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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010907020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
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Aus den Präsidenten Mac Kinley wurde heute Nach mittag vou einem Fremden zweimal geschossen. Der Zustand des Präsidenten ist ernst. Gestern theilteu wir den Inhalt der großen Rede mit, die der Präsident der Bereinigten Staaten in Buffalo zur Eröffnung der Ausstellung gebalten bat und die eine Wendung der WirthschastSpolitik Amerikas anzeigte, und beute muffen wir unseren Lesern mittheilen, daß der rüstige Mann, der mäch tigste Mana Amerika« anscheinend mit dem Tode ringt, getroffen von der Kugel eine« Meuchelmörder«. Niemanden verschont die anarchistische Propaganda. Prä sident Carnot, Kaiserin Elisabeth, König Humbert und jetzt Präsident Mac Kinley sind in den jüngsten Jahren ihre Opfer geworden und aller Wachsamkeit der Polizei ist es nicht gelungen, die scheußlichen Meuchelmorde zu verhüten. Und auch von den Präsidenten der Bereinigten Staaten ist Mac Kinley nicht der erste, der von Mörverband fällt. Lincoln traf der Schuß de« fanatischen Booth am 14. April 1865, Garfield siel von der Kugel deS unzufrie denen StellenjägcrS Guiteau am 4. März 1881. Man sieht, auch die freieste Verfassung kann das Leben des Staatsoberhauptes nicht schützen. Unzufriedenheit ist überall zu finden und wenn sie epidemisch wird, wenn sie genährt wird durch die ausschweifende Phantasie politischer Quer köpfe, so gipfelt sie schließlich im Mord. Wie sich die Sacke zugetragen hat, wie sich Kinley be findet und was die Aerzt« denken, das verzeichnen wir nach stehend in der Reihenfolge der uns zugekommencn Depeschen. Hier nur noch einige Worte über Mac Kinley selbst, der am 28. Juni 1844 in Niles im Staate Ohio geboren wurde. Er widmete sich dem RechtSstudium. Als der Bürgerkrieg 1861 anSbrack, trat er in die Armee und brachte es bis zum Major. Nachdem der Krieg beendet war, ließ er sich 1866 in Albany als Advocat nieder. Gleichzeitig betheiligte er sich eifrig an der Politik. Von 1877—>181)0 war er ununter brochen Mitglied des Congresses in Washington. Indessen gelang eS ihm zunächst nicht, daS erste Ziel seine« Ehr geize- zu erreichen. Bei der Wahl de« Sprechers deS Re präsentantenhauses unterlag er, wurde aber dann Vor sitzender des Finanzausschusses. So kam eS, daß 1890 sein Name in weiteren Kreisen Klang bekam, als der neue Hochschntzzoll zur Berathung kam. Der Tarif rührte eigent lich nicht von ihm her, bekam aber bald den Namen deS Vorsitzenden der Commission. Man behauptet sogar, daß Mac Kinley'S Kenntnisse auf dem Gebiete der Tariffrage ziemlich oberflächlich waren. Im Jahre 1891 wurde Mac Kinley, dessen Position allmählich eine immer prononcirtere war, mit großer Mehrheit zum Gouverneur von Obio gewählt. Auch dachte man bald daran, ihn aus den ersten Posten, den die amerikanische Nation zu vergeben bat, zu befördern. Zweimal lehnte er die Candidatur ab, weil er 1888 und 1892 nicht glaubte, bereits genügend populär zu sein. Außerdem hatte er allerlei geschäftliche Verluste; seine republikanischen Freunde — denn dieser Partei gehörte er an — mußten ihm auöhelfen. Im Jahre 1896 ließ er sich zu einer Candidatur bewegen und wurde nach einem erbitterten Wahlkampfe gegen seinen Gegner Bryan am 3. November gewählt. Kurz nach seinem Amts antritt kam ein neues Hochschutzzollgesetz vor die gesetz gebenden Körperschaften. Das Hauptereigniß seiner Präsidentschaft war der Krieg gegen Spanien, in den die norbamerikanische Union durch den Aufstand der Cubaner verwickelt wurde und der zur Eroberung Cubas und Porto- ricoS, sowie zur Abtretung der Philippinen und der Carolinen- Insel Guam an Amerika führte. Bekanntlich ist die wirk liche Eroberung der Philippinen noch nicht beendet. Der Krieg führte zu einem starken Aufflammen deS amerikanischen Patriotismus, so daß man bald von einem Imperialismus in der Union zu sprechen begann. Infolge dessen trat die Union auch bald in allen amerikanischen Fragen, z. B. in der Frage des Nicaragua-Canals, sowie in tleinen Grenzstreitigkeiten (Alaska u. s. w.) mit einer größeren Schärfe auf, zeigte auch in der letzten Zeit nicht übel Lust, sich bei andern amerikanischen Streitigkeiten, wie jetzt zwischen Columbia und Venezuela, als Schiedsrichter aufzuspielen, während die Be- tbeiligung der Amerikaner an der Bekämpfung der chinesischen Wirren eine reckt schwacke war. Für Mac Kinley selbst batten die äußeren Erfolge der amerikaniscken Politik unter seiner Präsidentschaft 1896—1900 den Erfolg, daß er tm vorigen Jahre für eine neue vierjährige Amtsperiode wiedergewäblt würde. Sein Gegencandivat war auch diesmal der Bimetallist Bryan, der aber nach een Erfahrungen dieses WablkampfcS erklärte, sich gänzlich aus dem politischen Leben zurückziehen zu wollen. Die Leitung der Geschäfte gebt bei Behinderung Kinley'S auf den Vicepräsiden ten der Union Theodor Roosevelt über. Dieser, ein Mann von 45 Jahren, bat eine eckt amerika nische Vergangenheit hinter sich. In New ?)ork geboren, wanderte er nach dem „Wilden West" aus, wo er längere Zeit daS abenteuerliche Leben eines „Cowboys" führte. Er kaufte eine Ranch in Arizona. Im Reiten, Schießen und Lassowerfen sucht er seinen Meister. In den achtziger Jahren kehrte er nach dem Osten zurück und bekleidete dann mancherlei politische Aemter. Als Polizeipräsident von New Aork machte er sich ziemlich un beliebt, weil er das Gesetz gegen den Mißbrauch geistiger Gcträiike streng durckfübrte. Er selbst ist allerdings kein Temperenzler. Im Jahre 1896 wurde er Hilfs-Marine- sekretär. Am Kriege auf Cuba that er sich als Oberst der „Rauben Reiter" hervor, wurde dann Gouverneur von New Jork und im vorigen Jahre Vicepräsident der Union. Man hält ihn schon seit vorigem Jahre für den kommenden Mann. Die Telegramme über den Vorfall und Mac Kinley'S Befinden lauten: * Buffalo, 6. September. Die Schüsse, die der Fremde auf den Präsidenten Mac Kinley in der Ausstellung abgab, drangen dem Präsidenten in den Unterleib. Der Verwundete wurde in das Krankenhaus geschafft. Ter Mann, der auf den Präsidenten MacKinley während de« Empfang« im Musiktempel der Ausstellung den Ueberfall machte, war gut gekleidet. Nachdem er auf den Präsidenten zugetreten war, reichte er ihm die Hand und schoß mit der anderen. Er ist verhaftet, aber noch nicht identificirt worden. * Buffalo» 6. September. Eine Kugel ist dem Präsidenten in di« linke Brustseite, die andere in Len Unterleib gedrungen. Wie es heißt, hat Mac Kinley sein Bewußtsein wieder erlangt und ruht gegenwärtig schmerzlos. Um5,14Uhr konntedieÄugel, die in die Brusteingedrungen undaus den Knochen getroffen war,heraus» gezogen worden.— Der Mörder heißt Friedrich Nieman, wohnt in Detroit und hält sich hier seit einer Woche auf; er be> kennt sich als einen Anarchisten und ist polnischer Abkunft. — Nach dem Attentate versuchte die Menge, den Thäter zu lynchen, der Polizei gelang es aber, ihn au« der Ausstellung zu schaffen und in« Gefängniß zu bringen. * Buffalo, 6. September. Kurz vor 6 Uhr stellte ein Arzt des Präsidenten Mac Kinley fest, daß die Athmung leicht sei und der PulS gut gehe. Nm 6 Uhr wurde der Präsident chloro- formirt. Kurz vor 7 Uhr sprachen sich die Arrzte dahin aus, daß, wenn die Wunden auch ernst, sie doch nicht nothwendig tödtlich seien. Die Kugel im Unterlribe wurden nicht gesunden, doch wurde die Wunde zu genäht. Ter Präsident erholte sich dann von den Folgen der Chloroformirung. — Als den Präsidenten die Kugeln trafen, fiel er dem geheimen Polizeibeamten Georg in die Arme, den er kaltblütig fragte: „Hat man auf mich geschossen, Georg?" Dieser knöpfte die Weste Mac Kinley'S auf und antwortete, als er Blut sah: „Ich befürchte, Herr Präsident, daß die« der Fall ist". — Nieman feuerte durch ein Taschentuch, in dem er die Waffe verborgen hatte. Ein anderer Polizeibeamter, der nur zwei Schritte vom Präsidenten stand, sprang auf Nieman zu und warf ihn zu Boden. LO andere Personen stürzten ebenfalls auf den Mörder; als er mit aller Mühe sich befreit hatte, war sein Gesicht aufgerissen und mit Blut bedeckt. — Die erste Kugel traf das Brustbein Kinley'S, prallte ab und verursachte nur eine leichte Fleischwunde. Die zweite Kugel durchschlug beide Magenwände und sitzt wahrscheinlich im Magen. Gegen '/^8 Uhr wurde Mac Kinley in die Wohnung des Präsidenten der Ausstellung Milbarn gebracht. Der Zustand de- Präsidenten ist günstig. Nieman ist 28 Jahre alt und 5 Fuß 9 Zoll groß; er spricht sehr gut englisch. Alle Polizeireserven sind nach der Ceniralstation zusammengezogen worden, wo sich Nieman in Haft befindet. Das Publicum hat keinen Zutritt. (Die Meldung, daß er zuerst in das Krankenhaus tranSportirt wurde, ist wohl nicht richtig.) * Buffalo, 7. September. Die ärztliche Untersuchung bat ergeben, daß eine Kugel am Brustbein abgeprallt ist; die andere hat beide Magenwände durchschlagen und ist nicht gefunden worden. Der Zustand deS Präsidenten berech- ttgt zur Hoffnung aus Genesung. * Buffalo» 6. September, Abends 8 Uhr 15 Min. Die behan delnden Nerzte geben folgenden Bericht auS: Etwa um 4 Uhr wurde auf den Präsidenten geschossen. Ein Geschoß traf den oberen Thril des Brustbein-, prallte jedoch ab. DaS zweite Geschoß drang in den Unter leib fünf Zoll unterhalb der linken Brustwarze und 1'/, Zoll links von der Mittellinie. Der Unterleib wurde durch das Geschoß durchbohrt. Der Wundcanal ist gesunden. Das Geschoß drang in Len Magen, ihn von vorne durck- schtagend. Die Magcnwand wurde sorgsam mit Seide zugenäht. Sodann wurde die Hintere Magenwand untersucht, ebenso befunden und auf dieselbe Weise geschlossen. Der weitere Laus deS Geschosses konnte trotz sorgsamer Unter suchung nicht gefunden werden. Die Wunde im Unter leib wurde ohne Schaden geschlossen und keine Verletzung der Eingeweide oder anderer Organe des Unterleibes fest gestellt. Der Patient hat die Operation gut überstanden, lieber daS Resultat der Operation kann noch nichts Be stimmtes gesagt werden. Der augenblickliche Zustand berechtigt zu der Hoffnung, daß der Präsident wieder genesen wird. — Ein Abend« 10 Uhr 40 Minuten ouSgegebene« Bulletin besagt: Der Patient erholt sich in befriedigender Weise. Temperatur 100,4, Puls 124, Athmung 24. Der Krieg in Südafrika. Man schreibt uns aus London unter dem 6. September: „Die für die Engländer so verdrießlichen Malheure der letzten Tage und Wochen geben der Regierung?-- und Jingo-Presse immer aufs Neue willkommene Veranlassung, von den bösen Boeren als blutgierige Räuber und Banditen zu reden und dem britischen Volke zum tausendsten Male vorzu predigen, daß der Feind durch seine Handlungen längst jedes Recht verwirkt habe, überhaupt noch als rin regulärer Gegner nach Kriegsrecht behandelt zu werden. Es wird geschürt und gehetzt, damit nur ja vom 15. September an auf dem Kriegs schauplätze für di« obstinaten Boeren keine Gnade und Nachsicht mehr blühen kann, damit ja jeder, auch der letzte, durch Civili- sation und Völkerrecht auferlegte lästige Zwang abgeschüttelt und nur noch mit Feuer und Schwert und Strang gewirth- schaftet wird. Einige vernünftige Londoner Blätter erheben da gegen immer aufs Neue ihre warnenden Stimmen und weisen auf die zahllosen Gelegenheiten hin, die die Boeren sich nach wie vor durch ihre kühnen Ueberfälle, durch die Gefangennahme englischer Truppen zu den weitestgehenden Repressalien verschaffen können und werden. In welcher Weise das britische Haupt quartier überhaupt die in der Krtchener'schen Proclamation ange drohten drakonischen Maßregeln durchzufiihren gesenkt, darüber sind sich die Gelehrten unter den blutdürstigen Jingos natürlich absolut noch nicht einig; man will das großmüthig und ver trauensvoll dem „eisernen" Lord Kitchener of Khartoum über lassen, der ja bekanntlich in rücksichtslosen Vernichtungskriegen eine große Erfahrung besitzt und an Hand Chamberlain'scher Weisungen schon das Richtige treffen wird. Das hofft und glaubt man im Lager der hiesigen Kriegspartei par invtier nach lrne vor mit zäher und verbissener Zuversicht und kehrt sich in dickfelliger Ueberhebung einfach nicht daran, daß auch der ener gische General Kitchener längst an der Grenze seiner Leistungs fähigkeit angelangt ist, ebenso, wie England selbst längst nicht mehr weiß, woher es noch mehr Soldaten nehmen soll, mit denen Kitchener seinl^unsäglich mühevolle Sisyphusarbeit durchzuführen in di« Lage gebracht werden müßte. In den meisten englischen Blättern ist überhaupt nur noch von „gemeinster Brigandage, elendesten Räubereien und Mordthaten und schmachvollstem Bandrtenthum auf Seiten der Boeren" die Rede, und jede, auch noch so correcte Waffenthat der tapferen Feinde wird von vornherein als gegen jedes Kriegsrecht ver stoßend bezeichnet. Man verlangt die schärfsten „Strafen" und sonstigen Maßregeln gegen die Burghers, welche englische Trans portzüge zum Entgleisen bringen und britische Officiere und Soldaten in ehrlichem Kampfe tödten und verwunden, und die Regierung wird immer aufs Neu« bedrängt und aufgefordert, dem englischen Obercommandirenden in Südafrika vollständig freie Hand zu lassen, damit er mit den Boeren in Zukunft nur noch u la Diebitsch umspringt, wo und wie er immer ihrer habhaft werden kann. Nur vergißt man hierbei, wie schon so häufig, daß die Nürnberger Keinen hängen, sie hätten ihn denn zuvor, und in der gemäßigten Press« wird denn auch wieder und wieder darauf hingewiesen, daß mit solchen Hetzereien nur noch mehr böses Blut gemacht und der gegenseitige Haß bis ins Unerträg liche geschürt wird. Solche wohlmeinende Zeitungsschreiber predigen aber vorläufig noch nur tauben Ohren und tragen in gewisser Hinsicht in Anbetracht der furiosen Rechthaberei und geilen Verbissenheit der echten Jingos nur noch zur Verschärfung der Gegensätze bei. We sich nach dem berühmten 15. September die Stimmung in beiden Lagern gestalten wird, wenn die Unfähigkeit der bri tischen Feldarmee, die Maßregeln ihres Oberbefehlshabers durch» zuführrn, aufs Neue zu Tage treten muß, da? läßt sich heute Lsrrilletsn. Arbeit. Von Eva Treu. rraitbruck »«rd-tnc, Studirt aber habe ich auch nicht. Nichts, aber auch gar nichts (rieb mich zum JuS oder zu irgend einem gelehrten Studium, überhaupt — nichts. Zuerst habe ich wohl noch Vorlesungen gehört, dann, als ich sah, daß ich nie ein Interesse dafür ge winnen würde, habe ich einfach mein Leben genossen wie jeder beliebige leichtsinnig« jung« Mensch. Was daraus werden sollte, darüber habe ich damals nicht viel nachgedacht, und mein Vater hak wohl in dem guten Glauben gelebt, ich sei fleißig. Ich weiß eS nicht. Einen großen Wechsel konnte er mir nicht geben, er hatte selbst nicht viel, da habe ich denn, wie Ander« auch, Schulden gemacht und nicht viel nachgerechnet, als sie anwuchsen. Verpfuscht kam mir mein Leben ohnehin vor, da wollt« ich's genießen, so lang« eS ging, und Genossen findet man bei derlei immer. Es ist jetzt ein halbes Jahr her, da starb mein Vater. Er ist au« dem Leben gegangen, in dem ruhigin Bewußtsein, mir mit manchen Opfern zu einer guten und sicheren Carriöre ver- holfen zu haben, und das s«hr kleine Erbtheil, daß er hinterließ, hatte er für meine Mutter und meine jüngeren Geschwister be stimmt. Ich hatte ohnehin weit über meinen Antheil erhalten, und mein Vater hatte wohl gar noch auf mich gerechnet, daß ich einst meinen Geschwistern vorwärts helfen sollte. Nach seiner Meinung stand ich unmittelbar vor dem Staatsexamen, und wenn er auch vielleicht nicht erwartet hat. daß ich es glänzend bestehen würde, so hat er doch auf einen Mißerfolg auch schwer lich gerechnet, — noch weniger meine Mutter, die in mir Gott weiß was sah. Der konnte ich auch bei ihrer damaligen Grmüthsverfaffung, dem» st« hatte iminen Vater sehr lieb gehabt, nicht sagen, wie e« um mich stände. Im Gegentheil setzte sie alle möglichen Hoffnungen auf mich und drängte mich, baldmöglichst mein Examen »u machen, denn Geld war für mich nicht mehr da. Ich habe es ja dann auch versucht, Fräulein Ohle, obgleich ich mir vorher ganz genau sagen konnte, wie der Erfolg sein würde. Seit meines Vaters Lode hatte ich wohl einen Anlauf genommen, zu arbeiten, ich war aber au» Allem so völlig heraus, hatt» selbst von dem, was ich früher gewußt halt» — viel war's nie gewesen —, so Manches vergessen, daß es beinahe lächerlich war, überhaupt erst anzufangen. Na, — der Erfolg war dann auch danach. So stand ich nun da: gelernt hatte ich nichts, mein Geld war hin, und Aussicht, jemals aufs Neue welches zu bekommen, nicht vorhanden. Kein Erbonkel, keine reiche Tante — nichts! Für irgend einen praktischen Beruf war ich durch meinen bisherigen Bildungsgang verdorben, um noch ein Handwerk zu lernen, war ich zu alt. Ja, Steinklopfer oder Packträger hätte ich ja schließ lich werden können, aber — na, ich war doch meines Vaters Sohn, Fräulein Ohle. Das Einzige, wonach mein Sinn ge standen hatte m«in Leben lang» das war für mich immer nur Dilettantenwerk geblieben, weil die Anleitung gefehlt hatte, — das Einzige, wozu ich Neigung und Talent hatte — das Ein zige!" Er schwieg und sah zur Seite. „Und auswandern konnten Sie nicht?" sagt« Life schüchtern. Sie hatte so oft gehört, daß Leute, die ihren Beruf verfehlt hatten, einfach über das Meer geschickt wurden. Er lachte kurz auf: „Ach ja. — auswandern! Das soll immer das letzte Mittel sein. Wer nichts Ordentliches und Praktisches gelernt hat, der wird in irgend einem anderen Welt- thrile ebensowenig etwas, wie daheim. Denn es giebt jetzt überall tüchtige Arbeitskräfte in Hüll« und Füll«, viel mehr, als gebraucht werden, und wer nichts leistet, ist überall zu viel. Der einzige Unterschied ist: dort drüben verschwindet man spurlos in der großen Masse, hier sehen die Augen von Kundert Bekannten auf «inen, während man zu Grunde geht. Aber auswandern ohne Capital — und ich hatte doch keines! — nichts hatte ich, als Schulden! — auSwandern ohne Capital und ohn« passende Kenntnisse, das ist gerade so gut, wie sich in «in Luftschiff setzen, das man nicht lenken kann." Er schwieg wieder. „Eine Zeitlang hatte ich den kühnen Plan, mich nun doch noch auf die Musik zu legen", fuhr er dann fort, „aber das war natürlich Wahnsinn. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, habe nie wirklich guten Unterricht gehabt und müßt« allermindestens zwei Jahre lernen, um eS zu etwa» zu bringen. Ich hab« Talent, e« ist keine Anmaßung, es zu sagen; ich weiß, daß ich e» habe. Aber zum Studium gehört mehr. Da braucht man Zeit, Talent, Fleiß und Geld. Fleiß — ja, für den Zweck würde ich ihn schon haben, aber Geld findet man nicht auf der Straße, und von Denen, die mein bisheriges Leben mit an- gesehen haben, borgt mir auch Keiner etwas — mein Gott, ich verdenke e» ihnen ja nicht! Sie sind völlig im Rechte. Ich weiß nicht» mein Fräulein, ob Sie mir nachfühlen können, in was für einer Gemllthsverfassung ich damals war. Mit vicr- undzwanzig Jahren sich als vollständig überflüssiger Mensch auf der Welt zu fühlen, ist nicht angenehm, das können Sie glauben. Meiner Mutter die ganze Sache mittheilen zu sollen, war beinahe noch das Allerschwerst« davon. Ich habe es auch nicht fertig gebracht, und sie lebt wohl augenblicklich noch in dem Wahn«, daß ich fleißig für das Examen arbeite, das schon länast verkracht hinter mir liegt. Na — und wie's denn geht, ich konnte es nicht mehr aushalten, sah auch nirgends einen anständigen Aus weg aus dem ganzen Elend und — ja, da hab« ich denn meine paar Habseligkeiten verkauft, das Geld reichte für mein Begräb- niß, denn auf Staatsunkosten wollte ich nicht beerdigt sein, bin auf gut Glück mit der Bahn irgendwo hin gefahren, zufällig hierher, und dachte so in aller Stille vom Schauplatz zu ver schwinden. Damit ist es nun nichts geworden. Zum zweiten Male mache ich den Versuch auch nicht. Die Stimmung, aus der heraus ich es damals that, ist vorübergegangen. Nicht, als wenn ich jetzt Muth und Lust zum Leben hätte, aber es ekelt mir jetzt davor, mich so davon zu schleichen. Es mag ja auch sein, daß, wenn ich mich erst noch ein wenig kräftiger fühle, mir die Sache nicht m«hr völlig so grau in grau vorkommt. Manch Einer aus gutem Hause ist ja schon Schreiber oder etwas AehnlicheS ge worden und hat sein Leben so wenigstens gefristet. Es lockt mich nicht, da müßte ich lügen, aber verpfuscht bin ich nun ein mal und muß fürlieb nehmen." Life hatte schon lange di« Arbeit sinken lassen und ihn mit ihren schwermüthigen Augen angesehen, während er sprach. Nun hielt er plötzlich inne. „Verzeihen Sie", sagte er, „da habe ich Sie nun doch richtig mit meiner ganzen unerquicklichen Geschichte behelligt. Aber Sie haben so gute Augen, und es war rckir Bedürfniß, einmal zu Je mandem davon zu sprechen, von dem ich sicher sein kann, daß er mir keine Bettelei zutraut und den ich wohl nie wiedersehe. Daß Sie mir nichts vorschießen sollen — eine junge Dame, von der ich wohl annehmen darf, daß sie selbst nur das übliche Taschen geld für Handschuhe und den Conditor besitzt, ba?werden Sie mir ia Wohl glauben. Man wird feinfühlig, wenn man bei ein paar guten Freunden vergebens angeklopft hat." Life antwortete nicht, ihr gingen sonderbare Gedanken durch den Sinn. „Würden Sie denn gar so viel brauchen?" sagte sie nach einer Weile. „Für mich viel, — wenn man gar nicht» hat, find schon einige tausend Mark eine unerschwingliche Summe, und die müßte ich haben, um an die Musik auch nur denken zu können, von meinen Schulden ganz abgesehen, die könnten wohl warten. Es kann aber nicht davon die Rede sein, Fräulein Ohle, ich will mir da mit das Herz nicht schwer machen, das ist vorbei." Während er es sagte, bückte er sich, um ihre Stickerei aufzu heben, die zur Erde geglitten war. Im Begriff, sie ihr zurückzugeben, ließ er plötzlich den Blick mit Interesse darauf haften. „Wie hübsch und ganz eigenartig", sagte er in einem ganz anderen Tone, als vorher, „darf ich mir das einmal ansehen?" Damit breitete er die Decke, an der Life gestickt hatte, auseinander, „Originell und hübsch", wiederholte er, sie ihr hinreichend. Life sah ihn ungläubig an. „Ach nein", sagte sie unsicher, halbwegs unter dem Eindruck, er mache sich über sie lustig, indem sie die Arbeit hastig zusammenrollte, „das ist ja gar kein ordent liches Muster, das habe ich mir nur selbst so zurechtgedacht." „Das haben Sie selbst entworfen?" fragte er erstaunt. „Ja, ausgezeichnete Sachen sind theuer und langweilig und hübsche Muster hier schwer zu haben. Ich mag auch am aller liebsten selbst etwas ausdenken, nur kann ich es natürlich nicht ordentlich." „Aber ich bitte sehr, die Arbeit ist wirklich hübsch und ganz eigenartig. Sie dürfen es mir schon glauben, ich verstehe ein wenig davon. Und das thun Sie oft, sagen Sie, so ganz aus freier Hand nach eigener Erfindung? Haben Sie denn das ge lernt?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, darum eben wird es ja auch nichts Rechtes. Ich möchte sehr gern ordentlich zeichnen krnen, aber das kann man hier nicht." „Da müßten Sie eine Frauengewerbeschule besuchen", meinte Reimund. „Lernt man da so etwas?" fragte Life eifrig. Er lächelte ein wenig über ihre Unwissenheit. „Aber freilich. Auf Kunstgewerbeschulen lernt man jede Art des Zeichnens, die man für den Erwerb braucht." „Kann man denn mit Zeichnen etwas erwerben?" fragte Life immer noch unsicher. Nun hätte er beinahe gelacht, obgleich ihm nichts weniger als lustig zu Muthe war. „Wenn man seine Sache ordentlich ver steht, kann man sogar sehr viel damit erwerben, Fräulein Ohle, — wissen Sie das nicht? Das Musterzeichnen z. B. bezahlt sich sehr gut, natürlich nur, wenn man Tüchtige- leistet. Aber wenn Sie das hier wirklich ganz ohne Anleitung frei erfunden haben, müssen Sie ja ein ganz erhebliches Talent dafür besitzen. Möch. ten Sie das nicht gründlich ausbildrn?" In Lise'I Augen kam ein Glanz. Zeichnen lernen, ganz ordentlich, ganz gründlich! Schöne Muster, so wie fit ihr manch mal vorschwebten» ohne daß sie diisrlbrn mit dem Stift« HSttr
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