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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-27
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101V2 beten 1000 für die Hinterbliebenen der Besatzung de» gleich zeitig untergegangenen Fischerbootes „Carmen". Die Madrider deutsche Colo nie sammelte 5000 Pesetas zur Belohnung der spanischen Seeleute, die sich bei dem RettungSwerke hervor- gethan haben; auch andere Sammlungen sind im Gange. Ver. schiedrne deutsche Colonien in Spanien sandten Kränze für die Gräber der Ertrunkenen. Sonnabend wurde die Gabe der Kaiserin vertheilt. Die hohe Frau schickte dem deutschen Eonsul 1000 -St für die Ueberlebenden der „Gneisenau", außer dem Jedem ihr Bild mit eigenhändiger Unterschrift. Der vor läufige Commandant der „Gneisengu" verlas der in Reih und Glied aufgestellten Mannschaft die Botschaft der Kaiserin, die mit donnerndem Hurrah begrüßt wurde. Ein Theil des Offi- lierrorps der „Gneisenau" bleibt vorläufig in Malaga. Ver Krieg in Südafrika. Lage in der Capcolonie. Lord Kitchener ist geoöthigt, abermals große Truppen» massen zu concentriren und das Kesseltreiben gegen die Boeren von Neuem zu beginnen. Erfolg wird er nur haben, wenn er das Gros seiner Armee im Norden der Capcolonie concentrirt und so in die Lage kommt, die kleinen Boereuabtheilungen, welche sich im ColeSberg- district und noch weiter westlich um das wichtige Proviant» und MunitionSdepol de Aar (an der Bahnlinie Capstadt- Kimberley), vor Allem aber südlich von Bethulie in den Zuurderg-Berge festgesetzt Haden, mit überlegenen Streit kräften zu umgehen und so zum Rückzug und endlich zur Capitulation zu zwingen. Die Trnppenconcentration dürfte freilich nicht besonders leicht von Statten gehen, da die Eiseobahudämme an vielen Stellen vom Unwetter und die Brücken vielfach von den Boeren zerstört sind. Be deutend in Frage gestellt wird der Erfolg der Operationen Kilchener'S weiter dadurch, daß es bei der planmäßigen Decentralisation der Boeren ein sehr ausgedehntes Gebiet ist, über das er seine Streitmacht vertheilen muß und daß er ge- nöthigt ist, einen großen Theil seiner Armee im Freistaat, wo de Wct den Zielen aus dem Busch spielt, und in Transvaal zurückzulassen, wo noch starke Boeren.'ommanvos, namentlich die unter Lelarey, sich furchtbar zu machen wissen. Entblößt er die mittleren und nördlichen Partien deS Kriegs schauplatzes zu sehr von Truppen, so werden dort die Boeren nicht verfehlen, mit erneuter und verstärkter Offensive ein zusetzen — und sie haben in letzter Zeit Glück damit gehabt — jo daß Kilckener sich gezwungen sehen dürste, von heute auf morgen erhebliche Hilfskräfte wieder nach Norden zu werfen, wodurch dann wieder den Boeren in der Capcolonie Lust geschaffen würde. Und dabei können ihm die Boeren mit Demolirunz der Eisenbahnlinien noch manchen bösen Streich spielen. Die neuesten Meldungen besagen: * Eradock, 25. December. (Meldung deS „Reutrr'jchen Bureau»".) Eine Truppenabtheilung mit sieben Geschützen ver trieb am 18. d. M. die Boeren aus den Bergen elf Meilen nordwestlich von Steynsburg; vier Engländer wurden verwundet. Die Boeren, welche verschiedene Todte zurück» ließen, zogen sich in die Zuurberg.Berge zurück, wo sie am 24. d. M. noch verschanzt gewesen sein sollen, ohne Aussicht, sich dnrchzujchlage». Die Engländer besetzten am 10. d. M. Steynsburg. * London, 26. December. Wie die „Daily Mail" vom gestrigen Tage auS Capstadt meldet, hat eine, wie rS heißt, in der Haupt» sacht auS aufständischen Capholländern bestehende feindliche Abtbeilllng, die den Oranjrfluß in der Nähe von Odendal-Drist überschritten hat, sich in den Zuurberg-Bergen verschanzt. Eine Truppenabtheilung ist entsandt worden, um sie zu ver treiben. Lord Kitchener zieht mit möglichster Beschleunigung Truppen in großer Stärke zusammen. — Nach einer Meldung der „Morning Post" aus Capstadt vom 24. d. M. haben sich im District von PhilippStown etwa 1500 Holländer den in die Capcolonie eingrrückten Boeren ange schlossen. — Wie daS „Reuter'fche Bureau" vom 24. d. M. auS Burg- Her S do rp meldet, stieß am 23. d. M. eine auS Husaren und Colonial-Truppen bestehende Abtheilung 15 Meilen nordwestlich von BurgherSdorp auf ein 300 Mann starke» Borrrulager und zog sich mit unbedeutenden Ver lusten zurück. — Die Blätter melden vom gestrigen Tage auS Lapsladt: Die Boeren griffen SteynSburg an, wurden mit großem Nachdruck zurückgeschlagen und flohen in die Zuurberg-Berge. * Eapstadt, 26. December. (Meldung deS „Neuter'schen BureauS".) ES verlautet, «ine Schwadron Peomanry, welche auf der Verfolgung der von BritStown zurückgebenden Boeren begriffen war, sei in eine Falle gerathen und habe einig« Brrluste gehabt. Der Rest der Schwadron sei gefangen genommen. Aubert» auf »er Heimreise; Präsident RrSger. * Madeira, 26. December. Frldmarfchall Robert» ist heute nach Gibraltar obgrreist. * Haag, 26 December. Herzog Heinrich von Mecklen burg empfing heute Nachmittag im königlichen Schlosse den Präsidenten Krüger und erwiderte Nachmittag den Besuch. Politische Tagesschau. * Leipzi», 27. December. Dir Tage der hohen Feste haben da» Gute, daß an ihnen in der Christenheit politisch nickt» „passirt", wenigsten» nickt» Gewolltes. So sind auch diese WeihnachtStage ruhig vorüber gegangen und die kleinen Memorabilien der Feierzert dürfen, ohne daß den Thatsachen Gewalt angetban würbe, musivisch zusammengesetzt werden. Vertrauensselige Leute werden ja wohl ein bedeutsames Borkommoiß verzeichnet finden: Der Prinz Tscking bat die Gewogenheit gehabt, die Forderungen der Mächte entgegenzunebmen und einen huldvollen Bescheid in Aussicht zu stellen. Ader diese Tbatsache dementirt die voraus geschickte Bemerkung nicht. Denn einmal sind die chinesischen Machthaber, die während deS Festes „gehandelt" haben, annock Heiden und werden es wahrscheinlich geraume Zeit, jedenfalls auch nack der Annabme des CentrumSantrags auf europäisch amerikanische Cbrislianisirung Chinas — die Japaner darf man dabei nicht in Anspruch nehmen — bleiben. Zweitens ist eS dock noch reckt fraglich, ob die Vereinbarung der Forderungen der Gesandten in Peking und ihre Ueber- reichung an den Prinzen Tsching den Karren in China auch nur zu einer einzigen Räderumdrehung „beflügeln" wird. Daß Li-Hung-Tichang bei dem feierlichen Acte ver Uebergabe des Strafantrags, über den leider der Angeklagte zu be finden bat, nicht zugegen gewesen, soll allerdings nicht als Symptom anzuscben sein. Man theilt uns mit und wir geben die Versicherung, wenn auch „ohne Gewähr", weiter, daß der bekanntlich bochdetagte Herr wirklich sehr leidend und sckwack fei. So viel von China. AuS Südafrika liegen wichtigere Neuigkeiten nicht vor. AuS dem In lande sind höchstens Preßäußerungrn zu ver zeichnen. Eine derselben gilt uns persönlich und soll hier abgetban werben. Die „Deutsche Tageszeitung" will es nicht wahr haben, daß die agrar - conservativen und, wie hinzuzufügen ist, die nurantisemitischen Zeitungen den Berliner Hypotbekenbankensckwindel nicht so behandeln, wie sie gethan haben würden, wenn die Schuldigen nicht über wiegend conservativ orthodoxe Leute wären, respective sich als solche — das aber mit vielem Erfolg — aufgespielt hätten. Wir hatten, als wir diese differentielle Bebanbluug fest stellten, das Organ des Bundes der Landwirthe gar nicht in erster Linie im Auge gebabt. Da eS sich aber besonders getroffen fühlt und auch seinen Gewissens zustand dadurch verräth, daß es in von ihm beliebter, auch sonst auf Irreführung der eigenen Leser berechneten, unwabr- baftigcn Unvollkonimendeit deS CilireuS gerade auch daS unterdrückt, was den Bund der Landwirtbe zunächst angedt, nämlich die im „Leipz. Tagebl." hervorgehvbene Schädigung kleiner Landwirtbe, so stehen wir nicht au, zu erklären: auch die „Deutsche Tagesztg." behandelt, wie andere konserva tive Blätter, den Fall Sanvcn-Schmidt extensiv und intensiv sehr viel spärlicher, als sie verwandle Fälle, be sonders den Fall Sternberg, behandelt und ausgebeutct bat. Daß diese Zurückhaltung auch dem radikalen Agitator Iustizratd Munckel, ter Mitglied des AufsichtSratbes der Preußischen Hypothekenbank ist, zu Gute kommt, ist eine be lustigende Nebenerscheinung, die aber nichts an dem Unbeile ändert, baß conservalive und antisemitische Blätter gegenüber dem Hypothekenbankenkrach ihre Veralt- gemeinerungSsucht in einer Weise verleugnen, die ihnen gewiß nicht nachzurübmen wäre, wenn die Hauptschuldigen Liberale sein würden und wenn sie gar statt Eduard und Friedrich Isaak und Isidor hießen. Ein aufrichtiger Volksfreund aber, mag er im Uebrigen auch daS Bestehen einer Iudensrage anerkennen, darf die Sünden christlicher VolkSschädlinze nicht milder beurtbeilen als die jüdischer; am allerwenigsten darf er den Sckwefelgestank, der von den Unlhaten eines nichtjüdiscken Betrügers auSgebt, vertreiben wollen durch eine tendenziöse Verstärkung des PechzeruckS, die die Schlechtigkeiten eines Juden verbreitet. DaS ist aber angesichts der Concurrenz der Fälle Sanden und Sternberg, welch Letzterer übrigens nickt als Jude geboren ist, im reichlichen Maße ge schehen. Wir erinnern unS bei dieser Gelegenheit eine» Ausspruchs, den Anfangs der achtziger Jahre ein nichts weniger als philosemitisck gerichteter Universitäts lehrer gethan hat und der lautete: „DaS eigentlich Be trübende an der Tbatsache, daß Juden unter un» wohnen, ist, daß, wenn wir unS als Nation versündigen, wir in der Judenschaft immer einen Sündenbock bei der Hand haben, mit dem der gute Deutsche sich vergnügt über die eigene Verschuldung hinweglügt." Wirkliche Patrioten sollten, ohne Rücksicht auf ihre Partei- und StandeSinteressen, prüfen, ob an diesem Worte nicht etwa» Wahre» ist. Zu dem vorläufig abgeschlossenen und zu dem «ingeleiteten SensationSprocesse trat unmittelbar vor Weihnachten eine Wiederholung de» Proceffe« Dasbach. DaS Urthcil wäscht den in der ersten Instanz als Kläger arg mit genommenen geistliche« Geschäftsmann mit großer Beflissen heit rein, e» nimmt sogar an, daß nicht viel dabei zu finden sei, wenn ein Priester fick auseiuandersetzrn lassen muß, warum man c» in einem bestimmten Falle vorzieht, ibn nickt zu ohrfeigen. Der RecktSbeistand deS Gegner» deS Herr« Caplan» meinte, das Gericht habe „auS einer gewissen Stimmung heran»" Entscheidungen gefällt! Was da» für eine Stimmung gewesen sein mag? Unmittelbar vor dem Feste bat der ofsicivse Telegraph die Aufmerksamkeit auf einen Artikel der „Nordd. Allgem. Ztg." über den Gutscheinhandel lenken zu sollen geglaubt. Warum, das ging aus dem osficiösen Auszüge nickt hervor und läßt fick aus dem jetzt vorliegenden Wortlaute ebenso wenig erkennen. Dieser ist der folgende: „Vor den Schädigungen durch Las als Hydra», Gella- oder Gutjcheiuhandrl benannte System deS Waareiivertrirbs ist daS Publicum wiederholt in der Presse, so auch ia den Nummern 169 und 180 unseres Blattes, gewarnt worden. Es bestand di« Hoffnung, dadurch einer weiteren Verbreitung des bezeichneten Geschäftsbetriebes Vorbeugen zu können. Diese Wirkung baden von der Warnung betroffene Händler abzn- schwächen versucht, indem sie in Form von Inseraten Berichts beschlüsse veröffentlichten, Lurch welche da» gegen sie eingeleitete Strafverfahren mit der Begründung, daß ihr GeschäftSgebahren gegen gesetzliche Bestimmungen nicht verstoße, eingestellt worden war. Ter Zweck dieser Veröffentlichungen geht offensichtlich dahin, daS Publicum in den Glauben zu versetzen, daß da» angefochtene Berkaufsjystem durch die Gerichte als zulässig anerkannt und gebilligt sei, aus diesem Grunde als reell gelten müsse und deshalb in keiner Weise beanstandet werden dürfe. Eine solche rein sormalrechtliche Auffassung kann für die wirthschastiiche Bedeutung der Frage nicht entscheidend sein. Das Geschäft deS Wucherers galt auch schon zu Zeiten, in denen der Wucher noch nicht unter Strafe gestellt war, als verächtlich; daS Inverkehrbringen gefälschter Nahrungsmittel wurde stets als ein unreelles GeschäftSgebahren erachtet, obschon bis zum Erlaß des Gesetzes vom 14. Mai 1879 die vorhandenen Straf bestimmungen nicht ausreichtcn, um die im Verkehr mit Lebens mitteln vockommenden Unredlichkeiten, welche sich dem Betrüge sehr näherten, strafrechtlich zu treffen. Auch die Anwendung des mehrsach geschilderten Gutjcheinsystems nähert sich sehr dem Betrüge, ohne jedoch, wenigstens in der Regel, alle Tbatbestandsmerkmale des Betrugs zu erfüllen. Daß die Strafgesetze z. Z. keine ausreichende Handhabe zu bieten scheinen, um gegen Gewerbetreibende, welche sich Las Gutscheinsystem zu Nutze machen, mit Erfolg vorzugehen, hat der Reichskanzler in einem Bescheid an den Vorstand des Deutschen Uhrmacherbundes vom 7. Juli d. I. ausdrücklich betont; in demselben Bescheide hat er aber auch Liesen Geschäftsbetrieb, durch den unverkennbar das Publicum und reelle Gewerbetreibende geschädigt würden, als „höchst bedenklich" bezeichnet. Es fragt sich nun, ob der Umfang, den das Hydrasystem erreicht hat, ein Einschreiten der Gesetz gebung im öffentlichen Interesse erforderlich erscheinen läßt, oder ob es sich nu: um eine mehr oder weniger vorübergehende Erscheinung im WirthjchastSleben handelt, die von selbst verschwin den wird, wenn das Publicum auf die bedenklichen Seiten dieses Systems hingewiesen ist und dann anfhört, nach demselben sich ausbruten zu lassen. Letzteres sollte Lurch die bisher erlassenen Warnungen offenbar erreicht werden; ob dieser Zweck wirklich er reicht ist, mag dahingestellt bleiben. Im Anschluß hieran sei bemerkt, daß vor Kurzem Im Reichstage von den Abgeordneten Gröber, vr. Lieber, l)r. Pichler u. Gen. ein Antrag ein gebracht ist, die verbündeten Regierungen um Vorlage eines Gesetz» rntwurfS zn ersuchen, durch welchen das sogenannte Gutscheinsystem (Gella-, Hydra», Schneeball- oder Lawinensystem) beim Berkaus» von Maaren verboten wird." Jedenfalls ist auö dieser Auslassung nicht zu ersehen, ob der BunteSrath ein Einschreiten der Gesetzgebung gegen das Gurscheinsystem für erforderlich erachtet oder nicht und welche Stellung er demgemäß zu dem Anträge Gröber u. Gen. zu nehmen gedenkt. Wünscht er Antwort auf die Frage, ob der Zweck der bisher erlassenen Warnungen erreicht worden sei oder nickt, so hätte er eine Erhebung veranlassen sollen, denn eS ist nickt wahrscheinlich, daß Vie ofsiciöse Auslassung wie ein Aufruf wirken und zur freiwilligen Einlieferung zahlreicher und erschöpfender Gutachten führen werde. Bei der Be- ratbung veS Antrags Gröber wirb daher dem Bundesrathe der Vorwurf nicht erspart werden können, daß er die Schritte unterlassen habe, die ihn in den Stand hätten setzen können, die Frage zu lösen, die er durch die „Nordd. Allgem. Ztg." als eine offene bezeichnen läßt. DaS Auswärtige Amt in London hat soeben «in sehr interessante» Memorandum über den Handel zwischen Großbritanntea und den Nietzertande« veröffentlicht, welche» von dem Handel»-Attache der britischen Gesandt schaft im Haag versaßt ist. Ein nickt unbeträchtlicher Theil de» BericklS ist dem deutschen Wettbewerb gewidmet. Britische Firmen, so wird der „Münchner Allg. Ztg." zu folge ausgeführt, sind thörickt genug, Ausländer als Geschäftsreisende in Hollanv zu verwenden, und zwar thun sie da», weil englische Reisende gewöbnlick keine Kenntniß fremder Sprachen haben. Jene ausländischen Geschäftsreisenden legen ihren Kunden die Preislisten der von ihnen vertretenen britischen Firmen vor, und wenn die Kunden die Preise der von ihnen gewünschten Artikel zu hoch finden, so zieben jene die Preislisten „sogenannter anglo - amerikanischer Waaren" hervor, die aber meistens deutsche Erzeugnisse von niedrigerem Preise und geringerer Qualität (?) sinv. Auf diese Weise gewöhnt sich der Kunde daran, deutsche und andere Fabrikate zu kaufen, wo er früher britische Fabrikate kaufte. So weuigstens stellt der britische Attache den Vorgang dar. Außerdem ziebt aber Mr. Gastrell drei Gründe dafür an, wie es kommt, daß deutsche Artikel die britischen verdrängen, nämlich 1) weil die Deutschen meist ständige Vertreter in Holland haben, 2) weil sie die Preise einschließlich Trans portkosten und Steuer angeben, und 3) weil sie die Ver packungskosten niedriger berechnen als britische Firmen. Ein diesiges konservatives Blatt bemerkt zu dem Bericht deS britischen Attaches: „Zufolge der groben Manieren der Holländer mag vielleicht gegenwärtig bei un» wenig Be geisterung dafür vorhanden sein, mit Holland Geschäfte zu machen, aber diese Punkte sollten von unfern Kaufleuten doch berücksichtigt werden, da sie von einem Beamten kommen, der diese Frage sorgfältig untersucht hat." Zum Nachfolger de» Fürsten JmeretinSky auf dem Posten des General-Gouverneurs von Warschau soll der ehemalige Minister deS kaiserlichen Hause» unter Alexander III., Graf Jllarion Iwanowitsch Woronzow-Daschkow, ausersehen sein. Unter Alexander HI. galt, wie die „Tgl. Rdsch." mittheilt, Woronzow-Daschkow al» eine Säule der RussificirungS- parlei. Al» Stabschef de» Gardecorps, dessen Obercomman- dirender Alexander III. war, verstand es Woronzow-Daschkow, da» Vertrauen Alexander'» III. sich zu erwerben, aus den er später großen Einfluß übte als Theilnehmer an den Expeditionen nack Central-Asien; al» Gehilfe deS Gouverneurs von Turkestan und als Adjutant des ehemaligen Chefs des Kaukasus erwies sich Woronzow-Daschkow al» schneidiger Ofsicier von großer militärischer Tüchtigkeit. Diese Sckneidig- keit bekundete er auch in seiner Stellung als Minister. Als Nachfolger des Fürsten JmeretinSky dürfte Woronzow-Dasck- kow eine stramme Politik den Polen gegenüber betreiben, zumal seine Individualität in den Grundsätzen der Moskauer Nationalpartei wurzelt. Eine radikale Aenderung der Polen politik des Fürsten JmeretinSky dürfte er dennoch nicht vor nehmen, weil diese Politik vom Zaren Nikolaus II. gutgebeißen und gebilligt wurde. Außerdem bat das Verhalten des Fürsten JmeretinSky gezeigt, daß die feste Angliederung des Weichsel- Gebietes an Rußland sich mit den Mitteln GurkoS und Apuchtins nicht bewerkstelligen läßt. Graf Woronzow- Daschkow, der gegenwärtig im 63. Lebensjahre steht, ist einer der reichsten Aristokraten Rußlands, wodurch ihm die Möglich keit geboten ist, sein Ansehen in Warschau zu erhöhen. Deutsches Reich. * Berlin, 26. December. Unter der Ueberschrift „Kirchenbaugelder und Spielbagen-Banken" ver öffentlicht das „Kl. Journ", dessen Beziehungen zum Frei herrn von Mirbach bekannt sind, einen Artikel, der wohl eine Rechtfertigung Le» Oberhofmeisters darslellen soll. Es heißt darin: Wir sind ermächtigt, Angesichts der Zeitungsnachrichten und Gerüchte, welche die Person und die Stellung des Obcrhof- meisters der Kaiserin, Freiherrn von Mirbach, betreffen, auf das Bestimmteste zu erklären, daß diese Ausstreuungen ab» solut erfunden sind und jeder thatsächlichcn Begründung entbehren. Der nunmehr ia Haft befindliche Commerzienrath Sanden hat e» allerdings verstanden, ave Personen, welche Beziehungen zu ihm unterhielten» in Bezug auf seinen wirklichen Charakter und die Lage der von ihm geleiteten Unternehmungen aus das Gründlichste zu täuschen. Diese Thatsache wird treffend dadurch illustrirt, daß, als er sich im vorigen Jahre bereit finden ließ, ein Mandat für die Ge meindevertretung Potsdams anznnehmen, die dortigen Behörden, die Geistlichkeit, die Beamten und die ganze Bürgerschaft sich zu diesem Schritte des „geachteten" Mannes beglückwünschten und Len Eintritt Sanden'» in das öffentliche Leben mit freudiger Genugthuung, ja mit wahrem Jubel begrüßten. Was Herrn v. Mirbach an belangt, so ist Lieser schon im Januar d. I. von privater Seite vor der Preußischen Hypothekenbank gewarnt worden. Er erachtete eS daher damals als Schatzmeister ver schiedener Kirchenbaufonds für seine Pflicht, bei den obersten Rath hervor, während er wie ein echter Gourmet langsam und mit Behagen die für ihn nur seltenen Delikatessen verspeiste. „Ich möchte schon gern Deine Familiensorgen mit Dir theilen." „Thust Du ja auch — thust Du ja auch — alter, lieber Freund!" Der Rath klopfte dem reichen Mann liebevoll auf die Schulter, während ein feuchter Schimmer in den Augen seine Brillengläser trübte. Dem Doctor wurde bei dieser gemüthlichen Annäherung recht ungemüthlich heiß. Eine beklemmende Ahnung über die weitere Entwickelung dieses Themas bcnahm ihm den Appetit. „Also — Deine Tochter — Deine Einzige, ist krank? Aber gefährlich ist es doch nicht?" Grüning schüttelte energisch mit dem Kopfe. „Nicht doch — etwas Nerven — weiter nichts." „Ludwig — wofür bist Du Arzt? — Da winkt Dir gleich eine lohnende Praxis!" — Ein Seitenblick, auffordernd und ermunternd zugleich, traf den Doctor, der sich tief über seinen Teller neigte. Der Fabrikherr aber griff hastig in den Cham pagnerkühler, ließ den Pfropfen knallen und sagte, während er den schäumenden Geist in die Gläser füllte: „Ja — obwohl es etwas barbarisch klingt und gegen mensch liche Rücksichten verstößt, es bleibt uns nichts übrig — wir muffen anklingen auf eine — gesegnete Praxis, wir wollen zu unserer Ehrenrettung dabei annehmen und es dahin ver stehen, daß der neue Jünger Aeskulap's Alles gesund mache, was trank ist, Leib und Seele, Herz und Gemüth unserer kranken Mitmenschen!" Er hatte hastig gesprochen und stieß nun sein Glas mit Hellem Klang an das des jungen Doctors, der mit geheimer Angst kräftig Bescheid that. „Mein Erster und Nettester wird mir doch keine Schande machen!" Die losen Geister machten den Amtsgerichtsrath ganz gegen seine sonstige Gewohnheit redselig und mittheilsam. „Weiß Gott, was er mich gekostet, wenn Du nicht wärest, Alter", wieder bekam Grüning einen freundlichen Rippenstoß, — „wahrhaftig, die Kerle hätten mir nicht ein einziges mehr gelassen!" Er strich mit komisch zärtlicher Geberde über den dünnen Haar scheitel. „DaS wird nun besser werden, lieber Vater, der Anfang vom Ende ist heute gemacht", lenkte der Doctor ein, den Augen blick ersehnend, wo er sich von den beiden alten Herren brücken konnte. - „Nur noch «in zu liMger Zipfel! — Donnerwetter, fünf Jungen standesgemäß erziehen — waS da» heißen will, da» erfaße ich all« Tag« außer an meinem Portemonnaie auch an meinen Nerven. Blut schwitzen könnte man dabei — und dazu noch drei Mädels!" Der letzte Stoßseufzer wurde mit einem schäumenden Chanzpagnerkelch hinunterbefördert, und der vom Glück so begünstigte Fabrikant rief lachend: „Recht so, alter Freund!" „Ja, wo willst Du denn jetzt Dein Zelt aufschlagen, Junge? Da wir gerade so hübsch zusammen sind, könnten wir ein Plän- chen entwerfen. Wie ist's, Grüning, hast Du in Deinem Palaste nicht ein Eckchen übrig, wo er seine Gerippe aufstellen und den Wallfahrtszug der Patienten empfangen könnte?" Der junge Doctor schrak förmlich zusammen; er merkte, daß sein Alter immer gemüthlicher wurde und sich nun, zu frieden und gesättigt, zur weiteren Debatte herausfordernd, zurücklehnte. „Hm, das ließe sich schon machen!" stimmte Grüning ge fällig bei. Ludwig aber zog mit Ostentation die Uhr und rief aufspringend: „Wenn Du mit dem nächsten Zuge zurück willst, so hast Du nicht mehr viel Zeit. Uebrigens denke ich einige Jahre als Assistenzarzt in irgend einem Hospital unterzu kommen." „Papperlapapp, — jetzt sprechen wir, und daß ich ohne Dich nicht fahre, weißt Du — also gehe, packe Deine Sachen und hole mich hier ab!" Etwas mißtrauisch über die weitere Entwickelung der Unter haltung zwischen den beiden alten Freunden, verließ der Doctor das Local. Einige Schritte ging er wie träumend im glänzen den Sonnenschein, dann trat er schnell entschlossen an eine Droschke, rief dem Kutscher Straße und Nummer zu und stieg ein, zur schnellen Fahrt mahnend. Es war gegen 3 Uhr; ganze Schaaren lüft- und lichtbedürftiger Menschen strömten aus den Häusrrmassen hinauf in den Stadtpark, Ludwig Stern hatte kein Auge dafür, ihm war, als dränge eine unsichtbare Gefahr zu eiligem Wort hinaus in das kleine, dunkle Stübchen, das für ihn allen Sonnenschein des Lebens barg. Der Wagen hielt, er sprang hinab, und ohne feste Absicht, unklar darüber, was er eigentlich wolle, schritt er eilig in das Haus. Nur sehen, sehen mußte er sie, sich am Anblick ihres herzigen, süßen Ge sichtes, an der fesselnden Anmuth ihrer Gestalt erquicken und vielleicht stärken für kommend« Stürme. Schon im Flur hin horchend nach Lottens Heller Stimme, wunderte er sich, Alles so still und ruhig zu finden, schnell zog er die Klingel, doch nichts rührte sich, und nun erst kam ihm der Gedanke, daß er die Gesuchten vielleicht gar nicht daheim finden könne. Auf nochmaliges Läuten erschien die ihm sckon bekannte Aufwärterin mit der Erklärung: „Frau v. Kronau sei vor einer halben Stunde ausgegangen." Es giebt Zeiten, wo ein derartiges kleines Vorkommniß den Betreffenden ziemlich gleichgiltig be rührt und im gegenseitigen Verhältniß nicht die,geringsten Folgen zurückläßt. Zu dieser Stunde aber und in der drängenden Hast seiner Gefühle fiel diese harmlose Nachricht wie ein Mehlthau auf die junge, blühende Liebe, zumal die redselige, mit den Verhältnissen wohlbekannte Frau noch hinzufiigte: „Sie haben Besuch bekommen, einen hübschen jungen Herrn, und ich hörte, daß sie eine Dampferpartie machen wollten." Des Doctors Gesicht wurde finster; da brauchte er nicht erst zu fragen, wann sie zurückkehren würden, für ihn war es ja doch heute vorbei. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich zum Gehen, kehrte aber doch, sich besinnend, zurül- und steckte seine Karte in das Briefkästchen. In gedrückter, unzufriedener Stimmung legte er den Weg zu seiner Wohnung zurück. Was wollte er denn, was focht ihn an? Wie konnte dieser kleine Zwischenfall ihm plötzlich das langgehegte, süße Zukunftsbild verdunkeln? Er schalt sich einen Thoren, und doch — während er, ohne mit seinem geringsten Denken dabei zu sein, in seiner Wohnung angelangt, die nöthigen Sachen drunter und drüber in einen Koffer warf, tauchte vor seinem Auge immer wieder eine quälende Vorstellung auf: er sah Elli, sonnig, lachend, glück lich, und ihr zur Seite den ominösen Unbekannten — sie glitten auf leisen Wellen fort, weit, weit in unbekannte Fernen! Auf stöhnend hielt er die Hand über das qualvoll blickende Auge, als könne er damit den bösen Zauber bannen. Warum, warum war sie nicht daheim?! V. Eine Stunde später saß der Doctor mit seinem Vater im Eisenbahncoup4 und dampfte der Heimath entgegen. Der Amts- grrichtsrath lehnte in einer Ecke und schlummerte süß. Sein Sohn hatte Muße genug, nicht nur mit den Augen des Sohnes, sondern auch mit denen des Arztes das Gesicht seines Vaters zu betrachten. Trotz des zufriedenen Ausdruckes, den die heute verlebten, frohen Stunden zurückgelassen, und trotz des ruhigen, vielleicht von lichten Träumen erfüllten Schlafes mußte der Arzt zugeben, daß sein Vater in den letzten Jahren sehr gealtert, und zwar weit über sein Lebensalter hinaus, jeder Unbefangene würde dem Sechsundfünfzigjährigen noch zehn Jahre hinzudatirt haben. Woher dies kam, das verrieth dem Sohne der herbe, sorgen volle Zug, der selbst jetzt nicht ganz geschwunden war in der Alle» bändigenden Macht eine» gesunden Schlummers. In einem aufwallenden Gefühl warmen Mitleids und kindlicher Dankbar keit strich der Doctor zärtlich und leise über die weiße Hand — immer und immer wieder — ihm war, als müsse er einem heißen Herzensdrange damit Genüge thun. Da sic auf der spärlich befahrenen Strecke im Coupe zweiter Classe sich allein befanden, so brauchte er seinen Empfindungen keinen Zwang anzutyun. Plötzlich erwachte der alte Herr und sah sich verwundert um. „Ach so — wir fahren nach Hause", sagte er, sich be sinnend, während er die Brille in die Höhe schob und sich umsah. „Ja, lieber Sohn, das ist doch wenigstens einmal eine Heim fahrt, ein momentanes geistiges und körperliches Ausruhen, ein Aufathmen von dem Sorgendruck, der mir seit Jahren meine Amtsthätigköit erschwert bis zur schier endlosen Pein und Qual. Nun aber soll's ja gut sein! Du weißt noch gar nicht, was mir Grüning anvertraut hat, ich sollte Dir's zwar nicht ver- rathen, aber schließlich war doch gerade das Gegentheil gemeint und hat der alte Freund nur einen bequemeren Umweg ge wählt, um zum rechten Ziel zu kommen, und da wir nun gerade hier so hübsch allein und —" „Bitte, Vater, bemühe Dich nicht, ich verzichte gern auf weitere Mittheilungen", fiel der Doctor abwehrend ein. „Nun, nun, es ist nichts Schlimmes, ich glaube, Du könntest wohl eine Ahnung haben", schmunzelte der alte Herr, sich bequem zurecht setzend. Ja, er hatte wohl eine Ahnung, sie legte sich schwer und quälend auf sein ohnehin bedrücktes Herz, und vem etwas neckischen und wohlwollenden Blick des Vaters ausweichend, sagte er ernst und schwer: „Eben deshalb — lassen wir diese Ahnung unausgesprochen!" Erstaunt und fragend blickte der AmtsgerichtSrath in das offene, jugendschöne Gesicht seines Sohnes, das nun den Ausdruck fester, entschiedener Männlichkeit trug, welcher ihn belehrte, daß nicht allein Vater und Sohn, sondern auch Mann gegen Mann sich gegeniiberstanden. Sein eben noch angenehm belebtes Gesicht verdunkelte sich; das Auge des Vaters und Menschenkenners hatte das Geheimniß des Sohnes in dessen feuchtschiMmerndem Blick errathen, und ein schmerzlicher Zug verdrängte den noch eben so wohlwollenden und zufriedenen Ausdruck. „Ich will nicht nach dem Grunde Deiner Abwehr forschen, auch an nichts rühren, was Du in Deinem Herzen für heilig und unantastbar hältst, aber als Dein Vater und Dein Erzieher habe ich das Recht und die Pflicht, Dir die Erfahrungen meines Lebens mitzutheilen, auf daß Du für Dich daraus Heil und Nutzen ziehst. Höre mich wie ein Sohn und urtheile ,wie ein Mann!" (Fortsetzung folgt.)
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