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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011129023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901112902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901112902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
- Tag1901-11-29
- Monat1901-11
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Amtsbtatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nokizei-Ilmtes -er Ltadt Leipzig. Anzeige«-Prei- die 6 gespaltene Pelitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familienuach« richten (6 gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren fitr Nachweisungen und Osfertenannahme 35 L, (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung .sl 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigern Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Polz in Leipzig. Nr. 608 Freitag den 29. November 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Das „grotzmüthige" England. * Johannesburg, 28. November. („Reuter's Bureau".) Bei der Besetzung Pretorias durch die Engländer waren in der dortigen Münze 23 000 Unzen Gold gefunden worden, welche die Boerenregierung von den Minen requirirt hatte. Dieses Gold wird jetzt den Eigenthümern wieder zu gestellt. — Die Behörden geben bekannt, daß der Dy namit p r e i s mit Geltung vom I. October ab um I Pfund Sterling auf die Kiste herabgesetzt wird, und daher den Minen für Dynamitverbrauch bis heute 9000 Pfund rückvergütet werden. Für die vefaugencn aus Bermudas. Der Exportverein für das Königreich Sachsen, Dresden, Niedergraben 5, theilt uns im An schluß an den auch an dieser Stelle vor Kurzem erlassenen Aufruf zu einer Sammlung für die auf den Bermudas-Inseln große Noth leidenden kriegsgefangenen Boeren mit, daß ihm in dankenswerther Weise vielseitig Gaben an Kleidungsstücken, Wäsche, sowie auch in Baarbeiträgen zugegangen sind, theilweise in recht ansehnlichem Umfang und Werth, wie z. B. von einer Dresdner angesehenen Cigarettenfabrik, welche allein eine Kiste mit 70 vollständigen neuen Anzügen nebst Cigaretten und Rauch tabak zur Verfügung stellte. Selbst weniger bemittelte Frauen haben ihr Interesse an diesem Werk der Wohlthätigeit durch Ablieferung eigens angefertigter Strümpfe u. s. w. bethätigt. Die erste Sendung soll noch Ende dieser Woche ihrer Bestimmung zugeführt werden. Um einem mehrfach geäußerten Zweifel darüber zu begegnen, ob diese Gaben auch richtig in die Hände der armen kriegs gefangenen Boeren gelangen werden, bemerkt der Exportverein auch bei dieser Gelegenheit, daß die Hamburg-Amerika-Linie die Kisten in anerkennenswerther Weise kostenfrei auf ihren Dampfern bis New Dork mitzunehmen zugesagt hat, während von dort aus wieder der Vertreter des Erportvereins auf Bermuda ein Abkommen mit einer dortigen Dampferlinie ge troffen- hat, welche die Sachen für die Gefangenen zweifellos sicher in seine Hände bringen wird. Auf jeden Fall wird sich im Laufe der nächsten 14 Tage noch eine Nachsendung der inzwischen noch einlaufenden Gaben nöthig machen, und da bis jetzt nur von wenig Seiten an scheinend auf die jedenfalls mit am dringendsten bedürftige Fußbekleidung und Leibwäsche Bedacht ge nommen worden ist, bittet der Exportverein alle Familien noch mals dringend, einmal Umschau nach etwa unbenutzt vor handenem Männer- und größerem Knabenschuhwerk, sowie Leib wäsche zu halten und ihm derartige Sachen möglichst bald noch zugängig zu machen. Für die cingelaufenen Bcrarbeträge wurden praktische Stoffe zu Beinkleidern, Hemden u. s. w. angeschafft, wobei verschiedene Vereinsmitglieder mit Rücksicht auf den wohlthätigen Zweck be sondere Preisermäßigungen eintreten ließen und zum Theil völlig kostenfrei Maaren ihrer Fabrikation, Verpackungsmaterial u.s.w. zur Verfügung stellten. Der Vorstand des Exportvereins für das Königreich Sachsen spricht den hochherzigen Gebern hierfür seinen aufrichtigsten Dank aus. * London, 29. November. Die „Times" melden aus Pretoria vom 27. November. In einer heute abgehaltenrn Sitzung deS ExecutivrathS wurde die Einsetzung einer Commission beschlossen, welche da- Gesetz betreffend die Goldgruben einer eingehenden Prüfung unterwerfen, sowie Zusätze und Abänderungen in Vorschlag bringen soll. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29 November. Daß der Reichskanzler die Vertrauensmänner der verschiedenen Parteien zu einer Besprechung eingeladen Hai, in der es sich vcrmuthlich um die geschäftliche Behandlung des Zolltarifs handeln wird, ist erfreulich. Durch eine solche Besprechung kann Zeit erspart und manche irrige Auffassung, die zu lebhafter Auseinandersetzung im Plenum geführt haben würde, berichtigt werden. Dem berechtigten Zwecke der Ver ständigung mit den Parteiführern hat jedenfalls auch der par lamentarische Abend gedient, der vorgestern beim Grafen Bülow stattgefunden hat. Peinlich überraschen muß es aber, wenn der „Berl. Börs.-Ztg." als Erfolg der Vcrständi- gungsversuche an diesem Abende u. A. Folgendes bezeichnet wird: „Es wurde auch von der Bewegung in Deutschland gegen die Chamberlain'sche Rede gesprochen. Es scheint — wenigstens nach der Stellungnahme officieller Persönlichkeiten zur Sache —, daß regier ungsseits nichts über den Punct gesprochen werden wird. Eine Inter pellation wird nicht stattfinden, und wenn auch bei der Etatsdevatte der „Fall Chamberlain" zur Sprache ge bracht werden sollte, wird die Regierung durch keinen ihrer Vertreter darauf antworten lassen." Allerdings sind die Beschwichtigungshofräthe in den letzten Tagen wieder eisrig am Werke gewesen, die Entrüstung über die Chamberlain'sche Rede zu dämpfen und dem lieben deutschen Publicum Furcht vor einem englisch-französisch-russischen Bünd- niß einzujagen, das die Folge der „Hetze gegen Chamberlain" sein könne. Aber es ist doch wohl kaum anzunehmen, daß der Reichskanzler, der erst jüngst die „Nordd. Allgcm. Ztg." zu einer Antwort auf die beiden Chamberlain'schen Frechheiten veranlaßt hat, hinter den Abwieglern stehe. Er müßte denn plötzlich der Auffassung geworden sein, daß die internationale Lage Deutsch land zwinge, jeden Fußtritt eines englischen Ministers in Demuth hinzunehmen. Um so weniger wäre cs zu verstehen, wenn eine Interpellation wegen der Chamberlain'schen Fuß tritte unterbliebe. Die Mehrheit der deutschen Wähler würde an ihren Vertretern irre werden, wenn sie cs unterließen, um Auf klärung darüber zu bitten, warum die Regierungspresse so lange auf die erste Chamberlain'sche Rede geschwiegen, und was von Seiten des Auswärtigen Amtes geschehen sei, um den eng lischen Colonialminister auf das Ungehörige seines Urtheils über die deutschen Helden von 1870/71 und ihre Führer aufmerk sam zu machen. Das Urtheil im Wr eschener S ch u l p r o c e ss e, das gezeigt hat, daß es in Deutschland noch Richter giebt, die die uolmsche Gefahr zu würdigen verstehen, hat wie ein Stich in ein Wespennest gewirkt. Die preußischen Polen sind frei lich ein wenig vorsichtig geworden, aber desto ungenirter be nehmen sich ihre Landsleute in Rußland und in Oester reich. Die in Warschau erscheinenden polnischen Blätter er gehen sich in wüthenden Ausfällen gegen Gericht und Regierung in Preußen, und es ist charakteristisch, daß die sonst so strenge russische Preßcensur diesen Wuihergüssen freien Lauf läßt. Tie österreichischen Polen haben sich nicht mit Zeitungsartikeln be gnügt; sie haben im Parlamente Lärm geschlagen, Gelder für die „Opfer" des Processes gesammelt, in Krakau, Lemberg und anderen galizischen Srädten lärmende Scenen veranlaßt und endlich, was ein ganz besonderes Heldenstück ist, die Auffüh rungen eines deutschen „Ueberbrettls" zu verhindern gewußt. Wir glauben aber kaum, daß die Polen Veranlassung haben werden, sich über diesen „Erfolg" zu freuen. Denn das Hin überspielen einer preußischen Angelegenheit nach Rußland und Oesterreich und das einmüthige Eintreten ihrer Landsleute in den beiden benachbarten Staaten für die preußischen Polen kann nur dazu dienen, die preußische Negierung zur vollen Crkenntniß der polnischen Gefahr zu bringen. Sic sieht daraus, daß sie es nicht nur mit den 3 Millionen preußischer Polen, sondern in gewisser Weise auch mit den 8 Millionen russischer und den 3 Millionen österreichischer Polen zu thun hat, und muß dadurch erst recht zu dem festen Entschlüsse gelangen, die Herrschaft im eigenen Hause nicht aus der Hand zu geben. Wenn die russische und die österreichische Regierung den anti deutschen Hetzereien in Russisch-Polen und Galizien gegenüber ein Auge zudrücken, so liegen die Gründe dafür auf der Hand. Der russischen Regierung kann es für den hoffentlich niemals eintretenden, aber immerhin doch nicht unbedingt ausgeschlossenen Fall einer kriegerischen Verwickelung mit Deutschand nur er wünscht sein, daß die russischen Polen von Sentiments für die Deutschen möglichst frei sind; außerdem kann es ihr für ihre eigene Polenpolitik nur lieb sein, behaupten zu können, daß die Polen in Preußen es auch nicht besser hätten. Wenn freilich die Wreschener Rebellion in Russisch-Polen vorgekommen wäre, dann wären die Uebelthätcr sicherlich härter angefaßt worden, als in Preußen. Dann hätte die Knute Arbeit erhalten, die Be völkerung Sibiriens hätte eine kleine Vermehrung erfahren und Herr Vicar Laskowski wäre nicht mit einer milden Vermahnung des Gerichts davongekommen. Was Oesterreich anbelangt, so spielen erstens die Polen eine wichtige Rolle im Parlament und beherrschen zweitens Galizien vollständig: Gründe genug für die österreichische Regierung, Fünf gerade sein zu lassen. Sie kann die polnische Frage auch viel gemüthlicher auffassen als Preußen, denn sie hat für etwaige polnische Jnsurreciionen ein gar fürtreffliches Mittel. Als die polnischen Edelleutc Galiziens im Jahre 18-16 rebellirten, brauchte die österreichische Regierung nur die ruthenischc Bauernschaft, der ihre polnischen Unterdrücker aufs Höchste verhaßt waren, gewähren zu lassen, und die Köpfe der polnischen Rebellen wurden auf dem Kreis amte in Tarnow sauber abgeliefert. Ob die Polen in Tarnow, als sie dieser Tage gegen die grausame preußische Regierung demonstrirtcn, wohl an diese Scene aus einer nicht gar zu fernen Vergangenheit gedacht haben? Die preußische Regierung hat keine ruthenischc Bauernschaft zur Verfügung und muß den Kampf gegen polnischen Uebermuth allein aufnehmen. Sie würde trotzdem mit einer Rebellion fertig zu werden wissen, aber sie hält cS für humaner, durch rechtzeitige Energie das ultimuin rcarwckiuln des Säbels und der Kugel überflüssig zu machen. Die beiden benachbarten Staaten aber, die mit einer gewissen Schadenfreude ihre Polen gegen preußische Regierungs maßregeln dcmonstriren lassen, thäten doch gut, daran zu denken, daß die überschüssige Polnischs Leidenschaft, die heute gegen Preußen losgslaffen wird, sich morgen gegen sie selbst richten könnte. - Als unlängst im ungarischen Reichstage der Abgeordnete Rakovszky sich in gehässigen Ausfällen gegen deutsche Ver eine, insbesondere gegen den Gntzav-Aöolf-Brrcin unv g-gen den Allgemeinen Deutschen Schulderem, erging, diese Vereine pangermanische Agitationsvereine nannte und ihre Bestrebungen als ungarnfeindlichc und staats gefährliche verdächtigte, stützte er sich im Wesent lichen auf eine Flugschrift des Professors Hangay von der Klausenburger Handelsschule über „Die großdeutschcn oder pangermanistischen Vereine und ihre Thätigkeit". Nach den Angaben dieser Schrift wären so ziemlich alle Bewohner deS deutschen Reiches mit den deutschen Fürsten und ihren Mi nistern Pangermanen und erstrebten ein Deutschland von Däne mark bs zur Adria und von Flandern bis Siebenbürgen. Schon hätten die bedeutendsten Gelehrten eine Karte des künftigen Größerdeutschlands gezeichnet. Ungarn sei darauf nicht mehr zu finden. Nach dem Tode Franz Josef'S I. werde die Auf- theilung der habsburgischen Monarchie beginnen und dann der Aufbau des deutschen Zukunftsreiches erfolgen. Zu den Vor kämpfern dieser Bestrebungen gehören nach der Versicherung der erwähnten Schrift der Gustav-Adolf-Verein, der Allgemeine deutsche Schulverein und der Alldeutsche Verband. Von dem Gustav-Adolf-Verein behauptete der Abg. Rakovszky auf Grund der genannten Schrift, daß er einzig und allein Rassen bestrebungen diene, daß von dem „Judasgelde" dieses Vereins auch zwei Millionen nach Ungarn gekommen seien, aber nur für protestantische Deutsche, für protestantische Magyaren fe: nicht ein einziger Heller abgefallen. Das ist unwahr. Wie erinnerlich, ergriff auf der jüngsten Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins in Köln der magyarische Bischof Baltik das Wort, um sich für die Unterstützung zu bedanken, die der magyacisch-evangelischen Kirche vom Gustav-Adolf-Verein er wiesen wurde. Dabei überreichte er 1600 Kronen (1400 -M, die in seinem Bischofssprengel gesammelt wurden, als „be scheidenes Dankopfer". Nach den Ausweisen des Gustav-Adolf- Vereins entfielen von seinen Unterstützungen bis 1899 auf Siebenbürgen 617 000 c/^, auf das eigentliche Ungarn (ohne Kroatien und Slavonien) dagegen 1,4 Millionen Mark. Nach der Mittheilung des Abgeordneten Korodi-Kronstadt erklärte der Schriftführer des Centralvorstandes des Gustav-Adolf- Vereins auf eine Anfrage, es seien bisher außer den sieben- bürgischen und slovenischen Gemeinden 385 ungarische Ge meinden, ohne Unterschied der Nationalität, darunter viele magyarische, unterstützt worden. Im ungarischen Abgeordneten hause hat am Dienstag auch der Abgeordnete Melzer den Gustav-Adolf-Verein gegen die chauvinistischen Angriffe nach drücklich und mit Angabe unzweifelhafter Thatsachen vertheidigt. Es ist zu hoffen, daß nunmehr die Vorstöße der Chauvinisten, wenigstens gegen den Gustav - Adolf - Verein, unterbleiben werden. Der Allgemeine deutsche Schulverein entwickelt in Ungarn nur eine ganz geringfügige Thätigkeit, indem er deutschen Jünglingen einige Stipendien gewährt. Der Alldeutsche Ver band ist bestrebt, das Nationalbewußtsein der Deutschen im Auslands zu beleben, ohne dabei in Ungarn eine besondere Agitation zu entwickeln. Der Rücktritt de 8 «rtechtschen Metropoliten Prokopios ist ein Zugcständniß an die Verfechter der alte« Bitzclsvrache. Es wurde dem Metropoliten vorg-worfen, er habe durch seine La-u-heit den ganzen Streit verschuldet, indem die Heilige Synode auf Veranlassung ihres Vorsitzenden seit zwei Jähren eine schwankende Stellung eingenommen habe. Der Metro polit handelte hierbei als Vertrauensmann der Königin Olga, welche die Ucbersetzung der Bibel wünschte, und auf Be treiben der Letzteren hatte die Synode bereits vor Jahresfrist ihre, wenn auch etwas verklausulirte, Zustimmung zur Herstellung einer „Volksausgabe der Evangelien" ertheilt. Das Geld hierfür war von der Königin zur Verfügung gestellt und die neuen Cvangelienbücher sollten am bevorstehenden Weihnachts feste unentgeltlich an die Schulkinder, in Krankenhäusern, in den verschiedenen Wohlthätigksitsvereinen und an die Soldaten ver teilt werden. Unter der Bevölkerung aber sagte man, daß die Geldsummen hierfür aus Rußland geliefert seien, ebenso wie die ganze Uebersetzungs-Agitation von russischer Seite ausgehe. Und da die Heilige Synode das Vorhaben eher bsgünstigte als Feirrlletsn. Die Marmorliebe. Eine Hofgeschichte von Jean Vernarb. vrrboNn. Mit diesem Briefe in der Hand stand Eder eine Weil« in Ge danken da: „Das muß man sich also sagen lassen. Ich komme dem Manne wie rin Don Quixote vor und er warnt mich vor den Windmühlen. Ah — und dies« Bemerkung von der „Marmorliebe", die Feodora erfunden haben soll, wie verräthe- risch ließ sie durchblicken, daß die Baronesse Kenntniß erhalten hatte von seinem Briefe. Und das Alles bringt der Fürsten dienst mit sich!" Allein Franz neigte nicht zur Melancholie; bisweilen auf seinen Irrfahrten hatte der moderne Odysseus gemeint, sein Herz sei einer ernsten Gefahr ausgesetzt, stets ging die Gefahr aber vorüber, und er blieb Junggeselle. Anders würde es dies mal auch nicht sein, diesmal freilich wäre die prinzlich« „Marmorliebe" das Hinderniß. Und nicht allzu lange dauerte es, daß der Liebhaber der Marmorbüstc nach seinem getreuen Hofrath rief, um zu hören, ob denn noch keine Kunde vom Süden gekommen. Halb traum befangen eilte von Eder zu ihm, viel brauchte er nicht zu reden, der Brief sagte Alles. Der Prinz war glücklich und meint« nur: „Ich danke Ihnen herzlich für Ihr« Aufopferung. Nun weiß ich genug und fasse neuen Muth; aber wir müssen jetzt unser« Reise unverzüglich antretcn, cs ist Gefahr im Verzüge! Halten Sie Ihre Sachen in Bereitschaft, für das Ucbrige mag mein Hofmarschall sorgen. Nicht schlecht, dieses neue Wort „Marmor liebe" , diese Baronesse soll es erfunden haben! Sie mag es spöttisch meinen, weil sie den guten Baron liebt und nicht weiß, wie sie ihrer Angst anders Ausdruck geben soll. Nur ge mach, edle Baronesse, es bleibt nicht bei der „Marmorlieb«"! Sie sind mir doch nicht böse, lieber Baron; Ihr süßes Liebchen machen wir schon wieder gut, wenn es Zeit ist; und Zeit ist es erst, wenn meine „Marmorlieb«" durch die echte, heiße Blut liebe erseht ist. Sie waren ja so lange Junggeselle, Baron, es kann Ihnen doch auf einige Monate mehr nicht ankommen." „Hoheit sind »roh und guter Ding«, das ist unter allen Um ständen die Hauptsache!" „Sie meinen es gut mit mir und ich verlasse mich ganz auf Sie, was um so nöthiqer ist, als wir einen Reisebegleiter haben werden, der völlig auf der Seite meiner Frau Mama steht." „Graf Vesan?" „Errathen. Seit er den reichen Onkel beerbt hat, ist der Mann ganz verändert. Nun fühlt er die Kraft in sich, eine Rolle zu spielen. Er hat sich ausbedungen, einen eigenen Diener mitnehmen zu dürfen. Ich habe nichts dagegen; die Hauptsache ist, daß ich erfuhr, er habe bei Ihrer Hoheit der Frau Herzogin eine längere Audienz gehabt, im welcher ihm jedenfalls meine Ucbcrwachung und regelmäßige Berichterstattung über unsere Lebensführung aufgetragen worden ist. Ich erfuhr es von Osenmann, dessen Nachrichten immer sehr zuverlässig sind. Sie sehen, lieber Baron, wir haben alle Ursache, auf unlerer Hut zu sein, nxil wir in der That vom geraden Wege abweichen wollen .. . Aha, ich freue mich schon jetzt auf die Ängst, die der bestellte Aufpasser durchmachen wird." „War es denn nothwendig, ihn mitzunchmen?" „Es wäre auffällig gewesen, ihn nicht mitzunehmen." „Mag er denn mitkommen; ich will schon dafür sorgen, daß er der „Marmorliebe" nicht gefährlich wird." „O Sie Spötter, diese „Ntarmorliebe" hat ja Ihre heimlich angebetete Feodora erfunden; da müßte sie Ihnen doch aus nehmend gut gefallen!" „Sie gefällt mir auch ganz gut, Hoheit, man wird der gleichen nicht so häufig begegnen." „Hm! Wem? Feodora oder der „Marmorliebe?"" „Ich denke, Beiden, Hoheit!" „Also auf ins Land des Rubels!" Neuntes Capitel. Zur Reisegesellschaft, welche den unter dem Jncognito eines Grafen Helmborn reisenden Erbprinzen Albrecht Alexander Frazzilo auf seiner Tour nach Rußland begleiten sollte, ge hörten der Hofmarschall Graf Ferdinand v. Vesan, Hofrath v. Eder, Kammerdiener Otto Embder und Vesan's Diener Merger. Auf dem ersten Theile der Reis« führte Graf Vesan das große Wort, da man sich hierbei meist an befreundeten Höfen bewegte. Nach dem Reiscplan, den der Herzog in den Haupt zügen selbst entworfen, besuchte der Prinz erst etliche deutsche Fürstenhöfe, denen gegenüber er kein Jncognito führte. In ziemlich gleicher Weise spielte sich an all diesen Höfen der feier liche Empfang, der Aufenthalt und der Abschied ab, nur daß man da und dort ein paar Tage länger blieb. Ueberall bildeten zum Schluffe die Ordensverleihungen an den Erbprinzen und dessen Gefolge den Gipfel der Höflichkeit; selbst der Kammer diener und Lakai erhielten die üblichen silbernen Medaillen. Diese HöfliLkeit wurde nachher vom Herzog von H . . . . durch Ordensauszeichnungen in gleichem Umfange bei dem betreffen den Hofe ausgeglichen. Bei diesen Hofbesuchen trat natürlich der Hofmarschall mehr in den Vordergrund, was sein Amt mit sich brachte. Etwas anders gestaltete sich die Sache schon, als man die Grenze hinter üch hatte und die Paß- und Zollrevisionen sich geltend machten. Die Sprachkenntnisse des Grafen Vesan reichten hier nicht aus, da mußte Baron v. Eder für ihn eintreten. Dank bestimmten Befehlen aus Petersburg gingen die für Reisende oft peinlichen Paß- uns Zolloerhandlungen für den Grafen Helmborn und sein Gefolge glatt von statten, — und die Reise bis Petersburg verlief ohne bcmerkenswerthe Vorfälle. Da der Erbprinz nicht unter der vollen Bezeichnung seines Ranges reiste und dies dem russischen Hofe mitgetheilt war, so unterblieb ein feierlicher Empfang. Ein Kammerherr, Fürst Gallowka, ein Verwandter des Fürsten Gallitschin-Saritzin, begrüßte den Hsrzogssohn und war mit seiner Beherbergung beauftragt. Der Palast Gal lowka, wo Frazzilo künftig wohnte, lag am Newaufcr, wo auch die Palais der Mitglieder der kaiserlichen Familie sich befanden. Man fuhr nach dem Palais am Ncwaufer und fand sich nach kurzer, der Toilette gewidmeter Ruhepause im Vorsaal zum Speiscsalon zusammen. Der Fürst stellte seine Gäste seiner Gemahlin vor und man fühlte sich in dem vornehmen, gastlichen Hause bald heimisch. Im Laufe der Unterhaltung hörte man, daß die höchsten Herrschaften nicht in der Hauptstadt weilten, dennoch kündigte der Fürst dem Prinzen an, er habe den allerhöchsten Auftrag, ihn morgen nach G. hinaus zu ge- leiten, wo sich auch Prinzessin Petrowna augenblicklich aufhalte. Die Erwähnung dieses Namens machte auf Frazzilo keinen be merkbaren Eindruck. Der Prinz, von der langen Eisenbahnfahrt ermüdet, war froh, als er sich endlich zurückziehen konnte, um zu ruhen. Zwar machte Graf Vesan den Versuch, dem Prinzen noch Vortrag zu halten, aber die Ablehnung erfolgte sehr bestimmt und ernst. Am folgenden Tage gegen Mittag begann die Auffahrt nach dem Kaiserschloß in G. mit allen Formalitäten der Etikette. Graf Vesan konnte hierbei sein Licht leuchten lassen. Im All gemeinen verlief der Empfang in G., wie alle solche Vor stellungen, langweilig und steif. Der Graf Helmborn war da mit bei Hof eingeführt und konnte mit Einladungen bedacht werden. Beim ersten Empfange hatte Frazzilo die Prinzessin Petrowna nicht zu sehen bekommen und grollte seinem Schick sal deshalb keineswegs. Hn der Folge mußte er den Weg nach G. noch einige Male zurucklegen, um ehrenvollen Einladungen nachzukommen; er wurde der Großfürstin vorgestellt und er kannte in ihr eine hochgebildete, liebenswürdige Dame, die eS entzückend fand, daß der deutsche Prinz fie um ihre« Rath Wege« eine» tüchtigen Lehrer» der russischen Sprache fragte, da sie annahm, er wünsche sich nur ihretwegen in der russischen Sprache weiter auszubilden. Graf Vesan, zu einer solchen intimen Soiree hin- zugezogen, beobachtete die Annäherung des Prinzen an Pe trowna mit Vergnügen und gab schon nach einigen Tagen ein« chiffrirte Depesche nach H . . . . auf, worin er den hoffnungs vollen Gang der Angelegenheit meldete. Merkwürdig, sowohl während der Reise als in Petersburg, war das Derhältniß zwischen dem Grafen Vesan und Hofrath v. Eder. Eine ge meinschaftliche Besprechung der Dienstverhältnisse fand nicht statt, sondern Graf Vesan gab sich den Anschein, als habe er allein anzuordnen und zu befehlen, als sei er der Vorgesetzte Eder's. Dieser fühlte das wohl, aber es war ihm gleichgiltig, er ließ dem Herrn Collegen ganz und voll die Würde seines Amtes. Am Hofe zu B . . . g ging Vesan's Nichtachtung so weit, daß er in dem von der dortigen Ordenskanzlei verlangten Namens- verzeichniß des Gefolges Eder's Namen ivegließ, so daß d«r Hofrath keine Auszeichnung erhielt, was ihm wiederum höchst gleichgiltig war. Durch «inen ^Zufall erhielt der Prinz Kennt- nih von dem peinlichen Vorfall und erwirkte durch persönliche Schritte bei dem Fürsten von B ... g nicht nur Abhilfe, son dern die Verleihung eines höheren OrdensgradcS an Eder, als ihn Graf Vesan erhalten hatte. Von einer Vermahnung nahm der Prinz auf Ersuchen Eder's Abstand. Das Verhältniß zwischen den beiden Hofbeamten war darum aber kein besseres geworden und übte auch aus den Ver kehr der beiden Diener Einfluß aus. Otto Embder, dem Erb prinzen und Eder treu ergeben, wurde von Merger, dem Diener des Grafen, ständig ausgeforscht, ob er nicht erfahren könne, was Eder mit dem Prinzen bisweilen berathe. Embder hatte dieses Ansinnen jedoch dem Hofrath gemeldet und um Verhal tungsmaßregeln gebeten. „Es ist eine schlimme Sache, die ich da höre, Embder", sagte Eder, „man muß in diesem Falle klug sein. Sie haben ganz Recht gehabt, daß Sie mir sogleich davon Mittheikung machten. Se. Hoheit und ich haben zwar keine Geheimnisse zu berathen, die das Licht der Sonne nicht vertragen könnten, allein dieser Merger braucht deswegen noch lange nicht Alles zu wissen, was Hoheit denken und reden; ich wüßte auch gar nicht wozu! Seien Sie jedoch zu ihm nach wie vor freundlich, und wenn er in Sie dringt, so sagen Sie ihm einfach, Sie wüßten nichts zu berich ten, selbst wenn Sie zufällig etwas wüßten. Sir haben jeden falls auch schon die Erfahrung gemacht, daß Derjenige es bei Hofe am weitesten bringt, der zur rechten Zeit schweigen kann. Sie müssen stets in unserem Erbprinzen den zukünftig«?. Herzog erblicken, der Ihnen mehr nützen kann, als zwanzig Graf«« Vesan."
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