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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020121027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902012102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902012102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-21
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bürger über jede Stunde und Minute seines Thuns und Lassen» sich mit amtlich beglaubigten Zeugnissen versehen muffe. Jedenfalls genügt die Rüge und Strafe, die dem an der unwürdigen Behandlung de» Herrn Kulen- kampff im UntersuchunHSgefanAniffe schuldigen Beamten zu Theil geworden ist, nicht; die verhängnißvolle Kette von Irrthümern und Bersehluugen in diesem Falle mahnt auch die preußische Justizverwaltung und das Ministerium deS Innern eindringlichst, besonders die Handhabung des tz 116 der Strafproceßordnung unablässig zu überwachen und dem Uebereifrr jüngerer Beamten Zügel anzulegen. Wenn wir wieder eine Polendebatte in einer der in Berlin tagenden parlamentarischen Körperschaften erleben — und das wird nicht lange auSbleiben —, so wird von polnischer Seite ein Vorfall zur Sprache gebracht werden, den der „Dziennik PoznanSki" erzählt. Und die polnischen Beschwerde führer werden dann — vorausgesetzt, daß das genannte Blatt nicht flunkert — nicht nur daS Ccntrum, sondern auch die Angehörigen aller anderen Fraktionen auf ihrer Seite haben. Das Blatt berichtet nämlich, im Jahre 1898 sei der damals 15jährigen Tochter eines Odorniker Bürgers sür die muthvolle Rettung eines Knaben die Lebensrettungsmedaille zugesagt worden, jedoch habe daS Mädchen diese Auszeichnung erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres erhalten sollen. Nachdem dieser Zeitpunkt nunmehr eingetreten sei, habe sich der Vater deS Mädchens zum Landrath begeben, habe aber dort die Antwort erhalten: „Sie werden es sich selbst zuzuschreiben haben, wenn Ihre Tochter die Me daille nicht bekommt; ich habegehört, daßSiemit denPolen stimmen." Aus einem solchen Grunde die Aus lieferung der Rettungsmedaille zu verweigern, wäre selbst dann vollkommen unstatthaft, wenn derjenige, der sich politisch mißliebig gemacht hat, selbst mit der Medaille zu schmücken wäre; noch viel ungerechtfertigter wäre die Ver weigerung natürlich dann, wenn einem jungen Mädchen, das ja gar keinen Einfluß auf die politische Gesinnung seines BaterS hat, das ehrende Zeichen vorenthalten werden sollte. Auf solche Weise würde man ja den Polen mit aller Gewalt Selbstlosigkeit und Menschenfreundlichkeit austreiben. Wenn irgend etwas mit den nationalen Kämpfen nicht ver mengt werden darf, so sind dies Handlungen, die edlen menschlichen Regungen entspringen. Abgesehen aber von der Ungerechtigkeit wäre ein Vorgehen, wie das angeblich von dem Landrath in Obornik beliebte auch politisch unklug, weil es den Polen und ihren Freunden einen prächtigen Agitationsstoff lieferte. Die „Köln. GolkSztg." bringt denn auch die Geschichte unter der Ueberschrift „Amtlicher Haka- tismus". Graf Bülow hat neulich — und er hat damit unseren vollen Beifall —von der Bedeutung des Beamten - thumS in der Ostmark gesprochen; er hat (immer die Wahr heit der Geschichte vorausgesetzt) hier gleich einen Anlaß, seine Worte in die Thal umzusetzen und den Schuldigen mit derselben Schärfe öffentlich zu rectificiren, mit der gestern im Abgeordnetenhause seine Collegen Schönstedt und v. Hammerstein die Ungehörigkeit eines Beamten rügten. Noch immer giebt eS weite Kreise, die überzeugt davon sind, daß nach wie vor ein unüberbrückbarer Gegen satz zwischen Russen und Polen besteht. Allerdings haben die Polen bereits soviel abendländische Cultur in sich aus genommen, daß sie nicht geneigt sein können, Ersatz dafür zu finden oder auch nur zu suchen in dem slawisch-mongolischen Völkergemisch Rußlands. Als Katholiken stehen sie überdies im Gegensatz zu der orthodoxen Kirche. Nichts destoweniger hat eine Annäherung zwischen Russen und Polen stattgefunden. Unter den galizischen Polen ist der Haß gegen die Deutschen ungleich schärfer als der Haß gegen die Russen. Mit den Russen glauben die galizischen Polen schließlich immer noch fertig zu werden. Vor der deutschen Cultur fürchten sie, die Segel streichen zu müssen. Die deutsche Gefahr erscheint ihnen größer als die russische, und schon daraus geht hervor, daß der alte Gegensatz zwischen Ruffen und Polen nicht mehr so scharf und nicht mehr so unüberbrückbar ist, wie um die Mitte deS vorigen Jahrhunderts. Als Anfang 1888 das Verhält- niß zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland sich unfreund lich zu gestalten schien, stellten galizische Blätter bereits den Preis für die polnische Erhebung gegen Rußland und ver langten im Bannkreise ihrer polnischen Sonderpolitik, als ob Polen und nicht Oesterreich-Ungarn den Krieg führen sollte, Bürgschaften für ihre nationalstaatliche Zukunft, für die Wiederherstellung Polens und insbesondere Gewähr gegen die daS polnische Nationalinterefle gefährdende Möglichkeit, daß die siegreichen Verbündeten eine neue Theilung Polens vornehmen und daS linke Weichselufer mit den fruchtbarsten und wohlhabendsten Gegenden Polens an Preußen zutheilen könnten. Sollte Oesterreich eine neue Besitzergreifung pol nischer GebietStheile durch Preußen fördern, so könnte nach den Auslassungen der Krakauer „Reform»" vom Januar 1888 von einer opferwilligen polnischen Begeisterung keine Rede mehr sein, so sei der AuSgang des Krieges ruhig abzuwarten, die Kräfte für spätere bessere Zeit zu schonen und gegen die neue Theilung Einsprache zu erheben, so würden nach anderweitigen galizischen Er klärungen sich die Polen mit den Russen versöhnen und gegen Deutschland und Oesterreich kehren. In dieser Hinsicht scheinen alle Polen einig zu sein, auch diejenigen Preußens. So drohte im preußischen Herrenhause am 29. Avril 1889 Herr von KoScielSki, daß die Polen unter Umständen im Kriegsfälle die Partei Rußlands ergreifen würden, indem er sagte: „Wenn Sie den Polen in uns tödten, haben Sie uns noch nicht zu Deutschen gemacht. Wo der Pole aufhört, fängt der Slawe an." Hierdurch wird bestätigt, daß die Polen sich im Grunde genommen als Slawen fühlen und als solche unter Umständen mit den Russen gegen die Deutschen zusammenstehen würden. Angesichts dieser Entwickelung deS Verhältnisses zwischen Russen und Polen kann die Nachricht kaum noch Erstaunen Hervorrufen, nach welcher der Führer des PolenclubS im österreichischen ReichSrath, Ritter v. Ja worski, von einer großen russischen Wohlthätigkeitögesell- schaft 200 Rubel erhielt mit der besonderen Widmung „sür Wreschen". Die Annäherung zwischen Ruffen und Polen im Zeichen deS Hasses gegen daS deutsche Reich macht demnach Fortschritte. Allerdings ist dabei zu berücksicktigen, daß diese Annäherung keine innere, auf Sympathien für Rußland be ruhende, ist. Sie ist nur äußerlicher, rein taktischer Natur. Der Pole haßt nach wie vor nicht bloS den Deutschen, sondern auch den Russen, und er wird sich ebenso, wie gegen Deutschland, gegen Rußland mit dessen Feinden verbünden, wenn die Constellation einmal günstig wäre. Deutsches Reich. U Berlin, 20. Januar. (Nachsendung von Privat telegrammen.) In der Telegraphenordnung ist bestimmt worden, daß Privattelegramme des deutschen Verkehrs, sowie solche Privattelegramme des außerdeutschen Ver kehrs, deren Aufgabeort in Europa liegt, nur dann nach gesendet werden, wenn dies entweder vom Aufgeber vor geschrieben oder vom Empfänger beantragt ist. Eine Nach sendung der erwähnten Telegramme von Amtswegen findet nicht mehr statt. Aus Anlaß eines vor Kurzem vorgekommenen Falles, daß ein Telegramm, dessen Nach sendung bei der Reichs-Telegraphenanstalt beantragt worden war, von der Eisenbahntelegraphenanstalt deS be treffenden Ortes während deS Dienstschlusses der ReichS- Telegraphenanstalt ausgenommen und dann als unbe stellbar gemeldet worden ist, beabsichtigt der Staats sekretär des Reichspostamtes, die Reichs-Telegraphen anstalten zu beauftragen, den Eisenbabn - Telegraphen anstalten von Nachsendungsanträgen mindestens an solchen Orten Kenntniß zu geben, wo die Eisenbabn-Telegraphen- anstalten in größerem Umfange bei der Telegramm bestellung mitwirken. Die Feststellung dieser Orte soll von den kaiserlichen Ober-Postdirectionen im Benehmen mit den Eisenbahnbehörden erfolgen. Der Minister der öffentlichen Arbeiten hat die Eisenbahndirectionen be auftragt, das Erforderliche zu veranlassen und die übrigen betheiligten Telegraphcnstationen ihrer Bezirke anzuweisen, UnbestellbarkeitSmeldungen wegen Abreise Les Empfängers erst dann abzulassen, nachdem festgestellt worden ist, daß bei der Reichs-Telegraphenanstalt ein NachsendungSantrag nicht vorliegt. * Berlin, 20. Januar. (Die gewerbliche Kinder arbeit.) Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Wie wir in dem Bericht über die letzte Sitzung deS BundeSrathS mittbeilten, ist dem letzteren nunmehr der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gewerblichen Kinderarbeit außerhalb der Fabriken zugegangen. Ein hiesiges Blatt will „in der Lage" sein, über „Leu Inhalt dieser neuen Vorschriften" Angaben zu veröffentlichen. Die von dem Blatte mitgetheilten Angaben sind lediglich Auszüge, zum Theil wort getreue, aus drei Aufsätzen, welche wir über die in Reve stehende Angelegenheit Ende Juli v. I. veröffentlichen. Diese enthielten indessen nur die Vorschläge, die vom Reichsamt deS Innern unter Zuziehung des preußischen Handels ministeriums, deS Ministeriums des Innern und des Cultusministeriums für die eventuelle gesetzliche Rege lung der Materie ausgearbeitet worden waren. Inwieweit jene Vorschläge sich mit dem Inhalt deS neuen Gesetzentwurfs decken, entzieht sich unserer Kenntniß und wohl auch der deS Eingangs erwähnten Blattes. * Berlin, 20. J-anuar. (Rechtliche Folgen des Zweikampfes:) Der tragische Ausgang des Zweikampfes zwischen dem Landvcrth v. Bennigsen und dem Domänen pächter Falkenhagen veranlassen einen hiesigen Mitarbeiter der „Magdeb. Ztg.", auf gewisse rechtliche Folgen hinzuweisen, die mit dem Tode des Beleidigten eintreten können und auch Denen zu denken geben sollten, die von der Nothwendigkeit und Unerlässlichkeit der Forderung zum Zweikampf bei Ehr verletzungen überzeugt sind. Nach § 1684 des B. G.-B. steht der Mutter die elterliche Gewalt über die Kinder zu, wenn der Vater gestorben tist; sie beginnt mit dem Augen blicke, in dem der Tod des Vaters eintritt; wird also in einem Zweikampfe, der durch unerlaubte Beziehungen der Ehefrau deS einen Theiles zu dem anderen Theile hervorgerufen ist, der be leidigte Ehemann getödtet, so geht di« elterliche Gewalt ohne Weiteres auf die Mutter über, die bei einer Scheidung der Ehe unbedingt für den schuldigen Theil erklärt worden und jeden Anspruches auf die aus der Ehe erwachsenen Rechte verlustig ge gangen wäre. Sie ist auch Miterbin an dem Vermögen des Mannes und als Inhaberin der elterlichen Gewalt Nutznießerin des Vermögens ihrer Kinder. Allerdings muss das Vormund schaftsgericht, wenn die in 8 1666 und 8 1667 des B. G.-B. vorgesehenen Gefahren für dos geistige oder leiblich« Wohl oder für das Vermögen des Kindes eintreten, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln treffen, aber diese sind immer nur in beschränktem Umfange möglich und erreichen niemals die Sicherung der Kinder, die zu schaffen dem Vater möglich ge wesen wäre, wenn er die Auflösung der Ehe hätte bewirken können. Eine Verwirkung der elterlichen Gewalt kann nur eintreten, wenn ihr Inhaber wegen eines an dem Kinde verübten Verbrechens oder vorsätzlich verübten Vergehens zu Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnißstrafe von mindestens sechs Monaten verurtheilt wird. Gerade die Kinder des Mannes, der wegen der Untreue seiner Ehefrau sich zum Zweikampfe verpflichtet glaubt, sind demnach, wenn der beleidigte Vater ge- tödtet wird, ungeheuer gefährdet. Begeht der Vater seinen Kindern gegenüber schon ein Unrecht, wenn er sich in einem Zweikampfe der Pistole seines Gegners stellt, so ist das Un recht >nur um so grösser, wenn er es unter Verhältnissen begeht, die ihn zur Ueberzeugung gebracht haben müssen, daß die Mutter nicht würdig sei, ferner an der Erziehung der Kinder theilzunehmen. — Gegenwärtig sollen wieder allerhand Gerüchte über eine Kanzlerkrisis im Umlauf sein, was das „Berl. Tgbl." in die Lage bringt, diese Gerüchte ihrem vollen Umfange nach auf das Entschiedenste zu dementiren. Dadurch gewinnen die Gerüchte entschieden an Bedeutung. — Der preußische Minister deS Innern bat bestimmt, daß in Zukunft auch die durch die einstweilige Unterbringung und Verpflegung von Personen, deren Ausweisung auS dem Staatsgebiet in Aussicht genommen ist, in einem Polizeigewahrsam entstehenden Kosten (Sicherheitshaftkosten) künftig in allen Fällen und zwar auch dann, wenn die Aus weisung von einer OrtSpouzeibehörde verfügt wird, als Landespolizeikosten zu behandeln und demgemäß auf die Staatskasse zu übernehmen sind. — „Basel und die deutschenGrenzbefestigungen" beschäftigen die „N. Zürch. Ztg." immer noch. Das Blatt meint, Basel mit seinen seckS Rheinbrücken müsse auf kämpfende Armeen am Oberrhein einen magnetischen Einfluß ausüben. Wörtlich sagt eS: Wenn im Zukunftskriege einem französischen General, auch ohne Auftrag seiner Regierung, die Forcirung eines Rheinüberganges gelingt, selbst wenn es unter Verletzung neutralen Gebietes geschieht, wird er als National Held gefeiert weiden, und keine Regierung wird es wagen dürfen, weder den Mann zu maßregeln, noch den Streich rückgängig zu machen. Sehr richtig! — Der überaus traurige Fall v. Bennigsen-Falken- hagen bat die Theilnahme weiter Kreise in hohem Grade erregt. Diese Theilnahme erstreckt sich insbesondere aus die beiden Väter, Herrn v. Bennigsen und den national liberalen Abgeordneten Falkenhagen. Wie dem „B. T." aus Abgeordnetenkreisen mitgetheilt wird, wäre der in weiten Kreisen auch außerhalb seiner Partei beliebte Herr Falken- bagen durch die Vorgänge der letzten Tage so tief erschüttert, daß er den Entschluß gefaßt haben soll, sich von jeder öffent lichen Tbätigkeit zurückzuziehen. Außerhalb seiner Partei stehende, Herrn Falkenhagcn befreundete Abgeordnete haben dem Blatt freilich erklärt, daß für ihn auch nicht der mindeste Grund für eine Zurückziehung vom öffentlichen Leben vor liege. Sie wünschen jetzt erst recht, den schwergeprüften Maun seiner öffentlichen Thätigkeit erhalten zu sehen. — Eine Duellrede, die voraussichtlich viel Staub aufwirbeln dürfte, bat auf dem Commers alter Burschen schafter in Berlin der StaatSanwaltschaftSrath Cuny, ein alter Breslauer Raczek, gehalten. Herr Cuny sagte u. A.: Und die alten Feinde der Burschenschaft sind auch die Feinde deS ritterlichen Zweikampfe»; wir halten fest an der alten deutschen Sitte unserer Altvordern, die ihre Lust hatten am Waffenspiel, wir wollen den Schläger nicht tragen nur zum CommerS oder gar zu Processionen, wir wollen ihu schwingen in fröhlichem Kampfe. Und wenn wir auch dafür sorgen wollen, daß kein Mißbrauch geschieht, und daß in immer zahlreicheren Fällen nicht zur Pistole, sondern zum blanken Säbel gegriffen wird, so wollen wir uns doch auch heute dazu be kennen, daß es viele Ehrenhändel giebt, die gar keine andere Lösung zulassen, als den Gang mit den Waffen. Und darum lassen Sie die Philisterwelt auch Sturm laufen gegen die Mensur, wir halten fest an ihr als einem Erziehungsmittel sondergleichen. Mit einem Hoch auf den Kaiser, der über die Mensur ebenso denke, wie die Burschenschafter, uno auf das kaiserliche HauS schloß der Redner unter jubelndem Beifall. Wie der StaatSanwaltschaftSrath Cuny über das Duell denkt, ist seine Sache, wie er aber darüber öffentlich spricht, gebt auch andere Leute an, und deshalb halten wir seine Rede für eine Entgleisung, die wohl nicht ohne Folgen bleiben wird. — AuS dem Vatikan wird der Wiener „Polit. Corr." geschrieben: Die Nachricht, daß der Vatikan der Errichtung einer theologischen Facultät an der Universität Straß burg bereits seine Zustimmung ertheilt habe, erweist sich als irrig. Die Unterhandlungen über diese Frage haben in der letzten Zeit keine Fortschritte gemacht und nichts berechtigt vor läufig zu der Erwartung, daß sie schon in naher Zukunft zu einem Erfolge führen könnten. ES ist, wie vor Kurzem ange- kündigt, wahrscheinlich, daß man sich deutscherseits dazu ent schließen wird, Freiherrn v. Hertling ungefähr um die Frühjahrszeit neuerdings zum Betreiben der Angelegenheit nach Rom zu entsenden. — Graf HoenSbroech veröffentlicht im „Hann. Cour." eine kritische Würdigung des verstorbene» katholischen Pro fessors Franz Xaver Kraus, in deren Schlußsätzen er zu folgendem Ergebniß kommt: Mit KrauS' Tod ist eine Persönlichkeit verschwunden, die ver möge ihrer Wissenschaft etwas hätte sein können in dem großen Culturkamps gegen die kulturfeindlichste Macht aller Zeiten, die ober thatsächlich nichts in diesem Kampfe war. Auf dem schweren Wege der Wahrheit hat Kraus auch nicht einen einzigen ganzen Schritt gemacht. Kraus soll gestorben sein in den Armen eines Jesuiten. Besser sür ihn wäre es gewesen, mit fester, klarer antirömischer Ge sinnung diese Zeitlichkeit verlassen zu haben. So ist er auch im Tode geblieben, waS er im Leben stets war: ein halber Mann, der im Kampf nie das Schwert schwang, sondern nur mit der Feder spritzte. Als Literat wird er fortleben, als Kirchenpolitiker hat er nie begonnen zu leben. — In einer Verordnung deS Ministers v. Thielen an die Eisenbahndirectionen wird es als erwünscht bezeichnet, daß die Eisenbahndirectionen Dienstleistungen und außer ordentliche Anstrengungen von Hilfsbediensteten und Arbeitern bei Betriebsunfällen, Schneeverwehungen, Hochwasserschäden, Verkehrsstockungen, sowie Störungen sonstiger Art, die einer sofortigen Abhilfe bedürfen, ange messen belohnen. Der Staatsminister bat deshalb ge nehmigt, daß ans solchen Anlässen einmalige Lohnzulagen gewährt werden. — Die Freisinnigen brachten im preußischen Landtage den Antrag auf Abänderung der Landtags wahlbezirke gemäß der in den letzten 40 Jahren ein getretenen Verschiebung der Bevölkerung wieder ein. — Im Abgevrdnetenhause brachten Langerhans und Barth den Antrag auf Einführung der fakultativen Feuer bestattung in Preußen wieder ein. — Im Wahlkreise Guben—Sorau—Forst findet am 23. Januar die Landtagsersatzwahl statt. Für dcn nationalliberalen Candidaten König stehen die Aus sichten günstig, so daß er, wenn alle liberalen Elemente und Wahlmänner ihre Pflicht thun, als Sieger aus der Wahl urne gegen seinen konservativen Gegenkandidaten Schön hervorgehen kann. — Von Herrn „W. F. Ernst Schumann, Rentier", hat der „Vorw." aus Luzern eine mit der Schreibmaschine hergestellte Postkarte erhalten, die folgende Ankündigung enthält: Wegen Ihres verleumderischen Artikels vom 12. November habe ich meinen Herren Anwälten Guth und vr. Hahn jetzt, wo der Herr Kriegsminister amtlich den Fall de» Commis B. klargestellt hat," Klagrauftrag ertheilt, und soll jetzt wegen aller weiteren Angriffe gerichtliche Auseinandersetzung provociert werden. Die Karte trägt den Stempel: „Ernst Schumann, Luzern (Schweiz), 4 Mnsegg Nr. 4, Villa Schumann." Der Wunsch des „Vorw.", sich mit Herrn Normann - Schumann auS- einanderzusetzen, scheint also in Erfüllung zu gehen. — Die Lagerhalter der meist socialdemokratischen Consumvereine sind mit ihrer socialen Lage unzufrieden. Sie sprechen den Vorständen der Vereine jedes praktische Verständniß ab und werfen ihnen vor, daß sie sich lediglich von Profitwuth leiten ließen. Gestern tagte im Gewerkschafts- hausa eiue Versammlung der Lagerhalter der Provinz Branden burg, welche von Nachmittags 2 Uhr bis Mitternacht dauerte. Gefordert wurde u. A. Einführung deS AchtuhrladenjchlusseS, Geschäftsschluß an Sonn- und Feiertagen, Gewährung einer zweistündigen Mittagspause (dabei Geschäftsschluß), genügende» Gehalt (90—130 ^), Beseitigung der CantionSstellung und können wir Deine Wünsche nicht, daß ich aber vor einer kleinen Mühe nicht zurückschr«ckt, wenn ich Dir «inen Gefallen erweisen kann, müßtest Du doch wissen!" Döring hatte sich erhoben. Er selbst fand, daß er kindisch und unverständig sei. „Ich erlaube es nicht, daß Du in die kalte Küche gehst, Mama", wehrte er, „es thut mir leid, auch nur Mit einem Worte von meiner Lieb lingsspeise gesprochen zu haben." Heimlich jedoch zitterte er vor Ungeduld und Begehrlichkeit nach 'dem Leckerbissen. Der Gattin entgingen dies« widerstreitenden Regungen nicht, von denen, wie sie wusste, Döring sich vollständig beherrschen liess. Sie seufzte verstohlen, winkte Eva mitzukommen, und strich mit ihrer immer noch schönen, weissen Hand liebkosend über ihres Mannes leicht ergrautes Haar, io ungefähr, wie man ein Kind beschwichtigt. Ohne ein Wort weiter zu sprechen, ging sie mit ihrer jüngsten Tochter hinaus. Der Regulator kündet« die erste Morgenstunde an. Ein eisiger Wind rüttelte an den Fenstern. Draussen mochte «s schneidend kalt sein. Döring durchmass mit schnellen Schritten daS Zimmer. In solchen Armenien war Alles Aufruhr in ihm. Er haßte sich und lag im Geiste um Vergebung und Nachsicht bittend zu den Füssen dieser geliebten, gütigen, immer sanft nachgebenden Frau, die nun, schon über zwei Jahrzehnt« lang seine Launen und Rücksichtslosigkeiten mit immer gleicher Sanftmuth trug. Aber neben all' der Empörung gewann sogleich wieder die Befriedigung darüber die Oberhand, dass sein Appetit nun ge stillt werden sollte, und von all' den guten Vorsätzen, mit denen er rang, blieb nur eine gesteigerte Zärtlichkeit für die Gattin zurück. Ja, er war unverständig und ungezogen wie «in Kind, aber er war auch dankbar wie. ein solches, dieser unselbstständige, aus tausend Widersprüchen zusammengesetzte Mensch. Und dies« Einsicht seiner Fehler, die stumme, aber oft so demüthige Bitte um Verzeihung versöhnte Frau Martha immer wieder mit ihm. Diese großen Fehler und Schwächen des Mannes und die un begrenzte Nachsicht der Frau verknüpften di« beiden Gatten rng«r nnt einander, wie es vielleicht hervorragend« Charaktereigen schaften vermocht hätten. Döring's Laune verbesserte sich nun mit jeder Secunde. Jetzt wandte er sein Interesse auch wieder seiner ältesten, seiner Lieblingstochter zu. „Also der liebe Eckhoff wollte sich «inen Korb holen", meinte er gemütlich, „ich merkte so etwas, Stephanie, und schickt« Dir deshalb Margot als rettenden Engel." „Sie würde Eckhoff nur zu gern trösten für meinen Ver lust —" „So? Nun, da- könnte Dir ja nur angenehm sein —" „DaS nimmst Du so oh« Weit««» an, Papa?" Stephanie sprach gereizt. Döring sah seine Tochter er staunt an. „Du wirst doch nicht so thöricht sein, Kind —" „Ur>d auch Herz verrathen, wie es das Vorrecht junger Mädchen ist, nicht wahr, Papa, das wolltest Du doch sagen? Nun zu meinem Glück weiss ich mit den Wünschen meines Herzens gut fertig zu werden, aber wenn es auch einmal anders sein sollte, wenn — die Frage kam mir heute zum ersten Male, Papa." „Das sollte mir leiv thun, unser Aller wegen, Deinethalben aber am meisten. Solch' ein Rausch ist niemals von Dauer, Kind, und wie tief würdest Du es einst bereuen, sentimentalen Backfischregung«» eine glänzende Lebensstellung mit all' ihren grossartigen Bortheilen geopfert zu haben." Auch Stephanie erhob sich jetzt. Sie trug ein einfaches, tief- rothes Wollkleid. Aber wie imposant erschien ihre Gestalt selbst in diesem schmucklosen Gewände. Sie hatte >vas dunkle Haar bereits gelöst und es siel in glänzenden, dichten Ringeln bis über die Schultern herab und in kleinen Löckchen in die weisse, clossische Stirn. Wie prächtig aber waren diese Schultern, wie wohlgerundet der Busen, dagegen schlank zum Umspannen die feine, graziöse Taille. Mit dieser stolzen, königlichen Figur schien sie wie geschaffen, um ein vornehmes Haus zu repräsen- tiren. Man kam auch kaum auf die Vermuthung, dass dieses schöne, herrliche Geschöpf durch die Liebe bestimmt werden könne, äußeren Vortheilen zu entsagen, die Mühen des Tages, die ganze Misere einer untergeordneten Existenz auf sich zu nehmen, nur, um das pochende Herz zu befriedigen. Ein herber, kühler, oberflächlicher Ausdruck herrschte in dem stolzen, feingemeisselten Antlitz vor. Geist und vornehnie Ge sinnung verrieth der tiefrothe, schöngsschwungene Mund; Klug heit und Ueberlegenheit schauten aus den nachtdunklen Augen, aber Marmorkälte strömte das junge Weib aus. Sie würde dem Manne, dem sie sich einst zu eigen gab, wohl „gnädig" gewähren, wonach er in stürmischer Glückseligkeit verlangte, sie selbst aber hatte bisher nichts zu vergeben, abgeschlossen und unberührt stand sie den Männern gegenüber. Jenes drmkle Sehnen, das schon die Brust eines vierzehnjährigen Mädchens schwellen, sie Frühlingskieder mit jubelnder Stimme hinausschmrttern lässt in den blühenden Maientag, jenes zarte, unbewußte Erröthen, durch das junge Mädchen so unendlich lieblich erscheinen, war Stephanie fremd geblieben. Sie stand dem machtvollen Ge- heimniss der Liebe, das den Mann zur Jungfrau zieht, und in dieser heimliche Schauer des Entzückens weckt, verständnisslos gegenüber. Sie erröthete nie und war über das Farbenspirl auf den Wangen anderer Mädchen ebenso erstaunt wie amüsirt. Den Männern war sie «in Räthsel, eine Sphinx, die hervor ragend«» unter ihnen aber fühlten sich um so mehr gefesselt durch so viel Stolz und unwandelbaren Gleichmuth. Wer ihre Kälte für Koketterie hielt, musste seinen Jrrthum gar bald erkennen. Es lag dem schönen, bezaubernden Wesen alles Erkünstelte, jede Berechnung -so unendlich fern, daß die Lauterkeit ihres Sinnes immer sieghaft hervorleuchtete und sie nur um so begehrens- werther erscheinen ließ. Es war wohl nur natürlich, daß Die jenigen, welche sie für eine Circe gehalten hatten, sich um so fester durch ihre Anmuth umstrickt fühlten sobald sie eingeschen hatten, daß Form und Inhalt bei diesem seltsamen Geschöpf gleich rein und krystallen klar waren, dass dieses Herz noch schlummerte, also nur Desjenigen harrte, der es 'wecken sollte zu neuem, heißem Leben. Freilich schuf diese moderne Athene sich auch Feind«. Es war mehr als Einer, die frohlockt hätten, wenn das Schicksal sie gerächt, wenn es Stephanie gezwungen, sich vor einem Manne tief zu dehmüthigen, wenn sie verurtheilt worden wäre, gleich falls all jene Qualen zu erdulden, die zurückgewiesrn« oder un erwiderte Liebe bereitet! Dazu war nun freilich keine Aussicht vorharkden. Sie war die Königin, welche durch die Macht ihrer Schönheit Alle gleichermassen beherrschte. Und wer ihr heimlich zürnte, fühlte sich gar bald versöhnt durch ein huldvolles Lächekn, durch einen freundliche» Händedruck. „Wie entzückend müsste sie sein, wenn sie liebt", äußerte Eck hoff zu seinem Freunde Schleinitz, als er das erste Mal mit Stephanie gesprochen hatte, „wenn dieses vornehme Götterbild mich lieben lernt, Erich, so mag sie auch wie eine Gottheit über mein Herz herrschen. Ich könnte wahnsinnig werden, dieses Weibes wegen, ihre Unnahbarkeit entfacht Feuersgluthen in mir, so hat wohl noch kein Maun für die holde Zauberin em pfunden." Es schien auch thatsächlich, als soll« es Eckhoff Vorbehalten sein, die Räthsel dieses Herzens zu lösen. Ein Helles Licht flammte oft in Stephanie's Augen auf, wenn sie wie selbstver gessen an Eckhoff's männlich stolzer Erscheinung hingen. Etwas Dunkles, ihr selbst Unfassbares, ging kn dem Mäd chen vor, sobald sie in Bernhard's Nähe weilte. Er täuschte sicb aber doch ganz und gar über die Tiefe des Eindruckes, den seine Persönlichkeit auf Stephani« hervorgebracht. Wohl forschte sie selbstvergessen oft einem gehelmnissvoll be glückenden Empfinden nach, das sich in ihrer Brust zu regen begann, wohl erschien ihr das Licht strahlender, di« Unterhaltung fesselnder, wenn Eckhoff in ihrer Nähe weilte, darüber hinaus aber gingen die Regungen in ihrer Brust nicht, und auch dieser Zeichen einer wachsenden Liebe ward sie sich kaum bewusst. Und wagte sich doch einmal ein stärkeres Gefühl hervor, so wusste Stephanie auch damit fertig zu werden. — Jetzt sah sie mit Wohlgefallen auf ihre beiden kleinen, weißen wie Sammet schimmernden Hände nieder. „Du hast Recht, Papachen, es wäre eine Thorheit, wollt« ich in der Verblendung alle Vvrtheile opfern, die mir aus der von Onkel Malchow ge planten Verbindung »sprießen müssen, es wäre zu dumm von mir. Ich bin auch nicht sentimental veranlagt, und glaube, sol--' eine Vernunftehe wird nur meinem innersten Wesen entsprechen." „Warst Du schon im Zweifel ^darüber, Stephanie? Du hattest doch Eckhoff, welcher, wie Du weisst, vermögenslos ist und dem Anscheine nach noch nicht einmal eine feste Lebensstellung er rungen hat, Du hattest diesen liebenswürdigen Herrn von Habe nichts doch nicht etwa als Deinen einstigen Gemahl in Betracht gezogen?" Stephanie war vor den Svieael getreten, aus dem ihr das eigene Antlitz entgegenleuchtete, so kalt und weiß, wie frisch gefallener Schnee. „Er ist ein so treuherziger, prächtiger Mensch", sagte sie, einig« der dunklen Löckchen tiefer in die Stirn ziehend, wodurch ihr Aussehen etwa Dämonisches erhielt, „und weißt Du, Deine Geschichte mit dem Onkel Malchow, von welchem ich nie etwas sah, erscheint mir nachgerade ziemlich mystisch. Donke nur, ich bin zwerundzwanzig Jahre, und habe dieses guten Onkels wegen manche brillante Partie ausgeschlagen. Wenn sich die ganze Testamentsgeschichte nun eines Tages als «in.Märchen, als ein Gebilde Deiner kühnen Phantasie erwiese —" „Nun, schlimmsten Falls wäre auch dann nichts verloren, denn Du brauchst nur zu wollen, so kannst Du Frau Rechts anwalt werden, Frau Oberlehrer. Unser famos situirter vr. Heimann würde Dich auf Händen tragen — u. s. w. — an Verehrern, und zwar an solchen, die sich glücklich schätzen wür den, mit Dir auf dem Standesamt« erscheinen zu dürfen, mangelt es Dir wahrlich nicht —" „Ganz recht, das sind meine lieben, alten Courschneider, von denen ich aber keinen heirathen würde. Und einen Eckhoff finde ich kaum zum zweiten Male, Papa. Als alte Jungfer aber der einst herumzulaufrn und den jungen Frauen zur Zielscheibe des Spottes zu dienen, dazu hab« ich auch keine Lust. Gehcirathet werd«» muss nun einmal, das ist so der Lauf der Welt. Ebenso wenig darf ich die Gattin des Ersten, Besten werden, denn so geduldig und sanftmüthig, wie die Mama, Vtn ich nicht." „Deine Eltern lasse bei solchen Reflexionen auS dem Spiel, wenn ich bitten darf." „O, verzeihe nur, Papachen, die Bemerkung sollt« gewiss nicht» Kränkendes enthalten", bat Stephanie herzlich. (Fortsetzung folgt.)
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