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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011030026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901103002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901103002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-30
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ÄNttoölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeige« «PreiS die 6 gespaltene Petitzeile LS Reclameu unter dem Redaction-strich ft gespalten) 7b H, vor deu Famtlieunach» richte» (S gespalten) 80 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuaunahme LS H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-Au-gabe, ohne Postbesörderung 60-, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: dl b end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgea-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bet deu Filialen und Annahmestelle» je ein« halb« Stunde früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Pol» «Leipzig Nr. 555. Mittwoch den 30. October 1901. S5. Jahrgang. Die Stellung der Aationalliberalen zum Zolltarif und zum Lörsengesetz. Der Centralvorst and der national libe ralen Partei hat am 27. dieses Monats seine regelmäßig im Herbste stattfindende Sitzung abgehalten und in dieser zwei Beschlüsse gefaßt, die bereits' wört lich mitgetheilt tdorden sind. Wir haben Ursache, dieselben etwas näher anzusehen und nicht nur das zu betrachten, was in diesen Beschlüssen geschrieben steht, sondern auf das hinzublicken, was nicht gesagt unv beschlossen worden ist. Dann kommt man zu einem immerhin recht günstigen Ergebniß. Der Centralvorstand nimmt zunächst Stellung zu dem Ent wurf des Zolltarifgcsetzes mit Zolltarif, der jetzt in der Berathung der Bundesraths-Ausschüffe das erste Stadium durchlaufen und wenig Veränderungen daselbst erfahren hat. Daß die nationalliberale Partei in ihrer großen Mehrheit willens ist, der Landwirtschaft einen wirksameren Schutz gegen die stetig im Niedergang befindliche Preisbewegung am Weltmärkte zu gewähren, ist längst bekannt. Ebenso weiß man, daß die Partei ihr Augenmerk 'darauf richtet, langfristige Handelsverträge zu Stande zu bringen, die zum Ausgleich der wirtschaftlichen Interessen von Industrie und Landwirtschaft, Handel und Ge werbe dienen können. Der Centralvorstand mußte wohl diese beiden grundsätzlichen Gesichtspuncte wiederholen. Dabei kam es aber für ihn darauf an, auch Stellung zu der Frage zu nehmen, ob der im Bundesrath liegende Entwurf mit den darin enthaltenen Sätzen des Zollschutzes für landwirtschaftliche Er zeugnisse eine geeignete Grundlage bilden könne, um beide Ziele erreichen zu lassen. Es wird in der beschlossenen Resolution nicht direct hierauf Antwort gegeben. Aber es wird doch die Er wartung ausgesprochen, daß der Entwurf so verabschiedet werde, wie es im Interesse der beiden maßgeblichen Gesichtspuncte er wünscht und notwendig wäre. Darin liegt, wenn auch nur in direkt, eine gewisse Anerkennung ausgesprochen, daß der Entwurf ein« solche Grundlage sei, oder wenigstens zu einer solchen um gestaltet werden könne. Das ist allerdings auch Alles, was in der Resolution gesagt wird. Die Frage, wie weit die gegenwärtig vor geschlagenen Agrarzölle mit den Interessen der verbrauchenden Bevölkerungsclassen vereinbar sind, bleibt unbeantwortet. Sie läßt sich auch in diesem Augenblicke nicht beantworten, denn man hat es zunächst noch nicht mit den Zöllen zu thun.die als Belastung des Verbrauchs betrachtet werden dürfen; und wieweit durch Handels verträge diese Zölle ermäßigt werden, steht noch sehr in Frage. Der Ccntralvorstand läßt also in dieser Hinsicht der Reichstags- fraction freie Hand und versagt sich seinerseits die Stellungnahme, bis die Vertragstarife bekannt sind, angesichts deren man die Wirkung auf den Marktpreis und für die Lebenshaltung der Massen ausrcchnen kann. Zu der Frage, ob einzelne Agrarzölle schon im allgemeinen ZoMarifgefetze derart gebunden werden sollen, daß die Landwirthschaft von vornherein weiß, welchen Schutz sie genießt, und das Ausland von vornherein weiß, welches Zugeständniß äußersten Falles gemacht werden kann, spricht sich der Centralvorstand nicht aus. Das Parteiorgan sagt nur, daß der Beschlußfassung eine lebhafte Debatte vörausgegangen sei. Es gehört wenig Scharfblick dazu, um sich zu vergegenwärtigen, daß diese Debatte im Hinblick auf die M i n d e st s ä h e des Gesetz entwurfes am lebhaftesten gewesen ist. Man geht auch gewiß nicht fehl, wenn man hier scharfe Gegensätze als Thatsach'c an nimmt. Haben doch einzelne Abgeordnete in ihren Reden vor den Wählern, auch einzelne provinziale Verbände in ihren Beschluß fassungen den Gegensatz in dieser Frage offen bervortrcten lassen. Schließlich kann man aber dem Centralvorstande darin nur bei pflichten, daß er als oberstes Organ der Partei nicht berufen ist, in einer Frage, bei der Alles auf unbewiesene und unbeweisbare Behauptungen hinausläuft, die Reihe solcher Behauptungen zu vermehren. Er hatte um so weniger dazu Veranlassung, als die Frage zugleich auf eine Vertrauensfrage gegenüber der Re gierung und den mit dec Verhandlung über neue Handelsverträge betrauten Diplomaten des Reiches hinausläuft. Wie weit Mindestsätze rin Hemwniß für neue Handelsverträge sind, hängt eben nirgends von Parteien und Parteikundgebungen, son dern von dem Geschick der Unterhändler ab. In allen den Kund gebungen, die bisher gegen den Mindesttarif erlassen wurden, spricht sich ein so starkes Mißtrauen gegen die Rcichsregierung und ihre Kunst, über Verträge zu verhandeln, aus und tritt eine so wenig mit den Formen eines gesunden constitutioncllen Lebens zu vereinbär'.'nde Spccu'lation auf den Dräger der Krone zu Tage, daß es für die großen Parteien im Reichstage, die schließlich das Zünglein an der Waage sind und alle Verant wortung für das Zustandekommen oder Scheitern des Tarifes und der Handelsverträge haben, in der That am würdigsten ist, sich jetzt zurückzuhalten. Interessenten aller Art haben gesprochen. Der Handelsvertragsverein hat nichts verabsäumt, was den Kreisen des Exporthandels und den Nichts - als - Eonsumenten Gelegenheit geben konnte, sich bemerkbar zu machen. Von den Vertretungen der Landwirthschaft kann man mututir, mutnnckis dasselbe sagen. Mißtrauenskundgebungen von beiden Seiten hat es förmlich geregnet. Wozu also jetzt vom Siandpunct aus schlaggebender Parteien aus, ohne nähere Kenntniß der Ab sichten der Negierung, der Aussichten unserer Handelsvertrags politik, der Talente unserer Diplomaten und der unwägbaren Kräfte, die im Laufe eines langen Winters wohl noch eine Rolle spielen werden, sich festlegen? Wir möchten es also dem Cen- tralvorstande Dank wissen, daß er alle diejenigen Fragen, die wesentlich mit unter dem Gesichtspuncte des Vertrauens zur Re gierung und der politischen Rücksichtnahme auf die zur Milent scheidung nöthigen anderen Parteien betrachtet werden müssen, von seiner Beschlußfassung einfach ausgeschlossen hat. Dahin gehört namentlich auch die Frage «per Kündigung der be stehenden Handelsverträge, des Jnkrafttreicns des neuen auto nomen Tarifes u. s. w. Die öffentlichen Stimmen, die wir bis jetzt darüber vernommen haben, konnten uns überall nur den Eindruck machen, daß ein Dichter Nebel noch über dem ganzen Felde der Entscheidungen liege. Aufgabe einer Parteileitung ist ?s natürlich nicht, mit Der Stange im Nebel umherzufahrcn. Enttäuschte Gesichter und nörgelnde Kritik wird es ja nun in reichem Maße geben. AVer diese Kritikaster und Unzufriedenen dürften durchweg nur auf jener Seite zu finden sein, auf der für eine Verständigung über den Zolltarif und die Verträge kein Beistand zu erwarten ist. Die großen Interessen aber, um die es sich handelt — einerseits die Interessen der Landwirthschaft, andererseits diejenigen des allgemeinen, von künftigen Handels verträgen abhängigen Erwerbslebens —, sind durch die Beschluß fassung des Centralvorstandes in keiner Weise »beeinträchtigt, vielmehr ist die freie Bahn offen gehalten, zu einer Verständigung mit Allen, die Woge der Besonnenheit gehen wollen, zu gelangen. Und weiter konnte füglich in diesem Augcn'vlickc seitens einer großen Parteileitung nichts geschehen. Ein reichliches Maß von Besonnenheit und Zurückhaltung spricht sich demnächst auch in der zweiten Resolution aus, welche der Centraloorstand beschlossen hat. Mit äußerster Vorsicht wird in Den vier Absätzen der Resolution über das Börs enge seh alles Dasjenige zusammengestellt, was unbeschadet der großen, im Jahre 1896 durch Mehrheitsbeschluß festgelegten Grundsätze des Börsenrechtes verbessert werden kann und muß. Dabei wird gleich in Ker Einleitung ausdrücklich gekennzeichnet, daß nur für diejenigen Termingeschäfte, welche nach dem Börsongesetze erlaubt sind, ein besserer, klarerer Rcchtsboden abgegrcnzt -werden soll. Dos Börsenregister bleibt bestehen. Ja, es wird sogar darauf hingewirtt, daß alle kaufmännischen Kreise und auch alle gewohn heitsmäßigen Speculanten an der Börse in das Register sich ein tragen lassen. Jedenfalls wird ihnen der Schutz des Gesetzes vorenthalten, wenn sie mit einer eingetragenen Person Termin geschäfte gemacht haben und sich demnächst der Verpflichtung entziehen wollen, weil sie dcibei Verluste erlitten halben. Ebenso bleibt dos Verbot des Getveide-Terminhandels und des Termin handels in Jndustriepapieren bestehen. Ja, der Centralvorstand verrichtet sogar darauf, den aus verbotenen Geschäften erwachsenen Verpflichtungen besseren Rechtsboden zu geben, wie dies von Börscnkreisen verlangt wird und wie es auch geschehen könnte, ohne daß man dos Terminverbot selbst dabei anzurühren brauchte. Aber eine solche Gesetzesverbcsierung herbcizuführen, mag der Regierung überlassen bleiben. Vom Standpuncte der Partei aus genügte es, den erlaubten Geschäften, die durch die Recht sprechung des Reichsgerichtes und durch Unklarheiten des Gesetzes geradezu eine Untergrabung von Treue und Glauben im kauf männischen Verkehre herbei'geführt hatten, die sicheren Grenzen zu bezeichnen und den nöthigen Schutz gegen Gaunerei und Schwindel zu geben, wie er auch von vornherein in der Absicht des Gesetzgebers gelegen hatte. Mehr verlangt der Ccntral vorstand nicht, und wenn es richtig ist, was uns heute mit getheilt wird, daß Herr Dr. Rirßer als Referent diesen Beschluß des Centralvorstandes befürwortet hat, so -entnehmen wir daraus mit Besricldigung, daß auch in Bankkreisen eine sehr verständige und praktische Auffassung Platz gegriffen hat. Wenn sie bereits im Jahre 1896 durchgebrocken wäre, wäre es heute überhaupt nicht nöthig, derart an dem Börsengesetze Einzelheiten zu verbessern. Der Krieg in Südafrika. Zur Ncttung der Bocrcnkinücr. Aus Brüssel wird uns berichtet: Auf Betreiben des Haager Arztes Dr. Keßler haben nunmehr Vie holländischen und die belgi schen Bocren-Hilfsausschüsse die Frage, auf welche Weise die in den sogenannten englischen Schutzlagern eingeschlosseuen Boeren- kindcr zu retten seien, ernstlich in Erwägung gezogen. Schon vor dreivicrtel Jahren hatte sich zu diesem Zwecke ein ComitL aus niederländischen und deutschen Damen gebildet, welches an das Londoner Kriegsamt die Anfrage rich tete, ob man wohl einer von diesem Comitö zu entsendenden Damenabordnung 'in Capstadt die Kinder aus den Concen trationslagern übergeben würde, falls diese Abordnung die er forderlichen Mittel besitze, um die Kinder nach einem neutralen Gebiet zu bringen und sie dort in ausreichender Weise zu ver pflegen. Hierbei war an eine Ueberführung nach Deutsch- S ü d w c st a f r i t a gedacht. Auf die an das Kriegsamt ge richtete Anfrage ist jedoch keine Antwort eingegangen, und als man in Pall Mall durch eine Vertrauensperson nochmals an fragen ließ, ließ man durch einen untergeordneten Beamten er widern, daß der Plan ja gar keine Aussicht auf Verwirklichung habe, da die deutsche Regierung die Ueberfüh rung der Kinder nach dem deutschen Schutz geb i e t n i ch t g e st a t t e n w e r d e. — Hiermit war die Sache vorläufig erledigt, und wenn gegenwärtig der Plan wieder auf gegriffen wird, so ist das Kennzeichnende daran, daß Dr. Keßler sogleich die niederländisch - ost indischen Inseln als Zufluchtsplatz für die Boerenkinder in Vorschlag bringt. Da mit wäre zwar die Schwierigkeit, ob Deutschland den Kindern eine Zufluchtsstätte gewähren würde, umgangen; aber die Unter bringung der Beklagenswerthen auf Java oder Borneo ist doch mit so unendlich vielen Gefahren und Kosten verknüpft, daß im Ernst an die Ausführung dieses Vorschlages gar nicht gedacht werden kann. Alle einsichtigen Personen, welche an den Vorbe- rathungen theilnahmen, haben daher schon jetzt erklärt, daß Deutsch - S ü d w e st a f r i k a der einzige Platz sei, der als Zufluchtsort für die Boerenkinder in Frage kommen könne. Ver weigere dagegen die deutsche Regierung die Aufnahme in diesem Gebiet, so sei der Plan überhaupt unausführbar. Südafrika britisch'. Cupar Fife (Schottland), 29. Lctober. Ter Staatssekretär für die Colonien Chamberlain hielt hier heute eine Rede, in welcher er sagte, Präsident Krüger habe, als er die Rathschläge Milner's verwarf, die Macht des Bereinigten Königreichs, die über alle Zweifel erhaben sei, nicht verstanden; das britische Volk und die Boeren müßten die Folgen tragen. Der Krieg wäre längst beendet, wenn nicht mißleitete Personen in England durch ihr Vorgehen bei den Boeren den Glauben erweckt hätten, daß sie durch Beharren in ihrem Widerstande die Briten kampfesmüde machen würden. Was sür Opfer auch noch nöthig sein würden, das Volk würde in keiner Weise von seinem Entschlüsse abgehen, bis der Kampf ausgefochten sei, und es bestehe darüber kein Zweifel, daß in Zukunft über Südafrika die britische Flagge wehen werde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. October. Die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen kleri kalen Presse und der vaticanischen „Voce della Veritä" wegen des „Falles Tpahn" werden immer schärfer. DaS Organ des Cardinals Rampolla schlägt einen geradezu drohenden Ton an. Daß die gestern mitgetheilte römische Meldung deS „Berl. Loc.-Anz." über die letzte Auslassung der „Voce" nicht gefärbt war, ergiebt sich aus einem heule in mehreren anderen Blättern vorliegenden telegraphischen Be richte über diese Auslassung. Er lautet: Die klerikale „Voce della Berits." beschuldigt die „Köln. VolkSztg.", ihre Auslassungen über den Fall Svahn entstellt zu haben, La sie nicht von einem Verbot des Vorlesungsbesuchs sür die Straßburger katholischen Studenten im Allgemeinen ge sprochen habe. „Bezüglich der Seminaristen ober", so schreibt das Blatt des Cardinals Rampolla weiter, „wiederholen Ferröllrton. 71 Die Löwenjagd. Novelle von Emil Roland. Nachdruck verboten. Kathrin küßte ihr die Hand. „Du darfst natürlich gehen, sobald Du willst", fuhr sie fort, „aber ich hoffe, daß wir uns bald Wiedersehen. Doch warte, ich habe etwas für Dich, das Dich nun freuen muß! Bitte, Engelhardt, hilf mir 'mal eben alle Bilder von Herrn Bracht zusammensuwen, die hier herum stehen." Und sie begann, während sie das Gesicht abwendete und sich in die Lippen biß vor innerer Erregung, die ver schiedenen Photographien und Stiche zu sammeln, die überall verstreut waren, in unzähligen Posen immer wieder die merk würdige Gladiatorenaestalt mit den gewölbten Lippen und dem Undurchdringlichkeitsblick. Engelhardt half, und Kathrin streckte die Hand freudig nach der Gabe aus. „Ach ja, diese Bilder", sagte sie. „Mein Gott! Ich hätte mich ja nie so hoch verstiegen in meinen Gedanken! Und An fangs habe ich's mir ja auch nicht träumen lassen — aber seit kurzer Zeit — jeden Morgen, wenn ich diese Bilder abwischen mußte, hier und im Zimmer der gnädigen Frau — wenn ich sie dann immer wieder ansah — dann kam's über mich . . ." Mit dem weiteren Satzbau kam sie nicht zu Stande. Sie ging, einfach und schlicht, eine blonde Barbarin, ohne die leiseste Spur von Decadence . . . „Also das ist sein Geschmack", dachte Engelhardt und spielte mit der Quaste einer Portiere. Er wagte Elli gar nicht an zusehen; ihr versteinerter Blick vorhin beim Zusammenraffen der Bilder hatte ihm leid gethan- Da hörte er sie neben sich aufschluchzen. „Und das war mein Probepfeil!" rief sie und warf sich in den Stuhl, „ach, wenn ich doch im Kloster geblieben wäre!" Er setzte sich neben sie und versuchte, sie zu trösten. Es half nichts. „Hast Du ihn denn so sehr geliebt?" fragte er zaghaft. „Gott bewahre", schluchzte sie, „lieben, nich, die Spur. Aber wider die Ehre ist's mir, wider die Ehre! Ich hatt's doch angefangen, und wer A sagt . . . man kann doch bei so etwas eben so wenig Zurückbleiben, wie beim Wettrennen. O, es ist schimpflich! Alles schlägt mir fehl! Radeln darf ich nicht mehr — nicht mehr rauchen, und nun ist's mit Bracht auch au». Aber immer besser", beruhigte sie sich plötzlich, „als wenn er die Rosi genommen Hütte! So kriegt ihn keine; das ist ein Standpunkt. O, und daß Rosi ihm nun seine Frau selber auS der Haide hat heranholen müssen — diese Ironie! Rosi war außer sich im Innern — ich wette, sie erschoßt sich — da» Ganze ist so unendlich blamabel." Engelhardt streichelte lange den braunen Krauskopf seiner kleinen Eoufinr. Er war Beiden aus tiefster Seele dankbar, dem berühmten Professor sowohl, als der blonden Riesin aus dem Norden . . . Die Jagd war zu Ende. Bracht's Verlobung bedeutet: das Halali, und Jeder dachte an den Rückzug. Rosi erschoß sich natürlich nicht. Sie schrieb vielmehr am selben Abend noch an einen jungen Norweger, den sie in Baden- Baden kennen gelernt hatte, dem sogenannte „glaubenswerthe Leute" nachsagten, daß er wirklich Geister beschwören könne. Im Frühjahr stand er auf Scheidung von einer schwedischen Gräfin, mit der er Jahr: lang die Existenz von Globetrotters geführt hatte; erst vor Kurzem versicherte er Rosi in einem langen Briefe mit modern zerrissenem Satzbau, daß er tolül frei sei ... Es war ihre Rach«, daß sie für den entthronten Löwen sofort einen Nachfolger verschrieb. Elli räch!« sich, indem sie sich mit Engelhardt verlobte. Andere aus Bracht's Gemeinde behaupteten, der Cultus sei ihnen nie Ernst gewesen; nur die schöne Malerstochter bewies, daß sie ihn aufrichtig geliebt hatte und keinen Grund einsah, sich dieses Ge fühls zu schämen. Sie nahm Bracht's Braut sofort in ihr Haus und beschloß — ihr Vater war einer der größten Verehrer von Bracht's Genie —, dem Paar in acht Tagen sogar die Hochzeit auszurichten. Bracht bestand auf baldiger Heirath, unv Kathrin bestand darauf, so bald wie möglich mit ihm nach Hacksche zu fahren. Die Verlobung war das Ereigniß des Tages. Man staunte über diese Wahl und fand sie unglaublich; Viele lachten darüber; Bracht's Kollegen aber zogen mit selbstzufriedenem Lächeln die Schultern in die Höh: und sagten: „Ein Künstler kann wählen wie er will — er macht seiner Frau selber 'dir Stellung, ob er sie nun von einem 'Schenktische holt oo:r von den Brettern, ob es ein Modell ist, od«r «in« Vulpius; hier hört die land läufige Regel auf. Bracht's Frau ist eben Bracht's Frau; auf den Stammbaum kommt es nicht an!" Der Autor aber, dem der Chavakterkopf des Winterhelden schon lange als Stoff in den Fingern gejuckt hatte, stattete Bracht's Braut sofort eine Visite ab — aus literarischem Interesse. Wenn man ihn mit Fragen bestürmt«, erwiderte er: „Di« reine Thusnelda; unverkümmertes Germanenthum, echt«s Vollblut — begreife ihn durchaus. Bei solchen Wesen kommt's aufs Milieu gar nicht an. Sie sind eben, wozu man si: macht. Frau von Schrotteck hat sie zur Jungfer gemacht — aber löste man ihr die Haare auf und gäbe ihr einen Schild in die Hand, so wär's die idealste Germania. Freut mich von Bracht; es hätte mir gar nicht imponirt, wenn er nach einer Millionärin oder gezackten Baronin gelangt hätte. Hausbrod schmeckt ihm eben auf die Dauer doch besser als Conditorwaare . . ." Am tiefsten gekränkt fühlt« sich trotz ihrer grauen Haare die Prinzessin Heldrngen. Sie fand, Bracht sei seinen vornehmen Beziehungen eine besser« Wahl schuldig gewesen. Er hab« sich in ihren Kreisen unmöglich gemacht. Sie werde ihn nie mehr empfangen, kein Bild mehr von ihm kaufen; er sei tobt für sie. Andere Schichten der Gesellschaft möchten anders denken; die crerno cio In orewc, aber mllss» sich gänzlich rotirv gegen ihn verhalten. Zu einer Abstimmung über diese Frage lud sie ihre sämmtlichen Freundinnen an Bracht's Hochzeitstag zu sich ein, der Abwechselung halber zu einem Diner leto psree, der Mod: des Tages. Selbst dis servirenden Diener ließ sie röte pures erscheinen, indem si: ihnen — Fastnacht war nahe — bunte Thierlarven vor das Gesicht zu binden befahl. Der ganze Anblick der bunt- dccorirten Häupter und der ins Zoologische schillernden Diener schaft wirkte ziemlich verrückt — aber gerade darum fühlte man sich immer so wohl bei der Prinzessin, weil die Geselligkeit in ihrem Hause niemals ganz normal zu verlaufen pflegte. Das Bracht-Thema war bei Tisch verbannt, um den Appetit durch aufregende Reden nicht zu vermindern! Beim Kaffee begann man, Rath zu halten, während in den Marmorkaminen das Feuer knisterte und die bedienenden Thiergestalten Liköre aller Art präscntirtcn. Das zarte Geschlecht trank bei Tamcndmers sehr starke Mischungen. Rosi, die sich eine Chinesenfigur zurechtgemacht und ein paar schlitzäugige Striche unter die Wimpern gezogen hatte, sah öfters erwartungsvoll nach der Thür. Der norwegische Freund traf heute ein, und sie hatte ihm bereits ein Billct ins Hotel ge schrieben mit der Bitte, sich doch sofort in den Salon der Prin zessin zu verfügen. Sie wollte das Bracht-Thema, das ihr an- frng, unleidlich zu werden, endgiltig aus der Welt bringen. „Also, wir sind Alle der Meinung, Freu Bracht nicht zu empfangen", sagte die Hausfrau — „es wäre auch zu originell für Sie, liebe Rosi, Jemanden, der Ihnen erst servirt hat, als Gast bei sich zu sehen." Rosi bemächtigte sich des Rauchzeuges. „Die ganze Ge schichte ödet mich bereits entsetzlich", bemerkte sic kühl. „Eigentlich", warf «ine sehr hübsch«, glücklich verheirathete junge Frau ein, indem sie eine bekannte Anekdote variirte — „wenn Herr Bracht ihr seinen Namen giebt, konnten wir ihr wohl eine Tasse Thee geben." „Sie ist sehr nett", secundirte Elli. „Sie ist ein Affront", rief die Prinzessin. Da schlug mt einem Male der Curaqao tragende Bediente seine Löwenmaske vom Gesicht. Alle starrten die unerwarteten Züge an. Es 'war Bracht. Vor seinem Blick verstummte jedes Wort. Er bohrte alle der Reihe nach durch und durch mit diesem Blick. Nur Elli nickte er zu und der jungen Frau, die das alte Citat aufgewärmt hatte. „Frau Bracht wird gar nicht wollen", sagte er; „und Herr Bracht auch nicht. Beide ziehen nach Paris und empfehlen sich hiermit." „Ich begreife nicht, Herr Professor", begann die Prinzessin. „Daß ich hier einbrcche?" nahm er ihr daS Wort vom Munde. „Sie vergessen, daß ich ein für alle Mal Ihre Erlaubniß habe, zu jeder Zeit hier zu erscheinen. Die brennenden Lichter ver lockten mich doch zu sehr, ein wenig von der Todtenklage des seligen Löwen mit anzuhören. Es hat sich verlohnt! Meine Frau wartet unten im Wagen. Ihre unausgesprochenen Wünsche für „glückliche Reise" nehme ich dankend mit." Er verneigte sich nach allen Seiten. In der leichtfertigen Schaar stieg plötzlich «in seltsames Ge fühl auf. Die verletzte Eitelkeit, an der sie krankte, verschwand. Wie er so zum letzten Male in ihrer Mitte stand, rauh und ungeschliffen und doch mit gutem Rechte in seiner Entrüstung über ihre Kleinlichkeit, wie er sie mit den kalten, dunklen Flammen seines Auges ansah, da verstanden sie plötzlich, daß er für ihr kindisches Getriebe zu groß gewesen. Sie fühlten die lähmende Kraft des Auserwählten. Von ihnen Allen war nur er zur so genannten Unsterblichkeit bestimmt, er, der sich nun spöttisch von ihnen wandte, um seine Ruhmesbahn auf anderem Boden weiter zuschreiten. Zu einem Salonsprelzeug hatten sie ihn gemacht — aber er war kein zahmer Löwe und hatte auch das Brüllen noch nicht verlernt. Er war kein Material für sportlustige Damen hände . . . Sie hatten ihn Alle nicht verstanden. Er gab die Löwenmaske dem ängstlich dastehenden Be dienten zurück, dem er sie beim Kommen ohne Weiteres ent rissen. Dann wandte er sich zum Gehen. In der offenen Thür erschien im selben Moment eine lange, großäugige Herrengestalt, die mit lässiger Bewegung einen kost baren Pelz von den Schultern in die Arme herzuspringender Diener gleiten ließ. Er kreuzte sich in der Thür mit Bracht, der ihn eine Secunde lang mit spöttischem Mitleid ansah. Rosi's Züge, in denen es von nervöser Erregung zitterte, so lange Bracht's Nähe die Funken deS alten Enthusiasmus aus der Asche blies, erhellten sich plötzlich. „Ah, mein norwegischer Freund!" rief sie erleichtert. „Der Geisterbeschwörer?" fragten wi« erlöst die Anderen. „Das ist ja eine böauto ciu ckinblo!" sagte die Prinzessin. „Gottlob, daß etwas Anderes aufs Tapet kommt. . . Das eben war ja scheußlich!" Sie schauderte und ging auf den Ankömmling zu. Von unten hörte man Bracht's Wagen davonrollen. Alle Blicke sammelten sich in dem blaffen Hhpnotiseur-Oval des Fremdlings, der ihnen mit gemessenen Schritten entgegenkam. Es war der neue Löwe, der antrat... (Schluß.)
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