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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001127025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900112702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900112702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Dienstag den 27. November 1900. Anzeige«-Preis dir 6gespaltene Petitzcile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4gespalten» 75 H, vor den Familiennach richten gespalten) 50 .L>. Tabellariswer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertennnnahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbeförderung ./4 «0.—, mit Postbesürdrrung 7V.—. ^nnahmeschlnk für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. SL Jahrgang. Die Wirren in China. Ter kaiserliche Hof; Li-Hung-Tschang. „Daily News" berichten aus Shanghai unter dem 2V. November: Prinz Li, der sich zur Zeit hier aufbält, hat von Li - Hung-Tschang ein Telegramm erhalten, in dem dieser ihm von der Krankheit der Kaiserin Mittheilung macht, ohne jedoch Einzelheiten darüber anzugeben. — Der Gouverneur von Scheust bat die Be hörden von Kiang-se und Tschin-kuang von Neuem auf gefordert, Lebensmittel für den Hof nach Singanfu zu schaffen. — „Morning Post" berichtet unter dem 26. d. M.: Li-Hung-Tschang ist ernstlich krank; er hat an seinen Adoptivsohn Li-ching-fang telegraphirt, der am Sonnabend nach Tientsin abgereist ist. Ter Werth -er Hnnnenbriefe. Die „Allgemeine Marine-Corrcspondenz" schreibt: Der Werth der durch die letzten ReichSlagS-Debatten übermäßig in den Vordergrund deS Interesses gerückten Hunnenbriefe erhält seine beste Beleuchtung durch den Auszug aus zwei Befehlen deS Deutschen ObcrcommandoS in Ostasien, die vor 6 bezw. 7 Wochen erlassen und mit der letzten Post inzwischen in Berlin eingetroffen sind. In dem Befeble, den Graf Waldersce zur Einleitung der Operation nach Pao- tingfu am 12. October in Tientsin erlassen hat, findet sich ausdrücklich folgende Anordnung: Der Herr Frldmarschall hat rücksichtslose» Vorgehen gegen alle Boxer und feindselig auftretenden Einwohner unter Schonung der Person und deS Eigenthums der friedfertigen Bevölkerung angeord- net; um die letzteren vor dem Terrorismus ihrer eigenen auf rührerischen Landsleute zu schützen, soll außerdem durch Entsendung kleiner, beweglicher Colonnen in verschiedene Richtungen für die Sicherheit der Bewohner des schon besetzten Gebietes vor den Boxern und für die Aufrechterhaltung der Ordnung gesorgt werden. Wenn demnach selbstverständlich gegen die Aufrührer mit aller Strenge rücksichtslos vorgegangeu wird, so werden die friedfertigen Einwohner nicht nur geschont, sondern sogar ge schützt, wie die» beispielsweise auch aus dem Schlußsatz desselben Operationsbefehls hervorgeht. In Paokinchyng, 20 Kilometer westlich Pantznng, war nach den Berichten der Municipalbehörden von Tientsin eine eingeborene christliche Familie ermordet worden. Auf Befehl Les Feldmarschalls ist »ine Strafexpedition, bestehend auS einem Bataillon Bersaglieri, dorthin gemacht worden. Es wurde einer der Hauptthäter gefaßt und nach Vernehmung vor der ganzen Dorfbevölkerung standrechtlich erschossen. Was die Herkunft der Hunnenbriefe anbetrifft, so sei nur auf den Garnisonbefebl für die deutsche Ortsunter kunft in Tientsin hingewiesen, in dem die „Veröffentlichung von Privatbriefen über Kriegsereignisse" ausdrücklich unter sagt wird. „Die Briesschreiber haben dafür Sorge zu tragen, daß die Em« psänger der Briese hiergegen nicht verstoßen, und werden bei Zu widerhandlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Lagerkommandant. gez. v.Kettler, Generalmajor." ES hieße die Ehre jedes deutschen Soldaten angreisen, wollte man daran zweifeln, daß dieser Befehl nicht unbedingte Befolgung findet. Woher stammen also die Hunnenbriefe? Welchen Werth haben Reformen für China? Man schreibt uns aus Shanghai unter dem 8. October: Die neue Hedschra, die Flucht des kaiserlichen Hofes von Peking in die unzugänglichen Regionen des inneren China, wird einst als das Datum der Wiedergeburt des chinesischen Reiches gerechnet werden, und dieses neue chinesische Reich wird mit oder ohne die Hilfe des internationalen Collegiums, das sich jetzt so ängstlich bemüht, seine Kompetenzen zu wahren, und darüber an scheinend ganz des armen Patienten, zu dessen Hilfe es da zu sein behauptet, vergißt, lediglich als logische Consequenz der Ereignisse der letzten fünf Jahre und der immanenten Verhält nisse, die diese Ereignisse hervorriefen, zu Stande kommen. Des halb werden auch die großen und kleinen Mittel, die jetzt von den europäischen Aerzten verordnet, aber nicht applicirt werden konnten, wenig bei der endlichen Bilanz ins Gewicht fallen. Diese sogenannten Reformen sind doch nichts, als ein neuer Flicken auf eine abgetragene Hose, und die Idee bei diesen Reformvorschlägen ist offenbar die, daß es sich vielleicht bei China lohnen wird, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen; generaliter sind wir hiervon schon in der Bibel gewarnt worden, und specialiter wäre nichts unzulänglicher, als die immensen Schäden Chinas jetzt durch Flickwerk und Stopfwerk oberflächlich zu verkleistern. Was China gebraucht, ist eine vollständige Renaissance, und auf diese ist das Volk weit mehr vorbereitet, als dem Fernerstchendcn sichtbar wird. China hat schon einmal in den letzten fünf Jahren vor einer Umkehrung seines gesammten Wesens gestanden, das war, als der japanisch-chinesische Krieg dem Kaiser Kwang- Su den schauerlichen Zustand seiner Armee offen barte. Seine Nachforschungen führten ihn dann natur gemäß zu einer richtigen Kritik seines Beamtenwesens, und da er zufälliger Weise das Glück hatte, in Kang-Uu-Wai einen ehrlichen und verständigen Rathgeber zu finden, so wußte er bald, was seinem Lande nvththat, und die Folge waren seine berühmten neun Edicte, die heute wohl recapitulirt zu werden verdienen. In den Cdicten befahl er, 1) daß sofort das alte Prüfungssystem abgeschafft wird, 2) daß alle Tempel in Schulen umgcwandelt würden, in denen die Wissenschaften des Westens gelehrt würden, 3) daß ein be sonderes Amt regelmäßig hervorragende Werke westlicher Autoren übersetze, und daß diese Bücher auf Regierungskosten im Lande verbreitet werden, 4) daß eine westliche Universität in Peking errichtet wird, 5) daß wohlerzogene junge Mandschus zum Abschluß ihrer Studien regelmäßig eine mehrjährige Reise nach dem Westen unternehmen sollen, 6) daß die Armen besonders über solche Errungenschaften der westlichen Civilisation belehrt werden, „durch welche sie aus ihrer Armuth herausgerisscn werden können", 7) die Schaffung einer vereinfachten Schriftsprache (die wahrscheinlich dazu geführt hätte, oaß die einzelnen Worte und Silben in ein Alphabet aufgelöst würden), 8) daß alle über flüssigen Aemter und Bcamtenstellen im Reiche, insbesondere aber in der Hauptstadt, abgeschafft werden, und 9) daß an Stelle der alten „Pekinger Zeitung" ein energisches, unternehmendes chinesisches Journal, das damals in Shanghai gegründet war, das officielle Organ der Regierung sein sollte. Das war mehr als Reform, es war die vollständige Revolutionirung Chinas. Es ist in Europa anscheinend nicht allgemein bekannt, daß diese Edicte in China selbst mit voller Begeisterung ausgenommen worden sind, daß Chinesen der besten Kreise, und ztvar nicht nur einzelne, sondern Hunderte, sich an die Fremden, Missionare sowohl Vie andere, die nur immer bereit waren, sie zu unterrichten, drängten, und dieser Eifer sich bis weit in das Innere des Reiches erstreckte. China ist heute reif für jede Revolution, und wenn die europäischen Mächte die schwere Verantwortlichkeit auf sich nehmen könnten, offen die vielen Gesellschaften, die die Wiedergeburt ChinasaufihreFahnengeschriebenhaben.zu unterstützen, so würde in wenigen Monaten der Kampf gegen die jetzige Mißwirthschaft auf der ganzen Linie von den Chinesen ausgenommen werden. Aber diese Unterstützung der Reform-Gesellschaften würde mit aller Wahrscheinlichkeit auch den Bürgerkrieg bedeuten. Der enorme Erfolg, den die kaiserlichen Edicte und die darin niedergelegten Ideen im Lande hatten, waren zugleich das Todesurtheil für die Reformer, sie brachten dem Kaiser Kwang- Su die erniedrigende Gefangenschaft, in der er jetzt schmachtet, und die Contre-Action gegen diese Ideen hat Europa dann bei dem wahnwitzigen Attentat auf die in China ansässigen Fremden, die von den Reaktionären vielleicht mit Recht als die Träger und Urheber der neuen Anschauungen betrachtet werden, kennen gelernt. Der Kampf der Reaktion gegen die Absichten des Kaisers war ein Existenzkampf pur ov simple; wurden die Edicte durchgeführt, so waren die Tage der Reaktionären und ihres Nepotismus vorüber. Alles, was corrupt war in China, zitterte vor dem, was kommen würde, und schloß sich nur zu willig jeder Bewegung an, die darauf hinauslief, die Reformen zu parallisiren. Deshalb ist es verkehrt, zu glauben, daß die heutige klägliche Situation, in der China jetzt dem sogenannten geeinigten Europa gegenllbersteht, nur die Folge der Ereignisse dieses le tzten Jahres war. Ter Grundstein zu dem Gebäude von Haß und Niedertracht wurde vielmehr an dem Tage gelegt, an welchem die Kaiserin-Wittwe sich auf die Seite der Reaktionären stellte. Es scheint jetzt zwischen den verschiedenen Diplomaten Europas und Amerikas und den betreffenden Steuerzahlern die als selbstverständlich vorauszusehcnde Häkelei darüber im Gange zu sein, wer zuerst wußte, daß Alles so kommen würde. Wir hier draußen haben für diese Kleinigkeiten ebenso wie für die Reformvorschläge nur ein resignirtes Lächeln. Die Rettung muß und wird in China voninnen kommen, und jetzt schon sind starke Kräfte im Verborgenen eifrig thätig, um das neue China vorzubereiten. Die Mühe der Reaktion ist vergebens gewesen, und in China giebt es keine Kraft, die Stärke genug besitzt, um das Rad der Zeit zurllckzudrehen. Die unge heure Masse des gelben Volkes weiß längst, daß gegen den Westen nichts, mit ihm Alles zu wollen ist, und blinder Gehorsam für die Befehle der bankerotten Regierung beliebt dem Volke nur da, wo es nicht auf einer anderen Seite den Vortheil sieht. Die Hedschra kann leicht das Ende der Mandschudynastie werden, und dann werden die Kräfte, die jetzt verborgen arbeiten, sichtbar werden. Der Krieg in Südafrika. Krüger in Paris. Präsident Krüger empfing, wie uns der Drabt meldet, gestern Nacbmittag eine aus hervorragenden Persönlichkeiten per politischen, literarischen und wissenschaftlichen Welt be- stcbeude Abordnung, darunter die Professoren Monod und Hawet, Senator Trarieux, Anatole France, Fr^döric Passy. Professor Monod hielt eine Ansprache, in der er sagte, daß er und seine Freunde um so größere Sympathien für das Boerenvolk empfinden, als sie selbst Ungerechtigkeiten er duldet und für das Recht gekämpft hätten. Präsident Krüger erwiderte, daß er sich über diesen Sympatbiebeweis besonders freue, da er von Männern komme, die sich zur Vertbeidigung des Rechts und der Freiheit zusammen- getban hätten. Auf der Fahrt zum Ansstellungsplatze wurde Krüger gestern auch vielfach mit Rufen „ES lebe das Schieds gericht!" begrüßt. Der „Libertv" zufolge sollen mehrere natio nalistische Dcputirte in der letzten Kammersitzung die Absicht gehabt haben, zu beantragen, daß die Kammer dem Präsidenten Krüger ihre achtungsvolle Sympathie aus spreche. Ministerpräsident Waldeck-Rousseau habe aber, als er davon verständigt wurde, so schwerwiegende Be denken internationaler Natur geltend gemacht, daß die Deputirten ihren Plan fallen ließen. Krüger wird heute Vormittag das Bureau deSGeneral- ratbcö empfangen und alsdann das Pariser RatbhauS besuchen. — Pariser Blätter berichten, der Nationalist Dcniö habe eine Interpellation angekündigt, in der die Regierung befragt wird, ob Frankreich nicht in der Lage sei, ans Grund der Beschlüsse der Haager Conferenz zwischen England und Transvaal zu vermitteln. Es verlaute, der Minister des Auswärtigen Delcass« werde die Interpellation ab lehn en. Neber den Empfang deS Präsidenten Krüger in Frank reich wird der „Voss. Zkg." noch vom 24. d. M. geschrieben: Es ist nicht zu leugnen, daß die Ausnahme, die Präsident Krüger in Frankreich gefunden bat, eine fast über schwänglich begeisterte ist. Und eS handelt sich hier nicht um künstliche Mache. Auch diese kann Volkskundgebungen her- vorzanbern, aber diese täuschen keinen Kundigen über ihre Ausdehnung und Tiefe; der nur einigermaßen geübte Beobachter kann beinahe auf den ersten Blick sagen, wie viel die Hochrufe ungefähr kosten und woher die Reden, Blumen und Fahnen kommen. Dem Präsidenten der Südafrika nischen Republik wurden die Huldigungen deS Volkes frei willig entgegengebracht; an rbrem Schwung, an ihrer Heftigkeit konnte man die stürmisch schlagenden Pulse einer lief erregten Menge spüren. Den Anstoß zum Empfange haben rie Nationalisten und Antisemiten gegeben; sie haben auch den Nahmen zur Veranstaltung der BezrüßungS- und Einholungsscicrn geliefert. Aber die Bewegung ist weit über diesen Nahmen hinauSgeflutbet und ihren Urhebern über den Kops gewachsen. In Marseille nahmen die socialistischen Arbeitermassen an den Kundgebungen Theil. Hier in Paris mischte sich schon am Bahnhof die amtliche Welt, vertreten durch Herrn Crozier, den Ab gesandten deS Herrn Loubet, und Herrn Lupine, Len Polizeipräfecten, in die Abordnungen deS nationalistischen StadkratbS, und auf der Straße sanden die Patriotenliga, der Anlisemitenbund, die königstreue Jugend sich in einer ungeheuren Ueberzahl von republikanischen Hochschülern, frei sinnigen Bürgern und Proletariern ertränkt, die mit Hellem Elser und Ueberzeugung: „ES lebe Krüger! Hoch die Boeren!" schrien, so daß man nur ganz vereinzelt das „Tod den Juden!" hören konnte, womit die Nationalisten ihre Ausstellungen kenntlich zu machen suchten. Fragt man, welchen GemütbSbewegungen deS französischen Volkes der Andrang zum Bal nhof, der Jubel auf der Straße, die Umlagernnz des Hotels Scribe entsprechen, so wird man an erster Stelle den alten Engländerbaß erwähnen müssen. Es ist wahr, man bat nirgendwo diesen Haß unmittelbar be kundet, man bat nirgendwo „Nieder mit den Engländern!" ge rufen (?) aber trotz hochtrabender Redensarten der Leitaufsätze, die Krüzer'S Reise durch Frankreich besprechen, ist es nicht zweifelhaft, daß die meisten Leute, die auf den Wegen deS Präsidenten Hochrufe ausstießcn, ihrem Scbrei den Doppel sinn eines Pereat gegen England unterlegten. Freilich ist eS aber nicht Britenfeindscbafk allein, was die Menge bewegt. Sie bat tbatfächlich aufrichtige Bewunderung für die zähe Tapferkeit der Boeren und für ihr heldenmüthigeS AuSbarren im heiligen Kampfe für ihren Herd und ihr Volksthum. ID Die Malerin. Roman von I. Marsven Sutcliffe. Nachdruck vcrbct n. Fünfzehntes Capitel. Sorgenvoll ging Klaus in Winfricden's Empfangszimmer auf und ab. Wohin sein Auge fiel, sah er ihren feinen Geschmack bethätigt. Als sie sich damals in London niederließ, hatte sie auf seinen Rath hin ein kleines Haus ganz für sich gemiethet, jede andere Hilfe seinerseits aber abgclehnt. Statt, wie er ihr vorgeschlagen, in eine bessere Gegend zu ziehen, hatte sic sich für dies unscheinbare Haus sofort entschieden, nachdem sie den billigen Miethpreis erfahren hatte. Der Eigenthümer war gestorben, die Erben vermietheten es, wie es da stand, mit all den alten Möbeln darin, deren theilweise schäbiges Aussehen Winfriede nicht abschreckte, einzuzichen. Wie gut entsann er sich gerade dieses Zimmers! Und was hatte sie verstanden, aus dem kahlen Raum und den anderen kleinen, schlecht beleuchteten Gelassen zu machen! Nur im Empfangszimmer — das wurde er jetzt gewahr und nahm alle diese Einzelheiten wie etwas Neues und höchst Interessantes genau in Augenschein — hatte sich trotz einiger darüber gelegten Felle der alte, fadenscheinige Teppich nicht dazu bequemt, sein Dasein ganz zu verleugnen. Sonst aber war ein völliger Wechsel eingetreten. Stühle und Sessel trugen hübsche Decken, das Holzwerk war aufpolirt, die alte, verblichene Tapete verschwand hinter hübsch zusammengestellten Nippes, Wandtellern mit oder ohne faltigen Ueberwurf, hier und da aufgehängten Stickereien, Sträußen und waS es dergleichen an Wandschmuck noch mehr giebt. Fenster und Kamine waren mit Blumen und Topf gewächsen besetzt. Kurz, Geschmack und sorgsame Auswahl hatten mit geringen Kosten hier ein wahres Wunder geschaffen. Lange aber vermochten dies« Entdeckungen seine Gedanken doch nicht zu fesseln, der Vorgang im Atelier nahm ihn wieder in Anspruch. Ob der Baron wohl gelogen haben könnt«? Ob gleich er ihm Alles zutraute, glaubte er das nicht annehmen zu dürfen. Winfrieden's Schweigen über die bewußten drei Jahre war ja nun vollständig erklärt, und ihre Aeußerung, daß eine Ebe zwischen ihnen beiden unmöglich sei, ach, nur zu gut be gründet. Jetzt versuchte er sich auSzumalen, wie sie wohl Dem- nm'» Gattin hätte werden können, wie dann der Ekel vor dem Leben an seiner Seite sie ergriffen und zur Flucht hätte treiben müssen. Ihr Entschluß, auf seinen Namen Verzicht zu leisten und sich lieber allein durch's Leben zu schlagen, erschien ihm ganz natürlich, viel eher hätte das Gegcntheil ihn befremdet. Aber welche Enttäuschungen mußte sie erlebt haben, durch welches seelische Elend gegangen sein, ehe der für eine Frau so schwer wiegende Entschluß, sich vom Manne los und ledig zu sagen, in ihr zur That reifte. Er kam mit seinen Gedanken der Wirklichkeit ziemlich nahe, erwachte aber auch aus seinen Träumereien se^r unsanft zu der ihm so schmerzlichen Erkenntniß, daß Winfriede jetzt für ihn fast ebenso unerreichbar war, als wäre sie soeben gestorben. Mußte er das ganz widerstandslos hinnehmen? Gab's nichts, um diesen schweren Schlag zu pariren? Was ist eine Ehe ohne Liebe? fragte er und scheute sich nicht vor der fürchter lichen Antwort, die eine so bittere Wahrheit enthält, daß es den denkenden Menschen Wunder nimmt, wie jungfräuliche Keusch heit, die täglich auf dem Heirathsmarlte hundertfach verschachert wird, sich dem schmählichen Handel fügt und kaum noch ein Er- röthen dafür übrig hat. Andererseits, was kann die Erfüllung eines Brauches, eines Herkommens noch Hinzuthun zu einem von der Liebe geschlossenen als unauflöslich erkannten Bunde? Liebe bedarf keiner höheren Weihe, als daß sie in sich rein und keusch ist, das ist ihr allereigenstes Gesetz. Warum soll eine durch Lug und Trug von jugendlicher Unerfahrenheit erschlichene Hand lung «ine Vereinigung aus reiner, wahrer Liebe ausschließen und so zwei Menschenleben dauernd unglücklich machen? Was galt Winfriede ihrem Gatten, und was war er ihr? Durfte er über haupt in Betracht kommen als Hinderniß, mußten sic nicht viel mehr über ihn Hinwegstürmen, um sich freie Bahn für ihr eigenes Glück zu schaffen? War es für Winfriede nicht der Gipfel der Erniedrigung, für ihr Leben an einen Mann wie Denison ge fesselt zu sein? Und war nicht das andere, das neue, Win friede und ihn umschlingende Band, in welchem Liebe und Wahr heit herrschten, frei von jeder Erniedrigung? Giebt's für die Liebe eine Erniedrigung? Nein, die Liebe heiligt Alles! Da fielen ihm me Schranken ein, welche die Gesellschaft auf richtet. Wenn je eine Auflehnung gegen schnöde Tyrannei zu rechtfertigen wäre, so müßte — meinte er — sein Fall als ein solcher ganz vorwurfsfrei angesehen werden. Als er dann den Schrecken und das Erstaunen auf den Gesichtern, die verdammend erhobenen Hände geistig vor Augen sah, dachte er, wohin er wohl mit Winfriede fliehen könnte, um seinen Liebestraum dem Allen zum Trotz auszuträumen. Aber die Versuchung flog bald vorüber, wie der Hauch vom blanken Spiegel rasch verschwindet. Jeden Gedanken, an sein Ideal ein solche» Ansinnen zu stellen, wie» er weit von sich. Sie müßte ja vor solcher That ebenso zurückschrecken, wie jetzt vor dem Leben mit ihrem Manne, da sie dann noch weniger, als jetzt, ihr Auge frei erheben könnte, für die reine, die Wahrheit liebende Winfriede, die erste Bedingung jeglichen Lebens- und Liebes glückes. Wohl fielen ihm die Namen einiger berühmter Liebespaare ein, denen trotz Nichtachtung der gesellschaftlichen Gesetze ein reiches Glück in ihrem Zusammenleben beschicken war. Aber er selbst und auch Winfriede, das wußte er, waren der Wahrhaftig keit und Treue gegen sich selbst zu sehr ergeben, um diesem Gedanken auch nur eine Secundc länger noch nachzuhängcn. Seine Angebetete innerlich um Verzeihung bittend, suchte er jetzt nach wirklich ausführbaren Plänen, sie aus ihrer augen blicklichen, mißlichen Lage zu befreien. Plötzlich hörte er die Hausthür donnernd in's Schloß fallen. An's Fenster eilend, sah er noch, wie Denison mit zornentstclltem und rachebrütendcm Antlitz fortging. Es schien ihm danach angezeigt, sofort für Winfriede zu handeln. Im Atelier fand er sie auf einem Sopha kauernd, in völliger Verzweiflung, dem Sturm der sie durchwühlenden, widerstreben den Gefühle preisgegeben. „Winfriede, ich flehe Sie an, nicht diese dumpfe Verzweif lung! Sagen Sie mir, was kann, was soll, was darf ich für Sie thun?" Mit beiden Händen ihn abwehrend, seufzte sie: „Nichts, nichts! Mir kann Niemand helfen." Aber Klaus gab nicht nach. „Sind Sie in Gefahr? Wird er wiederkommen?" „Ich weih nicht. Er hat mir gedroht, mich mit Zwangs mitteln zu sich zurückzuholen. Er ist fort, aber Gott weiß, was er Schreckliches vor hat." „Wäre eS Ihnen vielleicht erwünscht, sich zunächst seinem Machtbereich entzogen zu sehen? Wenigstens, bis Sie einen Plan für Ihre Zukunft gefaßt haben?" „Oh! wenn ich das nur vermöchte", rief sie, sich an diese Hoffnung klammernd. „Dann überlassen Sie, bitte, mir alles Ucbrige. Ich werde die nöthigen Anordnungen treffen, und zunächst Ihre Zofe herein rufen." Klaus sagte der Zofe, Fräulein West wolle noch am heutigen Abend mit ihm nach Glen-Orloch zu Lady Falk reisen. Sie sollte dem Fräulein zunächst einen kleinen Imbiß bereiten, dann aber packen, auch sich selbst reisefertig machen. Die Zofe, eine alte Dienerin aus Lady Falk's Haus, die auf deren Wunsch mit Fräulein West au» Glen-Orloch fortzegangen war, that freudig, wie ihr geheißen. Klaus selbst eilte fort, einige für die nächsten Tage getroffenen Verabredungen abzusagen, und seinem Diener die erforderlichen Weisungen zu geben. Er war aber kaum aus dem Hause, als Winfriede ihre Zusage auch schon leid wurde. Nun sie sich gegenseitig erklärt hatten, schien es ihr eine unabweisliche Pflicht, zu seinem Heile, vielleicht noch mehr zu ihrem eigenen, schleunigst eine möglichst große Ent fernung zwischen sich und ihn zu legen, und sich irgendwo heimlich zu verbergen. Eilends setzte sie sich an ihren Schreibtisch und warf in fast fieberhafter Erregung folgende Zeilen auf's Papier: „Heißgeliebter Klaus, einmal in meinem Leben darf ich Dich gewiß so nennen, sieh nichi unfreundlich auf das, was ich jetzt thue. Ich bin nur ein armseliges, schwaches Weib, ohne großes Zu trauen zu mir selbst. Darum muß ich mein Heil in der Flucht suchen. Verfolge mich, biite, nicht. Das könnte nur Unglück über uns Beide bringen. Vergieb mir, und wenn ich auch fürchte, daß die Bitte vergeblich ist, vergiß mich. Hätte ich meinen richtigen Namen getragen, so wäre Dir viel Kummer und Herze leid erspart geblieben. Daß ich das nicht gethan, vermag ich mir selbst niemals zu verzeihen. Deine unglückliche Winfriede." Ganz, als ob's nach Glen-Orloch ginge, worauf sich die Zofe so freute, legte Winfriede Rcisekleidcr an und aß eine Kleinigkeit. Dann schickte sie die Zofe mit dem Brief an Klaus fort mit der Weisung, ihn persönlich in des Herrn Maclean Hände abzu geben. Sobald sie allein war, eilte sie auf die Straße, rief »ine Droschke vom nächsten Halteplatz, ließ ihr Gepäck durch den Haus diener herunterbringen, und gab dem Kutscher an, wohin er sie fahren sollte, ihm doppelten Lohn für rasches Fahren ver sprechend. Sechszehntes Capitel. Als Reginald die Straße erreicht hatte, kannte er sich kaum vor Wuth über die soeben erlittene schmachvolle Niederlage. Wie günstig waren die Umstände gewesen! Welch' schneidige Waffe hatte er in Händen gehabt durch das erlauschte LiebeSgeständniß seiner Frau. Sie war ihm ja auf Gnade oder Ungnade ver fallen, wenn er es nicht wahr haben wollte, daß sie selbst Klaus aller Hoffnungen beraubt hatte, sie je zu seiner Frau machen zu können. Es war, um rasend zu werden, wie tölpelhaft er sich durch sein Auftreten die Gunst der Lage verscherzt und sich er neute Blößen gegeben hatte. Aber nun erst recht, da er wußte, daß sie Maclean liebte, sollte sie zu ihm zurück. Seine Selbst sucht ließ keinen anderen Gedanken in ihm auflommen.
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