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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020117024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-17
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Valizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. 3«. Freitag den 17. Januar 1902. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (V gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .,6 00.—, mit Postbeförderung 70.—« Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags lO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 86. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die englische Avrehdcbatte. * London, 16. Januar. (Oberhaus.) Spencer schloß sich in herzlicher Weis« dem Lobe und der Bewunde rung, die den b ri t is ch e n S o lda t e n gezollt würden, an, und erkannte völlig an, daß die Unabhängigkeit den südafrikanischen Republiken nicht gewährt werden könne. Salisbury sprach sein« Freude über das eben Gehörte aus. Spencer habe von den zukünftigen Arrangements im Einklang mit den für unser coloniales Reich allgemein angewandten Gebräuchen gesprochen; es sei aber vorläufig nicht möglich, sich mit diesen Angelegenheiten, außer rc:n hypothetisch, zu befassen; nichts sei schwieriger und weniger gewinnbringend, als im Voraus zu entscheiden, welches Verfahren im eventuellen Falle eingeschlag«n werden solle, dessen Datum und allgemeiner Charakter unmöglich vorauszusehen sei. Dies sei seine Antwort auf jede Anfrage über den Gegenstand. Spencerhabevonden Bedingungen gesprochen, seine Ansicht scheine zu sein, daß, wenn eine Nation absolut ohne Pro - c l a m a t i o n (!) in das GebieteineranderenNation eing« drangen sei, es Pflicht der anderen Nation sei, die Eindringlinge zu schlagen und sie zu fragen, unter welchen Be dingungen sie in den Frieden willigen wollen. Er (Salisbury) weise diese Idee gänzlich zurück, daß cs Sache Englands sei, da es unbillig angegriffen sei, hervorzutreten und zu sagen, unter welchen Bedingungen England den Angreifern ver geben wolle. Wenn sie um Frieden nachsuchen würden, werde es Zeit genug fein, zu sagen, unter welchen Bedingungen Frieden vorgcfchlagen werden könne. Die Boeren hätten stets den Ge danken, daß sie Frieden nachsuchen würden, zurückgewiesen. Es sei nicht Sache Englands, zukünftige Amnestien, Verfassung u. s. w. als Lockspeise für den Feind auszustreuen, um ihn zu bestimmen, di« Energie, mit welcher er den Frieden ge- b r o ch em (!), die Rechte Englands verachtet (!) und die Besitzungen des Königs mit Elend und Verwüstung überzogen habe (!), zu mäßigen. Wenn der Feind den Frieden wünsche, müsse er kommen und dies sagen, und bis er dies thue, glaube er, daß di« Regierung besser so wenig als möglich darüber sage. — Salisbury vertheidigte sodann die Verhängung des B e - lagerungszustandes. Ohne Kriegsrecht sei eine Krieg führung unmöglich. Wenn der Krieg in einer für dir englischen Waffen nicht ehrenvollen Weise oder nicht entsprechend der Größe der Opfer, welche England gebracht, endete, so würden die da durch bewirkten Folgen in allem Welttheilen sich bemerkbar machen. Wenn England veranlaßt würde, «inige jener Arran gements zuzugestehen, di« sich hinter dem Worie „bedingte Ergebung" verbergen, und wenn England Personen, die in einem Theile des Königreichs wohnten, die Macht einräum!«, Arrangements mit fremden Völkern zu treffen und Waffen an zusammeln, so würde das eine Bevölkerung schaffen, die frem den Mächten Anlaß gebe, Intriguen zu unternehmen und Gelegenheiten zu suchen, die Unabhängigkeit, die England jetzt verweigere, ihm zu entringen. Das könnte einireten, wenn das Parlament sich durch den Druck gewisser daran interessirter oder fanatischer Elemente in England von seiner Pflicht, dem Könige in jenen beiden Colonien die Supre matie zu verschaffen, abdrängen ließe. Lord Rosebery erklärte, Salisbury umging aumuthig Spencer's Sähe und stellte einen Strohmann auf, gegen den er in erfrischendster Weise kämpfe. Der Krieg beschäftige alle Gedanken. Keine Regierung werde geneigt sein, die Grohmuth und den Jrr- thum von 1881 zu wiederholen. In seiner jüngsten Rede habe er sich für die Entgegennahme von Eröffnungen selbst aus den Händen einer exilirten Bauernregierung ausgesprochen; er wünsche zu wissen, ob derartige Eröffnungen in jüngster Zeit gemacht worden seien. Der holländische Premier minister sei zwei oder drei Tage in London gewesen; es sei in den Zeitungen officiell berichtet worden, er habe keinen der Cabinetsminister gesehen. Dies habe gerade die Idee an geregt, daß er gekommen sei, um etwas Derartiges auszunchten. Die vorige Regierung sei nicht allgemein beliebt gewesen in Europa, aber sie sei auch nicht allgemein verabscheut worden; jetzt aber gebe es kein Land, wo der britische Name nicht mit einer Feindseligkeit ange sehen werde, für die es früher kein Beispiel gegeben habe. Dies sei ein sehr gefährlicher Zustand, eine Ge fahr, die zwar einige Minister zu befriedigen scheine, die aber Allen Besorgniß einflößen müsse, welche das Beste des Landes wünschen. Rosebery fragte an, ob von der exilirten Boeren- regierung Friedensvorschläge erfolgt seien. Salisbury antwortete: Nein. Rosebery fuhr fort: Er billige Chamüerlain's letzte Antwort in der bekannten kontroverse, sei aber etwas besorgt über die fortwährenden kontro versen mit Deutschland und anderen Mächten, wozu Chambcrlain's Dialektik beitrage. Wenn die Regierung die herr liche Vereinsamung aufrecht erhalten wolle, was befremdlich sei, so seien geeignete Maßregeln nöthig. Flotten würden auch anderwärts gebaut. Eine enorme Streitmack'! sei in Südafrika fcstgehalten. Die Maßnahmen der Heeres verwaltung erfüllten ihn mit ernster Sorge; denn die auswärtigen Beziehungen seien ungewöhnliche. Der Staatssekretär des Aenßeren Lansdowne erklärte, es sei unwahr, daß Eng land in Europa allgemein verabscheut werde. Es genieße aller dings eine große, unbequeme Unpopularität beim Festland«, in Folge der natürlichen Sympathie für die Schwächeren, allein Englands Stellung mit Bezug auf die Großmächte sei weder unbefriedigend, noch unwürdig, di« Haltung des Landes und die Solidarität des Reiches im Kriege hätten vielmehr die Achtung des Auslandes gesteigert. Obgleich fortwährend über 200 000 Mann in Südafrika sich befänden, stehe kaum eine Kaserne des Königreiches leer. DaS Hauptziel der Regierung sei die Be endigung des Krieges. Das Oberhaus nahm die Adresse an und vertagte sich auf Montag. * Loudon, 16. Januar. Im Unterhaus« erklärte (was schon hier erwähnt sei. Die Redaction.) Balfour bei der Adreßdebatte gegenüber Campbell Bannermann, der sich gegen die Politik der Gewalt in Südafrika wendete, die Regierung sei entschloss«», die Boeren zu unterjochen und ihr Land zu annectiren. Bocrctterfolgr. * Mafcking, 16. Januar. (Reuter's Bureau.) Die Boeren unter Kemp und Colliers machten in der letzten Woche einen combinirten Vorstoß, indem sie die B ahn - linie von Osten nach Westen überschritten. Ein Kon tingent traf in Wiwwowdam, wenige Meilen westlich von Mafeking, ein und überraschte die dort stehende englische Besatzung; es entspann sich ein Gefecht. Ein anderes Kontingent zog bis fünf Meilen vor Janmaribes- stadt, nahm dasalbst Vieh weg und verbrannte die Wagen, die ihnen in die Hände fielen. Andere Boerenabtheilungen griffen die Besatzungen von Maritsom und Kraaüpan an. Die Engländer brachten einen Panzerzug ins Gefecht. Es wurden drei gefallene Boeren aufgefunden, und einer wurde gefangen genommen. Einige Stück Vieh wurden den Boeren wieder abgenommen, aber man nimmt an, daß der Feind mit 1000 Stück Vieh entkommen ist, die Hauptmasse der Boeren ist am 10. d. M. über die Bahnlinie zurückgegangen. Die bei Janmarilbesstadt in Action getretene Abtheilung steht noch westlich der Lini«. politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Januar. Dem Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten Grafen Bülow muß es gestern ganz eigenthümlich zu Muthe gewesen sein, als er im preußischen Abgeordneten haus« von allen Seiten daS Lob des verstorbenen Finanz- Ministers I)r. v. Miquel singen körte, dem allein es zu danken sei, daß Preußen seine Ausgaben decken kann, obne eine Anleihe auszunehmen. Als Miquel fallen gelassen wurde, hat man nicht gehört, daß Graf Bülow den Versuch gemacht hätte, ihn zu halten; im Gegentheil. Die Ossiciösen warfen Miquel vor, er habe sich dem Ministerium Bülow nicht recht einfügen können, habe es zudem mit allen Parteien verdorben und stehe also der Geschlossenheit dieses Ministeriums sowohl, wie der Her stellung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen diesem und den ausschlaggebenden Parteien im Wege. Und nun muß Graf Bülow hören, daß alle Parteien den geopferten Staatsmann feiern und ihm allein es zuschreiben, daß inmitten der Finanznolh dcS Reiches und der meisten Einzelstaaten Preußen verbältnißmäßig günstig situirt ist! Und noch eigenlhümlicher würde cs dem Grafen Bülow ums Herz geworden sein, wenn er vom preußischen Abgeord netenhaus in den Reichstag gegangen wäre und dort gekört hätte, was der unter der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers amtirende Schatzsekretär v. Thielmann auf die Interpellation des Grafen Oriola wegen der in Aussicht gestellten Revision der Militärpensionö- gesetze antworten mußte: Wir möchten ja gern unser Ver sprechen einlösen, aber eS feblt an Mitteln und wir wissen nicht, woher diese zu beschaffen sind. Wäre der Herr Reichskanzler in diese Sitzung gekommen, so Ware vielleicht eines derjenigen NeichStagsmitglieder, die zugleich Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses sind, aus den Gedanken gekommen, die Finanzlage des Reiches mit der Preußens zu vergleichen und die Vcrmuthung auszusprechen, daß das Reich die Mittel zur Tilgung einer alten Ehrenschuld wahrscheinlich haben würde, wenn einem Miquel die Sorge um die Neichssinanzen rechtzeitig auf die tragfähigen Schultern gelegt worden wäre. Nun, was Graf Bülow nickt zu kören bekam, wird er sich Wohl selbst denken und dabei vielleicht den stillen Wunsch hegen, Miquel zurückrufen und in seine Hände die Aufgabe einer durchgreifenden, auf neue und ergiebige Einnahmequellen gegründeten NeichSsinanz- reform legen zu können. Wie nöthig eine solche ist, hat sich kaum jemals deutlicher gezeigt, als vorgestern und gestern im Reichstage. Keine rechte Veteranen fürsorge, weil der Neicköinvalidenfonds bankerott ist; keine zureichenden Mittel, die Mililärpensionsgesetze dem Bedürfnisse gemäß umzugestalten, und trotzdem nicht einmal ein energi scher Anlauf, die Mittel zu schaffen, deren Nichlvorbanden- sein man bejammert! Wenn Graf Bülow nicht bald eine Anleihe bei der geistigen Hinterlassenschaft Miquel's macht, so darf er versichert sein, daß von einem Ende des Reiches zum andern die Frage erschallt: „Ist kein Miquel da?" Eine kleine Anleihe bei seiner geistigen Hinterlassen schaft ist eS schon, daß der Canal, den Miquel verschleppt zu haben beschuldigt wurde, auch jetzt noch nickt in neuen parlamentarischen Angriff genommen werden soll, damit er nicht störend auf die Sammlung der in der Zolltariffrage, in der die verbündeten Regierungen ihren durch die Vorlage gekennzeichneten Standpunct energisch wahren zu wollen scheinen, auf einer Mittellinie sich vereinigenden Parteien einwirke. Daß das Centrnm in wirthschaftlichen Dingen nicht immer eines Sinnes ist, haben die Abstimmungen über die Handelsverträge von 1893/94 gezeigt, dasselbe dürfte sich auch bei den gegenwärtigen Zollfragen Herausstellen; daß es auch in den Fragen der nationalen Wehrkrafi nicht mehr einmüthig ist, hat sich bei den letzten Forderungen für die Marine und das Heer herausgestellt. Der Fall Chamberlain und seine Behandlung im Reichstage thun aber dar, daß die Auffassungen auch über die internationale Politik des Reichs innerhalb der Centumspartei weit aus einander gehen. Das führende preußische Centrums organ, die „Köln. Volksztg.", und das officielle bayerische Parteiblatt, die „Neue Bayr. Ztg.", stehen auf ganz entgegengesetzten Standpunkten. Das rheinische Blatt stellt sich wenigstens in dieser Frage erfreulicher Weise voll ständig auf den nationalen deutschen Standpunct. Es ist nicht nur mit der Bülow'schen Rede einverstanden gewesen, sondern es vertheidigt auch den Reichskanzler energisch gegen die Angriffe der englischen Presse, der es einseitige Empfindlichkeit, Selbst täuschung, Unwahrhaftigkeit und komische Unkenntniß deutscher Verhältnisse vorwirft und her es zum Schlüsse den sehr be rechtigten Rath giebt, doch erst einmal in den eigenen Busen zu greifen, dann würde das Maß der Empfindlichkeit und des Ausdruckes derselben merklich herabgeschraubt werden. Ganz anders verfährt das Organ der bayerischen Centrumspartei. Es sucht auf jede Weise Chamberlain's berüchtigten Vergleich zu entschuldigen und nennt ihn „lediglich einen rednerischen Ueberschwang". Dem gegenüber habe die deutsche Presse schon mehr als genug gethan, und deshalb sei der Eingriff der officiellen Politik in diese Erörterungen, die bis zu chauvinistischen Hetzereien gediehen seien, ganz und gar nicht am Platze gewesen. Nach dem baye rischen Blatte hätte also der leitende deutsche Staatsmann die gegen Deutschland gerichtete Schmähung eines fremden Staats mannes ignoriren müssen. Diese „vornehme Zurückhaltung" -- minder höfliche Männer als wir würden es vielleicht „Dick felligkeit" nennen — des bayerischen Centrumsorgans, wo es sich um Angriffe auf die deutsche Ehre handelt, steht in eigen- thümlichem Gegensätze zu der Nervosität derselben Presse, wenn angeblich die Ehre oder die Selbstständigkeit Bayerns nicht zur Genüge gewahrt wird. Als bei der Krönung des russischen Kaisers in Moskau ein harmloser Kaufmann in einem Trink spruche eine ungeschickte Neußerung gethan hatte, die die selbst ständige Stellung der deutschen Fürsten neben den Hohenzollern von fern berühren konnte, und als darauf ein bayerischer Prinz eine sehr gereizte Antwort gegeben hatte, da jubelte die ganze bayerische Centrumspresse diesem Prinzen zu, höchst unbekümmert darum, ob bei dieser Wahrung der bayerischen Selbstständigkeit durch einen Conflict in fremdem Lande das deutsche Ansehen einigermaßen gelitten haben könnte. Und wehe dem bayerischen Minister, der nicht, wenn das Reich etwas so Fürchterliches, wie die Einheitsmarke, anregt, die Selbstständigkeit Bayerns nicht nur bei den Verhandlungen darüber mit Schärfe wahren, sondern auch in öffentlicher Sitzung der bayerischen Kammer energisch schützen wollte. Dieselben Leute also, die einen öffentlichen Protest verlangen, wo es sich doch nicht um eine Beleidigung, Feuilleton. Gesühnt. 13j Roman von E. E s ch r i ch t. Nachdruck verboten. Und der wirklich erschrockene Herr rief aus: „Wie ist es möglich? Sie sehen ja vollkommen krank aus — ich fürchte. Sie fiebern, und in diesem Zustand gehen Sie umher? Das muß ja unerträglich sein! Mein Gott, Sie können doch nicht Heilung verschmähen wollen — oder glauben Sie nicht an die Wissenschaft — sie würde Ihnen doch immer Linderung bieten können." Theuerdank lächelte: „Wo kein Arzt ist, ist auch kein Kranker. Sie müssen mich also nicht aufsuchen. Ein wenig gebeugter, ein wenig fiebernd — nun, was ist das? Davon muß man nicht sprechen, dann verlernt man auch, daran zu denken. Ich denke, daß es rasch zu Ende geht, aber ich leide nicht fühlbar — Linderungsversuche würden mich beunruhigen. Hier draußen die Natur nimmt nicht Theil an Freud' oder Leid der Menschen, und die vollkommen gleichgiltige Umgebung reißt auch mich von Selbstbetrachtnngen meines Körpers fort, deren egoistische Spuren mich immer in Gegenwart Anderer anwandeln. Gönnen Sie mir nur die Ruhe; setzen Sie die Furcht der Anderen herab — bas wird Linderung für mich sein." Und es blieb, wie es war. Molly war sehr bereit, sich be ruhigen zu lassen, und Ernst zu jung, um sich lange um die Leiden seines Vaters zu kümmern, der niemals klagte. Lange Wochen hatte Emilie Heinzer in einer stumpfen Ver schlossenheit der eigenen Seel« nach ihres Vaters Tode gelebt. Die Ordnung d«s großen Besitzes, die lieber nähme und An eignung forderten Zeit und Aufmerksamkeit von ihr. Unter den Papieren fand sie die alten Schiffsdocumrnte über abgeschlossene Frachten und vorgeschrübene Reisen; die Logbücher mit ihrrn drastischen und charakteristischen Bemerkungen, die wie Schlaglichter dir Gegend beleuchteten. Alle diese Arbeiten genau zu lesen, auf d«r Karte die Wege d«s Schiffes verfolgen, in den Häfen und am Strande di« Bauart der Häuser, die Tracht und Farbe der Menschen, di« Erzeugnisse und Gewerbe des Landes und der Cultur kennen zu lernen, war sie in treuer Pietät für den Verstorbenen beflissen; — sie rührte nie an ihr Herz und glaubte es erdrücken und todtschweigen zu können. Aber eines Tage» kam es anders! Eines Tages «war es dem jungen Lenz gelungen, den immer noch auf der Schwell« zögernden Winter hincmszutagen a« seinem frohen Reicht — bi, Vögel sangen und bi« ersten Blüthen hoben sich duftend aus dem dampfenden Erd reich dem warmen Sonnenglanze entgegen. Diesen ganzen Tag erschauert« Emilie in schmerzlicher Unruhe und Bangigkeit. Auf dem Kirchhofe, zu dem sie täglich in der Stunde der Dämmerung ihre Schritte lenkte, war es, als ob in allen den langen Straßen, vor den schmalen Wohnungen der Todten mit einem lebens warmen Hauch der Auferstehung das ewige Weöde seinen Fest tag feierte. Auf den stillen Hügeln grünte der Rasen; im sonst so starren, drohenden Gezweig« von Busch und Baum hingen wie Bouquets die Blüthendolden, und in ihrem holden Versteck sang die Nachtigall das Lied der Liebe. Emilie schlang die Hände um die schwarzen Gitterstäbe und blickte auf die blauschimmernben Knospen des Immergrün, das den Hügel der Eltern deckt«. Und mit einem Male zerrissen auch alle Schleier und Binden, mit denen sie sich vor sich selbst so lange geschützt hatte, und aufschluchzenb sprach sie laut: „Verzieh' mir, vergilb' mir, Vater! Es geht nicht mehr, daß ich mit Dir reis« und die fremde Welt betrachte — nun kann ich nicht weiter — laß mich hier liegen und bei Dir sterben — ach, ich liebe ihn, ich liebe ihn, ich liebe ihn so unauslöschlich und so ewig!" Und aus dem starven, so lange festg«haltenen Herzen quoll di« heiße Glutb der Leidenschaft wie ein vom Eise befreiter Strom aufschäumend, wild, gewaltig, niederr«ißend die friedlichen Ufer. Di« so lange trockenen Augen weinten sprühende Thränen, nnd in lauter Klage schrie sie di« Noth ihrer Seel« in stammeln den, zusammenhangslosen Worten den Gräbern zu: „Vater, Mutter — was fang ich an?" Und di« Gräber sprachen ihre stumm« Sprache wie immer. Sie predigten ihr uraltes Wort vom Werden und Vergehen, von der Endlichkeit alles Leibes, von der Freude und Lust des Lenzes, bi« keine Vernichtung kennt und keinen Tod; von der sanften, lieblichen, gütrgen Mutter Natur, die kein Erbarmen und kein Mitleid hat! Mitleid ist Verschwendung — denn Alles ist endlich und die Ewigkeit nur eine Klage und «in Seufzen, das sich durch einandermischt. Und di« Gräber hatten Recht, sie wußte «S wohl. Sie hatte einen Gewittersturm der Seele bestanden — nun war die Luft klar, und sie konnte weit, weit hinübersehen auf di« fernsten Ufer. Und da sie hinschwindend mit den letzten Sonnenstrahlen die Gestalt des Geliebtrn selbst da noch erkannte, wußte sie nun wohl — es gab kein Entrinnen mehr aus Erinnerungen an jene kurzen Wochen, die doch den ganzen Inhalt ihres Lebens aus- machten. In später Stunde einer heißen Julinacht saß Emilie auf der kleinen Bvllw«rkSbrück«, ihrem Hause gegenüber und ließ die kühlen, erfrischenden, sanften Brisen, die von der See kamen, über sich hinwehen. Es war ganz still ringsum, am Lande lagen die Arbcitsmüden im Schlaf, und über das Wasser glitt nur dann und wann ein leichtes Boot mit einem einsamen Ruder«r. Die Fähre legte an, und 'der einzige Passagier stieg ans Land. Sie erkannte Doctor Heüwig, der schon von drüben her das feine, Helle Profil nickt mit den Blicken verlassen hatte. Er sprang über die Seitenbrüstung und war mit ein paar hastigen Schritten neben ihr. wie damals im Herbst, begierig und glücklich, si« endlich zu sehen und sprechen zu können. Er hatte manchmal in ihrem Hause sie aufgesucht, auch wohl flüchtige Worte mit ihr gewechselt, aber nie war sie allein, immer 'war Louise zugegen gewesen; er suchte längst nach einer Gelegenheit, um seinem Herzen Genüge thun zu können, denn seine Liebe war tief und leidenschaftlich, und er litt schon lange unter ihrer fordernden Macht. „Immer wieder sitzen Sie hier — die Nacht, sagt man, ist keines Menschen Freund — die bösen Geister der Erde ziehen nun dem Meerfräulein entgegen — mhmen Sie sich in Acht, daß Keiner sie berühre!" „Ach, Doctor — ich fürchte die Geister nicht — «woher sie auch kommen mögen — ich habe meine Freunde und m«ine Thvuersten zwischen ihnen! Möchten Sie denn lieber, ich säße hier Mittags im Sonnenbrand — ich will aber weder braun werben, noch Sommersprossen bekommen — ich bin sehr eitel!" Er lachte bei dieser Vorstellung und sagte: „Das ist doch wenigstens ein Grund, sonst wär's freilich vernünftiger, in der Sonne zu sitzen!" „Vernünftiger — ach. ein schönes Wort! Aber eins, bas immer mit unseren Neigungen im Streite lag, so lange die Welt steht! Wären die normalen, gesunden Dinge an Stelle der ver botenen — wie brav und gehorsam würde die Menschheit sein! Es ist schlecht eingerichtet von der Mutter Natur, daß sie so oft unseren Erfahrungen und unserer Kenntniß entgegensteht — und doch nennt man uns Herren der Schöpfung!" „Ja, ja, Fräulein Emilie, das ist oft ein Hohn auf di« Wahr heit! Aber ich weiß — in Ihnen ist doch das Scemannsblut —- Sie lieben das Wasser, und es zieht Sie wie ein Magnetstrom an seine Ufer! Ich glaube, Sie hören, was es spricht, und wissen alle sein« Töne der Stimmung Ihrer Seele anzupassen!" „Und ich reise mit ihm, Doctor, es ist «in rastloser Wanderer! Hoch aus den Bergen, aus moosigem, schilfigem Grund, wo am zarten, braunen Stengel das Wollkraut die geheimnißvolle, weiße Fackel schwingt, schwellen die Tropfen sickernd heraus. Stellen Sie sich vor, unter dieser fahlen, ängstlich klaren Mondbelruch- tunz liegt, von Tannen umstanden, der moorige Grund. Vergiß meinnicht mit großen, stillen Augen sehen den quellenden Tropfen nach, wenn sie gedrängt aneinander den Laus abwärts nehmen, zu Nimmerwiederkehr. — Bald tragen sie den ersten, leichten Kahn, ducken sich und möchten sich sträuben, winden sich nach rechts und links in unheimlicher Angst — aber fort, fort gcht es — ohne Aufenthalt und ohne Rast — Mühlen treiben. Fabriken speisen, Schiffe tragen, bis wieder zur gewaltigen Meeresfluth, bis zur Lösung in dem ungeheuren All ihrer kleinen Bestandtheile. Und so treiben sie um den Erdkreis in wilder Flucht. Vielleicht ist auch ihnen vergönnt, imm«r wieder in den -weißen Schleiern wallender Nebel sich auf die Heimstätte niederznlassen — über das winkende, stille Fackelkraut und die Vergißmeinnicht-Augen. So stäuben ja auch wir in die Atome zurück: der gierige Schooß ser Mutter Erbe nimmt uns auf und entläßt uns wieder — wir leben immer Einer vom Anderen!" „Kommt Ihnen nie ein freundlicher, ein tröstender Gedankt aus diesem Kreislauf?" „Freundlich? Nein! Aber auck nicht unfreundlich, dm?- ich. Tröstend? Nein! Ich suche doch keinen Trost! Unglück will ausgekostet sein! Ich habe versucht, ihm zu entlaufen — aber es lief an mir vorbei und stellte mich — kürzlich auf dem Kirchhofe. Nun vertiefe ich mich wieder ganz in das, was Sie untröstliche Gedanken nennen — vielleicht liegt doch darin eine Beruhigung!" „Mer sich so fest an Unglück binden und anklammern, ist ein« egoistische Gewaltkhat, besonders, wenn man so jung und schön ist. wie Sie. so lebcnsberechtigt und —" er zögerte, dann sagt« er leis«: „und so geliebt, wie Si«!" Es war nim ganz still zwischen ihnen — die Furcht vor diesem Worte hatte die sonst so Zurückhaltende gesprächig ge macht. Cie kämpfte noch einmal einen kurzen Kampf, ab«r di: Achtung vor dem Mann, die Ueberzeugung, mit der schleichenden Zeit seine Qual unnöthig durch unwillkürliche Hoffnunaen zu verschärfen, zwangen sie zu rückhaltsloser Ehrlichkeit, die sie ihm schuldig zu sein glaubte. „Doctor", sagte sie endlich zögernd, „ich will eS Ihnen nicht verhehlen — der Tadel der Welt trifft nicht «ine Unschuldige. Ich habe ras Gehrimniß meiner Liebe nicht im Herzen bewahrt und stumm allein getragen — ick glaubt«, kein Unrecht an der anderen Emilie zu begehen, wenn ich liebte uno mich lieben ließ. Sie mögen immerhin über mich lachen — ich wollte ein« heim liche, ewige Braut, glücklich sein und glücklich machen! — Daß ich doch eine Andere auch damit benachtheiligte — gerade damit am ti«fsten — daS habe ich zu spät erkannt! — Aber um diese kurze Svani'e eines unau»spr«chlich«n Glück«!
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