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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020108024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902010802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902010802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
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Einen beherztgenSwerthen Mahnruf richten die „Mit- theilungen für die Vertrauensmänner der nationalliberalen Partei" zur Vorbereitung für die spätestens im Juni 1903 erfolgenden Reichstags-Neu wahlen an die Parteigenossen. DaS Centrum und die Socialbemokratie sieben bereits in fertiger Rüstung und ge schlossener Phalanx aufmarschirt da und arbeiten unverdrossen und rüstig weiter, wo nur irgendwo eine Lücke in ihrer Parteiorganisation sich zeigt. Auch die freisinnige Partei hat schon den Hörnerruf zur Sammlung für die bevorstehenden Wahlschlachten erschallen lasten. Es ist also durchaus nicht verfrüht, wenn die „Mittheilungen" schreiben: „Nach rechts hin läßt sich die Entwickelung noch nicht genau über sehen. Zwischen den Organen Lerconservativen Partei und denen LeS Bundes der Landwirthe besteht betreffs der Haltung zum Zolltarif unverkennbar eine Klust. Dort vorsichtiges Abwarten und Freihalten des Rückens: hier ein rücksichtsloses Betonen von Forde rungen, die nicht die geringste Aussicht auf Verwirklichung haben und, wenn sie im Reichstag eine Mehrheit fänden, nur geeignet wären, das ganze Werk am Nein des Bundesraths scheitern zu lassen. Wieweit die Berliner Bundesleitung für diese extremen Forderungen demnächst die Conservativen in Anspruch nehmen wird und zu welchen Auseinandersetzungen Lies dann führt, muß ab gewartet werden. Für unsere Partei geht aus alledem klar hervor: als be sonnene Vertreterin liberaler Grundsätze und in der Bemühung um de» Ausgleich der wirthschastlichen Interessengegensätze wird die »attonalliberale Partei schwierigere Arbeit denn je zu vollbringen haben; ebenso wird ihre Verantwortung dabei ernster sein denn je. Bon dem Maße, in dem sie sich diesmal bis zu den Wahlen und bei den Wahlen zur Geltung bringen kann, wird es abhängig sein, ob eine absehbar lange Zukunft dem verderblichen Widerspiel poli tischer und wirthschastlicher Extreme gehören oder ob diese und dann auch alle übrigen Angelegenheiten des Reiches in dem Geiste fort- geführt werden können, in welchem der ganze innere Ausbau in der großen Zeit zu Stande gebracht worden ist. Darum müssen wir unS doppelt gesagt sein lassen, was die klerikale und was die freisinnige Führerschaft ihrem Anhang durch die Presse bestellen läßt: Die Waffen schärfen! Es kommt hierbei vor Allem auf eine wirkliche Organi sation an. Sie kann selbst im bestorganisirten Kreise noch besser sein, als sie ist, und in leider nur allzuvielen Kreisen bleibt sie weit, weit hinter bescheidenen Durchschniltsverhältnissen zurück. Da und dort verdient sie nicht einmal den Namen einer Organisation, sondern ist, wenn es zum Klappen kommt, günstigen Falles nur eine geschickte Improvisation. . . . Die Organisation, und zwar eine solche, die leistungsfähig ist, muß aber von langer Hand geschaffen sein, wenn ein Kamps mit Aussicht auf Erfolg überhaupt begonnen werden soll, und sie kann nur durch die Parteigenossen innerhalb des Kreises geschaffen werden! ... Auch ein Weiteres ist rechtzeitig vorzusorgen, nämlich die Dis ci pl in im Felde. Wenn die Entscheidung getroffen ist, — über die Frontstellung und die Marschrichtung, über Len Candidatcn, über die Bundesgenossenschaft, über das Tempo der Bewegung und über die Mittel Les Kampfes, — dann ist Unterordnung die Bürg- schäft des Erfolges. Das Besserwissen hat seine Zeit, das Eintreten in Reih' und Glied ebenfalls! Organisation ohne Disciplin ist ein Kinderspielzeug, keine Waffe." Möge dieser schon jetzt erhobene Mahnruf, die Waffen zum bevorstehenden Wahlkampfe zu schärfen, ein weithin schallendes Echo bei unseren Parteigenossen finden, vor Allem aber die Aufforderung, Parteidisciplin zu halten. Welcke Folgen die Lockerung derselben zeitigen muß, haben die Vorgänge bei den badischen Landtagswahlen und andere unliebsame Vorkommnisse zum Schaden der Partei genugsam bewiesen. Der osficiösen Wiener „Polit. Corr." wurde, wie erinner lich sein wird, kur; vor Schluß des alten Jahres aus Rom gemeldet, das den katholischen Fakultäten an den Uni versitäten Bonn und Breslau von der Studiencongregation verliehene Recht, theologische Grade zu ertheilen, solle auch der in Aussicht genommenen katholischen Facultät in Straß burg verliehen werden; durch dieses „Zugeständniß" der Congregation würde die Haupteinwendung des Cardinals Rampolla dagegen entkräftet, daß, wie in Bonn und Breslau, so auch in Straßburg die theologischen Professoren vom Staate ernannt werden sollten; um die übrigen Bedenken zu heben, sei die deutsche Regierung bereit, dem Bischof von Straßburg ein Vetorecht bezüglich der vom Staate zu ernennenden Professoren zu zugestehen. Wir bezweifelten die Richtigkeit dieser Meldung; nach einer der „Voss. Ztg." aus kirchlichen Kreisen zugehenden Darstellung gewinnt es aber den Anschein, als ob der römische Gewährsmann der „Polit. Corr.", um unliebsames Aufsehen zu vermeiden, noch etwas von dem verschwiegen hätte, was der Vatican zu erreichen sucht und hofft. Diese Darstellung weist nämlich darauf hin, daß sür die an einzelnen preußischen Universitäten bestehenden katholisch-theologischen FacnUäten den betr. Bischöfen ein Einspruchsrecht gegen die An stellung von Docenten bereits zusteht. Dann heißt eS weiter: „Der 8 48 der Statuten der katholisch-theologischcn Facultät zu Breslau bestimmt ausdrücklich, Laß der Bischof die An stellung eines Docenten wegen gegründeter Einwendungen gegen die Lehre oder den Wandel desselben ablehnen kann. Außer dem bedarf der Auzustcllende schon als Priester der Ge nehmigung des zuständigen Diöcesanbischofs zur Uebernahme des Amtes. Es ist jedoch Grund zu der Annahme vorhanden, daß die römische Curie für die Errichtung der Straßburger katholisch-theologischen Facultät weitergehende Forderungen gestellt hat, nach den Andeutungen zu schließen, die seiner Zeit in eljässer ultramontanen Blättern gemacht worden sind. Man ist an der römischen Curie längst nicht mehr mit den früher eingeräumten Concejsionen zufrieden und will nicht nur die Anstellung, sondern auch die DiSciplinirung oder Ab setzung der Theologicprofessoren ganz in der Hand der Bischöfe wissen. Ein Versuch in dieser Richtung ist schon gc- macht worden, der aber mißlungen ist. Als die öfter- reicht sch en Bischöse im Jahre 1850 das Recht erhalten hatten, durch eine jederzeit widerrufliche wissio canonicL über Sein oder Nichtsein der katholischen Theologieprosessoren zu entscheiden, hatte der Fürstbischof von Breslau nichts Eiligeres zu thun, als den Versuch einer Uebertragung dieses Rechts nach Preußen zu machen. Unterm 22. April 1850 schloß er mit dem im Auftrage Les Cultusministers Ladenberg bei ihm erschienenen Geheimen Ober-Regierungsrath Kulike von der katholischen Abtheilung im Cultusministerium ein Uebereinkommen, wonach er den Professoren der katholischen Theologie in BreSlau bei ihrem Amtsantritt, genau wie in Oesterreich, eine Urkunde über die ihnen ertheilte und jederzeit widerrufliche missio enuonics. ausstellen sollte. Bon diesem Rechte machte der Bischof auch so fort bei der Ernennung des Professors vr. Bitter, eines extremen Ultramontanen, der damit ganz zufrieden war, Gebrauch. Da aber weder die Universitätsbehörden noch das Gesammtministerium etwas davon erfuhren, erhielt das Uebereinkommen keine staatsrechtliche Giltigkeit. Nichtsdestoweniger konnte Fürst ¬ bischof Förster im Jahre 1861 nach der entgegengesetzten Seite davon Gebrauch machen; er entzog dem Professor vr. Baltzer die nie ertheilte missio eanonicn, uud der Minister Mühler strich in folgedessen Baltzer's Vorlesungen aus dem Lectionskatalog, beließ ihm zwar das geringere Gehalt eines Professors im Nebenamte, wehrte aber dem Fürstbischof Förster nicht, als dieser das staatliche Gehalt, das Baltzer als Doincapitular durch die Bisthumscasse bezog, einbehielt. Erst als das Ministerium Bismarck die förmliche Disciplinaruntersuchung gegen Baltzer auf dessen eigenen Antrag vornahm, kam die geheime Abmachung Ladenberg's mit dem Cardinal Diepenb rock und ihre ungesetzliche Anwendung durch Mühler gegen Baltzer an das Tageslicht, wurde als un- giltig erklärt und Baltzer ging als gerechtfertigt aus der Untersuchung hervor. Der aber war unterdessen gestorben und die zu Unrecht seit mehr als zehn Jahren einbehaltenen Gehalts bezüge mußten an seine Erben ausgezahlt werden. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, drehen sich die -so langsam vor- rückendrn Verhandlungen über die Straßburger katholisch, theologische Facultät um die Frage der miosio canoniea. Es ist wenigstens gar nicht abzusehen, woher die Schwierigkeiten kommen sollten, wenn nur die einfache Uebertragung der Bres lauer und Bonner Verhältnisse nach Straßburg in Frage stände. Gelingt es der römischen Kurie, die missio eanonicn im Sinne des Breslauer Abkommens durchzusetzen, so würde sich das Ver fahren gegen Professoren, welche die „gebundene Marschroute" verlassen, wesentlich vereinfachen. Die Bischöfe brauchten nicht mehr, wie sie es gegenüber den Hermesianern und Güntherianern, und neuerdings wieder gegenüber den Altkatholiken gemacht haben, Las geräuschvolle Experiment der Boycottirung anzuwenden, d. h. ein Verbot au die Studenten zu erlassen, die Vorlesungen der Censurirten zu hören, sondern es genügte die einfache Mittheilung an den Minister, der ihre Vorlesungen vom Lectionskatalog streicht und so die Betreffenden mundtodt macht. Mögen also die Universitäten auf der Hut sein, denn es scheinen noch ganz andere Dinge in der Luft zu liegen, als die Ernennung katholischer Professoren mit gebundener Marschroute." Wenn der Verfasser Recht behielte und der Geist Mühler's in Berlin die maßgebenden Stellen beherrschte, dann würde es auch den Universitäten trotz des „Liebesmahles", das Pro- fessor Schmoller dem Ministerialdirector Althoff ver anstaltet hat, nichts nützen, wenn sie auf der Hut wären. Sie würden doch nicht um ihre Zustimmung zu dem, was geplant wird, gebeten werden. Nur die großen antiklerikalen Parteien könnten in solchem Falle Unheil abwenden. Sie würden dann nicht verfehlen dürfen, darauf hinzuweisen, daß es einen größeren Widersinn nicht geben könnte, als wenn man einen Mann wie Spahn zur Fernhaltung deS ultra montanen Einflusses auf die katholische Geschichtsforschung nach Straßburg berufen hätte, um bald darauf dem Ultra- montanismus uneingeschränkte Gewalt über die katholischen Docenten der Theologie einzuräumen. Ueber eine in Aussicht stehende Verständigung, betreffend die Streitfragen an den Heiligen Stätten, wird aus Konstantinopel, 6. Januar, geschrieben: Der letzte Streitfall an der Grabeskirche, bei welchem bekanntlich mehrere griechische und lateinische Mönche verwundet worden waren, wird voraussichtlich zu einer unmittelbaren Ver ständigung zwischen der römisch - katholischen und der griechisch-orthodoxen Kirche über die beiderseitigen Be sitzansprüche den Anlaß geben. Gerade das jüngste so bedauerliche Vorkommniß hat den Betheiligten klar vor Augen geführt, daß sie von den europäischen Regierungen nicht die geringste Unterstützung ihrer Ansprüche zu gewärtigen haben, und daß die Pforte am allerwenigsten geneigt ist, als Schiedsrichter zwischen den streitenden kirchlichen Parteien zu vermitteln. Der päpstliche Vertreter in Konstantinopel batte sowohl bei der Pforte als auch bei der französischen Bot schaft Schritte getban, um die Bestrafung der griechischen Mönche und die Anerkennung deS römisch-katholischen Anrechtes auf die Freitreppe der Grabeskirche zu erlangen. Doch diese Bemühungen waren gänzlich erfolglos; denn der in Kon stantinopel anwesende griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Damianos, unternahm die gleichen Schritte bei der russischen Botschaft, was natürlich ebensowenig Erfolg batte. Die Diplomaten wußten den streitenden Priestern im Grunde genommen nichts Anderes zu antworten, als ihnen den Rath zu geben, die Sache ohne Inanspruchnahme der welt lichen Mächte unter sich allein abzumachen. Begreiflicherweise wird auch in anderen politischen Kreisen eine derartige Lösung ver Streitfragen für die einzig mögliche angesehen. Das ökumenische Patriarchat nimmt im Wesentlichen den gleichen Standpuncl ein, und falls der Papst die Anregungen des hiesigen Nuntius billigen würde, so ließe sich wohl erwarten, daß endlich ein Weg zur Beseitigung der häßlichen Rivalitäten an den Heiligen Stätten gesunden wird. Nach Ansicht eines hiesigen Diplomaten würde es daS Zweckmäßigste sein, wenn die beiden Kirchen je einen Kirchengelehrten mit der Prüfung und Beurtheilung der Streitfragen beauftragen und einen dritten, einer neutralen Kirche angehörenden Gelehrten als Gutachter hinzuziehen würden. An sich würde hierzu wohl am besten ein Theologe der anglikanischen Kirche geeignet sein; doch stehen dem vielleicht politische Bedenken entgegen, so daß ein schweizerischer Theologe Wohl vorzuziehen wäre. Feuilleton. Gesühnt. 5j Roman von E. Esch richt. Nachdruck verboten. „Was meinst Du — was kann solches Geschwätz mich an» gehen?" „Doch Fräulein — ich weiß, es ist kein Geschwätz! da muß irgend etwas nicht in Ordnung sein — denn bei Heinzers ist unser muer Herr jeden Tag und vorgestern Abend ist er auch noch dagewesen, das 'weiß ich von Henny, die doch mein Bruder sein Frau ihr Bruder sein Tochter ist! Und die sagte ganz schnippisch zu mir: „Theuerdank mit Dein Fräulein verlobt? und bei uns Kaulbarsch gegessen und zwei Flaschen Wern hat er bei uns getrunken und bis beinah Mitternacht bei uns gewesen?" Na so viel weiß ich, diese Emilie Heinz er ist so «ine Stille, die muß es ja hinter den Ohren haben; nirgends geht sie hin, nicht mal in -die Kirche — nur auf dem Kirchhofe schleicht sie rum und sitzt Abends mit dem weißen Gesicht am Wasser, — hält sich für Ihresgleichen sogar zu gut, Fräulein — und für diel zu klug — ich rathe, Fräulein — nehm sich Fräulein in Acht!" Das Fräulein nahm ihre Lectüre wieder auf und schwieg; aber sic las nicht, sie war erschüttert und fühlte, daß sic sich kaum beherrschen konnte. Das also war es? Ihre Annahme, sein Kuß, seine Zärtlichkeit seien nur unbeabsichtigte Hingerissen- heit des Augenblicks gewesen, wurde zur immer unabweislicheren Gewißheit. — Theuerdank liebte nicht sie, sondern die andere Emilie! War es wahr, daß er dort abgewiesen worden — war es also doch möglich gewesen, daß sie ihn hätte verlieren können, wenn jene Emilie ihn annahm? War das der Kern jenes halben Bekenntnisses, das, schon auf seiner Zunge schwebend, sie in richtiger Ahnung eigener Gefahr auf seiner Lippe bannte? Sie — Emilie Torgany, sollte um eines solchen Mädchens willen einen Wandel haben hinnehmcn müssen, wenn ihr Berlobter dort angenommen wurde? Ein rücksichtsloser Zorn entbrannte in ihrer Seele, ein glühendes Haßgefühl gegen den eigenen Verlobten und ihre Nebenbuhlerin; sie mußte den noch ohnmächtig ausharren, bis sie wirklich die Frau Theuer dank's Ivar — diese Thatsache galt es also so rasch wie möglich zu vollziehen! Nach einer Pause sagte sie: „Sauters, Du giebst Dir zu viel Mühe heute, alle die Kleinigkeiten abzustäuben — ich bin nervös und kann das Hin- und Hergehen von Dir nicht ertragen — thu' mir den Gefallen und laß es! Und um auf vorhin zu rückzukommen — laß Dich nicht mit solchen Personen ein — am wenigsten auf dem Markt! Denn was Du gehört hast, hörten auch Andere! Ihr seid keine leisen und rücksichtsvollen Damen unter einander — mach' Dir nichts aus dem Gerede — Ende November spätestens soll die Hochzeit sein — das macht alles unnöthige Geschwätz todt. Gieb mir die Tafel her, ich will Be stellungen notiren." Und es waren nicht geringe Notizen, die Emilie hinwarf! Alle die prunk- und modesüchtigen Wünsche ihrer Seele, die sie als kluge Verwalterin ihres anständigen, aber doch nicht außer ordentlichen Vermögens sich hatte versagen müssen, nun tonnte und wollte sie sich alle erfüllen! Sie war auch nicht mehr jung und unerfahren genug, um alle Wirkungen auf den wählerischen und exclusiven Geschmack ihres Verlobten, der Liebe und der eigenen Schönheit zu überlassen. Sie war unsicher über sich, erschüttert in all' ihrem Stolz und ihrem sonst so regen Selbst bewußtsein, in Anbetracht der Möglichkeit, vielleicht doch gar keinen Antheil am Herzen dieses ihr immer begehrenswerth erschienenen Mannes zu haben. Aber sie wollte ihn nicht frei geben. Welch ein Glück, daß sie nun wußte, wo die Gefahr lag — sie konnte nun versuchen, sich zu decken. Vor allen Dingen entwarf sie Concepte für gedruckte Verlobungsanzeigen und Zeitungsinserate; mit ihrer großen, klaren Handschrift führte sie die Arbeit vornehm aus — seines Beifalls gewiß, denn er hatte immer diese gewissermaßen historische Buchstabentreue bewundert. Und da um die Mttagsstunde Theuerdank kam, war sie fast erstaunt, auf gar keinen Widerspruch zu stoßen. Zärtlich zog sie ihn zu sich nieder, sprach von ihren Träumen, von ihren steten Gedanken an ihn und von all' den schönen Plänen für die Zukunft. „Und nicht wahr — eine Hochzeitsreise nach Paris? Die Geschäftszeit ist dann doch eine stille — Mitte November — dann bleiben wir fort bis zum Frühling, wie Du ja auch in früheren Jahren zu meinem Leidwesen ick diesen Monaten fort warst!" Er hatte ihr immer billigend zugehört, angenehm berührt von ihrer schmeichelnden Weise. Diese letzten Worte aber riefen eine seltsame Veränderung seines Gesichtsausdruckes hervor — und er machte mit stockender Stimme Einwendungen: „In den letzten zwei Jahren sei er nicht gereist" — erst in diesem Augenblick war es ihm klar, daß das Peden im Hause Heinzer ihm mehr werth gewesen war als alle Zerstreuungen der Erde — „seine Söhne wollten sich im Elternhause versammeln zur Weihnachtszeit, die Geschäfte lägen anders in diesem Jahre — er habe eine Abneigung gegen das Herumziehen in fremden Gasthäuser^ — nein, nein! keine Hochzeitsreife — ich bitte Dich darum!" Oh — er zitterte bei dem Gedanken — auch das noch — auch noch Trennung von der Geliebten — nein, niemals — niemals. Sie hätte gern in seinem Gesicht geforscht — aber sie sah ihn gar nicht an — sic lächelte munter und unterbrach ibn nicht — eine von ihrer Seite außergewöhnliche Rücksicht. Erst da er schwieg, sagte sie, indem sie sich zärtlich an ihn schmiegte: „Alles wie Du es willst — aber es könnte doch sein, daß Du mir diesen ersten heißen Wunsch dennoch erfüllst — ich möchte ganz allein, ganz fern von allen Menschen und der kleinstädtischen Beobachtung, mit Dir sein, mit Dir und durch Deine Augen die Herrlichkeiten der Natur, der Kunst und Wissenschaften sehen. Ich dachte es mir reizend, wenn ich als erste Gabe Deinen, unseren drei Söhnen die Reise nach Paris zum Weih nachtsgeschenk machte; ich glaubte die Geschäfte in den besten Händen des Prokuristen. Auch mein Bruder könnte Dir nütz lich sein — ich dachte aber vor allen Dingen, Dich ganz allein für mich haben zu wollen, denn ich liebe Dich — ich liebe Dich mit der Kraft und Gluth meines ganzen Lebens!" Und sie küßte ihn leidenschaftlich mit einer herausfordernden Innigkeit — der wohl selten ein Mann widersteht, wenn die Frau jung und schön ist. Mit einem schweren Seufzer sprang er auf, schritt hin und her, und wie abwesend blieb er am Fenster stehen und blickte zum Himmel empor, mit dem schrecklichen Gedanken: Diese Frau hat mich zum Leichtsinn hingerissen — sie wird mich auch zur Untreue verführen — wie soll dies enden — sie ist in ihrem Recht, und ich will mich nicht hinreißen lassen, ich will die Fessel lösen — warum will ich sie heirathen — ich bin ein Narr, ich breche meine Fessel und will frei sein! Er wendete sich rasch herum und trat zu Emilie; sie hatte das Gesicht in die Hände gedrückt und zitterte unter leisem Schluchzen. „Molly" — er konnte sie nicht Emilie nennen und wählte ihren Kosenamen, „Molly — ich muß es Dir sagen —" „O Hubert, sag' mir nichts in dieser Stunde — ich bin so namenlos, so unaussprechlich glücklich — ich liebe Dich — ich bete Dich an — ich will Alles, was Du willst! — Verlaß mich jetzt — mein Fuß schmerzt bei jeder Erregung, und wie kann ich Ruhe finden unter Deinen Lippen? Du hast mich ganz zu Deiner Sclavin gemacht — geh' nur, Geliebter — und heute Abend — nicht wahr? kommst Du wie gestern!" Er wollte noch immer versuchen, aufrichtig zu sein — wenn er sie nur hätte erzürnen können — dieser rührenden Liebe gegenüber war er waffenlos. „Nein, ich kann Abends nicht kommen! Die Abendstunden verbringe ich seit Jahren im Hause des Capitäns Heinzer, und ich will daran nichts ändern!" „O, wie traurig für mich", sagte sie mit einem reizenden Schmollen, „aber ich gebe selbst diese Stunden, auf die ich mich den ganzen Tag gefreut hätte, willig hin, denn in nichts möchte ich Deine Gewohnheiten stören. Ich weiß ja, das Haus mit dem gelehrten alten Capitän und dem recht niedlichen kleinen Töchterchen war Dir so lange eine Heimath — es wäre un dankbar, wenn Du sie nun verlassen wolltest; auch das ist edel und gut von Dir und nöthigt mir Hochachtung ab — o, Liebster — ich bin so berauscht vom Glück!" Und sie küßte ihn — sie küßte ihn wieder und wieder, bis sich ihre Lippen fest aneinander in einem einzigen Kuß schlossen — ihre schwarzen Haare hatten sich gelöst und rannen wie eine dunkle Fluth hernieder — sie küßte ihn-, bis sie sein Herz schlagen fühlte, wild wie das ihre — drückte auf die elektrische Glocke, und während Sauters eintrat, schob sie ihn von sich zurück: „Nun geh', Du Ungestümer!" Und sie wußte: Nun war der Bann gebrochen. Der Abend war etwas neblig, aber seltsam warm und athembeklemmend und brach mit einem weichen, durchsichtigen Dunkel herein, wie die Abende in diesen Herbstwochen, wo rasch und gewissermaßen unvermittelt in gerader Linie die csonne sinkt und die Dämmerung nicht aufkommen läßt. Um diese Zeit saß der Capitän gern ohne Licht am Fenster. Sein Hans lag als erstes dem Hafen zu, auf dem letzten schmalen Zipfel der Insel, um deren Spitze sich die Molen bogen; das Hans blickte nach Süden; in seinem Rücken, kaum tausend Schritt entfernt, zog sich der nördliche Strand entlang, und in der Abendstille tonte mit gleichmäßigem Schlag die Brandung her über; unablässig bewegten sich auch jetzt noch Schiffe langsam ein und aus, oft von Dampfern geschleppt; sie befpielten mir ihren vielfarbigen Lichtern die breite Wasserfläche. Es lag etwas so Fesselndes für den alten Seefahrer darin, gab ihm gewissermaßen noch ein Gefühl des Mitthuns, als säße ec auf dem Achterdeck seines Schiffes und sähe von dort aus das Ver dämmern der Ufer, das Brechen der Lichtstrahlen, das letzte Aufleuchten der landschaftlichen Schönheit in ihrer harmonischen Einfachheit. Wie ein gebogener Arm zog sich der breite Strom hin, um dessen Außenwinkel die Stadt lag, an die sich nach oben hin die Haide anschloß. In dem weiten Jnncnbassin lag vor dem Mittelpunct der Stadt eine kleine Insel, mit drei oder vier Häusern und ebenso vielen Schiffswerften darauf; an der Stadt unmittelbar vorüber war die Fahrstraße für die kleineren Schiffe; zur Linken, hinter der Insel herum, lief der breite, große Strom, der die größten Schiffe viele Meilen weit ins Land trug. Am Bollwerk flackerten unruhig die Laternen; ganz hinten, zr»r Rechten, lohte im dunklen Gewölk noch ein ietzter Abendschein am Firmament; es war ein schwaches, un reines Roth und dehnte dicht auf den tiefschwarzen Hüge lungen der mit Föhren bestandenen Haide. Ein Panzer lag links gegenüber, am Ufer der großen Schwesterinscl; er wurde eilig fertiggestellt — Tag und Nacht klang hell der metallene Hammerschlag, und Abends spät erst und die halbe Nacht hindurch arbeiteten die Elektrotechniker; die buntfarbigen Lichter blitzten dann und wann ihre kühne Signalsprachc auf, wie feurige Edelsteine hoben sie sich zwischen den übrigen schwachen Beleuchtuingspuncten ab. Der Alte freute sich dieses elektrischen Lichtes so ganz besonders — es schien ihm wie ein Stück Blitz, vom Himmel geraubt in einer heißen Julinacht; er konnte minutenlang den blauen Reflexen dieses Triumphlichtes auf dem Wasser nachblickcn — eine Kraft, die der Mensch sich unterworfen hat, ohne die Seele dieses Wesens zu kennen; ein geheimnißvoller Besitz, der mit fast unheimlichem Finger an die Wunder des Himmels rührt. (Fortsetzung folgt.)
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