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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020113029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-13
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Lsinxör iäem. -S Wer bei der Lectüre der zweiten historischen Reichstags rede veS Grafen von Bülow sich der, wenn auch nur schwachen Hoffnung hingegcben hatte, sie werde einigen Ein druck auf Herrn Cbamberlain'S GerechtigkeitS-, Ehrlich- keitS- und AnstandSgefühl machen, sieht sich nach des englischen Colonialsekretärs neuester rhetorischer Leistung in Birming ham arg enttäuscht; wer geglaubt hatte, die ritterlich verbindliche Art, mit der der deutsche Reichskanzler Chamberlain coram mumlo gegen rohe Schmähungen in Schutz nahm und dem englischen Heer ein ehrlich und ernstgemeintes Compliment machte, werde feurige Kohlen auf daS Haupt eines Schuldbewußten häufen — jetzt, nach dem protzigen Birminghamer Wort: „Ich nehme nichts zurück, modificire nichts und habe nichts zu rechtfertigen, ich nehme von einem auswär tigen Minister keine Lehren an und bin einzig meinemSouverän und meinen Lands leuten verantwortlich", jetzt, nach einer solchen Probe von „Unbesiegbarkeit", wird der Gutgläubige von Illusionen auf geraume Zeit hinaus curirt sein. Hatte Chamberlain bisher im Bewußtsein, dem deutschen Heere von 1870 that- sächlich eine schwere, sein diplomatisches Tactgesühl aufs Aergste compromittirende Verunglimpfung zugefügt zu haben, die Federn der Officiösen in Bewegung gesetzt, um glauben zu machen, er sei mißverstanden worden, er habe das nicht gesagt, was ihm in den Mund gelegt werde, so hat er jetzt auch noch die letzte Hülle eines aus der Völkermoral er wachsenen Schamgefühls, ohne daS auch der Diplomat heut zutage unmöglich ist, von sich geworfen und steht nun da im ganzen Glanze seiner nackten Scrupellosigkeit und Wurstigkeit, erhaben über daS Urtheil nicht blos der öffentlichen Meinung Deutschlands, sondern aller Cultur- läuder. Er sagt eS ja selbst, daß daS ganze Ausland von dem Gefühl der Feindseligkeit gegen England beherrscht sei, nicht erst seit gestern, sondern schon ei» Jahrhundert hindurch. Ist daS aber der Fall, unv Freunde hat England nie gehabt, so sollte die Wucht dieser That- fache doch endlich im Hirn Albions und seiner verant wortlichen Minister endlich einen Schimmer wenigstens von der Erkenutniß auSlösen, daß die Abneigung aller Nationen gegen diese eine doch einen berechtigten Grund haben muß, einen Grund, für den die Schuld auf englischer Seite zu suchen ist. Aber man sieht nicht, weil man nicht sehen will, oder weil der Dünkel des „Imperialismus" das Auge blendet. Chamberlain rechnet damit, daß England einmal seine Existenz gegen eine „Welt in Waffen" zu vertheidigeu haben werde, unv ist überzeugt, daß dann seine ebenfalls über eine Welt zer streuten Colonien Schulter an Schulter mit ihm stehen, wie jetzt i» dem Vernichtungskampf gegen die Boeren. Als er diesen Passus seiner Rede sprach, mag er sich am stolzesten auf hoch trabendem Rosse gefühlt haben. Von auSwärtS sieht man'S anders. Uns kommt es vor, als sei der kecke Ritter am Schluffe seiner Ansprache eher auf — Krücken gegangen, und wir geben ihm nur daü Eine zu bedenken: Wenn England diese Krücken, seine Colonien, sckon jetzt, im Kampfe mit dem kleinen Boeren- völkchen, braucht, wie wird es erst dann aussehen, wenn cS die Klinge mit einer „Welt von Feinden" zu kreuzen hat, oder auch nur mit einem mächtigen Gegner! Für das südafrikanische Abenteuer hat der australische Busch seine Ritterschaft ins Feld gesandt — da- hat nicht viel gekostet — und Canada hat, der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, zweimal, aber auch nur ober flächlich, in die Tasche gegriffen. In einem „Weltkriege" würde England gezwungen sein, ganz andere Ansprüche an Gut und Blut seiner Kinder in der Fremde zu stellen, und wir bezweifeln sehr, daß ihr Patriotismus auch dann noch Stich hielte. Wir bleiben also ruhig und lassen uns nicht einschüchtern, ja wir nehmen eS über haupt nicht so tragisch, daß ein Chamberlain mit uns grollt und schmollt. Wie oft schon hat da ungezogene, da- unfolgsame Deutschland von englischen Ministern die Leviten gelesen bekommen, selbst in der Person seiner Herrscher, wie oftmals hat uns der große Gönner jenseits dcS Canals polternd fortgejagt, um nur allzubald wieder nach uns zu rufen, wenn ihm irgendwo die inter nationalen Complicationen den Athem zu nehmen drohten. Wir erinnern uns noch sehr genau, wie vor wenigen Jahren Eng land auf der Suche nach Bundesgenossen war, wie es erst bei Deutschland anklopfte — vergebens aber —, wie eS dann die Runde bei den übrigen Nationen machte, und wie eS endlich — auch dort abgewiesen — an die porta germanica. zurück kehrte und, statt in zornwüthigen Drohungen, sich wieder in Liebenswürdigkeiten erschöpfte. So wird auch diesmal vor aussichtlich der Lauf der Dinge sein. Daß auch die Chamberlain'sche Presse auf den Ton ihres Meisters gestimmt ist, versteht sich von selbst. So schreiben die „Times" am Schluffe eines sehr scharfen gegen Deutschland gerichteten Leitartikels: „Wir sind bereit, die schwierige Lage anzuerkenneii, in die die deutsche Regierung auf der Strömung de» Engländerhasses hinein- getrieben ist; wir könnten sogar den übertriebenen Nachdruck ver zeihen, den Graf Bülow auf Versicherungen gelegt hat, die ihm in dem angedeuteten Sinne sicher nicht zngegangen sind. Wir müssen aber offen und sehr bestimmt erklären, daß da- Maß britischer Geduld und Ertragens überschritten wird, wenn er glaubt, er könne um die Freundschaft unseres Landes werben und zu gleicher Zeit drS Königs Rock, die Uniform, die unser« Freundr und Stamur- genossen gegenwärtig im Kampfe tragen uud dir nie mit mehr Ehre getragen worden ist, dazu benutzen, sich seine parlamentaaische« Füße abzuputzen." Auch „Daily Graphie" wird bei dieser Gelegenheit wiederum höchst ausfällig und bemerkt: „Graf Bülow scheint zu vergessen, daß, so langsamen Begriffes wir auch sein mögen, wir doch ein sportliebendeS Volk sind uud keinen Sinn sür daS Bestreben haben, gleichzeitig mit dem Hunde zu Hetzen und mit dem Hasen zu laufen. Er hat kein Recht, die Engländerhassrr vom SchlageLiebermanu's zurOrdnung zu rufen, wenn sie erklären, das englische Heer bestehe aus Dieben und Räubern; denn nur auf dieser Voraussetzung war sei» früherer Angriff gegen Chamberlain zu begründen, und wenn, wie er uns nun glauben machen möchte, seine Ansicht anders ist, so müßte er sich nunmehr für seine beleidigenden Slenßcrungen vom letzten Mittwoch ent schuldigen." In England gilbt man ja viel auf die Ansicht der Freunde unv Brüder im Vereinigten Nordamerika, von denen man meint, daß sie englische» Wesen am besten zu verstehen wüßten. Nun, die amerikanischen Blätter sind, so weit sich heute übersehen läßt, darin einig: England könne mit den Erklärungen Chamberlain'» zufrieden sein. Schließlich möchten wir dem englischen Minister und seiner Presse den Schluß seiner Rede ins Gedächtniß zurückrufen, die er 1898 in Wakefield gehalten bat. Damals sagte er: „Vergessen wir vor Allem nicht, daß bei dem Verkehr von Volk zu Volk, bei der Kritik der Wellereignisse der Andere genau denselben Anspruch auf Achtung seiner nationalen Empfindlichkeit bat, den wir selbst zu er beben un» berechtigt glauben." Der Andere sind in diesem Falle wir, denn unsere Armee war eS, deren Ehre Chamber lain sich zu besudeln getraute, Heer und Nation aber sind bei uns, was man in England freilich nicht verstehen mag, ein»! Der Krieg in Südafrika. Keine AxiedenSvcxhandlungen. In einem Telegramm der Exchange Telegraph Company aus Paris an englische Blätter wurde vorgestern gemeldet, daß das Pariser Boerencomit« direct vom Kriegsschauplätze zur Bekanntgabe die Mittheilung empfangen habe, England ließe seine Forderung der bedingungslosen Unterwerfung fallen, wenn die Boeren vollständige Unabhängigkeit nicht zur Bedingung »ins qua non für FriedcnSverhandlungen machen wollten. ES wurde noch hinzugefügt, daß Präsident Krüger und die übrigen Vertreter der Boeren in Europa dieser Idee zustimmten. Einer Depesche des Bureau Dalziel auS Paris zufolge sollte daS Boerencomit^ diese Miltheilung direct von Oranjelust, der Wohnung de» Präsidenten Krüger in Utrecht, erhalten haben. „Wir sind", schreibt die im Haag erscheinende „Corresp. Nederland", „von zuständiger Stelle auf Boeren- seite ermächtigt, auch diesen neuen Mittbeilungen über FriedenSverbandlungen und Friedens bedingungen als direct aus der Luft gegriffen zu erklären." Englische Eensnr auf St. Helena. Amsterdam, 9. Januar. Einem der BoerenkriegS- gefangenen auf St. Helena ist eS möglich gewesen, an den „N. Rotterdamsche Courant" trotz der Censur einen Brief durchzubriugen, dessen Im-alt die Censoren von St. Helena Roux und Walto» schwer belastet. T. S. Kaper, der als Kriegsgefangener eine zeitlang Koch bei den Censoren war, theilte schriftlich die Dinge seinem ehemaligen Capitän, dem kriegsgefangenen Befehlshaber des holländischen Frei- willigencorpS de Witt mit, der sie seinerseits zur Unter suchung an den englischen Commandaut I. H. Hind des Gefangenenlagers weitergab. Kaper sagt, unter Berufung auf einen eventuellen Eid des noch im Dienste der Censoren stehenden B. H. Clarke, daß Walton Briefe von Februar bis August zurückhielt, daß Roux die Marken von Briefen löste, diese für eigene Zwecke verwandte und die Briefe sowie Photographien der Gefangenen verbrannte. Etwa zwei- bis dreihundert Briefe wurden al» Curiosa aufbewahrt, so ein Schreiben, daS zu einer Photographie gehörte, die daun herum gezeigt wurde. Am 8. August ließ Walton einen dreißig Pfund schweren Sack mit mehr al» 1500 Briefen Inhalt in seiner Wohnung verbrennen; Clarke und Kaper mußten, wenn sie Jemand fragen sollte, sagen, daß man alte Papiere und Lumpen angesteckt habe. Auch versichern Clarke und Kaper, daß die Censoren jetzt noch Briefe der Gefangenen in ihrem Besitze halten. Hind ließ auf die Eingabe dcS Boeren- capitän» de Witt die Sache untersuchen und machte nach Capstadt Meldung. Die anklagendcn Schriftstücke Kaper's und de Witt s veröffentlicht der „N. R. C." im Wortlaut. Weiter wird mitgetheil», daß viele der älteren Kriegs gefangenen nach schweren Leiden an Herzkrankheit sterben, und es wird bitter geklagt, daß man diese gebrechlichen alten Leute nickt entläßt. * London, 13. Januar. (Telegramm.) Die „Daily News ' melden aus VolkSrust: Sin Boerrnarzt berichtet, daß in dem Gefechte mit den Truppen Christian Botha'S am 4. Januar 42 Boeren getödtet und 73 verwundet worden seien. politische Tagesschau. * Lechri», 13. Januar. Dir erste Lesung de» Etats im Reichstage ist am Sonnabend noch nicht zu Ende gebracht worden, obgleich der gute Wille, die GeneraldiScussion zu beschließen, bei allen Fractionen vorhanden zu sein schien. DaS kam daher, daß wieder Fragen angeschnitten wurden, die mit dem Etat nur lose zusammenhängen, und daß mithin für die Hauptsache nur wenig Zeit übrig blieb. Der einzige Redner, der über den Etat sprach, war der nationalliberale Abz. vr. Sattler, der besonder» die Nothwendigkeit hervorhob, dem ReichSschatz- sekretär eine stärkere Position in der Reichsregierung zu schaffen, zur Sanirung der ReichSfinanzen eine wirkliche Reichsfinanz reform in Angriff zu nehmen und eine gesetzliche Reich-schulden- Tilgung einzuführen. Nachdem er dann die Forderung seines FräctionScoUegrn Bassermanu, die Regierung möge baldigst «ine entschiedene Stellung in der Zolltarif-Frage nehmen, unterstützt hatte, ging cr auf denFallSpahn über, der freilich nicht wohl bei einer anderen Gelegenheit zur Sprache gebracht werden konnte. DaS hatte er sich aber wohl nicht träumen lassen, daß ihm vom Bundr-rathstische auS auf seine Befürchtung, durch weitere ähnliche Maßregel» werde die deutsche Bevölkerung nach Confessioneu ausandergerissen und die akademische Jugend in die Lage versetzt werde», von katholischen Professoren nur „kirch lich abgestempelte Geschichte" hören zu müssen, in so oberfläch licher und naiver Weise geantwortet werden würde. Der neugebackene Staatssekretär der ReichSlanve, Herr v. Köller, war eS, dem diese Beantwortung zusiel. Obgleich er aber der Hoffnung Ausdruck gab, durch seine Ausführungen der „von der Presse künstlich erzeugten Aufregung" über den Fall ein Ende machen zu können, sagte er über die Angelegenheit nichts, als was man längst wußte, und keine Silbe über da», waS man erfahren wollte. Für Herrn v. Köller — ob auch für den Reichskanzler, erfuhr man nicht — ist der Fall dadurch erledigt, daß langst die Ab sicht bestand, in Straßburg eine katholisch-theologische Facultät zu errichten, daß der elsaß-lothringische LandeSauS- schuß längst einen katholischen Geschicht-profeffor gewünscht bat, daß die Facultäten der Straßburger Universität keinen RechtStitel haben, gegen die Aufnöthigung irgend eine» Can- didaten sür eine Professur zu protestiren, und daß endlich, obgleich von der Bevölkerung Elsaß-LothringrnS ein volle« Drittel katholisch getauft ist, an der Straßburger Universität von 72 Professoren nur 4 katholisch sind. Damit ist, wie gesagt, für Herrn v. Köller der Fall erledigt, und zwar zur vollen Zufriedenheit für jeden erledigt, der sich nicht ohne Grund aufrezen will. Warum aber gerade Herr vr. Martin Spahn uud nicht rin anderer katholischer Gelehrter erwählt wurde, ob uud wie man ihn zu schützen gedenkt, wenn er nicht „kirchlich abgestempelte Geschichte" verträgt, waS weiter geplant ist, um den Wünschen dcS reichSlandische» Feuilleton. Gesühnt. 9j Roman von E. Eschlicht. Nachdruck vnbotrn. Um diese Zeit hatte sie mehrfach gehrimnißvolle Unter redungen mit Louise, die zu diesem Zweck oft eine Viertelstunde oben in Elise's Zimmer wartete. Hier sang ein Kanarienvogel am Fenster in einem hübschen Bauer, das Elise Abends, wenn sic sich entkleidete, sorgsam verhängte. Schlohweiße Borhänge umwallten wie zartes Gewölk die Fenster — so benannte Elis« die drapirten Mullbogen. Rosen und Reseden blühten, und die alten Möbel blitzten vom täglichen Reiben. Dieser Anblick that Louise immer wohl unv sie bekräftigte ihre Empfindungen zu weilen beim Eintreten der Muleschott. „Bist «in verrücktes altes Gespenst — aber daß Du auf Ordnung hältst und immer thätig bist, das hast von uns — liegt wohl so in der Familie; D«in hochtrabiges Gerede hast wohl von Muleschott — von uns ge wiß nicht! — aber darum kam ich nicht, ich wollt' Dich fragen — wie steht sich eigentlich Dein Herr mit seiner Braut? Glaubst Du, daß mit der Heirath endlich dies Gelaufe zu un» endigen wird?" „Ach, Louise — wie viel Thränen weine ich! schrecklich, schrecklich! o, wenn dies di« Selige erlebt hätte!" „Na, weißt Du — das ist doch nicht gut anzunehmen — darüber kannst ruhig sein — aber nun antwort' auch auf meine Frage — ich sitz' hier schon lange und warte auf Dich — kann auch nicht immer unterwegs sein — da hat Henny, sowie ich nicht aufpasse, Maulaffen feil, und PalehanS macht ihr« Ar beiten — ja, man hat so seine Noth — denn weißt Du — «s steht nicht gut bei uns" — hier sank ihre Stimme, und der immer kampfbereite Ausdruck glättete sich schmerzlich — „d«r alte Herr wird alt aussehen — ihm fehlt die Bewegung, an die er so sehr gewöhnt war — eine Zeit lang geht'» wohl mit ihm — aber nachher kommt's plötzlich! Und wenn er stirbt — was wird mit Emilie? Ich laß es mir nicht nehmen, weshalb sie ihn nicht heirathen wollte, ist mir ein Räthsel — denn ich denke immer noch, sie lieben sich — und was soll denn diese Ge schichte? Und wenn sie in ihrer Jugend sich hinreißen läßt — mein Gott — ohne Erfahrung und doch so selbstständig! hat so allerhand Ideen, die sie immer besprechen, von Unabhängigkeit und dem Recht des eigenen Gewissens — ach Gott! und nachher ist das eigene Gewissen doch auch nur «in aller L«uts Gewissen! Er aber — er ist doch alt genug und kennt da» Leben gründlich! Mein Gott, welch' ein Schuft wär« «r, wenn ex unser Kind elend machte! Eliser, was hab' ich für Sorgen!" „Ja, ja! Ach Gott", seufzte nun Müleschotten, förmlich er leichtert, die Andere endlich in ihrem eigenen Fahrwasser zu treffen, „was wein ich mir wohl zurecht! Du läßt mich ja aber gar nicht auSsprechen — di« Selige hätte es doch auch erleben können, wenn Einer ihr untreu würde! Es kränkt mich um den Herrn, "der sonst immer ein so gerechter und vornehmer Herr war — es kräntt mich um die Seele der Seligen! Diel weniger kränkt es mich um diese hochmüthige Torgany, der nicht einmal die feinsten gestickten Tüllgardinen gut genug sind! Gott ver geb« Mir's — ach, wie viel muß ich weinen!" Louise war oufgestanden und klopfte die schluchzende Mule schotten auf die dürre Schulter, daß es ordentlich hdhl klang — dann seht« sie sich wieder: „Na ja — Du bist «in gutes Frauenzimmer — aber weinen nutzt nichts — kannst nicht 'mal ein kluges Wort mit ihm reden? Aber Du mußt alle Deine Fisematenten runterschlucken — sonst kommst gar nicht bis ans Rechte, und er ist aus der Thür, ehe Du noch angefangen hast — sieh, daS mein ich, und darum komme ich überhaupt her!" Und die'1>eiden guten, alten Mädchen, so verschieden in ihrer Art, hatten doch Beide dieselben guten Gedanken und einen ein fachen, ehrlichen Sinn. Sie redeten noch viel ernsthaft hin und her — aber das konnte daS kleine Gehirn Mulrichotten's nicht recht vertragen; sie fing bald wieder an mit: „ja — ja — ach Gott, und di« Selige" — und da war's genug für den derben, gesunden Kopf der Anderen — sie stand auf und machte sich rasch davon. Ja, sie hakt« gut sich davon machen — Mrklrschotten blieb mit ihrer Mission zurück, und die legt« sich mit Centnerlast auf ihre Brust. Unablässig componirt« sie Anreden ohne Floskel — Worte, die wie ein Dolchstoß sich direct in das Herz des Ver ehrten senken sollten, da« Gewissen, die Ehre, die Treue auf zustacheln. Aber immer warfen di« Tagesgeschäfte, die große Ordnung des Hausweftn» alle Satzbauten über den Haufen — und erst in ihrem Stübchen qckb sie sich de» Abend» mit aller Enrrgi, an die Fertigstellung der Doanerwortr: „Herr Theuer- dank — würden Sie es vor dem Allmächtige» — ich sage nicht: vor der Seligen — verantworten können, «stier Dalse zu nah« zu treten? — Ach, mein Gott, sie ist ja noch gar nicht «in« Waise!" Und sie hing bekümmert ihr schwarze« vombasfinkbetd an zwei Henkeln auf zwei Nägel hinter der Thüre, nachdem sie es draußen ausgeschütteli hatte. „Herr Thouevdank, ein« Heirath der Emilie Heinzer mit einem edlen, jungen Manne würde uns Allen wohlthun! — Wo ist aber der junge Mann?" Sir fragte eS ihr eigenes Spiegelbild, aus dem das arme, dürre Hälschen ihr entgegenstarrte. Und plötzlich gedachte sie des in der Aufregung unbedeckt gebliebenen Sängers — er saß ganz vorn an auf seiner Stange und hatte die klugen, blinkenden Perlenaugen gerade auf sie gerichtet; er begann leise zu zirpen, als spräche er zu ihr. Sie «war nun tödtlich erschrocken — ver hüllte augenblicklich den kleinen Neugierigen und fiel nun gänz lich aus der Eonstniction. Sie hatte etwas von der Seelen wanderung gehört und litt unter einem abergläubischen Entsetzen vor den Augen und der stummen Art der Thier«, ihre Theil- nahme zu bezeugen; wer mochte mit dieser Vogelstimme zu ihr reden, wessen Seel« aus den blanken Augen sie anleuchten? Sic zitterte vor Schreck und Aufregung und kroch wie eine Sünderin in's Bett. Am. nächsten Morgen fragte Louis« an: „Hast Du schon?" Muleschotten schüttelte und hob die beschwörenden Arme: „Ach Gott, ja! O, diese schreckliche Nacht, Louise, ich habe schlaflos —" „Ach was, Du bist verrückt" — rief Louis« und warf die Thüre hinter sich zu, zornig von dannen eilend. Aber Mittags war Muleschotten entschlossen, wirtlich zu sprechen, schon aus Angst vor Louise. Uebrigens kam ihr dec ConsrA eigentlich entgegen. „Muleschotten — übermorgen kommen doch die drei Jungens au» der Fremde — lassen Sie oben die Zimmer Herrichten. Den Abend will ich mit ihnen bei Heinzers zubringen, ich habe es dem Kapitän versprochen — die Jungens sind munter und vielleicht im Stande, den alten Herrn ein biSchen zu erheitern, er fängt an, kümmerlich zu werden!" „Ach ja! In acht Tagen ist ja auch schon der große Polter abend, und überhaupt, und wie man vorauSsshen dürfte, in so glückseliger Zeit — wirv eS ja auch dann der letzte Abend sein, wenn der Herr Tonsol überhaupt nicht HeinzrrS — wenn man so sagen dürfte — und darum werden Herr Evnsul nicht Abends mehr dort zubringen!" „Was denn — können — dürfen — letzter Abend — sagen Sie 'mal, gute, alte Maud, find Si« närrisch?" „Ei rst wegen der Ehr, und wegen d«m Gerede — und da ist doch Capitän Heinz-r's Emilie zu gut dazu!" Es war heraus — unvermittelter, als di« Mahnung irgend eine» anderen Menschen — so kam es immer, wenn sie einen Kernschuß thun mußte. Er sprastg auf und schad seinen Stuhl mit einem Krach zurück, steckte die Hände in die Taschen und «begann, auf und ab zu wandern. Also so war eS? Er hatte sich immer betrogen und darüb«r hinweggeiäuscht — seine Verlobung schien ihm «in wirksames Mittel der Möglichkeit, um Gerüchten vorzubeugen — also doch! Und nie erwähnt- diese Molly Heinzers mit eine: Silbe! Und wenn zufällig er einmal den Namen nannte, da lächelt« sic so sonderbar — halb Mitleid, halb Geringschätzung! Was Emilie wohl sagen würde, wenn sie von solcher Auffassung ihrer schönen Lieb: hörte! — Ja — da waren sie Alle, die drohenden, ver nünftigen, ehrlichen und gerechten Einwände, die er sich 'damals gemacht hatte und über di« er sich später dann wegtäuscheir wollte — nun waren sic wiederum da — aber in anderer Gestalt, fest geworden nnd vernichtend! Und Abends, als sie allein im Thurme waren, aneinander geschmiegt, den Himmel betrachtend, von ihrer Liebe und ihren Gedanken sprechend, oft trunken Lipp« an Lippe die wortlose Poesie des Glückes träumend, da sagte cr ganz plötzlich: „Weißt Du, daß meine Besuche Deinem Rufe Schaden bringen?" „Lieber, Lieber! seht mich denn das herab? Ich kränke doch Niemand mit unserem Glück — es ist rin Anrecht, das Du und ich uns vom Leben schweigend zurücknehmen, das es uns vor dem Munde fortgenommen hat — ich kann nicht anders — unv auch Du nicht!" „Doch, doch", sagte er, „wollen wir es nicht versuchen, müssen wir es nicht, Emilie? Noch sind di« eigentlich entscheidenden Schritte nicht gethan — wir spielen mit dem Schicksal — eines Tages wird es uns zermalmen." Sie legte ihm die Finger auf die Lippen und bat ihn, zu schweigen; sie war von so lieblicher Zärtlichkeit, daß er wiederum wie in Verzauberung die Wirklichkeit nicht sah. „Welche Aenderung könnte uns glücklicher machen, als wir sind? Heißt es nicht, Gott versuchen, das umstürzen zu wollen, was wie verhängt und bestimmt so plötzlich über uns gekommen ist? Und versuchten wir «ine Aenderung, wolltest Du durch Aus einandersetzungen und schonungslose Kränkungen di« Dinae ver schroben? Sieh, es gelang Dir nicht im Anfänge, 'wo Vie Knoten lofe geschürzt waren und eine ruhige, sanfte Hand die Fäden lösen konnte — das war damals, wo Du aufrichtig sein wolltest und e» doch nicht zu Stande brachtest — nun müßtest Du mit dem Schwertstreich« die Fesseln lösen! Sei nicht grausam, da mals wirst Du zu gütig! Sei nicht grausam — denn siehe, ich bin ja zufrieden und glücklich — laß Alles bleiben, wie es ist!" . „Geliebte — mich wird ober doch die «ine oder andere Mick-
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