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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010911021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901091102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901091102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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M. in die Gruft gesenkt werden, schwanke, von der Parteien Gunst und Haß entstellt. Gunst ist vr. Johannes P. Miquel in dieser Zeit wenig zu Tbeil geworden, auch von den „Agrariern" nicht, denen ihn freilich auch nur die mit sonderlicher Dummheit gepaarte Leiden schaftlichkeit, die unsere wirthschaflspolitischen Kämpfe kenn- zeichuet, als Partisan zurechnen konnte. Den Todten haben feine Gegner in der Presse zunächst verhältniß- mäßig anständig behandelt, vereinzelt wobl aus innerem Drang, zumeist aber in der Erkenntniß, daß die eigenen Leser, so gutgläubig sie sonst sind, Leute, die einer über alle Staatsmänner des Welttbeils hinauS- ragenden geschichtlichen Persönlichkeit auch am Grabe die Bedeutung abtestiren, unliebsam niedrig einschätzen würden. Nur der „Vorwärts" glaubt diese Rücksicht auf seine Reputa tion nicht nehmen zu müssen, er macht Miquel ziemlich klein, räumt aber, um Lebenden etwas anhängen zu können, am Schluffe ein, „daß das preußische Ministerium durch seinen Sturz nicht nur sein stärkstes, sondern auch sein beste» Talent verloren hat." Die Verkleinerung ist auch dem „Vorwärts" nicht leicht geworden und er weiß nicht viel Andere» zur Verzerrung des Bildes des Verstorbenen zu thun, al» daß er den bis zur Widerwärtigkeit bäufig vorgerückten Brief Miquel's an den Communisten Karl Marx in den Mittelpunkt seines Nachrufs schiebt. Die Ge schichte ist 1850 passirt und Miquel war damals noch nicht 22 Jahre alt. Zum letzten Male fand er sich mit dieser Episode auS seinem Leben im Reichstage mit den Worten ab: „Ich muß damals ein sehr grüner Junge gewesen sein". Miquel, der übrigens bis an seinLebensende eine ausgesprochen socialistische Natur gewesen, hat sich im Meere des nationalen Gedankens von den Jrrthümern seiner Jugend rein gebadet. Zudem, wie viele denkende Socialdemokraten stehen denn beute noch auf dem Boden der Lehre Marx'? Kaum ein einziger! Und weiter: Ist die Entwickelung von einem jugendlichen kosmopolitischen Schwärmer zum tbatenreichen Patrioten nickt eine edlere Fortbildung als der Uebergang eines pekuniär mehr als saturirten und deshalb in reiferem Alter ehr geizig gewordenen Mäntelfabrikanten zur Socialdemo kratie, zur Socialdemokratie aber erst dann, als ein nach Ueberzeugung und Lebensauffassung näher stehender politischer Kreis nicht die gewünschte Befriedigung des persön lichen Geltungsbedürfnisses zu versprechen schien? Socialdemo kratische Führer haben übrigens gestern aufgeatbmet, so etwa, wie mancher Winkelpolitiker und mancher intrigante Scherge aufgeathmet haben mag, als versichert wurde, weitere Bände von BiSmarck'S „Gedanken und Erinnerungen" existirten nickt oder würden wenigstens nicht erscheinen. Miquel bat daS geplante Buch über den SocialismuS nicht geschrieben. Die Freihändler sind etwas weniger gut daran. Wir theilen an anderer Stelle mit, waS Miquel wenige Wochen vor seinem Tode über Schutz-und Handelsvertragspolitik einem Mitarbeiter deS „Berl. Loc.-Anz." gegenüber geäußert hat. Der kurz vorher entlassene Staatsmann bat sich bier- nach große Zurückhaltung auferlegt und daS Materielle der Tagesfragen nur an einigen Punkten leise gestreift. Wenn er seiner Vermuthung Ausdruck gab, „daß zollpolitiscke Verhandlungen mit dem Auslande gerade jetzt im Gauge sind", so hat er es wohl in der Annahme gethan, daß die Tbatsache allen besser Unterrichteten bekannt sei. Und dies trifft auch zu. Sehr fein bat der scharf Beobachtende die Bedeutungslosigkeit der frechändlerischen Agitation mit der Bemerkung gekennzeichnet, wenn er, der namhafte Staatsmann» diese Wühlerei eingehender charakterisier» würde, dies den Anschein erwecken könnte, als ob die Agitatoren einen Einfluß hätten, den sie thatsäcklick nicht besitze». Diese Geringschätzung, die gewissermaßen auS dem Grabe herauStönt, ist so Wohl verdient, wie der scharfe Tadel der AuSländerei in der freihändlcrischen Agitation. Miquel ist nicht im Zweifel, daß, wenn Deutschland weniger erreicht, als eS von seiner guten Position au» er reichen könnte, das an der Haltung liegen wird, welche die freihändlerische Presse gegenwärtig einzunebmen für gut be findet. — „Betonen Sie bas doch, bitte, bei jeder Gelegenheit." Die Beantwortung der Frage, ob die Industrie sich im Falle des Nichtzustandekommens von Handelsverträgen auf einen autonomen Tarif einrickten könnte, lehnte der daS ge schäftliche Weltgetriebe übersehende Staatsmann ab durch die Gegenfrage: „Aber warum sollen denn keine Handels verträge zu Stande kommen?" Die Erfüllung der Zu sicherung, „wenn der rechte Augenblick gekommen", mehr und Deutlicheres zu sagen, hat der Tod leider unmöglich gemacht. Aber daS Wenige, was Miquel über diese Angelegenheit kund gab, reicht bin, den Zorn seiner Gegner, noch ehe die Gruft sich geschlossen, aufs Neue zu entfachen. Und das ist für einen Mann fruchtbringender That, dessen Gegner nur un fähige Schwätzer waren, ein schöner Abgang von der Lebensbühne. , Nach der von dem „Vorwärts" veröffentlichten Liste liegen dem diesjährigen soeialdemvkrntffche» vnrlrilngr nicht weniger als 79 Anträge und 11 Resolutionen vor. Von diesen Anträgen sind 3 Kategorien von einem über die social demokratische Parteizugehörigkeit hinausgehenden Interesse, nämlich diejenigen, die sich mit der Parteiorganisation, mit der Aufstellung von Reichstagscandidaten und mit der Thätiakeit der socialdemokratischen Partei in der nächsten Rcichstagsfession beschäftigen. Es ist in hohem Maße charakteristisch für die Partei, daß von de» zu» Frage der Orgo-'s.-»:'", qe? "sten Anträgen nicht weniger als 10, also über die Hälfte, sich damit befassen, wie am elegantesten „Genossen" auS der Partei herausgeworfen werden können. Die Partei zeigt sich also auch hierin als die wahre Partei der Negation und Zersetzung, denn man wird zugeben muffen, daß die Ausstoßung von Parteigenossen doch immer nur die Kehrseite der Organisation einer Partei bildet. Von besonderem Interesse ist der Antrag von Parteigenossen des 3. Hamburger Wahlkreises weil er am unverhülltesten die Absicht ausspricht, Männer L la Bern st ein kurzerhand aus der Partei zu ent fernen. Danach sollen aus det Partei ausgeschlossen werden: Diejenigen, die vorsätzlich die Einheit der poli tischen oder wirthschaftlichen Arbeiter bewegung Hintertreiben. Erlangt dieser Satz „ge setzgeberische" Kraft — wir gebrauchen das Wort „gesetzgebe risch" durchaus nicht im ironischen Sinne, denn die Social demokratie hat es ja verstanden, einen Staat im Staate zu schaffen —, so wird damit eine vorzügliche Handhabe geschaffen, jeden, der irgendwie gegen die socialistische Parteidoctrin ver stößt, zu eliminiren. Dieselbe Socialdemokratie, die sich nicht genug über die Kautschukbestimmmungen von Ge setzen des bestehenden Staats ereifern kann, hat hier geradezu das Muster einer Kautschukbestimmung auf gestellt. Denn ein Tribunal, das darüber bestimmen soll, ob ein Parteigenosse die Einheit der politischen oder wirthschaftlichen Arbeiterbewegung hinter treibe, kann vollständig nach Willkür verfahren. Besonders wird dies der Fall sein, wenn das Tribunal so zusammengesetzt ist, wie die Parteigenossen des 1. Wahlkreises es beantragen: daß nämlich von den fünf Richtern je zwei von dem den Aus schluß eines „Genossen" Beantragenden und von dem „Delinquenten" zu benennen sind, während der Vorsitzende vom Parteivor stände zu bezeichnen ist. Damit sind alle „Ketzer" von vornherein der Gnade oder Ungnade des Parteivorstandes ausgeliefert, denn in 99 von 100 Fällen werden die vier Beisitzer bei dieser Art der Zusammensetzung einander paralysiren. — Bezüglich der Reichst aascandida- turen ist ein Antrag von Interesse, die Candidaten so viel wie möglich aus A r b e i t e r k r e i s e n zu entnehmen. Dieser Antrag richtet seine Spitze klar und deutlich gegen Candidaturen L I» Göhre. Man will nicht „wissenschaftlich gebildete Streber", sondern „Männer der schwieligen Faust" im Reichstage haben, und da nun einmal die Männer der schwieligen Faust das Gros der Wählerschaft der Socialdemokratie stellen, so wird die Partei, sobald erst die Hetze gegen die „Akademiker" planmäßig organisirr ist, auf diese Wünsche Rücksicht nehmen müssen. — Bei den Anträgen hin sichtlich der nächstjährigen parlamentarischen Thätigkeit der Partei spielt natürlich die Gu In dianer Angelegenheit eine gewichtige Rolle. Nicht weniger als zwei Anträge und eine Resolution fordern die Partei auf, in der nächsten Reichstagssession zur Militär justiz im Allgemeinen und zum Gumbinner Falle im Speciellen Stellung zu nehmen und Anträge auf Abänderung der Militärstrafgerichtsordnung — die Resolution spricht sogar von Beseitigung der Militärjustiz — zu stellen. Nun, wenn alle andern zum Parteitage gestellten Anträge durch fallen, diese haben die beste Aussicht auf Annahme, denn die socialdemokratische Reichstagsfraction wird es sich natürlich nicht nehmen lassen, in der nächsten Session den Gumbinner Fall kunstgerecht auszuschlachten. Der Parteitag dürfte eine Probe von dem, was zu erwarten ist, geben, freilich nur eine ab geschwächte Probe, da für socialdemokratische Parteitage noch nicht die strafrechtliche Indemnität gilt, deren die Ageordneten im Reichstage sich erfreuen. Die Kroate» setzen den Kampf für da» Institut San H v V-" n y m i ei^-ig ssri Dic südslawischen Bischöfe haben Daistdepeschen für di« Ueberlaffung des Instituts nach Rom gesandt. Auch soll in Agram eine große Geistlichenvcrsamm« lung der südslawischen Diöcesen unter Führung des Agramer Erzbischofs Posilowitsch stattfinden. Die Erregung in Dal matien wächst, in Rom dagegen scheint der Streit bald, proviso risch vorläufig, geschlichtet zu sein, und zwar nicht zu Gunsten der Kroaten. Selbst auf vatikanischer Seite ist man geneigt, zuzugeben, daß der Papst sein Breve auf Grund nicht ganz glücklicher Informationen abgefaht habe. Dieses Breve ist nicht so sehr das persönliche Werk des Papstes, auch nicht d«S Car dinal-Staatssekretärs, der sich mit der Sache nicht eingehender befaßt hat, wie vielmehr aus der Cooperation des Cardinals Serafino Vannutelli mit den Bischöfen Stroßmayer von Diakovar und Stadler von Sarajewo hervorgegangen. Indem die genannten beiden Bischöfe den Protector des Institutes, den Cardinal Vannutelli, inspirirten, das illyrische Collegium zu kroatisiren, verleiteten sie aber den Vatikan zu einem diesem selbst nun doppelt peinlichen Schritte: Zunächst dazu, daß die Transformirung der Jahrhunderte alten Stiftung über den Kopf des dalmatinischen Klerus hinweg, darunter des Erz bischofs von Zara, vor sich ging, dann zu dem Fehler, daß der Papst sich zum Vollstrecker einer Handlung machte die der öster reichisch-ungarischen Regierung nichts weniger als genehm ist. Bei dem Conflict zwischen Kroaten und Dalmatinern handelt es sich übrigens auch um eine Auslegung sprachlicher Natur. Das Institut heißt „bei Schiavoni". Die Bischöfe von Dia kovar und Sarajewo identificiren das Wort „Schiavoni" einfach mit dem Begriffe „Slawen". Die Dalmatiner dagegen bekiffest sich auf die Epoche der Republik Venedig, aus welcher der Be griff Schiavoni herrührt und in der er die Bewohner des illyrischen Gebietes umfaßte. Kommt auch das Garantiegesetz keineswegs in Frage, so glaubt doch di« italienische Regierung, es nicht zugeben zu dürfen, daß das Gesetz über die frommen Stiftungen, da» vor etwa einem Decennium von den Kammern bewilligt und erst jüngst wieder durch nme Bestimmungen er gänzt ward, vom Vatikan ignorirt oder gar verletzt werde. In dem Gesetze über die frommen Stiftungen, dem auch die in Rom befindlichen ausländischen kirchlichen und nichtstrchlichen Institut? unterstehen, lautet eine Bestimmung, es dürfe nie der im Stiftsbriefe klar ausgesprochene Wille des Stifters betreffs seiner Hinterlassenschaft irgendwie durch eine Abänderung ver letzt oder auch nur modificirt werden. Demgemäß hätte der Papst nach italienischem Gesetz kein Recht gehabt, an der seit Jahrhunderten bestehenden Stiftung von San Cirolamo irgend wie zu rühren. - > - - r ZUM Attentat auf Mac Linley. Folgende Depeschen liegen vor: * Buffalo, 10. September. Das Fruhbulletin er» regte Jubel, insbesondere in der Ausstellung, wo sein An schlag mit Jubel begrüßt wurde. Der wegen Mitschuld an dem Attentate verhaftete Stutz wurde wieder freigelassen. * Buffalo, 10. September. Nach dem ärztlichen Berichte von heute Nachmittag 3 Uhr 20 Min. ist in dem Befinden des Präsidenten Mac Kinley seit dem günstig lautenden Bulletin von heute Vormittag keine Verände rung eingetreten. Puls 100, Temperatur 100, Athmung 28. * Chicago, 10. September. Bei ihrer Ueberführung zur Polizei der Präsidentschaft zeigte Emma Goldmann ein freches Wesen, sie bestritt jedoch ihre Bekanntschaft mit dem Verbrechen Czolgosz', und gab nur zu, diesen am 12. Juli gesehen zu haben. * Chicago, 10. September. Die verhaftete Emma Goldmann leugnete zuerst, die Gesuchte zu sein. Al» sie von der Polizei vernommen wurde, erklärte sie, daß sie CzolgoSz nur einmal gesehen habe, als er sich im Hause der Familie Isaaks in Chicago aufhielt, wo Emma Goldmann damals einen Besuch machte. Er habe damals gewünscht, sie zu sprechen, sie fei aber gerade fortgegangen, um sich zur Eisen bahn zu begeben; er habe sie dann nach dem Bahnhöfe begleitet und nur einige Worte mit ihr ausgetauscht. Sie leugnete, daß sie irgend etwas gesagt habe, wa» darauf berechnet gewesen sei, Czolgosz zu dem von ihm begangenen Verbrechen zu ver leiten. Isaaks ist angeblich Herausgeber anarchistischer Schriften; er befindet sich bereits in Haft. Morris, in dessen Hause Emma Goldmann angetroffen wurde, ist ebenfalls verhaftet worden. Emma Goldmann wird ange klagt, mit Isaaks und anderen bereits Verhafteten sich verschworen zu haben, Mac Kinley zu er morden. * New Aork, 10. September. Der Polizeichef gab der Polizei Befehl, eine Liste von allen Anarchisten herzustellen und sie sämmtlich zu überwachen. * vuffalo, 10. September. Der Kaiser von Ruß land hat an den Präsidenten Mac Kinley folgendes Telegramm gesandt: „Ich bin sehr glücklich, zu hören, daß Sie sich besser fühlen, nach dem schändlichen Mordanschlage, der gegen Sie verübt worden ist. Ich schließe Mick dem Wunsche des gesammten amerikanischen Volkes an, daß Sie schnell genesen mögen." — Der König von Griechen land telegraphirte: „Ich freue Mich, zu hören, daß Sie dem schrecklichen Mordanschlage auf Ihr kostbares Leben, der die FeiriHetsir. Arbeit. Von Eva Treu. Nachdruck verbctm. Gert's erster Brief kam aus Paris. Mit Herzklopfen öffnete sie ihn. Bis jetzt hatte sie nur einen einzigen von ihm erhalten, damals, vor anderthalb Jahren, und eine unsichere Ahnung sagte ihr, der, den sie nun empfangen hatte, müsse etwas ganz Besonderes bringen. Aber es war nicht so. Was sie las, war kein Liebesbrief. Ein interessantes Schriftstück freilich war es, voll von Schilde rungen neuer Eindrücke, die Gert offenbar ganz erfüllten, aber die acht eng beschriebenen Seiten enthielten nichts, was an jene eine Minute auf der dunklen Treppe gemahnt hätte, kein zärt liches Wort, kein unwillkürliches „Du", auch keinen Hinweis irgend welcher Art auf eine gemeinsame Zukunft. Freundliche Worte standen genug auf ihnen, aber die Anrede lautete „Liebes Fräulein Elisabeth", und fast gewann man den Eindruck, als sei der Schreiber auf seiner Hut gewesen, nicht in einen zu warmen Ton zu fallen. „Es ist beinah«, als wollte er mich durch die vielen lustigen Dinge, die er erzählt, vergessen machen, was er that", dachte Life enttäuscht und legte den Brief still auf den Tisch, als sie ihn ge lesen batte. Sir batte keinen rechten Begriff davon, wie ein Liebesbrief beschaffen sein müsse, aber daß die» keiner war, da» empfand sie wohl. Zuerst meinte sie niedergeschlagen, sie möchte ihn nie wieder lesen, aber eine halb- Stunde später that sie e» dennoch. ES war doch seine lieb« Hand, die ihn geschrieben hatte. Und wunderlich ging e» ihr: jetzt, da sie ihn bedächtiger und ganz ohne hoch gespannte Erwartungen la», kam e» ihr auf einmal vor, al» sei er doch sehr gut und herzlich, ja, al» enthielte er zwischen den Zeilen eine ganze Meng« von Dingen, di« sie vorher nur nicht bemerkt hatte. Wenigsten» — diese» konnte man doch so und jene» so ver stehen. Al» sie den Brief zum dritten Male gelesen hatte, lächelte ne still in sich hinein. Tie verstand jetzt Alle»: Daß Gert sich nicht deutlicher aulaesprochen hatte, da» hatte ganz einfach seinen Grund in der Unsicherheit seiner Verhältnisse und seiner Zukunft. Freilich, »in paar Mal ging r» ihr mit den neu an kommenden Briefen noch ähnlich. Immer mutheten dieselben sie anfangs fast gezwungen an, und st« mußt« sich erst in ihnen durch mehrmaliges Lesen zurechtfinden, aber nach und nach wich der etwas fremde Klang, und Gert schrieb, wie er zu sprechen ge wohnt war. Fast meinte sie, den Ton seiner lieben Stimme zu hören, wenn sie las. Freilich, von Liebe stand noch immer in einen Briefen nichts, aber sie grämte sich nicht mehr darüber; es var besser so. Von Liebe sollte er ihr erst sprechen, wenn er einst ömmen konnte, um sie zu werben. Eine stille Gewißheit, daß er es thun würde, hatte in ihr Wurzel gefaßt, die war ihr genug. Was sie selbst betraf, so antwortete sie ihm in jener etwas schwerfälligen, schulmädchenhaften und zurückhaltenden Art, die für Life Ohle charakteristisch war. Sie wurde nicht gewußt haben, wie sie es anders machen sollte. Mehr aus feinem, mädchenhaften Instinkt als aus Ueberlegung hütete sie sich vor jedem zu warmen Ausdruck, einfach und schlicht Thatsachen berichtend und Fragen beantwortend. Es waren fast kindliche Briefe, lange nicht ge wandt genug für ein Mädchen ihres Alters, und doch lag ein ganz eigener, feiner Reiz über ihnen, ein keuscher, herber Zauber, von dem sie selbst nichts wußte, und den wohl auch nicht Jeder em pfunden haben würde. Dann endlich, kurz vor den Sommerfcrien, kam ein Brief aus Paris, der Lise'S Herz sehr schnell klopfen machte und auf den sie ihre rothen Lippen fest und innig preßte, als sie ihn gelesen hatte. Als die Sommerferien herannahten, wurde ihr die große Ueberraschung zu Theil, daß die Stiefmutter sie aufforderte, in die Heimath zu kommen und dort ihre Ferien zu verleben. ES war ein warmer Sommer, und Hitze und Staub waren in Berlin fast unerträglich, so daß Life schon daran gedacht hatte, auf einige Wochen in eine beliebige Sommerfrische zu gehen; nun er wachte ihr auf einmal eine heiße Sehnsucht nach Heimath und Vaterhaus. War doch da» letztere sogar zur Hälfte ihr persön liche» Eigenthum, welche» Frau Susanne nur verwaltete, da durfte sie wohl, da sie bisher nie irgend einen Gewinn au» dem Gewese gezogen hatte, für einige Wochen Platz und Unterhalt für sich darin in Anspruch nehmen. Auch konnte e« ihr bei ihren beschränkten Mitteln nicht einerlei lein, ob sie di« Kosten für einen Sommeraufenthalt sparte. Ja, Frau Susanne selbst schien sonderbarer Weise lebhaft ihren Besuch zu wünschen, ihr Brief war geradezu freundlich gewesen. So macht» sich denn List auf die Reis«. Mit Verwunderung sah sie bei ihrer Ankunft, daß die Stief mutter selbst am Bahnhof, war, um sie in Empfang ,u nehmen. Mit ihrem hochrothen Sonnenschirme winkte Frau Susanne schon von fern, al» sei Life ein lieber Gast, und e» sah fast au», al» wollt« sie ihr um den Lal» fallen, al» di« Tocht«r au»siieg. Da» that sie denn freilich doch nicht; dazu sahen die klaren grauen Augen sie allzu verwundert an, aber offenbar war sie in bester Laune und ganz bereit, sich liebenswürdig zu machen. Unwillkürlich musterten sich die beiden Frauen kurz, als sie sich jetzt nach fast zwei Jahren zum ersten Male wieder gegen überstanden. Das Mädchen, das mit seiner schlanken Gestalt die Stiefmutter um ein Beträchtliches überragte, war entschieden verblüffend hübsch geworden in diesen beiden Jahren, und der großstädtische Schliff, den Life erhalten hatte, flößte Frau Su sanne förmlich eine Art von Respekt ein. Die Frau» die jetzt in ihrem vierunddreißigsten Jabre stand, legte offenbar wieder mehr Werth auf ihre äußere Erscheinung, wie zu Lebzeiten des Mannes. Sie war etwas schlanker ge worden, was ihr gut stand, und sehr jugendlich und bunt ge kleidet. Die blonden Haare waren, wie einst in Zeiten, an die Life nicht gern dachte, über der Stirn kurz verschnitten und kraüs gebrannt; man sah, sie wollte möglichst schön sein. Als die Beiden neben einander nach Hause gingen, schritt ein korpulenter Herr in mittleren Jahren an ihnen vorüber, grüßte sehr tief und lächelte. Er hatte ein nicht unangenehmes, gut- müthigeS, bartloses Gesicht, und trug eine hellcarrirte Weste und keine Handschuhe. „Na, kommen Sie nur, Herr Nolle!" rief Frau Susanne ihm zu, als er vorübergehen wollte, „ich sehe ja, wie Sie vor Ncu- gjeödr brennen, das ist di« Lis«, von der ich Ihnen gesagt habe." Der Herr zog den Hut noch einmal, lächelte wieder und ging dann, an Frau Susanne'» Seite bleibend und sich mit ihr unter haltend, wie ein sehr guter Bekannter neben den Beiden her bi» an ihre Wohnung, wo er sich mit einem sehr langen Händedruck verabschiedete. „Wer war der Herr?" fragte Life, als er fort war. Die Stiefmutter erröthete. „Ein Herr Nolle — habe ich Dir nicht von ihm geschrieben? Ein sehr netter und reeller Mann und in guten Verhältnissen. Er hat die alte Brauerei gekauft und Alle» wunderschön zurecktaebaut. DaS Hau» fleht Dir jetzt au» — Du wirst e» nicht wieder erkennen." „So?" sagte Life gleichgiltig. Der neue Brauer interessirte sie nur mäßig. Am nächsten Vormittage ging sie auf den Kirchhof, wo fl« dic Gräber der Eltern weniger verwildert fand, al» sie gefürchtet hatte. Dann begab sie sich zu vr. Luka», dem sie für manche er wiesene Freundlichkeit danken wollte. Der alte Arzt ging in Begleitung «ine» jüngeren Herrn im Garten spazieren, besah seine Rosen und trat Raupen todt, kam ihr aber freundlich bi» cm dir Pforte entgegen, offenbar erfreut, st, wiederzusehen. Fast hätte er darüber dergessen, den jungen Herrn vorzustellen, holte dann aber das Versäumte mit ver doppelter Feierlichkeit nach: „Mein Neffe Gildemann, seines Zeichens augenblicklich Sommerfrischler hier, sonst neugebackener Pastor — Fräulein Ohle, meine ganz specielle Gönnerin und Freundin, Fritz, und eine große Künstlerin in allen möglichen —" „O bitte!" rief Life lachend. Der alte Herr sah sie verwundert an. „Kind, Sie können lachen?" sagte er. „Das ist neu an Ihnen." „Konnte Fräulein Ohle das früher nicht?" fragt« der junge Pastor, der eine Neckerei vermuthet«, interessirt. Er hatte ein sympathisches Gesicht mit klugen, ernsten Augen und «ine hübsche, warme Stimme. Ueber Lise'S Gesicht ging schnell ein Schatten bei der Er innerung. Der alte Arzt sah es. „Damit hat es eine be sondere Bewandtniß, Fritz. Diese Dinge sind für Dich noch zu wunderlich und zu hoch", belehrte er. „WaS wünschen Sie, Anna?" unterbrach er sich, zu der Magd gewandt, die, offen bar um eine Botschaft zu überbringen, in den Garten ge treten war. „Die Frau mit dem kleinen gelähmten Kinde ist da, Herr Doctor, und ob Sie nicht ein«n Augenblick —" „Natürlich, ja", sagte Doctor Luka». „Gehen Sie nicht fort, Fräulein Lisbeth; e» dauert nur fünf Minuten, ich komme gleich zurück, und wer weiß, ob Si« mich später treffen. Sie müssen mir noch ein« ganze Menge erzählen. Fritz, Dir vertraue ich sie an; unterhalte sie mit aller Dir zu Gebote stehenden Liebens würdigkeit, bis ich wiederkomme, sonst soll Dich der — ach so, entschuldige, der holt wohl keinen Pastor?" Damit ging er ab. ES dauerte dann freilich doch erheblich länger al» fünf Mi nuten, bi» er zurückkehrte. Die beiden Zurückbleibenden wußten offenbar zuerst nicht recht etwas mit einander anzufangen, dann aber, als e» heraus kam, daß Lis« sich seit fast zwei Jahren in Berlin aushalte, gerieth da» Gespräch in Fluß. Der junge Pastor hatte dort studirt und erinnerte sich jener noch nicht weit rurückliegenden Zeit mit dem lebhaftesten Vergnügen. Die still« Lis« wurde ganz beredt, al» e» sich «igte, daß sie dort eine Menge von gemein samen Interessen hatten. Sie kamen vom Hundertsten. in» Tausendste, und al» endlich nach einer halben Stunde der alte Herr wirklich zurückkehrte mit vielen Entschuldigungen, daß er l seine klein« Freundin io lange Lab« warten lassen, da sah er nicht ohne Erstaunen, daß n offenbar gar nicht entbehrt war« ! den war.
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