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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011026023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-26
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Dem „New Dort Herald" wird aus London berichtet, daß General Buller, seitdem er sich geweigert hatte, seine Depeschen über die Schlacht am Spionskop abzuschwächen, ein Gegenstand heftiger Feindschaft der — Lady Roberts gewesen sei und daß diese nach der Rede Buller's am IO. October ihren Mann, den Feldmarschall und Oberbefehlshaber aller englischen Truppen, gezwungen habe, von dem Kricgsminister Brodrick die Entlassung Buller's zu verlangen. Nachdem dieser sich geweigert hatte, selbst um seine Demission einzu kommen, hätten Roberts und Brodrick die Sache dem König vorgetragen, der anfangs seinen alten Freund Buller entschieden vertheidigt habe, aber schließlich, als Roberts und Brodrick mit ihrer sofortigen Demission drohten, habe nachgeben müssen. Seit dem Rücktritte des Herzogs von Cambridge vom Ober- commando, fügt der Gewährsmann des „Herald"-Correspon- denten hinzu, sei der „Unterrocks-Einfluß" im Kricgsmini- sterium sehr stark. Aehnlich sprach sich vor zwei Tagen der Ab geordnete H. C. Richards aus, der in Northampton öffentlich erklärte, daß es eine große Reform im Kriegsministerium sein würde, wenn Lord Roberts die Eröffnung von Bazaren seiner Frau überlassen und die Auswahl von Stabsofficieren und die Durchführung von Reformen in dem Officiercorps in seine eigenen Hände nehmen würde. Ein Mitarbeiter des chauvi nistischen „Daily Expreß" führt aus, daß Buller sich durch seine famose Rede gar nicht gegen die Dienstregeln und die Disciplin vergangen habe, denn seine Mittheilungen hätten nichts enthüllt, was nicht schon früher bekannt war, und er habe nicht das Verfahren seiner Vorgesetzten kritisirt. Im General stabe des Lord Roberts in Südafrika seien Officiere gewesen, die so verfeindet waren, daß sie miteinander nicht sprachen oder gar sich gegenseitig Hindernisse in den Weg legten. Sir Redvers Buller soll ein jährliches Einkommen von 7000 Pfd. Sterl. (140 000 c-K) haben, und seine Versetzung auf Halbsold wird ihn wohl daher nicht besonders schmerzen. Von seiner Offenherzigkeit wird eine Geschichte erzählt, die vor einigen Jahren Passirt sein soll. Darnach hätte die Königin Viktoria ihm eines Tages gesagt: „Wir sehen Sie nicht oft bei Hofe, Sir Redvers", worauf dieser antwortete: „Das ist nicht meine Schuld, Ma'am." * London, 25. October. Der SturmderEntrüstung über Buller's Entlassung hält an und äußert sich am deutlichsten in den Musikhallen, den bekannten Heimstätten des kriegerischen Patriotismus und Jingoismus. Als gestern in verschiedenen Musithallen bei der Vorführung kincmato- graphischer Bilder Buller's Porträt auf dem Vorhänge erschien, gab es laute Demonstrationen und Gesang entsprechender Lieder. Selbst in Aldershot ist demonstrikt worden. In Farn borough brachte der Bürgermeister vorgestern bei einem Diner der Feuerwehr einen Toast auf die Armee und die Marine aus, und als er dabei Buller erwähnte, brach ein Jubel aus, der den Bürgermeister volle zehn Minuten am Weitersprechen verhinderte. Dieser Jubel tönte aus dem Hotel, in dem das Diner stattfand, hinüber in das gegenüberliegende Regierungs gebäude, in welchem Buller noch seine Amtswohnung hatte. Gestern Abend gab es auf einem Diner in Aldershot, dem ein Oberst präsidirte und an welchem viele Officiere theil- nahmen, eine weitere laute Demonstration für Buller. Der über 2000 Mitglieder zählende Verein der Devonier in London will eine Massenversammlung veranstalten und der Bürgermeister von Exeter hat alle Bürgermeister von Devon shire heute zu einer Versammlung einberufen, auf der berathen werden soll, wie der Sympathie für Buller Ausdruck zu geben ist. Die radikalen Clubs und radikalen Blätter nehmen eifrig an der Bewegung Theil. Der „Morninq Leader" sammelt Geld für einen Ehrensäbel für Buller. Zweifellos hat die radikale Partei jetzt zum ersten Mal einen starken popu lären Wind in ihren Segeln, und die Hoffnungen der Oppo sitionspartei sind stark gewachsen. „Daily News" spricht die Meinung aus, daß im Cab inet eine Partei vorhanden sei, die zum Unterhandeln mit den Boeren bereit ist und daß die liberalen Führer Aussicht haben, an die Regierung zu kommen. Die ministeriellen Blätter verrathen von diesen Dingen nichts und schweigen zum Buller-Rummel. Buller selbst schweigt vorläufig und wird, wie aus einem offenbar von ihm inspirirten Artikel des Militärschriftstellers Williams hervorgeht, sehr genau überlegen, was er thut. Er wird seine Sache im Parlamente zur Sprache bringen lassen oder sich wählen lassen und sie dann selbst zur Sprache bringen. Vor Allem wird er aber fordern, daß die unverstümmelten De peschen über den Natalfcldzug veröffentlicht werden. (Frkf. Z) * Liverpool, 25. October. Der Präsident der Localver waltung Long hielt hier heute eine Rede, in welcher er sagte, die Regierung würde die Ernennung Buller's zum C o m- mandanten des Armeecorps in Aldershot aus Gründen der Politik und der Gerechtigkeit Vertheidigen; Buller sei lediglich deswegen entlassen worden, weil seine Rede schwer gegen die militärische Disciplin verstieß. Das Cabinet sei einmüthig auf Seiten Roberts' gewesen, der die Angelegenheit für sehr bedauernswcrth erachtete, da Niemand die traditionellen Eigenschaften der britischen Raste in höherem Maße besitze, als Buller sie während seiner ganzen militärischen Laufbahn ge zeigt habe, aber auch kein Soldat hätte einen größeren Miß griff machen können, als der war, den er gethan hat. bhamberlain über den Krieg. * London, 26. October. (Telegramm.) In einer in Edinburg gehaltenen Rede besprach Chamberlain die Kriegsfwge und wies mit Nachdruck zurück, daß die Regierung zu der Zeit, als das Ultimatum der Boeren übergeben wurde, die Kriegserklärung vorbereitet habe; sie habe im Gegentheile Alles gethan, den Krieg zu vermeiden, der, wie sie gewußt habe, ein schwieriges und ernstes Unternehmen sein würde. Die den Boeren ange botenen Bedingungen seien günstiger gewesen, als irgendwelche, die je einem besiegten Feinde angeboten worden seien. Da die Bedingungen abgelehnt worden seien, müsse der Krieg zu Ende geführt werden. Die Regierung gestehe zu, daß sie bezüglich der Dauer des Krieges sich geirrt habe; sie bewundere die Zähigkeit der Boeren, aber England müsse dieser Zähigkeit die gleiche Entschlossenheit ent gegensetzen. Die Boeren verlangten nunmehr eine größere Unabhängigkeit, als zu Beginn des Krieges. Diese Bedingung habe die Regierung nicht gut (!) annehmen können. Jetzt komme die Zeit, wo noth- wendig strengere Maßregeln zu ergreifen seien, um die Aufständischen Guerillabanden zu bekämpfen. Wenn diese Zeit gekommen sei, werde die Regierung Präcedenzfälle für Alles, was sie thun werde, in dem Vorgehen jener Nationen finden, welche diese Barbarei und Grausameit verurtheilten, aber si erwerbe sich nie dem nähern, was diese Nationen in Polen, im Kaukasus, in Bos nien, in Tonking und im Kriege von 1870 ge than hätten (!!?). Redner schloß, die Regierung wolle nicht zurückschrecken, vom Lande weitere Opfer zu verlangen, wenn es nöthig sei. Die militärische Lage biete keinen Grund zu Besorgnissen (?). Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Octobcr. Unter größter Feierlichkeit hat im Neuen Palais zu Potsdam die EiSeSlristung Vcs Bischofs Benzler von Met; stattgesunden: der Kaiser in großer Uniform auf dem Throne, zu seiner Seite der Kronprinz und sein Bruder, der Reichskanzler, der Statthalter von Elsaß-Lothringen nebst Staatssekretär und Unlerstaatsrekretär, sowie eine Reibe anderer höchster Würdenträger. Obwohl mithin alle äußeren Merkmale einer wichtigen Staatsaktion vorhanden waren, zeigte sich die amtliche Berichterstattung darüber in sofern sehr lückenhaft, als sie der klerikalen „Germania" die Mittheilung des vom Bischof Benzler geleisteten „Homagial- eideö" überließ. Ter Verdacht, daß die Zurückhaltung der amtlichen Berichterstattung keine zufällige gewesen sei, wird durch den Wortlaut des „Homagialeides" hervorgerufen. Tenn von einem wirklichen Hrrldigungöeidc kann bei dem Eide des Bischofs Benzler nicht die Rede sein. Der neue Bischof be dank! e sich zunächst dafür, daß er den Eid in die Hände des Kaisers selbst ablegen durfte; er erwähnte am Schlüsse seine beständige Fürbitte für daö Kaiserhaus; und nur die nach stehende Stelle seines „Homagialeides" bat mit einer wirk lichen Huldigung eine entfernte Aehnlicbkeit: „Mit ganzem Herzen werde ich das Gelöbniß, das ich in diesem feierlichen Augenblick in die Hände Ew. Majestät niedcrlegen darf, treu halten, das Gelöbnis;, als katholischer Bischof Las Heil der mir Anverlrouten treu zu fördern, indem ich in ihnen Len Glauben und die Gottesfurcht hege und pflege, welche die festesten Grundlagen sind für die ganze Staatsordnung und die sicherste Bürgschaft treuer Ergebenheit gegen den erlauchten Landesherrn." Es ist nur zu begründet, wenn die „Germania" diesen „Homagialeid" gar nicht als einen Hulrigungseid, sondern als eine „Ansprache" bezeichnet. Die politische Dürf tigkeit, um nicht zu sagen In Haltlosigkeit des von Bischof Benzler abgelegten „Eides" erkennt man vollständig erst raun, wenn man sich des preußischen und der sonst in Deutschland üblichen Bischofseide erinnert. Nach der Bulle cko salutcr rrnimaruiu lautet der preußische Bischofseid: „Ich . . schwöre einen Eid . ., daß, nachdem ich auf den . . Stuhl von . . erhoben worden bin, ich Sr. Königlichen Majestät von Preußen und allerbüchstdessen rechtmäßigem Nachfolger in der Negierung, als meinem allergnädigsten Könige und Landesherrn, unterthänig, treu, gehorsam und ergeben sein, allerhöchstdero Bestes nach meinem Vermögen befördern, Schaden und Nachtheil aber verhüten und besonders dahin streben will, daß in den Gemüthern der meiner.. Leitung anvertrauten Geistlichen und Gemeinden die Gesinnungen der Ehrfurcht und der Treue gegen den König, die Liebe zum Vaterlande, der Gehorsam gegen die Gesetze und alle jene Tugenden, die in dem Christen den guten Unterthan bezeichnen, mit Sorgfalt gepflegt werden, und daß ich nicht dulden will, daß von der mir untergebenen Geistlichkeit im entgegengesetzten Sinne gelehrt oder ge- bandelt werde. Jnsbewrrdcre gelobe ich, daß ich keine Gemeinschaft oder Verbindung, sei es innerhalb oder außerhalb desLandes unterhalten will, welche der öffentlichen Sicherheit gefährlich sein könnten, und will ich, wenn ich erfahren sollte, d«ß in meiner Diöcese oder anderswo Anschläge gemacht werden, die zum Nachtheile des Staates gereichen könnten, hiervon Sr. Königlichen Majestät Anzeige machen. Ich verspreche, dieses Alles um so unverbrüchlicher zu halt^i, als ich gewiß bin. Laß ich mich durch den Eid, welchen ich Sr. Papst- lichen Heiligkeit und der Kirche geleistet habe, zu nichts verpflichte, was dem Eide der Treue und Unterthänigkeit gegen Se. König!. Majestät entgegen sein kann." Dem vorstehenden preußischen Bischofseide analog ist so wohl der bayerische, wie der hannoverische und der oberrheinische. Bergleicht man hiermit den Gelöbniß- Passus in der Ansprache des Bischofs von Metz, so springt seine Bedeutungslosigkeit in die Augen. Warum aber kommt der Kaiser als LandeSvater in Elsaß- Lothringen einem Bischof gegenüber u »ver hält nißmäßig weniger zur Geltung, denn als Landesherr in Preußen? Zeder GefichtS- pnnct des preußischen BischofseideS, der die bischöflichen Pflichten gegenüber dem Landesherr» erläutert, ist ge rade in Lothringen von noch größerer Bedeutung als in Preußen. Gerade in Lothringen ist es nothwendig, daß der Bischof seine Geistlichen und Gemeinden zur Vaterlandsliebe und zum Gehorsam gegen die Gesetze anbält und entgegen gesetzte Agitationen seiner Geistlichkeit nicht duldet. Man erinnert sich bei dieser Gelegenheit, wie häufig der ReichstagSwablkreis Metz in den deutschen Reichstag Vertreter geschickt hat, die der Bezeichnung, „Mitglied des deutschen Reichstages" Hohn sprachen. Es sei nur der Herren Antoine und vr. Haas gedacht, von denen der Erstere sogar in Frankreich selbst als deutschfeindlicher Agi tator umherzoz, während der Letztere seinen Sohn in die französische Armee als Officier eintreten ließ. Für eine Wählerschaft, die solche Leute in den Reichstag geschickt hat, wäre es von nicht zu unterschätzender Bedeutung ge wesen, wenn Bischof Benzler einen wirklichen HuldigungSeid geleistet hätte, in dem seine Pflichten gegen den Landesherrn von Elsaß-Lothringen nach Analogie des preußischen Bischofs eides ausgesprochen gewesen wären. Gewiß giebt auch der preußische Bischofseid — exewpla. äoocrnt! — keine Gewähr für ein Verhalten der Bischöfe, wie der Staat es fordern muß. Aber daß im Falle des neuen Bischofs von Metz die Staatsregierung schlechthin alles Vertrauen auf die Person des bisherigen Benedictinerabtes gesetzt hat, kann ein Prä» cedenzfall werben, auS dem die römische Kirche die bedenk lichsten Eonseguenzen abzuleiten vermag. Auch deshalb hätte der Eid des Bischofs Benzler, gleichviel ob er einem reichS» ländischen BischofSeide nachgebildet oder sonstwie zu Stande gekommen ist, eine ganz andere Fassung erhalten müssen. Zn der Angelegenheit des Staatssekretärs v. Tirpitz und des Neichslagsabgeordneten vr. Müller-Sagan, der am 25. Oclober 1809 von dem Staatssekretär ersucht worden sein will, dessen Ansicht über den Zusammenhang zwischen Flottenverstärkung und Freihandel zur Kenntniß der frei sinnige» Abgeordneten zu bringen, liegt beute eine Erklärung Müller'S des ZnhaltS vor, daß die betreffende Unterredung „im Eisenbahnzuge zwischen Halle und Fulda" statlgcfunden habe. Damit wird die Vermuthung, daß Herr Müller sich in Bezug auf daS Datum der Unterredung geirrt habe, hinfällig. Um so weniger ist also anzunebmen, daß ein Zrrthum in Bezug auf den Inhalt der Unterredung untergelaufen sei. Etwas komisch nimmt eS sich Lader auS, wenn die „Post" auf Grund ihrer „genanesten Informationen" behauptet, die Unterredung habe „wäbrend der Berathung des FlotlengesetzeS", also nach dem 25. October 1899, stattgesunden und sei von Herrn Müller in „tendenziös entstellter Weise" wiedergegeben worben. Zn Wirklichkeit habe Herr v. Tirpitz nicht im Entferntesten daran gedacht, „mit den Freihandelsbestrebungen der Frei sinnigen zu fraternisiren", sondern lediglich „ganz ironisch die Haltung der Freisinnigen, die auf der einen Seite den Welthandel zu fördern glauben und auf der anderen Seite Len Siützpunct eines mächtigen Welthandels, eine starke Seewebr, ablebnen, als absurd kennzeichnen wollen." Ferner wird Herrn Müller vorgeworfeo, er spiele in der Sache „den politischen kleinen Bellachini", indem er kurzer Hand aus Feuilleton. 4j Die Löwenjagd. Novelle von E m i l R o l a n d. Nachdruck «erboten. Seinen Pan hatte er in England verkauft, sich eine riesige Wohnung genommen, prunkvoll eingerichtet, nur das Atelier im alten, einfachen Stil bewahrt, und dort zwischen kahlen, Hellen Wänden malte er einen Höllensturz der gefallenen Engel, denen er hier und da die eigenen Züge verlieh, jene sonderbar kraftvolle Eigenart, die er somit in der Geschichte der Kunst ver ewigen zu wollen schien. - Er hielt sich während der Arbeit an diesem Bild dem Ge selligkeitsstrudel ziemlich fern; erst als er fertig war, tauchte er wieder in das bunte Treiben unter. Mit sardonischem Lächeln hörte er zu, wenn man ihm von den Anstrengungen erzählte, die gewisse Damen gemacht hatten, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, seinem Selbstgefühl zu schmeicheln. Aber nichts imponirte ihm, weder daß die Prin zessin Helldingen sich einen besonderen „Bracht-Salon" ein gerichtet hatte, in dem sein Bild fast wie auf einem Altar von grünen Pflanzen umgeben stand, während Reproduktionen seiner sämmtlichen Werke von den Wänden herniederschauten — noch daß Ros» mit ihrer Schwester im Sommer nach Hacksche ge radelt war, um anbetend auf den großen Spuren Heinrich Bracht's zu wandeln — ja, nicht einmal das machte ihm Ein druck, daß Rosi eine lebendige Reminiscenz an sein Heimaths- dorf mitgebracht hatte in Gestalt eines großen, hochblonden Bauernmädchens, die sie alle Tage frisiren und ihr von Hacksche, seinen Bienen und Ackerknechten erzählen mußte. Hacksche war ihm auch gleichgiltig geworden mit der Zeit; er sandte mit vollen Händen Geld hin, aber im klebrigen verstand man sich nicht mehr. Er führte ein einsames Leben, trotz der vielen Menschen, die ihn umschwirrten. Niemals warf Jemand einen Blick kn seine Seele, und es schien fast, als ob dieser Tempel nie geöffnet sei oder überhaupt nicht vorhanden war. Nur in seinem Kunst gefühl ahnte man ihn, das mit den Jahren feiner und höher wurde. Es wurde kein Buch über die Malerei der Gegenwart mehr geschrieben, in dem nicht sein Name neben den größten stand, in dem nicht bewundernde Begeisterung wie Weihrauch diesen Namen umwogte, der so plötzlich — so ganz von heute auf morgen — vor den Augen Tausender aufgeleuchtet war, der Name keines Nachbeters, sondern eines echten Neuerers. Wenn er so etwas los — das gefiel ihm doch! Die Ruhm sucht strich dann mit langsamen Flügelschlägcn dicht über seinen Scheitel hin. Die alte Bauernnatur regte sich, die so stolz auf ihre durchsetzende Kraft ist — ja, Kraft, das war's, wonach er sich zuweilen sehnte —, das war's, weshalb er so gerne in wilde Wasserfälle sah und Lawinen donnern hörte —, Kraft, die der schalen Welt seiner Gegenwart und seiner Kreise abging. Er hatte in diesem Winter das Talent in sich entdeckt, mit sehr kurzem Anlauf über einen gedeckten Tisch fortzuspringen, ohne auch nur ein Sectglas oder eine Blumenschale zu be rühren; er exercirte diese neue Kunst zum ersten Male auf einem Ball bei Rosi als erste Cotillontour. Rosi strahlte im Bewußtsein, das am folgenden Tag die ganze Stadt und die meisten Blätter von ihrem gelungenen Zauberfest reden würden. Etwas Apartes zu erfinden, war immer so schwer und die Concurrenz auf diesem Gebiete so groß in ihren Kreisen. In der zweiten Tour bewegte man sich rund um einen ver schlossenen Korb, der plötzlich aufging und aus dessen Tiefe sich ein lebendes Huhn entwickelte, das geängstigt und alle Federn sträubend in die Tänzerschaar hineinflatterte. Rosi lachte Thränen, fünf Damen wurden ohnmächtig und Bracht lächelte. Das unglückliche Huhn aber, wie verrückt gemacht durch die ungewohnte Umgebung, jagte in dem lichterhellen Saal hin und her, klammerte sich hier an ein Bild, dort an die Schulter eines befrackten Tänzers oder die Epaulettes junger Officiere, denen das sehr unangenehm war und die doch als auf Tapferkeit ge- aichte Helden mit keiner Wimper ihrer verwirrt blickenden Augen zucken durften. Mit einem Male schwang sich das arme Thier aufwärts, dem venetianischen Kronleuchter zu, und klammerte sich fest an eine gläserne Tulpe, in der eine Flamme brannte, die es jede Minute zu versengen drohte. Bracht's Lachen verschwand mit einem Mal und der Wuth« blick eines Tigers schoß im selben Monient aus seinen Augen auf Rosi. „Alle Wetter, gnädige Frau!" rief er. „Sie thäten besser, in den Thierschutzvcrein einzutreten, als uns solch' ein Spectakrl aufzuführen. Ich für meinen Theil habe zwar bekanntlich kein« I Nerven, aber wenn das Thier da nicht sofort gerettet wird, so betrete ich dies Haus nicht wieder. Ich habe in der Zeit, als ich noch unter meinem väterlichen Strohdachkotten saß und das Feld bestellte, zu nahe mit den Hühnern zusammengclebt, als daß ich diese Scherze schön oder auch nur witzig finden könnte. Ich finde sie einsach absurd." Er sprang aus den nächsten Stuhl und langte nach dem Kronleuchter hinauf. Von der anderen Seite that der hübsche junge Attache, der Elli verehrte, dasselbe, er war größer als Bracht, aber der Saal doch zu hock, als daß seine Arme zu dem Unglückshuhn hinaufrcichen konnten. Rosi hatte sich nach Bracht's zürnenden Worten sofort ent fernt. Man hörte ein aufgeregtes Klingeln durch's ganze Haus zittern. Alles war in Spannung. Auch die ohnmächtig Ge wordenen lugten nun, nachdem das Huhn nicht mehr flatterte, um die verschiedenen Zimmcrecken wieder in den Ballsaal hinein. Endlich nahte die Befreiung. Den Rahmen der Thür, die auf den Corridor ging, füllte plötzlich eine große Gestalt, eine junge, hochblonde Riesin, die in stolzer Haltung, eine schwere Trittleitcr leicht, als wäre sie eine dünne Gerte, über den Schultern trug. Mit elastischem Gang, wcitausschreiteno und kräftig, wie die alten, germanischen Götter geschritten sein mögen, wenn sie über die Regenbogcnbrücke niedcrsticgen zur Welt, so ging sie eilig der Saalmitte zu. Aller Augen hafteten an ihr, an dem schlichten, dunklen Kleide, das sic trug, an den dichten Zöpfen, die sie mehrfach ums Haupt geschlungen l>rttc, wie Goethe's Doro thea. Die zierlichen Puppengestalten ringsum, die wie zerbrech liche Nippesfiguren in ihren Spitzen und Seidengewändern staken, sahen plötzlich so blutlos und schwächlich aus neben diesem gesunden Kinde des Volkes. Sie sah sich kaum um, stellte die Trittleiter unter den Kron leuchter, stieg bis auf die oberste Stufe und stand gerade und schwindelfrei eine Minute lang hoch oben in dem Meer von Licht, das freigebig auf ihre Flechtenkrone niederfluthete. Mit rascher Bewegung ergriff sie das Huhn, stieg sicher und schnell herab, nahm die Trittleitcr wieder auf die Schulter, leicht und an- muthig, und verließ den Saal. In derselben Minute fing Rosi an, ihr Gegenüber mit den großen Papierschneebällen zu bom- bardiren, die für die nächste Cotillontour bereit standen. Die Musik fiel ein. Alles gerieth in Bewegung. Weiße Flocken durchschwirrten die Luft wie winterliches Gestöber, und der Schrecken, das Huhn und das Mädchen tvaren mit jener Ge schwindigkeit vergessen, mit der die gute Gesellschaft über un sympathische Zwischenfälle wegzutanzen liebt. Alles walzte — nur Bracht war verschwunden. — Unten an der Treppe erreichte er die Landsmännin und rührte sie an ^r Schulter. „Biss Du das Mädchen aus Hacksche?" fragte er. „Ja, Heinrich —" entgegnete sie einfach. „Du nennst mich Heinrich? Kennst Du mich denn?" „Gewiß", sagte sie, „ich habe ja, als ich ein kleines Mädchen war, oft genug Kartoffeln mit Dir aufgesucht." „Du?" „Ich bin des Schulzen Tochter — gegenüber von Euch." Er besann sich vergebens. „Wie heißt Du denn?" „Kathrin —" „Kathrin?" Er suchte umsonst in seinem Gedächtniß, er hatte die ganze Zeit vergessen. Sie hatten das Ende des Vorplatzes erreicht; sie lehnte die Trittleitcr an die Mauer und streichelte das Huhn, das noch von Zeit zu Zeit zuckte, so sehr war es erschüttert von seinem Debüt in der Gesellschaft da oben. Ein störender Gedanke kam ihm. Mit fast kränkender Un freundlichkeit stieß er hervor: „Kathrin! Bist Du meinetwegen hierher in die fremde Stadt gekommen?" Sie sah langsam auf, heftete die blaßblauen Augen ziemlich gleichgiltig in sein Gesicht und entgegnete ein so aufrichtiges „Nein", daß er, der den Frauen grundsätzlich nichts glaubte, in keinen Zweifel mehr gerieth. „Weshalb denn?" forschte er liebenswürdiger. „Weil Vater wieder geheirathet hat. Das ging nicht mit der Stiefmutter, es ist eine von den herrischen . . . ." „So, so — und der Menschenschlag bei uns zu Lande beugt sich nicht gerne — das kenn' ich. Da wundert's mich nur, daß Du trotzdem in Dienst gegangen bist — Du, als Schulzentochter?" „O, es ist leichter Dienst, nichts als Staubwischen und der alten Frau etwas vorlesen und hier und da zugreifen; und ein schönes Geld verdiene ich dabei, und das ist gut für meine kleinen Brüder." „Und stören Dich die anderen Dienstboten nicht?" Sie schüttelte den Kopf. „Sie lassen mich allein essen — das hat der Vater gleich ausgemacht, als ich fortging. Mit den An deren habe ich nichts zu thun, blos mit der Herrschaft, und die ist sehr gut zu mir, besonders das kleine Fräulein." (Fortsetzung folgt.)
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