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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011024013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901102401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901102401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-24
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Anzeigeu-PreiS die Sgespaltene Petitzeite LS «Zß. Reelam«» unter dem Redacrtoasftrich (4 gespaltra) 7Ü vor de» FamUteauach« eichten (S gespalten) Ü0 Tabellarischer aad Ktfferasatz eatfprechea» Häher. — Gebühre» für «achwetfaage» aad Offerteaauaahm« LS (excl. Porto). Extra-Vellage» (gefalzt), »», mtt der Morgea-Ausgab«, ohne PostbefSrdernllg SO.—, mit Postbefürdenmg 70^-» ^«na-mrschl«- fitr Anzeige«: Lb«»d-La»-ab«: vormittag» lv Uhr. M»rg«»-Aa»gab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bet dea Filiale» aad lllaaabmestell« 1» «Ms halb« Staad« früher. Anzeige» strtt» stets «a di« Expedttt»» z» richte». Di« Erpedttio» ist Wochentag« »umttrrbrvch«» grüssart voa früh S bi» Lbeud» 7 Uhr. Druck »»d Verlag von L, Pol» t» Leipzig Nr. 543. Donnerstag den 24. October 1901. S5. Jahrgang, Vas ausländische Armenwesen. i. Je größer die Fortschritte der Industrie, je mehr der Er rungenschaften in Wissenschaft und Technik werden, je mehr die Lebenshaltung der Menschen sich erhöht, desto mehr wendet man sein Auge den Armen zu, die durch widrige Schicksale an einen Platz gestellt sind, an dem sie von der großen Tafel der Cultur nicht essen können. Es ist der socialpolitische Zug der Gegenwart, der immer wieder antreitbt, die Gegensätze zwischen Arm und Reich zu mildern, der auch di« Wohlhabenden, die vom Glücke Begünstigten immer an die Minderbegllnstigten denken läßt und der durch die ganz« Gesetzgebung nicht blos Deutsch lands, sondern der meisten civilisirten Staaten weht. Auf der einen Seit« staatlich geregeltes, vorbeugendes Unterstützungs wesen, wie wir die zahlreichen Casseneinrichtungen nennen wollen, auf der anderen Seite Organisationen zur Hilfe in Nothfällen, wo die erstere nicht auSreicht: die Armenpflege. Wir berichten regelmäßig über die Verhandlungen deS Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit, und aus diesen Berichten ist der Stand der Armenpflege in Deutschland stets zu ersehen. Wenn eS auch noch Manches zu thun giebt, so können wir doch sagen, daß Deutschland in dieser Beziehung mit an der Spitze der europäischen Staaten steht und daß es in Einzel heiten nur von sehr wenig anderen Ländern übertroffen werden dürfte. Das wird so recht klar, wenn wir ein Buch durch blättern, dessen fleißige Arbeit eine eindringliche Sprache redet. Der um das Armenwesen Berlins sehr verdiente vr. E.Münster- berg hat unter dem Titel „Das ausländische Armenwesen" über die neueren Bestrebungen auf dem Gebiete der Armenpflege in den für uns wichtigsten Staaten des Auslandes einen Ueberblick gegeben, der jetzt ais 52. Heft der Schriften des genannten Ver eins bei Duncker L Humblot erschienen ist. In dem dickleibigen Buche werden die Verhältnisse in Oesterreich-Ungarn, der Schweiz, England, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden und Rußlands besprochen; wir wollen hier in einigen Artikeln an der Hand des verdienst vollen Buches einen Umriß der Verhältnisse geben. Gerade unser Leipzig hat sich von jeher in der Armenpflege ausgezeichnet. ES hat sich dabei nicht auf eine bureaukratische Organisation be schränkt, sondern hat die freiwillige Hilfe seiner Gemeindemit- glieder in Anspruch genommen. Eine große Zahl der Bürger ist diesem Rufe freudig gefolgt, und wer sonst keinen Ehrenposten in dem verzweigten Gemeindedienste hat, Armen pfleger ist wohl der zehnte Theil der Leipziger Bürger gewesen. Es ist die erste Stufe in der Leiter der communalen Selbstver waltung, und es ist ein gutes Omen, wenn erste communalen Ehren in der CharitaS zu gewinnen sind. Oesterreich kennt kein einheitliches Armengesetz, keine ein heitliche Regelung der Armenpflege; diese ist Sache der einzelnen Länder. Das hier herrschende System, der Armenpflege, das im Wesen vom Geiste der Pfarrarmeninstitute erfüllt ist, steht nahezu ein Jahrhundert in Kraft, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß seine Stunde geschlagen hat. Es hat sich gegenüber den neuen gesellschaftlichen Factoren der Massenverarmung und des Zu zuges in die Städte, welch« beide seit einigen Decennien aufge treten sind, ohnmächtig erwiesen; es ist aber ebensowenig zweifel haft, daß jedes andere System sich ebenso ohnmächtig hätte er weisen müssen, so lange es an einer gemeinsamen socialen Verwaltung gefehlt hat. Die Unfall- und die Krankenversicherung werden da eine bedeutende Eindämmung des Gebietes der Armenpflege herbei führen und eS wäre sehr wllnschenswerth, wenn eine weitere durch eine Alters- und Invalidenversicherung recht bald erfolgte. Aber auch unter diesen Voraussetzungen würde mit dem bis herigen Systeme ein Auslangen unmöglich sein, da die Ver quickung des Armenwesens mit dem Heimathrecht, resp. die nahezu ausschließliche Verknüpfung des letzteren mit der Geburt, «in principielles Hinderniß bildet. Nur wenn hier entweder eine durchgreifende Trennung erfolgt oder daS Heimathrecht durch kurze Aufenthaltsfristen erworben werden kann, werden die Länder und Städte im Stande sein, zweckentsprechende Gesetze und Statuten zu schaffen. Ob das neue Heimathgeseh eine er hebliche Rückwirkung aus das Gebiet der Armenpflege auSüben wird, dürfte sich erst in ziemlich ferner Zukunft mit Sicherheit be stimmen lasten. Auch dürfte diese Rückwirkung mehr auf das LooS der Armen gerichtet sein, als auf eine Einwirkung im Sinne einer Verminderung ihrer Zahl. — In der erforder lichen Neugestaltung deS ÄrmenwesenS ist als erste Bedingung zu stellen, daß ihre heutige Magistrale Gestaltung ausgelassen und die weitestgehende Heranziehung der Gesellschaft vorgesehen werd«. Die Heimat hgesetzgebung hat durch das Gesetz vom 5. December 1896 eine veränderte Gestalt gewonnen. Während das ältere, auf dem Gesetze von 1863 beruhende Heimathrecht eine vollständige Gebundenheit des Heimatherwerbes zur Voraus setzung hatte und di« Aufnahme in die Gemeinde lediglich im Be lieben der Gemeinde stand, bringt das neue Heimathgesetz die er hebliche Acnderung, daß di« Verleihung der Heimath auf Grund des Gesetzes gefordert werden darf. Die ausdrückliche Aufnahme in den Heimathoerband, bei der es im Uebrigen bewendet, darf dem österreichischen Staats bürger nicht versagt werden, der sich durch zehn der Erwerbung um daS Heimathrecht vorau-gehende Jahre freiwillig und un unterbrochen in der Gemeinde ausgehalten hat. Wichtiger noch und charakteristisch für die so häufig betonte ideale Seite des HeimathrechtS ist 8 3, der die Berechtigung, den Anspruch auf Heimathverleihung geltend zu machen, auch der bisherigen Heimathgemeinde zugesteht. Die Bestimmung hat selbstverständ lich die höchste Bedeutung gerade für die Vertheilung der Armen last, da keine, namentlich keine kleinere Gemeinde, die ihren Per sonalbestand ja leichter übersehen kann, cs versäumen wird, die Verleihung deS HeimathrechtS in anderen Gemeinden für Per sonen zu beantragen, die ihr wegen Verarmung zur Last fallen könnten. Auch ist gegen die Entscheidung der Gemeinde die Be rufung an die vorgesetzte politische Behörde zugelassen. Die Zulässigkeit der Gebühren ist gleichfalls beiüchalten worden, jedoch an die landesgesetzliche Festsetzung gebunden und auf die Fälle anderweitiger Aufnahme beschränkt. Für die Aufnahme in den Heimathoerband, die auf Grund deS zehnjährigen Aufenthaltes erfolgt, darf eine Gebühr nicht erhoben werden. Da der Beginn des Fristenlaufes auf den 1. Januar 1891 festgesetzt war, so hat daS Gesetz vom 1. Januar 1901 ab be gonnen, seine Wirksamkeit zu entfalten. Doch macht sich erneut ein nicht unerheblicher Widerstand gegen das Gesetz aus den jenigen Kreisen geltend, die schon bei seiner Einführung seine Gegner waren; daS sind die Städte, die aus der neuen Gestaltung eine erhebliche Belastung erwarten. In diesem Sinne beschäftigte sich der kürzlich in Wien abgehaltene Städtetag mit der Reform der Armen- und Heimathgesetzgebung. Von den städtischen Ver tretern, unter diesen wiederum in erster Linie von demn der Stadt Wien, wurde lebhaft über die Lasten geklagt, die der? Städten durch die Heimathgesetznovelle zufallen, durch die der Erwerb der Heimath in den Städten wesentlich erleichtert werde. Die Beschlüsse des Städtetages weisen denselben Weg, der auch in Deutschland vorgeschlagen und demnächst in den einzelnen Bundesstaaten mehr oder weniger konsequent durchzuführen ver sucht worden ist: die Forderung einer Betheiligung der größeren Verbände an der Armenlast und eine angemessene Vertheilung der Armenlast unter Gemeinde und größere Verbände (Bezirke, Land, Staat). Zu diesem Zwecke wäre eS erstens vor Allem Sache der Landesgesetzgebung — wo dieses bis jetzt nicht der Fall ist —, die Armenpflege derart zu regeln, daß alle Anstalten, die einem größeren als dem Gemeindegebiet dienen, wie Armen häuser, Siechenanstalten, Waisenhäuser, Irrenanstalten U- s. w., von größeren Verbänden, das ist den Bezirken, eventuell auf dem Lande errichtet und unterhalten würden. In dieser Beziehung ist Niederösterreich durch sein Gesetz vom 13. October 1893 vorangegangen, wenn eS natürlich auch das Ideal noch nicht erreicht. Die Armenlasten sind allerdings durch die bessere Organisation bedeutend gestiegen. In Steier mark ist im Jahre 1896 eine ähnliche Organisation getroffen worden und insbesondere hat sich die freiwillige Organisation des Landesverbandes für Wohlthätigkeit große Verdienste er worben. In Wien befindet sich die Neuorganisation noch in den ersten Anfängen. Daß sie nicht leicht ist, erhellt daraus, daß nach Inkrafttreten des Heimathgesetzes etwa 66 000 Per sonen in Wien sich befinden, für die unter Umständen die Com mune aufzukommen hat. Wenn man dieses Verhältniß auf di« Zahl der thatsächlich Unterstützten anwcndet, so ergiebt sich eine Anschwellung der Armen von 4000 auf über 40 000, d. h. ein Mindeftaufwand von 3 Millionen Gulden. Man kann sonach die Sorgen der Wiener Stadtväier verstehen. Wenn man die Armenpflege der österreichischen Städte schematisiren will, so kann man etwa unterscheiden 1) ein westliches Armen pflegesystem der Städte in den Alpen und im Nordwesten, der eigentlichen österreichischen Städte im historischen Sinne, welche den ganzen Entwickelungsgang bis zur Einrichtung der Armenpflege im Sinne der gesellschaftlich-charitativen Auf fassung bei Einführung der Pfarrarmeninstitute durchgemacht haben; 2) ein polnisches System, ohne Pfarrarmeninstitut und ohne Anlehnung an die deutsche Entwickelung; 3) ein südliches, auf der alten kirchlichen Grundlage aufgebautes Armenpflege system mit so kraftvollen Bildungen, daß sie durch die Pfarr armeninstitute nicht beeinflußt werden konnten, und 4) ein öst liches System im orientalischen Charakter. Vorwiegend sind es die deutschen Städte, die den An sprüchen zu genügen trachten, und dort, wo das sogenannte Elberfelder, richtiger Osnabrücker System eingeführt ist, hat es sich bewährt. Ungarns Armenpflege beruht auf dem alten Gesetze von 1724. Nach diesem Gesetze ruht die Armenpflege auch in Ungarn auf der Gemeinde, die hierfür einen besonderen Ausschuß bildet. In erster Linie sind zur Verwendung für die Armen die stiftungsmäßigen Zuwendungen und besondere Mittel für die Armen zu verwenden. Soweit diese Kosten für die noth- wendigen Ausgaben der Armenpflege nicht zureichen, hat die Gemeinde mit Genehmigung der höheren Behörde einen com munalen Zuschuß auf die Staatssteuern zur Deckung zu er heben. Auch in Ungarn entbehrt die Mehrzahl der Gemeinden der genügenden Organe und der materiellen Mittel, um eine einigermaßen angemessene Armenpflege zu üben. Nur ver einzelt und vor Allem in den größeren Städten ist die Armen- casse auf größere Einkünfte gegründet, wie beispielsweise in Pest die Armencasse 1898 3,6 Millionen Kronen verwendete. In zwei Richtungen hat Ungarn entscheidende Schritte vor wärts gethan: in Bezug auf die Krankenfürsorge und die Kinderpflege. Ser Krieg in Südafrika. Junehmrnve Sterblichkeit in den britischen Conccntrattons - Lagern. Man schreibt uns aus London unter dem 21. October: Seit Miß Hobhouse vor einigen Monaten ihre sensatio nellen Enthüllungen über die grauenhaften Zustände in den sogenannten Concentrationslagern in den Boerenftuaten und in der Capcolonie hier veröffentlichte, ist von Seiten der Regierung tefp. des Krieasamtes nichts unversucht gelassen worden, um dis rückhaltlosen Darlegungen dieser Dame als unwahr, über trieben und als Auswüchse einer hysterischen Phantasie hin- zustellcn. Wenn Einzelheiten Uber die andauernd fortschreitende ungeheure Sterblichkeit in diesen Lagern in die Öffentlichkeit drangen, und wenn das Kriegsamt selbst, dem Zwang ge horchend, nicht dem eigenen Triebe, schließlich regelmäßige Statistiken über die dahingerafften Tausende von Frauen unv Kindern der Boeren bekannt geben mußte, dann fanden sich stets tausend und ein Gründe und Erklärungen für die Ur sachen, die natürlich unter keinen Umständen in dem Zusammen pferchen, der ungnügenden Ernährung und miserablen sani tären Behandlung der bedauernswerthen Opfer britischer Will kürherrschaft zu suchen waren. Jetzt liegt wieder eine solche officielle Statistik der Regie rung in Gestalt eines „parliamontnr^ papor" vor und besagt, daß im Mcnat September in den verschiedenen Lagern 17 070 Männer, 38 022 Frauen und 54 325 Kinder, zusammen 109 418 Personen (Weihe) iniernirt waren. Von diesen starben im genannten Monat nicht weniger als 119 Männer, 328 Frauen und . . . 1954 Kinder, zusammen 2411 Personen. Hieraus ergiebt sich (in Rückblick auf die früheren officiellen Auf stellungen), daß seit dem 1. Juni dieses Jahres von 54 326 un mündigen Boeren-Knaben und -Mädchen im Ganzen 5209 Kinder hingemordet worden sind. Ueber 5000 Kleinen (von den Männern und Frauen ganz abgesehen) ist in vier Mo naten durch die größte Brutalität, welche jemals in der Ge schichte civilisirter Kriegführung bekannt geworden ist, der Lebensfaden abgeschnitten worden, und bis heute geschieht nichts, absolut nichts, um diesen unerhörten und beispiellosen Zu ständen ein Ende zu machen oder auch nur wenigstens für bessere Unterkunft, gesündere Ernährung und sorgfältigere sani täre Vorkehrungen zu sorgen. Ein Zehntel der gewaltsam in- ternirten Kinder ist bereits todt, und wenn, wie sehr wohl möglich und fast wahrscheinlich, der südafrikanische Krirg noch weitere zwei Jahre dauern sollte, so werden in dieser Zeit, resp. schon eher, die sämmtlichcn fast 55 000 Boerenkinder unter der Erde liegen. In Wirklichkeit kann diese kaum auSzu- denkende fürchterliche Thatsache schon in viel kürzerer Frist ein treten, und er bedarf nur eines Hinweises auf die vergleichen den officiellen Ziffern aus den letzten vier Monaten, um einen unwiderlegbaren Beweis hierfür zu erhalten. Im Juni starben von 85 410 weißen Männern, Frauen und Kindern 777, im Juli von 93 940 — 1412, im August von 105 347 — 1878 und schließlich im September von 109 413 — 2411. Dabei liest es sich wie ein Hohn auf jede Wahrheit und Gewissenhaftigkeit, wenn gerade vor zwei Tagen officiell ge meldet wurde, das von der Regierrung autorisirte Damen- comite zur Feststellung der Thatsachen bezüglich des wirklichen Zustandes in den Concentrationslagern habe seinen ersten Rapport eingesandt, aus welchem hervorgehe, daß das Comitä Alles im besten und einfach tadellosen Zustande befunden habe und daß die Unterbringung und Verpflegung der internirten Frauen und Kinder der Boeren durchaus nichts zu wünschen übrig lasse. Jenes Comits besteht aus einigen Damen der ersten englischen Gesellschaft, die natürlich ihr« Besuche in diesen Stätren des fürcherlichsten Elendes mit der Lorgnette und dem Riechfläschchen in der Hand abmachen, mit den britischen Offi- cicren dmiren und dann solche blasphemistischen Rapporte nach England senden, während es doch eines Blickes auf die ab gelegenen Massengräber, in welchen die Tausende von hin gemordeten Kleinen schlummern, bedürfte, um selbst der blassirtesten Lady Grauen und Entsetzen einzuflößen. Aber die Wahrheit soll und darf nicht an den Tag kommen, das eng lische Volk soll und darf es nicht wissen, wie der jugendliche Nachwuchs, wie die Frauen und Kinder der Boeren systematisch ausgerottet werden, und das Alles unter der faden und phari säerhaften Entschuldigung, die Concentrationslager seien eine unbedingt nothwendige militärische Maßregel, welche durch die Hartnäckigkeit und Verbohrtheit der Boeren allein verschuldet worden sei. Die englische Regierung hat sich eben mit vollem Bewußtsein des Gefühls und des Verständnisses für das sonst unumgänglich völkerrechtliche Gesetz entschlagen, daß, wenn ihre Armee in Südafrika die Frauen und Kinder der im Felde stehenden Boeren ge fangen halten will und muß, auch die noth- w endigen Vorkehrungen zu treffen sind, um diesen bedauernswerthen Geschöpfen Ge sundheit und Leben zu erhalten. Herrn Josef Chamberlain und das ganze Gelichter seiner Anhänger und Helfershelfer kümmert es natürlich blutwenig, wenn außer Zehntausenden von Kriegern englischer und boerischer Natio nalität auch noch Zehntausende von Frauen und Kindern diesem Raubkriege zum Opfer gebracht werden. Aber ein Gutes hat dieser Schrecken ohne Ende denn doch insofern, als hier in Eng land sich immer mehr Preßorgane und immer mehr ehrliche und vernünftige Leute im Publicum finden, welche es mit der Ehre und dem guten Namen Englands, sowie mit den ein fachsten Gesetzen der Menschlichkeit und Civilisation unverein bar finden, daß solche fürchterliche Zustände durch die Schuld Großbritanniens noch länger andauern sollen. Einer stetig anwachsenden Zahl britischer Bürger ist es denn doch nicht einerlei, daß diese Hunnenwirthschaft in Südafrika ungestraft und unwidersprochen ihren Fortgang nimmt, denn man weiß heute bereits, daß mit den 5000 Kindern jede Hoffnung auf späteren Frieden ins Grab gesunken ist, daß jedes Kind, welches ! in jenen Lagern des brutalen Elends dahinstirbt, einen neuen Racheschwur auf Seiten der Boeren bewirkt und ein neues Hinderniß auf dem Wege zur Versöhnung und zur Auslöschung des Rassenhasses sein muß und wird. Man ruft hier in London bereits die Häupter der Kirche und die Stützen der Religion des Landes an, damit sie an Hand der Lehren deS Christenthums ihre Stimme erheben und wenigstens gegen den Kindermord einschreiten, aber — das ist ebenso erfolglos, wie jeder Appell an die Regierung und an das Staatsoberhaupt selbst. * London, 23. October. (Telegramm.) Eine Brüsseler Drabtmeldung der „Morning Post" vom 22. October besagt: Eine Depesche aus Lourenyo MarqueS meldet, daß in dec vorigen Woche an der Grenz« von Swaziland mehrere scharfe Kämpfe zwischen einem starken Boerencommando und britischen Truppen FeiiiHetsn. Ihr Freund. Növellette von B. Rittw eg er. Nachdruck vcld.rcn. „Es ist reizend, daß Du endlich einmal hier bist, Dora, ganz reizend. Sei herzlich willkommen! Und mög' eS Dir lange bei mir gefallen. Deinen Gepäckschein, bitte. So — hier — PotS- damerstraße 42,1 Treppe. — Nun komm', Dora!" „Ja, ich bin froh, wenn wir auS dem Gewühl heraus sind, Melanie, ich bin ganz verdreht von all' der Fahrerri." Damit strebt di« etwa» abgespannt Dreinschauende dem Ausgange zu, aber ihr« Freundin zögert noch, schaut sich um und spricht: „Ich hrgreifr gar nicht — Ehler» wollte doch hier sein. — Oo er sich verspätet hat?" „Ehler»? Ach so, ja, Du «rwähntest d«n Namen mitunter in Deinen spärlichen Briefen — der junge Privatdocent, der läng lich in Deinem LauS verkehrt. Doch nicht gefährlich, Lanie?" „Aber Dora, Ich bitte Dich —" Die Damen haben sich'» in- zwischen in einer offenen Droschke bequem gemacht — „Gefähr lich? vr. HanS Ebler» ist mein Freund; pi, er steht mir sehr nah, aber er ist trotzdem ganz ungefährlich. Da» ist ja eben da» Woblthätiae in unserem Verkehr, daß nichts von Liebe sich darin mischt, daß eben nur Freundschaft uns verbindet. Daß wir zu frieden sind, uns täglich zu sehen, und es sehr gut aukhalten könnrn, ein paar Wochen lang ohne einander zu sein. Wo rr nur heut« steckt?' „So — wochenlang ohne einander? Ich meine, er käme täg lich zu Dir —" „Allerdings, täglich, in der Regel täglich, manchmal sogar zwei Mal. Aber wenn er einmal auSbliebe, nun, so würde ich mir auch keine Gedanken darum machen, eben weil ich nicht ver liebt bin. Ach nein, verliebt bin ich nicht — ich habe genug von der Liebe. Wenn man so viel gelitten hat! Du weißt, mein Mann war maßlos eifersüchtig — ohne jeden Grund — eS war wohl krankhaft, er konnte gewiß nicht ander», aber nein, nein, heirathen, nochmals heirathen — um keinen Preis! Ich will mir meine Freiheit bewahren in alle Zeit. Mir genügt mein Da- sein, so wie es jetzt ist. Die Freundschaft mit EhlerS, dem an- regenden geistvollen Mann, mit Dir, meine liebe Dora, und mit noch einigen anderen sympathischen Menschen — Reisen, Kunst — ich wüßte nicht, wie ich'» besser haben sollte. Doch da sind wir. Soll mich nur wundern, wenn Ehler» nicht schon oben ist und uni erwartet. Er ist sehr gespannt auf Dich, auf mein« beste Freundin." Frau Melanie lohnt den Kutscher ab, geleitet die Freundin die Treppe hinan und fragt eifrig das öffnende Mädchen: „vr. Ehler» hier?" „Nein, gnädige Frau, aber eine Karte von ihm." „Geben Sie." Die junge Frau liest laut: „Theure Freun din! Da ich heut« zu stören fürchte — beim ersten Wiedersehen — verschiebe ich meine Begrüßung Ihres GasteS auf morgen und bitte, einstweilen dem gnädigen Fräulein meine besten Em pfehlungen »u bestellen. Da» Recht dazu giebt mir das Wort: »mim os ms« ami« sank w« »mi«. — Auf Wiedersehen! Ihr sehr ergebener Ehler»." „Do, nun kommt er heut' nicht. Und ich hatte mich so darauf gefreut!" „Ich denke, Du kannst ihn wochenlang entbehren." „Selbstverständlich. Nur heute, wo ich meine beste Freundin mit ihm bekannt machen wollte." „Nun hör' aber auf. Da» trieft ja von Freundschaft hier im Hau». Weißt Du wa», »vir wollen den vr. Ehler« jetzt ruhen lassen und Surr Freundschaft und meine Beziehung zu Euerer Freundschaft und wollen schwatzen von Altem und Neuem, von Gutem und Bösem. Haben wir uns doch jahrelang nicht ge sehen und —" „Ja, Dora, Du bist mir viel schuldig — eifrige Correspon- denten sind wir Beide nicht. Ich glaube, seit einem ganzen Jahr haben wir uns nur durch Ansichtskarten unterhalten. Ich weiß noch nicht einmal, wie es kommt, daß Du noch nicht verheirathet bist, Du, die Reizendste in unserem Kreis. Die bsnuto deS Kränzchens, Du Kluge, Liebenswürdige! Und nun siebenund zwanzig Jahre alt und noch Mädchen. Es ist unglaublich!" „Aber wahr. Es muß sich wohl der Rechte noch nicht ge funden haben, Lanie. So sagt man ja wohl zur Entschuldigung, wenn man bald eine alte Jungfer ist. Ein spätes Mädchen, wie der moderne Mensch sich ausdrückt." Dora suchte eine gewisse Verlegenheit, die auch aus dem aufsteigenden Roth des feinen Antlitzes spricht, durch die scherzenden Worte zu verbergen. Frau Melanie schellt und wendet sich an das eintretende Mädchen: „Bringen Sie das gnädige Fräulein auf ihr Zimmer. — Du wirst Dich umkleiden wollen, Liebe, und dann, in einer halben Stunde etwa, trinken wir unseren FUnfuhrthee." „Schön, Lanie, auf Wiedersehen!" Frau Melanie tritt, allein gelassen, ans Fenster und schaut sehnsüchtig in die Weite. Dann stampfte sie unmuthig mit vem zierlichen Fuß den weichen Teppich, schellt wieder unv ruft dem dienstbaren Geist zu: „Den Thee nur für zwei Personen — vr. EhlerS kommt heute nicht. Und dann seufzt sie tief auf. „Ja, stehst Du, Dora, da« ist eben da» Reizende an unserer Freundschaft, an wahrer Freundschaft überhaupt, daß sie keine Eifersucht kennt — da» macht den Verkehr zwischen Ehler» und mir so unbefangen, so gemüthlich! Ich höre ruhig mit an, wie er von der kleinen Riedel schwärmt, sie entzückend findet, ihr Geplauder köstlich naiv — eS läßt mich ganz kalt." „Das glaube ich. Wie er von dem Backfischchen, seiner gestrigen Tischdame sprach, so halb spöttisch, halb belustigt, daS hatte keine Gefahr und das merkte meine gescheite Melanie sofort, natürlich! Aber wenn er einst von einer ernsten Leidenschaft ergriffen würde, von einer großen Liebe, wenn er — heirathen wollte, nun Melanie, was würdest Du dazu sagen? Verzeih' meine Frage — ich meine es gut mit Dir. Dein Verkehr mit Ehlers ist gefährlich, ist ein Spiel mit dem Feuer. Ich verfolge nun schon seit vierzehn Tagen die Sache mit aufrichtigem Inter esse, unv es will mir scheinen, als wärst Du sehr unvorsichtig, Du als Frau. Und ich frage Dich, wie denkst Du es Dir, wenn Ehlers Dir eines Tages seine Braut zuführt?" „Gott, Dora, wie Du fragst! Dann heiße ich sie eben will kommen als Braut meines Freundes, und sie wirb die Dritte in unserem Bund. Das ist doch so einfach und selbstverständ lich." Frau Melanie ist dunkelroth geworden bei Dora'S Frage, und ihre Stimme hat gezittert bei der Antwort, der einzigen, die sie geben konnte. Dora aber bemerkt offenbar nichts davon; sie lächelt und spricht leicht bin: „Nun, wenn eS so steht, vann bin ich ganz beruhigt über Dich. Das heiß' ich wirklich Freundschaft! Und nun, von etwas Anderem. Du hast heute Vereinesitzung. Ich habe aber nicht die mindeste Lust, wieder mitzugehen. Es war zu langweilig für mich Unbetheiligte. Meinst Du, vr. Ehlers thäte mir den Gefallen, mich in hi« Urania zu begleiten? Ich möchte so gern die NordlandSreise sehen, und allein —" „Natürlich wird er das. Ich werde ihm sofort telephontren. Um diese Zeit ist er stets im Laboratorium." „Laß' nur, Lanie, bemüh' Dich nicht. DaS kann ich sehr gut selbst -" „Wie Du willst, ich dachte nur, «S wäre für mich passender. Du stehst ihm eigentlich noch zu fern —" „O, keine Sorge, Melanie. Ix?» nrnisi <io ms« »mi« «rnt ms» awis! Ich freue mich wirklich kindisch auf heute Abend.»
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