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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020116023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
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HrntsVkalL des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes nnd Nolizei-Aintes der Stadt Leipzig. Anzeigen »PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./S 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Nr. 28. Donnerstag den 16. Januar 1902. Der Krieg in Südafrika. Briefe eines Tentschcu aus Südafrika, der auf englischer Seite Kriegsdienste gethan, veröffentlicht der „Bresl. Gen.-Anz." Wir entnehmen den Briefen Folgendes: . . . Neulich kam ein großer Trupp „Gefangener" an uns vorüber. Aber nur einem einzigen sah man an, daß er im Felde gestanden hatte und von der Front kam. Die Uebrigcn waren Bürger des Landes, die sich für neutral erklärt hatten und einfach fortgeschleppt wurden. So halten die Engländer ihre Versprechungen in den Proklamationen! Wenn sie wieder Gefangene brauchen werden, und die kleinen Städte sind von Bürgern entblößt, dann werden sie wohl in Johannesburg dasselbe thun. Jetzt fängt man hier auch an, alle Leute, die keine Arbeit haben, nach den Flüchtlings lagern zu bringen. Ein Beamter, der sich weigerte, wurde ein fach als „Kriegsgefangener" weggeschickt. Wieder eine neue Art, Gefangene zu machen! Dann wird nach Hause gemeldet: „So und so viel Tausend Boeren als Kriegs gefangene nach Ceylon u. s. w. gesendet." Es ist doch eine Schande, die ihresgleichen sucht, wie sich die eng lischen Autoritäten hier aufführen. Zum Glück leiden die eng lischen Unterthanen ebenso und noch mehr als die Anderen. „Flüchtlingslager" ist übrigens eine schlechte Bezeichnung für die Lager, wohin die Leute gebracht werden, manchmal mit kurzer Ansage, manchmal direct aus den Betten, so daß sie leine Zeit hatten, das Nothwendigste mitzunehmen; aber nie mals sind es Flüchtlinge! Seit einigen Monaten lebte die Frau des Generals De Wet in Johannesburg, wohin man sie gebracht hat. Dieselbe wird nun mit ihren kleinen Kindern nach Durban geschafft. Man hat wahrscheinlich Angst vor ihr. Sie ist auch die richtige Frau ihres Mannes! Man läßt eben die Frauen und Kinder büßen, da man die Männer nicht fangen kann. Heute hörte ich aus officieller Quelle, daß die Proklamation des Lord Roberts, die da sagte, daß Alle, die sich neutral erklären und den Neutralitätseid leisten, in ihrem Heim bleiben dürfen und beschützt werden sollen — aufgehoben ist. Alle, die auf den Schwindel reinfielen, können nun als „Kriegsgefangene" weggeschickt werden. Es ist doch eine „gerechte" Kriegführung!! Heute hörte ich auch, daß General B., der später die südafrikanische Polizei commandiren sollte, Dynamit an die Boeren verkauft hat, wofür er schmach voll entlassen wurde. Auch ein guter Kamerad! Jeder ver sucht, so viel als möglich herauszuschlagcn. Ein Minister liefert Patronen und ein General das Dynamit an den Feind. Das sind nette Zustände! — Wir sind jetzt mit 12 Mann dem Panzerzug Nr. 11 zu- getheilt; wir Nicht-Engländer haben einen Wagen für uns; durch den Panzerwagen kann keine Gewehrkugel hindurchgehen und große Geschütze haben die Boeren nicht mehr. Neulich haben sie das Boerencommando von Lotter ge fangen. Ehe wir am letzten Dienstag von Cradock weg fuhren, war Morgens große Parade, die Kavallerie holte die Boeren vom Gefängniß ab und führte sie auf den Markt platz. Hier war großes Kriegsgericht, alle Gefangenen wurden verdonnert, insgesammt ungefähr 350 Mann. Der Boeren- führer Lotter wurde zum Tode verurtheilt und noch denselben Tag Abends aufgehängt, verschiedene andere Boeren da gegen wurden erschossen und die Uebrigen zu 5 bis 10 Jahren „Hart Leber", d. h. Zuchthaus, verurtheilt. Letzte Woche brachten sie einen kleinen Theil von Sheeper's Kommando ein; dieser Kommandant ist am Fieber gestorben (bis jetzt weiß man nur, daß er den Engländern schwerkrank in die Hände ge fallen ist. D. Red.), sonst hätten sie gewiß keinen von seiner Schaar gefangen. De Wet ist immer noch im Oranje-Frei- staat, den kriegen sie auch nicht so leicht, denn der ist sehr schlau; die Engländer haben große Angst vor ihm... Politische Tagesschau. * Leipzig, l6. Januar. Mit Recht bezeichnet es die „Nat.-Ztg." als ein wenig erfreu liches Schauspiel, daß der Reichstag sich Jähr für Jahr mit dec Versorgung der Veteranen beschäftigen, Jahr für Jahr dieselben Klagen vorbringen uns auf seine einstimmig erhobene Forderung einer besseren Leteranenfürsorge regelmäßig die Ant wort entgcgennehmen muß, die Regierung habe für die Veteranen viel Wohlwollen, aber wenig Geld. Auch gestern konnte der R e i ch s s ch a tz s e k r e t ä r auf die Interpellation Arendt nur erwidern, das Wohlwollen des Reiches finve seine Grenze in den verfügbaren Mitteln. Es würden jährlich die Beträge für einige Hundert Veteranen mehr als im Vorjahre dereitgestellt — worauf aber zu bemerken ist, daß die Zahl der angcmclseten Veteranen jährlich um einige Tausend wächst. Wenn ein Be rechtigter Jahre lang nicht berücksichtigt werde, so liege das an den unteren Verthcilungsstellen, auf die der Schatzsekretär keinen Einfluß habe, und sei Sache der Einzelstaaten. Die zur Deckung der Kosten vom Abg. I)r. Arendt vorgeschlagene Wehrsteuer lehnte Freiherr von Thielmann ab und machte däbei die Be merkung, das ganze Steuerterrain sei bis auf Bier und Tabak abgegrast. Die Aeußerungen des Schatzsekretärs konnten wenig befriedigen und mutzten aus den Reihen derjenigen Abgeord neten, die sich seit Jahren mit lebhaftem Bemühen und schwachem Erfolge der Veteranen annehmen, entschiedenen Widerspruch wecken. Dem gab namentlich der Abgeordnere Prinz zu Schön aich-Carolath Ausdruck, indem er betonte, daß die Lösung der Frage in diesem Jahre mit Rücksicht auf die schon durch die Arbeitslosigkeit verursachte Noth besonders dringlich sei. Er forderte die Erhöhung der für Veteranenuntcrsiützung bereit zu stellenden Mittel von 6 auf 12 Millionen, um allen ge rechten Ansprüchen genügen zu können, und den andernfalls dem Bankerott cntgegengehendcn Jnvalidenfonds zu entlasten. Ferner schloß er sich dem Vorschläge einer Wehrsteuer und der schon früher erhobenen Forderung an, daß von den Veteranen nicht der Nachwejs gänzlicher Erwerbsunfähigkeit verlang! werden solle, sondern nur der Nachweis einer Verminderung der Erwerbs - fähigteit um ein Drittel. Zur Erfüllung der Ehrenpflicht gegen die alten Krieger m üsfe das Gels da sein. Graf Oriola schlug vor, die Zahlung der Unterstützung bei Todesfällen nicht sofort einzustellen, sondern der Wittwe noch ein oder zwei Monate über die ärgste Noth hinwegzuhelfen. Noch eine Reihe weiterer Redner trat für die zum eisernen Bestände der Reichs- tagsberathungen gehörenden Forderungen ein, so daß die Be sprechung dieser Interpellation die ganze Sitzung in Anspruch nahm. Daß das Ergebniß günstiger fein werde, als in früheren Jahren, ist nach der Haltung der Regierung leider mehr als frag lich. Die Interpellationen über die Militärprnsionen und di: Arbeitslosigkeit wurden auf heute vertagt. Auch der gestrige, dritte, Tag der Polendebatte ini prcuszischcn Äbgcorvttctcuhailsc hat wesentlich neuen Stoff zur Beurtheilung sowohl der Größe der von der großpol nischen Agitation drohenden Gefahr, als auch der von der I Regierung in Aussicht genommenen Bekämpsungsmittcl nicht I zu Tage gefördert; nur eine vom Abg. Schmieding in I Vorschlag gebrachte und in unserem Parlamentsberichte nicht erwähnte Maßregel zur Controle der polnischen Hetzpresse dürfte hervorzuheben und eingehend zu erwägen sein: die Maßregel nämlich, diese Blätter künftig doppelsprachig, mit polnischem und deutschem Texte erscheinen zu lassen. Bemerkenswerther aber noch als das, was während der drei Tage gesprochen wurde, dürfte das sein, was vielfach erwartet, aber nicht gesagt worden ist, daß nämlich die Be mühungen der Regierung, den Vatikan zu einer Warnung an die polnische Geistlichkeit vor fernerer Unterstützung der Bewegung zu veranlassen, von Erfolg gewesen seieu. Man muß daraus schließen, daß der Papst nicht gewillt sei, von solcher Unterstützung abzumabnen. Und daraus wieder ist zu schließen, baß Las Cent rum, obgleich es während der nun zu Ende gebrachten dreitägigen Debatte sich gehütet bat, allzu offen Partei für die polnischen Agitatoren und ihre Ziele zu nehmen, auch in Zukunft bestrebt sein werde, Alles unwirksam zu machen, was die Regierung zur Eindämmung der polnischen Bewegung und zum Schutze des DeutscbtbumS in den gemischtsprachigen Landestheilen thun wird. Um so nöthiger ist es, daß die Regierung von keiner Rücksicht sich abbalten läßt, mit aller Energie zuzugreifen und alle ihre Beamten zur nachhaltigen Durchführung der an geordneten Maßregeln anzuballen. — Was die Anwendung körperlicher Züchtigung von Schulkindern bei passivem Widerstande im deutschen Religions unterrichte betrifft, so hatten wir bekanntlich bedauert, daß Graf Bülow am Montag erklärt hatte, es sei Fürsorge getroffen worden, daß körperliche Strafen als Disciplinar- schulmittel im Religionsunterricht nicht mehr zur Anwendung kommen sollten; wir fürchteten, daß durch diese Erklärung die Wrcsckener Lehrer und die Posener Schulbehörde in den Augen der Polen rectificirt erscheinen, neuen Vorwürfen wegen barbarischen Vorgehens ausgesetzt und in üble Lage bei fort gesetzter Renitenz der Schulkinder im Religionsunterrichte ge bracht werben würden. Mit Bezug hierauf wird uns heute aus Berlin geschrieben: „Diesen Bedenken dürfte die Auffassung zu Grunde liegen, als ob Las Verbot körperlicher Strafen beim Religionsunterricht erst ganz neuerdings und aus Veranlassung des Ministerpräsidenten er folgt sei. Wie es aber in Bezug auf die in der Wreschener Schule angewandte körperliche Strafe in Wirklichkeit steht, hat die halb amtliche Darlegung der „Nordd. Allg. Ztg." vom 10. December v. I. klargestellt. In dein Regierungsorgane hieß es damals wörtlich: „Der KreiSfchulinfpector fragte am 4. Mai mündlich beider Negierung (in Posen) an, wie sich die Lehrer (in Wieschen) diesem Widerstande der Kinder gegenüber verhalten sollten, verbot auch Len Lehrern gleichzeitig, selbstständig zu Züchtigungen der Kinder zu schreiten. Bon der Re gierung erhielt der Kreisschulinspector die Weisung, die Kinder, welche die Ausgaben nicht lernten, nach- sitzen lassen und, soweit sie Trotz oder Widerspäastigkeit zeigten, auch körperliche Züchtigung anzuwendcn ... Was die Regierung dem Kreisschulinspector am 4. Mai mündlich als Weisung gegeben hatte, ist demnächst am 15. Juni in einer schriftlichen Bcrsügun g wie folgt zum Ausdruck gebracht: Kinder sollen nicht deshalb, weil sie im deutschen Religionsunterricht nicht antworten, körperlich gezüchtigt werden; diese Strafe tritt vielmehr nur ein, wenn sich mit dem passiven Ungehorsam offene Auflehnung gegen die Schulordnung verbindet.'' Aus dieser Verfügung geht zunächst hervor, daß weder die Wreschener Lehrer noch die Posener Regierung sich durch die Rede des Ministerpräsidenten vom 13. Januar d. I. rectificirt fühlen können. Was insbesondere die Lehrer artbelangt, so erhellt auS der obigen Darstellung, daß die Verhängung körperlicher Strafen über die widerspüustigeu Poleukinder ihrer Initiative nicht entsprungen ist. Die polnischen Agitatoren aber, denen das Verbot körperlicher Strafen beim Religionsunterricht doch seit dem 10. December v. I. bekannt ist, haben, so viel wir wissen, davon kein Aufhebens gemacht. Das erscheint auch weiter nicht wunderbar. Denn den polnischen Agitatoren kommt es nicht darauf an, die körperliche Züchtigung der Wreschener Polenkinder um der Züchtigung selbst willen als Barbarei hinzustellen, sondern es kommt ihnen darauf an, die Ertheilung des Religionsunterrichts in deutscher Sprache rückgängig zu machen. An diesem Thatbestande ist nach der letzten polnischen Interpellation nicht zu zweifeln. DieRededes Grasen Bülow vom 13. Januar und die im Namen der Staatsregierung abgegebene Erklärung des CultuS- ministers haben den Beweis geliefert, daß jene pol nischen Bemühungen keine Aussicht auf Erfolg haben. DaS ist für die Beurtheilung der im Hinblick auf die Wreschener Vorgänge erlassenen Regierungsmaßnahmen die Hauptsache. Aber, so fragt man, welche Mittel stehen denn der Regierung für die Bezwingung des Trotzes polnischer Schulkinder zur Verfügung, wenn der passive Widerstand beim Religions unterricht mit Prügeln nicht bestraft werden soll? Daß im Wreschener Falle die Anwendung der Prügelstrafe nicht zum Ziele geführt hat, ist bekannt. Mehr Erfolg von der weiteren Anwendung der Prügelstrafe zu erwarten, erscheint deshalb gewagt, weil die Prügelstrafe an die eigentlichen Urheber der Renitenz der polnischen Kinder nicht heranreicht. Die Neigung dieser Urheber aber, Eltern und Kinder zum Widerstande gegen die Ertheilung des Religionsunterrichts in deutscher Sprache anzustacheln, wird in dem Maße geringer werden, je mehr jene Urheber einerseits merken, daß alle staatlichen Factoren mit größter und unwandelbarer Energie ihnen das Handwerk erschweren, und je stetiger andererseits die Schulbehörde sonstige Mittel der Schuldisciplin zur Anwendung bringt. Man hat bereits auf die Möglichkeit der Zwangs erziehung der renitenten Kinder hingewiesen. Nicht minder nahe liegt für die Schulbehörde der Weg, Kinder, die gegen den deutschen Religionsunterricht im passiven Widerstande verharren, so lauge auf derSchule zu behalten, bis ihrTrotz sich gelegt hat. Die Verpflichtung zum Schulbesuch hört in Preußen nicht absolut mit dem 14. Lebensjahre auf, sondern nach der Entscheidung des Obertribunals vom 7. Februar 1867, die sich stützt auf das Allgemeine Landrecht II 12 8 46, sowie auf Absatz 2 der Cabinets- orüre vom 14. Mai 1825, dauert sie bei jedem einzelnen Kinde „je nach dem Erfolge deS Unterrichts". Daß ein Kind, welches in einem deutschen Staate der Ertheilung des Unterrichts in deutscher Sprache sich widersetzt, die zur Entlassung nöthige Reife nicht besitzt, ist zweifellos. Wird nach diesem Grundsätze ver fahren, oder das Mittel der Zwangserziehung angewandt, so dürste cs — unbedingte Consequenz auf Seiten der Schulbehörde voraus- gesetzt — mit dem polnischen Widerstande bald vorbei sein". Unsere Bedenken werden durch diese Darlegung nur in- I sofern entkräftet, als aus ihr hervorgeht, daß die Wreschener I Lehrer und die Posener Behörde sich durch den Grafen I Bülow nicht rectificirt fühlen können. Bedauerlich aber ist Gesühnt. 12j Roman von E. Esch richt. Nachdruck verboten. Sie erhob sich sofort, ergriff des Vaters Hand und sprach mit feierlicher Ruhe: „Ein großes Unglück hat die Lebensbahn ihm rasch geendet — vielleicht war sie auch sonst nur noch kurz bemessen! — Zehrendes Leid hätte seine letzten Tage getrübt! — Er, der in homerischer Ruhe über den Enttäuschungen des Lebens stand, der fertig zu sein wähnte für den Rest der Pilgerschaft ach! leidenschaft ¬ lich und heiß, wie einen Knaben hätt' ihn täglich nur der Jammer aufgestachclt — nun war der Kampf kurz! Und ungebrochen tritt er seine Heimfahrt an! — Fahr 'wohl, fahr wohl, Du bester und edelster Mensch!" Und sie küßte wieder und wieder ihm Angesicht und Hände, und die Stirne, deren letzte Sorgensalten die Ruhe- des Todes ganz geglättet hatte. Sie reichte dem Arzte die Hand und bat ryn: ' „Stehen Sie ihm bei — ich weiß, Sie liebten ihn!" „Er liebte mich — und das ist mehr, mein Fräulein — ich bin ein Einsamer und ganz Verlassener im Reiche 'der Liebe!" Louise führte ihr Fräulein in die Schlafstube, half ihr, sich entkleiden und deckte sie sorglich zu; sie weinten Beide ihre stummen, bitteren Thränen ohne Wort und Klage. An das frohe Neujahrs-Kirchengeläute schloß sich nach kurzer Paus« der bange Ton dec Sterbeglocken, und mit der ehernen Zunge um die Wette trugen glückwünschende und grüßende Menschen die vernommenen Gerüchte über das Drama Vieser Nacht von Haus zu Haus. Theuerdank sitzt in seinem Kontor nach stattgohabter Konfe renz mit seinem Procuristen; es wurde heute selbstverständlich nicht gearbeitet, und Theuerdank, der Niemanden sehen wollte, suhlte'sich nur hier gesichert. Dagegen repräsentirte Muleschotten mit dem ganzen Auf gebot ihrer zappelnden Vernunft, Vie doch immer durch unbeirr bare Gewissenhaftigkeit auf der richtigen Bahn gehalten wurde, in den friedlichen Staatsgemächern ernst und würdig. Alle ihre so berühmten schönen Ausrufe und halben Redensarten blieben ungesagt; — sie befriedigte auch sonst in nichts die Lachsucht und Neugierde der Besucher, die, um Theuerdanl's Heimkehr wissend, bis zum letzten und fernsten Bekannten erschienen und ein Bombardement verfänglicher und unverfänglicher Fragen an die so leicht konfuse richteten. Kühl, ruhig und einwandslos begegnete sie Allen: „Herr Theuerdank war in Folge des Schiffsverlustes nur auf einen Tag gekommen und ist augenblicklich nicht zu Hause!" „In Paris war Alles Wohl und glücklich — dank: für Vie gütige Nachfrage!" — „Und den Tod des Herrn Kapitäns hatte sie schön in der Frühe durch den Doctor Hellwig erfahren, den Cousine Louise gebeten hatte, bei ihnen vorzusprcchen." Da war nichts zu erfahren — und doch wirbelten Gerüchte wie Sommerfäden durch die Luft, man wußte nicht, woher sie kamen, aber sie streiften wiederum alle die Wahrheit, obgleich kein Laut über die Vorgänge aus dem Hause d«r Hcinzers ge drungen war. Gegen Abend, da Emilie frostig, bleich und thränenlos in des Vaters Sophaecke lehnte, trat Louise zu ihr: „Fräulein sieht so elend aus, nach all' der überstandenen Pein, ich will Fräulein bitten, nun wieder zu Bett zu gehen." „Nein, Louise, ich bin nicht müde, auch nicht krank." „Aber ich bitte Fräulein dringend darum, wenn Herr Theuer dank kommt, will Fräulein ihn doch nicht annchmen?" „So — also darum willst Du mich zu Bett schicken! Als ich ein Kind war, bin ich einmal durch die ganze Stadt bis zur Haide hinter Prager Musikanten hergelaufen — da hast Du mich auch zu Bett gebracht — es war meine Strafe, willst Du mich heute auch strafen?" „Nein. Aber ich müßte Herrn Theuerdank unter irgend einem Vorwand abweisen. Wenn Fräulein im Bett ist, kann ich ihn annehmen. Es ist schon um Henny's willen — glück licher Weise war das Kind ja diese Nacht zum Fest bei den Eltern und hat nichts erfahren — denn ich will nicht, daß man redet!" Emilie erhob sich, noch immer im Bann eines gewissen Ge horsams, den die alte Wärterin nie von ihr gelöst hatte. Aber sie setzte sich schon wieder und sagte rasch: „Nein — ich selbst will ihn annehmen! Es muß Alles ausgekostet werden, bis auf Hen letzten Tropfen; ich muß bleiben, und Du auch, Du kannst im Nebenzimmer sein." „Ist Fräulein start genug? Ist es möglich, daß Fräulein ruhig und stark bleibt?" »Ja — sei ruhig um mich!" Nicht lange danach ertönte der ihr so bekannte feste und doch etwas ungleiche Schritt. Louise führte Theuerdank in die Stube und zog sich zurück; er saß nun Emilie gegenüber, die Lippen zusammengepreßt, die Arme verschränkt. Sie sah die große, mit ihm vorgegangene Veränderung — das war nicht das Bild des Schmerzes oder Schreckens aus dieser letzten Nacht! — Er war sehr mager geworden und das .Haar stark ergraut in kaum sechs Wochen! Der joviale be hagliche Zug, eine derbe Frische, die ihn so eigen charakterisirte, waren spurlos verschwunden. Sein Gesicht, obwohl gealtert, war veredelt, und so gramvoll und hoffnungslos, fo leidend die ganze Erscheinung, daß sich ihr Herz zusammenzog. Er hatte die Blicke gesenkt und sie sah ihn unverwandt an; sie be merkte ein starkes Beben seiner Lippen, wie er anhub: „Emilie — ich kam nicht gestern, um zu sehen, ob ich vom zertrümmerten Glück unserer Liebe noch einen Fetzen retten könnte — ich kam, unwiderstehlich vom Schicksal getrieben, das ein Opfer haben wollte, ein Sühnopfer — es hat mich hierher gerufen Tag und Nacht! Ich wußte nicht, sollte es Dich oder mich treffen — nun bat es den tödtlich zermalmt, der so schuld los und so gut war! Aber es hat seinen unsichtbar gewollten Zweck erreicht — zwischen Dir und mir steht nun der Tobte — erst nun sind wir eigentlich geschieden! Dir und mir war's nicht so leicht bestimmt! Wir haben nun zu dem Leid um uns noch Ine Last seines Todes auf unseren Herzen! Daß ich das Alles weiß und fühle — Dir das zu sagen, bin ich selbst ge kommen; und nun kann ich gehen! Gott weiß, wie ich hier an dieser Stelle flehe. Dir möge noch einmal ein Heller Stern auf gehen — Du hast nicht verdient, daß Dein Leben so verstört wurde! Aber ich weiß, auch dies Gebet bleibt unerhört! In Deiner Seele bereiten sich die Dinge anders vor, und Du wirst nie ein Herz verschenken, in dem die Schatten wohnen. Wir können nichts vergessen — und nun: Gott behüte Dich!" Er stand langsam auf, sie bewegte sich nicht. Er ging leise umher, und sah die vertrauten Gegenstände an, wie er es auch früher gern gethan. Don ihrem Arbeitskorb am Fenster hob er die hüllende Decke ab — da lag noch ein halbfertiger Kranz, schimmernd wie Kirschenblüthen. Er nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn, öffnete seinen Rock und schob ihn in die Brusttasche. An dem Pfeifentisch in der Ecke blieb er gleich falls stehen, und fast schluchzend kam es über seine Lippen: „Nicht einmal Wiedersehen darf ich ihn! Man sagt, wenn der Mörder an sein Opfer tritt, blutet dessen Wunde; ich könnte sein ehrliches todtes Herz in der Ruhe stören. Wer kann wissen, wie lange noch die Seele an der verlassenen Hülle umirrt und was die geschloffenen Augen noch wahrzunehmen vermögen! Wie viel und wie oft haben er und ich uns gemüht im heißen Wissensdrang, um einen Zipfel des Vorhanges zu heben, hinter dem er nun verschwunden! Aber sein Mund wird stumm bleiben! Doch wenn mit dem Tode auch Vernunft und Sinne erlöschen, wenn die Gottheit unserer schwachen Seelenkraft nicht mehr bedarf, wenn es genug war mit unseren Leiden und Freuden auf dieser Erde — auch dann dürfte ich ihn nicht Wiedersehen — denn ich habe ihn tödtlich beleidigt." Er trat nun an die Ausgangsthür, sah noch einmal rings umher und endlich auf sie, die mit weit offenen, thränenlosen Augen seinen Bewegungen folgte, und nun sah sie in die dunklen Augen, aus denen so flehend und starr die Blicke zu ihr gingen, wie heute Nacht aus ihres Vaters Augen. Langsam trat er zurück, öffnete und schloß die Thür, und sie hörte ihn bald danach mit schwankenden Schritten unter ihrem Fenster vorübergehen. So gehäuft war das Maß des Grams in ihrer Seele, daß es wuchtend ihre Glieder lähmte; sie schloß die Augen und verharrte lange reglos, gleich einer Schlafenden. Schon am folgenden Tage war Theuerdank zu den Seinen zurückgekehrt. Ernst erschrak, da er des Vaters ansichtig wurde; er hatte ihn schon manchmal mit geheimer Sorge be trachtet, aber so müde und theilnahmlos fand er ihn noch nie. Auch Molly wurde stutzig — mit einem traurigen Lächeln nahm er ihre Zärtlichkeit hin, ohne sie zurückzugeben. Aber er war sanft mit ihr und aufmerksam; auch wollte er kein Hemmniß im leicht hinfließcnden Strom ihrer Lebensweise sein. Er kam selbst um monatclangen Nachurlaub für Ernst ein und behielt die jüngeren Söhne auch noch zurück. Nicht lange sorgte sich Emilie um den Mann, der ihr nie sein Herz geöffnet, nie ein Stück seiner Seele geboten hatte. Der ihr so geläufige Galopp durch die Welt wurde nach kurzer Pause wieder ausgenommen und riß auch die jungen Leute mit sich fort. Theuerdank unternahm lange und weite Spaziergänge — wenn er zurückkam, erinnerte er sich kaum, wo er gewesen, noch was er gesehen hatte. Nur bei den Geschäftsbriefen war er in voller geistiger Thätigkeit; aber er öffnete dieselben auch nicht mehr gleich nach Empfang. Er aß Tage lang gar nicht, dann wieder viel und hastig; er lebte beständig unter dem Gedanken an seine unsühnbare Schuld. Und nie versuchte er sich vor sich selbst zu entlasten, nicht mit der Leidenschaft, deren Gewalt auch die Stärksten hinwirft, nicht mit dem Willen der verblendeten kleinen Emilie, nicht mit dem blöden Grund der Menge: „Das passirt tausendmal im Leben", oder „Geschehenes kann man nicht ändern, man muß versuchen, von nun an gut zu sein!" Das war ja Alles selbstverständlich — das war keine Entschuldigung für ihn; er hatte die Berechtigung eines freien und stolze» Da-, seins verscherzt, denn er hatte die Ehre seiner Seele, seines eigenen Gewissens belastet. Schwerer al- der Tod des alten
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