung zu der Verlobung zugesagt hatte, daß Paul der Erbe des reichen Rotta würde. Der junge Mann ver suchte deshalb Alles, um den Onkel milder zu stimmen. Der alte Herr zeigte sich sehr wechselnd in der Stimmung, oft schlug diese innerhalb weniger Minuten um. Eines Abends, als dec Onkel ganz besonders heftig wurde, erklärte Paul, nun auch bis zum Aeußersten gereizt, daß er am nächsten Tage abreisen werde. Am folgenden Morgen wurde er durch den langjährigen Diener des alten Herrn geweckt. Dieser erzählte ängstlich, er habe wiederholt an der Thür des gnädigen Herrn, der sonst jeden Morgen um sechs Uhr aufstehe, gepocht, bekomme aber keine Antwort. Paul klopfte und rüttelte nun an der Thür und sprengte endlich mit Hilfe des zweiten Dieners, Anton, das Schloß. Sie fanden den alten Herrn mit zertrümmertem Schädel im Bett liegen. Paul sandte sofort nach der Polizei. Der Ge richtsarzt stellte fest, daß Herr Rotta schlafend durch den Schlag eines Hammers oder einer Axt gegen die Schläfe getödtet worden sei. Im Zimmer war keine Spur eines Kampfes, noch eine Unordnung. Im daranstoßenden Wohnzimmer hingegen war der Schreibtisch aufgebracht» und alles baare Geld, eine sehr be deutende Summe, verschwunden. Dagegen hatte es der Mörder sorgfältig vermieden, Werthpapiere an sich zu nehmen, die auf seine Spur führen konnten. Starke eiserne Läden lagen vor den Fenstern, die Haus« thüren, nach der Straße und nach dem Garten gehend, wurden jeden Abend mit festen Sicherheitsketten geschlossen. Vor dem Schlafengehen hatte Anton, damals ein jüngerer Mann, mit dem alten Herrn, wie allabendlich, sämmtliche Räume des HauseS abgeleuchtet und nichts Verdächtiges wahrgenommen. Die Thür des Schlafzimmers war von innen geschlossen, der Schlüssel steckte, dagegen fehlte der Schlüssel der Thür, die vom Wohnzimmer in den Flur führte. Im ganzen Hau» war kein Fenster geöffnet worden, und die Sicherheitskettcn lagen am Morgen noch fest vor den Hausthüren. Paul und die beiden Diener sagten aus, daß sie nicht das geringste ver dächtige Geräusch gehört hätten. Allerdings schliefen der junge Rotta und Anton im obern Stockwerk der alte Diener aber unten in einem Zimmer nach der Straße.. Einer der Polizisten brachte d«n vermißten Wohnzimmer»
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