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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011128012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901112801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901112801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
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October, wird uns eine sehr interessante Be trachtung über die Bedeutung der wesentlichen Abmachungen des Friedensprotokolls für die künftigen Beziehungen Chinas zu den europäischen Mächten und für das Eindringen abendländischer Cultur zugesanvt. Der Bericht lautet: Die Umgestaltung des Tsungli Damen in ein Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ist eine Aende- rung -er seit undenklichen Zeiten unverändert bestehenden Con stitution deS chinesischen Reiches, welche nur sechs Ministerien kannte. Von letzteren galt von jeher das der inneren Verwal tung als das vornehmste. Die Abfertigung der Abgesandten fremder Länder frei den General-Gouverneuren der Grenz provinzen zu, die nach Peking kommenden Gesandtschaft«, welche stets als die Ueberbringer von Tribut betrachtet wurden, mußten sich an die Aufsichtsbehörde über die unterworfenen Völlerschvften wenden. Der Abschluß der Verträge mit dem Ausland führte dann im Jahre 1861 zur Errichtung des jetzt aufgelösten Tsungli Damen, dessen Hauptzweck der war, den Be ziehungen zu den fremden Mächten jeden Schein einer Be deutung zu nehmen und >das einmal unvermeidliche Uebrl durch Verschleppung und passiven Widerstand möglichst niederzu halten. Durch die jetzt erfolgte Voranstellung des Wai-wou-pu vor daS Ministerium der inneren Verwaltung wird anerkannt, daß die auswärtigen Angelegenheiten alle anderen an Wichtig keit übertreffen. Am meisten ist in den Augen der Chinesen das Prestige der Mächte und ihrer in Peking residirenden Vertreter durch die Neuregelung des Hof-Ceremoniells bei den Audienzen gehobm worden. Bis jetzt hatte der chinesische Hof sich noch immer erfolgreich dagegen gesträubt, bei den Em pfängen der fremden Gesandten deren Anerkennung als Ver treter von dem Sohne des Himmels im Range gleichstehenden Staatsoberhäuptern zum Ausdruck zu bringen. Die für die großen Staatsceremonien dienenden Gebäude blieben ihnen ver schlossen, und auch sonst ließ die Form des Empfanges viel zu wünschen übrig. Von jetzt ab wird der Kaiser von China die Gesandten in einer Halle empfangen, die in der Mitte der ver botenen Stadt liegt, und es sind den Vertretern der Mächte in Bezug auf die Annäherung zur Audienz größere Vorrechte ein geräumt worden, als den Prinzen des kaiserlichen .Hauses. Da mit ist dm chinesischen Prätensionen der letzte Stützpunkt ent zogen worden. Durch die Einstellung der Examina werden die eigentlichen Anstifter und Schürer der fremdenfeindlichen Be wegungen, di« Literaten, an ihrer verwundbarsten Stelle ge troffen, sie werden für fünf Jahre von der Erwerbung litera rischer Ehren ausgeschlossen. Die Literaten tverden sich die Einstellung der Prüfungen zur Warnung dienen lassen und zur Einsicht gelangen, daß das Ausland die Macht hat, auch die in dem entferntesten Winkel des Reiches versteckten fremdenfeind lichen Hetzer zu erreichen. Dienen diese Maßnahmen der Steigerung des europäischen Ansehens, so wird durch die neue Prüfungsordnung das Ein dringen abendländischer Cultur und Bildung gefördert. Während früher die genaue Kenntniß der chinesischen Tlassiker das Alpha und Omega der Examina bildete, sollen künftig bei den in den Provinzialhauptstädtrn stattfindenden Prüfungen zur Erlangung des zweiten Gelehrtengrades uud bei den hauptstädtischen Examina 5 Aufgaben über die Verwaltung und Reolwiffenschaft sämmtlicher Länder gestellt werden. Die den am Alten hängenden Literaten so überaus theuere Form des achtteiligen Essays über die Classiker mit den dazu gehörigen „leeren und gestohlenen Redensarten" soll verschwinden. Wenn es wirklich gelingt, die Kenntniß der Realwissen schaften und die Bekanntschaft mit dem Ausland« in das Unter richtswesen der Chinesen einzuführen, so muß dies im Laufe der Zeit in hohem Grade zur BolkSauftlärung beitragen und die chinesische Bildung auS der sie jetzt umfangenden Erstarrung erlösen. Der Krieg in Südafrika. Intime- aus dem Boerenlagcr. (Von einem Mitkämpfer der Dorren.) Seit Beginn des Guerillakrieges sind die Boeren erst in ihrem eigentlichen Element. Große Heeresmassen zu leiten und mit ihnen gegen moderne Armeen mit Erfolg zu operiren, lvaren die Boerengsnerale auf die Dauer nicht im Stande, und wenn sie in der ersten Zeit die großen Erfolge erzielen konnten, so ist dies mehr der Untiichtigkeit der englischen Führer und deren Unterschätzung der Beeren zuzuschreiben. Unzweifelhaft hatten auch ausländische Officiere, die in der ersten Zeit eine gewichtige Stimme im Kricgsrathe hatten, Theil an diesen Erfolgen, da die Boeren mit den: in solchem Maßstabe noch nie dagewesenen Aufgebote großer Heeresmassen ein Gebiet betreten hatten, auf dem sich ihre Truppenführer naturgemäß un sicher fühlen mußten. Wir im Laufe der Weltgeschichte schwere Zeiten oft erst die Männer schaffen, die im Stande waren, diese abzuwendrn, so sind auch viele Boerenfiihrer erst während des Krieges und durch den Krieg zu wirklichen Generälen geworden. Aber mit solchen Truppen, wie die Boeren waren, hätte selbst ein Moltke nichts ausrichten können. Es waren eben keine Truppen in europäischem Sinne, sondern vorzüglich bewaffnete Haufen, die mit ihren Waffen sehr gut umzugehen wußten, deren Zusammenhang im Uebrigen aber ein sehr lockerer war, und in denen vor allen Dingen nicht der Wille des Commandanten der einzig maßgebende war, sondern womöglich jeder Einzelne seinen Willen für sich batte und ihm Geltung zu verschaffen suchte. Im Kriegsrathe, der vor jeder größeren Action von Generälen und Commandanten abgehalten wurde, wär auch nicht immer Alles Friede und Einigkeit, und wenn die Meinungen getheilt waren und das Votum der Majorität zum Beschluß erhob« war, dann hätte sich die Minorität ja nach dem Gesetze ohne Werteres fügen müssen, aber oft genug kam es vor, daß dann so ein Commandant, der sich dies kraft seiner Geburt und des An sehens seiner Familie leisten konnte, sich mit seinen Leuten, wie ein grollender Achill, abseits hielt und eine Weile nicht mitspielte. Joubert, der an sich ein sehr tüchtiger General war, und der in Gemeinschaft mit seiner Frau in der ersten Zeit des Krieges bei den Boeren unbedingten Gehorsam fand, konnte, als vor Ladysmith über seine zweideutige Stellung zu den Engländern Einzelheiten durchsickerten, schließlich gegen diese Unsitte auch nichts mehr ausricht«, und sein Nachfolger, Ludwig Botha, konnte ki«s als neugebackcner Commandantgeneral ebensowenig. Bei dem Mangel an richtig organisirtem Meldcwesen fehlte den Generälen in viel« Fällen bei groß« Actionen -auch der Ueberblick über die G«fechtSlag«; die Heliographen und Schein werfer thaten ja ihre Schuldigkeit, aber in dem coupirten Terrain reicht« diese lange nicht aus, und geübte Meldereiter waren wenige vorhanden. So konnte es kommen, daß z. B. bei Dundee, wo die Boeren die Sieger war«, Joubert, der nach seinen per sönlichen Beobachtungen an ein: Niederlage glauben mußte, all gemeinen Rückzug befahl, während an dem Tage eine nachdrück liche Verfolgung "der Engländer zur Gefangennahm: der ganzen Armee hätte führen müssen. Man könnte mehrere solcher Bei spiele anführen, di« zuweilen für die Boeren grradezu verderblich lverden mußten, wenn die englischen Generäle nicht immer so manche von den Boer« begangen: Dummheit durch eine eigene wieder wett gemacht hätten. Ein wichtiges Moment kam im Anfang ves Krieges den Boeren noch zu Gute und machte sie den Engländern zu so furcht baren Gegnern. Das war di: Kriegslust, di: jeden Einzelnen beseelte. Der Druck, der seit dem Jameson-Ein-fall auf allen Gemüthern gelastet hatte, war gehoben, der seitdem in der Lus: liegende Krieg, der Handel und Wandel im Lande gelähmt hatte, war endlich ausgebroch«, und die Kriegserklärung hatte wie ein reinigendes Gewitter die schier unerträgliche Schwüle beseitigt. Ein Sturm der Begeisterung brauste durch das Land, und ein ganzes Volk eilte zu den Waffen, um seinen alten Haß an Eng land, deni alten Erbfeinde, zu kühlen, ihm ein neues Majuba zu bereiten. Im Feuer dieser Begeisterung konnten Schlachten geschlagen werden, wie Elandslaagte, Dundee, Glencoe, Eolenso, Laittgsneck, Modderriver, Spionskopp u. s. w., und durch die ersten Erfolge wurde der fröhliche Kampfesmuth noch gesteigert. Als dann aber England, wie 1881 nach der Niederlage am Majubaberg-e, nicht gleich nachgab, die langwierigen Belage rungen von Ladysmith, Mafeking und Kimberley nöthtg wurden, an deren Wällen sich die Wogen der Begeisterung brachen und allmählich abflauten, und England inzwischen Truppen auf Truppen ins Land warf, da trat die Reaktion ein, die Boer« wurden kriegsmüde, Zweifel am guten Ausgange des Krieges be drückten di: Gemüther, di: Sonderinteressen kamen wieder zur Geltung und vor allen Dingen das Verlangen nach Weib uns Kind, nach Vater und Mutter, machten sich bei den an ein glück liches Familienleben Gewöhnten mit solcher Macht geltend, daß Joubert, der damals noch Höchstcommandiren'der war, Noth hatte, zu verhindern, daß ihm nicht alle seine Boeren davonliefen. Er konnte dies nur durch das Versprechen, daß ein Jeder Urlaub haben solle, jedoch sollte immer nur ein Viertel der Leute be urlaubt werden, und wenn dieses zurückgekehrt, ein zweites Viertel darankommen. Bei dem Mangel an Controle und der dort herrschend« Betternwirthschaft aber waren öfters mehr als die Hälfte auf Urlaub, und Viele vergaßen, in den Schooß ihrer Familie zurückgekehrt, das Wiederkomm« ganz unv gar. Di: an der Front Zurückgeblieben« wollten aber trotzdem ihren Urlaub haben, und so wurde der Zusammenhang der Boerenarmee immer lockerer. Nach der Einnahme von Pretoria hing daS Schicksal des ganzen Voltes an dem Entschlüsse eines einzigen Mannes, des Commandanten LudwigBotha. Lord Roberts hat cs nicht an Bemühungen fehlen lassen, den glühenden Patrioten zur Capitulation mit seiner Armee zu veranlassen, wobei er sogar das schimpfliche Mittel der Bestechung nicht verschmähte; die Ueberredungskunst der englischen Doubloncn war bei Botha aber so wirkungslos, wie die der Kanonen, und e« blieb beim Kriege. Wäre Botha ein schlechter Kerl gewesen, wie mancher Andere, dann wäre der Krieg schon damals beendet gewesen. Damals standen noch alle Ortschaften und Farmen unberührt da. und Weiber und Kinder harrten der endlichen Heimkehr ihrer Gatten und Väter. Heute aber, wo die Engländer in unerhörter Grausamkeit ganze Ortschaften dem Boden gleich gemacht Farmen verbrannt und Greise, Weiber und Kinder aus dem ganzen Lande wie Vichhecrden in Lager zusammengetricbeu haben, wo Krankheit und Tod furchtbare Ernte unter ihnen halten, ist cs anders. J«tzt kämpft das Volk nur noch mit dem Muthe der Verzweiflung, beseelt von dem Hasse gegen Diejenigen die ihm Alles geraucht. Der Friede hat jetzt wenig Verlockende-: mehr, im Gegentheil, er stellt die Leute vor eine neue Nothlagc. denn ohne Haus und Vieh können ihnen 'ihre öden Landfläch« nichts nützen, da verhungern sie mit Weib und Kind. Jetzt heißt es: Entweder Unabhängigkeit und voller Ersatz alles Schadens durch England, oder Tod durch die Kugel. Von langer Dauer wäre ein künstlicher Friede doch nicht gewesen, denn die Gegen sätze zwischen Bo:ren und Engländern sind so scharf, und vielleicht ist es gut, daß die Sacke sofort bis zum letzten Ende aus-getragen wird. Deutsches Reich. * Leipzig, 27. November. Gestern ist aus dem Kreise der hiesigen Universität an Theodor Mommsen fol gende Zuschrift abgesandt worden: Hochgeehrter Herr Professor! Dem warmen Danke, den schon die Münchener College» dem energischen Eintreten unseres Altmeisters für die Rein heit und Wahrhaftigkeit wissenschaftlicher Forschung und ganz besonders für die Freihaltung des akademischen Lehr amtes von aller gebundenen Marschroute gewidmet haben, schließen wir uns von ganzem Herzen an. Die Freiheit wissenschaftlicher Bewegung duldet keine Be schränkung durch das Gebot der Rücksichtnahme auf irgend welche Tendenzen konfessioneller oder nicht konfessioneller An. In dem Kampfe für die Erhaltung des Lebenselementes der deutschen Wissenschaft und der deutschen Hochschule — dieser Quelle ihrer Kraft und ihrer Erfolge — seien Sie auch unserer Genossenschaft versichert! Leipzig, im November 1901. Die unterzeichneten Professoren der Universität Leipzig. Beckmann. Binding. Birch-Hirschfeld. Böhm. Brugmann. Bruns. Chun. Cur sch - m a n n. Degen kolb. A. Fischer. Flechsig. Fricke. Fricke r. Friedberg. Gregory. Hering. His. E. Hölder. O. Hölder. A. Hoff- mann. Fr. Hofmann. Köster. Leskien. Lipsius. Marchand. A. Mayer. Mitteis. Neumann, v. Oettingen. Ostwald. Pfeffer. Riehl. Sattler. Schmarsow. A. Schmidt. Seeliger. Sievers. Sohm. Itrohal. Studniczta. Trendelenburg. Völkel t. Wach. Wiener. Wislicenus. Wiilker. W u n d t. Zirkel. Zweifel. -s-Berlin, 27. November. (Verfa'ssungsfrage und liberale Parteien in Mecklenburg.) Die „Deutsche TageSztg." triumphirt, weil der mecklenburgische Landtag eine Petition auf Herstellung verfassungsmäßiger Zu stände kurzerhand einstimmig zurückgewiesen hat. Daraus schließt das agrarische Blatt, daß der gemäßigte Liberalismus in Mecklenburg sich auch in dieser Frage von dem Freisinne trenne, weil er die Ueberzeugung gewonnen habe, daß es wichtigere Gefahren zu bekämpf« gelte. Diese Lossage der gemäßigt liberalen Kreise vom Freisinn werde bei den nächsten Reichs tagSwahlcn zweifellos seine Früchte tragen. Wir glauben, daß die „Deutsche TageSztg." eine volle Enttäuschung erleben dürfte. Wenn auch die liberalen Mir- F-uilletsn. Gesundheit nnd Krankheit. Gesundheit uud Krankheit sind zwei Begriffe, die sich gegenseitig auSschließen und die sich nicht vereinigen lassen. Wohl sind beide Begriffe relativ. DaS was der eine noch für Gesundheit ausiebt, ist bei dem andern schon Krankheit, ihre UnterscheiduagSlinie ist vielfach verwischt und beide fließen ineinander, immerhin kommen solche Fälle recht ver einzelt vor und man wird eine stricte Antwort auf die Frage, was ist Gesundheit, die bei allen Individuen zu jeder Zeit genügt, nicht finden können. Dazu sind wir zu ver schieden veranlagt und unsere Anschauungen über da« Wesen der Krankheit sind zu vielen Wandlungen unterworfen gewesen. Indessen viele Menschen haben schon oft und lange über das Wesen der Gesundheit und der Krankheit nachgedacht und erst jetzt wieder hat rin Däne, TroelS-Lund, ein interessante- Buch*) geschrieben, da- sich damit befaßt. Denn man das Buch zur Hand nimmt, nimmt man zugleich die Hand eines Freunde«, der selbst geplagt von Zweifeln über die Frage, unS in die Meinungen und Anschauungen der alten Welt und des Mittelalters rinführt und uns selbst denken läßt. Vielleicht könnt« man wünschen, daß seine Belesenbeit größer Ware, denn zumeist vertieft er sich in nordische Geschichte», allein er wollte ja auch nicht «ine Geschichte der Krankheiten schreibe», er wollte nur zeigen, wie man sich Gesundheit und Krankheit vorgestellt hat. Denn man au den trüben Tagen des November da« Buch durchblättert, wird es einem auch recht trüb« um« Herz. Wir setzen voraus, daß wir jetzt in der Wissenschaft deu Gipfel der Erkenntniß erklommen haben oder mit unfern Methoden auf dem Wege dazu sind. Denn was alles im Laufe der Zeiten al« Krankheiten angesehen wurde und noch mehr, wa« da alle« gegeu sie als Heilmittel gebraucht wurde, daS muß den denkenden Menschen mit Welimuth erfüllen. Und doch läßt sich nur schwer auS der menschlichen Seele gerade der Aberglaube in Bezug auf Heilmittel reißen, ja e« fragt sich, ob durchweg alle«, wa« die Schulmedtcin al« ver- wrrslich hinstellt, verwerflich ist; die Wandlungen in den Aa- *) Sesuudheit und Sraukhett in der Anschauung alter Zeiten. Von TroelS-Lund. Uebersetzt von Leo Block Leipzig bei B. <p. Teubner. Mit dem Bilde deS Bersaffer«. Elegant auSgestattet. schauungen der Schulmedicia sind zu häufig gewesen. In dessen jeder Glaube bat seine natürlichen Grenzen und wenn einer auf Wasser, der andere auf Dampf, der dritte auf Thee und der vierte auf Lichtcuren schwört, so sind da« An sichten vou der Wirkung de«Heilmittels, die in ihren Erfolgen begründet und in sich selbst erklärlich sind. Aber Krähenfüße und Elsteraugen, um Mitternacht am Kreuzweg gepflückte Cichorie, der Geruch deS Wiedehopfe», kurz, die ganze Wolfsschlucht aus dem „Freischütz", sollten doch nicht mehr in unserem so auf geklärten Jahrhundert eine Rolle spielen und dennoch ver sichern ernstlübe ärztliche Blätter, daß in den Centren der Weisheit, in London, Berlin und Paris, in der guten Gesellschaft — was wird darunter verstanden! — diese Mittel neben dem Gebet eine Rolle spielen. Weggebetet werden die Krankheiten nicht von dem Kranke» selbst, der durch da« Gebet seine Psyche aufrichtet, sondern von angestellten Betweibern, die die Stunde für zwei oder drei Mark heilkräftige Gebete murmeln. So traurig ist e« um die gute Gesellschaft bestellt, daß sie sich nicht einmal auf ihr eigenes Zwiegespräch mit Gott verläßt, sondern andern das für sich überläßt. Da war der allgemeine Glaube deS Mittelalters immer noch ver nünftiger. Nach ihm kam die Krankheit von Gott, sie war «ine Prüfung oder eine Strafe, ein Gedankengang, der sich heute noch bei vielen Menschen findet. Es wurde auch eine Ursache für die Strafe gefunden. 3m sechzehnten Jahrhundert waren die Krankheiten, insbesondere BolkSkrankheiten, Epi demien, die Strafe für die Mode, wie man auch 1866 noch vielfach hören konnte, daß die Cholera die Strafe für die Crinolinen war. Ordnungsgemäß konnte die Krankheit nur dadurch abgewendet oder geheilt werden, daß man die neuen Moden ablegte. Aber daS that man ja nicht. Da war nur ein Ausweg übrig: die Krankheit wegzubeten. Diese« Mittel wurde mit größtem Nachdruck sowohl im l6. als im 17. Jahrhundert angewandt. Schon Christian Hl. begann, erzählt TroelS-Lund, hiermit, und allmählich wurde die Abhaltung von drei auf einander folgenden Bettagen, mit Vorliebe zu Anfang Februar, zu einer so häufig wirder- kebrrnden Maßregel, daß man sie nahezu als em« fest stehende» Brauch bezeichnen kann. Die hiermit verbundene Absicht wurde natürlich etwas verschieden angegeben: „aus daß der allmächtige Gott gnädig seinen Zorn und seine Strafe abwrnden möge"; „da der allmächtige Gott nnS und unsere Laude gnädizst mit seiner Zuchtruthe und Strafe heimgesucht bat, einige Jahre lang mit Thruerung und :m gegenwärtigen Jahre mit Pestilenz und anderen heftigen gefährlichen Seuchen, so haben wir der Noth gehorchend überlegt . . ." „Ta der allmächtige Gott unS und unsere Reicke heimgesucht hat, indem er den großmächtigsten König Friedrich II. in seines ewigen Reiches Herrlichkeit ab berufen bat, und da er uns durch dieses unerhörte und ungewöhnliche Unwetter, wie eS von da an bis auf diesen Tag angedauert bat, daran erinnert, daß Krankheit, Hunger und Theuerung, wie sie solchem Unwetter zu folgen pflegen, und was noch schlimmer ist, zu erwarten wäre, wenn nicht seine göttliche gerecht: Strafe durch ernsthaftes christliches Beten vorbeugt und gewandt wird, so baben wir u. s. w." Ursprünglich hatte man damit angefangen, einen einzigen Bettag in der Woche abzuhalten, am liebsten Mittwoch oder Freitag, wenigstens in den Handelsorten. Aber dieser Brauch verschwand vor dem kräftigeren Mittel, alle Gebete im ganzen Lande auf drei auf einander folgenden Tagen zu sammeln und so durch ein gesammeltes Auftreten des ganzen Volkes die Aufmerksamkeit GotteS und, wenn möglich, die Erhörung deS Gebetes auf sich zu ziehen. Aber hierzu gehörte selbst verständlich, daß Alle dabei sein mußten. Es wurde darum Allem und Jedem, adlig und unadlig, auferlegt, an den Bettagen in der Kirche sich zu versammeln, „wird einer hierin säumig befunden, so wollen wir ihn strafen lassen, wie eS erforderlich." Aber ebensowenig ging cS an, daß diese drei Tage zu großen Volksfesten wurden, an welchen man ja gerade durch die neumodischen Trachten GotteS Zorn auf sich zog. ES wurde darum befohlen, daß man sich ver sammeln sollte geziemend gekleidet „ohne Pracht." Daß daS Sündenbekenntniß, welche« an diesen Beltagen abgelegt wurde, in strengen Zeiten, im dreißigjährigen Kriege, besonders streng aussiel, war ganz natürlich. Mit diesen Betlagen waren die Heilmittel der theo logischen Erklärung in Wirklichkeit erschöpft. Wenn die Krankheit in jedem einzelnen Falle eine Aeußerung von GotteS direktem Eingreifen war, so gab eS ja überhaupt kein andere« Mittel al« Gebe», kräftiges Massengebet, nm ihre Wider rufung herbeizuführen. Daß dir« aber auch ein wirksames Mittel war, dafür batte man viele Beweise. Einer der augen fälligsten war der Fall, welcher Christian III. selbst begegnet war: „Er lag tödtlich krank in Lund, aber Gott ver längerte, wi« bekannt, sein Leben um viele Jahre um seiner und seiner Untertbanen Gebete willen." Ober der Vogt auf Bergenhu«, der krank war, „wie ein unvernünftige« Tbier lebte, verzweifeln wollte und einen ganzen Winter auf dem Schlosse in Bergen saß und von Golt nichts hören und wissen wollte; bis er endlich vermittels des allgemeinen KirchengebetS für ihn in allen Kirchen sich wieder erholte." Jede andere Bchandlungsweise einer Krankheit war dagegen, selbst wenn sie sich noch so nahe an kirchliche Formen hielt, streng genommen Zweifel und Sünde. Es mußte darum gebilligt werden, daß mau z. B. gegen den auf Fünen ver breiteten Gebrauch, Augensckwäche und Ohrensausen durch geweihten AbendmablSwein zu heilen, einschritt. Aber selbstverständlich nahmen doch Biele zur Anwendung vou vermeintlichen Heilmitteln ihre Zuflucht, d. b. vou Mitteln, welche durch ihre eigene Kraft, unabhängig von Gebet, sollten wirken können. Einen naiven Ausdruck hat die Zwiespältigkeit des zu Grunde liegenden Gedankenganzes in einer Leichenrede auf Christian III. gefunden; gehalten wurde sie von dem königlichen Leibarzte Jakob Börding, der nach der damaligen Sitte zugleich Theologe war. Er sagt: „Aber obschon König Hiskias nicht an GotteS Rathschluß zweifelte, baß er länger leben sollte, so verwarf er doch nickt den Ratb der Aerzte, sondern ließ ein Feigen Pflaster bereiten, um daS Geschwür, von dem er geplagt war, abschwellen zu machen." In diesen Worten stoßen unbewußt, aber doch deutlich, zwei verschiedene Naturaufsassungen aufeinander, die des Theologen und die deS Arzte?. Welche die stärkere war, gebt aus den unmittelbar folgenden Worten hervor: „Auch da« trug zu der großen Glückseligkeit und besonderen Berühmtheit des Königs Hiskiaö bei, daß um seinetwillen die Sonne in ihrem Gange zurückgehalten wurde u. s. w." Wir haben hier eine» Hauptgrund für die Stärke der theologischen KrantheitScrklärung: cs fehlte am Gegengewicht einer Auffassung von der Natur als einem gesetzmäßigen Ganzen. Im Keime war eine solche Wohl vorhanden im Glauben au die Machchder Sterne; aber bei den Allermeisten machte sich dieser Glaube nur blitzartig geltend, um schnell wieder von dem altmodische» kirchlichen abgelöst zu werden, nach welchem die Natur an sich ein Nichts war, nur durch GotteS wiederholtes schöpferisches Werde beständig erhalten Die Gegenwart, welche gewohnt ist, in der Natur etwas Zu sammenhängendes, durch Ursache und Wirkung aneinand» gekettetes zu sehen, hat eS schwer, sich bei erwachsenen, gebildeten Menschen einen Gedankengang vorzustellen, nach welchem Alles, waS ring« um einen herum vorgebt, nur eine Summe von losen, z» Lchrzweckcn vorgezeigten Bildern sein soll Und doch dachten eS sich damals die Meisten so. DaS Capitel von den wirklichen Gcheimmilteln ist viel größer a!S daS vom Beten. (Schluß folgt.)
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