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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-27
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Amts Klatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 27. December 1900. Anzeigen «Prei- die Kgespaltene Petitzeile 85 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiemiach« richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung«« und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra - Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morg«n-Au-gab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Sin Sonflict zwischen deutschen Soldaten und der städtischen Polizei von Shanghai. Der „Ostasiatische Lloyd" berichtet untrem 13. November über einen schon kurz erwähnten, mittlerweile wohl erledigten Zwischenfall: Am Freitag, den 9. November, Abends gegen 7 Uhr, haben in einem Theehause der North Honan Road zwei deutsche Sol daten mit dem Wirth Streitigkeiten bekommen und sich bei dieser Gelegenheit scheinbar in gewaltthätiger Weise aufgeführt. Der Wirth wandte sich um Hilfe an die zunächst gelegene Polizei station, von welcher alsbald ein Beamter und in dessen Be gleitung ein Civilist — dem Vernehmen nach ein ehemaliger An gehöriger der Polizei — eintrafen. Beide Männer setzten sich zu den Soldaten, begrüßten sie in freundschaftlicher Weise, nahmen auch eine Tasse ihnen angebotenen Thees an. Der Anzug des Polizeibeamten war nicht der übliche mit Helm. Der Mann trug vielmehr ein dunkeles Käppi, ähnlich dem der fran zösischen Soldaten, weshalb ihn auch die deutschen Mannschaften für einen französischen Kameraden gehalten haben wollen. Die Neuankömmlinge gaben den Soldaten bald darauf durch Worte und Gebärden zu verstehen, sie wollten lieber fortgehen und noch ein anderes Local aufsuchen. Diesem Vorschläge sind die deut schen Soldaten gefolgt; Arm in Arm mit ihren scheinbar neuen Freunden sind sie fortgegangen und nicht lange darauf, von diesen geführt, in einen nur mäßig erleuchteten Hof eingetreten, von dem mehrere Stufen zu einem Hause emporführten, das sie als das neue Local ansahen. Hier sind sie plötzlich von einer Anzahl Männer, auch uniformirten Chinesen, umringt worden, die sie festzuhalten und ihrer Seitengewehre zu berauben ver suchten. Die Soldaten haben solches Thun für einen Angriff auf sich gehalten, geglaubt, in einen ihnen gelegten Hinterhalt gefallen zu sein, und sich daher mit aller Kraft gegen ihre Be dränger gewehrt. Bei dieser Gelegenheit zog der anfangs er wähnte uniformirte Polizeibeamte seinen Revolver und schoß den einen Soldaten, der sich gerade nach einem Manne um wandte, der ihm das Seitengewehr entriß, von rückwärts eine Kugel durch die Brust. Der andere Soldat, dem gleichfalls sein Seitengewehr von rückwärts entrissen worden war, hat sich mit Händen und Füßen nach Möglichkeit zur Wehr gesetzt, ist aber schließlich überwältigt unv mit Polizeikniiiteln und Fäusten der artig zugecichtet worden, daß er, aus einer schweren Kopfwunde blutend, bewußtlos zusammenbrach. Soweit die thatsächlichen Ereignisse, zu denen der „Lloyd" bemerkt: Es ist Wohl als sicher anzunehmen, daß die Soldaten bei ihrem Verhalten im Theehause nicht ganz nüchtern gewesen sind und daher den ursächlichen Anlaß zu dem an sich durchaus berechtigten Einschreiten der Polizei gegeben haben. Ebenso gewiß aber muß man das ganze Verhalten der Polizeibeamien in dieser Angelegenheit als einmal unangemessen, dann aber auch die Befugnisse zum Waffengebrauch in gröblichster Weise über schreitend bezeichnen. Es liegt kein Grund vor, den Angaben der Soldaten zu mißtrauen, daß sie den sich im Theshaus zu ihnen sehenden Mann in Uniform für einen französischen Kame raden, aber niemals für einen Polizeibeamten gehalten hätten. Man denke sich nun in die Lage der Leute hinein, die des Glaubens sind, mit Freunden in ein neues Vergnügungslocal zu gehen, und auf einem schlecht erleuchteten Hofe plötzlich von Männern umringt werden, die sie festhalten und zu entwaffnen suchen. Bei nur einigem Nachdenken mußte sich der die Fest nehmung leitende Beamte sagen, daß ein solches Verfahren bei den Festzunehmenden den Glauben nicht nur ewecken könne, sondern geradezu wecken müsse, sie seien in einen Hinterhalt ge lockt worden, um beraubt oder massakrirt zu werden. Daß sie sich solches ruhig gefallen lassen sollte, ist denn doch etwas zu viel verlangt. Ebenso kann man unmöglich erwarten, daß sie die veränderte Situation sofort richtig erfassen. Daran hinderte sie, ganz abgesehen von der verblüffenden Plötzlichkeit, schon der Umstand, daß sie die fremde Sprache nicht verstehen konnten und allem Anscheine nach auch nicht ganz nüchtern waren. Der Versuch der Entwaffnung in der thatsächlich erfolgten Weise ist darum als mindestens in hohem Maße unzweckmäßig zu bezeichnen. Doch nun das Belastendste, der Gebrauch der Waffen durch die Polizeibeamten. Als Norm hierfür sollte doch wohl all gemein der Grundsatz gelten, daß Executivbeamte nur dann von ihrer Waffe Gebrauch machen dürfen, wenn es sich darum handelt, einen thatsächlichen Angriff abzuwehren, und auch dann hat die Art und Weise des Wafsengebrauches der Schwere des jeweiligen Falles zu entsprechen. Gegen diesen Grundsatz ist in gröblichster Weise verstoßen worden. Man hatte den Soldaten die Seitengewehre von hinten entrissen; sie waren also mehr oder minder wehrlos. Aus welchem Grunde man daher den einen Mann mit einem Polizei knüppel niederschlug und dem andern gar eine Kugel, noch dazu von hinten, durch die Brust jagte, ist schlechterdings nicht ein zusehen. Man hätte das, was man erreichen wollte, wirklich billiger haben können. Das Ganze erweist sich als ein Act empörender Brutalität, der — dessen können die Betreffenden sich überzeugt halten — seine volle Sühne finden wird. Der Schießer sitzt bereits hinter Schloß und Riegel und hat eine Anklage, die seinem Vergehen entspricht, zu gewärtigen. Neue Kämpfe. * Berlin, 26. December. Feldmarschall Graf Waldersee meldet aus Peking unter dem 24. December: Am 22. sind Fran zosen 22 Kilometer östlich Tbso-tschou (halbwegs zwischen Peking und Paotingfu) aus angeblich 2500 Mann chinesischer Truppen mit Artillerie gestoßen. Chinesen sind mit großem Verlust unter Zurücklassung von 5 Fahnen und 4 Geschützen in Richtung auf Kuan-Hsien geflohen. — Ebenso wie am 15. in Pungtsinghsien (das unterm 2l. gemeldete Gefecht der Colonne des Majors von Haine) handelt es sich voraussichtlich um neu ge- ammelte Reste schon zersprengter Truppen. * Peking, 26. December. (Meldung d.r „Agence Hi.vas") Tie Chinesen griffen eine sranzösische Truppenabtheilung in der Umgegend von Tschi-tschou (?) im Süden von Paotingfu an. General Bailloud schlug sie nach heftigem Kampfe, nahm die Stadt und steckte sie in Brand. Die Chinesen verloren etwa 1000 Mann; die Franzosen hatten keine Verluste. vhristcnmassacre * Die Londoner Blätter melden vom 2l. d. Mts. auS Peking: Wie Missionare berichten, haben die Boxer am 21. d. MtS. in einem Orte 35 Meilen östlich von Peking 12 Katholiken ermordet; 8 verbrannten in der Kirche. Die militärischen Behörden haben die Berfolgung der Sache in die Hand genommen. vom Untergang der „Gneisenan". Jetzt bringt die „Union Mercantil" aus Malaga vom 18. ds. eine zusammenhängende Schiloerung des Rettungswerkes am Molenkopf, die sich den bisherigen kurzen Angaben an reihen läßt. Die „Gneisenau" stieß auf und leckte um 10 Uhr 45 Minuten. Der erste, der an der Mole ankam, war Ange» Tou, der von der Seeeseite in einem Boote hinfuhr und, die Gefahr einsehend, möglichst schnell an Land sprang und sich dann nach dem Puncte begab, wo die „Gneisenau" aufgelaufen war. Vom Schiff aus warf man ihm «ine Leine zu, an der ein Tau befestigt war. Nachdem er letzteres an sich gezogen hatte, vermochte er es jedoch nicht festzumachen. Er stellte sich daher so auf, daß er das Tauende in der Hand behielt, während die an Boro sich mit den Händen daran Hinüberlüben. Auf diese Weise gelang es, fünfzehn Personen zu retten. Da sich dann aber drei Leute auf einmal an das Tau gehängt hatten, vermochte Tou letzteres nicht mehr straff zu halten, so daß die drei ins Wasser fielen und auch Tou hineingerissen wurde. Er vermochte indeß zwei der Deutschen zu retten, indem er sie zwischen die Steine stieß und ihnen dann heraushalf, wogegen der dritte^ ertrank. Unterließ waren an derselben Stelle angelangt: Ios 5 Sell 5 s, Führer des Dampfers „Marquös de Luque", Ramon Bur gos, Führer einer Barke, der Fischer Vicente Minguez, der Lotsengast Bernabö Guerrero und Iosö Andreu C o m p l e t o. Diese beschäftigten sich zunächst damit, das Tau in einem Ringe an der Molenmauer festzumachen, so daß nun die Mehrzahl der Besatzung sich mit größerer Leichtigkeit und Sicherheit retten konnte. Allerdings fielen dabei auch ^manche Leute ins Wasser, wenn in Folge der Schwankungen des Schiffes das Tau schlaff wurde oder plötzlich wieder straffte, so daß sie den Stoß nicht auszuhalten vermochten. Um diejenigen zu retten, die auf diese Weise ins Wasser fielen, machte Sellc-s die Leine, an dem das Tau zugeworfen worden war, an dem Ring an der Hafenmauer ebenfalls fest und warf nun diese Leine Den jenigen zu, die mit den Wellen kämpften; auf diese Weise ent gingen die Bedrohten der Gefahr, von oer Brandung wieder weg gespült zu werden, während andererseits die anLand Befindlichen sich beim Rettungswerk durch Festhalten an der Leine ebenfalls vor den brechenden Wellen sichern konnten. Da nur das eine Tau und die eine Leine zur Verfügung stanvcn, machten sich nun Diejenigen, die hier nicht mehr nöthig waren, mit der Ret tung Derjenigen zu schaffen, die zwischen die Riffe angespült wurden. An Bord schleppten sich an der Reeling auf Steuer bordseite — die dem Lande zunächst lag — die Mannschaften nach dem Fallreep und dem Bug, die den Riffen ganz naye waren, und suchten dann, an dem Tau herüberzukommen; es fielen immer welche zwischen den Strand unv die Riffe, unv bei oer Rettung an den letzteren waren mit A. Completo, Morique unv dem Lootsengast auch zahlreiche Deutsche thätig, die sich be reits gereitet hatten unv noch Kraft genug besaßen. Da man an Bord die Rufe vom Lande her nicht vernehmen konnte, auch die Leute, die von Lano den Schwimmenden Leinen zuwerfen woll ten, sich nicht verständlich machen konnten, nahmen sich Burgos, Selles und A. Completo einer Anzahl der Geretteten an und brachten sie vorläufig nach dem Lotsenhäuschen und den Fischer barken. Mittlerweile signalisirte die „'Gneisenau", daß sie unter gehe. Das Tau, das auf Steuerborvseite, wahrscheinlich am Mastwerk, festgemacht war, konnte nun nicht mehr zum Rettungs werke dienen, da es ganz unter Wasser war. Nun kletterten di: Mannschaften, die noch an Borv blieben, auf die Rahen unv die Mastkörbe, während Der Commandant und der erste Officier, die 'sich auf der Kommandobrücke befanden, die Masten nicht sicher zu erreichen vermochten. Bis dahin waren an dem Lau und mit Hilfe der Genannten über 200 Personen gerettet wor den; die noch gerettet wurden, nachdem das Schiff gesunken war, verdanken es den Marinebehörden. Der Commandant ver „Gneisenau" hatte mehrmals versucht, dem genannten Angel Tou seinen Degen zuzuwerfen; man weiß nicht weshalb, aber man vermuthet wohl mit Recht, daß er vamit dem Manne seinen Dank und seine Bewunderung aussprechen wollte, der für sich allein fünfzehn Personen das Leben gerettet hatte und dabei mit den drei Deutschen ins Wasser gefallen war; da Tou den Degen nicht zu fassen vermochte, warf der Commandant ihn einem Gendarmerie-Unterofficier zu- — Der Dampferführec SellvS wird als einer erwähnt, der stets in ein Rettungsboot springt, wenn ein Schiff oder ein Mann in Gefahr ist. Auch derObermatrose der Tabakgesellschaft, Lupiän Crespo, wird unter denen genannt, die sich am wirksamsten an dem Rettungswerk betheiligten. — Der Appell am Montag im Consulat war sehr bewegend. Aie Mannschaften standen in Abtheilungen gruppirt. Während Capitänleutnant Werner die Liste führte, riefen die Officiere die Namen ab; allzu oft erfolgte keine Antwort. Viele waren ohne Uniform; die Schiffs jungen, deren jugendliche Gesichter Trauer widerspiegelten, trugen vielfach die Jnterimsjacke der spanischen Soldaten; von den Cadetten war eine Anzahl in groben bürgerlichen Kleidern. Dem Appell wohnten die obersten spanischen Behörden bei. Der Platzofficier bot Kochgeschirr für 300 Mann an, was mit Dank angenommen wurde. Ueberhaupt. geht aus den Berichten der Zeitungen Malagas hervor, daß dort Hoch und Niedrig sich in der edelmllthigsten Weise unserer Landsleute angenommen hat. Daß auf deutscher Seite die Erkenntlichkeit auch äußerlich dem Opfermuth der Spanier entsprechen wird, daran zweifeln wir nicht. Die „Union Mercantil" vom Mittwoch enthält an hervor ragender Stelle eine Todesanzeige, die für Mittwoch, 10sH Uhr früh, das Begräbniß der bis dahin bekannten Leichen ankündigt. Als todt werden in der Anzeige angeführt: Der Commandant, zwei Officiere, ein Cadett und 34 Mann von der Besatzung, zusammen also 38, während nach späteren amtlichen Angaben 41 umgekommen sind. Dem telegrafischen Bericht über die Bei setzung des Kapitäns Kretschmann — andere Leichen waren bis dahin noch nicht angetrieben worden, — ist noch nach zutragen, daß nach dem kurzen Gebet des Pfarrers Kramm am Grabe der evangelische Pfarrer von Malaga, Eifert, die Kränze auf den Sarg legte, und zwar als letzten den des Capitänleutnants Werner, der dann eine kurze Ansprache hielt. Dann feuerte die spanische Infanterie den Trauersalut, Pfarrer Kramm sprach das Gebet, die Deutschen sangen einen Choral. In der Leichenrede pries Pfarrer Kramm Gott für die Rettung so vieler Schiffbrüchiger. Er schilderte in bewegten Worten das Unglück und gedachte des verblichenen Commandanten. Dann lobte er die opfermuthige Haltung der Bevölkerung MalagaS bei dem Rettungswerk und erwähnte, daß die ärmsten Leute ihre Kleider an die Schiffbrüchigen weggegeben hätten. Es sei ein Trost, daß die Leiche des Commandanten angetrieben worden sei. und nun in gastlicher Erde ruhe, wo Großmuth, Heldensinn und Opserfreudigkeit herrsche. — In den ersten Berichten hieß es, ein deutscher Officier habe sich aus einem Rettungsboot wieder ins Meer gestürzt, um einen untergehenden Kameraden zu retten. Auch war ein Franzose, Paul Lechat, genannt worden, der sich an dem Rettungswerk betheiligte. Es handelte sich bei den beiden Meldungen um eine und dieselbe Thatsache: Herr Lechat hatte sich am Ufer seiner Kleider entledigt und war in die Wellen gesprungen; er hat mehrere Schiffbrüchige gerettet. Der Leichenfeierlichkeiet am Mittwoch wohnte auch Consul Sprenger aus Madrid bei. — Wir erwähnten die Thatsache, daß einer der Schiffbrüchigen noch am Abend mit den Wellen in der Nähe des Molenkopfes kämpfte. Es war, wie sich heraus stellt, ein zu Hause häufig mit Preisen gekrönter Schwimmer. Mehrere Leute aus Aguila (Provinz Murcia) und Cartagena unternahmen das gefährliche Rettungswerk in einem Boote; wie gemeldet, brachten sie den Schwimmer glücklich ans Land. Wie die „Agencia Fabra" meldet, erklärt der Ma rine- commandant von Malaga es für unwahr, daß er Capitän Kretschmann auf die Gefährlichkeit des Ankerplatzes der „Gneisenau" aufmerksam gemacht habe. Die Schiffscasse mit 35000 cA in Scheinen und Münzen, die vom Schlamm schon theilweise arg beschmutzt waren, ist gerettet. Die überlebenden Officiere spen- Fenilleton. 4, Rauhfrost. Novelle von I. Fichtner. Na<bdruck verboten. „Jetzt kannst Du wieder in die Schule gehen", — Lottchen's Helle Stimme war es, die mit diesem Ausruf die weit ab schweifenden Gedanken der drei Erwachsenen in die Wirklichkeit zurückrief. Elli schrak förmlich zusammen. Der verklärte Aus druck ihres Gesichts wich einem ernsten, fragenden, ihre Augen richteten sich auf die Mutter. „Ja, ja! Du hast viel nachzuholen — indeß — mein kluges Mädchen wird dies in kurzer Zeit fertig bringen!" Sie strich ihr liebkosend über den Scheitel. Das junge Mädchen fühlte die liebevolle Ermuthiguna, Sie verstand die stumme Sprache des Mutterherzens, das ven Jugendpfad ihres Kindes tausendmal lieber mit den kleinen, unschuldigen Freuden eines sorglosen Dasein- schmücken möchte, als mit dem schweren, oft unverdaulichen, allen Frohsinn des Herzens erstickenden Wust unnatürlicher Gelehrsamkeit. Auch des jungen Mannes Herz durchzitterte wohl der gleicye Gedanke, denn mit Bück und Aus druck des Gesichts als mit den kurzen Worten fragte er: „Muß das sein?" „Ja — eü ist die Bedingung einer Anverwandten, »selche uns nur darum ihre Hilfe angedeihen läßt", sagte Frau von Kronau fest und fügte dann noch hinzu: „Und es ist auch mein Wille und der meiner Tochter!" Damit wollte sie jeden weiteren Einspruch beseitigen. Ludwig verstand sofort, und nun hatte er nur den Wunsch, es ihr so leicht als möglich zu machen. „Wollen wir mit einander wetteifern, Fräulein Elli? Treue Schulkameraden sein? Ich habe auch noch zu lernen!" Er streckte ihr die Hand entgegen, und freudig leuchteten ihre Augen in die seinen, und sie schlug tapfer ein. Von diesem Tage an hatte daS süße NichtSthun ein Ende. Allmorgendlich machte sitz Elli auf den Weg mit glänzenden Augen, glühenden Wangen und einer stillen, seligen Erwartung in den lieblichen Zügen, die sich nur zu oft bestätigte. Der „Zufall" fügte e> fast immer, daß sie ihm begegnete. Der Weg führte ihn ja gerade an ihrem Seminar vorbei, und dann war es rin Gruß, em Blick, eine Blume, die stumm, und doch so be redt, die beiden jungen Herzen immer mehr entflammte und zu einandet hinzog. Wenn der dockend« Professor alsdann di« Grundbedingungen zur Ausübung des ärztlichen Berufes immer wieder hervorhob und festnagelte und als unerläßlich ein klares Auge, eine feste Hand und ein freies Herz obenan stellte und trotzdem seinen besonderen Günstling Ludwig Stern den Anderen als ein leuchtendes Beispiel vorstellte, dann lächelte dieser wohl selig in sich hinein, denn vor seinem Auge stand doch nur ihr liebes Bild, in seinen Fingerspitzen vibrirte der Druck der ihren, und in seinem Herzen hatte die Liebe ihren Thron aufgeschlagen und regierte sein ganzes Thun und Lassen. Elli aber blühte wie der Frühling selbst, sie sang und jauchzte in erwachender Lebenswonne und war glücklich, ohne zu wissen, warum. Wochen und Monate schwanden im Fluge, und die großen Ferien standen vor der Thür. „Drücken Sie mir die Hand, Fräulein Elli, heute spiele ich den letzten Trumpf aus, um unsere Daseinsberechtigung", wollte er schon sagen, hielt aber sofort inne, als sie erschrocken dazwischen fuhr: „Ach, das leidige Examen — ich bekomme schon Herzklopfen, wenn ich daran denke, und zum Herbst komme ich auch d'ran!" „Schon? Nun, vielleicht kann ich es Ihnen ersparen!" Sie sah ihn fragend an, ohne ihn zu verstehen, er aber dachte wohl ein paar Jährchen früher sich den ausbedungenen Dank zu sichern. Noch war er gewohnt, mit ihr wie mit einem Kinde zu verkehren, einfach, ohne alle Etiquette, nur mit dem Zwange der Rücksicht, welche die Unterredung mit Frau von Kronau ihm auferlegt. „Wir werden uns wohl zwei, drei Tage nicht sehen, aber dann — heut' müssen Sie mir Glück wünschen und dann gratuliren, noch ehe ich nach Hause reise." „Das thue ich auch von ganzem Herzen — eS wird sich wohl gehören", rief sie leise, schon im Enteilen, denn sie sah einen ihrer Lehrer kommen. Sein Herz schlug vor stürmischem Verlangen, ihm war, als müsse er sie gewaltsam zurückhalten, sich heute schon seines Schatzes versichern. Noch einmal wandte Ellinor daS erglühende Antlitz ihm zu, nickend und grüßend, ehe st« hinter der hohen Pforte ver schwand. — „Laß Dich umarmen, Junge, Du hast Dich brav heraus- gebissen!" Mit diesen Worten trat ein größerer, hagerer Herr von der Aula der Universität Ludwig entgegen, „Vater — Du — so unerwartet?!" Freudig leuchteten die dunklen Augm auf und er streckte beide Hände Jenem ent gegen. „Hast un- langt genug di« Ehre Deine- Besuche» entzogen, da war es wohl Zeit, einmal nachzusehen, ob Dich denn wirk lich blos die angestrengte Arbeit zurückhielt. Nun — ich habe ja eben gehört, daß Du uns nicht getäuscht hast. Mutter unv Geschwister erwarten sehnlich den neuen Doctor!" Er sah sehr befriedigt aus, der alte Herr, trotz der vielen Sorgenfalten um Stirn und Augen, dem spärlichen, grauen Haar an den eingesunkenen Schläfen und dem herben, grämlichen Zug um die schmalen Lippen. Während der eben gesprochenen Worte war ein leises, verlegenes Roth in des Doctors Gesicht ! gestiegen; eine Erregung stieg blitzschnell in ihm auf: sollte er den günstigen Moment benutzen und seinem Vater Mittheilung machen, ihn um Gewährung — um seinen Segen «bitten zu seinem Vorhaben? „Ich denke, wir nehmen ein kleines Frühstück ein — Du kannst eine Erfrischung gebrauchen, hast sie redlich verdient." Damit schob der Amtsgerichtsrath Stern seinen Arm in den des Sohnes, der sich eilig von seinen glückwünschenden Freunden vcr.abschiedcte. Ludwig hätte gern den Weg zu Fuß nach dem bekannten und beliebten Weinrestaurant von Jensen zurück gelegt; ihn drängte es, an der Stelle vorllberzugehen — und sein ganzes Herz, nun noch erfüllt von dem glücklichen Triumph der letzten Stunden, zog ihn der einzig Geliebten entgegen, aber der alte Herr hatte noch seinen Wagen warten lassen, und so fuhren sie den kürzesten Weg rasselnd durch die belebten Straßen, ohne ein verständliches Wort wechseln zu können. Am Ziele angelangt, wartete der Herren eine angenehme Ueberraschung. Einer der aufwartenden Kellner, der jedenfalls Ordre erhalten hatte, führte sie in eines der lauschigen, kleinen Separatzimmer, in welchem ein prächtig mit Blumen ge schmückter, festlich arrangirter Frühstückstisch ihrer harrte. „Das ist ja ein kostbares Tischlein deck' Dich. Hat sich dies Wunder auf Deine Veranlassung vollzogen, lieber Papa?" fragte Stern zurr. „I wo! Solchen Aufwand treiben wir nicht, trotz glänzen der Promotion!" antwortete der Amtsgerichtsrath gut gelaunt und sich die Hände reibend. „Uebrigens habe ich eine kleine Ahnung, da» kann nur von Ärüning herrühren, ich benach richtigte ihn, daß ich auf ein paar Stunden herkomme. propos, wie kommt's, daß Du seit einiger Zeit dort selten verkehrst?" Der alte Herr hielt in seinem Rundgange inne und richtete durch seine Brillengläser einen scharfen, fragenden Blick auf den Sohn. Dieser fühlte sein Blut rasch und heiß zum Herzen wallen, doch wandte er sich mit offenem Ausdruck dem Vater entgegen. „Ich wollte Dir vorhin schon Mittheilungen machen, die vielleicht damit in Verbindung stehen; nun, da wir gerade un gestört sind, bitte ich Dich für einen Augenblick um freundliches Gehör." „Das ist ja eine recht feierliche Einleitung, ich hoffe, daß mein Sohn mir nichts Unangenehmes zu berichten hat, — setzen wir uns dazu." Ein leises, unbehagliches Mißtrauen lag in den kalten Worten, die nun pliHlickj jede herzliche Annäherung zurückhielten. Eben wollten die beiden Herren auf dem kleinen Eckdivan Platz nehmen, als es hastig an die Thür klopfte und dieselbe auch schon geöffnet wurde. „Das muß man gerade blos durch die Zeitungen erfahren, um noch post Lesturn seinen Glückwunsch anbringen zu können , suchte der Eintretende laut und lebhaft zu scherzen, indem er den ihm entgegeneilenden beiden Sterns die Hand zum kräftigen Freundschaftsgruß bot. „Nicht zu spät — im Gegenthril", wehrte der junge Doctor ab, indem er auf den Tisch deutet«. „Ja, bis in die Aula kann man damit nicht reisen; ich brachte Dein Billet mit der Zeitungsnotiz in Verbindung und erlaube mir, Dich hier abzufangen!" Der Fabrikbesitzer wandte sich damit an seinen alten Freund, der sich wie beobachtend zurückhielt und nun auch wahrzunehmen meinte, daß die zur Schau getragene Heiterkeit nicht so ganz von Herzen kam. „Ich brauche Dich doch nicht erst zu versichern, daß ich so wie so bei Dir vorgesprochen wäre, schon um Deine Tochter zu begrüßen, sie befindet sich doch wohlauf?" „Das könnte ich gerade nicht sagen — indeß, eS ist nicht von Bedeutung, und ich will hoffen, daß die Seeluft ihre gehörige Wirkung thut — sie ist nämlich schon drei Wochen fort — auf Norderney, künftige Woche reise ich auch. Doch nun — bitte — ich spüre Appetit!" Er hatte Alles hastig gesprochen, nun drängte er den Amts« ^erichtsrath auf den Stuhl, lud den Doctor mit einer Hand bewegung ein und vervollständigte dann selbst die kleine Runde. Mit freundlicher, drängender Nöthigung ließ er den beiden Herren gar nicht Zeit zu einer Frage, und die oargebotenen Ge nüsse übten auch eine beruhigende Wirkung auf den alten Herrn, während der jüngere unter Annrhmen und Ablehnen eine -«wisse Befangenheit zu verbergen suchte. „Glücklicher Mensch Du — kannst zur See gehen — frei lich; das kann man nicht haben — zu kostspielig für rin neunköpfiges Familienoberhaupt", brachte bruchstückweise der
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