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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011003027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901100302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
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Donnerstag den 3. October 1901. Anzeige»-PreiS dir S gespaltene Petitzeile L5 H. Neklam«, unter dem Rrdactioa»strich (4 gespalten) 7S Lp vor den Faniilienaach» richt«« (»gespalten) 60 Tabellarischer und Kifferusatz eatsprechentz hvher. — Gebübre» für Nachweisungen uud Offerteuauaagm« ÜS (excl. Porto). Lrkr«. Beilagen (gefalzt), »ur mit de« Morgen.UuSaab», oha« Postbrsdrdrrung 60—. mit Postbesörderung 70.—. Aaoahmeschluß silr Anzeigen: Abend-AnSgab«: vormittag» 10 Uhr. MorgeN-AuSgub«: Nachmittag» 1 Uhr. Bet de» Filialen und Anuahmestell«» je ein« halb. Stund« früher. Anzeige» find stets an die Expedition zu richten. Die Spedition ist Wochentag« nuuaterbroche» geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Ubr. Druck «nd Verlag von E. Pol» i» Leipzig. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Heiße Kämpfe. -p. Die intensive Kraftentfaltuag, welche den Actionen der Boeren gegenwärtig einen ganz anderen Charakter verleibt, al» in den ersten Epochen de» Kri^e», kostet ihnen allerdings manche» empfindliche Opfer. Bei ven beiden Fort» an der Zululand-Grevze ist e» gewiß nicht ohne zahlreiche Todte und Verwundete abgegangen, wenn auch die englischen Berichte da» Menschenmögliche im Uebertreiben leisten, und bei Moedwill iu der Nähe von Rusten- burg, westlich vou Pretoria, wo Delarey da» Lager de» englischen Obersten Kekevich überfiel, sollen nach einer un» au» London zugehenden Privatmeldung die gelammten Verluste der Boeren sich auf über 200 Mann belaufen. Aber auch den Engländern ist der Kamps im Rustenburger Bezirk sehr theuer zu stehen gekommen. Nach unserem Lon doner Gewährsmann betrugen ihre Abgänge: L Officiere und 47 Mann todt, der Brigadier, 16 Officiere und 146 Mann verwundet und 4 Officiere uud 57 Mann gefangen, das sind zusammen 276, während Kitchener, oder vielmehr das Lon doner KriegSamt nur 161 zugeben. Außerdem nahmen die Boeren 2 Geschütze und zahlreiche TranSporlwagen und zwangen Kekevich zum Rückzug nach Rustenburg. Dies will daS officielle englische Telegramm auch nicht wahr haben, vielmehr läßt eS Kekevich die Boeren zurücktreiben. Wäre aber Letzteres der Fall gewesen, so würde Kitchener über die Verluste der letzteren unterrichtet sein. Ueber diese schweigt er indessen. Jedenfalls steht eines fest: die Boeren haben sich zu einem letzten EntscheiduugSkamps aufgerafft und sie führen ibn heldenhaft mit dem Muthe der Verzweiflung durch. Unter solchen Umständen sollten die Engländer die Wuth des noch immer höchst gefährlichen Gegners nicht noch dadurch aufs Aeußerste reizen, daß sie an den besten Männern deS Boerenvolke» Standrecht Lben. Wir erhalten folgende höchst betrübende Meldung: * Ä»-a««e»b»r>, SO. September. Der «ater der Ankla«e der Spi-nage nn» des H.ch»err«th» b,r Gericht gestellte frühere dritte Staatsanwalt Transvaals vröckdma, der der vermitiler zwischen den tm Kelde stehenden vaeren vr. LetzdS und vr. Krause war. Ist des genannten verbrechens schuldig befunden worden. Sr wurde heute früh erschossen. Anwalt Bröcksma war bekanntlich ein selbst in englischen Kreisen hochgeschätzter Jurist, besten tragisches Ende seine zahl reichen Freunde und Verehrer aufs Schmerzlichste berühren Wird. Aber man war sehr schlecht beratben, als man den „Verräther" stumm machte. Dieser Act übereilter Justiz wird die Boeren noch mehr erbittern, als sie eS schon sind, und namentlich in der Capcolouie aufs Neue zur Erhebung gegen daS verhaßte Jiugoregiment auspornen. Sonst sind noch folgende Nachrichten zu verzeichnen: * London, 2. October. Kitchener berichtet noch, daß bei dem Angriff Delarey'S auch Oberst Kekevich selbst an zwei Stellen Wunden davontrug. Die Wunden seien aber unbedeutend. * SnymanSport (Transvaal), 30. September. Das Com- mando Cocke'S stieß heute auf der Flucht vor der Colonne Damant am BoeSmanSkop auf die Colonne deS Obersten Basing. Die Boeren haben fünf Todte verloren und sechS Gefangene, da- runter den bekannten Feldcornet Dutoit. * London, 2. October. Ein weitere» Telegramm Kitchener's besagt: Die beiden Geschütze, welche die Boeren am 20. Erp- tember bei Vlakfontein erbeutet hatten, sind ihnen wieder abgrnommen worden. * Kapstadt, 2. October. Der Premierminister der Capcolouie Gordon Sprigg und der Atterney-General Rose JnneS sind heute nach Transvaal abgereist, um sich mit Kitchener und Miln er zu beralhen. (Man plant also außerordentliche Maß regeln. Demnach hat der Aufstand der Capholländer bedenklich« Fortschritte gemacht. D. Red.) Uebcr die Kämpfe um die Forts schreibt man uns aus London, den 2. Ocivber, des Weiteren: Die letzten bis heute Morgen vorliegenden Nachrichten aus Südafrika lasten immer deutlicher erkennen, daß General- commandant Louis Botha an der Grenze des Zululandes Ende voriger Woche einen entscheidenden S i «g über die Engländer davongetragen hat, indem er nicht nur, wie bereits gemeldet, die beiden englischen Forts Jtala und Prospcct erstürmen und zerstören ließ, sondern -auch gleich zeitig unter dem Schutze dieser Operation seinen eigentlichen Plan zur Ausführung brachte. Ec beabsichtigte, aus dem Vryheiddistricte kommend, den Umlatofluß zu überschreiten und auf die Tugela mit seiner Hauptmacht vorzurücken, um nach Kreuzung dieses Flusses aus die Stadt Greytowni in der Natalcolon ie losznnmrschiren, welchen sorgfältig ange legten Operationsplan er anscheinend mit bestem Erfolge auszu führen in der Lage gewesen ist. Der Kampf um die beiden Forts dauerte mehrere Stunden und verursachte auf beiden Seiten er- hrbbiche Verluste, so daß 'derselbe zu den blutigsten gezählt wird, welche seit den ersten Kämpfen an der Tugela stattgefunden haben. Der Angriff auf die Forts, respective das Resultat des selben wurde von Botha für so wichtig erachtet, daß er das ganze Gefecht persönlich leitete, und sich dabei verschiedentlich sogar selbst ganz bedeutend dem feindlichen Feuer exponirte, so daß ihm, wie eine Meldung besagt, das Pferdunter dem Leibe erschossen wurde. Der Erfolg war dann aber auch des vielen vergossenen Blutes wenigstens für die Boeren werth, da sie unter der bewährten Führung des Generalcomman- danten ihren Vormarsch nach Süden fortsetzen konnten und auf dem Wege zum Umlatofluste noch einen zweiten Sieg von Bedeutung zu erfechten im Stande waren. Wie es den Anschein Ast, wurde von dem Orte Melmoth Verstärkung mit einem größeren Transport von Lebensmitteln, Munition und Vieh nach dem Grenzort Prospect abgesandi, da man in der Garnison oder in dem Hauptquartier des Generals Hamilton über den Verlauf des ersten Boerenangriffes uud über die Stärke des Feindes, wie gewöhnlich, unrichtig oder gar nicht unter richtet gewesen sein muß. Diese Verstärkungsablheilung lief den Botha'schen Reitern nur wenige Meilen südöstlich von Melmoth in die Hände und mußte nach mehrstündigem Kampfe die Waffen strecken, so daß auch dieses Gefecht wieder den Eng ländern über 150 Officiere und Mannschaften an Tobten, Ver wundeten und Gefangenen gekostet hat. Der große Transport von mehr als 40 schwer bepackten Wagen und einigen Hundert Stücken Vieh fiel ebenfalls den Boeren als eine hochwillkommene Beuie in die Hände, so daß also Louis Botha mit den ersten Er folgen seiner neuen Operationen recht zufrieden sein kann. Inzwischen setzt der Boerengeneral seinen Einmarsch in das feindliche Territorium fort, während ein Theil seiner Reiter den Umlatofluß besetzt halten, um den etwa nachrückenden Engländern wenigstens für einige Zeit den Weg zu verlegen. Die Botha'schen Vorposten sollen bereits bis zum Tugelafluste vorgedrungen sein und bei Middledrift das GroS des Boerencorps erwarten, welches hier die Tugela überschreiten und sodann auf Greytvwn mar- schicen wirb. Der Einfall Botha's in Natal dürfte also schon heute eine gesicherte Operation sein, denn die im Norden dec britischen Colonie vorhandenen Streitkräfte sind durchaus nicht zahlreich und bestehen zum größten Theile aus ungeübten Frei willigentruppen, welche soeben erst wieder unter die Waffen ge rufen wollen sind, um der neuen Boereninvasion enlgegenzutreten. Zum Ueberflusse kommt heute auch noch die Nachricht, daß in dem nördlichen Dreieck von Natal und sogar auch schon in der Umgegend von Dundee eingedrungenc Boeren in vorläufig kleineren Abheilungen sich sehr unangenehm bemerkbar machen. Diese sind zweifelsohne über die Drakensberge nach Süden vor gedrungen, und zwar höchstwahrscheinlich als die Vorläufer der unter General De Wet die Natalcolonie von Westen her be drohenden Boerencommandos. Die nächsten Tage dürften also eine interessante Entwickelung der Dinge auf diesem Theile des Kriegsschauplatzes bringen, und aus allen vorliegenden Mel dungen ist zu ersehen, daß im nördlichen Natal die größte Auf regung herrscht, da man eine Wiederholung der schweren Kämpfe aus den ersten Monaten des Feldzuges befürchtet. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. October. Als der Besuch dcS deutschru Kaisers in dem russischen Grcnzortc Mystiken bekannt wurde, entbielt sich ein beträcht licher Theil der deutschen Presse jeder Bemerkung zu diesem Vorgänge, während andere Blätter starkem Erstaunen Aus druck gaben und wieder andere sich vor Entzücken nicht zu fassen wußten. Mit welchen: Theile man es auch gehalten haben mag, man wird zugeben: eS ist genug über diese« Thema gesprochen und mehr oder minder beredt geschwiegen worden. Die allgemein herrschende Ansicht scheint dies freilich doch noch nicht zu sein. Man begegnet plötzlich in der Presse wieder Betrachtungen über das Ereigniß von Wystiten, die, obwohl mit Sentimentalität durchtränkt, jebensalls als politisch inhaltsvoll ausgenommen sein wollen — oder sollen. Zunächst stößt ein verhältniß- mäßig langer Kommentar zu der gar nicht sonderlich merk würdigen Erscheinung auf, daß die französische Presse keinen Comnientar zu dem kaiserlichen Ritte ins Nussenlanv geschrieben bat. Wie schon erwähnt, haben auch deutsche Blätter solches unterlassen, und wenn eS.wie geschieht, so dargestellt wird, als ob die Franzosen geschwiegen Kälten, weil es „nicht in ibr System paßte, wonach der Zarenbesuch in Frankreich für die internationalen Beziehungen Rußlands damals den ausschließlichen Maßstab bilden sollte", so ist diese Erklärung nicht mebr wertb, als die andere, wonach man in Frankreich das Anerbieten eines Ausflugs über die russische Grenze auf einen der rein persönlichen Impulse zurücksührt, an denen die NegierungSzeit Kaiser Wilhelm« II. nicht arm ist. So soll es aber nickt gewesen sein. Die Wiederaufnahme der po litischen Erörterungen des Gegenstandes gründet sich auf die ganz neue Erzählung, daß der Zar, nachdem er — auf einem Schiffe vor Danzig — für die namhafte Spende, die der deutsche Kaiser zur Linderung der Noth dem durch eine Feuersbrunst hart betroffenen russischen Orte zugewendet, den Dank abgestattet hatte, „den Wunsch ausdrückte, seine eigene Spende so rasch wie möglich ihrem Zwecke zugefübrt zu sehen". „So", beißt es weiter, „erklärt sich der Ritt des Kaisers Wilhelm nach Wystiten". Wir müssen gestehen, daß un» sogar der an sich gar nicht feine, von Kennern russischer VerwaltungSverhältnisse gemachte Witz, der Zar habe seine Gabe sicher und unverkürzt an die Bedrängten gelangen lassen wollen und deshalb die Vermittlung des deutschen Kaisers erbeten, geschmackvoller erscheint, als diese unglaubwürdige neue, wie aus der Pistole geschossene Er klärung. Der Zar bat jedenfalls vor der Zusammenkunft auf der Danziger Rhede von dem Wystitener Unglück Kennt- niß gehabt, und wenn er sie auch wirklich erst bei dieser Gelegenbeit erlangt haben sollte, so gab eS nicht nur sür den mächtigen Selbstbeherrscher aller Reußen, sondern auch für jedes gewöhnliche Menschenkind Mittel und Wege, die Unterstützung den Abgebrannten rascher zu fließen zu lassen, als eS vermittelst persönlicher Ueberreichnug durch Kaiser Wilhelm geschehen konnte und geschah. Ter deutsche Kaiser hat sich gar nicht sofort nach der Weitcrsahrt des Zaren nach Nominten und somit in die Nähe von Wystuen begeben. Man muß sich fragen, aus welchem Grunde eine solche Erzählung so sehr nachträglich aufgetischl wird, und kann nur den Wunsch entdecken, der Ritt nach Wystiten möge als bedeutungsvoller Act angeseben werden: „Die Anwesenheit des deutschen Kaisers auf russischem Bode n", so bekommt man zu lesen, „bildete gleichsam das Schlußglied einer Reihe von Freundlichkeiten, die zwischen den beiden Herrschern ausgetauscht worden waren ... Auch kann nicht überraschen, daß der warme Ton in der Ansprache des deutschen Kaisers, die in einem Hurrah auf den Zaren ausklang, diesem sehr sympathisch sein mußte". Nun folgt eine schon mehrere Tage alte Mittheilung der „Breslauer Zeitung", daß Kaiser Nicolaus nach ter Parade in Skierniewice zu einer Abord nung des polnischen Abels sich geäußert habe, die An wesenheit Kaiser Wilhelm's in Wystiten sei „ein gutes Zeichen, dessen man eingedenk sein solle, wenn der Herrscher des Nachbarlandes für die Vorgänge in Wystiten bezw. im Grenzgebiet sich so lebhaft interessire. Die Mitglieder der Abordnung hatten den Eindruck, daß der Zar die Handlungsweise Kaiser Wilhelm's als einen Schritt besonderen Wohlwollens für Rußland betrachte." Ob der russisch-polnische Adel sich der „Breslauer Zeitung" bedient, um seine Eindrücke wiederzugeben, ist zweifelhaft. Jedenfalls sind polnische Adelige, mögen sie diesseits oder jenseits der Grenze Hausen, keine sonderlich guten Gewährsmänner in Sachen, die Deutschland angehen. Russen hätten gewiß das Wort vom Wohlwollen für Rußland nicht gesprochen, denn das politische Lexikon der Russen und das anderer selbstbewußter Nationen kennt diesen Ausdruck nicht, wenn es sich um das eigene Land und einen fremden Herrscher handelt. Daß es bei Deutschen sich anders verhält, zeigt diese neue Auseinandersetzung, von der wir hoffen, daß sie keine Fort setzung erlebt. Im anderen Falle würden voraussichtlich auch Leute, die bisher geschwiegen, es nun doppelt auffällig finden, daß der Zar deutschen Boden nicht betreten, daß er bisher Berlin und Potsdam konsequent gemieden hat, daß die auf dem Schiffe vor Danzig gewechselten Trinksprüche politisch gänzlich farblos gewesen und dergleichen mehr. Auf dem socialdemokratischen Parteitage za Lübeck hat Vernstcin de- und wehmüthig Abbitte geleistet und sich der absprechenden Kritik der „Genossen" über seine Ideen zum „wissenschaftlichen SocialiSmus" unterwerfen müssen. Aber kaum sind ein paar Tage nach seiner y Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck verboten. Die Anrede, auf welch« sich Olof mit Herzklopfen vorbereitet, konnte er sparen. Der Cvnsul übernahm Alles, Vorstellung, Erklärung und Entschuldigung, geleitet« die Sängerin zum Wagen und ließ Olof für das Gepäck sorgen. Drei oder vier Sangesbriider drängten sich draußen um ihre Droschke, drechselten galante Redensarten und hinderten Olof am Einsteigen, bis die Sängerin ihm freundlich zurief und an ihrer Seite Platz mochte. Go fuhrkn sie, an ihrem Hüte schwenkenden Gefolge vorbei, die Dorstadt hinunter, deren Trottoirs von Einheimischen und Frem den flutheten, deren stattliche Häuser mit grünen Gewinden ge schmückt waren. Die ganze Stadt hatte bereits ein festliches An sehen. Frau Wienhold begann alsbasd ein heiteres Geplauder. Der Zug, mit dem sie gekommen, war überfüllt gewesen, im letzten Augenblick hätte man sie in «n Coup« erster Elaste genökhigt, dort hatte sich interessant« und lustig« Gesellschaft dazu ge funden. „Sehen Sie die herrlichen Rosen!" Si« trug einen vollen Strauß in der Hand. „Rosen darf man sich schenken lassen, nicht wahr? Ich habe immer welche — ich liebe sie so." Plötzlich drehte sie ihm -ihr volles Antlitz zu, und Olof er schrak fast, wie jung und schon und fröhlich si« war, und wie ihre blauen Augen unter dem duftigen Schl«i«rgewebe ihn an- strahtten. „Ich muß mir meinen Ritter doch ordentlich -anschauen. Stu dent, nicht wahr? Oder Primaner?" „O nein, gnädige Frau — bloS Schreiber — Bureawarb-eiter bei Heron Bevgau", antwortete der junge Mensch scharf und bitter. „Ach — ein Mißverständniß! Der gute Consul murmelte doch etwas von Neffen —" „Der Gemral-Agent ist meiner Mutter Bruder und mein Vormund." „Also Ihr Dvtrr lebt nicht mehr? Arme« Kind! Jetzt will ich aber Ähren Namen wissen." „Thoroldsen — Olof Thoroldsen." „Wie? Ein Sohn vielleicht von Axel Thoroldsen, dem Maler? Dem schönen Norweger, wie wir Backfische ihn nannten? — Ja, ich entsinn« mich, er heirathet« eine Beogau. Mich dünkt, Sie sehen ihm ähnlich." Olof erröthete. Er war stolz auf seinen Vater und noch nicht gewohnt, von schönen Frauenlippen Schmeichelhaftes zu hör«n. „Axel Thoroldsen war mein Vater", bestätigte er. „Nein, ist es möglich! — Er war ja alle Sommer in Tra- kehn«n und Gudenallen, um Pferde zu malen. Meine Eltern wohnen ja dort, mein Vater ist Gestütsinspector; kein Abend verging, daß nicht Axel Thoroldsen bei uns im Garten gesessen hätte — damals! Ich, kaum flügge, om naseweises Kiekindiewelt, er, der geniale Künstler, von dem in den Zeitungen so viel Auf hebens gemacht wurde. Gott, daß er so früh hat sterben müssen! Wohl hundert Mal hat er mich gemalt — das heißt skizzirt in sein Buch, das stets in seiner Tasche steckte. Immer mußte ich stillstehen — oder stillsitzen. Ich schnitt Fratzen, und er wuüde böse. Gott, war er ein prächtiger Mensch! — Ihr Mütterchen habe ich nie gesehen, aber viel Liebes und Gutes von ihr gehört. Lebt sie hier? Werde ich sie sehen?" „Ich glaube nicht", erwidert« Olof zögernd. „Sie führt einem alten Herrn die Wirthschaft, der hängt ihr an der Schürze wir ein Baby und duldet auch keinen Besuch. Von meiner Existenz darf er möglichst wenig ahnvn." „Oh — aber das ist ja traurig." Olof empfand den Blick der Sängerin, der doll Mitleids auf ihm ruhte. Er biß sich auf die Lippe. Das war unerträglich. Was fiel ihm »in, die fremde Dame mi-t seinem Familienjammer zu behelligen. Was hatte si« danach zu fragen? — Er fühlte sich gedemüthlgt, elend und tief unglücklich. Da hatte si« plötzlich seine Hände in den ihren und drückte ihm ihre Rosen hinein. „Bringen Sie sie ihrem Mütterchen und grüßen sie schön von mir. Eine Verehrerin ihres verstorbenen Gatten. Aber — da sin-d wir wohl schon am Ziel?" Dritte- Capitel. Der folgend« Tag war ein Sonntag. Das Fest nahm nach dem Gottesdienst im Dom mit der Aufführung geistlicher Ton werke seinen Anfang. Frau Elvira sang eine Arie aus Händel'» „Messias". Olof hatte sie noch nicht -wieder zu Gesicht bekommen. Gleich nach de» Onkels Rückkehr gestern Abend war sie mit ihm und der Taut« au»g«gangrn, »in« Toncertprobe beizuwohnen. Olof hatte fll-r sich eine McngeArbeit vorgefunden, auch keine Lust verspürt, sich in den Wohnzimmern blicken zu lasten. „Herr Bergau" hatte ihn gleich bei der ersten flüchtigen Revision „grimmig ange faucht", — ungerechter Weise, wie sich bei näherem Zusehen herausstellte. Aber der Herr Generalagent hatte kein« Zeit, näher zuzusehen, murrte daher nur Undeutliches, als er Sonn tag früh die eingelaufenen Brief« las und ließ im Uebrigen die Dinge gehen. Abends und Morgens hörte Olof die Stimme der Sängerin im anstoßenden Bureauzimmer. Er selber campirte auf einem eisernen Bettgrstell, das Slbends hereingrbracht, Morgens weg geräumt wurde, in der Schreibstube. Frau Elvira probirte ein paar Töne, einen Triller, zwei Tarte einer Melodie. Es klang hell und süß, wie Nachtigallenschlag. Vormittags öffnete Listi die Zwischenthür und steckte ihr Näschen in die Schreibstube. Auf des Vaters Befehl hatte sie den Schaukelstuhl aus dem Salon in das improvisirte Gastzimmer gestellt, und einen Stickerei streifen, an dem die Tante lange gearbeitet, daran befestigt. Von der Schwelle aus sah sich Olof in dem Allerheiligsten um — wo sich noch kürzlich eine so stürmische Scene abgespielt. Auf dem Schreibtisch lagen die hellgrauen, schwedischen Handschuhe der Sängerin, ihr Fächer, das Hütchen mit dem weißen Schleier, ver welkte Rosen — auf Bett und Stühlen allrrlei Kleidungsstücke, rasch hingeworfen, auf dem Teppich rothe Saffianpantöffelchen. Alles war voll Duft und Schimmer, wie Olof noch niemals Frau en k leider gesehen. - Um zwei Uhr kam Frau Thoroldsen auf ein halb Stündchen zu ihrem Sohne. Sie saß bei ihm in dem Schreibzimmer, das Nachmittags leer war, und >wv sie ungestört mit ihm plaudern konnte. Das Dienstmädchen hatte über aller Extraarbeit auf zuräumen vergessen, auf Tischen und Stühlen lag Staub, was ven öden Raum noch rmwirthlicher machte. Aber auf Olof's Pult standen in einem Glase Frcm Elvira's Rosen. Er hatte keinen anderen Platz dafür. Er bestellte seiner Mutter ihren Gruß, aber die Rosen behielt er stillschweigend für sich. Frau Anna Thoroldsen war noch immer eine anmuthige Er scheinung, obschon sie auf ihr Aeußerrs wenig Sorgfalt zu ver wenden schien. Ihr abgetragener schwarzer Anzug hing an ihrer mittelgroßen, schmächtigen Gestalt, die in sich zusammen sank, wie ein seines Halles beraubter schwank« Stamm. Der Hut saß schief auf ihrem lose aufgestrckten, vollen braunen Haar. Ihre seelenvollen Augen hatten einen träumerischen Blick, »hre Lippen rin liebenswürdiges, unsicheres Lächeln. Seit ihres Gatten Tode hatte sie die Trauer nicht abgelegt. Wer hätte sie in ihren ärm lichen Umständen auch in Versuchung führen sollen, dem Ver storbenen die Treue zu brechen? Sie hatte glückliche, stürmische — zuletzt schwere Leidensjahr« mit dem „genialen" Axel Tho- roldscn verlebt, dessen Bilder zwar Bewunderer, aber keine Käu fer fanden. Jetzt besaß sie nichts auf der Welt, als ihre beiden Heiligthümer: ihre Erinnerungen und ihren Sohn. Daß sie diesen nicht hatte bei sich behalten und selbst erziehen können, war der bittere Tropfen in dem Kelch der Entbehrungen und Ent sagungen, den sie geduldig leerte. Ihr Bru'der meinte es ja so himmlisch gut — aber es ist nicht jedem gegeben, mit jungen Menschen in der rechten Weis« zu verkehren. Ein eigenartiges Kind freilich war ihr Olof. Schien es doch, als sei der biedere, gemüthliche Anton nie er selbst, nie unbefangen in Gegenwart seines Mündels, er war ihm gram, man >ivußte nicht weshalb. Ach, im Vaterhause wäre dxr herbtrvtzige Eigenwille ihres Kna ben, über den sich der Bruder mit Recht beklagt«, nie zur Ent wickelung gekommen. Sie fragte und forschte und wollte Alles wissen, alles Große und Kleine, "was den Tag ihres Sohnes ausfüllt« und sein Ge- müth bewegte. Aber Olof war keine mitteilsame Natur und heute besonders wortkarg. Der Mutter klagen und das Herz schwer machen, die doch nicht helfen konnte! — Sie mit seinen verwegenen Wünschen und Anschlägen beunruhigen — um Alles in der Welt nicht! Es ging zu viel in ihm vor, zu Bedeut sames; hätte er anfangen wollen, darüber zu reden, so wäre viel mehr ans Tageslicht gekommen, als die Mutter wissen durfte und verstehen konnte. Sie saß denn auch still, streichelte sein« Hand und schaute ihn voll Zärtlichkeit an. „Last' Dir nicht wieder das Haar so kurz verstutzen, Ol'e, ich mag es gern, wenn es so ein bischen buschig um die Stirn siebt. Du hast auch schon einen Schimmer von Schnurrbart, Junge, jetzt seh' ich's genau." „Mutter, bin ich dem Vater ähnlich?" „Ein wenig, besonders so um Mund und Kinn herum, aber der Vater war viel hübscher, er hatte solch' offenes, sonniges Auge, solch' geistreiches Lächeln. Ich hoffe, mit der Zeit bekommst Du auch noch mehr von ihm." Olof schüttelte den Kopf. „Mutter, hast Du noch Vas alte Daguerreotyp vom Großvater? Dessen Gesicht bekomm« ich." „Ach, um Gottes willen!" rief Frau Thoroldsen. „Das ist immer meine Furcht, daß Du etwas von Deinem Großvater geerbt hast. Wenn ich Deine Zeichnungen sehe — Drin Basteln und Spintisiren und Experiment!«» — da — da» ist auch wieder so wa» —"
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