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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010927022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901092702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901092702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
- Tag1901-09-27
- Monat1901-09
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Nr. 4!U. Freitag den 27. September 1901. Anzeigen «Preis die 6 gespaltene Petitzeile LL H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4gespalten) 7ö L>, vor den Familirnnach« richten (tt gespalten) 50 L). Tabellarischer und Ziffern!-- entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme Lb H (excl. Porto). <?rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgab«: Bormittag- 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei deu FUialen und Annahmestelleo je ein halb, Stunde früher. Anzeiaen sind stets an di« Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh S bis Abend- 7 Uhr. Druck uuh Verlag von E. Bolz «Leipzig 95. Jahrgang. Ser Krieg in Südafrika. England und die Kafferngcfabr in Südafrika. Bei Beurtheilung der Gefahren, die der Krieg in Südafrika für England mit sich bringt, ist bisher anscheinend eine Thatsache übersehen oder doch nur in schattenhaften Umriffen erkannt worden, die immer mehr wirk liche Formen annimmt. Das ist die Stellung des eingeborenen Elements. In den Ländern, die durch den Krieg in Mit leidenschaft gezogen worden sind, lebten nach den letzten Ein schätzungen des „Guide to South Africa" rund 3 Millionen Schwarze und eine halbe Million Weiße. Diese Schwarzen sind Zeugen des Berzweiflungskampfes gewesen, den eine kleine Schaar Weißer in ihrer angestammten Liebe zu Heimath und Herd, abgeschnitten von allein Zuzug und von der Außenwelt, ausschließlich auf die eigenen Hilfsquellen, ihren Muth und ihre Todesverachtung, wie auf eine genaue Kenntniß des Landes angewiesen, gegen eine meist sechsfache, in der letzten Zeit zehn-, zwölf-, ja zwanzigfache Uebermacht geführt haben. Diese Schwarzen haben unter sich Männer, die ihre Erziehung in Capstadt, wohl gar in Europa, genossen haben und nicht blind gegen die Chancen sind, die ihnen die Ausrottung eine großen Theiles der von ihnen gefürchteten Boeren durch Weiße — die Engländer — bietet, die nach beinahe zweijährigem unablässigen Ringen selbst dieser kleinen Schaar noch nichr Herr geworden sind. Schon vor einiger Zeit wurde gemeldet, daß in Natal schwarze Geistliche unter ihren Stammesgenossen das Evangelium des „Afrika für die Afrikander" zu predigen begonnen haben, und heute sind zwei Kundgebungen zu verzeichnen, die die volle Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verdienen. Die Koffern zeigen heute im ganzen Lande Selbstvertrauen und Zufriedenheit. Sie reiten in die englischen Lager und rufen den Leuten ihr: Halloh, Johny! zu, und die Soldaten lachen und ulken mit ihnen. Letztere wissen nicht, daß jeder Scherz mit den Schwarzen ein weiterer Nagel zu dem Sarge britischen Prestiges in Afrika ist. Die Weißen stehen sich jetzt einander gegenüber, und der Kaffcrn Weg ist geebnet. Das ist der Text, über den Tag für Tag und Woche für Woche gepredigt wird. Die Karrentreiber erzählen sich davon, wenn sie rings um das Feuer bei Nacht sitzen. Die Postkutscher sprechen davon, wenn sie sich auf der Straße begegnen kurz, im Kaffirland bildet dieses Thema den ausschließlichen Gesprächs gegenstand. Jeder weiß das, mit Ausnahme der Landes regierung. Auch sie wird es vielleicht erfahren, wenn es zu spät ist. Die Schwarzen begreifen vollständig, daß eine der beiden Parteien, die jetzt in Südafrika gegen einander kämpfen, wie sie sagen, in den Krallen des Todes sterben muß. Sie fürchten den Boeren, aber sie hassen ihn nicht. Sie Haffen den Eng länder, aber sie fürchten ihn nicht, wie früher; sie haben ge sehen, wie vieler Soldaten es bedurfte, um die Boeren zu be kämpfen und zu schlagen. Sie fühlen jedoch oder denken, daß die Boeren unterliegen, und meinen darum, es sei der Augenblick gekommen, um die Engländer selber zu bekämpfen und zu ver treiben. Es ist überraschend, mit welcher Aufmerksamkeit sie die kriegerischen Methoden und die Taktik auf beiden Seiten verfolgen, als ob sie sie für ihre zukünftigen Zwecke in An wendung bringen wollten. Man weiß zwar, daß die Koffern selbst mit deu geschwächten englischen Truppen einen erfolg reichen Kampf vorläufig nicht aufnehmen, wohl aber namenloses Unbeil in den verzettelten Ansiedelungen, in den kleinen Flecken und Dörfern anrichten können, so daß England endlich ge zwungen sein wird, auch gegen sie in einen Ausrottungskampf einzutreten. Das kann weit sichren, und inzwischen werden neue Opfer an Menschen und Geld von England gefordert werden. Aber gesetzt auch, der offene Kampf würde vorläufig vermieden, so wird doch eine solche Summe von Unruhe nach Beendigung des Krieges unter den Kasfern entstehen, daß noch einmal alle Aussicht auf eine ruhige Entwickelung der ökono mischen Quellen des Landes in die Brüche geht. * London, 27. September. (Teleqrojnm.) Ter „Standard" berichtet aus Durban: Es bestätigt sich die Nachricht von dem am 23. September bei Standerton erfolgten Bahnunsalle. Das Unglück ist durch eine verbogene Schiene herbeigesührt worden. Der Zug führte Gardedragoner mit sich, von denen 6 getödtet und 36 verwundet worden sind. * London, 27. September. (Telegramm) „Daily News" geben das gestern Abend in militärischen Kreisen in Umlauf ge wesene Gerücht wieder, daß Lord Kttchenrr seine Entlassung als Obercommandirender in Südafrika wegen Meinungsverschieden heiten mit dem Kriegsminister Brodrick gegeben habe. Die Regierung hätte darauf bestanden, daß Lord KItchener eine von ihm getroffene Entscheidung wieder aufhebe, was Lieser abgelehnl habe. Die Regierung hätte um die Intervention einer hochstehenden Persönlichkeit nachgesucht. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. September. Wir haben die Resolution zum „Zollwuchcr", die Herr Bebel auf dem socia lde m o kra tis ch en Parteit ag e beantragt hat, im Wortlaute wiedergegebeu. Sie befleißigt sich eines sorcirt wilden Tones, verrätst aber gerade dadurch ihre Sckwäche. Und dadurch nicht allein. Bebel ist ein guter Redner und, die Form in Betracht gezogen, gewiß auch kein schlechter Schriftsteller; diese seine Resolution aber ist mise rabel stilisirt. Ihre Sprache schreckt sogar vor einer Super lativform für das Wort „tödtlich" nicht zurück, eine Sünde, die für das Schicksal eines Quartaners unserer Jugendzeit, der sie begangen, verkängnißvoll wurde: er verlor ihretwegen ein Jahr. Das Wort Is stzlo o'est I'dnmmo bewährt sich auch hier, nur setzt man in diesem Falle für den Menschen besser seine Aufrichtigkeit, richtiger Unaufrichtigkeit. Bebel nennt den veröffentlichten Zolltariscntwurs „mit einem Wort" — er mackt dazu aber noch sehr viele Worte — „das Volks- und cultnrfeiudlichste Machwerk, das man einer civilisirten Nation zumuthen kann". Er, der Bewunderer Frankreichs und Amerikas, weiß aber, daß diese Länder vielfach höhere Zölle erheben, als sie der deutsche Taris vorschlägt, Frankreich auch höhere Lebensmittelzölle. Bebel treibt also in diesem Puncte Oekonomie mit der Wahrheit. Er ist aber noch in einem weiteren Puncte unaufrichtig. Er verwirft den Taris principiell und vom Standpuncte der Socialdemokratie, obwohl er weiß, daß Mitglieder dieser seiner Partei grund sätzlich auf dem Boden der Schutzzollpolitik stehen und wegen derselben sich ganz unzweideutig für Repressalien gegenüber Amerika ausgesprochen haben, falls dieses Land fortfahren sollte, das deutsche Reich zollpolitisck in der bisherigen Weise zu behandeln. Wenn die Herren Calwer und Schippel dürften wie sie wollten, sie nähmen diesen Tarif zur Grundlage einer Berathung mit positiven Absichten, und Bebel, dem dies bekannt ist, stempelt den Zolltarif zum alleinigen Eigenthum des Agrar- und Industrieseudalismus! Deshalb auch leine Erörterung in Lübeck, sondern nur eine Predigt Bebel'S, der ferner weiß, daß seine Partei und er selbst sür Handels verträge, die auf der Basis deS verlästerten Tarifs geschlossen sein werben, stimmen werden, falls sonst eine Mehrheit im Reichstage nicht zu Stande kommt; ein Fall, für dessen Ein treten zu sorgen, nicht unrecht wäre. Die Brotwucher-Schreier sollen wieder unter die Brotwncherer, in deren Reihen sie sich auch im Jahre 1892 befunden haben. Im Großen und Ganzen ist der Lübecker Lärm, obwohl er immerhin von mehr Kehlen ausgeht, als das freisinnige Geschrei, nicht bedeut samer als der freisinnige und specicll der bandelSvertrazs- vereinliche. Diese Leute werden einer Politik ehrlicher Sammlung schließlich nichts anhaben können. Sehr viel anders würde es sich mit den westfälischen Nationalliberalen verhalten, wenn sie bei ihrem ziemlich deutlich kundgegebenen Entschlüsse verharrten, die Erhöhung der deutschen Getreide zölle von der Wiedereinbringung und Annahme der preußi schen Mittellandcanalvorlage abhängig zu machen. Dieser Gedanke ist im Reichstage schon einmal von dem Abg. Basser mann mit aller wünschenswertsten Entschiedenheit zurückgewiesen. Sollte ihn ein nicht ganz winziger Theil der nationalliberalen Reichstagsabgeordneten für sich zu verwirk lichen trachten, so würde die ausgleichende Handelspolitik wahrscheinlich schwer gefährdet, eine Spaltung innerhalb der nationalliberaleu Partei aber ganz gewiß sein. Man täusche sich nicht: die Parteigenossen in Süd- und Mittel deutschland, vermuthlich aber auch eine Anzahl Hannoveraner, Schleswig-Holsteiner und Nassauer werden es sich nicht ge fallen lassen, wenn man die preußischen Rüben in den deutschen Sack auf die Gefahr hin, diesen zu durchlöchern, zu stecken versuchen sollte. Neben dem socialdemokratischen 'Parteitage verdient auch der soeben abgehalten« Berliner Gewerkschastocongre« eine Ver sammlung von Vertrauensmännern centralisirter Gewerkschaften Deutschlands, Beachtung, da er aufs Neue zeigt, wie es mit den „neutralen" Gewerkschaften aussieht und Wie sie alle Gewerk schaften, die sich dieser Cenkralisaltion anschließen, in das rein socialdcmokratische Fahrwasser zwingen. Zwar heißt es in dem Bordersatz des H 4 der «angenommenen organisatorischen Reso lution: „Der Kongreß proclamirt die unbedingte Solidarität der Cmtralifation ohne Rücksicht auf die Organisatwnsform und politische Anschauung", dann aber wird vorbeugend hmzugefügt: „soweit sie auf dem Boden des Classentampfes stehen". Wenn etwa Gewerkschaften, die noch nicht rm socialdemokratischen Lager stehen, nicht munlotodt gemacht werden wollen, müssen sie selbst verständlich Stimme und Sitz in der Gefchäftscommission haben. Damit aber nicht in letztere, den „Centralisirten", etwa unliebsame Elmonte eindringen, ist folgender, unverfänglich klingender Para graph angenommen: „Der Geschäftscommission können alle Ge werkschaften angehören, welche die Programm-Reso lution anerkennen und die „Einigkeit" (das Organ der ccntrallisirten Gewerkschaften) obligatorisch cinsühren oder einen Beitrag von 3 H pro Mitglied und Quartal an die Geschäftscommission zahlen." — Die Anerkennung der Pro gramm-Resolution, die durchaus socialdemokratischen Charakters ist, bildet also das candinische Joch, durch welches Vie Gewerk schaften hindurch müssen, um in die Gesclxiftscommiffion zu ge langen, d. h. mit anderen Worten: jede Gewerkschaft muß das sociakdemokratische Programm anerkennen, oder sie hat nur Pflichten aber keine Rechte. — Die „Cen'traKsirtcn" haben auf ihrem Congreß auch die Gründung Sines Streikfonds beschlossen, d. h. die Beiträge zu diesem Kriegsfonds obligatorisch gemacht; der jährliche Mindestbeitrag pro Mitglied darf nicht unter einem halben Wochenlohn betragen. Dieser Beitrag sichert den „Cen- tralksirten" eine jährliche Einnahme von mehreren Millionen! Der Austritt der „Bochumer" aus dem rheinisch- westfälischen Verbände der Arbeitervereine scheint, wenn der „Evangel. Arbeiterbote" richtig unterrichtet ist, auf den Gesammtverband der evangelischen Arbeiter vereine von erheblichem Einfluß werden zu sollen. Das ge nannte Organ des GesammtverbandeS enthält nämlich am Schluffe seiner neuesten Nummer in fettem Druck folgende beachtenswerthe Meldung: „Wie wir soeben erfahren, hat der jetzt versammelt gewesene Ausschuß des GesammtverbandeS Vorkehrungen ge troffen, daß eine Agitationsreije Naumann's insRuhr- Revier nicht wieder vorkommt und daß sein Einfluß auf das ihm gebührende Maß beschränkt wird. Tie Wahl periode Naumann's läuft zudem in einem halben Jahre ab." Bekanntlich bat die Agitation Naumann's im Ruhr- Revier und seine Wahl in den Ausschuß des Gcsammt- vcrbandes an Stelle des Abg. Franken den Anstoß dazu gegeben, daß die Bochumer Vereine sich mit dem Gedanken des Austritts aus dem Verbände beschäftigten. Zst die obige Meldung deS „Evangel. Arbeilsbvten" zutreffend, so wird der Einfluß Naumann's im Gesammt- verbande sehr stark vermindert werden. Der Schlußsatz in der fraglichen Meldung deutet unverkennbar auf die Absicht des Ausschusses des GesammtverbandeS hin, sich Naumann's sobald wie möglich zu entledigen. Man darf — die Richtigkeit der Nachricht des „Ev. Arbeiterboten" immer vorausgesetzt — gespannt darauf sein, welche Consequcnzen aus der Haltung des Ausschusses des GesammtverbandeS von den verschiedenen Betheiligten werden gezogen werden. Nach den Meldungen der Presse sollte Pfarrer Naumann eine Wiederholung seiner Agitalionsreise inS Ruhr- Revier so lange verschoben haben, bis die Streitigkeiten innerhalb der rheinisch-westfälischen Arbeitervereine zu einer Entscheidung geführt hätten. Nachdem diese Entscheidung gefallen und nachdem der Ausschuß des GesammtverbandeS Vorkehrungen gegen die Wiederholung der Naumann'schen Agitationsreise getroffen haben soll, muß es sich bald Heraus stellen, ob die Reise Naumanns in das Ruhr-Revier that- sächlich unterbleibt und ob daraus aus eine Fügsamkeit Nau mann's gegenüber der veränderten Stimmung im Ausschüsse des GesammtverbandeS zu schließen ist. WaS die Bochumer Vereine anbelangt, so dürfte die veränderte Stellungnahme des Ausschusses des GesammtverbandeS zu spät eingetreten sein, als daß die Bochumer Vereine ihrerseits die ent scheidenden Schritte der letzten Zeit rückgängig machen sollten. Man wird innerhalb der Bochumer Vereine ohne Zweifel die endgültige Gestaltung deS Verhältnisses zwischen dem Ausschüsse deS GesammtverbandeS und Pfarrer Nau mann abwarten, ehe man von der jetzt einzcschlagenen Taktik abgeht. Einigermaßen desavomrt erscheint durch die neue Haltung deS Ausschusses deS Gesammt- verbandes der Ausschuß deS rbeinisch-westfälischen Pro- vinzialvcrbandes. Der letztere hat zwar in seiner Er klärung vom 19. September d. I. betont, daß die Naumann- schenGrundsätze >m gejammten rheinisch-westfälischen Verbände keine Vertretung gesunden hätten, aber die gleichzeitig be kundete Auffassung, die durch die Stellung zu Naumann ent standenen Differenzen dürften keine ausschlaggebende Be deutung gewinnen, zeugt doch von Sympathien für den national-socialen Führer, deren der Ausschuß des Gesammt- Verbandes nunmehr ganz entäußern zu wollen scheint. Ueber Erschwernisse für die deutschen Kolonisten in Kleinasien schreibt man uns aus Haifa, Anfang Sep tember: Neuerdings wird durch em neues Gesetz von dem Platze, Leuilletsn» A Themis im Gebirge. Zwei Erzählungen aus dem Allgäu von Arthur Achleitner. Nai! druck vnd.ikN. Beim flackernden, trüben Schein der Laterne erkannte Cilli sogleich, wie zugegriffen werden müsse, und ohne Klagen oder Jammern faßte das resolute Mädchen den verunglückten Bräuti gam fest unter die Achseln und zog ihn langsam, aber sicher aus dem Brückenloch und völlig auf den glitschnassen Weg. Halb bewußtlos, konnte Engen nicht mehr stehen, das ge brochene Bein hing schlotternd. So nahm denn Cilli, der Angst und Sorge die Kraft hierzu verlieh, den Bräutigam auf beide Arme und trug ihn ins Wohnhaus, keuchend vor Anstrengung, und über die knarrende Treppe hinauf in ihre eigene Kammer. Und noch auf der Treppe schrie Cilli mit aller Lungenkraft eines stämmigen Gcbirgsmädchens um Hilfe, so daß alsbald der Vater mit Licht herbeitam und die Dienstboten geweckt wurden. Eugen wurde in Cilli's Lager gebettet, ein Sägknecht lief nach Oberst dorf um den Arzt, und Cilli holte gegen Morgengrauen Eugen's Mutter, auf welchem Gange das Mädchen unschwer erkennen konnte, daß nicht das Bergwaffer, sondern eine böswillige Hand einige Prügel von der Brücke entfernt haben mußte. Von einem Transport Eugen's in den ersten Tagen tonnte keine Rede sein, der Schwerverletzte mußte im Wohnhause Ruef's verbleiben, so sehr auch Frau Fleschhut ihren Sohn im eigenen Heim wissen und pflegen wollte. Durch die Dienstboten kam das Ereigniß bald genug in der Leute Mund und die Thatsache, daß Eugen Fleschhut von Cilli gerettet und in des Mädchens Bett verbracht worden ist, wurde gefolgert, daß das Paar wohl im Versprach sein mußte. Frau Fleschhut nahm denn auch, als ihr daraufbezügliche Aeußerungen der Volksmeinung zu Ohren gebracht wurden, Rücksprache mit dem Sägmüller^ der gern mit der Verlobung ein verstanden war, allerdings griff Ruef dabei in einer gewissen Hilflosigkeit ans rechte Ohr und meinte, es habe mit der Mit gift respective der baldigen Auszahlung einer solchen seine Schwierigkeiten, denn sein Vermögen stecke im Holzgeschäft und könne in absehbarer Zeit kaum flüssig gemacht werden. Als der Gipsverdand angelegt und gefestigt war, bestand Fran Fleschhut auf Verbringung des Sohnes in den Hintcrhaun- holdhof, und die Tragbahre mußten ihre Knechte, darunter Toni, der Schaffer, über die inzwischen ausgebesserte Brücke tragen. An Bemerkungen über solch' teuflische Brllckenzerstörung in finsterer Nacht fehlte es während dieses kurzen Transportes nicht, und auch der Schaffer hielt mit einer scharfen Berurtheilung dieses Bubenstückes nicht zurück. Nur wollte sein Gesichtsaus druck mit den ehrlich klingenden Worten nicht recht überein stimmen, und Schraudolf's Blick irrte wie fragend hin und her. Vom Krankenlager aus richtete Engen das Gesuch um Urlaubverlängerung unter Angabe des Grundes an das Land gerichtspräsidium in Kempten, wobei mancher Seufzer der jungen Brust entquoll, denn die nicht zu bezweifelnde Genehmigung dieses Gesuches muß die heiß ersehnte Ernennung um viele Wochen ver zögern. Die Schmerzen ertrug Eugen ja gern, aber bitter em pfand er die Hinausschiebung der Ernennung. Ein klein wenig mehr Vorsicht und Achtsamkeit in jener Nacht hätte dem Unglück vorbeugen können. Aber der verliebte Hahn ist eben blind und laub. Es herbstelte im Gebirge allenthalben mit den immer gleichen und doch immer schönen Naturerscheinungen, die kühler werden den Nächte bringen den Alpauszug näher, der, von Hirten und Sennen längst ersehnt, für die Galtalpen des Oberstdorfer und Hindelang-Hintersteiner Gebietes, wo die meisten und größten Galtalpen des Allgäus liegen, auf den Vortag des ersten Staufener resp. Sonthofener Viehmarktei, d. i. 12. und 13. Sep tember, festgesetzt ist. Der Auszug aus den Sennalpen erfolgt je nach Alplage, dem Weidestand und Witterungsbeschaffenheit, meist auf Matthäi (21. September), also erklecklich früher als im obcrbayerischen Gebirg, in welchem der Almabtrieb auf dei. Vor tag des Rosenkranz-Sonntages (deS ersten Sonntages im Oc tober) angesetzt ist, insofern nicht verfrühter Schneefall und Futtermangel einen vorzeitigen Auszug nöthig macht. Reges Interesse wird jedem Abtrieb allenchalben entgegen gebracht; die Viehbesitzer harren mit Spannung der Uebergabe ihres werthvollen lebenden Inventars in der Hoffnung, keinen Fall öder sonstigen Schaden verzeichnen zu müssen, und Hirten und Sennen freuen sich, nach langer Zeit der Einsamkeit und Entbehrung wieder unter Menschen und zur Gurgelnäffung zu kommen. Und die Thalbevölkerung freut sich, weil der Abtrieb alljährlich ein wahres Volksfest und Belustigungen mannigfacher Art, speciell im Allgäu, mit sich bringt, und zwar durch den so- genanten Viehscheid, die Ausscheidung und Uebergabe der Einzel- thiere an die persönlich erschienenen Besitzer, und die sich hieran knüpfenden originellen Kampfspiele der Sennen und Hirten, welch ledtere nach bethätigtem Viehscheid aller Verantwortung ledig gesprochen find und sich nun ihre» freien Leben» freuen wollen. Abgetrieben wird das Vieh stet» in geschlossener Heerde, e» sind die Thiere ganzer Alpreviere vereinigt, so daß meist Bieh in der Stärke von Hunderten Stücke auf einmal di« Alpen verläßt. Der Viehscheid wird dadurch complicirt, es müssen "daher Vor kehrungen getroffen werden, um die Unterscheidung und Zu- thcilung der einzelmn Stücke an die Besitzer richtig und leichter bethätigen zu können. Hierzu wird auf einem Wiesenplan, südlich von Loretto bei Oberstdorf unweit des Novdsußes des Himmslsschrosen, ein Fleck grüner Ebene pferchartig eingezäunt, und in diesen um schlossenen Raum in größeren Abständen abthellungsweise das Vieh eingetriebcn. Auf diese Art ist es verhältnißmäßig rasch möglich, die Rinder einzufangen, den Eigenthümcr zu fixiren und Stück um Stück an den Besitzer auszuliesern. An drolligen Scenen fehlt es dabei nicht, doch die gewandten Hirten verstehen ihr Geschäft und werden auch den bockbeinigen, in der Alpfreiheit halbwild gewordenen Thieren rasch Herr. Dieses Schauspiel lockt das Landvolk aus der ganzen Umgegend, zahlreiche Viehhändler und Neugierige herbei, für deren Bedürf nisse fliegende Schänken und Kaufbuden Sorge tragen. Bretter und Balken, provisorische Tische geben Gelegenheit zum Sitzen, Handclsschaft wird getrieben, nebenbei Schabernak der Jung burschen mit den Fölen, kurz, es entwickelt sich ein artig Volks fest von höchst anziehender, origineller Art. Wie genau dabet das Volk einzelne Heerden und Hirten nach ihrer Alpe und Bauernzugehörigkeit erkennt, ist geradezu erstaun lich, die Bestimmung erfolgt oft schon von weitem, mitunter auch nach Schellenklang. Heerde um Heerde defilirt durch das Spalier des massenhaft erschienenen Volkes, die Heerschau beginnt und die Kritik über das Aussehen der Thiere, Lob und Tadel wird vertheilt. Sehn süchtig mustern die Besitzer ihre heimgekehrten Rinder und taxiren die Zunahme an Größe und Fleisch. Nicht minder kritisiren auch die Händler. Schön geschmückte Hirten und deren bekränzte Heerden ernten lautes Lob in kraftvollen Zurufen, ebenso wird jeweils das „gängste" Rind lebhaft acclamirt. Ist der Heerdeniheil im Pferch, so beginnt augenblicklich der Viehscheid, eine Arbeit, welcher ein Städter, a selbst ein Bauern knecht vom Lande, fassungslos gegenüber tehen würde. Der Hirt aber greift sicher, er kennt ja jedes Stück nach langer Alp zeit und Betreunung genau, es giebt hier keinen Jrrthum, und flink wird Stück um Stück ausgeschieden und vom Besitzer in Empfang genommen. Ist am unteren Ende durch eine Oeffnung das geschiedene Vieh Hinausgelaffen und die Pferchpforte geschlossen, so wird am oberen Pferchportal die Neuangekommene Heerde eingetrieben, und die Arbeit des Mehscheidens beginnt abermals. Wenn auch manche Besitzer frischweg mit ihrem heil herab gekommenen Bieh heimwärts ziehen, viele bleiben doch, etwaiger Handelsschaft willen, auf dem Wiesenplan, es giebt ja auch viel zu schwatzen, zu hören, zu schauen. Wenn jetzt die Thiere wieder durcheinander laufen, ist die Trennung nach Besitz Sache der Eigenthllmer, der officiell bcthätigte Viehscheid hat Sennen und Hirten bereits von jeder Verantwortung entlastet. Und diese Sorgenbefreiuung will Luft bekommen. Auf Cilli gestützt, stand Eugen, der zur Noth sich wieder, wenn auch hinkend, auf eigenen Füßen bewegen konnte, in der Nähe einer Gruppe, innerhalb welcher das „Streckkatzcn-Ziehen", eines der beliebten hochoriginellen Kampfspiele der von der Alp gekommenen Sennen und Hirten, zum Austmg gebracht werden sollte. Zwei kraftstrotzende Gebirgler haben einen festgeknüpften Strick über die Köpfe geworfen und im Genick sitzen, die Kämpfer knien sich gegenüber, und nun gilt es, den Gegner herüber zu ziehen, ihn zum Verlassen seiner Stellung zu nöthigen, ohne daß die Hände irgendwie mithelfen dürfen. Das Spiel sieht einfach aus, ist aber durchaus nicht leicht durchgeführt, denn schon allein die Kopfhaltung ist eine Kraft heischende Arbeit, durch welche unter allen Umständen verhütet werden muß, daß der Strick Uber den Kopf hinwediutscht, welches Malheur den Kämpfer kampf unfähig machen, ihn um den Sieg bringen würde. Ein Stemmen mit den Armen ist gestattet, sofern Gmsboden in Betracht kommt, ein Anfaflen des Gegners mit den Händen ist verboten, würde Wegweisung vom Spiel zur Folg« haben. Das echt gebirgkrische „nur nicht auslaffen" ist hier oberster Grundsatz, mag der Strick ins Fleisch schneiden, wie er will. Sind di« Kämpfenden gleich stark an Körperkraft, so kann es Vor kommen, daß ein nicht mehr neuer Strick eher reißt, als daß einer der Katzenzieher auch nur um die Breite einer Hand nachgisbt.*) Um so größer ist die Freude, wenn eS gelingt, den Gegner herüberzuziehen,. worauf die Wettsumme, in Flüssigkeit umgesetzt, durch die Gurgel der Spieler, Preisrichter und befreundeter Zu schauer rinnt. Eugen scherzte, indem er der Braut ins Ohr flüstert«: „Ob wir zwei als Amtsrichtersleutle o so Katzzieh«n werden?" „I itt'!" wehrte Cilli ab und erglühte dabei. „Na, oin«r werd' doch wohl Nachlasse müsse!" *) Zu einer Zeichnung Rich. Mahn'» „Streckkahenziehen im Allgäu" in der „Jllustr. Zeitung" (Leipzig) liefert« ich den Text mit dem historischen Nachweis, daß Hans Sach» von diesem Spiel auch schon Kenntniß hatte. Erzählt doch der Meistersinger in übertragenem Sinne: „Der mit seim Weib zeucht di« Streb katzen". Ein« Variation finden wir im Ziehen de- Katzenknebel»: „Sy zugen den Kaczenkhnebel sam thun zu Hof die puebsn diel dick da» spil, da» ainer feilt auf den gebel." D. B.
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