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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020114020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-14
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I., daß er zwei Wochen vorher von der neuesten Verschwörung in Johannes burg gehört habe, da man aber „unnützer Weise" große Ver schwiegenheit bewahre, habe er nicht telegraphiren können. Die Absicht Her Verschwörer — unter denen sich mehr als 300 Fremde befanden und nur wenige Boeren — sei ge wesen, Kitchen «r und Milner nebst ihrem Stabe zu tödten oder gefangen zu nehmen, die Polizei und Randschützen zu tödten, so viel als möglich Schaden anzurichten und dann in die Berge zu fliehen. Die Verschwörer hätten geglaubt, daß, wenn sie Kitchmer, Miner und Andere als Geiseln fortführen könnten, Großbritannien gezwungen wäre, Frieden zu machen. Die Be hörden hätten über 60 Personen in Johannesburg und Elands- fontem verhaftet. Einer der Gefangenen sei bereits hingerichtet worden. Der Plan ging angeblich dahin, die That Mitte De cember in einer Nacht auszuführen. Die Verschwörer hätten sich di« Adressen der Randschützen verschafft, und vor deren Häusern sollten Verschwörer bereit stehen. Andere Verschwörer sollten von den Minen drei Schiefe abgeben, welche das Zeichen für die Einwohner sind, sich in ihre Häuser zurückzuziehen, während die Schützen zu den Waffen greifen müssen. Die Schützen sollten nun, während sie aus ihren Häusern traten, unschädlich gemacht werden. Der Boerenführcr Kemp und 1000 Mann, die in der Nähe versteckt waren, sollten dann in die Stadt eindringen und bis zum Morgengrauen den oben angedeuteten Plan ausführen. Die Sache sei aber verrathen worden, und jetzt schieben von den Gefangenen einer auf den anderen dieSchuld. Vermuthlich handelt es sich um eine ebensolche Verschwörung, wie zur Zeit der Anwesen heit des Lord Roberts in Pretoria, welcher die ganze Affaire nicht sonderlich ernst nahm. Der Correspondent fügt hinzu, daß. Po lizisten und Officiere noch immer selbst in Johannesburg An griffen ausgesetzt seien, weshalb die Officiere Befehl erhalten hätten, in der Dunkelheit nur bewaffnet und stets in der Mitte der Straße zu gehen. Mt dieser Schilderung stimmen Dar stellungen anderer Blätter über die in Johannesburg herrschende Sicherheit nicht überein. * London, 14. Januar. (Telegramm.) Eine Depesche Lovd Kitchenrr's aus Johannesburg vom 13. Januar besagt: Oberst Mng hat einen Brief von Pint Viljoen aufgefangen, aus dem hervorgeht, daß der Boerenführcr I. D. Oppermann, dem mehrere Commandos unterstellt gewesen sind, in einem Kampfe mit dem Obersten Plumer bei Onverwacht gefallen ist; das Gefecht sei bedeutend gewesen. * Berlin, 13. Januar. Die Firma A. Goerz L Co., Limited, theilt mit: Zufolge eines uns aus Johannesburg zugegangenen Telegramms sind di« Verhandlungen mit dem Ge neralgouverneur von Mozambique wegen der Ue Ver führung eingeborener Arbeiter nach dem Rand zum Abschluß gebracht worden und sieht man dem Ein treffen von Eingeborenen aus Mozambique bereits in aller nächster Zetit entgegen. Pserde-Aufkiiufe. Lemberg, 12. Januar. Eine neue englische Station für den Pferdetranspvrt noch Transvaal wurde jüngst inNadbrzezie bei Tarnobrzeg an der russischen Grenze errichtet. Englische Agenten haben in Russisch-Polen im Kreise Sandomir etwa 1600 Pferde angekauft. Dieselben werden aus Sandomir nach Nad- brzezie über die Weichsel transportirt, von wo aus sie „transito". d. h. steuerfrei mit der Staatsbahn via Tarnabrzeg-Rozwadow- Przeworsk-Przemysl-Stryj-Lawoczne durch Ungarn nach' Fiume gehen. Dieser Transport begann am 7. Januar, die Wagen mit den Pferden wurden als „Eilgut" an den Personenzug Nr. 713 in Tarnobrzeg eingehängt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Januar. In diesem Sessionsabschnitt, so glaubte man, würde die erste Etatsvebatte des Reichstags kürzer sein als herlömm- lich, und dies namentlich, weil die erste Lesung des Haupt gesetzes der Tagung, des Zolltarisentwurfs, vorausgegangen war. Die Erwartung trog, die Verhandlungen sind dauer hafter als sonst und auch gestern nicht zu Ende gegangen, so daß sie am Schluffe sechs Tage beansprucht haben werden. Dabei versteht es sich von selbst, daß der Rest der Debatte der Nachlese gewidmet sein muß. Doch flockt der Abg. vr. Hasse insofern ein neues Blatt in daS Capitel „Drei bund" ein, als er, nachdem aus die Galizier und andere Cislei- thanier schon früher ausdrücklich oder mit nicht mißzu verstehender Andeutung hingewiesen worden war, einmal die Magyaren und ihre vielfach gleickgiltigen Hochmuth oder hoch- mülhigc Gleichgiltigkeit heuchelnde Stellung zum mitteleuro päischen Bündniß zur Sprache brachte. Es war gut, daß dieses großmäulige Heldenvolk auf sein ureigenes Interesse am Dreibund verwiesen und auch ihm gegenüber das im Wachsen befindliche „ckesinteres8einont," Deutschlands an dieser Gruppirung zum Anklingen gebracht wurde. Und nicht minder nützlich war es, die Ungarn terrorisirende Natio nalität aus dem Blute Arpad'S darüber aufzuklären, daß mau in Deutschland, auch ganz abgesehen von der Kennt- niß der Existenz und nationalen Bedrängnis; unserer dortigen Stammesgenossen, sehr wohl weiß, daß die Magyaren eine Minderheit in Ungarn bilden, daß ungarisch ein politischer und kein nationaler Begriff ist. Es giebt in der Tbat, wie Herr vr. Hasse bervorbob, so wenig eine ungarische Sprache, wie es eine österreichische und, so darf man vielleicht hinzusügen, belgische oder Schweizer Sprache giebt. — Bei der Gelegenheit wurde sehr am richtigen Platze von unserem Abgeordneten die auffällige Bemerkung deS ungarischen Ministerpräsidenten über politisirende deutsche Studenten beleuchtet. Keine Studentenschaft der Welt politisirt so viel wie die aus dem Magyarenthum hervor gegangene oder zu ihr aus der jüdischen Bevölkerung hinzu getretene. Und dies geschieht nicht zum kleinsten Theil auf Kosten des Deutschthums. vr. Haffe wies auf die in Tingel tangeln verrichteten magyarisch-akademischen Großthaten hin, kürzlich aber hat sich der Kraftüberschuß dieser Jugend auch dadurch „ausgelöst", daß einige ihrer Repräsentanten eine wehrlose Frau, weil sie deutschen Gesangsunterricht er- theilt, in ihrem Hause bedrohte. Chamberlain klang auch gestern nach; der Abg. vr. Hasse machte dem Kanzler für die Zurechtweisung des incurabel dreisten Engländers nicht nur in eigenem Namen, sondern auch in demjenigen „all deutscher F»eunde, die der allerschärfsten Tonart huldigen", sein Compliment. Aber wie vorher der Fractionsgenosse Baffer- mann, bedauerte auch dieser nationalliberale Redner die Ver spätung der Execution. Auch die Abgeordneten vr. Hahn vom Bunde der Landwirthe und der Antisemit Werner glaubten, Einiges zu der Sache bemerken zu sollen, ebenso Herr Stöcker, vr. Hahn renkte sich auch die Aussprache des Grafen Bülow über den Dreibund gewaltsam so zurecht, daß er in bündlerischem Sinne Einiges über die Handelsverträge sagen konnte. Die herrschende wirthschaftliche Krise und ihre Ursachen wurden von mehreren Rednern erörtert, ohne daß dabei eine tiefere Betrachtung zum Vorschein gekommen wäre. Erwäbnenswerth ist nur noch, daß der bayerische Bundesrathsbevollmächligte Frhr. v. Stengel, notorisch ein genauer Kenner des heimischen Finanzwesens, die Weisheit des Herrn Richter, daß Bayern, ohne schweren Schaden zu nehmen, die Erhöhung der Matricularbeiträge ertragen könne, als Thorheit kennzeichnete. Die beiden Poleninterpellalioncn haben gestern im preutzlsche» Abgcoröneteuhausc gute fünf Stunden in Anspruch genommen, die Besprechung ist jedoch nicht zu Ende gegangen und wird heute fortgesetzt. Was die An fragen bezweckten, ist bekannt. Die Nalionalliberalen wollten wissen, welche Maßregeln die Regierung in Aussicht ge nommen habe, um die schönen Worte der jüngsten Thronrede über die Erhaltung des Deutschthums im Osten zur Wahrheit werden zu lassen, und die Polen wollten wegen Wrescken noch einmal zum Fenster und über die deutsche Grenze hinausreden. Dieser Absicht und dem guten Rechte, wie schließlich der Verschiedenheit der Parteirichtungen entsprechend, war die Be- grünbungsrede des nationalliberalen Abg. Hob recht eine vornehme und die des Polen v. Jazdzeweski eine mit be wußten Unwahrheiten gespickte Hetzrede. Herr Hobrecht war in erster Reihe berufen, zu dieser Sache zu sprechen; er ist im Osten geboren, bat in allen gemischtsprachigen Provinzen als Beamter Berührung mit der Bevölkerung gehabt und den Contact unter Anderem dadurch aufrecht zu erhalten Gelegenheit gehabt, daß er seit 30 Jahren einen Wahlkreis an der Weicksel im Abgeordnetenhause ver tritt. Der nationalliberale Führer kannte ältere polnische Bewegungen, aber er mußte sagen, das, was er soeben erlebt, ein Sturm von den Karpathen bis zur Ostsee „wie auf eine Parole", sei früher nicht möglich gewesen. Preußen, führte er weiter aus, dürfe und könne nicht verfahren, wie Oesterreich vielleicht müsse, denn Preußen sei ein National staat und der führende Staat eines nationalen Bundes; die Polen aber wollten ein nationalpolnisches Reich und seien im Vordringen begriffen, während die Deutschen lediglich in das Stadium der Abwehr gedrängt seien und an nichts weniger dächten, als den Polen, Kindern und Erwachsenen, „ihre Sprache zu rauben". Vorsichtig, aber entschieden tadelte der Redner den galizischen Landtag wegen Ueberhebung, um dann mit vollem Ernste die unheilvollen Folgen zu schildern, wenn der neueste, Herrn Hobrecht befriedigende Polencurs verlassen und das Vertrauen in die Festigkeit der Regierung abermals enttäuscht würde. Besonderen gesetzgeberischen Maßnahmen redete der Interpellant jedoch nicht das Wort und hierin trat ihm der Ministerpräsident Graf Bülow, der die Anfrage in erster Reihe und hauptsäch lich beantwortete — der Cultusminister Studt war matt und vielfach nicht verständlich — bei, aber mit Einschränkung, die wir begreifen: Für ihn bedarf es „noch nicht" besonderer gesetzgeberischer Maßregeln, „womit ick", so fuhr er fort, „je doch in keiner Weise die Hände für die Zukunft binden will." Das ist ein nützlicher Hinweis, wenn die Regierung so handelt, daß die Polen an ihren Entschluß glauben können, auch gesetzgeberische Saiten aufzuziehen, wenn die Nevolu- tionirung der gemischtsprachigen Provinzen fortschreitet. Nur in einem Puncte, um dies vorweg zu nehmen, zwingt uns die Auslassung des Grafen Bülow zum Bedauern. Er erkannte an, daß die Lehrer in Wreschen das ihnen zustehende Züchtigungsrecht nicht nur nicht über schritten, sonder» „in sehr unschuldigen Grenzen" zur An wendung gebracht haben; er nahm die Schulverwaltung in Posen gegen die Angriffe des Polen IazdzewSky in Schutz und zollte ihrer Haltung „höchste Anerkennung"; gleichwohl sprach er die Ansicht auS, daß gerade im vorliegenden Falle beim Religionsunterrichte die körperliche Züch tigung nicht wünschenSwerth erscheine, daß also die be treffende Lehrerschaft in diesem Falle etwas nicht wünschenö- werihes getban, die Schulverwaltung etwas nicht wünschenS- wertbeS geduldet habe, was in Zukunft nicht wieder vorkommen solle. Der Vorwurf, der in dieser Ein schränkung der gezollten „höchsten Anerkennung" liegt, wiegt ja bei Einsicktigen nicht schwer, denn man kann von keinem Wreschener Lehrer und keiner Schulverwaltung in Posen verlangen, daß sie außer ihren Rechten auch noch die politischen Wünsche des Reichskanzlers kennen. Di« Polen in ganz Deutschland und in Oesterreich werden aber nur die Einschränkung der Anerkennung, den Vorwurf auS den Worten des Reichskanzlers heraushören, auf seine Autorität gestützt, die Wreschener Lehrer und die Posener Schulver waltung mit neuen Vorwürfen überschütten und die ohnehin dornenvolle Aufgabe dieser Pioniere deutscher Cultur und Zucht zu einer noch dornenvolleren machen. Mit welchen anderen Mitteln die Lehrer sich dann helfen sollen, um renitente Kinder zur Ordnung und zum Gehorsam anzu halten, wird der Reichskanzler schwerlich anzugeben wissen. Zm Uebrigcn bestätigte Graf Bülow zunächst in einer sehr langen Darlegung Vieles eingehend, waS der Abg. Hobrecht mehr im Lapidarstil und darum mindestens nicht weniger eindrucks voll bemerkt hatte. Der Ministerpräsident zeigte, daß er die Polen genau kennt und wohl weiß, was er von ihren Klagen — Wreschen, Sprachenraub u. s. w. — zu denken bat. Für ihn giebt es allerdings auch Wreschener Opfer, aber Opfer von Leuten, die unwiderruflich deutsch gewordenes Land von Deutsch land losreißen möchten. Den confessionellen Spieß kehrte er, WaS bei dem klaren Sachverhalte allerdings kein schwie riger Handgriff war, schonungslos um: es sollen nicht polnische Kinder durch deutschen Religionsunterricht entnationalisirt werden, es wird aber der Religionsunterricht mißbraucht, um deutsche Kinder zu polonisiren. Graf Bülow gab eine ausführliche Schilderung des polnischen Vordringens und deS deutschen Zurückbleibens, richtiger Zurückgehens, wobei er nicht mit der Ansicht zurückhielt, daß politische Propa ganda und ein rücksichtsloser Boykott die stärksten Waffen der Polen bilden. Herr Hobrecht hatte ein gutes Wort gesprochen, „Unsere Zukunst liegt auf dem Osten"; Graf Bülow eignete es sich in dankenSwerther Weise an, hinzufügend, die östliche Frage sei nicht eine, sondern geradezu die Lebensfrage Deutschlands in der nächsten Zukunft. Nun die Mittel: Verstärkte Ansiedelung von Bauern und zwar im beschleunigten Tempo, wenn nöthig unter neuen Geldbewilligungen des Landtags, Genossenschaften, Stärkung des Mittel standes durch Fortbildungsschulen und Förderung deS Vereinswesens, Errichtung kleiner Garnisonen, die für Schrimm und Wrescken schon angeordnet sind. Sodann Stärkung des Einflusses des Großgrundbesitzes, der zu wünschen FeitiHetsn. Gesühnt. los Roman von E. Esch richt. Li-qvruck Verbote». Es war NUN Alles aus — es mußte aus sein. Keine Strafe des Himmels oder der Erde reicht an die vernichtende Qual in der Seele «ines reinen Menschen, eines Menschen, der stets das Gute gewollt, wenn er sich plötzlich auf dem Pfad der Sünde findet, abgeirrt in heißer, überwallender Leidenschaft. Und wenn sich zu diesem Schmerz gleichzeitig die Erkenntniß ge sellt, das Theuerste, das Geliebteste, das Begehrteste lassen zu müssen — diese einzige Zuflucht, zu der sich die zitternde Seele retten möchte, um sich halten und trösten zu lassen, aus schönem Mitleid, aus reiner Güte — welche Kraft fordert das eigene Gewissen von diesem niedergeworfenen Menschen, wie tief ist der Abgrund, in dem die Seele am Boden liegt, zerschmettert und gebeugt, ohne Muth das Angesicht zu erheben nach den ewigen Höhen, aus denen immer verheißungs- und gnadenvoll ein Stückchen Himmel winkt! Ach — auch das schwerste Dasein wäre zu ertragen, wenn es uns nur Schicksalsschläge ertheilte — aber daß es uns selbst untreu machen kann, daß es im Stande ist, unsere Seele zu schädigen und uns vor uns selbst entehren, das ist trostlos! Der Menschheit schwerstes Erbtheil ist, daß sie selbst sich schuldig finden muß! Alles war ihr nun klar — auch daß sie schon lange sich ge müht hatt«, den eigenen Gedanken zu entfliehen, daß sie das graue Haupt des alten Mannes gekränkt, dessen Ehrbegriffe sich von außen und innen deckten! Mit welchem Recht hatte sie die Andere verachtet, das „von Außen" verachtet? Sie erhob sich langsam und mühsam und verließ das Zimmer; draußen stand Louise und instruirte das kleine Hausmädchen für den Ausgang zu Einkäufen in die Stadt. Emilie wartete schwei gend, bis das Kind wie ein Pfeil zur Thüre hinausgesch-ossen war und Louise sich ihr zuwendete: „Um Gottes Willen, Fräulein!" „Schweig und komm!" Sie ging voran in die Küche mit schleppendem Fuß, dort fiel sie zusammenbrechend in die Kni« nieder. Louise nahm ihr Herzenskind in di« Arme nnd ließ lautlos Vie Lechzende sich wiederfinden. „So, so — nun kommt die Farbe zurück -i ach, Emilie, mach uns nicht All« unglücklich!" „Nein, nein, Du Gute — es «war nur ein so plötzliches, ein so schreckliches Erwachen — ich thu nichts — Niemanden auf der Welt will ich kränken, nicht Vater, nicht Dich — aber Du mußt mir helfen! Und noch heute gehst Du hin, sag', habe — hörst Du? Ach, sag', waS Du denkst und Pflicht, höher, als alles Gebot der Menschen! Er möge vergessen, daß ich ihn dermaleinst zu sehr geliebt habe — sag', habe — hörst Du? Ach, sag', was Du denkst und willst, denn Du bist klug und gut. So, nun gieb mir «inen Trunk Wasser und dann gÄ;' -gleich nach dem Essen — ich will ihn jetzt nicht sehen — nicht, bis nach seiner Heim kehr — sag' ihm, «r soll lange, lange nicht heimkehren!" „Gott fei gedankt, Gott, tausendmal sei gedankt, mein Herzenskind — ach meine schöne, liebe Tochter, wie viel Glück hab' ich für Dich vom Himmel erfleht!" „Laß', laß', alte, treue Seele — ich hab' es ja auch gehabt! Du hast mich immer gelehrt: „Niemand darf zu viel fordern!" und ich — ich habe, als ich mich überredete, wenig zu fordern, gerade das Zuviel verlangt! Ach, ich darf nie mehr Glück er flehen!" Und sie verhüllte ihr Gesicht, das abermals erbleichte. Nun erhob sie sich, schüttelte ihre Kleider zurecht, strich die Haare glatt, besann sich einen Augenblick, und dann sagte sic: „Weißt Du — kannst Du di« Küche auf eine halbe Stunde ver lass«» — dann geh' — geh' gleich, — ich möchte wenigstens daS von der Seele haben!" „Ja, ja, ich kann Alles so einrichten, ich gehe unverzüglich!" Emilie ging nun langsam in die Stube zurück; -hier versuchte sie, sich am Gespräch zu betheiligen und ihre Aufmerksamkeit nicht abzulenkcn. Mit einem demüthigen Ton« sprach «s in ihr: „Du hast ja gelernt, Dich zu beherrschen und die Anderen zu täuschen!" Bald war Louise im Hause des Lonsuls, und sie begab sich ins kkine Contor, durch die großen, leeren hindurch; es war Mittagsstunde, und die jungen Leute waren fortgegang«». Elifer hatt« sie geführt mit den unvermeidlichen halben Hand? schuhen und dem Schlüsselkörbchen am Arme und sich seufzend entfernt, als auch schon Thouevdank eintrat. Er hatte nicht sein gewöhnliches, frohes Gesicht bei der Begrüßung — der scharf züngigen Louis« gegenüber fand er sich ein für all« Male be drückt und beengt. Er bot ihr aber doch «inen Stuhl an; sie war nicht ganz Dienstbote, und sic war alt. Jedoch, sie setzte sich nicht; sie war ziemlich atbemlos, nicht vom raschen Gehen, nur die große Er regung macht«, daß sie nicht ohne Unterbrechung sprechen konnre. „Herr Theurrdank — Si« w«rden von Fräulein Emilie durch mich gebeten, vorläufig nicht mehr zu uns zu kommen!" „Wie? Haben Si« nicht einen Brief — unmöglich, sollte durch Ihren Mund solche Bestellung mir werden — und was ist denn vorgefallen?" „Der Mund, Herr Theuerdank, der nie eine Unwahrheit über seine Lippen brachte, der Mund «ines alten Mädchens, das mit großem Herzeleid schweigend das Unglück über unser friedliches Haus hat kommen sehen — der Mund ist besser, als Feder und Tinte, und deutlick, mein ich, hat «r auch gesprochen!" „Ich dank«! Ja, wahrhaftig — deutlich genug — aber noch einmal: was ist vorgefallen?" „Vorgefallen? Nichts Besonderes! Aber irgendwie, irgend wo muß ein Wort gefallen sein, das an das verschlossen« Herz des Kindes gepocht hat — «in Mahnruf! Und da hat sie wohl — rasch und stolz, wie sie ist, sich mit sich selbst abgefunden! Sie war mehr todt, als lebendig, Herr — und nun laß der Herr genug sein — unser Kind ist in aller Leute Mund, dafür hat die vor nehme Braut und die heuchlerische Creatur, diese Sauters, ge sorgt! Gott weiß, von wem sie's hat — es muß von Sauters sein —von uns hat sie's nicht! Aber unser Kind ist nun elend und unglücklich dazu — nun ist's wohl genug, Herr?" Si« sah ihn fest an, er saß ganz bleich da, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt. „Es war Alles Emiliens Wille", sagte er leise. „Ja, «s wird wähl so was Ueberspänniges gewesen sein, wie das Kind es sich in ihrem Kopfe zurechtgelegt hat — aber Einer war doch dabei, Einer, der recht gut wußte, Einer, der alt genug war, um die Welt und die Menschen zu kennen — und das wann Sie. Sie haben dieses Kindes Herz und Unschuld mißbraucht — ja — und das müssen Sie sich nun durch solchen Mund sagen lassen! Und es wird Ihnen noch von Anderen ge- sagt werden — 7ta denken Sie vielleicht an diesen Mund zurück — er ist rein und ehrlich!" Sie schob bei dieser Versicherung mit einer zornigen Grimasse den einsamen Zahn vor, so unbeschreiblich lächerlich in ihrer ganzen Art, mit der hohen Sturmhaube und -dem rothseid«n«n Regenschirm« mit dem Messingstabe — ein Erbstück aus dem Jahrhundertsanfang. Aber Der, zu d«m sie sprach, sah heute nichts von all' der Lächerlichkeit — er schämte sich vor ihr, er fand auch den trotzigen Muth nicht, ein Wort zu seiner Vertheidigung oder gegen ihre Dreistigkeit zu sagen. Nur Emilie begriff er nicht, verstand weder diesen jähen Ent schluß, noch die Härte, mit der sie ihm diesen' kundthat; und er liebte sic gerade jetzt, wie seines Lebens Nothwendigkcit mit heißer Zärtlichkeit, voll Leidenschaft und Eifersucht, er hätt« «m Ver brechen für sie begehen können — und nun löste sie selbst sich so von ihm! „Ich kann wohl gehen, Herr Consul?" Si« war arm und alt und ihm feindlich gesinnt, aber sie war Pin Stück jenes theuercn Hauses, und so voll Liebe und Treue für das unselige, schöne Kind, um das er hätte sterben mögen, sie war ihm, wie die letzte Stütz« in sein«m Leid. „Louise — weiß der Capitän um düsen meinen Abschied." „Nein", sagte sie, „aber es ist gut, daß Sie daran denken — Sie schreiben ihm wohl, daß Sie nicht kommen können. — Sie können ja auch nicht kommen — nicht wahr — nie mehr?" Sie drehte sich rasch um und trat von ihm fort. Geräuschlos schloß sie die Thüre hinter sich. „Eliser", sagte sie im Vorbeieilen, „Eliser, Du kannst nun alle Deine Reden sparen — ich hab' das für alle Zeiten besorgt. Nun haltet nur Eure großartige Hochzeit mit allem Klinzklana, und dann führt Eure gottlose Wirthschaft nur weiter! Alles ist ja blank und herrlich, wie ich sehe — na — der hochselige alte Adam wird wohl auch zu der Seligen miteinziehen!" „Louise — ein Herz, das so voll Mitgefühl schlägt, ach, ach, Louis« — ja, ja, «s ihut weh. Louis«" — „Ist schon gut, ist schon gut! Kannst wohl freilich nicht dafür, aber mitgegang«n, mitgefang«n, mitgehangen!" Und fort war sie — die zitternd« Muleschotten in rathloscr Kümm«rniß zurücklassend. Und mit dem Pomp und der ganzen Aufregung einer kleinen Stadt, die sich durch alle Schichten der Bevölkerung zog, verliefen die großen Festlichkeiten der Hochzeitstage, deren Feier auch zu Emiliens großer Qual im Hause des Capitäns ihren Widerhall fand. Louise hatte ein schönes Mahl anrichten müssen, die ältesten Tropfen gab der Keller her; und zu dem Fäßchen Austern, das der alte Herr durch englisch- Kohlendampfrr häufig kommen ließ, perlte der „rosige Schaum der Traube von Spernay." Der Capitän fand es begreiflich, daß Emilie nicht sehr heiter war — schrieb voch Theuerdank in seinem Absagebrief neulich: Ich geh- ohne Lebewohl — ich sollte ruhig sein und fühle mich unaussprechlich traurig —, wie anders wird sich mein Leben gestalten! wir sehen uns nun eine lang Zeit gar nicht, denn wir werden kaum im Winter heimkehren." Im Grunde war auch darüber dec Capitän eigentlich froh. Emilie schien ihm durch diesen Freund viel zu sehr in Anspruch genommen — er stand gewissermaßen zwischen ihr und der Mög lichkeit einer Heirath. Denn immer wieder dachte er an Doctör Hellwig — recht «in Sohn nach seinem Wunsch und ein Mann für seine Tochter. Und er tröstet« sich, als er das schmale traurige
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