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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020222029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902022202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902022202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Ob aus „geschäfts ordnungsmäßiger" Rathlosigkeit oder um Zeit zum lieber- legen der Erklärungen de« Grafen Pofadowsky zu gewinnen, wer kann es wissen? Die Ungewißheit, ob der Staatssekretär jede Erhöhung der Getreidezollsätze der Regierungsvorlage oder nur den Compromißantrag Herold abweisen wollte resp. sollte, dauert fort. Nach letzterer Richtung ist die Ablehnung jedenfalls ernst gemeint und endgiltig. Davon ist aber Niemand über rascht, denn an einen vollen Erfolg deS Vermittelungsvor- schlazes wurde um so weniger geglaubt, als die erste Angabe über den im Anträge verlangten Gerstenzoll richtig war. Es sind in der That 5^ eingesetzt, eine ungeheuerliche Ueber- schreitung der Bundesrathsvorlage, die aber auch nichts Anderes bezweckte, als den bayerischen Centrumsleuten den guten Willen der übrigen Parteigenossen zu zeigen. Daß Herr ttr. Heim sich vorerst auch damit nicht zufrieden zeigen würde, hatte inan im Centrum vorauSgesehen. Er hat denn auch, und daS war die erste Kritik, die an der Erklärung deS Grafen Pofadowsky geübt wurde, die Gelegenheit benutzt, in einer Bemerkung zur Geschäftsordnung das Urtheil einzuflechten, die Rede des Staatssekretärs be deute „die Opferung der bayerischen Gersienbauern". In Bayern ist das Centrum, weil es den Bauern- und Lanvbündlern deu Wind auS den Segeln nehmen wollte, waS auch so ziemlich gelang, überengagirt. So ungefähr, wie Frhr. v. Wangenheim sich fühlt, der als Präsident des Bundes der Landwirthe zu allen Bersprechungsexcessen schwieg, bis er, als die Zeit des MundspitzenS zu Ende ging, sogar dem deutschen LandwirthschaflSrathe Mäßigung empfahl. Gestern, als er in der Tarifcommission die im Wesentlichen mitgetyeilte „Erklärung" zu Pro tokoll gab, überwog wieder der Bundespräsident den praktischen Landwirth. DaS war in diesem Augenblicke — vor Eintritt in die erste Berathung der Mindestsätze für Getreide — von ihm nicht anders zu erwarten. Aber auch hier zeigte sich Frhr. v. Wanzenheim nicht starr sinnig. Seine Erklärung liegt nunmehr im Wort laute vor. Sie bezeichnet die Regierungsvorlage als un genügend, aber sie besteht nickt hartnäckig und grund sätzlich auf den Ansprüchen des Bundes. Herr v. Wangen bein« behält sich Anträge vor, andere als derBund verlangt, nur: „Angesichts der augenblicklichen Lage muß ich zur Zeit unbedingt an den Forderungen des Bundes der Landwirthe sesthalten." Mit anderen Worten: später werde ich weichen. DaS sagt Herr v. Wangenheim noch einmal deutlich, indem er — die Bundesagilatoren, die bei Heller und Pfennig berechneten, was „noth thut", desavouirend — erklärte, ein „endgiltigeS Urtheil über die unbedingt nöthige Zollhöhe" lasse sich erst dann fällen, wenn die Berathung deS Zolltarifs soweit gefördert sei, daß man einen Ueberblick gewinne«« könne. Bis dahin, aber eben nur bis dahin, will Freiherr v. Wangenheim Marmor bleiben. Es ist ein ein flußreiches Mitglied der conservativen Fraktion, der hier mit der Alles oder NicktS-Tactik des Bundes gebrochen hat, und schon auS diesem Grunde erscheint es fraglich, ob die Negierung den rechten Augenblick zu einer Erklärung gewählt hat, aus der man eine allgemeine Ab weisung jeder, auch der geringfügigsten Erhöhung der Mindest- zölle herauSbören kann. Auf freihändlerischer Seite stellenweise auch berauSbört, aber auch in diesem Lager hält man nicht überall aller Tage Abend für gekommen. Und Graf Schwerin- Löwitz, der nach der Erklärung des Grasen Posadowsky meinte, die Fortsetzung der Berathung habe „kaum" noch einen Zweck, hat sich die Sacke anscheinend schon anders überlegt. Für vollkommen aussichtslos erklären die Situation mir die berufsmäßigen Agitatoren des Bundes, und bei diesen ist der Wunsch der Bater des Gedankens. Neuwahlen mit der Zollparole wären für sie das, was der Krieg für die auf FriedenShalbsold gesetzten Schweizer war. Und die Erklärung des Grafen Pofadowsky ist ein Metall, das sich besonders auSmünzen läßt. Vielleicht nur zu falscher Münze; aber das ist nicht ganz unrichtig, was die Bundes organe sagen, daß man dem Reichstage bei dem wichtigsten Puncte der Vorlage sozusagen die Tbüre vor der Nase zugeschlagen, ehe er auch nur ein Wort dazu gesagt batte. Nicht die so unerläßlicke Verringerung und Herabminderung der Sätze des Antrags Herold dürfte durch daS Verhalten der Regierung erschwert worden sein, jedenfalls aber das Heruntergehen auf die Vorlage. Es treibt den radicalen Vertretern, die am liebsten nichts ge schaffen sehen möchten, Wasser auf die Mühle. Die ge mäßigten Agrarier geben noch lange nicht Alles verloren. Die „Germania" glaubt nicht, daß ei«« letztes Wort gesprochen sei, und die „Kreuzzeitung" will sogar für diesen Fall ihre „Hoffnung, daß überhaupt etwas zu Stande kommt", nur „herabsetzen", also nicht sie gänzlich fahren lassen. Möglich, daß wenigstens geschieht, wovor der „National-Zeitung" graul, daß nämlich in der Commission eine Einigung mit der Negierung statifindet, die das Plenum nickt ratificirt, die aber ine Regierung in die Lage versetzt, „Arm in Arm" mit der CommissionSmehrbeit und mit gemeinsamer Parole in die nächsten Hauptwahlen zu gehen, die ja in jedem Falle spätestens im Frühsommer des künftigen IahreS stattfinden müssen. Die lahme Abwehr, die bei den Ctatöbcrathuligcn des Reichstages und des preußischen Abgeord netenhauses die heftigen, znnr Theil unerhörten Vorstöße polnischer Abgeordneter sowohl bei den Ver tretern der Regierungen, als auch aus der Mitte der Häuser erfahren haben, wirkt genau so, «vie «vir cs Voraus sagen zu dürfen glaubten: sic verführt die polnischen Hetzblätter zu der Annahme, ihre Gegner seien schon «vicdcr einmal kampfcsmüde und es bedürfe daher nur noch heftigerer Vorstöße, nm die Eapitulativn zu er zwingen. Die großpvlnische „Praea" ist in Folge dessen mit dem Vorgehen der Herren v. Chrzanowski, v. Czar- linski und Genossen noch gar nicht einmal zufrieden, «nacht ihnen den Vorwurf unzureichender Pflichterfüllung und schreibt der deutschfeindlichen Agitation eine neue Marschroute vor. Der bisher, wenigstens nach der Mei nung -er „Praea", von den polnischen Abgeordneten ver tretene Standpnnct, „die Angelegenheit einer unglück lichen Nation gegen die preußischen Geivaltthatcn, eine gerechte Sache gegen eine ungerechte zu vertherdigen", soll aufgcgebcn werden und der offenen Agitation für die Verwirklichung der großpvlnischen Wünsche Platz machen. „Wir fordern", so schreibt das genannte Organ, „die große, mächtige Gerechtigkeit, welche uns, einer Nation von fast 20 Millionen, vom göttlichen und menschlichen Rechte ge bührt. Es kann sein, daß auf ein solches Wort diese heute so unnachgiebigen Ritter — die Vertreter der preußischen Staatsregierung und des Reichsrcgiments — cs sich erst überlegt hätten, ehe sie so leichtsinnig diese ernste, große und für sie so drohende polnische Gefahr provocttt hätten." Hier ist klipp und klar das Endziel der groß polnischen Bewegung ausgesprochen; nicht so sehr um den Widerstand gegen die Maßnahmen der Regierungen, um die Vcrthcidigung der „vergewaltigten Ge rechtigkeit" handelt cs sich, als vielmehr uin die Wiedervereinigung -er politisch getrennten, ehemals polnischen Landesthcile; die Wiederaufrich tung einer selbstständigen polnischen Nation ist Basis und Leitsatz der grobpolnischen Bewegung, und zu diesen« Standpunete sollen sich nunmehr auch die Mit glieder der polnischen Fractionen im Reichstage und im preußischen Abgeordnetenhaus«: rückhaltlos, rückhalt loser noch, als die Herren v. Ehrzanowski und v. Czar- linski cs jüngst gethan haben, bekennen. Die „Praea" gicbt ihnen auch die Versicherung, daß die polnische Ge- sammlhcit geschlossen hinter ihnen stehe. „Wir wissen mit den Ausnahmegesetzen, mit denen man uns heute schor« schreckt, fertig zu werden. . . . Heute wird Niemand mehr das Recht haben, sich von der Vertheidigung unserer Gehöfte und häusliche«« Herde zurückzuzichen. . . . Wir kennen auch die Losung: Alle für Einen, Einer für Alle!" So schließt die Mahnredc der „Praea", der, wenn man sie ihres oratorischen Beiwerkes entkleidet, an einem Aufrufe zum Widerstande gegen die Staatsautorität, wie zur gewaltsamen Verwirklichung der ober« gekennzeich neten Ziele nicht mehr viel fehlt. Wenn man in Berlin noch mehr haben will, so «nag man nur fortfahren, die polnischen Vorstöße in den parlamentarischen Körper schaften so lahm, wie jüngst, abzuwehrcn. und sich in der Behandlung der polnischen Agitatoren den preußi schen Justizminister zum Vorbilde zu nehmen. Der französische Staatsrath fällte neulich einen Spruch, der in der conservativen und nationalistischer« Presse mit Heftigkeit angegriffen wird. Das Institut der christlichen Lehrbrüder war unter den« Kaiserreich als gemeinnütziges Unternehmen anerkannt worden und erfreut sich noch jetzt dieses Vorzuges. Als daher, so schreibt man der „Bert. Börs.-Ztg." aus Paris, nach der Ferry'schcn Reform des Volksunterrichts von 1880 die Primarschulen, die fast ausschließlich in den Hände«« der Lchrbrüder waren, allmählich weltlichen Lehrern anvertraut wurden, wäre«« die Lehrbrüder in ihrem Rechte, als sie freie Schulen gründeten. Nur hätte«, sie vorschriftsmäßig jede derselben bei der Verwaltung anincldcn sollen. Das unterließen sie aber in vielen Fällen, und die Lehrschwestern, die den gleichen Regeln unterstanden, thaten in noch zahlreicheren Fällen dasselbe. Das Vcrcinsgcsctz von 1. Juli 1901 brachte allen Con- gregativnen, den gesetzlich ermächtigten und denen, welche um die Ermächtigung cinkommcn würden, in Er innerung, daß sie für jede neue Anstalt, welches auch ihr Zweck sei, Wohlthätigkcit oder Unterricht, die Erlaubniß der zuständigen Behörden cinzuhvlcn haben. Diese Be stimmung «var nun dadurch umgangen worden, daß Privatleute den Congrcgationistcn in ihren Häusern Schullvcalc auboten, wo Brüder oder Schwestern unter richteten, ohne daß die Behörden davon in Kcnntniß ge setzt wurden. Daraus hatten sich mehrere Gerichtshändel cntsponncn, die zur Folge hatten, daß die Angelegenheit vor den Staatsrath gebracht wurde. Dessen Entscheidung lautete nun, es komme nicht darauf an, ob das Gebäude, in dem Congrcgationistcn Schule halten, ihnen gehöre oder nicht; die Thatsache genüge, daß sic Schule Halle», und wo sie dies thun, ohne den gesetzlichen Vorschriften zu genüge««, da könne und müsse die Schule von Gesetzes wegen geschlossen werden. Der Abgeordnete Abb6 Gayrand, welcher den Ministerpräsidenten deshalb zur Rede stellte und über das ungerechte Verfahren Be schwerde erhob, erhielt den Bescheid, es sei nicht un gerecht, sondern entspreche durchaus dem Wortlaute und Sinne des Vercinsgesctzes und die Congregationisten werden sich fügen müssen. lieber australische Bedenken gegen das euglischrjapa- nische Bündniß wird uns aus London, 21. Februar, geschrieben: In der letzten Sitzung der „Liberalen Reichs liga" äußerte der hiesige General-Agent für Neu-Seeland, Pembcr Reeves, große Bedenken wegen etwaiger Folgen des neuen englisch-japanischen Bündnisses. Die australischen Colonien seien iin Allgemeinen für eine allzu enge Freundschaft mit Japan nicht eingenommen. Die selben hätten nämlich Gesetze erlassen, welche die Ein wanderung von Japanern verbieten, und sie fürchteten, daß die englische Regierung jetzt durch ihre neue«« Ver bündeten genöthigt werden könne, die Colonien zur theil- weisen oder gänzlichen Zurücknahme des Einwanderungs verbotes zu veranlassen. Andererseits bestärkte das Bündniß nicht gerade das Sicherhcitsgefühl der austra lischen Colonien. Das Bündniß lasse den Fall nicht aus geschlossen erscheinen, daß England durch den japanischen Bundesgenossen in einen Krieg in den ostasiatische«« Ge wässern verwickelt werden könne. In diesen« Falle aber würden sicherlich russische und andere Kreuzer an den australischen Küsten erscheinen und dessen Hafenplätzc in Mitleidenschaft ziehen. — Allerdings werde man von australischer Seite der britischen Regierung nicht vor schreiben «vollen, welchen Weg deren auswärtige Politik einzuschlagen habe; aber da die Colonien von dieser Politik mitbetroffcu werden, so sei es eine nicht abzu weisende Nothweudigkcit, auch den Colonien eine gewisse A n t h e i l n a h «n e an der Reichspolitik zuzu gestehen. Jedenfalls würde es den Colonien ein höheres Maß von Vertrauen zu der Neichsleitung cinflößen, wenn ihnen eine Anzahl Sitze i in britischen Parla- menteinger ü umtwürde n. Deutsches Reich. 0. II. Berlin, 2l.Februar. (Die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine und die Frauenbewegung.) Die Hirsck-Duncker'fchen Gewerkvereine haben beschlossen, eine große Agitation zu Gewinnung der in Gewerbe, Industrie, Hausindustrie und Handel beschäftigten Frauen und Mädchen für ihre Organisation zn entfalten; Flugblätter sollen ver breitet und Versammlungen — die erste in Berlin am 10. März — veranstaltet «verden. Die Leiter der Gewerk vereine sind der Meinung, daß in ihrer Organisation etwas Bedeutendes geschehen müsse, um für die Arbeiterinnen und zugleich für die durch die in fast allen Berufen und Beschäftigungen wacksende weibliche Concurrenz be drohten «nännlichen Arbeiter gesichertere und bessere Zustände herbeizuführe». „Durch alle unsere Reiben von Memel bis Constanz erschalle und bethätige sich der Feiiilletsn. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck verbeten. Der „reiche Gertzing" pflegte wenig Verkehr mit der Nachbarschaft, deshalb hatte Eckhoff auch ganz und gar nicht an ihn gedacht. Der Liebcnower war ei«« Don Juan, er betete schöne Mädchen und Fronen an, um — sick^cines Tages zu ver lassen! Nach diesem Gecken also hatte Stephanie Ausschau ge halten! Daß er unbeständig war, gar nicht daran dachte, sich durch eine Heirath zu fesseln, konnte sic natürlich nicht wissen. Daß sic aber überhaupt einem halbergrauten None Beachtung schenkte, mit ihm kokettirte, «var bezeich nend für sie. Eckhoff zog grüßend seinen Hut und wandte sich zum Gehen. Er war zu einem Gespräch über glcichgiltigc Dinge oder über Ertheilung einer Auskunft ganz und gar nicht aufgelegt. Mochte Gertzing doch an anderer Stelle Erkundigungen cinziehcn über die „schöne Fremde"! Vielleicht brachte sic es doch fertig, Gutsherrin von Liebe- now zu «verden. Eckhoff stürmte davon. Auf halbem Wege, an« Ltackct des Gemüsegartens, blieb er plötzlich stehen. Wie unerträglich das Alles! War er nun eigentlich der Verlobte dieses Mädchens, oder war er cs Nicht- Selbstverständlich mußten Beide sich als gebunden be trachten, weshalb aber wurde nicht das letzte, endgiltige Wort gesprochen, das eine Umkehr zur Unmöglichkeit machte? „Weil ich es nicht kann!" stöhnte er auf, „weil das Ganze eine Unnatur ist, eine Marter ohne Gleichen:" Er ging weiter, überzeugt, daß er diesen Zustand keineswegs, wie Malchow es iu seinen« Testamente wünschte, bis zum Beginne des Herbstes ertragen könne! Da hörte er plötzlich mit unterdrückter Stimme seine«« Namen rufen. „Herr von Eckhoff — ach bitte —" Stephanie kam eilend nach der Hecke herüber. Sie mochte soeben -en Gemüsegarten betreten haben. An ihrem Arme hing eil« Körbchen, in dem eil« Küchcu- «ncsscr lag. Jedenfalls wollte sic Salat für den Küchen tisch schneiden. Bernhard erwartete sie mit kaum beherrschter Un geduld. Er befand sich in furchtbar gereizter Stimmung. Sein Inneres «var wie voi« Bitterkeit durchtränkt. Nun war Stephanie ihm ganz nahe und er sah un mittelbar in ihr klares, reines Gesicht, dessen schmelzende Farben sich so wunderbar von dem Krepp der Trauer rüsche abhoben. „Herr von Eckhoff, — Bernhard —, wollen Sie mir versprechen, nicht gar zu toll zu reiten, morgen, sondern freiwillig Frau von Linden den Sieg überlasten? Und - bitte, bitte, nehmen Sic doch einen anderen Weg. als über die Wieseugräben — wollen Sie? Ich bitte Sie so von ganzem Herzen —" Sein zornig lachendes Gesicht brachte sic ein wenig auS der Fassung, aber stammelnd sprach sic ihr Anliegen doch auS.' Sic war so reizend in ihrer Hilflosigkeit, gar nicht zu vergleichen mit dem stolzen, kühlen Fräulein, besten Schleppe so gleichmäßig die Ballsäle fegte. Aber Eckhoff sah nichts, und wenn, dann deutete er cs nach seiner Weise. „Täuschen Sic sich nicht etwa in der Person, mein Fräulein? Ich glaubte, Ihre Besorgnisse müssen doch vor Allem sich Herrn Gertzing zuwendcn!" Sie sah ihn erstaunt, verständnißlos an, da sie diesen Name«« zum ersten Male hörte. Das aber ward ihr klar, daß cs furchtbar in ihm gährtc und stürmte. „Können Sic «nir denn nie, niemals verzeihen, was ich Ihnen einst in einer thörichten Verblendung gethan habe, für die ich nicht einmal verantwortlich gemacht werde«« kann?" fragte sic mit halber Stimme. „In der Verblendung?!" rief er empört, „wo Sic nach reiflicher, eingehender Ueberlcgung handelten?! Nun, wenn Sic das Verblendung nennen, so stimmt es ja ge wissermaßen, nur, daß dieselbe keine vorübergehende ist, sondern einen Theil Ihres Charakters ausmacht, und für alle Zeit Ihr Thun und Lassen bestimmen wird!" „Nein, Herr von Eckhoff, o, gewiß nicht!" „Mich täuschen Sie nicht!" sagte er kalt. Sie kvkct- tiren mit Schleinitz und haben ihn bereits in Ihr Netz gezogen, und Sic verschmähen sogar den geckhaftcn Mode narren, den arroganten, alten Gertzing nicht, um —" Sic sah ihn traurig an. „Jetzt sind S i e verblendet, Herr von Eckhoff, jetzt beginnt Ihre Schuld! Ich aber verzeihe Ihnen, weil —" „Weil ich nothgedrungen dabei sein muß, wenn Sie eine Million erber« wollen!" „Nein, weil ich Sic liebe, Bernhard!" Er sah sic mit einem Blicke an, vor dem sic erbebte. „Das glaube ich Ihnen nicht! Und wenn Sie es mir jeden Tag sagen! Mein Vertrauen ist vernichtet! Ja, sehen Sic mich an, zärtlich und verheißungsvoll — gerade so leuchteten auch damals Ihre Augen, als Sie den Vcr- rath in« Herze«« hatten!" Er hielt den leichten Strohhut ii« der Linken, die scheidende Sonne beleuchtete grell sein einst so fröhliches Gesicht, das nun einen so müden, ge quälten Ausdruck trug, „weshalb sollte ich cs nicht ein gestehen!" rief er zornig, „«nein Herz will nicht von Ihnen lassen! Ich aber werde gegen diese Liebe an kämpfen, so lange eil« Athcmzug in mir ist!" Stephanie hatte ihn« athcmlos zugchört. „Dann mag Gott entscheiden, Bernhard", sagte sie tonlos, „ihm sei es anheimgcgebcn, ob wir Beide ein langes Lebe«« hindurch zu büßen haben, was durch der« Unverstand eines Dritten verschuldet wurde!" Sie wandte sich ab und dachte, daß es bester sei, zu sterben und dort unten im See zu liegen, als dieses Elend weiter zu ertragen. Spöttische Worte, die Acußcrungcn eines verzweifelten Herzens, tönte«« ihr nach. „Phrascnheldin! Wer glaubt denn an den Schmerz einer Undine! Nur illusionsreichc Seelen lassen sich be hexen und — leichtgläubige Thoren!" Ihre Arme sanken schlaff herab, muthlos rang sic die Hände. „O, mein Gott, wenn ich das gut mache«, könnte!" murmelte sic, „wenn ich das gut machen könnte!" Und dann kam es ihr doch wieder irr den Sinn, daß sic ihn noch einmal warnen und beschwören mußte, die gefährlichen Wiesen zu meiden. Zaghaft, pochenden Herzens ging sie wieder zurück. Er stand auch noch auf derselben Stelle, mit dunklem Blick ins Weite, ins Leere hinansstarrend. „Bitte, Herr von Eckhoff, möchten Sic mir nicht wenigstens den Gefallen thun, morgen bet dem Wettritt eine andere Tour zu wählen? Ich bitte Sie nochmals so herzlich darum!" Er lachte schneidend auf. Dann streifte er sie mit einen« eisigen Blicke. „Geben Sie cs endlich auf, mir gegenüber Ver stellungskünste zu üben", sagte er unwirsch, „wenn ich de«« Hals breche, bekommen Sic die Millionen un geschmälert! Diese Aussicht ist doch wohl maßgebend für Ihre Empfindungen! Uebrigcns erscheinen mir diese Wiesen nun doppelt verlockend, und weshalb sollte ich der lieben Schmeichelkatze, der reizender« Frau von Linden, den Spaß verderben!" Jetzt blieb Stephanie stumm. Sic «nutzte ja erkennen, daß jedes ihrer Worte ihn nur noch mehr verbitterte und irre leitete. Sie stand zwischen den Salatbecten, schien aufmerk sam die jungen, zarte» Staude«« zu mustern und zu wählen. In Wirklichkeit aber sah sic nichts. Thräne um Thränc löste sich aus den großen, schöner« Augen und rann über die vor Erregung heißen Wange«« hinab. Es lag etwas Erschütterndes in diesem lautlosen Weinen. Es waren Thräncn, «vie sie der ge kränkte Stolz, die hilflose, sanfte Unschuld weinte: Durch einen Baun«, der sich dicht an den Zaun lehnte, geschützt, beobachtete Bernhard diesen Schmerz, der ihm das Herz zerriß. „Ich bin hart und grausam «nit ihr", dachte er finster, „aber kann ich denn anders, und verdient sie cs bester? Hat sic nicht mein Lebe«« vergiftet, mir jede Freude an« Dasein geraubt?! Wahrhaftig, wen« meine liebe Mutter nicht wäre — ich —" Und mit einer heftigen, vom Zorn dictirten Be wegung riß er einen Zweig von der Kastanie, deren Krone der Abeudwind hob, schleuderte das junge Grün weit von sich und ging, ohne sich noch einmal umzuschcn, weiter. „Ich werde noch wahnsinnig", murmelte er, „nein, ich bin cs schon! Hat man früher je solch' sinnloses Ge bühre«« an mir beobachten können? Weiß ich überhaupt noch, waü ich thuc? Er stieß mit der Fußspitze eine» kleinen Stein aus dem Wege, so wüthend, als wolle er de«« glatte« Kiesel für all' sein Leid verantwortlich machen, „die Linden ist mir ja so schrecklich glcichgiltig! Ach, mehr als das, ich mag sic nicht — mag sie Alle nicht, keine Einzige, außer —, er stampfte wild mit dem Fuße
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