Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011007023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-07
- Monat1901-10
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS »Preis der Hauptexpedittou oder de« I» St»d^ deiirs und den Vororten errichteten LuS- »abestellen abgeholt: dterteljährltch >« 4 50, Set zivelinaligrr tägliche, Zustell»», in« Hau- b.KO. Durch die Post bezöge« für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!. S. Man abonutrt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalte» tu d« Schweiz Italien, Belgien, Holland, Luxem- dura, Dänemark, Schwede» und Norwegen, Rußland, den Douaustaateu, der Europäische» Türket, Egypten. Für alle übrigen Staate» Ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di» Expedition diese« Blatte« möglich. Die Moraen-Ansaabe erscheint um V,7 Uhh, di« Abend-Ausgabe Wochentag« »m ü Utz», Ledartiou »nd Lrvedition: Joha»nt«gaff, 8. Filiale«: Alfred Hahn vor«, v. Klemm'« Sortd», llnIversitütSstraß« S (PaultnaunX Louis L-sche, Kachurtumrstr. Ich psrr. »ud KtMigSPl»- K. Abend-Ansgave. MpMcr.TllgMaü Anzeiger. Ämtsölatt -es Hönigttchen Land- «nd Ämksgerichtes Leipzig, -es RaLhes «n- Nokizei-Ämkes -er Ltadt Leipzig. Anzeige« »Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Lf. Reclameu unter dem Redactio»«strtch («gespaUen) 7b vor de» Famtlienuach» richten («gespalten) bO Tabellarischer und Ztfferusay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteaannahm« Sb H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung «0—, mit Postbesürdervng ^l 70.—» A»«ahmeschl«ß für ^«zei-e«: Abeud-LuSgab«: Vormittag« 10 Uhr. Morge»-A»«gabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bet den Filiale» «nd Annahmestelle» je ei»» halb« Stund« früher. Anzeige» Pud stet« a» die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« uuuntrrbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Udr. Druck und Verlag von E. Pol, « Leipzig. 95. Jahrgang. Montag den 7. October 1901. Der Krieg in Südafrika. Wer Hilt eS am längsten au«? Man schreibt un« aus London unter dem 6. October in Ergänzung unserer Telegramme: Gequälter Optimismus ist augenblicklich immer noch an der Tagesordnung hier in London, und speciell die RegierungSpreffe leistet in dieser Hinsicht das denkbar Mögliche, indem sie, wahrscheinlich auf direkten Wunsch von oben herab, mit verbissener Consequenz die wahren That- sachen betreffs der augenblicklichen Lage und der letzten Er eignisse auf dem Kriegsschauplatz in Südafrika todtschweigt oder höchstens in einem für England günstigen Sinne bekannt giebt und behandelt. Als die großen Verluste in den Ge fechten an der Grenze des Zululandes und westlich von Pretoria bekannt wurden, und als im Gegensatz zu den officiellen Sieges nachrichten es allmählich durchsickerte, daß die Boeren und nicht die Engländer Sieger geblieben waren, da wurde auch die RegierungSpreffe, einschließlich der Jingoblätter, recht unge duldig und verlangte „genauere und mehr den Thatsachen ent sprechende Informationen" vom Kriegsamt und von der Regie rung. Dieser energische Aufschwung zu einer ärgerlichen Opposition hatte jedoch keinen anderen Erfolg, als daß auf einen gleich energischen Wink von Downing Street aus sämmt- liche der Regierung nahestehende Blätter nebst ihrer ganzen Ge folgschaft sich mit einem Male wieder zu den officiellen Ver sicherungen bekannten und als Sühne für die vorübergehende Belästigung des Kriegsamtes und der Salisbury'schen Regierung einen tiefen Kowtow vor der über jedes Mißtrauen erhabenen Weisheit und Wahrheitsliebe der Lenker des englischen Staats wesens ausführten. Hand in Hand mit diesem Kadawergehorsam der ge- finnungstüchtigen großen Londoner Zeitungen gehen denn jetzt auch wieder die geradezu komisch wirkenden, officiös angehauchten Versicherungen rn den Spalten dieser Blätter, dahin lautend, daß „daS Ende des Krieges nunmehr aber ganz bestimmt nahe bevorstehe, indem die Boeren in den größeren Gefechten der vergangenen 14 Tage sich «nfach zu einer allerletzten An strengung in dem aussichtslosen Kampfe aufgeschwungen hätten, an welcher sie nunmehr naturgemäß verbluten müßten. „Daily Chronicle" leitartikelt sogar ganz officiell wie folgt: „Wir erfahren an sehr maßgebender Stelle, daß ein plötzlicher Zusammenbruch des Widerstandes der Boeren und damit eine sehr baldige Beendigung des Krieges bevorsteht. Das Wieder aufleben der feindlichen Aktivität wird als der letzte desperate Versuch der krieg-müden Boeren betrachtet, welche es müde sind, von den britischen Eolonnen im Lande umhergehetzt zu werden. Aus diesen Gründen wird von der Entsendung weiterer Verstärkungen nach Südafrika abgesehen werden." Di« nächsten Wochen, d. h. die ersten deS dritten Kriegsjahres, werden jedenfalls von Seiten der Boeren die richtige Antwort auf solche officiöse Albernheiten bringen, und im Uebrigen ist es nur ganz natürlich, daß, nachdem der Krieg jetzt volle zwei Jahre angedauert hat, mit Bezug auf das Ende desselben bei den Engländern wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens ist, und daß somit wieder die üblichen Prophezeiungen von dem nahen Ende des Krieges zur Beruhigung des Publicums losgelassen werden. Officiell zu Ende war der Feldzug ja schon, als im vorigen Jahre Feld marschall Roberts den Oberbefehl in die Hände deS Lord Kitchener legte, welcher nach englischer Ansicht eigentlich nur noch die letzten ÄufräumungSarbeiten in den beiden neuen Colonien besorgen sollte. Mit Bezug auf die oben erwähnten „überflüssigen Ver stärkungen" läßt sich übrigens nur immer wieder darauf htn- weisen, daß England überhaupt keine Soldaten mehr für Süd afrika entbehrlich hat und daß höchstens noch ab und zu Ersatz mannschaften von den Stammbataillonen in der Heimath für die Abgänge in der Front nachgeschoben werden, — aber auch diese Ersatzmannschaften bestehen zumeist aus ganz rohem und nur sehr nothdürftig ausgebildetem Menschenmaterial, mit dem jedenfalls draußen auf dem Veldt wenig anzufangen sein wird. Das Recrutirungsgeschäft rentirt sich augenblicklich in England nur sehr mäßig, und aus diesem Grunde ist es möglich, daß selbst die unwahrscheinlichsten und unglaublichsten Vorschläge, die diesem Hebel abhelfen wollen, öffentliche Aufmerksamkeit und ernsthafte Behandlung in der Presse des Landes finden. Als vor einigen Tagen gemeldet wurde, daß auf der Insel Ceylon unter den dortigen Kriegsgefangenen sich 200 Mann gefunden hätten, welche bereit wären, in englische Kriegsdienste zu treten unter der Bedingung, daß sie nicht in Südafrika ver wendet würden (eine Nachricht, die übrigens noch der Bestäti gung bedarf), da wurde dies natürlich von der englischen Presse als ein großer Triumph verzeichnet, und jetzt wird im Anschluß hieran die wunderbare Suggestion laut, daß England eigentlich ganz gut heute dasselbe thun könne, was zur Zeit der Napo- leon'schen Kriege als ganz selbstverständlich galt, nämlich „aus ländische militärische Hilfe subventioniren", mit anderen Worten, dasselbe thun, was den Briten auf Seiten der Boeren so verdammens Werth erschien, nämlich ausländische Combak- tanten in Sold nehmen, und dies Alles aä majoreirr Lritanrriae Die Processe »egen Lotter und vroekSma. Am 28. September begannen die Verhandlungen gegen den jüngst gefangen genommenen Commandanten Lotter. Im Laufe der Verhandlungen sagten Zeugen aus, Lotter sei britischer Unterthan und sein Name stehe auf der Wählerliste in Coles- berg. Der Polizeirichter von Colesberg erklärte, der An geklagte stehe als I. I. Lumher auf der Liste. Ein anderer Zeuge sagte aus, im vergangenen Marz seien auf einer Farm bei Schoongezicht zwei farbige Kundschafter durch Lorter's Commando erschossen worden. Andere Zeugen bekundeten, daß Lotter Eisenbahnzüae zerstört und englische Gefangene aus gepeitscht habe. Entlastungszeugen sagten dagegen aus, Lotter habe von Steijn und De Wet Bürgerrechte erhalten, die Doku mente seien jedoch am Morgen seiner Gefangennahme verloren gegangen. Der Angeklagte sagte: „Es ist sehr hart, als Rebell behandelt zu werden, während viele Zeugen sich noch im Felde befinden, die beweisen können, daß ich Bürger des Freistaats bin. Der Name auf der Wählerliste für ColeSberg ist nicht der meine und wurde nicht auf meine Veranlassung dort ein getragen, sonst würde er auf der Liste richtig stehen." Lotter fügte hinzu, daß er weiter nichts zu sagen habe. DaS Urtheil wurde noch nicht gesprochen. Man kann auf den AuSgang dieses Processes gespannt sein. Soweit aus der obigen kurzen Mittheilung hervorgeht, steht die Anklage wegen Aufruhrs auf recht schwachen Füßen- Wie kann mit der Eintragung eines I. I. Lumher in der Colesberger Wählerliste bewiesen werden, daß Lotter englischer Unterthan sei? Der Mann müßte doch einen falschen Namen angegeben haben; geht das so einfach bei den kleinen Verhältnissen und der dünnen Bevölkerung in der Capcolonie, die eine genaue Personalkenntniß der Beamten er möglichen? Oder hat sich der Freischaarenführer einen anderen Namen beigelegt, um den englischen Häschern zu entgehen? Beides ist wenig wahrscheinlich, und das Eine wie das Andere müßte jedenfalls bewiesen werden. Aber diese Verhandlungen englischer Kriegsgerichte gegen Boeren, mögen sie nun als Rebellen, Spione oder Verschwörer angeklagt sein, sind, so be merkt die „Köln. Ztg." zutreffend, leider fast immer in großer Eilfertigkeit zu Ende geführt worden und haben nicht nnmer den Eindruck unparteiischer Rechtsprechung gemacht; das Leit motiv war den Kriegsrichtern fast stets: kurzer Proceß. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Derurtheilung und sofortige Er ¬ schießung des früheren dritten Oberstaatsanwalts von Trans vaal, Broeksma, zu Johannesburg. Broeksma war be kanntlich angeklagt des Bruches des Ncutralitätseides, deS Der- raths, des Hochvcrraths und der Aufreizung zum Bruch des Neutralitätseides. Die Verhandlungen gegen ihn begannen am 12. September und waren am 14. zu Ende. Die englische Presse brachte in großer Ausführlichkeit das Anklagematerial, das aus Briefen, zum Theil nur in Abschrift, an Steijn, Reitz, einen vr. Williamson und Krüger, aus angeblichen Briefen von dem in London noch immer in Haft gehaltenen Or. Krause, aus einer angeblichen Gegenproclamation Botha's und einer Flugschrift „Warnung an unsere Führer und Bürger auf Com mando" bestand; von den eigentlichen Verhandlungen erfuhr man dagegen nichts, sondern nur die kurze Mittheilung, daß das Urtheil, das selbst geheim gehalten wurde, gefällt und Lord Kitchener zur Bestätigung vorgelegt worden sei. So weiß man nicht, ob das Anklagematerial genügend geprüft worden ist, ob die Behauptungen der Anklage erhärtet sind, Or. Williamson sei Or. Leyds, und Broeksma sei, wenn nicht der Verfasser, so doch der Verbreiter der bei ihm gefundenen Flugschrift, in der der Neutralitätseid als unverbindlich hingestellt wird. In ge wisser Weise erschüttert war das Anklagematerial dadurch, daß einzelne der Vorgefundenen Briefe durch den nordamerikanischen Gcneralconsul im Haag bestellt sein sollen, während es einen solchen gar nicht giebt. So weit aus den Angaben über das Material ersichtlich, hat Broeksma vermuthlich mit den ge nannten Bocrenführern inner- und außerhalb Südafrikas in Briefwechsel gestanden, ein solcher Gedankenaustausch braucht aber nicht nothwendig hochverrätherisch im englischen Sinne zu sein. Gedanken sind zollfrei, und daß ein Boer in seinen brieflichen Ergüssen auf die Engländer weidlich schimpft, ist selbstverständlich, auch wenn er den Neutralitätseid geleistet hat; oder verbindet ihn dieser, auch gegen England nichts Feindliches zu denken? Erst wenn nachgewiesen werden kann, daß die Ge danken sich in Thaten umgesetzt haben, liegt eine strafbare Hand lung vor. Es ist ja möglich, daß dieser Nachweis vor dem Johannesburger Kriegsgericht geführt ist; aber erfahren hat man es nicht, und daher hat die plötzliche Verkündung und Voll streckung des Todesurtheils, nachdem man seit dem 14. Sep tember von der Angelegenheit nichts mehr gehört hatte, ver blüffend gewirkt. Die Engländer beklagen sich fortgesetzt, daß man an ihrem Auftreten in Südafrika auf dem Festlande miß günstige Kritik übe; wenn sie aber die öffentliche Meinung mit solchen Plötzlichkeiten überraschen, verringern sie nicht gerade die ReibunqSfläche, an der die kritischen Zündhölzer immer wieder aufflammen. * London, 7. October. (Telegramm ) Au« Dundee wird den „Times" unter dem 5. October berichtet, vergangenen Mittwoch feien dem Vernehmen nach der jüngste Sohn deS Staat« fekretär« Reitz und Emmett, rin Neffe deS General« gleichen Namen«, mit Gewehren und Pferden gefangen ge- nommen worden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. October. Ein höchst erfreuliche« und ermuthigende« Ergebniß haben die am Freitag im Ärotzhcrzogthum Baden stattgefundenen Wa blmänn erwab len für die nationalliberale Partei gehabt. Nicht nur haben die Nationalliberalen ihre Mandate behauptet und sind nicht „an die Wand gedrückt" worden, sie haben sogar, wie der Telegraph bereits gemeldet bat, zwei Mandate gewonnen. Dieser Erfolg ist um so höher anzuschlage», al« das Centrum und die Social demokraten ein wahres Kesseltreiben auf die National liberalen eröffnet und ebenso wie die Demokraten auf der ganzen Linie die Parole ausgegeben batten: „Nieder mit den Nationalliberalen!" Der schönste Sieg ist jedenfalls die Wiedereroberung Karlsruhes, welche die Socialdemokraten für ganz unmöglich gehalten hatten. Noch am Borabend der Wabl gab sich der Führer der bayerischen Socialdemokratie, Reichstags-Abgeordneter v. Bollmar, in einer Karlsruher Wahlversammlung der „unum stößlichen Gewißheit" hin, daß auch diesmal wieder die Mandate der Hauptstadt Baden« den Social demokraten zufallen würden. Der Demokrat Muser pflichtete ihm bei und schloß seine Wahlrede mit der Mahnung an die socialdemokratischen Wähler: „Machen Sie den 4. October zu einem Jubiläumstag für Karlsruhe!" ES ist nun völlig ander« gekommen, als diese Herren und daS Centrum hofften. Mit der erträumten und beinahe mit positiver Sicherheit vorausgesetzten Zweivrittel-Mehrheit de« CentrumS in der zweiten badischen Kammer ist es auf ab sehbare Zeiten nicht«; e« muß sich mit 22 Sitzen begnügen, während die Nationalliberalen 25 einnehmen werden. Ueber die Ausnahme deS Wahlergebnisses in der badischen Presse meldet der Karlsruher Correspondent der „Allgem. Ztg.": Der nationalliberale Wahlerfolg spiegelt sich in den Aeußerungen der gegnerischen Presse wider. DaS leitende Centrumsblatt nennt LaS Karlsruher Wahlergebniß ein überraschendes Resultat. Die für die nationalliberol-freisinnige Liste vottrendrn CentrumS- Wähler hätten gegen die CentrumSwahlparole gehandelt; nicht poli tische, sondern andere, nicht streng zur Sache gehörige Gründe hätten bei dem nationalliberalen Sieg den Ausschlag ge- gegeben. DaS leitende demokratische Blatt sagt, Karl«- ruhe habe einen politischen Kniefall zum RegierungSjubililum gemacht, daS gesammte Resultat der Wahlen sei ein nationalliberaler Erfolg, nur Selbsttäuschung könne das in Abrede stellen. Dos führende sociald em akratische Organ erklärt, «S nütze nichts, die socialdemokratische Niederlage lediglich auf die Jubiläumsstimmuug zurückzusühren. Bon Grund auS müsse Manches in der badischen Social demokratie anders werden. Vor Allem müsse eS ernste S orge sein, in der Arbeiterschaft die Begeisterung für die socialdrmokratischen Ziele wieder zu beleben und mehr Aufklärung zu schossen über da-, was die Socialdemokratie wolle. Da liege sehr vieles im Argen. Wer sich dieser Arbeit widme, dem bleibe keine Zeit und Neigung, sich mit Gehässigkeiten gegen eigene Parteigenossen zu beschäftige». Die bittere Lehre müsse zur Einkehr führen. So schön aber der Erfolg der Nationalliberalen auch ist —- er hätte noch besser sein können, wenn die Orga nisation der nationalliberalen Partei im Großhcrzogtbnm eine fester gefügte gewesen wäre. Die Lehren de« diesmaligen Wablkampfes werden hoffentlich an unseren badischen Partei genossen nicht spurlos vorübergehen, sondern sie daran mahnen, sich nur auf sich selbst zu verlassen und die Wahlen schon in Zeiten der politischen Ruhe durch eine geschlossene Organisation vorzubereiteu. Schwerlich wird eS der „Germania" in ihrem Kummer über den Mißerfolg des badischen Centrum- zum Tröste ge reichen, daß in der Angelegenheit deS nach dem „Els. Volks- boten" nunmehr definitiv zum Professor der neueren Geschichte an der Universität Straßburg ernannten Prof. Spahn nun auch Graf H oensbroech daS Wort ergreist und das Räthsel löst, daS Herr Spahn dem ultramontanen Moniteur durch FeiriHetsir. Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck vnboten. „Wie"— sollte er nichts mitgenommen haben? — Und keine Zeile —?" „Nichts mitgenommen — denk' einmal, nein! Weder eigene« noch fremdes Gut!" versetzte Frau Thoroldsen mit schneidender Bitterkeit. „Dein Bureau ist unberührt, Cläre vermißt keinen Groschen." „Aber Anna — habe ich denn —" „Willst Du leugnen, daß Deine Worte diesen Sinn hatten? Seines VaterS goldene Uhr, die ich ihm gegeben, ist das Einzige, waS ich vergebens gesucht." „Na also — dann — und keine Zeile, kein Zettel, nichts?" Nichts!" — Frau Thoroldsen's Arme lagen in ihrem Echooß, ihr Kopf sank Mit der Abspannung der Verzweiflung auf ihre Brust nieder. „Aber Schwester! — Liebe Schwester!" bemühte sich Bergau ihr ermuthigend zuzureden. „Warum denn gleich da« Schlimmste denken! — Wir werden von ihm hören — er wird sich wieder einstellen — heut« oder morgen. — Wir werden nachforschen und ihn finden. Aber selbstverständlich, Schwesterherz!" Frau Thoroldsen schüttelte langsam den Kopf. „Wir werden ihn finden — vielleicht", sprach sie mit dumpfer Stimme. „Oder sie werden ihn uns bringen — seine Leiche wenigstens." Bergan wollte etwas erwidern — das Wort erstarb ihm auf den Lippen. Seine Schwester stand vor ihm, mit wirr in die Stirn Hangenden Haaren und groß aus gerötheten Lidern ihn anstarrenden Augen, ihre Rechte anklagend gegen ihn auS- gestreckt. „Wenn mein Sohn, mein Einziger, todt ist, Anton, so ist das Dein Werk. Deine Hartherzigkeit hat ihn zum Selbst mord getrieben." „Um Gottes willen, Anna!" Bergau war bleich geworden wie sein Hemd. „WaS habe ich oethan? Nur Guter! Mein Wille wenigstens —" Frau Clara brach nun ihrerseits in Thränen aus, trat Neben ihren Gatten und faßte seine Hand. „Anna, wir sind Alle Menschen, frage Dich, ob Du niemals mit der besten Absicht Fehler begingst, die schwere Folgen hatten." Bergau legte seinen Arm um seine Frau und zog sie innig an sich. In diesem Augenblick war Alles vergeben und ver gessen, waS leichtherzige Thorheit entfremdend zwischen Mann und Frau geschoben, sie fühlten Beide, daß sie zusammen- gekörten und auf einander zählen konnten in guten und bösen Stunden. AuS der peinlich auf die Spitze getriebenen Situation brachte Lissi Erlösung. Mit durchnäßten Kleidern, rothen Wangen und wirren Haaren stürmte sie ins Zimmer und blieb betroffen beim Anblick der hocherregten Gruppe in der Nähe der Thür stehen. „Lissi!" rief Bergau. „Was ist? Komm' her, Kind! Wo warst Du? Wie siehst Du aus?" „Ich — war am Wasser, Vater", erwiderte Lissi verlegen und stockte. Bergau setzte sich und zog daS Mädchen an sein Knie. „Am Wasser, im Regen? WaS suchtest Du da?" Lissi sah im Geiste ein Ungewitter Heraufziehen, das sich über ihr Haupt entlud. Sie hatte gehofft, die MutKr allein zu finden. Der wollte sie beichten. Sie bezwang indes» tapfer ihre Furcht, und sagte leise, mit einem Blick auf die Tante, die herzugetreten war und in lechzender Spannung horchte: „Vater, eS war wegen Olof'S. Ich dachte — ich könnte vielleicht erfahren — wo er geblieben." „Du? — Wie daS?" „Vater, ich denke, ich weiß eß." „Wirklich! — Du warst am Wasser. Wie kamst Du darauf, dort hinzulaufen?" „Weil — weil ich weiß, daß Olof gern zur See gehen wollte. Und weil ich weiß, daß gestern ein Schiff auSlaufen sollte und daß er mit dem Capitän geredet hat, der sollte ihn mitnchmen." Bergau runzelte die Stirn. „DaS ist ja eine sehr merk würdige Geschichte. Woher willst Du da- Alles wissen?" Und Lissi erzählte mit fliegendem Athem und überstürzten Worten von ihrer Kahnfahrt vom vergangenen Freitag mit ihrem Detter. Bergau hatte sein Kind losgelassen, war aufgefianden und ging mit aus den Rücken gelegten Armen und finsterem Gesicht auf und nieder. Als Lissi zu Ende war, brach er in ein hohnvoller Lachen aus. „Es kommt ja immer schöner! — Jetzt hörst Du e« mit eigenen Ohren, Anna, wie er mein Kind zu Lügen, zum Un- gehorsam und zu gefährlichen Streichen verführte. Da« ist mein Dank!" — Lissi drängte sich weinend an ihn, faßte seine Hand und küßte sie. Er entzog sie ihr unsanft, faßte ihre Schulter und stieß sie nach der Thür zu. „Hinaus! Das Weitere wird sich finden!" „Wohin willst Du, Anna?" „Wohin? Ich weiß nicht — nach dem Fluß — ihn suchen —", stotterte Frau Thoroldsen, in zitternder Hast ihre Sachen zusammcnraffend und anlegend. „Willst Du mit mir zum Polizeidirector gehen, Anna? — Ich weiß nichts Besseres, die Spuren deS Ausreißers möglichst schnell zu verfolgen." „Wollen wir nicht am Ende erst Lissi fragen, wa§ sie dort erkundet hat?" schlug Frau Bergau vor. Lissi wurde also wieder hereingerufen und von den Frauen ausgefragt. Sie hatte nach Fritz und seiner Jolle geforscht, aber Niemand wußte etwas von dem Jungen — Niemand konnte oder mochte ihr Antwort geben. Schließlich hatte aber ein grober Schiffer furchtbar loSgewcttert, weil sein Boot ge stohlen sei. Da hatte Lissi Furcht bekommen und war davon gelaufen. „Und Du meinst — Lissi — Du meinst — Olof — hätte das Boot weggenommen?" „Aber Tante, er wird doch Fritz mit dem Boot zurück schicken, wenn er daS Schiff erreicht hat." Bergau sah sich sein Töchterchen fast mit Erstaunen an und lachte zornig in seinen Bart. „Die hat er klug ge macht — oh —" Es trat Schweigen ein. Jeder suchte sich im Stillen da« Gehörte zurecht zu legen und seine Schlüsse daraus zu ziehen. „Es wird am besten sein, bei der Hafenpolizei Erkundigungen einzuziehen. Man muß zu erfahren suchen, was für ein Schiff das war, von dem Lissi da erzählt und wohin es geladen hatte. Den Namen weißt Du wohl auch?" „Ja, Vater. ES war ein norwegisches Schiff und hieß „Iduna", und eS führte Dampfmaschine und Segel." Berqau schüttelte den Kopf und wechselte einen Blick mit seiner Frau, in dem etwas wie elterlicher Stolz lag. Ein Helles Köpfchen, wahrhaftig! Trotzdem hielt er es für nöthig, gehörige Strenge walten zu lassen. „Geh' in Deine Stube und rühre Dich nicht hinaus", gebot er. „Drei Tage hast Du Stubenarrest für Dein Herumtreiben von heute und Deinen Ungehorsam von neulich. Du hast sehr ernste Strafe verdient, und ich werde Dich streng unter Annen behalten in Zukunft. Derartige schlimme Streiche bast Tu wohl öfters verübt?" Lissi hatte große Lust, Generalbrichte abzulegen, da sie aber Olof mit verrathen hätte, faltete sie nur demüthig die Hände und blickte ihren Vater flehend mit Augen voll Thränen an. „Du machst Deinen Eltern viel Kummer, Kind", sagte er erweicht. „Ich glaubte, ich hätte eine offenherzige und gehor same Tochter, der eS ganz unmöglich wäre, auf schlechte Wege zu gerathen. Nun — geh' nur, geh', zeige erst, daß es Dir mit Deiner Besserung Ernst ist." Sechstes Capitel. An einem trüben Novembermorgen — das Sängerfest in K. mit seinen Folgeereignijsen liegt weit zurück — ersteigt ein junges Mädchen die steilen, teppichlosen Treppen in einem Hause der Lützowstraße in Berlin. Vor einer Thür, die auf großem, weißem Porzellanschild die Aufschrift „Grünbaum L Löhnert, Patent- und technisches Bureau" trägt, bleibt sie stehen, zögert eine Minute, öffnet dann die massive Doppelthür und tritt ein, ohne zu schellen oder zu klopfen — Beides wird nicht gewünscht, wie sie bereits bei früheren Besuchen erfahren hat. In wem öden, dämmerigen Zimmer, das nach dem Hof hinaus liegt, brennt noch «ine Gas flamme über dem breiten Doppelpult, an dem sich zwei Herren über zahlenbcdeckten Papieren gegenübersitzen. Der Eine mit stattlichem, roihblondem Spitzbart, der Andere ein blasser, schmal wangiger Jüngling mit dunklem Haar. Beide blicken beim Eintritt der jungen Dame auf und er widern flüchtig ihren stummen Gruß. Der Aeltere fährt in seinen Rechnungen fort, der Jüngere steht auf, nähert sich dem Fräulein und fragt leise nach ihrem Begehr. „Ich wünsche Herrn Löhnert zu sprechen", antwortet sie eben so leise. * „Herr Löhnert ist nicht allein — sehr beschäftigt — wollen Sie sich eine Minute gedulden —" und er rückt ihr höflich «inen Stuhl zurecht. Das junge Mädchen überlegt einen Augenblick. „Herr Löh nert erwartet mich aber um diese Stunde — hier ist seine Karte." Sie nimmt eine Postkarte aus der kleinen Mapp«, di« sie in der Hand trägt. „Geben Sie hinein. Herr Schmidt, und melden Sie da« Fräulein", mischt sich der Spihbärtig« ein. „Fräulein Bergau, nicht wahr? Ditte, Fräulein Bergau, nehmen Sie einstweilen Platz." Fräulein Bergau dankt, bleibt aber stehen. Sie ist mittel groß. schlank uiid fein gebaut, von anmuthiger Fülle der jugend lichen Formen. Unter dem dunklen Filzhütchen quillt ihr das Haar lockig und goldbraun hervor, das frischgefärbte, ntnde Gesicht zeigt klare hübsche Züge, den Ausdruck unberührter, fimgfräu-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite