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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011119022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901111902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901111902
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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8222 land, wenn auch im Jahre 1829 der Religionsunterricht von dem übrigen Unterricht für Irland getrennt wurde. Doch die „Köln. VolkSztg." begnügt sich nicht damit, England gegen den Wreschcner Procetz auszuspielen: auch Rußland muh her halten. Es wird nämlich wieder einmal das Gespenst russisch deutscher Kämpfe heraufbeschworen und im Hinblick hierauf davor gewarnt, daß Rußland durch eine energische Polen politik Preußens in die Lage gebracht werde, sich der Polen gegen das deutsche Reich zu bedienen. Es wäre in der That traurig um die Sicherheit des Reiches an der Ostgrenze bestellt, wenn sie von dem guten Willen der Polen abhinge. Da aber die „Köln. Bolksztg." die angebliche Begünstigung der Polen durch den Zaren der preußischen Regierung als Muster vorhält, wollen wir die „Köln. Volksztg." an die Kritik erinnern, die der „Dziennik Berlin ski" vom 4. Juli d. I. an ihrer Auffassung in folgenden Worten geübt hat: „Ist es keine Lüge, wenn die sogenannten Führer der polnischen Nation im preußischen Antheil zu unseren „barbarischen" Brüdern, den Russen, hinseufzen, obwohl sie wissen, daß wir von diesen nichts Gutes erwarten können, obgleich sie wissen, daß zu ebenderselben Zeit diese „lieben slawischen Brüder" unsere Landsleute i n demselben Maßstabe verfolgen, wie es die Preußen thun? Durch diese Lügen wollen die großen Politiker d i e Preußen einschiichtern und sie zu einer milderen Be handlung von uns zwingen." — Dem braucht weiter nichts hin zugefügt zu werden, als der Hinweis, daß das Polenblatt am Rhein den gleichen Standpunkt wie die „Führer der polnischen Nation" in der gleichen Absicht vertritt. Zn seiner gestrigen AbgeordnetenhauS-Rede trat der ungarische Ministerpräsident v. Szell den Vretbundfcindlichcn Aeußerungen deS Mitglieds der klerikalen Bolkspartei Stefan Rakowsky entgegen. „Auf den Herrn Abgeord neten", sagte der Ministerpräsident, „wirkt die Betonung deS innigen Verhältnisses zu unseren Bundesgenossen wie ein rotheS Tuch. Er bäumt sich förmlich dagegen auf; obwohl er auch für Italien spricht und schwärmt, ist eS besonders Deutschland, daS seinen Sym pathien ferne steht. Ich erkläre nun, daß dieses innige Bündniß mit Deutschland und Italien im Interesse der Monarchie und Ungarns liegt, wie der Bund andererseits ein großes Interesse Deutschlands und Italiens bildet. Rakowsky hat vorgebracht, daß Preußen stets die Habsburger und deren Monarchie befehde. Diese Behauptung ist anachro nistisch. Der Krieg von 1870 hat die Situation völlig verändert. Die Haltung unseres weisen und großen Monarcbkn, seine nur von Pflichtgefühl und Liebe zu seinen Völkern erfüllte Stellung nahme und die Gründung deS deutschen Reiches, alles dies und die geschichtliche Thatsache, die die preußischen Be strebungen auf ein ganz anderes Gebiet verlegt unv die preußische und deutsche Politik durchaus umgewandclt bat, sowie die Persönlichkeiten, die Deutschlands Politik heute lenken, sind viel zu bedeutend — unter diese gehört in erster Reihe der große deutsche Kaiser —, als daß man jene überwundenen Traditionen noch ausgraben könnte." (Lebhafte Zustimmung und Beifall rechts.) Der Ministerpräsident analysirte so dann eingehend die Bedeutung des Dreibundes und sagte von ihm, daß er jedem der drei Staaten Macht unv Sicherheit gewährt, wie keiner anderen Allianz. „Ueber- dieS hat das Bündniß", fährt Redner fort, „einen solchen Charakter, daß eS ein vollkommen gutes Einvernehmen mit anderen Mächten nicht auöschließe, und daß Englan d, obzwar cS dem Bündnisse nicht beigetreten ist und der dort herrschenden Tradition gemäß auch nicht beitreten wird, sich dennoch an Las Bündniß anlehnt. DaS Bündniß ermöglicht ferner, daß bezüglich jener Interessen, an die der Dreibund auf dem Balkan nicht denkt, wir behufs einer freien Entwickelung der Balkanstaaten mit Rußland im Einvernehmen zusammen geben können. (Zustimmung rechts) Was den Vorwurf be trifft, daß wir wegen deS Dreibundes rüsten, so ist dies unrichtig; denn unsere Sicherheit liegt in erster Linie in unserer Wehrkraft. Was den Alldeutschen Verband be- trifft und ferner, waS die Behauptung bezüglich des Gustav Adolph-VereinS und deS Schulvereins betrifft, so bin ich dem Abgeordneten Rakowsky ver bunden, daß er mir Gelegenheit zu zwei Bemerkungen ge geben hat. Erstens, falls ich wahrnebmen würde, daß ein pangermanischcr Verein hier gegen den ungarischen Staat oder gegen die Monarchie, gegen die Integrität des Landes oder die politische Einbeit der ungarischen Ration Agitation betreibt, so werde ich dem unter allen Umständen entgegen treten. (Lebhafter Beifall rechts.) Wir werden nicht ge statten, daß die hier lebenden deutsch sprechende» Staatsbürger, die treue Söhne des Vaterlandes sind, durch Agitatoren — kommen sie nun aus Deutschland oder anderswoher — in ihrer Treue erschüttert werden. Die zweite Bemerkung ist die, daß jene Bestrebungen, die die alldeutschen Vereine zu verbreiten bemüht sind — ich spreche das auf Grund authentischer Informationen auS — von den leitenden Kreisen Deutschlands keinerlei moralische oder anderweitige Unter stützung genießen. Keine deutsche Regierung steht in Fühlung mit dieser Agitation; am entferntesten steht ihr die preußische Negierung. Dies kann ich mit völliger Bestimmtheit unv Posttivitäl behaupten." (Lebhafter Beifall rechts.) Dem soeben erschienenen Jahresbericht deS Board of Trade über die englischen Trade Untons zufolge hat sich während deS IabreS 1900 die Mitgliederzahl dieser Ge nossenschaften von 1 800 869 auf 1 905 116, also um 104 247 oder um 5,8 Proc. gegen das Vorjahr vermehrt. Ein Ver gleich bezüglich des WachSthumS der Mitglieder mit den Ver hältnissen früherer Jahre zeigt, daß die Zunahme der Mit glieder in 1900 eine höhere Rate aufweist, als in einem der Jahre 1892 bi- 1899. Eine Erklärung findet diese gesteigerte Vermehrung der Trade-UnionS-Mitglieder in dem starken An wachsen der in den Eoal Mining UnionS zusammcngeschlvssenen Grubenarbeiter, denen in dem genannten Jahre 73 534 neue Mitglieder beigetreten sind, so daß etwa drei Viertel der Gesammtvermebrung der Trade-UnionS-Mitglieder auf diese Vereinigung entfällt. Zu den Mitgliedern der Trade UnionS, die auS 1272 einzelnen Verbänden sich zusammcnsetzen, gehören 122 047 oder 6>/z Proc. Frauen und Mädchen, die auf 138, hauptsächlich ans in Werkstätten mit weiblichen Betrieben beschäftigten Mitglieder bestehende Vereinigungen sich ver- theilen; so gehören 95 975 oder nahezu 79 Proc. aller weib lichen Trade-Unionisten der Baumwollindustrie an. DaS Einkommen der 100 größten Verbände betrug 1900 nahezu 40 Millionen Mark oder 2 Millionen Mark mehr als im Jahre 1899. In noch höherem Maße sind aber auch die Ausgaben gestiegen, sie betrugen 1900 über 29,8 gegen 25,6 Millionen Mark deS Vorjahres. Trotzdem bat sich daS Vermögen der Trade UnionS noch um annähernd 10 Millionen Mark gegen den Stand von 1898 vermehrt; eS wird gegen wärtig auf 75,34 Millionen Mark angegeben. Die schnelle Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit erhellt am besten aus eineni Rückblick auf das schon vorher in Vergleich ge stellte Jahr 1892. In diesem betrugen die Einnahmen 29,4 Millionen Mark gegen 40 Millionen Mark jetzt, die Ausgaben 28,6 gegen 29,8 Millionen Mark jetzt und der VermögenSstand 32,4 Millionen gegen 75,34 Millionen Mark jetzt. Die Ausgaben zerfallen in zwei Haupt gruppen, Streikgelder und Unterstützungen. Von den während der letzten 9 Jahre für beide .Zwecke aufgewendeten 270 Millionen Mark (in 100 Trade UnionS) entfallen 160 Millionen Mark oder 60,3 Proc. auf Unterstützungen arbeitsunfähiger, kranker oder alters schwacher Mitglieder, Bestreitung der Kosten für Leichen begängnisse u. s. w. Nicht weniger als 55 Millionen Mark oder 20,2 Proc. der Gesammtsumme wurden für Streikgelder verwendet, die restirenden 19,5 Proc. stellen Geschäftsunkosten und Ausgaben verschiedener Art dar. Dieser durchschnittlich sür LohnauSsälle, die durch Ausstände ver ursacht wurden, gezahlte Betrag bat jedoch in einigen Jahren der erwähnten Periode eine Erhöhung oder Verminderung erfahren, je nach Dauer und Umsang der einzelnen Streik bewegungen. Deutsches Reich. L Leipzig, 19. November. Geh. Rath Professor v. Fricke-Leipzig, der frühere langjährige erste Vorsitzende d-S Eentralvorstandes der evangelischen Stiftung deS Gustav-Avolf-Vereins, hat folgendes ZustimmungS- schreiben an Theod. M o m m sen - Ebarlottendurg zu dessen Erklärung über die Voraussetzungslosigkeit der Forschung gesandt: Leipzig, den 16. November 1901. Verehrter Herr College! Haben Sie Dank sür Ihr leider zeitnothwendiges Wort in den „Münchn. Reuest. Nachr.", daS ich eben lese. Nur mit dem Aus- drucke „DaS gewaltige Geistes werk des Papstthums" bin ich nicht einverstanden. ES ist die gefälschte Religion des entgeisteten Mechanismus, der zu Allein gemißbraucht werden kann. Wir sind auf dem Wege der Fälschung nicht bloS der Wissenschaft, sondern des Charakters der Nation. Verehrungsvoll und dankbar An v. Mommsen. Ihr ergebener I). Fricke. Berlin, 18. November. (Wie ein alter Franzose die bensche Armee im Jahre 1870 beurtbeilt.) In einem kürzlich erschienenen Buche «Fang isl's her", heitere und ernste Erinnerungen aus dreißigjähriger Dienstzeit im Frieden und Krieg, von Konrad Alberti, Oberstleutnant a. D. (Berlin und Leipzig, Verlag von Friedrich Luckhardt), erzählt der Verfasser eine hübsche Episode, die eine passende Illustration zu den Ehamberlain'schen Schmähungen unserer Armee bildet. „Als in einem Dorfe, aus dem Marsch nach Compiögne, meine Geschäfte, die ich beim Durchreiten zu erledigen hatte, erledigt waren, sagte mir der Maire, der, wie alle seine College», die ich kennen gelernt habe, sehr liebenswürdig war, daß er eine Bitte an mich hätte. Ein alter achtzigjähriger Herr, der ge lähmt sei und nicht gehen könne, hätte den dringenden Wunsch, ein« mal einen Prussien zu sehen und mit ihm zu sprechen, ob ich diesen Wunsch erfüllen wolle? Ich war sofort dazu bereit und fand einen ur alten, wachsbleichen Mann mit weißem Haar und lebhaften schwarzen Augen ans seinem Bette, meiner wartend. Er hieß mich mit ganz frischer Stimme herzlich willkommen und dankt« mir mit einem Hände druck. Dann mußte ich mich an sein Lager setzen und mit ihm eine Flasche Burgunder trinken. Er erzählte nun, daß er schon 1814 die Preußen kennen gelernt hätte und seine Landsleute in ihrer großen Furcht vor den schrecklichen Ulanen immer beruhigt hätte. „Ich bade ihnen gesagt, die Söhne werden ebenso brav und gut sein, wie die Väter gewesen sind, und so war eS auch in Allem." Seiner Lähmung wegen hotte er immer nur die Truppen von Weitem ge sehen, aber mit Niemand sprechen können. Ich war der erste Prussien, mit dem er sich nach über einem halben Jahrhundert wieder unterhalten konnte. Al- er daS Eiserne Kreuz sah, rief er: „Ach, ich erinnere mich sehr gut, ganz wie damals. Ihre Väter trugen es auch an der Mütze und im Tschako." Ich blieb wohl an eine Stund« bei ihm und als ich schied, reichte er mir die Hand und sagte: „Sie sind wohl der letzte Preuße, den ich spreche. Ich habe sie nun zweimal in meinem Leben gesehen und gesunden, sdaß die Söhne ebenso gut wie die Väter sind. Zum dritten Male werde ich e- nicht wieder erleben und hofse dasselbe für Frankreich." * Berlin, 18. November. (Versammlungen von Arbeitslosen.) Heute Vormittag fanden acht zahlreich besuchte Versammlungen von Arbeitslosen Berlins im Norden, Centrum, Osten und Südwesten statt. Die Tagesordnung lautete überall: „Die gegenwärtige Krise, die Arbeitslosigkeit und wie ist Abhilfe möglich?" ES sprachen die socialdemo kratischen Abgeordneten I. Auer, R. Fischer, W. Pfannkuch, M. Schippel, A. Stadthagen, E. Wurm und F. Zubeil und Stadtverordneter Th. Glocke. Die Gesammtzahl der Besucher wird auf rund 10 000 Personen geschätzt, unter denen sich auch Frauen befanden. I» allen Versammlungen, zu denen auch berittene Schutzleute aufgeboten waren, wurden gleich lautende Beschlüsse gefaßt, in welchen die Versammelten die Berliner GewerkschaflScommission beauftragen, dem Magistrat und Stadtverordneten-Collegium und der ReickS- regierung eine Reibe Maßnahmen zur Linderung der Noth zu unterbreiten. U. A. sollen alle städtischen unv staatlichen Bauten, die in Vorbereitung, sofort zur Ausführung gelangen. Außerdem wenden sich die Beschlüsse gegen die Erhöhung deS Zolles ans die uothwenbigsten Lebensmittel. Die Versamm lungen verliefen ruhig und ohne besondere Zwischenfälle. Mehrere mußten wegen Uebcrsüllung polizeilich gesperrt werden. Die Resolution soll dem Oberbürgermeister und der Regierung überreicht werden. * Berlin, 18. November. (Die Amtsbezeichnungen der höheren Postbeamten.) Die von den höheren Be amten der Reichs-Postverwaltung schon lange gehegten Wünsche wegen anderer Amtsbezeichnungen sind durch den Staats sekretär deS Reichs-Postamts Kraetke ihrer Erfüllung nunmehr entgegengesührt worden. Die Aenderungen sollen alsbald ein treten. Zum Unterschied von denjenigen Postsekretären, welche nach der PovbielSki'schen Reform auS der Classe der Ober- Post-Assistenteu hervorgehen, sollen diejenigen Sekretäre, welche alS Posteleveu eiugetrcten sind, die Amtsbezeichnung „Post- praktikant" erhalten. Diejenigen von diesen Beamten, die die höhere Verwaltung-Prüfung für Post und Telegraphie ab gelegt haben und sich in der Stellung von Ober-PostdirectionS- Sekretären oder Obersekretären befinden, erhalten die Amts bezeichnung „Ober-Postpraktikant". Der sür diese Be amten aus ibren dringenden Wunsch vom Staatssekretär erstrebte Titel „Postassessor" ist wegen deS von den juristischen Verwaltungs beamten entgegengesetzten Widerstandes nicht durchgegangen. Sämmtlicben Post- und TelegraphenamtS-Cassirern, die die er wähnte Prüfung abgelegt haben, wird der Titel unv Rang eines PostinspectorS beigelegt. Zugleich bekommt die dienställere Hälfte dieser Beamten den höheren Wohnung-- geldzuschuß der Räthe IV. Classe. DaS Gleiche gilt sür die bunbert ältesten Ober-PosldirectionS-Sekretäre im ReichS- Postgebiet, soweit sie die höhere Prüfung abgelegt haben. Der Titel „Ober-Poslcommissar", der für die Bezeich nung „Ober-Postpracticanl" geplant war, ist im Einklang mit den Anschauungen der höheren Postbeamten fallen ge lassen worden. (Frkf. Ztg.) — Die vereinigte Ausschüsse des Bundes rat Hs für Rechnungswesen und für Eisenbahnen, Post und Telegrapheu hielten heute eine Sitzung. — Ter erste Bicepräsivent des Reichstags vr. v. Frege suchte krankheitshalber um einen Urlaub von sechs Monaten nach und legte deshalb sein Amt als Vicepräsident nieder. — Wie da- „Berl. Tagebl." auö Rom meldet, empfing der Papst den Redacteur der „Köln. VolkSztg." 0r. Huppert in halbstündiger Privataudienz. I)r. Huppert in- formirte den Papst über die politischen und religiösen Ver hältnisse Deutschlands, speciell über den Fall Spahn. — Nach einer anscheinend osficiösen Darlegung ist die Etatsaufstellung in Preußen noch nicht beendigt, und zwar wesentlich deshalb, weil man bei dem erheblichen Rück gang der Eisenbabneinnahmen, um eine möglichst sichere Unterlage für die Veranschlagung derselben zu gewinnen, nicht bloS die fünf Monate de« laufenden Jahres bis zum 1. September zur Beurtheilung heranziehen, sondern auch möglichst viel von den Ergebnissen der nächstfolgenden Monate dazu verwerthen möchte. Man werde daher erst jetzt an die definitive Veranschlagung der Eisenbahneinnahmrn und deS EisenbahnüberschusseS herantrrten, und wenn diese Veranschlagung erfolgt ist, dann auch die Verhandlungen mit den anderen Verwaltungszweigen über ihre Etats zum Abschluß bringen können. — In der letzten im ReichS-Bersicherung-amte über JnvalidenversicherungSfragen abgehaltenen Conferen; ist u. a. Meinungseinigkeit dahin erzielt worden, daß die Dauer der Theilnahme an der Expedition nach China wie eine Dienstleistung in Kriegs- und Mobil- machungSzeiten angerechnet werden soll. Da im Invalidcn- versicherungSgesetze eine Bestimmung getroffen ist, wo nach als Beitragswochen, ohne daß Beiträge ent richtet zu werden brauchen, diejenigen vollen Wochen in Anrechnung gebracht werden, während deren Ver- icherte behufs Erfüllung der Wehrpflicht in Friedens-, MobilmachungS- oder Kriegszeiten zum Heere oder zur Marine eingezogen gewesen sind oder in MobilmachungS- oder KriegSzeiten freiwillig militärische Dienstleistungen ver richtet haben, so bedeutet der Beschluß, daß den Theilnehmern an der Cbinaexpedition die Zeit derselben als volle Ver- sicherungSzeit bei einem etwa später eintretenden InvaliditätS- salle angerechnet werden wird, ohne daß sie dafür die Ver sicherungsbeiträge entrichtet haben. — Die im ReichSjustizamt seit längerer Zeit in die Wege geleiteten Vorarbeiten sür die im Anschluß an da« Bürgerliche Gesetzbuch zu gestaltende Regelung deS Privat- versicherungSrechtS stellen sich als recht schwierig dar. Es steht aber zu erwarten, daß die im Laufe ves Winters noch zu berufenden Sachverständigen sich mit dem vorläufig Festgestellten im Wesentlichen einverstanden erklären. — Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen hat, wie da- „B. T." erfährt, de» Eisenbahu- Directionen bekannt gegeben, daß unter der Voraussetzung der verfassungsmäßigen Festsetzung deS Etat- für daS Jahr 1902 und der landesherrlichen Genehmigung einer Aenderung der Verwaltungs-Ordnung der Staatseisenbahnen vom 24. De- cember 1894 zum 1. April 1902 eine Neuregelung des technischen Telegrapheu- und Sicherungswesens nach besonders aufgestellten Grundsätzen in Aussicht ge nommen ist. Danach werden die Telegraphen-Jnspec- tione» am 1. April 1902 aufgelöst, und eS geben die bisher von ihnen wahrgeuommenen Geschäfte zum Theil auf die Eisenbahn-Directionen, zum Theil auf tue BetriebS-Jnspec- tioneu über. Die Beamtenclasse derTelegraphenmeister wird mit derjenigen der Bahnmeister vereinigt. Die Aus bildung der künftig auch zur Wahrnehmung des technischen Telegraphen- und elektrischen Sicherungsdienstes berufenen Babnmeister 1. Classe und Bahnmeister wird durch eine zeitweilige Beschäftigung in der der Eisenbahn-Direction unterstehenden Telegraphen-Werkstätte vervollständigt. — Die Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg haben sich dem Allgemeinen deutschen Schulverein zur Erhaltung des DeutschthumS im Au-lanke als Mitglieder angeschlossen. — Wie die „Natlib. Corr." hört, sind Versuche im Gange, um wieder wie bei Berathung des 1878-79er Zolltarifs eine intcrsraclionelle wirtbschaftlicheVereiuigungzu Stanke zu bringe». Welchen Erfolg diese Bemühungen haben werden, ist Zur Zeit noch gar nicht abzusehen. — Der Berliner Kriegsveteranenverein „Kaiser- Wilhelm der Große", der am Sonnabend in Berlin tagte, hat gegen die Erklärung de- Vorstandes des Deutschen KriegerbundrS in Sachen Chamberlain protestirt. Gerade sie, die Krieger, gehe eü in erster Linie an, sie seren bcleidiztworden,auch seien sie eS ihren gefallenen Kameraden schuldig, derartige Verleumvungen energisch zurückzuweisen. — In einer gestern Nachmittag abgehaltenen Sitzung deS Kriegerverbandeö des Kreises Mülheim a. R., an welcher 37 Kriegervcreine theilnahme», beantragte ein Delegirtcr, Stellungnahme zu Chamberlain- Verleumvungen zu nehmen. Der Vorsitzende entzog jedoch dem Red ner das Wort unter Hinweis auf die Vekanntmachuug, wonach eS nicht Sache einzelner Soldaten oder von Ver einigungen ehemaliger Krieger sein dürfte, Angriffe gegen die deutsche Kriegführung zurückzuweisen. Glücklicher weise kann der Berliner Wind daS Feuer nicht ausblasen. — Die Studentenschaft von Halle a. S. hatte sich heute Abend vollzählig in den Kaisersälen eingefunden, die großen Räume bis auf den letzten Platz füllend, um gegen die Cbambcrlain'schen Beleivigungen der deutschen Armee zu protestiren. Geh. Rath Lindner, Professor der Geschichte und einstiger Thrilnehmer am Feldzüge 1870/71, hielt die Hauptrede. Von der Versammlung wurde folgende Reso lution einstimmig angenommen: „Die Hallesche Studenten schaft erachtet das Gereve Chamberlain'-, als auf falschen Darstellungen beruhend, weiterer Beachtung nicht sür würdig." Der Versammlung wohnten auch zahlreiche Mitglieder des Lehrkörper» der Universität bei. die blonde Eleonore, schon seit Jahren ein Auge auf seinen Neffen geworfen hatte, daß dieser sich jedoch nicht allzu sehr dieser Bevor zugung freut«, weil er überhaupt vorläufig keiner Dame ernstlich den Hof machte. Um Vie eingcladene Altistin Fräulein Biela» zu einigen Aufmerksamkeiten gegen Graf Ferdinand zu reizen, hatte der alte Graf der Einladungskarte eine Visitenkarte Ferdi nands mit einer Hundertmarknote beigefügt, und auf die Visiten karte die Worte gesetzt: „Habe Sie schon in Berlin bewunvert und kann nicht umhin. Ihnen auch meinerseits ein kleines Zeichen meiner Verehrung, unabhängig von der Erkenntlichkeit meines Onkels, beizufügen." Er that dies, nachdem er genaue Erkundigungen eingezogen, was man Fräulein Biela» bieten dürfe; natürlich ohne Ferdi- nand's Wisse». „Sie wird avanciren und Eleonore wird eifersüchtig zum Tottlachen", murmelte der Greis vergnügt vor sich hin. Seine Hauptsorg« galt natürlich der Regelung der Parfüm frage; die lange nicht benützten Festräume konnten trotz Lüftung und gründlicher Reinigung einen gewissen Modergeruch nicht los werden, und so war hier vielleicht «in« Luftverbesserung eher am Platze als anderswo. Dieser Aufgabe widmete sich der Greis mit allem Eifer, tvorin ihn Graf Ferdinand bestens unterstützte. Im großen Ganzen gab eS außer den Hofbällcn in H . . . nur die Bälle der höheren Hofbcamten, wie Gawindt'S, Vietz- Bl'eh'S und des Hofmarschall- v. Bär, bei denen die bessere Gesell schaft Ihresgleichen treffen konnte. Diese Bälle glichen einander wie ein Ei Dem anderen, besonders in Bezug auf Langeweile, höchstens, daß man auf den Bällen deS Ministers gut that, vor her ausgiebig zu speisen, oder daß bei Dietz-Vieh die Bälle, so weit die Herrenwelt in Betracht kam, in Bacchanale auSarteten; man erzählte sich, es hätten da einige Male die letzten Touren, die so hübsch auf der Karte gedruckt waren, nicht mehr getanzt werden können, weil — das war gewiß Verleumdung — die Herren voll deS süßen Weines waren. Wenn Graf Vesan ein Ballfest gab, konnte man schon auf da» Geqentheil von Langeweile hoffen, dafür war er aus früherer Zeit bekannt, was aber ehedem seine Ballfeste ausgezeichnet, war der wohlanständige Ton, der da geherrscht hatte. Es waren seine Bälle eben weder Hungercuren, noch Trinkgelage; man fand Alle- reichlich vor, aber man hütete sich, Mißbrauch mit dem Alkohol zu treiben, denn da kannte der Graf keine Rück sichten. Das wußte man, was man aber nicht wußte, war der Grund, dec den alten Grafen bewogen haben mochte, aus seiner Zurück, gezogenheit herauszwtreten und plötzlich einen Ball zu veran stalten. Di« Ursache wußte man mcht — und mußte sich mit Vieser Unkenntniß begnügen. Es war nach keiner Seite gespart worden; um den Ball modern und glänzend erscheinen zu lassen, dafür hatte schon Graf Ferdinand gesorgt, dem der Onkel nicht umsonst unbe schränkten Eredit eingeräumt hatte. Jedermann war mit dem Concert, das «in gewähltes Programm aufwieS, zufrieden; hierbei fiel es weniger auf, auch den Redacteur Trael anwesend zu finden, da man annahm, er werde bei Beginn des eigentlichen Ballfestes verschwinden. Ter Commissionsrath Fahrer allerdings ärgerte sich in drei- oder vierfacher Hinsicht, vor Allem, weil Trael da war, während sein neuer Redacteur keine Einladung erhalten hatte, weil ihm der Anblick Eder's verhaßt war, und endlich, da ihm nichts übrig blieb, als selbst Notizen für sein Blatt zu machen. Er hielt sogar das für eine geistige Arbeit, die doch unter allen Um ständen Sache seines bezahlten RedacteurS war. Dem Grafen Ferdinand kam eS so vor, als ob die Altistin Bielau sogar während des Vortrages ihrer Piöcen mit irgend Jemand in der Zuhörerschaft liebäugelte; das fiel auch Anderen auf, nur daß diese Anderen daS Richtige riethen und Ferdinand für das Ziel all' dieser feurigen Blicke hielten. Eleonore von Gawindt, welche mit Vater und Mutter einem Zufall (?) zufolge dicht neben Graf Ferdinand Platz erhalten hatte, merkte dieses Mienenspiel der koketten Sängerin und konnte ihren heimlichen Aerger darüber kaum bemeisiern. Während der Programm pausen sprach Ferdinand als vollendeter Cadalier natürlich mit seiner nächsten Nachbarschaft und mithin auch mit der Tochter des Ministers, in dessen Haus er viel verkehrte. Eleonore ver mochte sich jedoch nicht so weit zu beherrschen, um die Frage zu unterdrücken: „Sie kennen Fräulein Bielau wohl von Ber lin her?" „Ich? Gnädiges Fräulein, aber nein! Ich höre sie heute zum ersten Male im Salon; in Berlin, ach richtig, sie soll aus Berlin sein . . . Nein, dort hatte ich auch nicht die Ehre . . . Doch, wir kommen Sie auf diese Frage?" „Ich dacht« nur; mir schien es so. Ich habe mich also ge täuscht . . . ." „Allerdings", gab der Adjutant zu, „mir fiel auch etwas eine übertriebene Koketterie bei der Dame auf..." „Nicht wahr?" „O- Sie meinen, dir Blicke hätten mir gegolten, nein, nein, — so eitel bin ich nicht .... und außerdem ..." „Außerdem? Sie meinen, Herr Graf?" „Ach ja . . . außerdem ist dergleichen mein Fahrwasser nicht; ich wüßte nicht, wie ich zu solcher Auszeichnung käme. Ver dient habe ich Sie jedenfalls nicht." „Hm! Ich kenne Sie ja, Herr Graf, und glaube Ihnen auf's Wort; indeß, solche Damen sollen bisweilen gefährlich sein . . ." „So? Darin habe ich weder Erfahrung, noch Kenntniß, und will auch keine erwerben; im Gcgentheil, meine Ansichten . . ." „Jawohl, lieber Graf, Sie haben mir diese oft kund gegeben, ich habe sie nicht vergessen " Ferdinand blickte die Blondine diesmal genauer an, sie war nicht übel, während ihr so ein Schauer von unverkennbarer Eifersucht über das Gesicht hinblitzte. Er war ihr ja immer schon hold, wenigstens mehr geneigt, als irgend einer anderen Dame von H . . ., aber, aber das leidige Geld! GawindtS hatten ihren Gehalt und irgend ein verhypothekteü Gut, was wußte er! Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht. Wozu auch? Ans Heirathen Ivar doch nicht zu denken. Also, die Kleine war wirk lich eifersüchtig, mithin dachte sic doch ans Heirathen! Komisch, fürwahr! Er hatte einmal mit dem Onkel darüber gesprochen, da kam er schön an; das war vor zwei Jahren. Ach das Geld! Zu Lebzeiten des Onkels war demnach an einen eigenen Haus stand nicht zu denken, und ins Blaue hinein einem Mädchen den Hof zu machen, war Ferdinand'S Sache nicht. Er dachte darin zu ehrenhaft. Allein es ging ihm jetzt doch im Kopf herum. Der zweite Theil des Concertes begann, in welchem die Altistin Bielau oder, wie sie auch sonst genannt wurde, die feurige Margrete, ein Solo hotte. Das Augen- und Mienenspiel der Sängerin begann von Neuem und wurde von zwei Personen ganz be sonder» aufmerksam verfolgt, die dadurch miteinander in einen Contaci kamen, welcher zwar ihrem musikalischen Genuß sicher Abbruch that, aber ihrer sonstigen Annäherung recht heilsam war. Trieb es di« Sängerin auf dem Podium gar zu arg, so konnte sich Graf Ferdinand nicht enthalten, sich durch einen Seitenblick zu vergewissern, welchen Eindruck die Koketterie der „feurigen Margrete" auf Eleonore machte. Die Blicke begegneten sich, Ferdinand lächelte und Eleonore erröthete, ob vor Unwillen oder aus anderem Grunde, war vorerst nicht zu ermitteln. Gleich an daS Concert schloß sich die Festtafel, die, nur mit einigen Gängen bedacht, durch ihre Gediegenheit allgemein befriedigte; an ihr nahmen auch die Concertirenden, sowie Trael und Eder Theil, was sehr bemerkt wurde. Endlich gegen 10 Uhr öffnete sich der Tanzsaal und Graf Ferdinand führte Eleonore zum ersten Tanze, während Herr Trael mit Margrete tanzte. Das Gespräch der Sängerin drehte sich hauptsächlich um Graf Ferdinand, dessen Verhältnisse Margrete von Trael zu erfahren suchte. Aber auch zwischen Ferdinand und Eleonore bildete die Sängerin da» Gesprijch-tbema, so weit der Tan« ein solche» »«ließ; denn Margrete ließ nicht ab, nach dem Grasen be jeder thunlichen Gelegenheit ihre Liebesblicke zu senden. Der alte Graf freute sich seines Werkes, er sprach viel mit der Frau Minister Gawindt und machte sie auf die lebhafte Unter haltung zwischen Eleonore und Ferdinand aufmerksam; die arme Mutter hätte Beide gern als ein Paar gesehen und wußte genau, daß nur der Widerstand des alten Grafen das bisher verhindert. Sollte sie die Worte des Greises für Spott halten? Ein Diener trat an den Grafen Edwin heran, ihm leise eine Meldung machend; darauf verabschiedete sich der Greis und durchquerte den Tanzsaal. Bei Herrn v. Eder, welcher, au einen Pfeiler gelehnt, dem bunten Treiben als Nichttänzer zu schaute, machte er Halt. „Kommen Sic", sagte er leise, „cs ist Zeit." Beide verschwanden unauffällig aus dem Saal und begaben sich nach dem ersten Stockwerk. In einem der Appartements befand sich Prinz Frazzilo, dem man Thce servirt hatte; beim Eintritt der Herren erhob sich der junge Fürst und begrüßte sie mit aufrichtiger Freude. „Lassen Sie sich nicht aufhalten, lieber Graf, Sie haben Hausherrenpflichten! Sie aber, Herr v. Eder, bitte ich, zu entschuldigen, daß ich Sie für einige Minuten dem Vergnügen entreiße." „Haben Hoheit noch specielle Wünsche?" Mein, nein, mein lieber Gras; aber da ich doch einmal Ihr Gast bin, dürfte ich vielleicht um eine Cigarre bitten, die ich leider vergaß." „Werde sofort dafür Sorge tragen, Hoheit." Und das that der Graf nach einer Weile selbst, indem er Cigarren, Cigaretten mit den nöthigen Utensilien persönlich hereinbrachte. „Bitte, noch einen Augenblick, lieber Graf", sagte der Prinz „Herr v. Eder hat mir eben ein Schreiben gezeigt, wclche» die bekannte Photographie betrifft. Sie kennen mem Geheimniß, also lesen Sie es." „Ja", meinte Graf Edwin, „diese Herren fassen Alles vom Geschäftsstandpunct auf. Was wir eigentlich wollen, können wir ihnen ober nicht sagen; darum vermag nur die Dazwischenkunft einer diplomatisch veranlagten Person in der Angelegenheit fördernd wirken." „Das dachte ich mir auch gleich, lieber Graf. Dazu wäre unser Herr v. Eder die geeignete Persönlichkeit, nicht wahr?" „O, sicher", versetzte der Graf, „er hat uns ja überhaupt erst auf die richtige Spur geleitet." „Natürlich. Darum bat ich meinen Herrn Vater, welcher demnächst mir einen eigenen Hofstaat einrichten will, da ich auf Reisen gehen soll, mir Herrn v. Eder zur persönlichen Dienst leistung zu geben . . „Ah . . ." staunte Graf Edwin, unangenehm berührt, denn er mußte sofort an Ferdinand und dessen Hoffnungen denken. (Fortsetzung folgt.)
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