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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011101025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901110102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901110102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Anzeigen-Preis die ö gespaltene Petitzrile LS H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4gespalten) 78 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) bO L). Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme Lü H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung -/t 60—, mit Postbesörderung 70.—. Ännatfmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bet deu Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stuude früher. Anzeige» sind stet« an die Expedition zu richten. Li» Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Pol» m Leipzig Nr. 558. Freitag den 1. November 1901. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Ein neuer Boercu-Lieg. WaS der britische Oberbefehlshaber Lord Kitchener unterm 29. October Nachmittags in seiner offciellen Depesche, mit kühlen Worten als eine neue Niederlage des unermüdlichen Boeren- generalS Delarey auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz« darzustellen beliebt hat, das wird in einer späteren Depesche, die von Johannesburg kommt, als ein ganz entschiedener Si.g der Boeren geschildert. Selbst in der Kitchener'schrn Botschaft wurden allerdings die schweren britischen Verluste zugestanden, deren Ziffern jedoch wie immer bedeutend niedriger gegriffen waren, als sie es thatsächlich gewesen sind. General Delarey im Verein mit seinem treuen Genoffen in so manchem Gefechte, dem Commandanten Komp, hatte sich eine größere Colonne von der Division des Generals Methuen für einen energischen Angriff als dankbares Object ausersehen, wo bei eS dem Boerenführer hauptsächlich um den reichen Transport zu thun gewesen sein muß, den die Engländer mit sich führten. Die britische Colonne war auf dem Marsche von Wonderfontein nach Zeerust, dessen Garnison sic verproviantiren und verstä.ken sollte, und es gelang Delarey am 24. Oktober, den Feind dicht am Großen Marico-Flufse überraschend anzugreifen und der artig in die Enge zu treiben, daß nach mehrstündigem Kampfe der Commandeur der Engländer, ein Oberst mit dem deutschen Namen „von Donop", sich schleunigst über den genannten Fluß wieder ostwärts zurückziehen mußte, um nicht seinen ganzen Transport zu verlieren. Es gelang aber den Boeren, die sich mit größter Tapferkeit dem englischen Feuer aussetzten und ihren Angriff mit Elan und Nachdruck durchfllhrten, noch rechtzeitig cin britisches Geschütz, einige Munitionswagen und — was die Hauptsache für sie war — nicht weniger als zwölf schwer be packte Transportwagen nebst vielen Pferden, Ochsen und Maul- thieren mit Beschlag zu belegen, wodurch also der Zweck des Delarey'schen Angriffes vollständig erfolgreich durchgeführt wurde. Wie hartnäckig und nachdrücklich der Angriff der Boeren ge wesen sein muß, geht am besten aus den beiderseitigen Verlust ziffern hervor, die allerdings, soweit die Boeren in Betracht kommen, nicht genau festgestellt werden konnten, weil die Eng länder natürlich zuerst das Schlachtfeld räumten, nachdem sie an Todten 4 Officiere und 37 Mann, an Verwundeten 7 Officiere und 72 Mann und schließlich an Gefangenen 2 Officiere und 34 Mann verloren hatten. Ob Delarey die Letzteren wieder freigelassen hat oder ob er sie als Geiseln für alle Eventualitäten mit sich führt, wird nicht gemeldet, wohl aber, daß der kühne und erfolgreiche Doerenaeneral sich wieder ostwärts in der Nichiunz auf keinen alten Schlupfwinkel, die Magaliesberge, zurück gezogen hat, und nicht einmal Kitchener wagt es zu behaupten, daß Methuen oder sonst Jemand Delarey verfolgt habe, — der beste Beweis dafür, daß die Engländer die Geschlagenen waren und Delarey sich nach seinem schönen Erfolge bewegte, wie er wollte. Auf seinem Marsche nach Osten soll er jetzt neuerdings ivieder die so viel und oft umstrittene Stadt Rustenburg mit seinem Besuche bedrohen, und es wird daher verständlich, wenn von Pretoria aus gemeldet wird, daß Verstärkungen nach dem ge nannten Orte abgesandt worden sind. Ans der Cap-Kolonie. Wie der Draht aus Capstadt unterm 28. October meldet, haben die zahlreichen britischen Truppen, welche von allen Seiten gegen die „frechen" Boeren oder Rebellen entsandt wurden, die es gewagt hatten, bis an die südwestlichste Küste des brilischen Territoriums ihre Streifzüge auszuoehnen und dort sogar auf englische Schiffe zu feuern, nur Er olge aufzuweisen. — Nach Kitchener sollen diese kühnen Reitersleute unter Commandant Maritz allerdings in der üblichen Weise „zurückgetrieben" worden sein — wohin? — das weiß aber Niemand zu melden. Es klingt geradezu komisch, wenn es in der officiellen Depesche ganz wehmüthig heißt, daß „im Nordosten der Capcolonie die ein gedrungenen Boeren, sowie die Rebellen immer noch jede Be rührung mit den britischen Truppen vermeiden«, — und dabei bringen die amtlichen Verlustlisten fortwährend Namen von Officieren, die in der Kolonie an den verschiedensten Orten ver wundet oder getödtet, — auch wohl gefangen genommen worden sind. Wer schwindelt da nun, Kitchener oder das Londoner Kriegsamt? Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. November. Daß der officielle und der officiöse Drmcntir- opparat, der von Berlin auS zuweilen in Bewegung gesetzt wird, seit einer ganzen Neide von Jahren höchst mangelhaft functionirt, ist allbekannt. Es kann daher auch nicht über raschen, wenn er wieder einmal Unzulängliches leistet. Unzu länglich ist erstens, was der „Neichsanzeiger" verkündet: „Von der Presse werden angebliche kaiserliche Aeuße- rungen über wirthschastliche Fragen verbreitet und be» sprachen. Wir haben von diesen Ausstreuungen bisher keine Notiz genommen, weil die sogenannten kaiserlichen Sleußerungen so un- wahrscheinlich klangen, daß es sich nicht verlohnte, dieselben ernst zu nehmen. Da jedoch aus den Eommenlaren selbst ernsterer Blätter bervorgeht, daß sie die Seiner Majestät iu den Mund gelegten Ansprüche siir echt halten, so sind wir in der Lage zu erklären, daß diese von Anfang bis zu Ende erlogen sind." Welche angeblichen kaiserlichen Aeußerunzen über wirtb- schaftliche Fragen sind darwt gemeint? Es wird mehr als eine verbreitet und besprochen und keine von ihnen Ilingt unwabrlcheinlicher als s. Z. die Meldung über da« Dictum vom Zerschmettern. Daraus also, daß der „Reicksanz." die angeblichen Aeußerungen, die er im Auge bat, als unwahr scheinlich bezeichnet, läßt sich ein Schlnß darauf, welche der angeb lichen Aeußerungen als „erlogen" gekennzeichnet werden sollen^ nicht ziehen. TaS schadet allerdings nickt viel, denn wir haben nachgewiesen, daß die drastischste der angeblichen Aeußerungen einen beunruhigenden Sinn nickt haben und lediglich auf das Sck'cksal hindeuten kann, das des Reichs tages ganz selbstverständlich wartet, wenn er den angestrebtcn neuen Handelsverträgen seine Zustimmung versagt. Ader wenn einmal dem „Neichsanzeiger" der Dementirmund ge öffnet wird, so sollte das auch in einer Weise geschehen, die jeden Zweifel auSschlösse. Unzulänglich ist ferner, waS nachträglich einige zu officiösen Kundgebungen benutzte Organe über die „Eidesleistung" deS neuen Bischofs von Metz sagen. WaS der „Südd. ReichScorr." aus Straßburg darüber gemeldet wird, ist bereits in unserer heutigen Morgenausgabe milgetheilt worden. Es kommi daraus hinaus, daß die Kritik, die in der Presse an dem „von dem Bischof abgelegten Eide" geübt worden, auf einem „Verleben" beruhe; man habe nämlich die dem Eide voraus gegangene Ansprache des Bischöfe mit dem nachher in seierlickster Form abgeleisteten Eide selbst verwechselt, der auf dem durch das Coucordat zwischen der französischen Regierung und Papst PiuS VII. fest gesetzten Abkommen beruhe. Nun besteht aber, wie Friedberg in feinem „Lehrbuche des KirchenrechtS" nachweist, jene- Coucordat nicht mebr^daS Recht des französischen Staats oberhauptes, die Bischöfe von Straßburg uud Metz zu er nennen, ist aus den deutschen Kaiser nicht übergegangen. Daran wird auch nichts geändert dadurch, daß die „Straßb. Post" den Eid, den nach dem Concoidat vom 8. April 1802 die Bischöfe in die Hände deS Ersten ConsulS zu schwören batten, veiöfsentlicht: „Ich schwöre und verspreche zu Gott, auf die heiligen Evangelien, Gehorsam und Treue der durch die Verfassung der sranzösiichen Republik eingesetzten Regierung zu erwei'en. Ich veripreche auch keinerlei Verbindung zu pflegen, keinerlei Versammlung beizuwodnen, keinerlei Vereinigung im In» oder Auslande auzugehören, welche der öffentlichen Ruhe nachtheilig ist, und wenn ich in meiner Diöcese oder außerhalb derselben erfahre, daß sich irgend etwas zum Nach» theil des Staate- anzettelt, so werde ich rS meiner Regierung zu wissen thun." Die Hauptfrage ist und bleibt, ob der Bischof diesen Eid geleistet bat. Und davon bar der „Reichsanzeiger" nichts gemeldet und meldet auch heute noch nichts. Er bat sich über haupt bei seinem Berichte über den Empfang des Bischofs aus ein paar döckst dürftige Zeilen beschränkt. Auch die „Nordd. Allgem Ztg." bat s. Z. bei ibrem Berichte eine Anleihe bei der „Germania" machen müssen, und diese war eS, die zuerst annabm, die Ansprache sei an die Stelle eines Eides getreten, und auf die Dürftigkeit der in der ersteren abgegebenen Versickerungen f> oh- lockend aufmerksam machte. Jetzt behauptet die „Ger mania" allerdings auch, der oben mitgetheilte Eid sei geleistet worden. Aber worauf gründet sich diese Behauptung? Ans die „Straßb. Post" und die „Sildd. Neickscorr.", von denen man nie weiß, wann sie osficiös sind oder sich nur so geberden? So lange der Dementirmund des „Reichsanzeigers" nicht auch für diesen Fall geöffnet wird, kann Jeder denken, was ibm beliebt. Wenn es sich aber nm die Vereidigung eines römischen BisckofS durch den deutschen Kaiser bandelt, so hat man ein Recht, über den Verlauf einen authentischen Bericht zn verlangen. Hoffentlich folgt endlick ein solcher, der von einer geschickteren Hand verfaßt ist, als daS Dementi über die angeblichen „kaiserlichen Aeußerungen über winb- schaftlkche Fragen." Daß die vaticaniscke Drohung, sich anläßlich des „FallcS Spahn" mit den Vorgängen in Deutschland ernstlich zu beschäftigen, hier einsckückternd wirken würde, war vor- auSznsehen. Die Wirkung ist aber doch augenfälliger und rascher eingetreten, al« wir annabmen. Sehr bezeichnend ist es, daß die „Kölnische VoikSzeilung", welche in dem Kampf gegen die „Voce della Veiitü" und deren römische Hintermänner in Sacken Spahn rc. sich anfänglich sehr auf das Hobe Pferd gesetzt haite, bereits klein deizugeben an sängt. Das rbein'sckc CentrumSblatt lobt den „weit ruhigeren und sachlicheren Ton" deS zweiten Artikels der „Voce", opfert auck Or.Spahn und will nichts dagegen einwenden, daß das ossiciöse Organ der römischen Curie den vr. Spabn von der Mitteilung der „Weltgeschichte in Charakterbildern" entfernt baden möchte. Die „K. V." bleibt nur bei dem Einspruch dagegen, daß der „Fall Spabn" bedingungslos zur Discrevitirung der „Weltgeschichte in Charakterbildern" verwendet werde. Zu gleich wird der „K. V." jetzt, entgegen ihrer früheren be stimmten Meldung, „von sehr beacklenswertber Seite" die Nachricht der „Voce" bestätigt, daß der Bischof von Nottenburg bereits Anfang September, also vor dem „Fall Spahn", voa der Mitarbeiterschaft an jener Welt geschichte zurückgetreten ist. Wir meinen, durch diese Aufklärungen wird dir Sacke nur noch peinlicher, denn sie zeigen, daß zelotiscke und deutschfeindlicke Kreise bei der römischen Curie nickt nur einen Spabn, sondern die ge- sammte deutsche katholische Geschichtsforschung in der von der Elite der deutschen katholischen Wissenschaft berauSgegebenen „Weltgeschichte" verketzern und Hintertreiben wollen und daß ein namhafter deutscher Bischof diesen römischen Treibereien bereits unterlegen ist. Tie „Köln. Ztg." schöpft freilich auS dem Erfolge der römischen Drohungen die Hoffnung, daß die Negierung von der Besetzung der Professuren nach politischen Rücksichten werde abgeschreckt werden; wir fürchten dagegen, daß sie bald keinen katholischen Gelehrten mehr finden werde, der sich zum politischen Versuchskaninchen hergiebt. Der griechische Flottcnbesnch in Konstantin»««! ist a b gesagt. Aus Konstantinopel, 28. October, fchreibt man uns hierüber: Nach Mittheilungen aus bestunterrichteten diplomatischen Kreisen besteht augenblicklich in diplomatischer Beziehung am Bosporus eine vollständige Ver wirrung. Die Meldung, der Zar wolle die Vereinigung Kretas mit Griechenland Vorschlägen, ist offenbar von einer den russischen Plänen feindlich gesinnten Seite aus gesprengt worden, um Verstimmung zwischen dem Sultan und Rußland zu erzeugen. Die russische Regierung wollte aller dings in der Kretafrage einen Schritt vorwärts thun, aber durchaus nicht die völlige Vereinigung der Insel mit dem hellenischen Königreiche herbeiführen. Durch die vorzeitigen weit vorgreifenden Meldungen ist nun aber das gerade Gegen- theil erreicht worden; den Hauptschaden aber trägt Griechenland. Während noch vor wenigen Wochen der Sultan die Anbahnung der freundschaftlichen Beziehungen zu Griechenland erstrebte, ist jetzt plötzlich eine völlige Umstimmung eingetreten, die sich zunächst in der Absage des griechischen Flottenbesuches in Konstantinopel gezeigt hat. Das letztere dürfte allerdings mit den Wünschen Rußlands Zusammentreffen, da dieses bisher allen griechisch-türkischen Annäherungsversuchen Schwierigkeiten entgcgengestellt hat. Bezüglich der Kretafrage aber kann schon jetzt mit völliger Bestimmtheit vorausgesagt werden, daß in Folge der neuesten Quertreibereien Alles beim Al->-i dteiben wird. — Aus Athen schreibt man uns zu der selben Angelegenheit: Daß der Sultan die in aller Form er lassene Einladung, betreffend den Besuch des griechischen Ge schwaders am Bosporus, aus eigenem Antriebe zurückgezogen haben sollte, hält hier Niemand für wahrscheinlich. Im Gegen- theil wird jetzt bekannt, daß von gewisser Seite schon vor Wochen gegen di« Ausführung dieses Besuches gearbeitet wurde. In der internationalen Schul denllberwachungs- Commission hatte nämlich der Vertreter einer Macht (die jedoch bisher noch nicht genannt wurde) gegen die Aus gaben für die Gefchwaderrrise Einspruch er hoben, und dieser Einspruch war auch der griechischen Re gierung übermittelt worden. Die letztere erwiderte jedoch, daß durch die Kosten der Reise der Dienst für die auswärtige Schuld in keiner Weise geschmälert werde, und daß deshalb die Re gierung die erhobenen Einwendungen gegen die Ausgaben für Vie Rundfahrt des Uebungsgeschivaders zurllckweisen müsse. — Da also auf diese Weise die Ausfahrt nach dem Bosporus nicht verhindert werden konnte, so hat man offenbar von derselben Seite aus bei dem Sultan Verstimmungen gegen Griechenland hervorgerufen. Andererseits verlautet, daß Mitglieder der Schuldenllberwachungs-Commission auch bereits Einwendungen gegen den Plan der Regierung, betreffend Verstärkung der griechischen Torpedoflotte erhoben haben. Natür lich ergehen sich die Zeitungen und die politischen Kreise in den Feuilleton. Rittergut Tressin. Roman von Robert Misch. UaLdrmk »erbctnr. Es regnete; es regnete „Bindfaden und Schusterjungen", wie der Herr Jnspector auf Tressin sagte. Es klatschte gegen die Fenster, es rieselte und strömte unablässig seit gestern Abend. Auch am Vormittag sah es noch nicht nach Besserung aus. Di« Mägde patschten mit hochgeschürzten Röcken, unter denen die drallen, wollbestrumpften oder nackten Waden hervorguckten, durch den zähen Brei deS Hofes und der Wege, die dringend nach einer neuen Aufschüttung verlangten. Die Knechte fluchten leise, der Jnspector schimpfte halblaut, und der „Alte", wie sie kurzweg den Herrn nannten, tdetterte, fluchte und schimpfte so laut, daß ihm Mensch und Vieh in wntem Bogen auS dem Wege gingen. Da- war zwar nun nichts Neues. Aber heute war der Herr Oekonomirrath Roloff ganz besonders schlechter Laune. Und heute hatte er beinahe einen Grund dazu. Eben kam er auS dem Pferdestall, schlug mit dröhnendem Knall die Thür hinter sich zu, brummte noch etwa- von „Sauwirthschaft" und „Dreckmensch" in seinen dicken, struppigen Äraubart, versetzte einem Köter, der ihm nicht schnell genug aus dem Weg« ging, einen Fuhtvitt, daß er heulend, mit ein gekniffenem Schwanz« daoonlief, und schritt dann, aus einer kurzen Jagdpfeif« einen stinkigen, grauen Dampf ausstoßend, dem Hause zu, in dem er zur Erleichterung der Hofleute endlich verschwand. Drinnen im Eßzimmer, daS er betrat, stand »ine junge Dam« und schmierte Semmeln, di« sie dann sorgfältig mit Schinken und Wurst belegte. Der Gutsbesitzer ging schweigend im Zimmer umher und warf nur von Zen zu Zeit einen schiefen Seitenblick auf sein« Tochter, die ruhig in ihrem Geschäft fortfuhr. „Für wen ist denn das?" „Etwas zum Mitnehmen für unterwegs", erwiderte die junge Dam», ohne aufzublick«n. Na, Du sorgst gut für Dich! Da» willst Du Alle» „Aber, Vater, ich komme ja erst gegen Sieben in Berlin an. So lange kann ich's doch nicht aushalten, ohne was zu effen." „Na ja — an Appetitlofigkelt hast Du nie gelitten. Es thäte's auch ohne Schinken. Die Schweine werden immer theurer." „Desto besser für Dich, als Landwirtb und Züchter.« „Ja, schon — aber nich, wenn man Alles alleine aufpräpelt! Ihr Frauenzimmer könnt eben nicht sparen!" Lisbeth zuckte schweigend die Achseln. Dann legte sie plötz lich das Messer bei Seite und wendete ihm ihr Gesicht zu, über das es wie verhaltene Schelmerei zuckte. „Nun, wenn Du meinst, Papa, kann ich mir ja unterwegs was kaufen Das ist auch praktischer." „Na, das fehlte noch gerade! Das Geld wegschmeißen! Fünfzig Pfennig für ein Margavinebrödchen mit 'nem Karten blatt Schinken drauf! .... Hahaha!" — er lachte spöttisch — „Du hast ja auch gar kein Geld." „Freilich .... ich kann doch nicht ohne 'nen Groschen nach Berlin fahren." „Du hast doch nicht etwa aus der Milchcaffe —?" „Ja, natürlich. . . . Dreißig Mark ... das ist doch das Mindeste, was ich mitnehmen muß." „Du hast — Du bestiehlst meine Caffe?" — Er stapft« wüthend auf sie zu, sie mit hochrothem Gesicht und erhobener Stimme anschreiend: „Augenblicklich gieb das Geld 'raus! Jh, das wäre noch schöner! Wozu brauchst Du Geld in Berlin? Professors können für Dich bezahlen, wenn sie Dich eingeladen haben — ganz unnöthiger Weise übrigens." „Aber, Papa", erwiderte Lisbeth, die an seine Art gewöhnt war, ruhig — „es kommt doch mal vor, daß ich allein ausgehe, eine Droschke bezahlen oder Trinkgelder geben muß." Der Alte lachte so wüthend auf, daß sie jetzt doch ganz er schrocken inne hielt: „Das gnädige Fräulein fährt Droschke und glebt Trink- gelber — ganz wie Rothschild'» Tochter. Bin ich ein Fürst? — Du kannst Pferdebahn fahren oder zu Fuß gehen, wenn Pro fessors Dich nicht freihalten, waS ihre verdammt« Pflicht und Schuldigkeit ist." „Ich muß mir auck Verschiedene? anschaffen in Berlin." „Anschaffen?!" brüllte der Oekonomirrath in den höchsten Tönen zorniger Verwunderung. „Arbeitest Du nicht seit drei Wochen mit Micken und der Klützower Schneidermamsell an der verdammten Kledage, statt Dich um die Wirthschaft zu kümmern? Bist Du nicht ertra nach Klützow gefahren und hast eingekauft, als ob ich ein Millionär wäre und kein armer Landmann, dem die Zinsen und Hypotheken und schlechten Zeiten di« Haar« vom Kopfe fressen?" „Beruhige Dich doch, Papa! Es handelt sich ja nur um Hand schuhe und so Kleinigkeiten." „Handschuh« — damit fängt'» an, und mit seidenrn Schlipp- roben hört's auf. Und nachher kommen die Rechnungen aus Berlin, und der Alte soll's berappen. — Wenn das schon so an fängt! .... Nun will ich Dir mal was sagen — jetzt fährst Du überhaupt nicht hin — punctum! Ich werde sofort an Pro fessors telegraphiren, d. h. eine Postkarte werde ich ihnen schreiben, daß Du hier nicht fortkannst, daß ich Dich nothwendig brauchte, oder daß Du Influenza bekommen hast —" „Papa, das ist nicht Dein Ernst!" Sie sah ihn mit ihren ernsten, grauen Augen streng an. „Ach was, ich spaße nicht. ... Du bleibst hier — fertig! Pack' nur gleich wieder au»!" „Das würden Dir Onkel und Tante sehr übel nehmen. Ich würde ihnen natürlich die Wahrheit schreiben, daß Du mich nicht weglassen willst. Und Du weiht —" „Ich weiß, daß sie 'ne Hypothek auf Tressin stehen haben und reich sind und keine Kinder haben. Und ich weiß auch, daß ich Dich sonst überhaupt nicht hinlassen würde — ja, das weiß ich!" brummelte er halblaut in seine Pfeife und seinen Bart, währeno er seine Wanderung von Neuem aufnahm. — „Willst Du nicht lieber bei Deinem alten Vater bleiben, Lisbeth, der Dich doch so lieb hat und ohne Dich nicht leben kann?" Sie blickt« ihn mit einem spöttischen Lächeln von der Seite an: „Um Gottes willen, Vater, werde bloS nicht sentimental! Wer Dich kennt, glaubt Dir das doch nicht." „Was habe ich für Kinder! Der Sohn ist ein Nichtsnutz, ein Faullenzer und Bummler, der sich betrinkt, und die Tochter'ein herzloses Geschöpf. Aber das sage ich Dir: in Berlin verloben mit irgend so 'nem Mitaiftjäger — ist nich! Dazu hab« ich Dich nicht mit Mühe und Kosten großgezogen, um irgend so 'nem hungrigen Leutnant oder Assessor die Taschen zu füllen." „Ich möchte blos wissen, wie Du auf die Idee kommst, Vater?" „Na, deshalb hat Dich die Tante doch nur eingeladen — zum Männerfang! Und Papachen kann nachher blechen. Aber ich kann Dir keine Mitgift geben — nicht mal 'ne Aussteuer, wo jetzt die Landwirthschaft so auf'm Hund iS! Und ohne Mitgift nimmt Dich ja doch Keiner. Ueberbaupt brauche ich Dich viel zu nöthig; ich kann Dich hier gar nicht entbehren — für die Mrthscha und die Milchkammer. — Ich vm ein alter Mann, Du bist meine einzige Stütze; und es ist einfach Deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, bei mir zu bleiben, bis ich mal todt bin. . . . Und es geht Dir ja auch so gut hier. . . . Was brauchst Du zu heirathen!" Die letzten Worte rief er der Abgehenden nach, die ihn nur mit einem ernsten Blicke streifte und wortlos das Zimmer verließ. D«r Sut»b«sitz«r brummelt« noch etwas vor sich hin; dann blickt« er sich vorsichtig um und unterzog die alte, schäbige Reisetasche, die auf dem Tische stand, einer genauen Untersuchung. Zuerst die Düte mit den Semmeln. Das war doch wirklich «ine unerhörte Verschwendung: die Brövchen waren fingerdick mit Butter bestrichen und auf beiden Seiten dick mit Wurst und Schinken bepackt. Seine Kinder waren die geborenen Ver schwender. Das hatten ne von der Mutter. Dann setzte er seine Untersuchung fort. Unter allerlei Kleinig keiten, die eine junge Dame für absolut nöthig auf der Reise hält, fand er ein umfangreiches Packet mit drei dicken, selbstgemachten Würsten und einer geräucherten Gänsebrust. Ein Gesckenk für die Tante. Und Lisbeth hatte ihm nichts davon gesagt! Zwei Würste und die Gänsebrust thaten es wohl auch. Er nahm die dritte mit einem schadenfrohen Lächeln heraus, wickelte das Papier wieder zu und versteckte seine Beute sorgsam im üikörschränkchen, zu dem er den Schlüssel bei sich trug. Nachdem «r die Spuren seiner Thattgkeit sorgsam verwischt, nahm er seine unterbrochene Zimmerpromenade von Neuem auf, nachdenkend, rauchend und vor sich hinbrummelnd, wie cs seine Gewohnheit war, wenn ihn etwas lebhaft interessirte. Da war nun nichts mehr zu machen. Er hatte der oft wieder holten und eindringlichen Einladung Lisbeth's durch die Schwägerin und den Schwager leider zugestimmt, und nun konnte er nicht mehr gut zurück. Ja, wenn nur ein Ersah für sie da wäre, dann könnte sie seinetwegen noch länger fortbleiben, da er ja weiter keine Kosten dadurch hatte. Aber es war ja kein Verlaß mehr auf die Dienst boten. Die Mädchen werden ihn derweil schön bestehlen. Die Köchin wird mehr aufschreiben und noch schlechter kochen und Micken wird ibn bei der Butter, den Eiern und der Milch bemogeln. Dies Volk stahl ja an allen Ecken und Enden; und er konnte doch nicht überall zugleich sein. Was für eine ausgezeichnet« „Mamsell" und Wirthschafterin seine Tochter war, daS wurde ihm jetzt erst recht klar. Denn natürlich hatte er sich eine solche Ausgabe geschenkt, seitdem sie oeren Stelle vertreten konnte — viel besser übrigens als ihre ver storbene Mutter, der immer die städtische Herkunft onzum«rken war. Lisbeth dagegen war ein echtes Landkind. Aber wie würde sie ihm aus Berlin zurückkommen, wenn sie die Genüsse und Wunder der Weltstadt kennen gelernt?! Und wenn sie nun gar nicht wiederkam oder al» Verlobt«, um ihm bald wieder davon zu flattern? Aber zum Heirathen bedurfte sic schließlich seiner Ein willigung. Und die gab er einfach nicht. Und überhaupt — «r athmrte leichter auf — wer nahm denn heutzutage em Mädchen ohne G«ld und Lussteu«? Lächerlich!
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