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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011012018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901101201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901101201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
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Morgen-Ausgabe. WpMcrIaMM Anzeiger. Amtsblatt des H'öniglichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die -gespaltene Petitzeile LS Reklame» »atrr dem RrdaeNousstrtch (4 gespaltea) 7b vor den FamUteouach» richte» (6 gespalten) bO L,. Tabellarischer »»d Mernsatz entsprechen» hüher. — Gebühren für Nachweisungen iuid Offertenanaahme LS («xel. Porto). Extra'Beilagen (gesalzt), a»r mit d«, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderuug SO.—, mit Postbesürderuug 70^—. Lonahmeschluß für Atyrigen: Lba»d«>»«gaber vormittag« LV Uhr, Vkargan-Lasgab«: Nachmittag« L Uhr. V«t de» Filiale» imd Annahmestelle» je eins halb« Stnad« früher. T»zeige» p»d stet« a» di« Lxpedttiou z» richte». Die Expedition ist Wochentag« unnuterbroche» geoffaet vo» früh S bi« Abend« 7 Uhr- Druck «d Verlag vo» E. Polz i» Leipzig. Souvabeud den 12. October 1901. S5. Jahrgang. DezugS.PreiS K der tzaaptrxpedttio» oder de, im Et»dt> bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich 4.S0, bei zwetmaltger täglicher gu stell oog in« HauS ^l S.S0. Durch dir Post bezogen sür Deutschland ». Oesterreich: vterteljährl. >4 S. Man abonntrt ferner niit entsprechendem Postaufschlag bet den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland. Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rügland, den Donaustaalen, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staate» ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« Expedition diese« Blatte« möglich. Di« Moraea-AuSgabe erscheint am '/,7 Metz di« Aüend-LuSgaoe Wochentag« am » ügo Ve-actiou vnd Erpe-ltion: JvhanntSgaffe 8. Filiale«: Alsted Sahn vorn». O. Klemm'« Eortiar. LawersitätSstraße S (Pauliaum), Laut« Lösch«, Latharinenstr. !«. purt. und Künig-Platz 7. Nr. 521. Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Man braucht keineswegs Pessimist zu sein, um voraus zu sehen und zu sagen, daß di« Frage der Arbeitslosenversicherung in nächster Zeit an Bodeutung gewinnen werde. ES ist das Verdienst der Schweiz, auf diesem noch sehr strittigen Gebiete der Arbeiterversicherung die ersten gesetz geberischen Vorstöße gewagt zu haben. — Während noch vor Kurzem die vorherrschende Tagesmeinung in der periodischen Arbeitslosigkeit größerer Arbeitermassen lediglich ein« unvermeid liche Begleiterscheinung der modernen WirthschastSentwickelung er blickt«, gegen deren zeitweilig nachtheilige Rückwirkungen der ein zelne Arbeiter ebenso wie jeder Andere in ähnlicher Lage sich selbst sichern müsse, hat inzwischen die Auffassung die Ueberhand ge wonnen, daß hier eine sociale Verpflichtung der staatlichen Ge meinschaft vorlirge, Abhilfe zu schaffen. Im Allgemeinen ist man darüber einig, daß oie erste Vorbedingung für eine Lösung ver Frage 'die Regelung des Arbeitsnachweises bilde. Auch darüber ist man einig, daß zur Vermeidung von Simulation und Inanspruchnahme übermäßiger Mittel jede Unterstützung an Arbeitslose nach Beginn, Höhe und Dauer bestimmt umgrenzt sein, d. h., daß zunächst eine gewisse Wartezeit der eigenen Für sorge jedes Einzelnen überlasten bleiben und die dann eintretende Unterstützung nach Art der Entschädigungen der sonstigen Ar- beiterversicherungszweige zwar hinter dem ortsüblichen Lohne Zu rückbleiben, aber doch für ein« gewiss« Uebergangszeit die wirth- schaftliche Existenz sichern müsse. Die Ansichten über die Ausgestaltung der «rforder- lichen Organisation und die Aufbringung der Mittel gehen noch sehr weit auseinander. Die Einen glauben, Beides den Arbeitern selbst über- lasten zu sollen, Andere wollen die Lasten den Unternehmern auferlegen. Dagegen wenden sich wieder die Industriellen selbst, weil die zeitweise Einschränkung oder Einstellung der Betriebe meist nicht von ihren Betrieben ab hänge, sondern durch die allgemeinen Marktverhältniste erzwungen werde. Zwei andere Richtungen wollen statt der berufsgenossen- schaftlichen Kreise die Gemeinde oder den Staat in Anspruch nehmen, je nachdem die Lösung der Frage nur im engeren örtlichen Kreise oder auf breitester Grundlage für das ganze nationale Wirthschaftsgebiet erfolgen soll. Die Lösung der Schwierigkeiten wird auf einer Mittellinie zu suchen sein, d. h. in erster Linie, wenigstens in größeren Jndustrieorten, auf berufsgenossenschatlicher Grundlage und nur da, wo lebenskräftig« Gebilde der Art sich nicht schaffen lasten, auf territorialer Grundlage. Der bekannte Socialpolitiker Zacher machte schon 1892 den Vorschlag, die deutschen Berufsgenossenschaften und Innungen nach Vieser Richtung hin zu verwerthen. Die schweizerischen Versuche haben sich bisher ausschließlich auf der Linie der Be nutzung der territorialen Grundlagen bewegt. Den ersten Anstoß gab ein Antrag der schweizerischen socialdemokratischen Partei, welcher eine Agitation für di« verfassungsrechtliche Einführung des Rechtes auf Arbeit ins Leben ri«f und nach Zusammen bringung der erforderlichen 50 000 Unterschriften am 4. Juni 1894 in der Bundesversammlung mit 291690 gegen 72 513 Stimmen abgelebnt wurde. Nichtsdestoweniger beschlossen die gesetzgebenden Räthe, den Bundesrath einzuladen, zu untersuchen, ob und eventuell in welcher Weise eine Mitwirkung des Bundes bei Institutionen des öffentlichen Arbeitsnachweises möglich und gerechtfertigt sei. Schon im Jahr« vorher hatte der Stadtrath zu Bern in der Erwägung, daß Vie unverschuldete Arbeitslosigkeit eine ständige Begleiterscheinung der heutigen wirthschaftlichen Zu stände geworden fei und baß deshalb der bestehenden Gesellschaft die moralischeVerpflichtung obliege,Abhilfe zu schaffen, zumal da die Arbeiter erfahrungsgemäß allein dazu unvermögend seien und andererseits die Armenpflege hier gänzlich versage, folgenden Be schluß gefaßt: Auf den Vorschlag des Gemeinderaths vom 8. November 1892, betreffend Schutz- und Vorsichtsmaßregeln gegen Arbeitslosigkeit wird in dem Sinne eingetreten, daß zur Verhütung der üblen Folgen «der Arbeitslosigkeit aus den 1. April 1893 vi« Einrichtung einer Vcrsicherungscaste gegen Arbeitslosigkeit angestrebt wird, deren Verwaltung die Gemeinde übernimmt. Auch in den Cantonen St. Gallen und Basel-Stadt hat man der Frage der Arbeitslosen-Versicherung durch Er richtung von Versicherungscassen gerecht zu werden versucht. Vr. Claus Buschmann, der sich bereits in einer früheren Schrift eingehend mit der Frage der Arbeitslosigkeit beschäftigt hat, stellt in dem Schriftchen „Der Kampf um Arbeit" (Stuttgart, Verlag Heimdall) zunächst die Versuche zusammen, die man auf diesem G«biete gemacht, die Er folge, die man erzielt hat, und entwickel! dann seine eigenen Vor schläge zur Beseitigung der Mißstände. Auch er will zu Trägern einer oblmatorischen Versicherung gegen Arbeitslosigkeit die Be rufsgenostenschaften und die Berufsoereine machen, die überall consequent auszubauen wären. Das bedeutendste Hinderniß einer solchen Lösung stellt die Social demokratie dar, die eifrig und erfolgreich bestrebt ist, alle socialpolitischen Einrichtungen zu Machtpositionen umzuwandeln, die sie aus nutzt, um die Arbeiter durch ihre materiellen Interessen an die Partei zu fesseln. Unter diesen Umständen kann ein Staatsmann es nicht wohl als seine Aufgabe betrachten, der Socialdemokratie Berufsoereine hübsch ausgebaut und ausgestattet als Schnecken häuser darzubieten, in die sie nur hineinzuschlüpfen braucht, um ein neues wichtiges Einfluß- und Herrschaftsgebiet zu erobern. Derartige Fragen werden um so rascher vom Flecke kommen, je bessere Fortschritte der Proceß der Befreiung der Arbeiterschaft von den überlebten Schrullen des Marxismus macht. Die So cialdemokratie stemmt sich geradezu den materiellen Interessen d«r Arbeiter und den Reformversuchen entgegen. Man braucht des halb keineswegs die Mauserung der Socialdemokxatie zu leugnen. Die Mauserung verringert eben nur die Bremswirkung, die von der Socialdemökratie, von der Ausschlachtung der Wohlfahrts einrichtung zum Besten der Macht und Herrlichkeit der Partei börsen ausgcht. Das macht sich naturgemäß gerade auf diesem Gebiete am empfindlichsten bemerkbar, d«nn in den Zeiten in dustriellen Aufschwunges erlahmt das Interesse für die Frage, weil man darauf verweisen kann, daß jeder Halbwegs tüchtige und ordentliche Mann reichlich lohnende Arbeitsgelegenheit findet. In den Zeitcn des wirthschaftlichen Niederganges regt sich aller dings dringend das Interesse für den Jammer der Arbeits losigkeit, aber zugleich leidet alle Welt unter dem gebieterischen Zwange, mit den Mitteln hauszuhalten. Es ist also zu be dauern, daß die Arbeit der Socialdemokratie die praktischen Aus sichten des Planes noch verschlechtert. Der Krieg in Südafrika. Man schreibt unS aus London unter dem 9. October: Es war heute vor zwei Jahren am 9. October 1899, als die Präsidenten der beiden Boeren- Republiken sich zum Kriege entgiltig entschlossen und jenes historische Ultimatum an Großbritannien richteten, welches John Bull in Helle Wuth versetzte und endlich den langwierigen und aussichtslosen Verhandlungen zwischen England und dem Transvaal bezüglich der verschiedenen Streitfragen zu dem un vermeidlichen Ausgange brachten. Das Cabinet Salisbury- Chamberlain war im Geheimen fest entschlossen, sich die günstige Gelegenheit nicht wieder entgehen zu lassen und die beiden Re publiken gewaltsam unter das englische Joch zu beugen, koste es, waS es wolle. Die Zeit der Rache „für Majuba" schien ge kommen, und andererseits waren die Boeren davon überzeugt, daß England den Krieg wollte, und daß sie selbst daher nichts Besseres thun konnten, als die erste Karte auszuspielen und dem Gegner nur nicht die für seine Feldzugsvorbereitungen er wünschte und erforderliche Zeit zu lassen. So kam es zu dem für Großbritannien unannehmbaren Ultimatum, welches einer Kriegserklärung wie ein Ei dem anderen glich und auch ent sprechend aufgefaßt wurde. Ein gar kurzes und präcises Documcnt war es, dieses Ultimatum, und es verlangte in unzweideutiger Sprache, 1) daß die englischen Truppen an den Grenzen der beiden Republiken unverzüglich zurückgezogen werden sollten, 2) daß alle Ver stärkungen der englischen Armee in Südafrika, welche seit dem 1. Juni 1889 gelandet worden waren, innerhalb einer ent sprechenden Frist wieder nach England eingeschifft werden müßten, und 3) daß die Truppen Ihrer großbritannischen Majestät, die sich am 9. October auf hoher See auf der Fahrt nach Südafrika befanden, nicht in südafrikanischen Häfen aus zuschiffen seien. — Die Mobilisation der Boeren-Streitkräfte wurde gleichzeitig mit verblüffender Geschwindigkeit ins Werk gesetzt, und der General-Commandant Joubert konnte fast ohne jeden Aufenthalt über circa 65 000 Mann gut ausgerüsteier Truppen verfügen, während die britische Feldmacht sich nur auf etwa 23 000 Mann belief, von denen der größere Theil noch dazu die Städte Pieter-Maritzburg, Durban, Ladysmith, Cap stadt u. s. w., sowie über 2000 englische Meilen Eisenbahnen und Verbindungslinien zu beschützen hatte. Es dauerte dann zehn Tage, bis die ersten Heeresverstärkungen in der ungefähren Zahl von 5000 Mann von England nach Südafrika verschifft werden konnten, und bis zum Eintreffen derselben waren die Boeren im Stande, einen großen Theil britischen Gebietes zu überschwemmen und die Cernirung verschiedener wichtiger Waffenplätze ihrer Feinde vorzubereiten und in Scene zu setzen. Trotz der anfänglich sehr ungünstigen Lage und der über raschenden Kriegsbereitschaft der Boeren zweifelte in England und in der Capcolonie kein Mensch, so weit er nicht besserer Einsicht fähig war, daran, daß allerspätestens bis Weihnachten die Hauptstädte der Boeren genommen und die letzteren selbst zu Paaren getrieben sein würden. An einen Krieg, der zwei Jahre und länger dauern könne, glaubten selbst gut unterrichtete Freunde der Boeren nicht, aber man rechnete eben nicht mit der Vaterlandsliebe, der zähen Widerstandskraft und der unermüd lichen Tapferkeit der Burghers und ihrer zahllosen fremden Kampfgenossen, — vor allen Dingen aber auch nicht damit, daß dem Boerenvolke Männer — Feldherrn —, wie Louis Botha, Christian De Wet, Delarey u. A. m. erstehen würden. Heute blickt England auf zwei sehr unrühmliche Kriegsjahre zurück und macht die letzten verzweifelten Anstrengungen, der Ueberbleibsel der tapferen Boerenschaar Herr zu werden, — mit weniger Aussicht auf Erfolg, als jemals zuvor während des ganzen Verlaufes des unglücklichen Feldzuges, der dem Prestige der britischen Armee und der Ehre, dem Ansehen der britischen Nation mehr Schaden zugefügt hat, als selbst ein endgiltig er folgreicher Abschluß des fatalen Boerenkrieges jetzt noch wieder gutmachen könnte. * TlMdee, 8. October. („Reuter's Bureau".) TaS Gefecht, das am Sonntag mit Botha und seiner auf 2000 Manu ge schätzten Streitmacht geliefert wurde, dauerte den ganzen Tag. Schließlich räumten die Boeren die Stellung und zogen sich in nördlicher Richtung auf den Baviaan-Fluß zurück. * London, 11. Oktober. Der „Standard" meldet auS Brüssel: Die Transvaalgesandtichaft hat die Nachricht erhalten, daß britische Agenten Deutsch.Lothringen und Luxemburg bereisen mit der Aufgabe, unter den be schäftigungslose» Arbeitern Freiwillige zu werben. Die Ge sandtschaft bereit« eine Note vor, um die Aufmerksamkeit der deutschen Regierung auf die Angelegenheit zu lenken. — Es verlautet, Botha habe Kttchener benachrichtigt, daß er Ver- geltungSmaßregeln für die Hinrichtung von Broeksma zu ergreifen beabsichtige. ?. Pari«, 11. Oktober. (Privatte legramm.) Präsident Krüger hat einem Berichterstatter des „Eclair", der ihn in Hilversum aufsuchte, folgende Erklärung gegeben: „Die Thatsache, daß der Krieg bereits zwei Jahre dauert, ist ein hinlänglicher Be» weis dafür, daß er noch länger dauern soll. Aus den ruchlosen Krieg antworte» wir mit zäher Energie. England wird entweder selbst Len Krieg beenden, indem es unser Gebiet verläßt, oder Gott wird ihu beenden, indem er uns immer den Sieg verleiht." Deutsches Reich. -r- Berit», 11. October. (Keine Wendung im G e» sammtverbande der evangelischen Arbeiter vereine.) Es steht nunmehr fest, daß im Gesa mmt- oerbande der evangelischen Arbeitervereine eine Wendung zu Ungunsten des Pfarrers Naumann nicht eingetrcten ist. Dies ergiebt sich aus einer Erklärung, die der Vorsitzende des Ausschusses, Pfarrer Weber, gegenüber einem westdeutschen Blatte soeben veröffentlicht. In ver Erklärung Webers wird die viel erörterte Mittheilung des „Evang. Arbeiter boten", der in Eisenach versammelt gewesene Ausschuß des Ge- sammtoerbandes habe Vorkehrungen gegen die Wiederholung einer Agitationsreise Naumann's im Ruhrreoiere getroffen und seinen Einfluß auf das gebührende Maß beschränkt, zudem laufe die Wahlperiode Naumann's in einem halben Jahre ab — als „irre führend" bezeichnet und hinzugefugt: „Nicht erst in Eisenach, son dern schon in Speier ist das geregelt worden, daß Herr Pfarrer Narrmann nicht wieder ohne unsere Zustimmung in unser Revier kam. Von Umschwung kann also überhaupt keine Red« sein." — Auf dem Speierrr Delegirtentag« des Gesammtverbandes ist bekanntlich Naumann an Stelle des Abg. Franken in den Aus schuß gewählt und damit der wachsende Einfluß Naumann? im Gesammtverbande deutlich bekundet worden. Berit», 11. Octobsr. (Bajuv ar ische Preußen hetze.) Daß zwischen Münchener Semmeln und preußischen Bombensplittern ein Zusammenhang bestehe, wird jedem Unbefangenen nicht ohne Weiteres einleuchtend erscheinen. Das officielle Organ der bayerischen Centrumspartei aber hat cs doch fertig gebracht, einen Zusammenhang zwischen Semmeln und Bomben zu construiren. Anknüpfend nämlich an den Um stand, daß der Abg. Or. Heim bei den letzten Zollvebatten der bayerischen Kammer eine sehr klein gerathene Münchener Semmel vorzeigte, um darzuthun, wie wenig niedrige Getreide preise auch niedrige Brodpreise bewirken müßten, erinnert das Centrumsblatt an folgenden Vorgang aus dem Jahre 1870. Als damals der Abg. Ruland gegen das Bündniß mit Preußen sprach, warf er einige Stücke von Bomben, mit denen die Preußen im Jahre 1866 Würzburg beschossen hatten, in den Saal mit der Bemerkung: „Das sind preußische Liebesgaben!" — An diesen für den Abg. Ruland ganz gewiß nicht ehrenvollen Vorfall zu erinnern, läßt sich das bayerische Centrumsorgan natürlich nur in der Absicht an gelegen sein, seine Leser gegen Preußen wegen des Krieges von 1866 aufs Neue zu erbittern. Zum Thcil mag Vie erhoffte Wirkung erreicht werden. Die hauptsächlichste Wirkung aber dürft« in der Auffrischung des Gedächtnisses an die unwürdige Leirilletsn. Rudolf Virchow. Zum 80. Geburtstage am 13. Octobrr. Sein Leben. Von vr. Curt Vogt. Nachdruck Verbote». Soweit auf Erden Mcdicin und Naturwissenschaft auf den Grundlagen streng realer Forschung betrieben werden, an allen Universitäten Europas und der fremden Welttheile, von Upsala bis nach Melbourne und Buenos Aires und von Tokio und Vorderindien Lis nach San Francisco, gedenkt man am 13. Oc tober des bedeutenden Mannes, dem daS bohr Glück beschicken war, schon in seinen Jugendjahren die in vielen Beziehungen rückständig aewv'dene medicinische Wissenschaft auf neue Bahnen hinüberzuleiten, und der heute nach 58jährig«r Thätigkeit im Dienste des menschlichen Wohles nicht als matter, ausgelrbUr Greis, sondern frisch und froh, mitten im Getriebe rastloser Arbeit sterzend, mit dem Hochgefühle der Befriedigung auf ein reichbegnadeies Leben zurückblickt, das ihm oicl Mühen und An strengungen, aber auch die Liebe seiner nach Tausenden zählenden Schiikr und die Anerkennung der Mitwelt brachte. Am 13. Oc'ober 1821 zu Schievelbein in Pommern geboren, besuchte Dirchcw daS Gymstasium rn Köslin und bezog nach Lesse» Absolv'iung als Zögling des unter dem Namen P6piniöre allbekannten medicinisch-chstrurgischen Friedrich Wilhelms-Jn- stltates die metrcinische Facultät der Universität Berlin. Hier erwarb der flüssige Student schon im Alter von 22 Jahren den T"ctorhut und fand bald darauf ein« Anstellung als Unterarzt, später als Assistent von Professor Froriep und 1846 eine solche als Proscrtor an der CharitS. Hier fand dec junge Gelehrt« im Verein mit seinem Freunde Reinhardt auSziebige Gelegenheit zu selbstständigen Forschungen auf dem Gebiete der Pathologie, jene» damals stark in Mißkredit gekommenen Zweiges der mcdi- cinischen Wissenschaft, der sich mit der Nnalysirung und Er klärung der krankhaften Vorgänge im Menschen befaßt. Pathologie und pathologische Anatomie hatten sich damals in falsche Bahnen verrannt. In den Anschauungen ihrer Ver treter spukten noch immer aristotelische Vorstellungen. Auf Grund vorgefaßter falscher Begriffe hatte man sich »In förmliches philosophisches System aufgebaut, das zwar aus recht schönen und kühnen Gedanken errichtet war, aber einem aus schlanken Säulen und Pilastern construirten Tempel glich, dem die Fundamente fehlten und in dem nebulöse Vorstellungen von krankmachenden liumores und vapores ein gespenstisches Dasein uhrten. Virchow, der von allem Anfang an klar erkannte, daß man auf solchen Grundlagen zwar Poesie und andere schöne Künste treiben, aber nimmermehr ein Gebäude aufführen könne, das den Menschen in den Stürmen des Lebens Zuflucht und Schutz gewähren soll, ging daran, an die Stelle körperloser, schemenhafter Ideen reale Thatsachen zu setzen. Er that dies, ndem er in die pathologische Forschung die naturwissenschaftliche Methode einführke und das Mikroskop sammi seinen Hilfsappa- raten, sowie die Chemie zu deren vornehmstem Werkzeuge macht«. Die Früchte dieser neuartigen Untersuchungen blieben nicht aus; sie wurden in dem von ihm 1847 im Verein mit Reinhardt ge gründeten „Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie" niedergelegt und erregten eben solches Aufsehen, wie seine ent schiedene Kritik der pathologischen Arbeiten, die eine der ersten Größen der Wiener medicinischen Facultät, Rokitansky, über die Grundform«», der Krankheiten veröffentlicht hatte. Nachdem er schon im Jahre 1846 begonnen hatte, Vor lesungen an der Universität zu halten, habilitirte er sich im folgenden Jahre als Docent und war im Alter von 27 Jahren bereits als eine wissenschaftliche Kraft bekannt, die in ihrer Fort entwickelung zu den höchsten Erwartungen berechtigte. Weit schauende College« erkannten schon damals 'in ihm den der- einstigen Meister im Gebiet« der medicinischen Wissenschaft und suchten ihn nach Kräften zu fördern, und die Regierung ward seiner Bedeutung dadurch gerecht, daß sie ihn im Jahre 1848 zum Studium d«s in Oberschlesien herrschenden, furchtbar auf tretenden Hungertyphus entsandte. Der Bericht, den Virchctw über die dort obwaltenden, wahr haft trostlosen hvgieinischen Zustände erstattete, gestaltete sich, Dank der rücksichtslosen Offenheit des Gelehrten, fast zu einer Anklage des dort geübten DeiwaltungrsystemS, die in den höchsten Regierungsstellen auf daS Peinlichst« empfunden wurde. Gleich- zeitig nahm man ihm aber auch seine politische Parteistellung als überzeugter und offener Demokrat übel, und da er sich lebhaft an den politischen Bestrebungen des „tollen Jvhres" betheiligte, blieb der Rückschlag nicht aus. Zu Ostern 1849 ward von dem Cultusminister von Ladenberg wegen seiner Teilnahme an den Bewegungen des RevolutionSjahres seine Dienstentlassung ver« fügt, doch wurde dem Andringen der ärztlichen Berlin« vom Minister bald insoweit nachgegeben, daß er auf Widerruf wieder angestellt wurde. Unter diesen peinlichen Verhältnissen war «s für ihn eine Er lösung, daß ihm die damals hervorragendste unter den medi cinischen Facultäten Deutschlands, nämlich diejenige der Uni versität Würzburg, die ordentliche Professur der pathologischen Anatomie anbot. Mit Fremden kehrte er der Stadt Berlin den Rücken, doch gab «s auch in Würzburg gar manchen Widerstand zu überwinden, da auch die bayerische Regierung einen Mann von so ausgesprochener radicaler Gesinnung perhorrescirte und erst auf das Andringen der gesummten Facultät und des Senats dieser Hochschule nachgab und die Bestätigung in seinem Amt« erfolgen ließ. In den siebenjährigen Zeitraum seines dortigen Wirkens fällt die Glanzperiode der Würzburger Uni versität, deren medicinische Facultät damals außer ihm noch andere Berühmtheiten ersten Ranges, wie Kölliker, Soanzoni und Bamberger, zu ihren Zierden zählte. Mit einem Schlage wurde die Stadt am Main zum Mekka der medicinischcn Welt, und der Name des 28jährigen Professors genügte, um die Frequenz der Facultät schon im nächsten Semester um viel« Hundert Hörer zu steigern, die dem bewunderten Lehrer hierher folgten. Als der In Würzburg zur europäischen Berühmtheit empor gestiegene Professor im Jahre 185^ an die Universität Berlin zu rückkehrte, eilten die WissenSdurstigen auS aller Herren Länder in sein Auditorium; zu seinen Vorlesungeit drängten sich nicht nur die Studenten in Hellen Schaaren, sondern ebenso zahlreich promovirie Aerzte aller Lebensjahre, und selbst der berühmte Augenarzt Albert von Gräfe, der neben Helmholtz und Donders der Begründer der modernen Augenheilkunde geworden ist, rechnete eS sich als Vorzug an, „wie ein einfacher Student" den Vorträgen und Demonstrationen Virchow's beigewohnt zu haben. Dem nunmehr 80jährigen Forscher, der seit 45 Jahren der Universität Berlin treu geblieben ist, hat es an den höchsten Ehrungen nicht gefehlt. Die neuen Grundlagen, auf die er die medicinische Wissenschaft gestellt hat, haben die werthvollsten Folgen gehabt; denn er war eS, der neue Einblicke in die Ent stehung-weise der vordem rätselhaftesten Krankheiten eröffnet«; und wenn heute jüngere Forscher, wie Robert Koch, Behring und Andere, die Wissenschaft zu neuen Zielen führen, so thun sie eS in Weiterverfolgung derjenigen Wege, die Virchow's Genie eröffnete. Als Erstaunlichstes an Virchow fällt Demjenigen, der nur ein mal zu seinen Füßen gesessen hat, neben seiner Verstandesschärfe die ungeheure Vielseitigkeit und Gründlichkeit seines Wissens auf. In sämrntlichen Gebi«ten des medicinischen Denken» hat er den nachhaltigsten Einfluß geübt; daneben hat «r aber auch auf dem Gebiete der Anthropologie und Ethnographie, cxr wissenschaft lichen und praktischen Hygieine und vieler anderen Zweige der Naturwissenschaften klassische Untersuchungen angestellt. Eben noch mit eigenen wissenschaftlichen Forschungen beschäftigt, eilt er im nächsten Augenblick in das Auditorium, wo Hunderte von Hörern mit gespannter Aufmerksamkeit seinem durchaus nicht mit blendenden Redewendungen rhetorisch aufgeputzten, aber durch seine Schlichtheit doppelt überzeugenden, logisch scharfen Vortrage lauschen. Nach Schluß des Collegiums verwandelt er sich in den Examinator, der Herz und Nieren prüft und den Candidaten, der nicht tüchtig und allseitig beschlagen ist, obn« Weiteres wirft oder, 'wie man in diesen Kreisen sagt, „rasseln" läßt. Diese manchmal wirklich unbarmherzige Strenge als Prüfungscommissär steht in vollem Einklänge mit seiner ätzenden Schärfe in der wissenschaft lichen Polemik, die ihm manchen geheimen Gegner hat erstehen lassen und die sich auch auf seine Thätigkeit als Politiker übertragen hat. Man hat es ihm oft nachgetragrn, daß er vor fast 40 Jahren in einer mit den schärfst«« Spitzen ver sehenen Rede dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten von Bismarck alle diplomatische Befähigung absprach. Der große Staatsmann hat es damals in seiner Erwiderung an Hohn und Satire nicht fehlen lassen, und der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Dieser offenbare Jrrthum des gelehrten ManneS, der sein poli tisches Denken nun einmal in einer bestimmten Richtung festgelegt hatte und in Bismarck den politischen Gegner mit aller ihm eigenen temperamentvollen Leidenschaft bekämpfte, mindert nichts an Virchow's 'wissenschaftlicher Größe, deren Würdigung unter Außerachtlassung seiner Stellung als Politiker der alleinige Zweck dieser unparteiischen Zeilen ist. Für die medicinische Welt und das Publicum bleibt er das große Genie, von dem einer seiner Schüler bei der Feier seines 70. Geburtstages sagen konnte: „Wer eS unternehmen wollte, ein umfassendes Bild von dem Leben und Dirken deS Gefeierten zu geben, müßte sich als einen G«ist empfinden von einer Uni versalität, die der sein«» nahe käme. Zahlreich und tief sind die Spuren die seine Arbeiten in den verschiedensten Gebieten mensch liehen Wissens und Forschens hinterlassen haben. Diesen Spuren überall nachzugehrn, diesen Arbeitsantbeil rm Einzelnen festzu- stellen, würde eine Aufgabe sein, dir nicht Einer — die nur eine Vereinigung von Fachmännern würde lösen können, wie sie sich beispielshalber zur Schilderung von Alexander von Humboldt'« L«b«n und Wirken zusamm»n-«fund»n hat."
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