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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020130027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902013002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902013002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
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Anzeigen'Prets die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reelamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familicnnach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H («xcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—, Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richte«. Die Expeditton ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 30. Januar 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg m Südafrika. Die holliirrdische Vermittelung und die Haager Friedenskonferenz. Angesichts der Thatsache, daß Holland Schritte zur Beendigung des Boerenkrieges gethan hat, ist cs angebracht, aus der ersten der drei von der Haager Triebensconferenz angenommenen Conventionen diejenigen Puncte ins Gedächtntß zurückzurufen, die sich auf diese Art derBermittelung beziehen. Das „Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle" setzt hierüber Folgendes fest: „Die Signatar mächte halten es für nützlich, daß eine Macht oder mehrere Mächte, die am Streite nicht betheiligt sind, aus eigenem Antriebe den im Streite befindlichen Staaten ihre guten Dienste ober ihre Vermittelung anbieten, soweit sich die Umstände hierfür eignen. Das Recht, gute Dienste oder Vermittelung anzubicten, steht den am Streite nicht betheiligten Staaten auch während des Ganges der Feindseligkeiten zu. Die Ausübung dieses Rechtes kann niemals von einem der streitenden Theile als unfreundliche Handlung angesehen werden. Die Aufgabe des Vermittlers besteht darin, die einander ent gegengesetzten Ansprüche auszugleichcn und Verstim mungen zu beheben, die zwischen den im Streite befind lichen Staaten etwa entstanden sind. Die Thätigkeit des Vermittlers hört auf, sobald, sei cs durch einen der streitenden Theile, sei es durch den Vermittler selbst, fest gestellt wird, -aß die von diesem vorgeschlagcncn Mittel der Verständigung nicht angenommen werden. Gute Dienste un- Vermittelung, seien sie auf Anrufen der im Streite befindlichen Theile eingetreten oder aus dem An triebe der am Streite nicht betheiligten Mächte hervor gegangen, haben ausschließlich die Bedeutung eines Rath es und niemals verbindliche Kraft. Die An nahme -er Vermittelung kann, unbeschadet anderweitiger Vereinbarung, nicht die Wirkung haben, die Mobil machung und andere den Krieg vorbereitende Maßnahmen -u unterbrechen, zu verzögern oder zu hemmen. Erfolgt sie nach Eröffnung der Feindseligkeiten, so werden von ihr, unbeschadet anderweitiger Vereinbarung, die im Gange befindlichen militärischen Unternehmungen nicht unterbrochen." * London, 30. Januar. (Telegramm.) Nach einer Note des „Reuter'schcn Bureaus" hat die nieder ländische Regierung keine Fricdensvorschlägc gemacht, vielmehr hat sie der britischen Regierung gewisse An regungen gegeben, die den Zweck verfolgen, Mittel und Wege zur Beendigung des Krieges zu finden. Immerhin halte man cs noch für zweifelhaft, ob der Schritt -er niederländischen Regierung zu einem greif baren Ergebnisse führen werde, so lange nicht die krieg führenden Boer en selb st einen bestimmten Schritt gethan haben, aus -em ihrWunsch, tn Friedens verhandlungen einzutrcten, sich crgicbt. Auf dieser Linie aber sei cs immer möglich, Vorschläge anzunehmen. Jetzt begnügt man sich also damit, daß die Boeren den Wunsch zu erkennen geben, in Friedcnsvcrhandlungen einzutreten, wozu die Boeren ja erklärtermaßen stets be reit waren, während vor Kurzem noch die unerläßliche Bedingung für den Eintritt in Friedensverhandlungen englischerseits die war, daß die Boeren sich für besiegt erklärten und nm Frieden bäten! * Wellington (Neuseeland), 29. Januar. Fünf hundert Officiere und Mannschaften mit Pferden sind heute nach Südafrika abgegegangen, weitere fünfhundert folgen am 8. Februar. Außerdem bereitet man sich vor, noch eine, oder, wenn cs möglich sein sollte, auch zwei Abteilungen von je 1000 Mann nach Südafrika zu schicken. Eine deutsche Bildungsanstalt in Transvaal in Gefahr! I. Das deutsche Element hat von jeher nächst dem eng lischen in Südafrika die bedeutendste Rolle gespielt. Deutsche Firmen wetteifern mit den größten englischen in dem Import aller Artikel, die das industricarmc Süd afrika von den alten Culturländcrn beziehen mutz. Deutsche Ingenieure und Bergbauleute haben es nicht nur bei den den, deutschen Gruppen angehörigen Minen zu hoher Geltung gebracht, sondern genießen auch des besten Rufes bei den mit englischem oder französischem Geld arbeitenden. Ganz besonders hat sich der deutsche Einflutz am Witwatcrsrand geltend gemacht. Schon in den ersten Jahren nach der Gründung von Johannes burg fühlte sich hier das deutsche Element so stark, daß es eine selbstständige Stellung in dem Volksgcwtrr der Goldstadt einzunehmen beschloß. Nicht wenig wurde cs dazu crmuthigt durch die freundliche Haltung, welche die Regierung der Südafrikanischen Republik ihm gegenüber cinnahm. Mag dieses Verhältnis; auch manchmal getrübt worden sein, in wichtigen Fragen hat sich doch immer wieder das alte Wohlwollen geltend gemacht. Der eon- scrvativc Zug, der im deutschen Volkscharaktcr liegt, ze gt sich im Auslände viel stärker als in der Heimath und hat nicht jcncBcimischung vonDccentralisativnsgclüsten, über die sich unser großer Bismarck so oft und mit Recht beschwert hat. Hier giebt cs keinen Unterschied mehr zwischen süd deutsch und norddeutsch; ja, Schweizer und Oesterreicher vergessen ihre politische Trennung und erweisen sich als gute Deutsche. Unter solchen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß schon kurze Zeit nach der Gründung von Johannes burg in der deutschen Gemeinde der Gedanke rege wurde, sich eigene Einrichtungen zu schaffen, besonders was Kirche und Schule anbctraf. Das deutsche Lied und deutsche Turnkunst hatten bereits ihre Pflege in Ver einen gefunden. Eine für Alldcutschland schmerzliche Traucrfcier, für Kaiser Wilhelm I., gab Veranlassung, dem Gedanken näher zu treten, auch eine deutsche Schule zu gründen. Freilich war cs zunächst ein bescheidener Anfang, aber bezeichnend ist, daß der erste Schüler ein Schweizer Kind war. Neun Jähre lang hat dieses be scheidene Rudiment einer deutschen Bildungsanstalt mit der Ungunst der Zeiten kämpfen müssen, um sein Leben zu erhalten. Ta hielten patriotische Männer die Zeit für gekommen, durch eine kräftige Anstrengung der jungen Anstalt die Wege zu bahnen, damit sic sich auswachscn könnte. Die Regierung des Landes trat ebenso freudig für die Verwirklichung des Gedankens ein, wie sich das Vaterland begeistert zeigte, den Plan in die Wirklich keit umzusetzcn. Während die erstere ein herrlich ge legenes Grundstück zur Verfügung stellte, steuerten echt deutsch gesinnte Leute in Südafrika und Deutschland so reichlich zu den eingeleiteten Sammlungen bei, daß die Summe von mehr als 12 000 Pfund Sterling zusammen kam. Dies genügte zunächst, den größten Theil des Schulhauses (den Bau eines Flügels desselben späteren Zeiten überlassend) und eine Pfarrwohnung zu bauen. Schnell war das Werk in Angriff genommen worden, so daß bereits am 1. September 1897 die neue Schule er öffnet werden konnte. 17 Knaben und 14 Mädchen bil deten den Stamm. Sehr rasch aber nahm die Anzahl zu, und bald fanden die vorhandenen 6 Classenräume ihre Verwerthung. Schon aus -en Anfängen war zu er kennen, daß der Gedanke auf fruchtbaren Boden gefallen, daß einem wirklichen Bedürfniß entsprochen worden war. Um einer naturgemäßen Entwickelung des jungen In stituts willen bedurfte es aber eines fachmännischen Leiters, der die Organisation in die Hand nehmen konnte. So berief der Vorstand der Schule Herrn I)r. Weidner, der bis dahin an der Stiftungsschule von 1815 in Ham burg gewirkt und sich um die Reform der höheren Schulen in Deutschland durch Herausgabe der „Zeitschrift für lateinlose höhere Schulen" verdient gemacht hatte. Ihm ist cs in kurzer Zeit seines Wirkens gelungen, die Schule auf eine Höhe der Entwickelung zu bringen, daß sie einen würdigen Platz unter den Schulen des Auslandes ein nimmt. Die Regierung der Südafrikanischen Republik erkannte dies an, indem sie die deutsche Schule in die Reihe der subsidiirten aufnahm, wodurch der Schule eine bedeutende Hilfe geleistet wurde zur Bestreitung ihrer Bctriebsunkosten, die hier größer sind als in irgend einem anderen Erdthetle. So erhielt die deutsche Schule im Jahre 1898 einen Zuschuß von 260 Pfund Sterling und im folgenden von 810 Pfund Sterling. Das Wohlwollen der Regierung ging noch weiter. Eine Turnhalle ist un trennbar von einer deutschen Schule. Hier kau; noch dazu, datz die Turnhalle zu gleicher Zeit als Festhallc für die deutsche Gemeinde dienen sollte. Die Verwirk lichung dieses Planes mar nur möglich, wenn auch hier die Regierung zu Hilfe kam. Und sie that cs. Ein un verzinsliches Darlehen von nahezu 3000 Pfund Sterling setzte den Vorstand in den Stand, eine Halle aufzuführcn, die ihresgleichen in Südafrika nicht hat. Sie ist nicht nur der Platz, in -cm die deutsche Jugend ihre Muskeln stählt, sie ist auch so oft der Sammclpunct der deutschen Colonie bei festlichen Gelegenheiten gewesen, daß sie den Johannesburgern ebenso bekannt ist, wie jedes andere öffentliche Gebäude. Hier wurde am 28. August 1899 eine der erhebendsten Feiern zu Ehren des 150. Geburtstages Gocthc's abgehalten, hier fand der deutsche Patriotismus einen Ort für die Feier der ihm ehrwürdigen Tage, des 27. Januar, des 1. April und des Wcihnachtsfcstes. Was in dieser Beziehung die deutsche Schule für die Festigung deutscher Gefühle in Johannesburg gethan hat, ist viel leicht nicht minder hoch anzuschlagen, als was sie durch Vcrbreitnng deutscher Bildung unter den Kindern der deutschen Landsleute geleistet hat. (Schluß folgt.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. Januar. Wenn in den Berichten über die gestrige Sitzung des Reichstages gesagt ist, er sei in die zweite Lesung des „Toleranzantrages des CentrumS" eingetreten, so ist das nicht ganz richtig; der sogenannte Toleranzantrag des CentrumS war viel umfassender, aber in der Commission, der dieser Antrag überwiesen wurde und die ihn in 16 Sitzungen beratben hat, kamen die Antragsteller zu der Ansicht, daß es besser wäre, von ihren Forderungen eine ganze Anzahl, und zwar diejenigen, die zu den schwersten Bedenken Anlaß gaben und daher die geringste Aussicht auf Erfolg hatten, einst weilen fallen zu lassen. AIS Rest sind folgende Paragraphen übrig geblieben: 8 1. Jedem Reichsangehörigen steht innerhalb de» Reichsgebietes volle Freiheit deS religiöse» Bekenntnisse-, der Bereinigung zu Religionsgemeinschaften, sowie der ge meinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung zu. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen. 8 2. Für die Bestimmung deS religiösen Bekennts- nisses, in welchem ein Kind erzogen werden soll, ist die Verein barung der Eltern maßgebend, welche jederzeit vor oder nach Ein gehung der Ehe getroffen werden kann. Die Vereinbarung ist auch nach dem Tode de» einen oder beider Elterutheile zu befolgen. 8 2a. Ju Ermangelung einer Vereinbarung der Eltern gelten für die Bestimmung des religiösen Bekenntnisses, soweit nicht nachfolgend ein anderes vorgeschrieben ist, die Vor schriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Sorge für die Person LeS Kindes. Steht dem Vater oder der Mutter daS Recht und die Pflicht, sür die Person des KindeS zu sorgen, neben einem dem Kinde bestellten Vormund oder Pfleger zu, so geht bei einer Meinungsverschiedenheit über die Bestimmung deS religiösen Be kenntnisses, in welchem das Kind zu erziehen ist, die Meinung des Vaters oder der Mutter vor. Da» religiöse Dekenntniß de» Kindes kann weder von dem Vormunde noch von dem Pfleger geändert werden. 8 2d. (Neu.) Gegen den Willen deS Erziehungs berechtigten darf ein Kind nicht zur Theilnahme an dem Re ligionsunterricht oder Gottesdienst einer anderen Religionsgemeinschaft angehalten werden, als den in § 2 und 8 2u getroffenen Be stimmungen entspricht. 8 2e. Nach beendetem vierzehnten Lebensjahre steht dem Kinde die Entscheidung über sein religiöse» Bekenntniß zu. 8 3. Der Austritt au» einer Religionsgemeinschaft mit bürgerlicher Wirkung erfolgt durch ausdrückliche Erklärung des Austretenden gegenüber der Religionsgemeinschaft. Die Erklärung ist dem Amtsgerichte deS Wohnorte» gegenüber anzugeben; von diesem ist sie der zuständigen Behörde der Religionsgemeinschast mitzutheilen. Die Erklärung kann schriftlich in öffentlich bc- glaubigtcr Form abgegeben werden. Ueber den Empfang der Er- klärung ist eine Bescheinigung zu ertheilen. Das Verfahren ist kosten, und stempelsrei. 8 4. Die Abgabe der Austrittserklärung bewirkt, daß I der Ausgetretene zu Leistungen, welche auf der Zugehörigkeit zur Fsttilletsn. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck verboten. „Ich tanze nicht besonders gern, auch sind Dörimgs sehr früh nach Hause gegangen —" „Warum das?" fragte die Mutter aushorchenv, „sie gehören doch sonst immer zu den Letzten?" „Ich — weiß es nicht mehr!" stammelte Margot verwirrt. „Das sieht Dir ähnlich!" ärgerte sich Franke, „ich weiß es nicht — das war die ständige Antwort, wenn sie aus der Schule kam, und man wollt« etwas erfahren, „und an diesem „ich weiß es nicht!" wird sie festhalten, Lis sie eine alte Jungfer geworden ist! Ich kann mir nur gratuliren, daß ich endlich mir fest vor genommen habe, Dich auf keinen Ball mehr zu begleiten! Meinet wegen geh' allein, so oft Du willst, aber auf mich rechne nicht wieder! Ich will nicht Zeuge sein, wie man meine einzige Tochter über die Achsel ansicht und sich lustig über sie macht." „Aber Papa, es waren ja Alle gut und freundlich mit mir!" „Nun, wenn Dir diese Art Freundlichkeit genügt — meinet wegen —" In diesem Moment trat das Mädchen ein und meldete den Geldbriesträger, welcher d«r Voranschreitenden auf dem Fuße folgte. Franke erhob sich mit einem unsicheren Blicke und ging dem Beamten mit einer gewissen Befangenheit entgegen. „Bleiben Sie doch sitzen, Herr Franke", sagte dieser in einem gemüthlichen Tone, „hundert und sechzig Mark", damit reichte er die Anweisung zum Unterschreiben hin. Franke starrte auf die Adresse, wandte die Karie hin und her, und sah sich dann hilflos um. Offenbar war er vollständig consternirt, daS Opfer einer tödtlichen Verlegenheit. Dabei zuckten seine Blicke scheu von einem Anwesenden zum anderen, heimlich forschend, ob seine Unsicherheit bemerkt werde. Niemand verzog eine Miene. Margot's kleine Hand hielt dem Vater den Bleistift hin, nach dem er hastig griff, um zu unterschreiben. „Der Name steht nicht an der rechten Stelle", flüsterte Margot, „hier auf diese Linie mußt Du ihn hinschreiben, Papachrn." Franke schüttelte den Kopf. „Was mache ich denn nur für Geschichten", bemerkte er mit einem erzwungenen Lachen, indem er daS Versehen corrigirt«, und wieder huschten ferne Blicke scheu forschend von Einem zum Anderen. Der Beamte schien aber ausschließlich mit dem Aufzählen der Geldstücke beschäftigt zu sein, und die Hausfrau sah ihm genau auf die Finger. „Was bekommen Sie?" fragte Franke. Der Geldbote sah ihn verdutzt an. „Fünf Pfennige", sagte er, und „so ein alberner Scherz", setzte er in Gedanken hinzu, denn daß der Herr Architekt vor Befangenheit absolut gedanken los war, ahnte er natürlich nicht, und besaß auch zu wenig Be obachtungsgabe, um es zu bemerken. Franke durchsuchte alle Taschen und brachte endlich ein Geld stück zum Vorschein. „Behalten Sie die fünf Pfennig sür sich", sagte er wohlwollend. „Es ist ja ein Fünszigpsennigstück", berichtigte der Postbote. Franke wurde roth. „Behalten Sie es dann nur", be stimmte er, aber bei den paar Worten verschluckte er sich, und konnte sich dann nur durch «ine Handbewegung verständlich machen. Der Beamte bedankte sich hocherfreut und machte sich nun schnell davon. Ueber das seltsame Wesen Franke's dachte «r nicht weiter nach, vielmehr überlegte «r eingehend, ob er das empfangene Trinkgeld in Bier oder Cigarren anlegen solle. Der Architekt aber stellt« sich hinter die Gardine, um den Postboten von hieraus zu beobachten. Er traf soeben mit einem College» zusammen, bei welchem am vergangenen Abend eine flotte Geburtstagsfeier stattgefunden hatte. Die beiden Männer lachten, schlugen sich, wie solche Leute es zu thun Pflegen, auch einmal vor Vergnügen aufs Knie, und als sie auseinander gingen, schienen sie sich gar nicht trennen zu können, sondern kehrten immer wieder ein paar Schritte zurück, um sich dieses oder jenes Vorkommnisses bei dem frohen Bei sammensein zu erinnern. „Diese Band«", zischt« Frank«, welcher sich steif und fest ein bildete, man mache sich dort lustig über ihn, „jammervolle Schwefelbande! Mein Geld stecken sic ein, und dann fallen sie über wich her wie die Raubthiere! O, ich könnt« die ganze Ge sellschaft umbringtn —" Er war ins Zimmer zurückgetreten, und schritt nun, mit sich selbst hadernd, sein« unselige Verlegenheit heimlich ver wünschend, und auf die Anderen laut schimpfend, auf und ab in ruheloser Erregung. Der Junge war so eingehend mit seiner Lection beschäftigt, daß er die Dinge, die um ihn herum vorgingen, kaum wahr nahm, Margot stand noch zu sehr unter dem Einflüsse der väterlichen Autorität, um sich ein klares Urtheil bilden zu können, Frau Franke aber hatte unsagbare Pein während der kurzen Scene gelitten. Sie kannte so genau das Wesen, jede Regung ihres Mannes. Auch sie zuckte schon nervö» zusammen, sobald ein Fremder hier auf der Bildfläche erschien, denn trotzdem sie selbst weder Be fangenheit noch Verwirrung kannte, so fühlte sie doch so tief mit dem Gatten, daß immerhin ein Reflex seiner krankhaften Nervosität sich auch auf sie übertrug. Diese schreckliche Befangenheit, die ihren Ursprung darin hatte, daß Franke zu wenig Selbstvertrauen besaß, und sich stets Anderen gegenüber bedrückt und unsicher fühlte, war das Verhängniß seines Lebens, ja, das seiner ganzen Familie geworden. , Denn hier, den Seinen gegenüber, wollte er etwas gelten sich schadlos halten für das, was er durch Fremde zu erdulden hatte. Was war natürlicher, als daß er der Frau und den Kindern gegenüber den Tyrannen herauskehrte! Und da die Erstere nicht jenes schöne Gleichmaß der Seele, jene echt vornehme Be herrschung besaß, wie Döring's Gattin, sondern gleichfalls leicht gereizt lvar, gern widersprach, auch durch ihren andauernd leidenden Zustand oft verdrossen und mürrisch war, so hatte sich im Lause der Zeit der gegenseitige Verkehrston in dieser kleinen Familie, deren Lebensveihalmsse den Grundton zu einem schattenlosen Glück hätten geben sollen, derartig unangenehm und gegenseitig verletzend gestaltet, daß jedes laut ausgesprochene Wort so zu sagen zum Fchderuf wurde! Und auch hier ließen Fremde sich täuschen. Es spielte sich Alles im engsten Rahmen der häuslichen Wände ab. Weshalb hätte man nicht die Franke's für glückliche Menschen halten sollen! „Ein rasches Wort ist bald gesagt und schnell verziehen, der gleichen kommt in jeder Häuslichkeit vor!" So urtheilte man. Von der seelischen Zerrissenheit Franke's. von dem unglücklichen Einfluß, den ein nie endender moralischer Katzenjammer be sonders auf die Kinder ausüben mußte, wußte man nichts. „Daß dieser Mensch nicht wieder meine Stuv« betritt!" er eiferte sich Franke von Neuem, „Du wirst dafür sorgen, Margot! Ich will den Heuchler nicht wieder scheu!" „Papachen", lautete die sanfte Entgegnung, „ich glaube doch. Du täüschest Dich! Die Leut« können doch auch über etwas Anderes, als über uns gelacht haben! Der Bote erhielt «in schönes Trinkgeld von Dir, das wird ihn froh gestimmt haben! Er macht so gar nicht den Eindruck des undankbaren, hinter listigen Menschen — man darf doch d«n Leuten auch nicht immer das Häßlichste und das Schlimmste zutrauen!" Franke stand ganz verblüfft. Dann lachte er schneidend auf. „Brav gesprochen. Du kluges Kind", sagte er mit vernichtendem Sarcasmus! „Mit solchem wohlfeilen Tröste beruhigst Du Dich wohl auch heute bei der Schlittenpartie, wenn man hinter Deinem Rücken über die „blöde, unbeholfene kleine Franke" zischelt, die man aus Gnade und Barmherzigkeit mit ins Schlepptau nimmt." „Es hat mir bisher Niemand Anlaß gegeben, so schlecht von ihm zu denken!" entgegnete das junge Mädchen ruhig, „meine Freundinnen sind mir Alle aufrichtig zugekhan!" „Nun, Glaube macht selig! Halte doch meinetwegen durch eine rosenrothe Brille Umschau! Ich liebe es, klar zu sehen!" „Papa!" Margot's Stimme b«bte in verhaltenem Schluchzen, denn sie hatte sich kindlich auf diese Schlittenpartie gefreut, „Papa, sprichst Du nicht nur im Aerger, weißt Du esbesiimmt, daß man mich zur Zielscheibe boshafter und alberner Bemerkungen macht?" „Und glaubst Du kleines Schaf wirklich, man könnte den Unterschied zwischen Dir und den anderen jungen Mädchen über sehen? In diesen Dingen sind die Männer doch wohl Helle?" Ein tiefes Roth wallte, als einziges Zeichen tiefmnerer Qual, über Margot's blasse Wangen bis in die ernste junge Stirn hin auf. Nicht einmal das Porzellan klirrte aneinander, als sie die Tassen zusammensetzte, um sie hinauszutragen. „Ich bleibe hier", sagte sie dann mit erstickender Stimm«, „geh' doch bii Dörings mit vor, .Hans, und sag« es." Düse Wendung war dem Vater gar nicht recht, auch kam sie ihm höchst unerwartet. Es war ihm ein Bedürfniß gewesen, sich für die auSgestandene Seelenpcin schadlos zu halten, und wie immer, wenn er in Erregung gerieth, war ihm die Zunge mit dem Verstände durchgegangen. Nun bereute er ebenso tief und heimlich, wie er seinen un seligen Fehler, die lästige Befangenheit, zu verstecken trachtete, die spitzen, verletzenden Worte, die geradezu unabsehbaren Schaden in dem jungen 'Gemüth seines Kindes anrichten konnten. Er bereute und war geneigt, gut zu machen. „Hans", sagte er, „Du gehst mir direct nach der Schule, wenn eine Bestellung auszurichten ist, so kann das Mädchen ge schickt werden. Ich denke aber, das übelnehmerische Fräulein wird ihren Beschluß noch ändern —" „Nein!" erklärte Margot fest von der Thür her, die sie jetzt fast geräuschlos hinter sich schloß. „So ein Eigensinn!" grollte der Vater. „Daß Du dem Kinde jede Freude verderben mußt!" warf die Mutter hin. „Du hättest dieses Kind nur etwas weniger empfindsam er ziehen sollen! Von Anderen läßt sie sich schlechtweg Alles ge fallen, der eigene Vater aber darf nur den Munv aufthun, und die kleine Gans fühlt sich verletzt! Das sind ja reizende Ver hältnisse hier!" Es war ihm zur Manie geworden', all' die Fehler, an denen sein haltloser, unglücklicher Charakter krankte, den Seinigen, und besonders den Kinder», die ihm ja nichts cntgegenzüschen hatten, anzudichten und aufzubürden. Hans hatte seine Bücher mit einem Riemen zusammen geschnallt und mit kurzem Gruße das Zimmer verlass««, um seinen Schulweg anzutreten. (Fortsetzung folgt.)
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