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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001214021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900121402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900121402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-14
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Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten («gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 25 (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung «0.—, mit Postbesörderung 70.—, Annahmeschluk für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« - halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 836. Freitag den 14. December 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Das deutsch-englische Abkommen. Dem englischen Parlament sind gestern Schrift- stücke über Vas zwischen Deutschland und England betreffs Chinas vom 16. October v. I. getroffene Abkommen zugegangen. In den ersten beiden Depeschen machen Graf Hatzfeldt und Lord SaliSbüry Mittheilung von der Zustimmung ihrer Regierungen zu dem Abkommen. Die übrigen Depeschen enthalten die Ani worten Rußlands, Oesterreich-Ungarns, Japans, Frankreichs, Italiens und «der Vereinigten Staaten auf Vie Modification oes Abschlusses des Abkommens. Alle st i m m e n den in dem Ab kommen zum Ausdruck gebrachten Grundsätzen z u ; Japan und Italien sind demselben formell beigetreten. Die Vereinigten Staaten nahmen, wie bereits bekannt, die ersten beiden Clauselu an, drücken hinsichtlich der dritten aber ihre Meinung nicht aus. Frankreich nimmt von dem Abkommen Notiz, stimmt den Principien bei, die es selbst zur Grundlage seiner Politik gemacht habe, sagt jedoch, daß Frankreich, wenn das Princip der Integrität Chinas 'durchbrochen wird, den Umständen gemäß handeln würde, um seine Interessen und Vertragsrechie zu schützen. Rußland stimmt in seiner Antworr den beiden ersten Clauseln zu, sagt aber hinsichtlich der dritten Klausel, daß jede Verletzung der Integrität Chinas Rußland zwingen würde, sein« Haltung zu modisiciren. Japan sagt in seiner Antwort, daß es nicht zögere, seinen formellen Beitritt zu erklären, nachdem eS von den contrahirenden Mächten die Zusicherung erhalten habe, daß Japaü, wenn es bcitritt, in derselben Lage sei, wie die übrigen Gignatarmächte. Don Interesse dürften die beiden Edikte sein, durch die die chinesischen Frie-enScommissare ernannt wurden. Sie sind zwar schon über zwei Monate alt, ihr Wortlaut aber wird erst jetzt bekannt. Das erste Edikt tragt das Datum des 31. August und lantet: Wir haben von der telegraphisch uns übermittelten Eingabe Li» Hung-Tfchang'S Kenntuiß genommen. Wir thun hiermit die Er» nennnng von Liu Kun-yi und Chaug Ehih-tung zu Unter» Händlern kund. Diese haben demnächst über die zu unternehmenden Schritte in gegenseitigen brieflichen oder telegraphischen Verkehr zn treten. DaS zweite vom 7. September lautet: Li»Hung»Tschang hat schon wiederholt um eine erneute Ent sendung von Prinzen und Würdenträgern alS Unterhändler gebeten. Wir befehlen daher, daß Prinz Ching schleunigst nach Peking zurückkehrt, um sich mit Liu Kun-yi und Chang Ehih-tung brieflich und telegraphisch zu gegenseitiger Bcrathung in Verbindung zu setzen. Gleichzeitig ermächtigen wir Jung-ln gemeinsam mit den genannte« Bevollmächtigten in Unterhandlung einzutreten. Es ist ihnen gestattet, nach eigenem besten Ermessen die Geschähe zu erledigen. Unter den DollmachtSurkunden fehlt bekanntlich das kaiser liche Siegel, sie sind also werthloS. Schatzgräber. Ein am 12. December in New Jork singetrosfenes Tele gramm aus Peking besagt: Vor einigen Tagen wurde den Engländern mitgetheilt, daß sich ein g r o ß e r S ch a tz zwanzig Meilen nordwestlich von Peking befinde. Heute gingen ein Oberst und 100 Mann ab, später wurden noch 50 Manu nach geschickt. Man glaubt, daß eine große Menge Goldsachen an elinem bsi der Flucht des Hofes bestimmten Orte vergraben wor den sind. Die Mittheilung stammt von einem früheren Hof beamten. iq Lucie. Original-Roman von Ferd. Gruner. Nachdruck »erdct-u. Sie sagte nichts, ihre Augen schweiften nur unwillkürlich zu der fast formlos gewordenen Masse des Zündhölzchenbehälters. Eichentreu folgte mit seinen besorgten Augen. Es war ihr, als sie verstohlen nach ihm lugt«, als ob in das graue Gesicht sich eine dunkle Blutwell« stürze, das fast blau erschien. „Mir wurde etwas schwindelig", stieß sie dann endlich hervor und griff sich nach der Stirn. Einen Augenblick hatten seine Augen finster geblickt, und die dünnen, abgestorbenen Lippen sich fest aufeinandergepreßt, daß dieser magere, erdfarbene Antlitz häßlich und abstoßend wurde. Hierauf entgegnete er, die besorgte Geberde beibehaltend: „Dann bitte ich, werden wir langsam diese paar Schritte hineinreiten. Ich dachte mir gleich, daß dieser scharfe Ritt in der rauhen Luft Dir nicht gut thun würde." Er legte die Hand auf ihren Arm. Aber sie schob sie fast hastig zurück. „Ich danke, ich danke, mir ist schon besser." AIS der alte Johann dann Frau von Eichentreu aus dem Tattel half, war sie in der That so schwach, daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte. Die verschlossene, devote Miene deS Diener- verrieth nicht im Entferntesten, daß er dies merke. Aber als er die dampfenden Pferde, um eine Verkühlung zu verhüten, im Hofe herumfiihrte, brummte er durch die Zähne: „Eine schöne Ehe da-. Schon am ersten Tage solche Gesichter. Weiß Gott, daß darau» noch ein großes Unglück weiden wird. Will die Augen offen halten, man weiß nicht, was geschieht." — Achte- Capitel. Kurze Zeit nach seiner Begnadigung war Max Horwart tn die Strafanstalt Kardorf überführt worden. Die weitläufige Gebäudeanlage, mit dem dreitheiligen Ein- gangSportale, das rechts und link» von kleinen Gärtchen flankirt wurde, erinnerte in dem durchaus modernen, fast villenartigen Stile der Vordergebäude keineswegs an seine ernste Bestimmung. Nur die hohen Mauern, welche rückwärts in einen, stumpfen Winkel zusammenliefen und mit Eisenspitzen gekrönt waren, Lowi« der Umstand, daß sämmtliche Fenster mit starken Eisen Tungsuhsiailg. Der „Central News" wird aus Shanghai gemeldet: Der Taotai Sheng versicherte 'dem englischen Generalconsul Warren, baß Tungfuhsiang wirklich Singanfu verlassen habe. Sheng beschreibt -den Abschied sehr .dramatisch belebt. Die Trennung von der Kaiserin - Wittwe sei besonders pathetisch ge wesen; di: Kaiserin habe ihre Thränen fließen lassen uns be dauert, daß Tungfuhsiang keine weiteren Dienste mehr leisten könne. Die Vaniltse-Biccküttigc und -er Hof. Den „Daily News" wird aus Shanghai unter dem 13. December telegraphirt: Der hiesige britische Generalconsul ist der Ansicht, daß die Viceköng: des Jangtse-Gebietes immer mehr Einfluß auf den kaiserlichen Hof gewinnen. Ihre Truppen sind zum Schutze deS Kaisers entsandt worden: dies wird dazu beitragen, ihren Einfluß zu einem vorherrschenden zu machen. Auch der Umstand, daß Tungfuhsiang nicht mehr in Singanfu ist, spracht für eine Besserung der Lage. Der Krieg in Ziidnfrikn. Tie KricgSkosten. In der gestrigen Sitzung des englischen Unterhauses wurde die zweite Lesung der Nachtragsforderung für den Krieg ange nommen. Im Laufe der Berothung erklärte der Kanzler der Schatzkammer Hicks Beach, es könnte wohl sein, daß auf ein oder zwei Jahre hinaus von Transvaal kein Beitrag zu den Kriegskosten erlangt werden könnte; er habe jedoch diese Mög lichkeit bei seiner Finanzpolitik in Betracht gezogen und cs so eingerichtet, daß in diesem Zeitraum verschiedene Änleihen derart fallen, daß die Regierung im Stande ist, darauf zu sehen, welche Lasten Transvaal auferlegt werden könnten. Der im Laufe der Debatte gemachte Vorschlag, eine di recte Steuer auf die Einnahmen aus den Mine n zu >lcgen, verdiene sorgfältige Beachtung. Er wünsche, daß Transvaal und Oranje beträchtlichzudcnKriegs- k o st e n b e i st e u e r n, die Regierung wurde jedoch nichts thun, die Industrie in Transvaal zu fesseln oder ihre Entwickelung zu hindern, andererseits werde die Regierung dafür sorgen, daß sie sich nicht durch unvernünftige Forderungen der Minen interessenten in ungebührlicher Weise leiten lasse. Eine Proclanmtiou des Pbcrbcfchlshabcrs Bocrcir. Das Amsterdamer „Handelsblad" veröffentlicht eine Pro- clamation von Louis Botha, dem Oberbefehlshaber der Bocren, die durch zwei Botengänger über die portugiesische Grenze gebracht und dann über Capstadt nach Holland gemeldet worden ist. Botha protestirt darin gegen die zahlreichen von den Engländern in Umlauf gesetzten falschen Ge rüchte; er ruft in Erinnerung, daß Schalk Burger während Krüger's Abwesenheit die Staatsgeschäfte leitet, und daß ihm der Staatssekretär und zwei Mitglieder des aus führenden Rathes zur Seite ständen. (Lucas Meyer und er, Botha selbst.) Sodann fordert er in feurigen Worten zur Fort setzung des Krieges auf, der durchaus noch nicht hoff nungslos sei. Nichts sei mehr zu verlieren, sondern Alles zu gewinnen. Wer aber jetzt die Waffen niederlege, der setze sich zwischen zwei Feuer, denn auch er werde künftig das Eigcn- thum solcher Leute nicht mehr respectiren. Ihm sei zu Ohren gekommen, daß die Engländer überallhin, wo sie Haufen be waffneter Bürger vermutheten, Briefe sendeten, in denen sie zum Niederlegen der Waffen aufforderten. Solche Briefe sollen künftig direct an ihn gesandt werden. Im. Oranjefrei- staat seien laut eingetroffencn Berichten noch 12 000 Bürger unter Waffen. Ben Viljoen würde nächstens mit 1200 gittern versehen, ließen den Unbekannten den Zweck des Hauses ahnen. So wenig düster das Aeußere der Strafanstalt erschien, so erschütternd war das bunte Gemisch von Menschen, welche hinter den Mauern mit schweren Strafen sühnten, woran sie sich einst an der Menschheit vergangen. Alle Laster waren in den meist finsteren oder stumpfen Gesichtern ausgeprägt, welch: di: uniforme, düstere Kleidung der Sträflinge mit einer gewissen Gleichförmigkeit ausstattete. Ein halbes Tausend beherbergte Kardorf an Sträflingen, und doch herrschte in dem großen Hause mit den breiten Corri- doren, deren schmucklosen, weißen Anstrich nur hier und da ein großes schlichtes Crucifix unterbrach, eisige Ruhe. Nachhallcnd brach sich der Schall der regelmäßigen, schweren Schritte der patrouillirenden Justizsoldatcn, klirrten die Ketten, wenn eine Zelle geöffnet wurde, um einen neuen Insassen aufzunehmen. Nur wenn die Kinder der Beamten oder Aufseher durch die Gänge trippelten, scholl lustiges Geplauder und munteres Lachen durch das Haus. Schweigsam war es auch in den Sälen, wo untrr steter Aufsicht die Berbrecher eine ihren Fähigkeiten und Kenntnissen nach Möglichkeit angepaßte Arbeit zu verrichten hatten. ES waren aber nur zumeist die schwächeren und nicht ganz gesunden, welche dort arbeiteten. Die kräftigeren Sträf linge wurden bei den Canalisationsarbeiten und bei der Ein lagerung der Röhren für die Wasserleitung der Stadt beschäftigt. Gar Mancher meldete sich dazu, in der heimlichen Absicht, den verzweifelten Versuch zu wagen, zu entspringen und dem ver haßten Hause zu entgehen, das Alle wenigstens ein Jahr, die Meisten Jahrzehnte, einige sogar für ihr ganzes Leben in der todtlichen Stille und unter eisernem Zwange begrub. Aber selten glückte ein solch waghalsiges Beginnen. Die Meisten brachte man kurze Zeit darauf wieder ein, Manchen sofort, mit zer schossenen Gliedern, wenn ihn die Wache bemerkt hatte. Auch an dem Tage, da Max Horwart in Kardorf eingeliefert worden, wurde rin alter Mann zurückgebracht, dem die Kugel de- Wächter-, da er sich gebückt hatte, in den Rücken gedrungen war, und den man nun sterbend in die Jnquisitenabtheilung transportirte. Der unglückliche Bildhauer hatte vor innerer Erregung gezittert, daß er umzustürzen drohte. Die rothen Tropfen, welche das Steinpflaster de» Corridors bedeckten, sie er innerten ihn immer nur wieder an das Eine, daß, um die Freibeit wieder zu gewinnen, dieser Alte sein Leben eingesetzt, find wie er die massiven Eisenstäbe in den Fenstern betrachtete, dem verglimmenden Abcndroth nachsah, da ergriff ihn mit brennender Sehnsucht da» Heimweh, nach Licht, nach Menschen, Mann an sehr günstiger Stelle von Neuem auftreten. Im Distrikt Pomatipoort habe er selbst den General C o e st e r mit 1000 Fußsoldaten zurückgelassen. Warmbad und Nijlstroom seien wieder in deif Händen der Boeren, und General Beyers verfüge über ein starkes Kommando. Ebenso General de la Rey, von dem gute Berichte eintrafen. Botha selbst sei gerade beschäftigt, im District von Middelburg eine Armee zu bilden und dem General Gravet zu übergeben; 1000 Mann seien bereits beisammen. Das Kommando von Heidelberg sei noch immer im District Lydenburg thätig. Botha schließt mit den Worten, daß, wenn Jeder seine Pflicht thue, der Herr zu seiner Zeit einen gesegneten Ausgang herbciführen werde. Merkwürdig ist, daß Botha nichts von Dewet er wähnt. * Lissabon, 13. December. („Reuter's Bureau".) Der portugiesische Gesandte im Haag traf heute bier ein und wurde von dem Ministerpräsidenten und dem Minister des Aeußeren empfangen. politische Tagesschau. * Leipzig, 14. December. Der Reichstag nahm gestern die Ankündigung, daß zur EtatSberathung noch weitere Commissarien vom Reicks- kainler angeordnet seien, mit schallendem Gelackter auf. Be greiflicher Weise; batten doch die anwesenden Mitglieder un mittelbar vor den Weibnachtsferien und der üblichen Verweisung des EtalS an die Budgetcommission nur sehr geringe Neigung, sich mit dem Etat zu beschäftigen. Dafür wurden allerband andere mehr oder wenig interessante Dinge weniger behandelt als berübrt. Für den anwesenven Reichskanzler war das Lehrreichste, daß die meiste» Redner von seiner vorgestrigen Antwort auf die Beschwerden des Abg. Prof. I)r. Hasse nickt befriedigt waren und in ibr nicht nur die Form, sondern auch die Lücke des Inhalts, die in Bezug auf einen über zeugenden Grund der Abweisung deS Präsidenten Krüger von Berlin gelassen worden war, zu tadeln fanden. Em pfindlicher aber nock, als dieser Tadel dürste den Grafen Bülow eine persönliche Bemerkung des Abg. Prof. I)r. Hasse selbst berührt baben, die in unserm Parlamcntsberickte leider fcblt und die wir hiermit nach der „Köln. Ztg." nachtragen, vr. Hasse erklärte nämlich: vr. Hahn und Herr v. Hodenberg baben mich gegen die Schärfe in den Ausführungen des Reichskanzlers in Schutz ge- iiommen. Ick hätte eS vorgezogen, wenn die Herren cs mir über- lassen hätten, das bei einer andern Gelegenheit zum Ausdruck zu bringen. Gestern habe ich darauf verzichtet, weil ich der lieber- zeugnng bin, daß ich dem Reichskanzler zu dieser Schärfe keine Veranlassung gegeben habe, und annahm, daß er vielleicht durch das llebermaß seiner Geschäfte außerhalb des Hauses so geärgert oder so überlastet gewesen ist, daß er fick dazu mir gegenüber hat hinreißen lassen. Durch diese Erklärung bewies der Vertreter Leipzigs, daß er d-m Herrn Reichskanzler im Buncte der Selbstbekerrsckung nnd der parlamentarischen Noblesse „über" ist. Die Kraft dieser Be- weissum». g avzuschwächcn, machte Gras Bülow keinen Versuch; >iuck unterließ er es, den bisher nickt erbrachten Beweis der Notbweudigkeit der Abweisung Krüger's noch zu erbringen, und so ist denn der Reichstag in die Ferien gegangen, ohne Lickt in das Dunkel dieser Frage gekrackt zu haben. Einige Blätter freilich wollen durch die vorgestrige Rede des Kanzlers darüber belehrt worden sein, daß daö Reich durch die Ab weisung Krüger's aus der schweren Gefahr einer „lieber- rumpelung durch Frankreich" errettet worden sei, andere aber nach Freiheit. Wie ein dumpfer Rausch kam es über ihn, er über hörte die Fragen, welche der Gefängnißdirector an ihn stellte, und selbst die scharfe Zurechtweisung, die ihm zutheil wurde, konnte ihn nicht ganz zur Besinnung zurückbringen. Erst als er in dec schmalen Zelle stand, durch deren hoch gelegenes Fenster nur mehr ein matter Lichtschimmer eindrang und ihn wieder Todtenstille umfing, wurde es einigermaßen ruhig in ihm. Freilich, dieses furchtbare Gefühl, das ihn be schlichen, als er das Gefangenenhaus betrat, wollte nicht ganz schwinden, aber die starke Hoffnung, daß er in Kurzem wieder frei sein werde, makellos vor der Welt dastehen, regte sich in ihm von Neuem. Es war ja kein Zweifel, daß draußen in der Welt ehrliche Freunde für ihn schafften, unablässig arbeiteten, seine Unschuld an den Tag zu bringen — besonders Lucic. Er hatte sie seit jenem Tage nicht mehr gesehen, da er Schloß Rawen mit dem Untersuchungsrichter Or. Rosen, als dessen Häftling, verließ. Er wußte, sie wollte sich und ihm die traurigen Scenen ersparen, angesichts neugieriger, oder wenigstens gleich- giltigcr Aufseher über das furchtbare Schicksal zu klagen, das über sie hereingebrochen. Allerdings wünschte er manchmal, daß sie gekommen wäre, ihm zu sagen, er dürfe einen Funken Hoffnung hegen, sein Geschick werde sich zum Besseren wenden. Aber sie kam nicht, und die Briefe, welche er recht spärlich von ihr erhielt, waren immer kurz und kühl. Wenn er sich auch sagte, daß sie in mädchenhafter Scham jedes wärmere Wort, jede Aeußerung der starken Liebe, die sie verband, vermied, weil sie wußte, daß alle Briefe vorerst geöffnet wurden, bevor er sie in die Hände bekam, so schien es ihm doch, als ob sich etwas Fremdes zwischen sie und ihn gelegt. Aus den eigenthümlichen Wendungen, die sie manchmal gebrauchte, klang es wie etwas Ungeahntes, Ungewöhnliches. Aber wie er auch fühlte, daß sie seine eigene Sache damit meine, er freute sich nicht darüber, ein Bangen stieg in ihm auf. Und wie die Andeutungen in ihren Briefen immer un begreiflicher und häufiger wurden, steigerte sich in ihm das Ge fühl unendlicher Verlassenheit, und mit heißen, feuchten Augen lag er diele Nächte wachend auf dem harten Lager der öden Zelle. So war rin Jahr vergangen, cs bäuchte ihm ein Jahrzehnt. Er wußte nichts von der Welt, von den Menschen, nur als Schnee draußen auf den Dächern lag, merkte er, daß e- Winter geworden sei. Und dann kam wieder der Frühling mit seinem Blühen und Sonnenschein. Von dem Blühen wußte er nichis, aber durch die Fenster, die nun geöffnet wurden, flurheie re in die schwüle, dunrpfe Luft der Arbcitssälc warm und klar herein. Gierig trank er die frisch« Luft, die wohl an Wald sinken an dieser Rede weder die Form noch den Inhalt, soweit er sich auf die Krüger-Affäre bezieht, zu loben. So schreiben die „Hamb. Nackr." in ihrem gestrigen Abenblatte: „Wir können der Rede, die der Abg. Haffe gestern im Reichs tage gehalten hat, die Anerkennung nicht vorrnthalten, Laß sie mit Maß, Geschick und Würde den Standpunct vertreten hat, den die Alldeutschen in Sachen der Boeren einnehmen. Augenschein! ch ist der Reichskanzler durch die Ausführungen diefes Abgeord- netrn erheblich irritirt und dazu verleitet worden, zu Anfang seiner Erwiderung ihm gegenüber einen Ton anzuschlagen, d:n wir bei aller Reservirtheit den politischen Bestrebungen des oll» deutschen Verbandes gegenüber doch nicht für angemessen und nützlich halten können. Wenn sich Fürst Bismarck, die welthistorische Persönlichkeit nnd der unerreichte Großmeister aller Diplomatie, zuweilen derartige Ironien gestattete, so war das gerechtfertigt und erzielte stets die beabsichtigte Wirkung, wovon u. A. Herr Eugen Richter ein Liedchen zu singen weiß, aber Graf Bülow soll doch immerhin erst noch zeigen, waS er kann, und deshalb würden wir es für richtiger halten, wenn er auf den scherzhaften Ton himmelhoher Ueberlegenheit fürS Erste noch verzichtete. Es ist überhaupt nicht ungefährlich, den Fürsten Bismarck „copiren" zu wollen, und LaS Citat: „Wie er sich räuspert und wie er spuckt", stellt sich da nur zu oft ganz von selbst ein. Auch die Neigung des Grafen Bülow zur humoristischen Behänd« lang der „Regungen der Volksseele" erscheint unS gegen über so ernsthaften und tragische» Ereignissen, wie die Vernichtung eines verwandten BolksstammeS durch die englische Herrschsucht zßnes darstellt, nicht ganz unbedenklich. Je vorbehaltloser wtz: die stricte Neutralität und die Vorsicht der deutschen Politik dem Boeren» kriege gegenüber als richtig anerkannt haben, um so weniger glauben wir, daß es nöthig ist, die abweichende Ansicht eines großen Theiles unseres Volkes kurzer Hand als „Bierbank-Politik" abzutkun. Graf Bülow entfremdet auf diese Weise der amtlichen Politik Deutsch, lauds leicht Sympathien, die doch immerhin werthvoll sind. Auch sachlich erscheint unS die geringschätzige Art, mit welcher neuerdings die Volksstimmnng behandelt wird, doch nicht ganz gerechtfertigt zn sein. Wer weiß z. B-, was aus Preußen geworden wäre, wenn die Erregung des Volkes zu Anfang dieses Jahrhunderts nicht Friedrich Wilhelm HI. mit sich forlgerissen hätte. Jedenfalls dürfte das wiederholte süffisante Zurückweisen der Volksstimmnng auf die Dauer um so weniger Zustimmung finden, je mehr man sich davon überzeugt, daß die Erfolge, welche unsere auswärtige Politik bi- jetzt auszuweisen hat, doch eine kritische Prüfung auf ihren wirk lichen Werth kaum vertragen." Und die „Tägl. Rundsch." findet, daß Graf Bülow, um sich der Notbweudigkeit des Eingehens auf die eigentliche Streitfrage zu entziehen, eines recht bedenklichen Mittels be dient habe: „Daß Graf Bülow bei dieser Beweisführung auch noch die Waffe geringschätzigen Spottes handhabte, um die Wirkung seiner Rede zu erhöhen, bedauern wir in diesem Falle gerade um der hohen Meinung willen, die wir von dem staatsmännischen Können des Grasen Bülow haben. Er mag diese Waffe gebrauchen, wo sich den Zielen seinerPolitikeine aufkleinlichen Motiven beruhende grundsätzliche Oppo- sition entgegenstellt. Gebraucht er aber solche Waffen auch da, wo ein Volksvertreter sich zum offenen Dolmetsch vielleicht augenblicklich irrender, aber ehrlicher und warmherziger Bolkskreise macht, deren Unterstützung jeder Minister grundsätzlich hoch anschlagen sollte, — und Blllthen gekost und nun ein unendlich zartes Aroma hatte, welcher nur Jener fühlt, der Tag um Tag an dicke Mauern ge fesselt ist und nur ein paar Stunden wöchentlich auf schmalem Raum mit hundert Anderen zusammen sich in der freien Luft bewegen darf. Max Horwart wurde in der Lischlereiadtheilung beschäftigt. Es war also eine verhältnißmäßig ganz leichte Arbeit, zudem man ihn, als man seine Geschicklichkeit bemerkte, Holzschnitz- arbeitcn zum decorativen Schmuck der Gerichtssäle ausführen ließ. Und doch ging er körperlich stetig zurück. Seine schlanke Gestalt wurde hager und eckig, das Gesicht nahm eine gelbliche Färbung an, während der Glanz seiner feurigen Augen verblick. deren Lider roth und entzündet wurden. Er verfiel einem lang samen Siechthume, das mit keinerlei physischen Schmerzen ver Kunden war. Achtlos, gewöhnt des zeitweiligen Zusammen bruches der Sträflinge, gingen Aufseher und Beamte darüber hinweg. Sie wußten ja, daß er für immer ein Gast dieses Hauses bleiben würde; wenn ihn also eine Krankheit dahinraffte, so war es besser für ihn, wurden seine Leiden früher beendet. Vielleicht, daß der Eine oder Andere einmal im Stillen bedauerte, daß diese geschickte Hand sobald erlahmen würde, daß ein Talent, vielleicht ein echter Künstler, hier verdarb. Monate waren nun schon verflossen, seit er eine Mittheilung von zu Hause erhalten. Eine dumpfe Resignation überfiel ihn und von Tag zu Tag erstarb die Hoffnung auf eine Aenderung seines Schicksales mehr in ihm. Ein Jahr — und schon hatten ihn Alle vergessen, erbarmungslos dem düsteren Hause überliefert. Es schüttelte ihn wie im Fiebcrfrost. Endlos war ihm der Winter geworden, wo so früh das Tageslich: erlosch, und endlos die Nacht war, diese quälenden Stunden, die ihm, statt Ruhe zu bringen, sein Innerstes auf wühlten und zermarterten, mit dem Gedanken auf Rettung Denn je mehr sein Hoffen erschüttert wurde, desto brennender wurde der Freibeitsdurst in ihm. So kam nun endlich der Frühling. Aus tiefster Seele jauchzte er ihm zu. Wenn die Sonne schien, wurde seine Hoff nung wieder stärker, kam Zuversicht in seine Seele. Allmählich legte er sich die Sache also zurecht: daß Niemand ihm schreibe, sollte die Ueberraschung, daß sich ihm die Thore öffnen würden, vergrößern. Plötzlich würde ein Brief kommen oder Lucie gar und man würde ihm sagen, daß er frei sei. Frei! Er zitterte, wenn er daran dachte. Frei! Ein Jubelruf aus innerstem Herzensgründe, mit thränendcn Augen nnd klopfenden Pulsen. Eines Tages wurde er von einem Aufseher hinüvergebracht zum Direktor der Anstalt. Als sie den Corridor entlang schritten,
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