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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020120026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902012002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902012002
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
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472 bürgerlichen Fraktionen nicht, die sich lieber einen Ruhetag in der Heimath machten, als durch ihre Theilnabme an der Beratbung guten Willen zur Mitwirkung an der Beseitigung cineS UebelstandeS und politische Einsicht bekundeten. Daß vor leeren Bänken die Redner nicht Hervorragendes leisten, ist natürlich, und so kam denn auch am Sonnabend aus der Debatte so gut wie nichts heraus, wenn man von den Erklärungen de- sächsischen Bevollmächtigten zum BundeSrathe über den Umfang der Arbeitslosigkeit im Königreiche und die bereits angeordneten Maßregeln absieht. Die meiste Zeit wurde «»«gefüllt durch eine Auseinandersetzung zwischen dem Staats sekretär Grafen Posadowsky und dem freiconservativeu Abg. Gamp über die Aufgaben von Staat und Gemeinden gegenüber den Arbeitslosen, über Freizügigkeit, Dccentrali- sation der Industrie, Vertheilung der Armenlasten und die Arbeitslosendemonstrationen in Frankfurt. An positiven Vorschlägen empfahl der Abg. Gamp die Errichtung öffentlicher Creditinstitute für die Arbeiter seitens der Communalverbände und die Förderung deS Sparwesens, namentlich mit Hilfe der Post. Der von anderer Seite em pfohlenen Arbeitslosenversicherung auf berufSgenossenschastlicher Grundlage konnte er, wohl mit Recht, keinen Geschmack ab gewinnen, da jede Krise in der Regel bestimmte Berufe in ihrer Gesammtheit trifft, die Risicovertheilung hier also eine sehr schlechte wäre. Den größten Erfolg versprach er sich von einer Seßhaftmachung der Arbeiter, da sie im Besitze eines Stücke- eigenen Landes vorübergehende Ausfälle besser ertragen könnten. Graf Posadowsky wies die Hauptaufgabe noch mals den Gemeinden zu, die besser für Arbeitsgelegen heit sorgen könnten als Staat nnd Reich, und betonte wiederholt, daß eine Beschränkung der Freizügigkeit voll kommen ausgeschlossen sei. Weiter theilte er mit, daß inner halb der preußischen Negierung eine Reform der Armengesetz gebung vorbereitet werde, ihre Erledigung in dieser über lasteten Session aber nicht zu erwarten sei. Betreffs der Frank furter Demonstrationen stellte er fest, daß ein außerordentlicher Nothstaud in Frankfurt nicht vorhanden sei. Wenn heute vor Schlüsse der Berathung nicht noch unerwartete Aufschlüsse gegeben und neue Vorschläge gemacht werden, so bat die dreitägige Besprechung kaum mehr als ein leidlich übersichtliches Bild der Zustände ergeben. Auch die Verhandlungen deS prentzischen Abgeorvuetcnhauscs über das Eisenbahnunglück bei Altenbeken haben am Sonnabend weder neuen Auf schluß über die Ursachen desselben, noch brauchbare Vor schläge für die Verhütung derartiger unheilvoller Vor kommnisse gebracht. ES ist bestätigt worden, daß das Unglück durch das Zusammentreffen unverantwort lichen Verhaltens zweier Beamten herbeigeführt worden ist: deS Blockwärters, der ein falsches Signal gab, und des Zugführers, der den auf der Strecke haltenden Zug nach rückwärts zu sichern unterließ. Da keinerlei Umstand ob waltete, der den beiden Beamten zur Entschuldigung ge reichen konnte, so läßt fick auch nicht sagen, was geschehen könnte, um derartige Pflichtwidrigkeiten für die Zukunft unmöglich zu machen. Immerhin sind solche öffentliche Be sprechungen derartiger Katastrophen nützlich, auch wenn sich für die Eisenbahnverwaltung daraus keine neuen Anregungen ergeben. Diese Debatten, die an der Verwaltung selbst nicht zur Last fallende Unfälle anknüpfen, gehören einerseits zur Controlpflicht der Volksvertretung und dienen andererseits zur Beruhigung des PublicumS. Nach beiden Richtungen ist am Sonnabend das Nötbige geschehen. VemerkenSwcrth ist, daß von den Vertretern der Regierung zugegeben wurde, der Meldedienst, sowohl behufs Beschaffung von Hilfeleistung an der Unglücksstätte, als auch behufs Benachrichtung der An gehörigen der Reisenden des verunglückten Zuges in Berlin, sei sehr mangelhaft gewesen. Man darf daraus schließen, daß in dieser Beziehung für künftige Fälle besser vorgesorgt werden wird. Als ein interessantes Moment aus den Debatten ist endlich hervorzuheben, daß daS Mißtrauen in die V-Wagen, daS durch daS Offenbacher Unglück entstanden war, völlig verschwunden ist. Vielleicht infolge der entschiedenen Stellungnahme deS Grafen Bülow in der Polenfrage, vielleicht infolge einer auf seine Vorstellungen in Rom ertheillen Weisung des Vaticans soll cer Erzbischof von Poscn-Gnesen vr. v. Ttnblcwski am 17. dss., am zehnjährigen Jubiläum seiner Consecration, an die polnisch-katholische Geistlichkeit seiner Diöcese einen Erlaß gerichtet haben, dessen wesentlichen Inhalt der Telegraph bereits gemeldet hat und über den jetzt die folgen den näheren Nachrichten vorliezen: Bezüglich des Verhältnisses der Geistlichen zu den deutschen Katholiken wünscht der Erzbischof, daß alle Wünsche und For derungen derselben nach Möglichkeit und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden. Den Consistorien ist von den Wünschen und der Art ihrer Erledigung Mittheilung zu machen, wenn nicht zuvor die Entscheidung der kirchlichen Behörde eingeholt wird. Unter Len gegenwärtigen „eigenartigen" Verhältnissen sei cs leider unmöglich, daß die katholische Geistlichkeit die Auf sicht über den Religionsunterricht in den Schulen ausübe, wie es in anderen katholischen Ländern der Fall sei. Daher sollten die Geistlichen, um die sittliche und religiöse Ver wilderung der (polnischen) Jugend zu verhüten, nach Möglich keit in dem Bei chtuntrrricht nachzuholen versuchen, was etwa in der Schule versäumt worden sei. Die katholische Geistlichkeit der Erzdiözesen soll sich der Mitarbeiter schaft an den radicalen polnisch-nationalen Blättern enthalten, dagegen diejeoigeu polnischen Zeitungen und Zeit schriften, die treu zu Kaiser und Kirch« stehen, thotkrästig unter stützen. Verboten wird dem Klerus die Theilnahme und das Aus treten als Redner an solchen polnischen Versammlungen, die einen erregenden Charakter tragen, namentlich aber an solchen, die nicht- mit Schul- und Kirchenangelegenheiten zu thun haben. Die- der Kern der erzbischöfliche» Anordnungen. Die Instruction nimmt Bezug auf daS päpstliche Schreiben vom 20. August v. I. an die Bischöfe Böhmens und Mährens und weist den KleruS darauf hin, daß der Papst dort bestimmte Weisungen ertheilt hat. U. A. hieß eS in jenem Schreiben bekannt lich: „Jedenfalls verdient der Schutz der Muttersprache, wenn er sich io bestimmten Grenzen hält, keinen Tadel; waS jedoch von allen übrigen Privatrechten gilt, muß auch hier als geltend sestgehalten werden, daß bei ihrer Verfolgung der gemein same Nutzen deS Staates nirgends leide". DaS erz- bischöfliche Schreiben hebt besonder» hervor, daß die deutschen Katholiken dem oberhirtlichen Herzen ebenso nahe stehen, wie die polnischen. Die „Post" nimmt an, daß die Bischöfe von Kulm und von Ermland ähnliche Schreiben erlassen haben, und hofft, daß diese angeblichen Kundgebungen dazu beitragen werden, die Zustände in den gemischtsprachigen LandeStheilen erheb lich zu Gunsten der deutschen Katholiken zu bessern. Die „Nat.-Ztg." ist weniger zuversichtlich; sie erinnert daran, daß der von Herrn v. Stablewski in seinem vor 10 Jahren dem Könige von Preußen geleisteten Eide versprach: „Daß in den Gemüthern der meiner bischöflichen Leitung an vertrauten Geistlichen und Gemeinden die Gesinnung der Ehrfurcht und Treue gegen den König, die Liebe zum Vaterlande, der Gehorsam gegen die Gesetze und alle jene Tugenden, die in dem Christen den guten Unterthan bezeichnen, mit Sorgfalt gepflegt werden, und daß ich nicht dulden will, daß von der mir untergebenen Geist lichkeit in entgegengesetztem Sinne gelehrt und gehandelt werde. Insbesondere gelobe ich, daß ich keine Ge meinschaft oder Verbindung, sei eS innerhalb oder außerhalb des Landes, unterhalten will, welche der öffentlichen Sicherheit ge- jährlich sein könnten, und will, wenn ich erfahren sollte, daß in meinen Diöcesen oder anderSwo Anschläge gemacht werden, die zum Nachtheil des Staates ge reichen könnten, hiervon Seiner Königlichen Majestät An zeige machen." Wir müssen gestehen, daß uns der Wortlaut dieses EideS mißtrauisch gegen alle Meldungen über eine» neuen Erlaß des Erzbischofs macht. Wäre richtig, WaS über den Erlaß gemeldet wird, so würde daraus hervorgehen, daß Herr v. Stablewski jetzt nichts Anderes anordnete, als WaS er vor 10 Jahren beobachten zu wollen eidlich zusicherte und WaS von der ihm untergeordneten Geistlichkeit trotzdem nicht beobachtet worden ist. Der Erz bischof würde zugestehen, daß er trotz dieses Eides 10 Jahre lang Tinge geduldet, die er nicht dulden zu wollen ver sprochen, oder 10 Jahre lang nicht gesehen, was zu sehen seine Aufgabe gewesen wäre. Derartiges zuzuzestehen, liegt Herrn v. StabiewSki sicherlich fern. Wir nehmen daher an, daß er entweder gar keinen Erlaß an seine Diöcesangeistlich- keit gerichtet habe, oder aber daß dieser Erlaß anders laute, als berichtet wird. Bevor man in dieser Hinsicht klar sieht, wird man am besten thun, sich aller Vermuthungen über die Wirkung deS angeblichen Erlasses zu enthalten. Schon seit vielen Jahren hat König Leopold II. von Belgien, welcher bekanntlich in den Colonisationsbestrebungen den wirksamsten Hebel für den wirthschaftlichen Aufschwung der Völker erblickt, seine Augen auf Marokko gerichtet. Dieses Land, so schreibt man der Münchner „Allg. Ztz.", in welchem gegen 10 Millionen, auf einem gewissen Grade der Cultur stehende Menschen wohnen, besitzt nicht bloS eine große Be deutung für die Beherrschung deS Mittelländischen Meere-, sondern auch eine nicht unerhebliche wirthschaftliche Zu kunft, seine Erschließung ist jedoch hauptsächlich durch die Eifersucht der europäischen Staaten bisher verhindert worden. Spanien, England und Frankreich streiten sich um den Einfluß am Hofe deS ScheriffS, und da keine dieser Mächte gestatten will, daß einer der beiden anderen ein Vortheil gewährt oder auch nur zugesagt werde, so hat Europa in Marokko bis jetzt nur ein ganz ungenügendes Absatzgebiet gefunden. Diese Lage sucht sich der König der Belgier zu Nutze zu machen. Schon vor Jahren, unter der Negierung des Sultans Muley Hassan, entsandte er eine besondere Mission an den Hof des ScheriffS und knüpfte mit diesem Verhandlungen wegen Abtretung eines kleinen Küstenstriches an, auf welchem ein Sanatorium für kranke Cougo-Deamte angelegt werden sollte. Dieses Sanatorium sollte dann im Laufe der Zeit der AusgangSpunct einer kleinen belgischen Colo nie in Marokko werden. Indessen zerschlugen sich die Verhandlungen damals, weil Sultan Muley Hassan derr Europäern das größte Mißtrauen entgegcnbrachte. Sein Sohn, der gegenwärtige Sultan Abdul Aziz, gilt als das Gegentheil deS VaterS, und sein Hauptwunsch geht dahin, seinen Staat, welcher zweifellos große Reichthümer in sich birgt, mit einem Eisenbahnnetz zu versehen. Die Engländer und die Franzosen streiten sich um die Er langung der nothweudigen Concessionen, deren Ertheiluug aber durch ihre gegenwärtige Eifersucht verhindert wird. Deshalb bewirbt sich nun der König der Belgier um diese Concessionen, indem er darauf hinweist, daß man Belgien wohl keine annectionistischen Absichten gegenüber Marokko zuschreiben könne. Der König hat mit den Cabinetten von Paris und London Fühlung über diese Frage genommen, und die bisher unwidersprochen gebliebene Nachricht, daß er dem nächst Marokko und den Hof deS Sultans Abdul Aziz besuchen werde, deutet darauf bin, daß er mit der ihm eigenen Zähig keit an dem einmal gefaßten Plane sesthält. Deutsches Reich. * Zittau, 19. Januar. Der Bund der Landwirthe hat gestern in einer Versammlung beschlossen, den Boykott gegen gewisse Zittauer Geschäfte aufrecht zu halten, wahrscheinlich in der Annahme, die Freunde eines 7,50-Mark- GetreidezolleS dadurch beträchtlich zu vermehren. U Berlin, 19. Januar. (Regelung der Kinder arbeit in der Hausindustrie.) Nachdem der Gesetz entwurf über die Regelung der Kinderarbeit in der Haus industrie dem BundeSrathe zugegangen ist, wird dieVermuthung geäußert, daß in den Kreis dieser Regelung auch die Beschäf tigung der eigenen Kinder einbezogen sei. Es handelt sich hier um mehr als eine Wahrscheinlichkeit. Als in der Gewerbe ordnungsnovelle vom Jahre 1891 die Bestimmung ge troffen war, daß Arbeiterschutzvorschriften auch auf die hauSindustricllen Betriebe ausgedehnt werden könnten, war die Ausführung der Vorschrift dem BundeSrathe anheimgestellt, und man nahm damals auch an, daß der letztere in verschiedenen Etappen von seiner Voll macht Gebrauch machen würde. Es läge kein Grund vor, jetzt in Abweichung von der früheren Absicht den Weg der Gesetzgebung statt desjenigen der Verwaltung zu betreten, wenn nicht eine gesetzliche Vorschrift ver schon erwähnten Gewerbeordnungs-Novelle beseitigt werden sollte. Es ist nämlich damals dem Bundes- rathe geradezu verboten worden, die Schutzvorschriften auch auf Betriebe auSzudehnen, in welchem ausschließlich die eigenen Kinder von Unternehmern beschäftigt werden. Später war man jedoch innerhalb der ReicbSverwaltung zu der Neber- zeugung gelangt, daß eine Regelung der Kinderarbeit in der Hausindustrie ziemlich belanglos wäre, wenn nicht auch die Beschäftigung der eigenen Kinder einbezogen würde. Deshalb hatte man eine Aushebung der in Rede stehenden Vorschrift der Gewcrbeordnunzsnovelle vom Jahre 1891 in Aussicht genommen. Aus dem Umstande, daß die neue Action auf dem Gebiete deS Arbeiterschutzes in die Form eines Gesetz entwurfs gekleidet ist, ist zu schließen, daß diese Absicht nun mehr auSgeführt werden soll. * Berlin, 19. Januar. Die Mängel der Todes ursachenstatistik im deutschen Reiche untersucht in der „Aerztlichen Sachverständ.-Ztg." vr. Friedrich Prinzing (Ulm). Er sieht die Ursache dieser Mängel in zweierlei, ein mal in dem Fehlen einer ausschließlich durch Aerzte geübten Leichenschau. Sodann in den Bestimmungen über das ärzt liche BerufSgeheimniß. Letztere Bestimmungen veranlassen den Arzt — vielfach spielen auch Rücksichten aus die Hinterbliebenen deS Verstorbenen mit—, die Todesursache in allgemeiner Form anzugeben oder von den Ursachen nur eine auf dem Todtenscheine zu vermerken, andere aber, wenn daraus ein nach der Anschauung der Angehörigen lieber zu vermeidender Schluß auf das Grundleiden deS Verstorbenen zu ziehen ist, wegzulassen. Alles das geschieht, weil die Todtenscheine durch die Hände vieler Personen wandern. Prinzing verlangt deswegen, daß einmal der Arzt zur Angabe der Todesursache bei dem von ihm Behandelten gesetzlich verpflichtet und sodann eine Art der Todesursachenerhebung eingeführt werde, welche die Wahrung des ärztlichen Be rufsgeheimnisses gewährleistet. Er weist auf die sachgemäße Ordnung der einschlägigen Dinge in der Schweiz hin. Das schweizerische Gesetz über den Civil- stand vom 24. December 1874 verlangt den Eintrag der Todesursache in die Todtenregister der Standesämter auf Grund eines ärztlichen Leichenscheins. Hiermit ist also die gesetzliche Grundlage gegeben, durch die der Arzt verpflichtet wird, die Todesursache dem Standesbeamten mitzulheilen. Um aber genaue Angaben zu gewinne», wurden 1891 für die 15 großen Städte, 1893 für die 43 größeren CivilstandS- kreise und 1901 für das ganze Land erweiterte Sterbe karten eingeführt, deren Hauptwerth die Wahrung des ärztlichen Geheimnisses ist. Sie sind nur für das statistische Bureau in Bern bestimmt; eS ist ihnen ein abtrennbarer Coupon mit dem Namen deS Verstorbenen an gehängt, während die Sterbekarte selbst nur die Nummer des TodtenregisterS enthält. Der Kopf der Karte mit TodeSzeit, Beruf, Cwilstand, Geburtstag, Ort deS Absterbens u. s. w. wird vom Standesbeamten auSgefüllt, wie auch der Coupon, der nur den Namen enthält. Der Arzt macht nur seine Einträge in die hierfür bestimmten Rubriken der Sterbekarte, trennt den Coupon ab, so daß die Karte jetzt nur noch die Nummer deS TodtenregisterS enthält, und schickt die Karte ver schlossen mit der Post portofrei an daS Standesamt; auf dem Briefumschlag steht ebenfalls die Nummer deS TodtenregisterS. Die Karten werden dann uneröffnet von den Standesämtern dem statistischen Bureau in Bern übermittelt. Dieses System hat sich, wie Prinzing hervorhebt, sehr bewährt. Der beste Beweis hierfür ist die Ausdehnung, die ihm seit 1891 allmählich in der Schweiz gegeben wurde. Was daS deutsche Reich angeht, so wäre zu allererst die Einführung einer obligatorischen Leichenschau durch Aerzte zu fordern. Die Einführung einer solchen aber scheitert vorerst daran, daß die Mehrheitsparteien für die Bewilligung der erforderlichen Ausgaben nicht zu haben sind. — Der Kaiser empfing gestern Vormittag den Grafen Osten-Sacken vom russischen Leib - Garde-Husaren »Regi ment und den französischen Schauspieler Coquelin. An der FrühstückStafel nahmen der Kronprinz und Prinz und Prinzessin Heinrich Theil. Nach derselben unternahmen der Kaiser und die Kaiserin einen längeren Spaziergang am Landwehr-Canal und im Thiergarten. Gestern Abend hörte dann der Kaiser von 8 Uhr an im Landwirthschaftlichen Ministerium die Vorträge über Hochmoor - Besiedelung und Torf - Verwerthung. Nach den Vorträgen blieb der Kaiser noch längere Zeit mit den Gästen deS LandwirthschaftS- ministers v. PodbielSki vereint und sprach danach beim Reichskanzler Gras v. Bülow vor. — Der Kaiser hat einer Reihe von Beamten der Po st und Telegraphcnverwaltung zu Weihnachten eine un erwartete Freude dadurch gemacht, daß er auf Antrag des Staatssekretärs Krätke 29 Beamten und 14 Unlerbeamten Dienstschulden im Betrage von 18 849 erließ. Davon entfallen 12 802 auf Beamte und 6047 auf Unter beamte. Diese Dienstschulden rühren im Wesentlichen aus dem Verlust von Caffengeldern und Postsendungen her, für welche die Betheiligten ersatzpflichtig gemacht worden waren. Im Einzelnen handelt eS sich um Beträge von 31 bis 1500 — Obwohl eine osficielle Verständigung von der dies jährigen Reise deS Schah von Persien nach Europa an die diplomatischen Vertretungen PersienS noch nicht ergangen ist, kann doch auf Grund zuverlässiger Privatberichte aus Teheran als sicher gelten, daß Schah Muzaffer-ed-Din Heuer seines Nierenleidens wegen die Heilquellen von Contrexeville und falls Zeit und Umstände es gestatten, die von Marienbad aufsuchen wird und bei dieser Ge legenheit den Höfen, mit denen in persönliche Berührung zu treten er noch nicht in der Lage war, in erster Linie denen in London und Berlin, Besuche abzustatten ge denkt. Ohne daß bisher Genaues über den Zeitpunkt des Neiseantriltes bekannt wäre, steht nur im Allgemeinen fest, daß der Aufenthalt des Sckah in Europa mit der üblichen Badesaison zusammenfallen wird. („W. P. C.") — Zur Fortführung der Einigungsverhandlungen hatte GewerbezerichtSdirector v. Schulz die Vertreter der vereinigten Apothekenbesitzer und der Centralcommission der Krankenkassen gestern Abend nach dem Bürgersaale deS Rath- Hauses berufen. Die Bemühungen, eine Einigung herbei- zuführen, blieben ohne Ergebniß. In den beiden Haupt- streitpuncten, Höhe des Skontos und Bezug der dem freien Verkehr überlassenen Heilmittel, war eine Vereinbarung nicht zu erzielen. — Im preußischen Eisenbahnministerium ist be schlossenworden, dieMotorfahrräder von der Beförderung als Gepäck auszuschließen; sie sollen nur noch unter An wendung der tarifmäßigen Bestimmungen zur Beförderung als Fahrzeuge zugelasscn werden. — Tas Befinden des Staatsministers v. Thielen bat sich so weit gebessert, daß er auch im Laufe des heutigen Nachmittags daS Krankenbett verlassen und einige Stunden auf dem Ruhelager zubringen durfte. Die völlige Wieder herstellung deS Ministers wird jedoch noch längere Zeit häuslicher Pflege beanspruchen. — Die Sicherheitsvorrichtungen und Controlen bei der Herstellung von Papiergeld in der Reichsdruckerei sind im Lause der letzten Jahre erheblich verschärft worden. Auch ist jeder einzelne Arbeiter, der mit der Herstellung solchen Geldes betraut ist, für seine Person verantwortlich und befindet sich in der Lage, den gesonderten Arbeitsraum, in dem eine größere oder geringere Zahl von Cassenscheinen sich befindet, unter sicheren Verschluß zu legen. Freilich mußte er schließlich einsehen, daß Stephanie an Ruhe und Hingebung jetzt nicht dachte. Ihre melodische, Lbermuüthig klingende Stimme en-triß ihn auch schon wieder seinen Be trachtungen. „Denken Sie nur, welch' eine seltsame Bewandtniß es mit Margot und mir hat", fuhr Stephanie lachend fort, „seit frühester Kindheit sind wir Freundinnen, das heißt, ich glaube, Margot ist im Grunde meine erbitterstc Feindin, sie beneidet mich nämlich um Alles, was mich angeht, das war schon in der Schule so. Bekamen wir zusammen ein neues Kleid, so war es sicher, daß Margot das meinige schöner fand, ließ die Lehrerin mir eine Liebkosung zu Theil werden, so konnte Margot sich bis zu Thränen darüber erbittern und erregen, waren wir in Kindergesellschast, so ahmte sie meine Bewegungen, mein Wesen nach, und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Margot überwacht mit der Schärfe eines Spions mein Thun und Lasten, und entdeckt sie eine neue Liebhaberei bei mir, so darf ich sicher sein, daß dieses thörichte, kleine Mädchen sich kreuzunglücklich fühlt, nicht selbst zuerst auf den Gedanken gekommen zu sein. Was ich anführe, find Nebensächlichkeiten, nun aber steigert sich diese Manie zu einer krankhaften Erregung, wo es sich um —- Stephanie senkte erröthcud die dunklen, sprühenden Augen — „um eine Herzensfrage handelt. Und da habe ich Margot nun das Versprechen geben müssen, ihr den Vorrang zu lasten. Sie will sich zuerst verloben, sic betrachtet mich als die vom Schicksal Bevorzugte, und ich —" ein sieghaftes Lächeln theilte die tief- rothen, reizend geschwungenen Lippen, „ich denke schließlich eben so, und halte es für meine Pflicht —" In diesem Moment erschien eine junge Dame am Eingänge des Zimmers, eine ätherische, unendlich liebliche Erscheinung. Sie war kleiner als Stephanie und ihre Schönheit weniger blendend, nicht so majestätisch. DaS weiße, nur von einem sehr .-.arten Roscnhauch verklärte Gesichtchen aber besaß unbeschreib lichen Liebreiz. Etwas Unberührtes, Weltfremdes lag in den fast durchsichtigen Zügen, die weder Leidensckmft verriethen, noch einen jener Fehler, die ihre untilgbaren Spuren ins Antlitz zeichnen. Nur in den großen, blauen Augen lag ein krankhafter Glanz, aus der Tiefe schien ein Strahl heraufzuleuchten, der wenig oder gar nicht zu dem ruhigen, verträumten Wesen des jungen, herzigen Geschöpfes gehörte. Das war Margot Franke. Stephanies Schul- und Jugend freundin. Als sie des Paares ansichtig wurde, vertiefte sich das Roch ihrer Wangen um ein leises, der hektische Glanz ihrer Augen ward intensiver — in diesen blauen, glänzenden Augen schien sich all das Innenleben des jungen Wesens zu concen- triren. „Margot!" ries Stephanie laut, mit ihrer vollen, immer ein wenig übermüthig klingenden Stimme, indem sie Bernhard mit einem Blick ansah, der zu sagen schien: „sie spionirt mir schon wieder nach!" „Margot, Kleines, amüsirst Du Dich gut? Hast Du noch einen Tanz für Herrn Eckhoff frei? Ich glaube, Du würdest ihn sehr glücklich machen, wenn Du ihm den nächsten Walzer be willigst." So war sie immer, siegesgewiß und gönnerhaft. Sie mochte Margot sehr genau kennen, und sicher wurde jedes ihrer Worte von Berechnung dictirt. Eckhoff hatte Mühe, sein Mißbehagen zu unterdrücken. Die Scene verletzte sein Feingefühl, aber nicht entfernt kam ihm die Vernmthung, daß Stephanie trachtete, sich auf gute Manier von seiner Gegenwart zu befreien. Margot war ihm nicht fremd. Er hatte sic des Oefteren bei Stephanies Eltern gesehen. Da er wußte, daß die beiden jungen Mädchen Schulfreundinnen waren, so begegnete er ihr mit einer ähnlichen Vertraulichkeit, wie Stephanies jüngerer Schwester Eva. Er war so garnicht eitel, und es kam ihm deshalb nicht in den Sinn, anzunehmen, daß Margot ihm ein anderes als ober flächliches Interesse widme. Stephanies ziemlich unverhüllt« Andeutungen beachtete er in dieser Stunde kaum, aber mit chevelereskcr Beflissenheit unter stützt« er, trotzd«m dies seinen eigenen Wünschen wenig entsprach, die Aeußcrung des schönen, eleganten Mädchens. ,Es würde mir in der That eine groß; Freude sein, m«in liebes, gnädiges Fräulein —" Margot schüttelte ablehnend, ein wenig befangen das zier liche, blond- Haupt. „Deine Eltern wollen schon nach Hause gehen, Stephanie, dort kommt Dein Papa, um Dich zu holen, er fühlt sich nicht wohl." Niemals war Stephani« dieses stereotyp« Unwohlsein ihres Vaters willkommener gewesen, als eben jetzt. Sie eilte ihm mit ollen Zeichen kindlicher Theilnahm« und Zärtlichkeit entgegen. „Es war zu viel Trubel für Dich, Papachen, komm nur schnell fort hier, damit Du uns nicht ernstlich krank wirst." Der Ingenieur Julius Döring war ein mittelgroßer, hagerer Herr mit einem bleichen Gesicht, und Augen, in denen dunkle Leidenschaften brüteten. Etwas ungemein Nervöses haftete seiner ganzen Person an. Oft lag etwas Lauerndes in seinen Zügen, das auf List und Verschlagenheit deutete. Julius verstand es aber, dies« Charaktereigenschaften geschickt unter einer zu traulichen Liebenswürdigkeit zu verbergen. Er war allgemein beliebt, und wenn die näheren Bekannten auch nicht besondere Hochachtung vor ihm empfanden, so wagte es doch Niemand, laut ein abfälliges Urtheil über Döring zu äußern. Man fürchtet- seine scharfe Zunge, und Keiner wollte es mit ihm verderben. Soeben tauschte er ein«n schnellen Blick des Einverständnisses mit seiner schönen, strahlenden Tochter, dann athmete er erleichtert auf. „Es thut mir ja herzlich leid, Dich im schönsten Vergnügen stören zu wüsten, liebes Kind", sagte er freundlich, „aber lieber wäre es mir allerdings, wenn Du sogleich mit nach Hause kämst, — ich kann leider nicht bleiben, es ist mir ganz unmöglich!" „Natürlich komme ich mit, Väterchen! .... Gute Nacht, Herr Eckhoff, amüsiren Sie sich noch recht gut! Du bleibst doch noch, Margot?" „Ich gehe mit Euch zusammen!" erklärte Margot schnell. „So gestatten Sie mir, Herr Döring, daß auch ich Ihnen das Geleit gebe", sagte Bernhard höflich, „ich tanze nun auch nicht mehr!" „Gut, dann geht Ihr Mädchen voran und verständigt die Mama", bemerkte Döring, wir komnien dann nach, damit durch unfern Aufbruch nicht unnöthig Aufsehen erregt wird". Als er mit Eckhoff allein war, nahm er vertraulich dest«n Arm. „Nur noch «in paar Züge", sagte er, behaglich rauchend und ge mächlich auf nnd abschreiteno, „ehe die Damen ihre Ballschuhe mit den Pclzstiefeln vertauschen und alle Hüllen umleg«», vergeht eine geraume Weile". „Aber Fräulein Stephani« wird es befremdlich finden, wenn ich ihr beim Ankleiden nicht Helf« —" „Ach, behüte, so empfindlich ist meine Tochter nicht, Ver- ehrtester, wenn Sic Stephanies Papa Gesellschaft leisten, so erweisen Sie ihr damit die allergrößte Gefälligkeit". „Davon bin ich überzeugt", sagte Eckhoff herzlich, „man findet nicht oft ein so schönes Familieuverhältniß, ein so inniges Ein- verständniß, wie es in Ihrer Häuslichkeit herrscht". „Leider nein", entgegnete Döring, welcher sich gern sprechen hörte, „die meisten Menschen erschweren sich das Dasein in einer ganz unverantwortlichen Weise, indem sie sich gegenwärtig zu beeiirflusten suchen. Sogleich mit dem Verlobungsring beginnt die Erziehung. Da mißfällt der Braut an dem Verlobten so mancherlei gründlich, und anstatt sich nun selbst in der Be herrschung zu üben und di« Eigenheiten des zukünftigen Gatten als etwas Selbstverständliches hinzunehmen, beginnt sie an ihm herumzumodeln, ohne etwas anderes zu erreichen, als eine sich stetig steigernde Verbitterung. Und dem deremstigen Eheherrn ergeht es nicht bester. Er kehrt ja bald bei gewissen Anlässen den Schulmeister heraus. Die Frauen wollen aber ihre Fehler überhaupt nicht bemerkt wissen, und nichts trifft sie empfindlicher, als wenn man ihnen eine Unzulänglichkeit nachweist! . I .. Wir nehmen uns gegenseitig wie wir sind, mit allen Fehlern und Mängeln jedes Einzelnen, und deshalb sind wir glücklich! Unter uns gesagt, bin ich ein recht unvollkommener, fehlerhafter Mensch. Bkeine Frau aber hat mich lieb, und bethätigt diese Zuneigung durch eine nie endende Nachsicht mit meinen Schwächen. Meine Kinder vergöttern mich und sehen in mir vielleicht gar das Ideal eines Mannes. Das schmeichelt meiner Eigenliebe, schützt mich aber zugleich vor Entartung. Man glaubt nicht, wie Viel Zärt lichkeit ein Mensch brauchen kann, ohne derselben überdrüssig zu werden. Mir wallt es immer warm zum Herzen, wenn ich die leuchtenden Augen all meiner Lieben auf mich gerichtet sehe!" „Wie glücklich sind Sie!" rief Eckhoff bewundernd, „und welch einen verehrungswürdigen Charakter muß Ihre Frau Gemahlin besitzen, daß sic die Pflichten der Gattin und Mutter in so idealer Weise zu üben weiß!" „Sie ist ein braver, ehrlicher Mensch und glücklicher als ich, weil sie in Allem correcter handelt", erwiderte Döring mit der ihm eigenen Offenheit, „aber trotz all ihrer Vorzüge besitzt sie kein Selbstvertrauen. Was hätte aus dieser schüchternen, unselbst ständigen Frau werden sollen, wenn sie in mir nicht eine feste Stütze, einen sicheren Halt gewonnen hätte! Sehen Sic, mein Lieber, ich bin zerfahren, unordentlich, in der Häuslichkeit so un geschickt, daß ich mir nicht eine Stull« selbst zurecht machen kann, aber den Menschen gegenüber, da stehe ich wie rin Fels, unv Niemand wagt cs, uns zu verleumden, oder in irgend einer Weise anzugreifen. So muß es sein! Wer deni Andern ein paar treffliche Charaktereigenschaften voraus hat, soll sich nicht über heben. Das aber thun die Menschen gar zu gern. Mich aber sehe Keiner als Ambos an, sonst bekommt er ungeschminkt Wahrheit zu hören! Der Nachsicht bedürfen wir Alle, daß muß man den Leuten klar machen, vann werden sie klein!" In diesem Moment winkte ein Diener den beiden Herren zu. „Herr Döring, Ihr« Frau Gemahlin läßt bitten, die Damen warten auf Sie im Mantel und Capuze." „Da habe ich mich also doch verplappert", meinte Döring ge- müthlich, „nun, dann mögen die Damen nur vorausgehen, wir folgen sogleich nach." (Fortsetzung folgt.)
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