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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011115015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901111501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901111501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Nr. 583. Freitag den 15. November 1901. Anzeige« «Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclame« unter dem Redaction»strich (»gespalten) 75 H, vor den Familieanach- richten («gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Erbiihrea für Nachweisungen und Offertenannahme 25 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .6 «0.—, mit Postbesörderung 70.—» Anoahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Au»gabe: BormittagS lv Uhr. Marge«-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Pol- in Leipzig. S5. Jahrgang. s Eine englische Znmuthung. * Hervorragenden deutschen Politikern ist mit einer in ein wandfreiem Deutsch abgesagten Begleitnote das Novemberheft der „National Rsviovv" zugesandt worden, daS einen „British Loroisn Boliozc" überschriebenen Artikel enthält, auf dessen weiteste Verbreitung und Be sprechung in der deutschen Presse die Verfasser augenscheinlich große» Gewicht legen. In der officiösen deutschen Presse hat der Artikel noch keine Beachtung gefunden, obgleich seine Ver fasser doch vor Allem zu hören wünschen müßten, was die Leiter unserer auswärtigen Politik zu den Gedanken sagen, welche die Verfasser entwickeln. Aber gerade weil unsere Officiösen schweigen und dadurch bei den Verfassern die Vermuthung er- riHen konnten, der Artikel habe an maßgebender Stell« in Berlin dre beabsichtigte Wirkung erzielt, ist e» Pflicht der unabhängigen deutschen Presse, die Verfasser nicht im Zweifel darüber zu lassen, daß man Lei un» ihre etwas verschlererte Absicht versteht und ebenso höflich wie entschieden zurückweist. Der Inhalt de» langen Artikels läßt sich kurz zusammen fassen. Er enthält da» unverschleierte Eingeständniß, daß e» schlecht um England steht. Der äußerste Osten, China — so wird dargelegt —, ist ein Pulverfaß, daS aller Augenblicke explodiren kann. In Persien steht ein zweites solches Pulver faß, und von dem dritten in der Türkei redet man lieber gar nicht, weil eben Jemand mit der brennenden Lunte daran vor- beiläust. Aber nur keine Angst, Gentlemen, wir brauchen nur einen anderen Curs zu steuern, da glätten sich deS Meeres Wellen, eS schweigt der Sturm —! Wir brauchen nur die Hände auSzustrecken, und die Großmächte, welche Englands Freundschaft suchen, wünschen, ersehnen. — hängen an unseren Fingern wie Krebse. Wie das zu machen sei? Sehr einfach! England und Rußland verpflichten sich zu nichts weiter, als zur Anerkennung des 8tatus guo, sowohl in China, wie in Persien. Dann schenken wir — die Engländer — den Russen die Türkei und Kleinasien, als ob es niemals einen Krimkrieg gegeben hätte, und eS soll Jemand kommen und behaupten, die englische Rasse hätte im Laufe deS letzten Jahrhunderts etwas von ihrem festen und zähen Charakter verloren. Wem diese» letzte Arrangement der Dinge unbequem sein wird, ist — nicht England —, sondern natürlich Deutschland. Geschieht ihm schon recht, denn eS strebt danach, uns, daS stolze, seebeherrschende England, au» der Seeherrschaft zu verdrängen. ES möchte zu diesem Zwecke gern Helfer an Frankreich und Rußland finden. Aber diese beiden Mächte sollten sich doch sagen, daß sie den Teufel auStreiben würden mit dem Obersten der Teufel und daß der Sturz der englischen Seeherrschast die Begründung deS deutschen Seeübergewichts bedeuten würde. Wer aber würde wohl übler bei dieser Neuordnung der Dinge fahren, als die unmittelbaren Nachbarn dieses seegewaltigen Deutschlands? Hier hoben wir die wahre Interessengemeinschaft, die alle euro päischen Mächte gegen Deutschland Verbünden müßte. Dieser Gedanke ist so einfach, klar und überzeugend, daß ihm eben nichts weiter als seine Umsetzung in die That fehlt. Bevor man noch dem letzten Zweck« dieser Darlegung fragt, ist eS vielleicht zweckmäßig, sich etwas über die Verfasser zu orientiren. Diese sind entweder fast unglaublich naiv, oder — sie stellen sich so. Allerdings glaubt Mancher was er wünscht, aber sollte es wirklich in der politisch geschultenenglischenNation Leute geben, die ernstlich glaubten, sie könnten den zu Thale rinnenden Wassern gebieten, daß sie stille stehen, d. h. sie könnten der rastlosen Minirarbeit Rußlands in Asien, die Schritt für Schritt den Einfluß Englands ins Wanken bringt, Halt ge bieten durch einen Vertrag, der es um die Früchte seiner Thäng- keit bringen müßt«? Sollte gar ein englischer Staatsmann die Russen für so dumm halten, daß sic auf einen solchen Vertrag mit der Absicht eingehen würden, sich durch ihn zu binden? Die Engländer haben doch auf dem Pamir-Hochlande schon manchen Vertrag mit den Russen abgeschlossen und wissen daher auS Erfahrung, wie hoch ein solches Blatt Papier zu bewerthen ist. Und diesen schlauen Russen sollte ein klar sehender eng lischer Politiker im Ernste zutrauen, sie würden, wenn auch nur unter dem Vorbehalte des eigenen Vertragsbruches, ein Abkommen eingehen, das trotz dieses Vorbehalts den Engländern fast unberechenbare Dortheile böte, die eS sich bei seiner jetzigen Lage wohl zu Nutzen machen würde — den Bortheil wenigstens, eine Weile die Augen schließen zu dürfen vor Dingen, die eS nicht ändern kann und von denen die Welt eigentlich nichts er fahren soll? Nein, so Lbernaiv ist kein Engländer, am wenigsten ein englischer Staatsmann. Jeder von diesen weiß auch ganz ge nau, wie dir Antwort Rußlands auf das Anerbieten lauten wird. Der Vertrauensbruch des russischen Gesandten in Teheran, der die Theilungsvorschläge seines englischen College» dem Schah direct hinterbrachte, läßt mit Sicherheit auf diese Antwort schließen. Nein, die Verfasser stellen sich nur so naiv; daher auch ihre Anonymität, die Niemanden com- promittirt, wenn die russische Presse di« vorauszusehende Ant wort ertheilt. Sie sind, wie nahe sie der Regierung auch stehen mögen, mit ihrem Latein zu Ende; sie wissen, daß jeder Ver trag, den England in Asien schließt, es zwingt, sich nach einem neuen Bundesgenossen umzusehen, der mit seiner Wehrkraft die Aufrechterhaltung der von England geschlossenen Verträge verbürgt. Mit dieser Erkenntniß des Maskenspieles der Verfasser kommen wir auch dem Zwecke ihres Artikels näher. Nicht di« Russen halten sie für so dumm, sich auch nur formell und zeit weilig die Hände zu binden, wohl aber halten sie die lieben deutschen Vettern für dumm genug, dem mit anderen Bünd nissen drohenden Albion wieder Heeresfolge zu leisten. Der Artikel sollte eigentlich das Motto tragen: „England sucht sofort einen tüchtigen Bundesgenossen, der ihm im fernen Osten, in Kleinasien, Persien und China die Kastanien aus dem Feuer holt; diejenigen, welche nicht alle werden, bittet man, sich London D ... St .... zu melden. Vettern werden bevor zugt." Recht besehen, ist also die Zumuthung, welche die ver kappten Verfasser dem deutschen Vetter stellen, kaum weniger beleidigend, als die bekannten „fünf Zeilen" in Chamberlain'S Edinburger Rede. Wir hoffen, daß man das auch an maß gebender Stelle in Berlin empfinden und trotz aller Sympathien für England die Lehre des größten deutschen Staatsmannes, daß ein Kampf zwischen Deutschland und Rußland ein schwere» Verhängniß für beide Reiche sein würde, beherzigen werde. Der Lrieg in Südafrika. Proteftkuu-LrIuu««». * T-te«-«, 12. November. Ein gestern Abend statt- gehabtes Massenmeeting deutscher Veteranen beauftragte einen Ausschuß, sehr energische Protest- beschlusse gegen Chamberlain zu fassen und dies« Chamberlain und dem amerikanischen Botschafter zu über mitteln. (Berl. Tagebl.) Aus Middelburg in der Capcolonie werden dem „Bureau Reuter" unterm 14. October folgende Einzelheiten über die Hturichtung de» Boerencommandantcu Lotter gemeldet: Die Veröffentlichung deS TodeSurtheilS über Lotter war eine sehr eindrucksvolle Ceremonie. Auf Befehl des Comman- danten, des Majors Maurice, wurden alle Geschäfte eingestellt und die Einwohner der) Stadt, Engländer wie Holländer, er hielten den Befehl, der Ceremonie beizuwohnen. Die Ge fangenen, von den berittenen Truppen des Distrikts und könig lichen Schützen strenge bewacht, wurden auf einen Platz geführt, der von den Truppen der Garnison umgeben war. Der Ex- Commandant zeigte während der Ausführung der Ceremonie keine Furcht, bis zuletzt, wo er ohnmächtig wurde und man ihm bei der Rückkehr ins Gefängniß Hilfe leisten mußte. Am folgenden Morgen wurde er auf einem Hügel westlich von der Stadt hinaerichtet. Augenzeugen rrzählen, daß die Hinrichtung sehr schnell vollzogen wurde. Lotter wurde in einem Ambulanz wagen nach dem Platze gebracht und nachdem er aus demselben gesnegen, war Alles m weniger als zwei Minuten vorbei. — Drei Tage später wurde Piet Wolfaardt, ein notorischer Rebell auS Middelburgs der mit seinem Chef in viele Handlungen der Grausamkeit verwickelt ist, an derselben Stelle hingerichtet, während die Hinrichtung Soeman's, des Adjutanten Lotters, in Tarkastad stattfand. Unter den Holländern herrscht viel Sympathie für diese Rebellen, und Viele glaubten, die Briten würden es nicht wagen, die Todesstrafen zu vollziehen, und sie nehmen noch jetzt an, daß nach Beendigung des Krieges den Verbannten gestattet werden wird, auf ihre Farmen zurück zukehren und sich aller Privilegien zu erfreuen, die sie unter britischer Herrschaft so lange genossen haben. Die holländischen Farmer sind noch immer illoyal und machen den Boercn so viel Mittheilungen als möglich, während sie unseren Truppen jede Information vorenthalten. Die „Daily News" bezeichnet den Befehl des englischen Majors Maurice an die Einwohner von Middelburg, der Ver kündigung des Todesurtheils über Lotter beizuwohnen, als „verbrecherischen Wahnsinn". Der Komik halber verdient folgendes Kuriosum mitgetbeilt zu werden. Das „Bureau Dalziel" erhält auS Brussel die merkwürdige Nachricht, daß die irischen Nationalisten sich mit der Absicht tragen, Präsident Krüger einen irischen Sitz im Unterhause anzubieten. Sie seien der Ansicht, daß die englische Regierung, nachdem sic Transvaal officiell annectirt habe, nichts gegen den Eintritt des Präsidenten Krüger in das Parlament einwenden könne, da sie ihn ja selbst zum englischen Untcrthan gemacht habe. Deutsches Reich. '' Leipzig, 14. November. Zu ihrer früheren, von anderer Seite („Krzztg.") angezweifelten Meldung über die Absicht deS Reichstagsabgeordneten vr. v. Frcge, vom Vice präsidium des Reichstags zurückzutreten, berichtet die „Sckles. Ztg." weiter: „Wir sind in der Lage, unsere Mitlbeilung durchaus aufrecht zu erkalten. In conservativen Kreisen ist thatiächlich seit einiger Zeit vou der Absicht deS Herrn vr. von Frege, vom Reichstagspräsidium zurückzutreten, die Rede, und sein Ersatz durch den Grafen Udo zu Stolberg-Wernigerode wird gegebenenfalls in Frage kommen, wenn auch bisher naturgemäß in der conservativen ReichStagsfraction darüber nicht verbandelt werden konnte, weil sie einfach noch nicht zusammengetreten ist. Freilich wird man an dem festen Willen deS ersten Vicepräsidenten, sein Ehrenamt in andere Hände zu legen, erst glauben können, wenn dieser Wille vollzogen ist; denn bekanntlich sind Rück- trittSabsickten dieses Abgeordneten schon mehrfach verbreitet und geglaubt worden, ohne daß sie sich bewahrheitet hätten. Die Münchener „Allgemeine Zeitung" bemerkt, sie würde «S im Interesse des Reichstags und deS Herrn von Frege halten, den Jeder für einen gutgesinnten und patriotischen Mann ansehe, wenn ihm wohlmeinende FractionSgenossen offen sagen wollte», wie wenig ihm gerechterweise der Vorwurf gemacht werden könne, wenn er daS Amt, daS ihm gewiß keine Freude gemacht habe, abgäbe. Man könne ein guter Parlamentarier bleiben, ohne darum auch auf dem Prästdialsitze deS Reichstags Lor beeren pflücken zu müssen. In der That hat Herr v. Frege dadurch, daß er den dornenvollen Posten eines Reichstags- Vicepräsidenten angenommen und unverdrossen auSgeubt hat, manches schwere persönliche Opfer gebracht. Ihn« kann die Eigenschaft eine« gewissenhaften und energischen Reichstagspräsidenten keinesfalls abgesprochen werden; allein sein scharf prononcirter Parteistandpunct war von jeher der radicalen Linken ein Dorn im Auge, und so kam eS, daß man namentlich seitens der Socialdemokratic alles darauf anlegte, dem Vicepräsidenten sei» Amt zu erschweren und ihn in Verwirrung zu setzen. In der linksliberalen Presse wurde ebenfalls jede kleine „Entgleisung" deS Herrn v. Frege aufgebauscht, sodaß schließlich der so tractirte Bicepräsident thatsachlich nervös werden mußte. Unter diesen Umständen ist dem Genannten bereit- vor der letzten Präsi dentenwahl in seinem eigenen Interesse aus der conservativen Fraktion heraus nahe gelegt worden, auf die Wiederwahl zu dem Ehrenposten zu ver zichten. Herr von Frege aber glaubte, daS Opfer noch weiter bringen zu müssen, um aus diese Weise zu erreichen, daß sein engere» sächsische- Vaterland im ReichStagSpräsidium vertreten bleibe. Ist er aber jetzt selbst zn dem Entschlüsse gelangt, zu abdiciren, so wird die conservative Partei keinen Anlaß haben, ihm zu widersprechen." -7- Berlin, 14. November. (Welfenpläne.) Die welfische „Vaterländische VolkSztg." enthüllt einen beachlenSwerlhen Plan, mit dem daS braunschweigische Welfentbum sich trägt, um im Herzogtbum Braunschweig einen welsischen Prinzen ans Ruder zu bringen. Das genannte Organ prägt seinen Anhängern als „Dogma" ein: „Für den Fall des Hintritts unseres gegenwärtigen Regenten ist der Erbprinz Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (der älteste Sohn des Herzogs von Cumberland) durch unsere Verfassung zur Regentschaft deS Landes berufen und schließt mit dec Uebernahine der Regentschaft die Thätigkeit des Regent- schaftSratbes und die Neuwahl eines anderen Regenten auS." — Von den staatsrechtlichen Ausführungen, mit denen die „Vaterl. VolkSztg." diese Auffassung zu stützen flickt, kann hier nur das Wichtigste hervorgeboben werden. DaS Welsenorgan constrnirt, daß Prinz Georg Wilhelm trotz der etwaigen Weigerung deS braunschweigischen Ministerium», da» Regentschafts-Patent gegenzuzeichnen, doch die Regent schaft recht-wirksam antreten könne, weil da» Patent deS (feit dem 28. Oktober 1898 volljährigen) Prinzen noch keine Ausübung der Staatsgewalt sein würde. An dem Antritte der Regentschaft würde der Prinz weder durch die Organe deS HerzogthumS, noch durch den BunveSrath gehindert werden können. Denn der BundcSrathSbcschluß vom 2. Juli 1885 befasse sich lediglich mit dem Herzog von Cumberland; „um den Erbprinzen Georg Wilhelm zu behindern, müßte deshalb ein neuer BundeSrathsbeschluß ergehen, welcher auch ibn von der Ausübung der Regentschaft ausschlösse". — Das Zustandekommen eines derartigen BundeSraths- beschluffeS hält das Welfenorgan auS folgenden Gründen für unwahrscheinlich: „Unserer laudesfürstlichen Familie Erzfeind, Bismarck, mit seiner Macht - vor - Recht - Politik ist nickt mehr. Und wenn er auch mit seinen Grund sätzen Schule gemacht bat, so wird sich heutzutage kaum rin Staatsmann finden, der kühn und gewissenlos genug wäre, dem deutschen Reiche durch die Wiederholung eines so flagranten RcchtSbruchS neue unheilbare Wunden zu schlagen. Er könnte cS schon deshalb schwerlich wagen, weil statt eines gewissenhaften, lenksamen Mo narchen der impulsive, unberechenbare Wille eines that- krästigen Herrschers über ihn sein Scepter schwingt. Auch ist zweifelhaft, ob heute, wo mit der zunehmenden ReicdSver- drosscnheil auch die BundeSsürsten sich vor preußischen Ueber- griffen allmählich zu schützen beginnen, im BundeSrathe über haupt noch eine Mehrheit zu finden sein würde." — ES bleibe ununtersucht, ob nach tz 2 deS braun schweigischen RegentschastSgesetzes beim Tode des Prinz regenten Albrecht der Prinz Georg Wilhelm als ältester Sohn des behinderten Herzogs von Cumberland als „berechtigter" Regent überhaupt in Frage kommt. Der Schwerpunkt der welsischen Beweisführung liegt offenbar in dem Umstande, daß der BundeSrathsbeschluß vom 2. Juli 188'» in der Tbat lediglich mit der Person dcS Herzogs von Cumberland sich besaßt. Hier also wird beim Ende der Regentschaft deS Prinzen Albrecht die welsischc Agitation einsetzen, und deshalb ist eS nothwendig, daß der AnndeSrath hiergegen die gebotenen Vvr- beugnngSmaßnahmen trifft. Worin die Vorbeugungs maßregeln beim BundeSratb bestehen müssen, springt in dieAugen: eS muß der BundeSrathsbeschluß vom 2. Juli 188"» mutatiü mutunckis auf jeden welsischen Praten- Fsieilleton. Rußland als (Kolonisator. Noch vor einigen Jahren konnte man Leut« fragen hören, üb Rußland colonisiren könne, so wenig waren die großen Erfolge bekannt, di« Rußland durch seine rührige und systematische, ;a zum Therl verschwiegene Arbeit in Centralasien geleistet hat. Als aber die Fortschritte der sibirischen Bahn einmal bekannt wurden, als vor Allem von den großen Unterschleifen bei dem Bau der centralastatffchen Bahnen mehr und mehr in die Oeffent- lichkeit sickerte, da begann man auch außerhalb der Fachkreise sich mit russischer Colonisation zu beschäftigen. Freilich kann man seine Colonisation nicht mit der mühescligen in unseren Schutzgebieten vergleichen. Die russischen Colonien sind keine Schutzgebiete, sondern eroberte» und sofort dem Reiche ein verleibte» Land, sie hängen mit ihm unmittelbar zusammen, und Überall ist genug Militär vorhanden, um dem russischen Adler Respekt zu verschaffen. Dann geht der ganze Einverlcibung»- prouß nach einem Willen vor sich, e» hat kein Parlament, ja nicht einmal die Press« hineinzusprechen, in Folge dessen fehlt es auch niemals an Geld, und selbst nicht an Menschen, di« in mehr oder weniger höflicher Form zur Ansiedelung commandirt werden, und dann bereitet Rußland die Angliederung neuer Provinzen von langer Hand vor. So hat bereits in den sechziger Jahren der große Revolutionär und Anarchist Kropotkin, al» er noch russischer Officier »var, im Auftrage der Regierung, al» chine- flscher Kaufmann verkleidet, die Mandschurei bereist und werth dolle Notizen über sie gesammelt. Kropotkin ist nicht der Einzige gewesen. Ander« sind ihm gefolgt und haben sein Material er gänzt, so daß schließlich die Mandschurei zu dem gegebenen Mo mente al» eine durch und durch bekannte Frucht den Russen in die Hände fiel. AuS dieser laugen Minirarbeit und dem Vorberei tungsdienst kann man schließen, daß die Russen die Mandschurei niemals wisder heraukgeben iverden, woran wohl auch Niemand -weifrlt. Sobald die Soldaten vom Land« Besitz ergriffen, haben, folgen die Ansiedler, und mag auch Diele» von dem. was über die Ansiedelungen geschrieben wird, übertrieben sein, mag e» auch noch «ine große Anzahl Potenkinscher Dörfer geben, im Wesentlichen sind die Berichte über die großen Fortschritte der Besiedelung richtig. Man braucht gar nicht aus russischen Quellen zu schöpfen, man nehme einmal englische her, von denen man gewiß nicht sagen kann, daß sie grau schön roth und schwarz weiß malen. Gerade jetzt liegt wieder ein Bericht in der „Monthly Review" vor. Em Reisender Mr. Colquhcmn schildert da seine Beobachtungen über die Umwandlung der Mandschurei, und ihm folgen wir im Nachstehenden, wenn wir ein Bild dieser neuesten russischen Eroberung zu gelben versuchen. Daß zuerst das Militär colonisirt, das zeigt ein Beispiel. Chaberowsk war vor einigen Jahren, ja noch zu End« vorigen Jahres, eine kleine, schmutzige Stadt. Im Juli und August dieses Jahres befanden sich dort nicht weniger als neunundzwanzig Generale. Diesen Generalen entsprechend, war die Bevölkerung zumeist von der Regierung abhängig, aber sie zählte doch gegen 15 000 Seelen, natürlich zumeist Militär- In jedem Winkel konnte man eine Uniform sehen und in jsoem Hause waren Officiere cinquartiert, im militärischen Club schliefen sie in jeder Ecke und der Casinosaal enthielt meistens sechs oder sieben Betten. Aber diese militärische Einwanderung bringt große Summen mit, und Geld wird nicht gespart. Das kann man am besten bei der Befestigung von Port Arthur sehen. Der Ort selbst und Talienwan, der Endpunkt der sibirischen Eisenbahn, wird für die künftige Bevölkerung aus das Best« vorbereitet. Zu den großen Hafenbauten gesellen sich Boulevards und albgesteckt« Straßenzüge und chinesische Kuli» kommen in Sckaaren herbei und helfen ihr Land russificiren. Der .Handelshafen New - chang ist ganz unter russischer Herrschaft, wenn auch die anderen Mächte auf dem Papier den Russen gleichgestellt sind. Aber die Russen halten die Ruhe aufrecht, sie sorgen sür Ord nung in Handel und Wandel, und gewöhnen so die Bevölkerung und die fremden Kaufleute an die zukünftige Annection. So machen sie es überall, und man kann wohl chinesische Beamt« im Land« genug sehen, ober sie stehen den Russen zur Verfügung, und einen russischen Paß muß man zur Reise haben, ein russischer Zollbeamter taxirt die Maaren, russische Aufseher überall. Russische Bazare treten an die Stelle der chinesischen Märkte, der Bergbau, der früher ganz nr chinesischen Händen lag, ist an russische Syndikate iibergegangen, das Land an den Ufern der Flüsse wird van russischen Ingenieuren vermessen, die Hafen plätze an den Strömen sehen nur russische Danrpfer uns Barten und unendliches Geld wird ausgestreut, so daß die Löhne auf das Doppelte gestiegen sind. Immerhin fehlen genügende An siedler für dir großen und jungfräulichen Provinzen Primorsk und Amur, obgleich das fruchtbare Land mit seinem gesunden Klima billig ausgeboten wird. Diesen Mangel haben die Russen erkannt, und so greifen sie zu einem Mittel, das bezeichnend ist, sie suchen sich die alte Bevölkerung zu assimiliren. Dalbci werden natürlich Russen so viel als möglich nachgeschcbcn. Entlang der transsibitischen Bahn und den Ufern des Amur strömt Jahr aus, Jahr ein der Zug der Einwawoerer und vermehrt sich von Jahr zu Jahr, bis er im letzten Jalhre mehr, als eine Viertel million betrug. Und alle diese Einwanderer waren Leute aus Gegenden, wo sie das Zusammenleben in größeren Dörfern nicht kennen, so daß sie schon an die weiten, großen, unbeivohntm Gegenden gewöhnt sind, und alle diese Einwanderer sind echte Russen, weder Finnen, noch Polen, noch Deutsche sind darunter. Alle diese ausgewählten Familien werden aus großen Entfer nungen herbeigebracht und in Tscheljabinsk versammelt, von wo auS ihre Pilgerschaft in daS Land der Zukunft und des Glückes beginnt. Man begegnet oft genug diesen Einwandcrerzügen auf der Bahn, diesen Zügen, die langsam dahinfahren und schüchtern den Postzügen Platz machen. Die Wagen gleichen denen unserer vierten Classe, sind aber zu zwei Dritteln des Raumes zum Schlafen eingerichtet. Jede Familie hat ihre eigene Abteilung, trockenes Stroh und Heu zum Lagern, Töpfe «und Pfannen und einen kleinen Haushalt. Heißes Wasser wird auf allen Stationen frei verabreicht, während Milch, Eier, Brod und gelochtes Fleisch, das von den anwohnenden Bauern zur Station gebracht wird, be zahlt werden muß. Oft genug wird unter einem hölzernen Schuppen Markt gehalten. Wenn Stretenil erreicht ist, wa» nach einer bestimmten Anzahl von Tagen geschieht, werden die Colonist-n in Fluhbarken gepackt und schlafen darrt wie die Sar- dinen, kochen, essen und fahren mit ihrem Hansrathc und Bündeln ihrer neuen Heimath sorglos entgegen. Einige von diesen Ein wanderern sind Kosacken, aus dem Kaukasus, mit ihrem Hei mann, oessen langer, schwarzer, mit Silber gestickter Rock uns dessen schöne Waffen ihn selbst zu einer sehenswerthen Figur in dem unrformreichcn Lande machen. Colqul-oun begegnete einem solchen, der sich in der Primorsk-Provinz angesieoclt hatte, uns dieser Mann war- voll Bewunderung für seine neue Heimath, und tonnte nicht genug Worte der Genugthuinig über den fruchtbaren Boden, das schöne Klima und die günstigen Ansiedelungsbc dingungen finden. Die Regierung giebt jedem männlichen Colo- nistea dreißig Deßjatin-n Land, so daß eine Familie mit vielen Söhnen ein sehr großes Besitzthum erhält. Ackergeräthc und Vieh, wohl auch ein Vorschuß cm Geld, ,vir>d ebenfalls gegeben. Mit der Ansiedelung wird freilich summarisch verfahren. Viele Ansiedler werden einfach in Zwischenräumen an den Ufern des Amur oder seiner Nebenflüsse, an Plätzen, di« der Generalstab ausgesucht hat, abgesetzt. Hier finden sie Holz zum Bauen. Fische, und schließlich täg lichen Absatz für ihr: Produkte, die sie an die Insassen der vorüberfahrenden Boote verkaufen. Eigentliche Ortschaften sind sehr weit von einander entfernt, Schulen giebt es nur in den größeren Orten, und sowächstcingroßerTheil der jugendlichen Ansiedler ohne Erziehung in einem halbbarbarischen Zustande auf. Auf russischen Karten machen diese Ortschaften einen sehr guten Eindruck, insofern sic eine starke Bevölkerung vorspiegeln. für die große Gegend sinn sie nur ein Tropfen im Ocean. Eine hölzerne, weiß angestrichcne Kirche mit einem grünen Dache und einer grünen Kuppel, darum einige roh gebaute Häuser und Hütten, noch mehr Holz, um mehr zu bauen, mit Einwohnern, die kaum mehr haben, als etwas Milch. Eier und Fische und ein wenig Korn, und die sich bei ihrem Schnaps und einem zer brochenen Accordeon vergnügen — das sind die Ortschaften am Amur. Die Schilderung ist nicht verführerisch, aber was thut's, das Land wird doch bevölkert, und »nenn die Eiimnndrrung und die natürliche Vermehrung fortschreitct, so ist in wenig Jahren an Stelle der wüsten Ortschaft eine schmucke Stadt mit Laden und Bazarou getreten, und die Bauern kommen auf Karren gefahren und baden mehr, als sie brauchen, zu Hause, denn ft: kommen zu Markte, um zu verkaufen. ^Schluß folgt.)
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