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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011024021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901102402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901102402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-24
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ÄmlsUatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rashes «nd Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. srnzeige«e4ZreiS die 6 gespaltene Petitzeile SL Reklame» unter dem RedactionSstrich («gespalten) 7b H, vor den Famtliennach» richte« (S gespalten) bO L,. Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nnr mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördenmg 60—, mit Postbesörderung 70.—, Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen »nd Annahmestelle» je ein» halbe Stund« früher. Anzeigen find stet« an die Expedition zn richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz m Leipzig Nr. 544. 85. Jahrgang. Donnerstag den 24. October 1901. Der Krieg in Südafrika. General Sir RcdverS Buller. Man schreibt uns aus London, 22. October: Man mag über die militärischen und feldherrlichen Quali täten des gestürzten Buller denken und urtheilen wie man will, in diesem entscheidenden Falle kann man ihm jedoch weder vom soldatischen, noch vom männlichen Standpuncte aus die Sympathie versagen, welche er sich hier in England, wenigstens gerade durch sein Verhalten in den letzten 14 Tagen, in den weitesten Kreisen des ganzen Volkes erworben hat. Er ist erst lange nach seiner Rückkehr aus dem südafrikanischen Feld zuge, in welchem er sich nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatte, wenigstens nach Aussage und Ansicht der Londoner Lehnstuhl- Strategen, von seinen Gegnern gestürzt worden und mußte, ähnlich wie seiner Zeit der Generalmajor Colville, der all mächtigen Clique zum Opfer fallen, welche hier die Geschicke des britischen Heeres beherrscht, und der er durch seine, aller dings jeder militärischen Usance widersprechenden „Flucht in die Öffentlichkeit" in hohem Grade lästig und gefährlich ge worden war. Für englische Verhältnisse sicherlich ein anerkannt vorzüglicher Officier und Heerführer, der sich einer durch Nichts zu beeinflussenden Popularität bei Hoch und Niedrig erfreut, besitzt General Buller den im Londoner Kriegsamt und bei dem das letztere beherrschenden Unterrockregiment unverzeihlichen großen Fehler, daß er ein steifes Rückgrat hat, daß er den Muth seiner Ueberzeugung bei jeder Gelegenheit rücksichtslos zu zeigen versteht und daß er, last but not least, zu den „redenden Generalen" gehört, die in Südafrika etwas gelernt haben, und diese neuen Kenntnisse und Ueberzeugungen in den ihnen unterstellten Truppentheilen energisch einzuführen und durchzusetzen versuchen, ohne sich dabei ängstlich an das Gut dünken und die Initiative des Civilisten Brodrick zu halten. Außerdem soll Buller wiederholt der von Vielen getheilten Erkenntniß Ausdruck gegeben haben, daß die Leitung des Kriegsamtes ganz natürlicher Weise besser in die Hände eines unabhängigen Militärs gelegt werden sollte, anstatt unter dem Regime eines jeder gesellschaftlichen Beeinflussung und allen „civilen" Regungen zugängigen Nicht-Militärs mehr und mehr zu verkümmern und in die Brüche zu gerathen. Alle diese Um stände haben ihn zum gezeichneten Mann gemacht, und zwar schon bald nach seiner Rückkehr von Südafrika, als er in Aldershot anfing, seine Kriegserfahrungen zu verwerthen und Bestimmungen zu treffen, die er dann nachher auf Befehl des Kriegsamtes widerrufen und zurückziehen mußte. Als er jetzt in den letzten Tagen seines activen Dienstes die ganze Coterie seiner Gegner, die ihn in anonymen Briefen an die Presse attackirte und herunterriß, zu offenem und ehrlichem Kampfe herausforderte und damit unbequeme Enthüllungen nicht nur heraufbeschwor, sondern auch direct androhte, da hatte er ins Wespennest getreten und mußte die Folgen tragen. „Wer gegen uns ist, der ist nicht für uns, und wird zer schmettert", das ist die Devise von Pall Mall und der selbst süchtigen, allgewaltigen Camarilla in London, die das Heer als ihr ureigenstes Gebiet betrachtet und keine selbstherrlichen und allzu populären Militär-Götzen neben sich duldet. Von dieser ist Buller zerschmettert worden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. October. Bei unseren leidigen Parteiverhältniflen im Reichstag, die die Regierung zwingen, sich heute auf die und morgen auf jene Mehrheit zu stützen, mag es leicht Vorkommen, daß der Vater einer Regierungsvorlage eine parlamentarische Gruppe mit Argumenten zu gewinnen sucht, die dann von den Vertretern dieser Gruppe gegen eine andere Regierungsvorlage ausgebeutet werden kann. Und noch leichter ist dies möglich, wenn in der Regierung die feste Hand fehlt, die alle Glieder auf ein be stimmtes Ziel hinlenkt und keinem derselben gestattet, auf eigene Faust mit den Fraktionen eine Verständigung zu versuchen. Es klang daher gar nicht so sehr unwahrscheinlich, als dieser Tage erzählt wurde, der Staatssekretär v. Tirpitz habe sich damals, als er die Flottenvorlage zu empfehlen und zn Vertheidigen gehabt, gegenüber dem freisinnigen Reichstagsabge ordneten vr. Müller- Sagan dahin ausgesprochen, jeder neue Panzer sei ein neues Schwergewicht in der Waagschale des Freihandels. Auch die „ Post" war nicht ungläubig, denn sie warf Herrn v. Tiritz vor, er habe durch diese Aeußerung die Politik des gegenwärtigen Reichskanzlers zu einer Zeit durch kreuzt, als dieser noch nicht Reichskanzler war. Bald darauf aber erklärte das freiconservative Blatt in Sperrschrift: Auf Grund genaue st er Informationen können wir mittheilen, daß der Staatssekretär v. Tirpitz, wie voraus zusehen war, die Aeußerung über den Zusammenhang zwischen der Flottenvermehrung und dem Freihandel, die angeblich gegen über dem Abg. I)r. Müller-Sagan gefallen sein soll, nicht gethan hat. Es handelt sich lediglich um eine tendenziöseUnter- stellung zum Zwecke der Agitation gegen den Zolltarif entwurf." Da mußte man denn doch glauben, die „genaueste Infor mation" stamme von Herrn v. Tirpitz selbst her und dieser wisse sich frei von dem Fehler, früher zum Zwecke der Gewinnung der Gesinnungsgenossen des Abg. I)r. Müller etwas gesagt zu haben, was die Cirkel des jetzigen Reichskanzlers stört. Nun aber erklärt vr. Müller in mehreren Blättern: In einem angeblichen „Dementi", welches heute morgen er schienen ist, behauptet die „Post", „auf Grund genauester In formationen mittheilen zu können, daß der Staatssekretär von Tirpitz die Aeußerung über den Zusammenhang zwischen der Flottrnvermehrung und dem Freihandel, die angeblich gegenüber dem Abg. Dr. Müller-Sagan gefallen sein solle, nicht gethan habe". Diese Behauptung kennzeichnet sich als eine haltlose Er findung. Thatsächlich hat der Staatssekretär v. Tirpitz am 25. October 1899 zwischen 10 Uhr Vormittags u n d 2 U h r N a ch m i t t a g s wieder holt und nachdrücklich mir gegenüber betont, daßjeder neue Panzer und jeder neue Kreuzer «in neues Schwergewicht bedeute in derWaag- schale zu Gunsten des Freihandels. Diese Dar legung war nicht etwa vertraulich für mich persönlich bestimmt, sondern geschah in der ausgesprochenen Absicht, daß ich sie zurKenntniß meiner Freunde bringe. Berlin, am 23. October 1901. vr. Müller-Sagan. Mit so bestimmten Behauptungen könnte kein Reichstags abgeordneter, selbst wenn er Bebel hieße, hervortreten, wenn er seiner Sache nicht ganz gewiß wäre. Man muß daher an nehmen, daß das Dementi der „Post" nicht von Herrn v. Tirpitz sondern von einer anderen Stelle herrllhre und nicht sowohl die Oeffentlichkeit, als den Staatssekretär selbst belehren wolle. An sich hat ja die Aeußerung nicht viel auf sich. Ein Hinweis auf die hochschutzzöllnerischen Länder Frankreich und Amerika, die mächtig an der Entwickelung ihrer Kriegsflotten arbeiten, so wie auf Rußland, genügt ja, um sie zu widerlegen. Aber das eigenthümliche Dementi der „Post" legt doch die Vermuthung nahe, an s«hr einflußreicher Stelle herrsche die Ansicht, ein Staatssekretär, der vor gerade zwei Jahren unsere neuen Panzer und Kreuzer als Schwergewicht- zu Gunsten des Freihandels bezeichnet habe, sei unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr möglich. Wir würden das sehr beoauern, aber nicht ver wunderlich finden. Jedenfalls wird man aus dem, was die „Post" oder vielmehr ihr Informator zu der Erklärung des Abgeordneten vr. Müller sagt, einen Schluß auf das Schicksal der Heron von Tirpitz ziehen können. Der „Fall Spahn" will noch immer nicht zur Ruhe kommen, am wenigsten in den R e i ch s l a n d e n. Die „Straßb. Post" hat zwar versucht, die Gemüther dadurch zu beruhigen, daß sie einerseits die Petition der Professoren gegen die Errichtung einer besonderen katholischen Professur für berechtigt erklärte und andererseits nachzuweisen sich mühte, füi«die Regierung hätten zwingende politische Gründe vorgelegen, die alte Forderung der Klerikalen nach einem katholischen, d. h. die römisch-päpstliche Geschichtsauffassung vertretenden, Professor zu erfüllen. Aber gerade dieser Beweisvcrsuch reizt zum Widerspruche in den Kreisen, von denen die Petition ausging. Man bezeichnet es als einen schweren Fehler, die Universität zum politischen Versuchs kaninchen zu machen, und für einen noch größeren, den Versuch auf eine Weise zu unternehmen, der zu einem Mißerfolge führen müsse. Als eine kaum begreifliche Verblendung bezeichnet man die Annahme, daß ein katholisch getaufter und erzogener junger Mann, der Luther's Größe unbefangen würdige und das Wort Evangelium ohne Anführungszeichen schreibe, sein Amt zur Zu friedenheit seiner klerikalen Controleure ausfüllen könne. Jeden falls stammt aus diesen akademischen Kreisen ein Artikel der „Straßb. Ztg.", der zu dem Schlüsse kommt: „Die Regierung hat nach unserem Dafürhalten statt eines zwei schwere politische Fehler gemacht. Ein Fehler ist es gewesen, den Katholiken überhaupt eine Extraprofessur zuzugestehen, als ob bisher die Professoren nur für Nichtkatholiken dagewesen wären. Daß man den Kleri kalen aber mit dem Professor gleich wieder nahm, was man ihnen mit der Professur zu geben ver sprochen, daß man einen nichtultramontanen Professor mit der ultramontanen Professur betraute, das ist ein noch größerer Fehler, der die Regierung den Katholiken gegen über schon jetzt in eine schiefe Situation gebracht hat und über haupt den politischen Erfolg der ganzen Action ernstlich in Frage stellt. Wie sehr wir es bei dieser zweifelhaften Sach lage bedauern, daß derKaiser sich persönlich für Professur und Professor engagirt hat, können wir gar nicht sagen. Wir machen dafür den Reichskanzler verantwortlich, der überhaupt bei diesem Drama oder richtiger Handel eine Hauptrolle gespielt haben soll, und fürchten, daß er sich sehr bald davon überzeugen wird, daß er seinen kaiserlichen Herrn in dieser Sache schlecht berathen hat. Die Lage ist also durch Spahn's Bestätigung keineswegs geklärt, wie hier und dort behauptet wird; das Wider spruchsvolle, das wir darin aufgrzeigt haben, bleibt und wird zu weiteren Confequenzen führen, bis sine klare Situation geschaffen, der Ultramontanismus, den man angeblich befriedigen wollte, wirklich befriedigt ist. Im Vorgefühle dieses Augenblicks darf er allerdings jetzt schon sein Siegesfest feiern! Einstweilen er klärt man in Rom, daß nach der Ernennung des Herrn Spahn von der Errichtung einer katholischen Facultät nicht die Rede sein könne. Man traut dort der Regierung jetzt noch weniger als zuvor. Diese aber wird, um den Fehler wieder gut zu machen, weiter gehen und durch die Berufung eines katholischen Philosophen, den die „Germania" bereits ankündigt, den bei der Besetzung der Geschichtsprofessur begangenen Mißgriff in Vergessenheit zu bringen versuchen müssen. Uno schließlich wird, wenn der Skandal um Spahn, den wir kommen sehen, erst losgeht, die Regierung ihren jetzigen Schützling auf dem Altäre dec ultramontanen Con- cessionspolitik auch noch opfern müssen. Dann wird sie viel leicht, zu spät, einsehen, welch' ein Fehler cs war, einer den Tra ditionen deutscher Wissenschaft ins Gesicht schlagenden klerikalen Forderung nachgegeben zu haben." Der Verfasser geht dabei noch von der optimistischen Auf fassung aus, Professor Spahn «werde ein stärkeres Rückgrat zeigen, als sein Würzburger College Schell. Wie aber, wenn Herr Spahn, um nicht von der Regierung geopfert zu werden, die Hoffnungen der „Germania" erfüllt? Wird dann die Regierung eingestehen, daß sie sich in ihm getäuscht, und ihrerseits gegen ihn einschreiten? Ganz gewiß nicht. Sie wird ihre An- sprüchean ihn opfern und dadurch die ultramontanen Hoff nungen und Forderungen noch mehr steigern. Der Generalausstand der französischen Bergarbeiter ist vertagt. Es hat also die Entschlossenheit der Regierung über die Drohungen der Bergarbeiter gesiegt. Die Vertreter der Bergleute geben sich zwar den Anschein, als hätte die dring liche Ueberweisung des Antrages Basly an die Arbeitscommis sion ihnen Genugthuung gegeben, aber abgesehen von der un umwundenen Ablehnung des Mindestlohnes erfüllt auch diese Verweisung an die Commission nicht die Forderung Basly's auf sofortige Erörterung seines Antrages. Somit be deutet der Beschluß des Ausschusses ohne Zweifel den Rück zug, wenn auch der Ausstand als Damoklesschwert über der Kammer hängen bleiben soll. Er wird aber wohl weder die Regierung, noch die Kammer schrecken. Der Ausschuß hat mit seinem Rückzug weise gehandelt, denn die Bergleute, von denen Tausende noch von dem letzten Ausstande im Frühjahr dieses Jahres her in Schulden stecken, wären nur einer sicheren Nieder lage und dem größten Elend entgegengegangen. Ob die Ar beiter von Montceau-les-Mines am 1. November wirklich allein in den Ausstand eintreten werden, wird man abwarten müssen. Für die Aufnahme, die die Verhandlungen der Kammer unv die Beschlüsse des Ausschusses in der Presse finden, sind be sonders die Aeußerungen der socialistischen Blätter interessant. Die „Lauter ne", das ehemalige Organ Millerand's, sagt: Die Mitglieder des Ausschusses haben eingesehen, daß der Zorn ein schlechter Rathgeber ist und daß es das Beste war, kaltblütig zu handeln. Sie haben wohl daran gethan, den Ausstand zu vertagen, wenn die Regierung und die Kammer nun di« zu gesagte Prüfung der von den Bergarbeitern geforderten Re formen nicht beschleunigten, so würden beide ohne Entschuldigung dastehen an dem Tage, wo sich der furchtbare Kampf ent fesseln würde. Jaurös beschwört in diesem Sinne in der „Petite Röpublique" die Regierung, ihre eigenen Gesetzcsvor- schläge noch vor dem 1. November zu machen und so möglichen Gefahren noch vorzubeugen. Er stellt das Verhalten des Aus schusses als einen Beweis seines politischen Sinnes und des Be wußtseins seiner Verantwortlichkeit hin. Er meint, daß in der gegenwärtigen Verfassung der Gemüther es noch möglich sei, eine Lösung zu finden, die ohne die republikanische Mehrheit allzuheftig vor den Kopf zu stoßen, dennoch den Bergarbeitern eine bestimmte und thatsachliche Genugthuung gebe. Schließ lich giebt auch Jaures, wie Viviani, seinem socialistischen Freund Millerand eine Verwarnung, indem er schreibt: Es ist die Langsamkeit des ganzen Cabinets, es ist die schuldige Thaten- losigkeit des Arbeitsministers Baudin, es ist auch die Schwäche eines unserer Freunde, der nicht früh und nicht laut genug gesprochen hat, es ist also die Politik der gesammten Regierung, die zum großen Theil an der Krise ver antwortlich sein würde. Der „Petit Sou", das Organ der intransigenten Socialisten, verurtheilt Millerand natürlich kurzer Hand. Er schreibt: Nicht Waldeck-Rousseau hat sich ge ändert, denn er hat für die bedrohte Bourgeosie Stand gehalten, wie es ihm zukam. Er erklärte sich bereit zu allen Unter drückungen und zu allem Gemetzel für den Schutz der seiner Hut anvertrauten Vorrechte. Aber Millerand, der Ordens besternte des Zaren, der Baron des heiligen Kaiserreiches (Mille- rand besitzt bekanntlich den österreichischen Orden der Eisernen Krone, mit dem der Baronstitel verbunden ist) hat gethan, wie sein Herr. Er hat endgiltig unter den eifersüchtigen Hütern F-uilletsn. 21 Die Löwenjagd. Novelle von Emil Roland. Nachdruck »erboten- Der eine der beiden Kunstkenner war zugleich Mitarbeiter eines bedeutenden Blattes; er kritzelte eifrig in sein Notizbuch. Der andere war ein reicher Mann, der sich geheim ausrechnete, ob seine Verhältnisse den Ankauf dieses wunderbaren Pan-Bildes gestatten würden. Heinrich Bracht's Preise stiegen von Jahr zu Jahr mehr in die Nullen hinein. Die Prinzessin störte ihn in seiner Berechnung. „Dieser „Jour" des Herrn Bracht ist doch wirklich apart! Der Wirth thront über Allen und kümmert sich um Keinen. Bringen Sie ihn doch zum Reden, lieber Freund! Sehen Sie, dort bei den Mappen stehen zwei Proteges von mir, ein junger Maler, der ihn porträtiren, und «ine alte Schriftstellerin, die ihn beschreiben möchte; Beide lechzen nach einem Worte von seinen Lippen." Sie war im Sprechen vor das Fensstr getreten. Plötzlich wandt« sich Heinrich Bracht um, ergriff seinen langen Malstock, rührte die hochgeborene Dame energisch an die Schulter, und ri«f in befehlendem Tone: „Weg da — nicht das Licht Weg nehmen —" Alles lauschte dem ersehnten Klange seiner Stimme mit einem Entzücken, als ob dort oben eine Sphärenmusik begonnen hätte. Eine Pause in der Unterhaltung entstand. Etliche boshafte Freundinnen warfen condolirende Blicke. „Genies ist Alles erlaubt" — sagte sie gleichmüthig; „im selben Fall, wo man Anderen gegenüber seine Brüder oder Männer Pistolen putzen ließe, schweigt man hier und lächelt." In diesem Augenblicke ertönte ein leichtes Rollen auf dem Hofe. „Ah!" rief ein junger Attache, der sich bisher in diesem seltsamen Künstlermilieu etwa« unsicher gefühlt hatte — „Frau von Schrotteck und ihre Schwester per Fahrrad." „Radelt denn dir klein« Elli auch schon?" fragte die Prin zessin. „Sie ist ja eben erst aus dem Kloster gekommen." „O, sie macht der Schwester Alles nach — das gute Bei- Der Attache seufzte; er hatte sich neulich in die kleine Elli ver liebt. Die Schwestern stiegen mit großer Schnelligkeit vom Rad. Sir trugen Costüme, die „durchaus famos" waren, wie der alte Kunstkenner, der auch für einen tiefgründigen Damenkenner galt, sogleich constatirte. Die flotten Jockeymützen standen ihnen aller liebst, und als sie eintraten, zogen sie Aller Augen für eine Mi nute von dem großen Maler ab. Frau von Schrotteck — „Rosi", wie sic mit Vornamen hieß, grüßte militärisch nach allen Seiten, und die kleine Elli machte es ein wenig schüchtern nach. Wenn sie etwas ganz Flottes that, fiel ihr immer noch das Erzichungskloster in den Bergen ein und die Thatsache, daß sie noch vor vier Wochen dort in schlichter Tracht fromm und harmlos auf Schulbänken saß und von der raschen Metamorphose, der sie im Hause der Schwester anheim fallen sollte, noch keine Ahnung hatte. Uno der Caplan fiel ihr ein, für den sie ein bischen geschwärmt und der ihr beim Abschied noch so eindringlich und abmahnend von der „Eitelkeit der Welt" gesprochen. Das ahnte sie: dies Entroe bei Herrn Bracht, frisch vom Fahrrade und militärisch grüßend, hätte den Caplan sicher nicht entzückt. Rosi wartete nicht ab, ob Herr Bracht sie begrüßte, sondern that es zuerst. „Guten Tag, Herr Professor", rief sie. „Dummheit — Professor", sagte er. „Na, verdient hätten Sie den Professor längst! Uebrigens weiß ich auS sicherer Quelle, daß er allernächstens für Sie in Erscheinung tritt. Natürlich hat man mir's unter dem bekannten Siegel anvertraut — aber wer so dumm ist, auf meine Ver schwiegenheit zu rechnen, dem geschieht's schon recht, wenn er sich irrt." Bracht lacht« kurz. Rosi war di« einzige seiner Verehrerinnen, Ae er nicht unausstehlich fand, und er wußte auch, daß sie, bei Allem, was sie ausplauderte, aus guten Quellen schöpfte. Der Professortitel, so wenig er sich's merken ließ, freute ihn doch. Rosi fühlte das wohl, und muthiger gemacht, zog sie Elli mit sich und sagte: „Herr Bracht, ich habe meine Schwester mit gebracht. Würden Sie einen Moment geruhen, ihr die Vorder ansicht Ihres Künstlerhauptes zuzuwenden?" „Gleich", murmelte er, malte erst noch eine Weile und drehte sich dann um. Er sah ein Kindergeficht, in dem Berkgrnheit und Keckheit kämpften. Rosi gefiel ihm besser; die Schwester hatte doch noch keinen rechten Schneid. „Jetzt rede was!" flüsterte Rosi ihr ins Ohr. „Malen Viele in Ihrer Familie?" fragte Elli. Alles horchst auf. „Niemand" — versetzte er, „bei uns zu Hause giebt's keine Farben. Wir sind Bauern und wohnen unter einem Strohdachc. Uebrigens", und er wies mit dem Malstockc auf die Uhr über dem Ofen, „es schlägt vier; die Stunde ist vorbei." Diese schmucklose Art hatte Bracht immer, wenn er seine Be sucher pünktlich los werden wollte; je vornehmer sie waren, um so weniger Umstände machte er mit ihnen. „Morgen Abend um neun", rief Rosi ihm zu. „Heut um zehn", secundirte die alte Prinzessin. „Wenn ich kann", sagte Bracht. Er nickte ein paar Mal dem Menschendutzcnd da unten zu. Dann, als die Thür sich schloß, murmelte «r ein Gottlob, fuhr sich aufathmend durch das dichte Kraushaar und rief: „Mensch, meinen Kaffee." Ein schwächliches Individuum entwickelte sich aus der Nähe des Ofens und reichte ihm eine schon länger bereit gehaltene Tasse herauf. „Rück' mein Bild bei Seite!" Der Mensch konnte es nicht. „Jämmerlich, wenn ein Wesen keine Kräfte hat! Kraft — darin liegt's. Das macht Eindruck. Thätst Du mir nicht sonst leiv, ich ließ' Dich laufen." Der Ateliergehilfe grinste. Er wußte, daß der Meister ihn doch behielt. Gegen arme Schlucker war er gut, der berühmte Maler da oben — vielleicht, weil er solche Existenzen kannte. . . „Sie haben auch wieder Blumen dagelassen", — sagte der magere Junge — „massenweise." „Fort damit! Bring' sie Deiner Mutter oder Deinem Schatz, wenn Du einen hast, was ich allerdings im Hinblick auf Dein Aeußeres bezweifle. Hast Du Kaffee?" Der Mensch schlürfte bereits d«n Nachguß. „Leg' mir Frack und weiße Halsbinde zurecht und vergiß die Lackschuhe nicht; dann kannst Du gehen, und morgen früh, Schlag sechs; der Pan soll in vier Tagen fertig sein. Allons. . . ." Er trank seinen Kaffee aus, den er sich stets so stark mach«n ließ, wie ihn in der ganzen, sehr schwerzehrigen Stadt Niemand stärker trank. Aber seiner Hünengesundheit schadete nie etwas. * * » Rosi's und Elli's Fahrräder sausten über di« Hauptstraße lveg in eine elegante Seitenallee hinein. Es war Frühdings nachmittag. Alle Spaziergänger drehten sich nach den hübschen Radlerinnen um. Sie hielten vor ein«r maurischen Villa, stiegen ab, und wäh rend der Diener die Gartenthür aufriß, zündeten sie sich Cigaretten an und waren so in diese Beschäftigung versunken, daß sie den Reiterofficier gar nicht bemerkten, der mit forschen den Blicken auf sie zutrat. Er schien unsicher zu sein, ob er grüßen sollte; wie «in Schatten flog es über sein männliches Gesicht, als er die beiden Sportladies so versunken in ihre Cigaretten sah. Plötzlich schaute Rosi auf. „Ah, Engelhardt!" rief sie — „und wie aus der Erde heraus gewachsen! Seit wann bist Du d«nn von Deiner Weltfahrt zurück?" „Seit heute Morgen", sagte er. „Mein erster Gang war, Deine Mutter zu begrüßen." „Und nicht mich?" rief sie. „Ach Gott, Rosi — Dich zu begrüßen hatte ich doch eigentlich nach dem, was zwischen uns damals vorgefallen ist, k«in —" rr gcricth ins Stottern und wurd« ein wenig roth. „Aber Vetter, — um solcher Kleinigkeiten willen — komm doch wieder mit herauf. Du hast ja übrigens Elli noch gar nicht recht begrüßt." Elli rauchte, was sie konnte. Sie hatte von Engelhardt einen so langen verwandtschaftlichen Brief zur Firmelung bekommen, in der auch er, gerade wie der Caplan, von der „Eitelkeit der Welt" abrieth. Nun schämte sie sich des Velocipedes und der Cigarette wegen — und gerade darum rauchte sie doppelt stark. Er gab ihr die Hand, weigerte sich, mit ins Haus zu gehen und ging möglichst rasch von dann«n. „Heut Abend um zehn Rout bei der Helldingen" — rief sie ihm nach — „morgen um neun b«i mir —" „Gut, daß^wir ihn los sind", fuhr sie dann, zu Elli gewendet, fort — „die Schneiderin muß da sein, und überhaupt, er ist so schrecklich pedantisch! Er ist gar nicht mein Genre. Wenn man Bracht mit ihm vergleicht —" „Bracht ist himmlisch", sagte Elli und starrte gedankenvoll auf ihre Cigarette. Dann gingen sie ins Haus. (Fortsetzung folgt.)
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