Heute begreift man es schwer, daß sich ein Monarch, der über zahl reiche Völker herrschte und gekrönter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war, über die Abwanderung von siebzig deutschstämmigen Protestanten aus Mähren erregen konnte. Doch das ereignete sich im Jahre 1731. Kaiser Karl VI. sandte von Wien aus eine geharnischte Beschwerde an den kursächsischen Hof. Wie aufge bracht der bigotte Kaiser war, konnte man allein daran studieren, daß er dieses Schriftstück mit seiner eigenhändigen Unterschrift ver sehen hatte. Der Graf von Zinzendorf locke kaiserliche und leibeige ne Untertanen aus seinem Lande und stifte dadurch nur böse Unru he. Das sei zu unterbinden. Darum ging es. Der schwer zuckerkranke Kurfürst und König in Polen, August der Starke, durch seine Krankheit leicht aufgebracht, reagierte augen blicklich. Der Geheime Rat habe solche Dinge unverzüglich zu un terbinden. Der Fürst empfing bereits den nächsten Tag die Zusiche rung, daß Zinzendorf die Aufnahme von Flüchtlingen unverzüglich verboten werde. Die vom Kaiser verlangte Ausweisung der Flücht linge bedürfe jedoch einer gründlichen Untersuchung, da man erst wissen müsse, um welche Personen es sich handle. Man argumen tierte gut. Herrnhuts wirtschaftliche Entwicklung, die den kursächsi schen Steuereinnahmen zugute komme, solle man nicht durch Un terbindung eines «Zuwachses» lähmen. Man ließ sich Zeit. Im Januar 1732 erschien eine Regierungskom mission in Herrnhut, die leidenschaftslos und sachlich untersuchte. Ehe ihr Gutachten bearbeitet war, platzte eine königliche Verordnung vom 16. Oktober 1732 dazwischen. Dem Adel wie den Städten in der Oberlausitz wurde bei Androhung hoher Strafen die Aufnahme kaiserlich-österreichischer Untertanen aus Böhmen, Mähren und Schlesien untersagt. Nicht genug damit. Zwölf Tage später befahl August der Starke: «Nachdem Nicol Ludwig Grafen von Zinzen- dorfs bisherige unanständige und bedenkliche Aufführung uns zu vielem Mißfallen gereicht, so begehren wir gnädigst, ihr [der Ge heime Rat] wolltet, sofern sich hierbei kein Bedenken ereignet, selbi gen andeuten, daß er in der Zeit von drei Monaten seine liegenden Güter und Grundstücke veräußere und aus unserm Kurfürstentum und Landen sich wegbegebe.» August der Starke starb am 11. Februar 1733. Zinzendorf durfte im Lande bleiben. Der Verkauf von Berthelsdorf und die Abtretung der Herrschaftsrechte in Herrnhut an die Gräfin wurde behördlich ge nehmigt und offiziell vollzogen. Es sollte sich in der Folgezeit erwei sen, daß durch diesen Verwaltungsakt Herrnhut gesichert blieb. Zinzendorf, durch die zornigen königlichen Erlasse gewarnt, be fand sich bereits auf der Suche nach neuen Zufluchtsorten für die zuwandernden Exulanten. Wie man es in diesem Jahr 1733 fertig gebracht hat, zweihundert Mähren noch einzuschleusen, ohne daß es mißgünstige Aufpasser merkten, ist uns nicht mehr bekannt.