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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020301026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902030102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902030102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Notizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zifsernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffcrtenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .XS 60.—, mit Postbesörderung ./S 70.—, Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 98. Jahrgang. Sonnabend den 1. März 1902. Prinz Heinrich in Amerika. - ^V. Washington, 28. Februar. (Privattele gramm.) Allgemein wird bemerkt, daß Prinz Heinrich äußerlich sv wenig Spuren der außerordent lichen Anstrengungen, die er seit Sonntag überstanden bat, zeigt. Er verbrachte bisher schon vier Tage auf der Eisenbahn und wird sich auch die nächsten drei Tage ledig lich im Bahnwagen aufhaltcn. Ter Wagen ist aller dings auf das denkbar Bequemste eingerichtet, ebenso der Wagen für das Gefolge, das den Evmfort nicht genug rühmen kann. Der Prinz selbst sagt, er könne nirgends besser schlafen, als im Zug. Er nimmt großes Interesse an den Eisenbahncinrichtungcn und stellt eingehend Fragen. Gestern schliefen einige Herren aus der Fahrt nach Mount Bcrnon vor Müdigkeit ein, der Prinz jedoch ivar noch sehr frisch und bestand darauf, den Weg vom Bahnhof zu Washingtvn's Grab und zurück zu gehen. Am Grabe legte er im Namen des Kaisers einen Kranz nieder, so groß, daß der Gärtner tragen helfen mußte. Admiral Evans ist sehr ermüdet, leidet zudem an einer alten Wunde und ruht heute in Washington ans, um für die Eiscnbahnfahrt nach dem Westen frisch zn sein. X. New Aork, 28. Februar. <P r i v a t t e l c g r a m m.) Während durch die großen Stürme am Sonnabend die im Osten des Staates New Avrk ungerichteten Stö rungen der Telegraphie nicht beseitigt werden tonnten, verursachten die gestrigen und heutigen Stürme auch im Westen und Süden Hochfluthen und Telegraphen unterbrechungen. Auch die Depeschen aus Annapolis gehen langsam ein. Annapolis, 28. Februars. (Privattele gramm.) Prinz Heinrich wurde vom Gouver neur Smith von Maryland und vom Dtrcctor der Marineakadcmie Wainwright empfangen. Schon als der Prinz früh von Washington aufbrach, setzte ein sv heftiger Regen ein, daß mehrere Personen sich bemühten, ihn zn überreden, den Besuch von Annapolis heute aufzugebcn: der Prinz beachtete jedoch den Regen nicht. Leider dauerte derselbe auch in Annapolis fort. Die Kutsche, in welcher sich der Prinz nach der Akademie begab, war von Marincmannschaftcn und zwei Evmpagnicn Staats miliz cscortirt. Der Paradeplatz war durch strömenden Regen in einen See verwandelt, trotzdem wurde das Programm durchgeführt. Als die Kutsche mit dem Prinzen aukam, empfing ihn ein Salut von 21 Kanonen schüssen. Der Prinz und sein Gefolge wurde sofort unter ein Zeltdach geleitet, doch drang der Regen, vom Winde gepeitscht, ein, auch von der Seite. Der Parademarsch der Kadetten führte mitten durch den Schlamm. Die Kadetten sanken bis an die Knöchel in den Schmutz. Nachdem sie vorbeimarschirt, zeigte eine Reihe st e ck en ge blieben er Gummischuhe die Marschlinie an. Dann fuhren -er Prinz und sein Gefolge znr Anstalt, besichtigten sic rasch von außen und nahmen dann das Innere eingehend in Augenschein, namentlich die ka- dcttenquarticrc, das technische Laboratorium und sonstige Räume. Unter Donner und Blitz begab man sich dann an die Stätte, wo das Gabelfrühstück servirt war. Der Prinz dankte dem Director Wainwright und den Ossi eieren der Anstalt und bedauerte lebhaft, daß das heutige Wetter solche Hindernisse bereitet habe. Er sprach seine Freude über das Gesehene aus, ließ sich die Pläne der beabsichtigten Erweiterungsbauten ausführlich darlcgcn und dann den Sieger im Ringkampfc vvrstcllen, der ihm bei den von den Kadetten veranstalteten athletischen Hebungen am besten gefallen hatte, und gratulirtc ihm. Die Abfahrt erfolgte wieder unter dem Donner der Ge schütze. * Washington, 28. Februar. Prinz Heinrich ist heute Nachmittag um Uhr von Annapolis hier wieder eingetrvffen. * Washington, 28. Februar. Heute Nachmittag 4 Uhr stattete Prinz Hei n r i ch im Weiß e n H a n s e einen Besuch ab. Der Präsident, seine Gemahlin und Miß Alice empfingen ihn im Blauen Saal. Später unternahmen der Prinz und der Präsident einen Spazier ritt. X. New Uork, 1. März. ( P r i v a t t e l c g r a m m.) In Deutschland ist die Kabelmeldung aufgctaucht, daß bei dem Ltapellauf-Diner am 2",. Februar große kha m- p a g n c r b c t r u n k c n l> e i t geherrscht und das Publi cum in rohester Weise Alles gestohlen habe, sv daß der Wcrftbcsitzcr einschreitcn ließ. Hieran ist kein wahres Wort, khampagner wurde nur am Tische Rooscvelt's servirt, und auch dort nur kurze Zeit. Das Publicum verhielt sich, wie allseitig anerkannt wird, durchweg musterhaft, wie dies nicht anders zu erwarten war, weil cs ein anscrwähltes war und da hier alle Welt bemüht ist, dem Prinzcnbesuch den angenehmsten Bcrlanf zn sichern. Sv mißfallen und stören solche falschen Be richte sehr, und cs wird hier als sonderbar bezeichnet, daß der einzige Nkißton, der in die Harmonie dringt, ge rade aus der deutschen Presse kommt. Oer Krieg in Südafrika. Eine englische Niederlage. -p. Die Wegnahme des angeblich leeren englischen Konvois entpuppt sich jetzt als eine erhebliche englische Niederlage, über die wir heute Morgen schon durch Pl-n ai. anschlag berichten konnten. Die ausführliche Meldung besagt: * London, 28. Februar. (Unterhaus.) Bei dem Schluffe der Sitzung verlas der Kriegsministcr Brodrick folgendes Telegramm Lord Kitchcncr's: „Nach einem soeben cingcgangencn Berichte sind bei dem An griff der Bocrcn auf den Konvoi der Abthciluug von Donop am 24. Februar 18 Lfficierc und 451 Mann gefangen genommen, davon aber 1 Ofsicier nnd 1V5 Mann schließlich wieder frcigcgcbcn worden. Der die britischen Truppen befehligende Oberst befindet sich noch in Gefangenschaft, der die Infanterie befehligende Ofsicier wurde verwundet. Daher verzögert sich eine ge nauere Schilderung des Vorfalls." Brodrick fügte hinzu, daß etwa 12« Mann auf britischer Seite ge- fallcn sein dürften. Das war also nicht lediglich ein Angriff ans leere Bagagcwagcn und deren Begleitung, sondern ein Offen- sivvvrstoß der Bveren gegen eine starke englische Truppe, in deren Gefolge sich ein Wagenzug befunden hat. Hoffentlich darf man aus der Zurückbehaltung des größten Theils der Gefangenen schließen, daß die Boercn beabsichtigen, sich eine Art Geißeln zn sichern. Allerdings hat man sich darin schon mehr als einmal getäuscht ge sehen. Leider wird die Freude an diesem neuen Boerensicgc getrübt durch die Meldungen über nicht geringe Verluste, welche die Bveren beim Versuch eines Durch bruches der Blockhauslinie Harrysmith-Vvu Reencn- paß am 27. Februar, also drei Tage nach der englischen Niederlage, erlitten haben, wobei auch De Wct's Sohn und sein Sekretär gefangen genommen wurden. Zieht man von der mit 000 angegebenen Gcsammtzahl der boerischen Gefangenen und Gefallenen die spcciell als ge fangen bezeichneten 450 Mann ab, so bliebe immer noch ein Verlust von 150 Mann an Todten und Verwundeten übrig. — Wir erhalten noch folgende Meldung: » London, 1. März. (Telegramm.) „Neuter's Bureau" berichtet aus Harri smith unter dem 28. Februar noch folgende Einzelheiten zu der gestern im Untcrhause vom Kriegsministcr Brodrick mitgethciltcn Ucbcrgabc von etwa 000 Bocrcn: Die englische Operation, die mehrere Tage dauerte, bewegte sich in der Richtung von Vrede nach Sarrismith. Am Donners lag zwangen die britischen Truppen die Bocrcn, sich nach dem Vaalflnsse hinabzuziehcn, wo sie cndgiltig fest gehalten wurden. Oberst Rawlinsvn gewährte dem Feinde einen cinstündigen Waffenstillstand, damit er die Frage der Ucbergabc bcrathcn könne. Die Bveren be schlossen die Uebcrgabe, und so wurden 000 bis 700 Mann gefangen genommen. Die Verluste der Bocrcn während des Gefechts sind nicht bekannt, aber man hält sie für sehr beträchtlich. Unter den Gefangenen befindet sich John Wessels. Die Gefangenen sind heute Nachmittag hier cingctroffen. politische Tagesschau. — * Leipzig, 1. März. - So ost der Reichstag sich mit Eisenbahnangelegen beiten beschäftigt, drängt die linke Seile des Hauses auf Herabsetzung der Personentarife. Das geschah auch gestern wieder, obgleich erst jüngst eine in ihren finanziellen Folgen noch nicht völlig übersehbare Reform eingesührt worden ist und die ganze Finanzlage zur Vorsicht mabnt. Wahrscheinlich haben die gestrigen Befürworter des Ver langens, den Kilometerpreis der jetzt 45tägigen Rückfahrt karte auch für die einfache Fahrt in Anwendung zu bringen, selbst keine Hoffnung auf Erfüllung dieses WunscycS gehegt und lediglich der Wählerschaft beweisen wollen, daß sie nicht umsonst — keine Diäten bekommen. Jedenfalls war dem preußischen Eisenbahnminister v. Thielen gerade jetzt die Anregung willkommen, weil sie ihm Gelegenheit gab, zwar seinen guten Willen, eine Tarisreform nach der Richtung der Vereinfachung und der gerechteren Organisation der Personentarife zu bekunden, aber dem Verlangen nach einer große» Ermäßigung dieser Tarife mit Gründen entgegen zutreten, die im Lande Eindruck zu machen nickt verfehlen werken. Herr v. Thielen führte, wie zur Ergänzung unseres Berichtes im heutigen Morgenblatte mitgetheilt sei, im Wesentlichen aus: Ich habe meinen persönlichen Standpunct zur Frage der Tarisreform schonlmiederholt hier dahin präcisirt, daß ich eine Personentarifresorm nach wie vor für nothwendig halte, aber ohne eine wirk ¬ liche erhebliche Ermäßigung der Preise. Zu Lieser Neber- zeugung bin ich in meiner langen Eisenbahnpraxis dadurch gekommen, daß der Personenverkehr überhaupt kein sehr einträglicher ist. Bei sehr vielen Bahnen ist er sogar ein rein negativer. Es ist ein Jrrthum, wenn man meint, daß durch eine Vermehrung Les Verkehrs die Einnahmen sich wieder erhöhen würden. Wenn der Ertrag ein nega- tiver ist, so wird durch eine Vermehrung des Verkehrs auch nur das Deficit vermehrt. (Sehr richtig! rechts.) Zu dieser Ueberzrugung sind schon eine ganze Anzahl von Eisenbahnen gelangt, die sich sogar genöthigt gesehen haben, Ermäßigungen wieder abzuscha ffen und die Preise wieder zu erhöhen. Dies ist geschehen in Oesterreich, in Frankreich, in Belgien, in Rußland, und derartige Bei spiele würden sich noch mehr finden. Ich meine aber, es ist im Verkehrsinteresse nichts schlimmer, als eine solche Wiedererhöhung eintreten zu lassen. Es ist jedenfalls zweckmäßiger, man bleibt den bisherigen Preisen, wie sie sich durch die historische Entwickelung gestaltet haben, treu. Für eine große Ermäßigung bin ich also nicht: für dringend nöthig halte ich aber eine Tarifresorm nach der Richtung der Vereinfachung und der gerechteren Organisation der Personentarisr. Ten ersten Anfang dazu haben wir schon durch die 45tägigen Rückfahrkarten gemacht. Eine ganze Anzahl von Karten, wie sie sich im Lause der Zeit ausgebildet hatten, konnte dadurch schon ausgeschieden werden. Die Frage, ob es richtig sei, jetzt schon die Rückfahrkarten überhaupt aufzugeben, Will ich hier nicht erörtern. Die Platzkarten für die D-Züge, die hier früher fortwährend angegriffen wurden, haben wenigstens das Gute gehabt, daß sie die wirklich durchgehenden Züge von dem Localverkehr einigermaßen befreit haben. Also eine Tarifreform wird jedenfalls kommen, sie muß kommen, und wahrscheinlich nach der Richtung hin, daß man mit einem Schwamm alle bisherigen Fahr karten hinwegwischt und daß nur eine einfache-art übrig bleibt. Wann diese Reform aber clugfführt wird, ist jetzt noch nicht zu übersehen. Sie kann jedenfalls nur dann eintreten, wenn die finanziellen Verhältnisse es gestatten. Bei den 45 tägigen Rückfahrkarten haben wir zwar nicht viel eingebüßt, aber eine Einbuße ist doch immerhin vorhanden. Es ist hier auch schon erwähnt worden, daß eine Conferenz zusammengetreten ist, um die Frage zu erörtern, was zur Zeit zur besseren Organisation des Verkehrs geschehen kann. Man ist da einmüthig zu der Ueberzrugung gekommen, daß bei der gegenwärtigen Depression und beider finanziellen Lage die Durchführung einer Tarisreform noch nicht ongezeigt ist. Etwas hat man ja erzielt, indem man durch das Wegfällen des Schnellzugszuschlags für Züge, die nicht dem internationalen Durch gangsverkehr angehören, die Durchgangszüge entlastet hat. Ich habe schon in der Commission gesagt, daß ich für die Kilometerhefte, die der Abgeordnete Riff hier so befürwortet hat, mich nicht erwärmen kann. Diese dienen in erster Linie nur dem Nahverkehr, und es erscheint mir fraglich, ob man den Nahverkehr nicht besser dadurch erleichtern kann, daß man Arbeiterwochenkarten, Abonne« mentskarten u. s. w. schafft. Mit dieser Erklärung zeigte sich nur der Abg. Schrader von der freisinnigen Bereinigung nicht einverstanden. Wenigstens bezeichnete er es als zweifelhaft, ob eine Vereinfachung der Tarife ohne Ermäßigung einen Werth habe. Dann spielte er den großen Trumpf des DictumS auS, der rapide wirth- schaftliche Aufschwung Amerikas sei nicht zum geringsten Feuilleton. 1, Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. NachdruS verbann. Erstes Kapitel. Die Morgensonne strahlte schon ziemlich hoch ins Fenster hinein, als Franz und Bruno noch immer den Schlaf des Gerechten und der Jugend schliefen. Aus dem Nebenzimmer tönte abgerissener Singsang einer ge schulten Stimme, Tonleitern und allerhand Opernbruch- stückc, vermischt mit Pfeifen und dem Gurgclgeräusch, das man beim MundauSspülen bet der Morgentoilette hcrvorbringt. War es der aufdringliche Strahl der Frühjahrssonne oder der Gesang aus dem Nebenzimmer, Bruno streckte und reckte sich plötzlich, gähnte und hüstelte einigemal und richtete sich endlich auf. Gleich darauf fuhr auch Franz empor. Seine großen, düsteren Augen richteten sich ängstlich auf den Freund. Ucbcr das gelblich getönte, noch jugendliche Antlitz, das aber in den Falten um Muud und Nase schon von Ent täuschungen und bitteren Lebenserfahrungen sprach, huschte es wie eine leise, geheime Besorgniß. „Du hustest ja wieder ?" „Na, kein Wunder, nach der Kneiperei!" „Dn solltest mehr Acht auf Deine Gesundheit geben!" „Set doch nicht so ängstlich, Amme! Ich fühle mich außerordentlich wohl. — Hör' doch blos, Mieglitz ist schon auf. Der Mensch kann wirklich einen Ltiebcl ver tragen ..." „Jedenfalls mehr als wir Beide. Da hat mcku sich nun wieder eine Nacht um die Ohren geschlagen. Was hat man davon? Einen schlechten kkeschmack im Munde ui»d Kopfschmerzen." „Leichcnbtttcr!" „Natürlich werden wir heute alle Drei nichts ar beiten —" „Mein Gott, der Mensch ist doch nicht blos zum Ar beiten da." „Und das sagt ein Künstler?" rief Franz Lcue ärger, lich. „Lieber Sohn, das ist ja noch das einzige Ber- gnügcn, das der liebe Gott unS armen Lrdenwürmern gegeben hat. Die Menschen sind ein gemetneL niedrige« Pack und trampeln auf einander herum, der Reiche auf dem Armen, der Vorgesetzte auf dem Untergebenen. Wir, die wir zur Wissenschaft oder znr Kunst schwüren, die wir dichten, malen oder die Welträthsel zu lösen trachten, wir erheben uns nur durch die Arbeit über die gemeine, Geld zusammenscharrende Menge." Bruno Breitlingcr, der junge Maler, zuckte lachend die Achseln. ,)Du sprichst mal wieder Deine Feuilletons, statt sie zu schreiben. Der Teufel soll heute die Arbeit holen. Ich wünschte, cs pumpte mir Jemand zwanzig Mark oder gleich fünfzig, wenn ich schon 'mal wünschen soll — und dazu wünschte ich mir dann gleich ein pikantes Frühstück, Kaviar, Heringssalat und ein Glas Mün chener. Dafür schenke ich Dir sogar momentan die Sirtina." Und um zu beweisen, daß cS ihm in diesem Augenblick absolut nicht um die Arbeit zu thun war, kroch Bruno behaglich wieder unter die Decke zurück. Sein bild hübsches, bleiches Gesicht mit den fcingcschnittencu Zügen und den lachenden blauen Augen — ein germanischer Antinvuskopf — verzog sich zn einem lauten Gähnen. Aber mit dem Weiterschlafen ging cs doch nicht so recht. Die Sonne war zu indiScrct und der Gesang zn störend. . . - : . „Ich bin der Figaro Aller Barbiere Und gratultrc Mir selbst zum Glück, Mir selbst zum Glück .... ." klang cs mit mächtiger, übrigens wohlklingender und ge schulter Baßstimme durch die geschloffene Thür des Neben- zimmers. „Das verdammte Grühlcn von dem Menschen!" rief Bruno ärgerlich, und griff, ohne sich lange zu besinnen, zu seinen Stiefeln, die ungenutzt, wie er sie in der Nacht von den Füßen gestreift, vor dem Bette standen. Er nahm einen davon in die Hand und warf ihn mit kühnem Schwünge gegen die Thür. Es gab einen lauten Krach nnd die Stimme nebenan brach plötzlich ab, um dann gleich darauf in König Heinrich's Weise über- zngchen: „Seid mir gegrüßt, Ihr Edlen von Brabant." „Unansstehlich, der Kerl!" murmelte jetzt auch Franz nervös. Gleich darauf öffnete sich die Thür von nebenan und ein -ickeS. gerSthete- Antür s-it einer kühnen Adlernase, keck nach oben gedrehtem Schnurrbart und blitzenden, etwas frechen, schwarze» Augen blickte gutmüthig lachend herein. „Servus, Kinder! Gut geschlafen?" „Na, jedenfalls noch nicht ausgeschlafen!" brummte Bruno ärgerlich. „Dn bist der reine Johann, der muntere Seifensieder, dcr's Singen nicht lassen kann", fügte Franz, ebenfalls nicht sehr freundlich, hinzu. „Singe, wem Gesang gegeben", erwiderte das dicke, lachende Gesicht, zn dem ein mittelgroßer, untersetzter Körper gehörte. — „Seid Ihr denn überhaupt noch müde von dem bischen Wein?" „Wir können doch nicht Alle saufen wie ein alter Korpsstudent." „Ihr seid spitz, gnädige Frau! Uebrigcns brachten sic mir im Korps nur das Bicrtrinkcn bei. — Na, ich will Böses mit Gutem vergelte«: ich habe den Kaffee für Euch mitgemacht. Wenn Ihr mich bittet, bringe ich ihn sogar an Euer Bett." „Eigentlich bist Dn doch ein guter Kerl, Mieglitz!" meinte der Maler, sich behaglich dehnend. — „Aber, Donnerwetter — ist heute nicht Mittwoch? Da wollte ja der Rosenfeld kommen. Wie spät mag's denn sein?" „Dem Stand dec Sonne nach zu urthcilcn, ist'ö gegen elf", erwiderte der Sänger, während er schmunzelnd einen Schlüssel, der die Uhr markirte, an einer „goldenen" Kette aus der Tasche zog. „Deine studirt auch schon wieder? Schäm' Dich, Brüller!" brummte Franz. — „Wenn man ein sv nutz- bringendes Gewerbe treibt wie Du ... eigentlich ein sündliches Gewerbe, das zur Völlerci verlockt —" „Sag' lieber ein K n n st gcwerbe", meinte Bruno. „Er verkauft doch nur K n n st wem." „Ja, in Gold müßtest Du schwimmen", schloß Franz die Ermahnung. — „Statt dessen verschwendest Dn Dein Geld, das Dn somit auch Deinen Freunden entziehst, ruinirst Deine schöne Stimme, ein Geschenk Gottes in diesem Weinfaß —" „Bierfaß!" unterbrach Bruno. „Weinfaß!" beharrte Franz. — „Und kurz und gut, cs wird ein schlechtes Ende mit Dir nehmen. Und jetzt wollen wir Kaffee trinken", schloß er, während er seine langen, mageren Beine aus dem Bett htnansschob und langsam in die Unterhosen schlüpfte. „Euer Witz ist kein Skorpionstich, mehr Floh!" brummte Mieglitz, den sie den „Brüller" oder auch den „Zitattcrich" nannten — eine sinnreiche Vereinigung von Citat und Tatterich —, während er sich ins Nebenzimmer zurückzvg. Dies war durchaus nicht sv einfach, wie es von dieser Seite aussah. Die Thür öffnete sich nicht etwa direct in das Gemach, wo der edle Sänger hauste, sondern führte zunächst in einen Klciderschrank, besten Hintere, losgebrochcne Wand, die man nach Belieben vor- und zurttckschicbcn konnte, momentan halb geöffnet war. Durch diesen Klciderschrank mußte Mieglitz hindurch turnen, »m in seine Bude zu kommen, die nach dem Hof hinausging, während die Fenster des anderen, größeren Zimmers auf die Kronenstraße in Berlin blickten und im zweiten Stock des Hotel garni zur „Kleinen Oper" lagen. Es war ein wunderliches Haus, diese „Kleine Oper", über das jetzt schon längst die große Fcgx- und Nivellir- Maschinc des neuesten Berlin hinwcggerollt ist. Diese Gegend wird immer mehr zur Gcschäftscity; Confections-, Export- und Großhandlungen aller Art klettern mit ihren Comptoirs und Lagerräumen bis in die höchsten Etagen hinauf. Vierstöckige Häuser mit prnnkcndsen Fronten und „allem Komfort der Neuzeit", elegante Läden und vornehme Restaurants mit großen Spiegelscheiben reihen . sich dicht aneinander, wo früher kleine Häuser standen mit schmucklosen, grauen Fa<:adcn, einfachen Läden und niedrigen Zimmern ohne Stnckvcrzierung und Prunk öfen, mit engen, ausgetretenen Treppen und kleinen Kneipen, wie man sie heute nur noch weit draußen in den Vorstädten findet. Im Hochparterre, zu dem zwei Steinstufen hinanf- sührtcn, lag das „Restaurant zur kleinen Oper", in jenem alten, gcmüthlichcn Provinzstil eingerichtet, mit ver räucherten Decken und Wänden, au denen die obligaten patriotischen Ocldrnckbilder, einige Rcclamcplacatc, Eiscnbahnfahrplüne und ein alter Regulator hingen. In den zwei vorderen, kleineren Zimmern standen lange, wcißgescheuerte Tische, über die man des Mittags Wachs tücher legte; hinten befand sich noch ein großer Raum mit dem Büffet und dem Billard. Der Besitzer des Hauses, Hotels und Restaurants, Herr Viktor Heine, war ein großer, breitschulteriger Herr mit einem gntmüthigcn, intelligenten Gesicht, dem ein kurzer Knebclbart einen energischen Ausdruck verlieh. In jungen Jahren hatte er selbst die»weltbcdcutendcn Bretter betreten. Ob als Solist oder Chorist, das wußte Niemand so recht; er selbst sprach nicht gern davon,
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